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Markenunternehmen und Markenrechtskonflikte.

Eine rechts- und unternehmenshistorische Betrachtung am Fallbeispiel Jägermeister
  • Christian Kleinschmidt und Louis Pahlow EMAIL logo
Veröffentlicht/Copyright: 12. März 2025

Abstract

The article examines the question of how brand companies deal with cases of brand piracy and which strategies they use to avoid legal disputes or enforce their property rights and competitive advantages. Using the spirits manufacturer Jägermeister as an example, it can be shown that not only in cases of pure plagiarism but also in cases of associative brand approximations, both judicial and extrajudicial measures were consistently pursued. In this context, informal negotiation processes, which could also be reflected in special agreements between the competitors, played an important role in conflict regulation, as confirmed in relation to the main competitor Underberg.

Einleitung

Das Thema Markenrechtskonflikte steht – häufig unter dem bekannteren Begriff der «Marken-» bzw. «Produktpiraterie» – seit Längerem im Fokus der Öffentlichkeit und hat inzwischen auch den wissenschaftlichen Diskurs erreicht. Letzteres betrifft vor allem die Wirtschafts-, aber auch die Rechtswissenschaften. Der Aufmerksamkeitszuwachs der letzten Jahre ist hauptsächlich das Resultat der Globalisierung seit der Jahrtausendwende. Piraterie, Fälschungen und Imitationen entwickelten sich zu einem flächendeckenden Problem für zahlreiche Branchen und Unternehmen und sind mit enormen volkswirtschaftlichen Kosten verbunden. Aus deutscher Sicht betroffen sind zahlreiche Sektoren, insbesondere die Konsumgüterindustrie, der Maschinenbau, aber auch die Chemie-, Elektro- und Pharmaindustrie, wobei neben den Produzenten auch die Konsumenten unter den Folgen qualitativ minderwertiger, auch gesundheitsgefährdender Produkte leiden. Dementsprechend thematisiert die rechts- und wirtschaftswissenschaftliche Literatur neben den unterschiedlichen Dimensionen sowie der weltweiten Praxis der Marken- und Produktpiraterie zudem Fragen von Schutzstrategien, Lösungsansätzen und Instrumenten zur Bekämpfung des Problems auf staatlicher und betrieblicher Ebene.[1] In jüngster Zeit ist dabei vor allem die Volksrepublik China ins Visier geraten, da von dort besonders viele gefälschte Produkte und Marken auf den deutschen und europäischen Markt gelangen.[2] Während gegenwärtig die Volksrepublik China die Liste der Pirateriefälle weltweit anführt, waren es vor Beginn der zweiten Globalisierungsphase Länder wie Taiwan, Südkorea oder Hong Kong, in geringerem Umfang auch Thailand, Mexiko, Jugoslawien, Spanien, Portugal und Italien, aus denen in den 80er Jahren Piratenware nach Deutschland gelangte.[3] Das verweist auf einen geographischen Wandel des Problems, welcher von Veränderungen und Entwicklungen bezüglich der jeweiligen Fälschungsstrategien und den entsprechenden Reaktionen darauf begleitet wurde, womit die historische Dimension von Markenrechtskonflikten angesprochen ist, der wir uns an dieser Stelle widmen wollen.

In der Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte ist das Thema bislang kaum Gegenstand umfangreicherer Untersuchungen gewesen. Im weitesten Sinne betrifft dies eine kleine Nische der Marken- und Marketinggeschichte, die seit den 90er Jahren als Teil der Unternehmensgeschichte hervortrat und die von dem Anliegen geprägt war, wirtschafts- und kulturhistorische Fragen miteinander zu verknüpfen.[4] Das Thema der Markenrechtskonflikte spielte in diesem Zusammenhang kaum eine Rolle, nicht zuletzt aufgrund der geringen Arbeitsteilung und Differenzierung innerhalb der Wirtschafts- und Unternehmensgeschichtsschreibung, die sich bestenfalls punktuell im Rahmen umfangreicherer Darstellungen einzelner Unternehmensgeschichten mit dem Phänomen beschäftigte. In einigen wenigen unternehmenshistorischen Studien spielen Markenkonflikte durchaus eine Rolle. Das betrifft etwa den Lebensmittelhersteller Dr. Oetker, die Nutzung von Markenrechten der Firma Beiersdorf in den USA nach dem Ersten Weltkrieg oder die Beschlagnahme von Bayer-Warenzeichen nach dem Ersten sowie Auseinandersetzungen um das «Bayer-Kreuz» auf internationalen Märkten nach dem Zweiten Weltkrieg, die für die betroffenen deutschen Unternehmen erhebliche Probleme mit sich brachten.[5] Infolge des Zweiten Weltkriegs gab es auch Markenkonflikte im Zuge der deutsch-deutschen Teilung, wie etwa die Nachfolgeunternehmen der Carl-Zeiss-Stiftung oder EDEN-Reformwarenprodukte und deren Vertrieb nach 1945 zeigen.[6]

