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„RICHARD WAGNER UND DAS GESAMTKUNSTWERK“

Veröffentlicht/Copyright: 1. Mai 1986
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ÖGMw - ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT „RICHARD WAGNER UND DAS GESAMTKUNSTWERK" Daß interdisziplinäre Zusammenarbeit keines übergroßen Aufwandes bedarf und auch ohne „Kongresse" und „Symposien" schlicht im Semester-Alltag einer Universität statt-finden kann, bewies die Schlußveranstaltung des Wiener Wagner-Kolloquiums am 6. No-vember 1985 vor dichtgedrängten Zuhörern im Schreyvogl-Saal. Vier jüngere Vertreter alteingesessener Fächer (Literatur-, Musik-, Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte) fanden sich während eines Semesters zusammen, um über die ästhetischen Theorien und Konzepte Richard Wagners zu diskutieren und die einzelnen Dimensionen des (intendierten) Gesamtkunstwerks auszuleuchten: gewiß ein ungewöhnlicher Versuch im Zeitalter der Massenuniversität, in deren Betrieb fächerübergreifende Kontakte, gemein-same Projekte und die Anstrengung, der jungen Generation noch einen Hauch vom Studium generale zu vermitteln, immer seltener geworden sind. Nachdem sich das „Gesamtkunstwerk" Wagners im Lichte unserer historischen Erfah-rung (und entgegen der ursprünglichen Intentionen seines Schöpfers) als ein musikali-sches Kunstwerk entpuppt hat, standen in erster Linie die musikalischen Aspekte seiner Konzeption und die Probleme ihrer theatralischen Realisation im Mittelpunkt der Diskus-sion. Aber auch die Suche nach den Spuren, die das Wagnersche Gesamtkunstwerk in der Architektur-Plastik sowie in der Literatur hinterlassen hat, erwies sich als außeror-dentlich ergiebig und interessant. So gelang es Walter Krause, die vom Dresdner Bildhauer Julius Hähnel stammenden Fassadenplastiken des Wiener Opernhauses als allegorische Darstellung des Wagnerschen Dramenbegriffs zu entziffern, wobei freilich erst die gedankliche Verbindung der in den Arkadenbögen und in den Rundmedaillons plastisch angedeuteten Begriffe (wie Fantasie, Tragödie, Liebe, Symphonie) und die formale Abstimmung der Figuren aufeinander den Wagnerschen Dramenbegriff als tragende und zugleich verborgene Idee der Fassadengestaltung ergeben. Diese Inhaltsdeutung der Fassade ist umso erstaunlicher, als Wien ja nicht ohne Grund als Hochburg der Anti-Wagnerianer galt; aber welche Liberalität muß trotz alledem die Geister beflügelt haben, wenn sogar Eduard Hanslick die Aufstellung einer Wagner-Büste im Foyer des neuen Opernhauses befürwortet und durchgesetzt hat. Eines Hauses, das bald nach der Jahrhundertwende zur Wirkungsstätte Gustav Mahlers und Alfred Rollers werden sollte, eines Teams, dessen Wagner-Inszenierungen künstlerische Maßstäbe setzten. Wolfgang Greisenegger illustrierte mit Originalentwürfen die unge-wöhnlich „moderne" Farbendramaturgie der Rollerschen Konzeption des „Tristan" (1904), einer Inszenierung, die „die Konzentration aller theatralischen Momente" (wie Bild, Farbe, Bewegung, Musik) aufbot, um an die Idee des Gesamtkunstwerks heranzu-gelangen. Neu war dabei Greiseneggers Einschätzung Mahlers als Regisseur: ein bisher vernachlässigter Aspekt seiner Tätigkeit als Operndirektor in Wien. Gernot Gruber und Enrico De Angelis loteten die musikalischen bzw. sprachlichen Momente des Wagnerschen Dramas aus: Gruber stellte Wagners Begriff von Natur (und die Naturbilder in seinem Werk) in die Tradition der vormärzlichen Philosophie und ging dem Begriff des Organischen als naturanalogem, zusammenhangstiftendem Moment des Musikdramas nach. Ein Ergebnis der Anstrengung Wagners, auf der Bühne im Kunstwerk eine vollendete Illusion zu erreichen (eine Äußerung der utopisch begriffenen „vollendeten menschlichen Natur"), erblickte Gruber auf der musikalischen Ebene in der Klangflächengestaltung, in der musikalischen Prosa und in der bewußten Verknüpfung von statischen und dynamischen Momenten. Gilt Wagners Werk, insbesondere der „Tristan", als eine der „Ursprungsurkunden der musikalischen Moderne" (Dahlhaus), so gelten seine Überlegungen zur Sprache, zum 260
Online erschienen: 1986-05
Erschienen im Druck: 1986-05

© 2013 by Böhlau Verlag GmbH & Co.KG

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