Die athenischen Hektemoroi — eine Erfindung?
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Mischa Meier
Zusammenfassung
Gegenstand der Untersuchung sind die athenischen Hektemoroi, denen in der Forschung eine Schlüsselstellung für die Analyse der sogenannten vorsolonischen Krise zugemessen wird, über deren Identität, Herkunft und Funktion aber weiterhin Unklarheit herrscht. Im 1. Teil des Aufsatzes werden die zentralen Belegstellen für Hektemoroi (Ath. Pol. 2,1–2 und Plut. Sol. 13,3–5) noch einmal analysiert, um zu zeigen, daß die Hektemoroi schon im 4. Jahrhundert v. Chr. erklärungsbedürftig waren. Der 2. Teil stellt neuere Thesen der Forschung zu den Hektemoroi vor und zeigt auf, daß diese sämtlich in Aporien münden, weil die Hektemoroi sich nicht in ein plausibles Gesamtbild der ‘vorsolonischen Krise’ einfügen lassen. Im 3. Teil wird demgegenüber ein neuer Lösungsansatz präsentiert und die These vertreten, daß in Athen zu keinem Zeitpunkt eine gesellschaftliche Gruppe mit der Bezeichnung ‘Hektemoroi’ existiert hat, sondern daß es sich dabei vielmehr um das Resultat eines Lesefehlers handelt, der entweder dem Verfasser der Athenaion Politeia oder seiner Quelle im 4. Jahrhundert v. Chr. unterlaufen ist. Bei den Hektemoroi handelt es sich demnach – so die These – keineswegs um eine Gruppe unterprivilegierter athenischer Bauern oder Schuldner, sondern um eine versehentliche Erfindung. Zukünftige Untersuchungen der ‘vorsolonischen Krise’ Athens können also ohne diese Personenkategorie auskommen, die sich ohnehin in keine Deutungsvariante widerspruchsfrei fügt.
Abstract
The article deals with the Athenian Hectemoroi, who are crucial in modern analyzes of the so called pre-Solonian crisis. However, identity, origins and functions of the Hectemoroi are still debated. In the first part of the article the main references for Hectemoroi (Ath. Pol. 2,1–2; Plut. Sol. 13,3–5) are analyzed again, in order to demonstrate that already in the 4th century BC it was necessary to explain this notion. In the second part current theories concerning the Hectemoroi are criticized, because none of them is appropriate to fit into a plausible assessment of the ‘pre-Solonian crisis’. In the third part the author offers a new solution suggesting that there never existed a social group called ‘Hectemoroi’ in Athenian history. Rather they were the result of a read error which occurred either to the author of the Athenaion Politeia or to his source in the 4th century BC. Thus, the Hectemoroi were not a group of underprivileged peasants or debtors, but merely an erroneous invention. Future research on the ‘pre-Solonian crisis’ now can get along without this group of persons, which does not fit into the current interpretations anyway.
© by Oldenbourg Wissenschaftsverlag, Tübingen, Germany
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