Im internationalen, vor allem im englischsprachigen Raum, ist die Lage ein wenig besser,[7] während das Thema in der deutschen Unternehmens- und Wirtschaftsgeschichtsschreibung weiterhin ein Desiderat ist. Am Beispiel von adidas konnte jüngst gezeigt werden, dass im Zuge der Ausweitung der Konsumgesellschaft und des Anwachsens des internationalen Wettbewerbs auf dem Sportschuhmarkt seit den 60er Jahren zunehmend auch Plagiatoren auftraten, die den Hersteller aus Herzogenaurach zu entsprechenden Reaktionen zwangen. Bemerkenswert ist dabei, dass bereits 1967 ein Sportschuhkatalog aus der Volksrepublik China auftauchte, der unautorisiert Fußballschuhe mit drei Streifen bewarb.[8] Die Anfälligkeit für Markenrechtskonflikte stieg für deutsche Unternehmen mit dem Erfolg ihrer Produkte auf dem deutschen bzw. auf internationalen Märkten. Das zeigt auch das Beispiel Birkenstock, dessen Produkte weltweit zunehmend plagiiert werden, vor allem seit der Jahrtausendwende. Allerdings warnte die Unternehmensleitung den Fachhandel bereits in den 60er Jahren in der Zeitschrift «Birkenstock-Post» vor «fragwürdigen Nachahmungen». Dabei ging es zu dieser Zeit noch in erster Linie um nationale Konkurrenten, die Birkenstock in Form von billigen Holzsandalen das Leben schwer machten, «indem sie die fertigen Ergebnisse aus anderer Leute Arbeit und Kosten übernehmen und kopieren.»[9] Sehr ausführlich hat sich jüngst Paul Erker in seiner Geschichte der Mast Jägermeister SE aus unternehmenshistorischer Perspektive mit dem Thema Markenschutz beschäftigt, wobei er die Auseinandersetzungen von Jägermeister mit der wachsenden Zahl von Kräuterlikör- und Magenbitter-Produzenten seit Beginn der 60er Jahre schildert.[10] Während also die historische Auseinandersetzung mit Markenrechtskonflikten recht überschaubar ist, widmen sich umgekehrt wirtschaftswissenschaftliche Darstellungen nur am Rande und in Form einleitender Bemerkungen mit historischen Fragen der Marken- und Produktpiraterie,[11] ohne dabei tiefgründige Erklärungen zur Entwicklung, zur Rolle und Bedeutung von Akteuren und strukturellen Zusammenhängen sowie institutionellen Rahmenbedingungen über einen längeren Zeitverlauf geben zu können.

Das Forschungsbild in der Rechtsgeschichte gestaltet sich ähnlich. Markenrechtskonflikte einschließlich verwandter Schutzregime wie die des Wettbewerbsrechts sind – abgesehen von der gängigen Handbuchliteratur zum geltenden Markenschutz – nur vereinzelt Gegenstand rechtshistorischer Studien gewesen. Im Vordergrund standen vor allem die Anfänge des modernen Markenschutzes seit dem 19. Jahrhundert, die sich aber weitgehend auf eine Dogmen- und Gesetzgebungsgeschichte beschränkt hat.[12] In diesem Fahrwasser hat Andreas Sattler nun auch für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Arbeit vorgelegt, die unter Berücksichtigung der gerichtlichen Quellen von einer «Emanzipation» und «Expansion» des Markenrechts spricht, die mit dem Markengesetz von 1995 zu einem gewissen Abschluss gelangt seien.[13] Während mit der «Emanzipation» vor allem die Aufnahme und Überführung wettbewerbsrechtlicher Schutzkategorien in das System des subjektiven Markenschutzes angesprochen werden, beschreibt die Forschung mit der «Expansion» eine damit einhergehende Stärkung der Rechtsinhaber gegenüber den übrigen Marktteilnehmern. Letzteres ist nicht auf den Markenschutz beschränkt, sondern wurde inzwischen auch in anderen gewerblichen Schutzrechten (property rights) sowohl räumlich als auch auch inhaltlich nachgewiesen.[14] Als ursächlich für diesen Befund wird in der Rechtsgeschichte in der Regel eine wachsende Europäisierung bzw. Liberalisierung seit den 90er Jahren ausgemacht. Die unternehmerischen Strategien im Umgang mit Warenzeichen sowie die Anpassungsprozesse gegenüber einem Wandel der rechtlichen Rahmenbedingungen werden dazu weitgehend ausgeblendet. Was bislang für die Rechtsgeschichte fehlt, sind demnach Arbeiten, die sich systematisch oder exemplarisch anhand einzelner Unternehmen mit Markenpiraterie – also Nachahmungsfällen in einem untechnischen Sinne und ihrer Durchsetzung – aus einer historiographischen Perspektive auseinandersetzen, und insbesondere auch die informellen, außergerichtlichen Mechanismen der Konfliktregulierung in den Blick nehmen.

Diese Lücke(n) möchten wir mit unserem Beitrag ein wenig verkleinern, wobei wir, dem Untersuchungsgegenstand angemessen, unternehmens- und rechtshistorische Aspekte miteinander verbinden. Dabei knüpfen wir an die fundierten Erkenntnisse von Erkers Darstellungen zum Jägermeister-Markenschutz an. Während Erker sich vor allem Fragen der Markenpolitik und des Markenschutzes bei Jägermeister widmet, geht es uns im Rahmen dieses Schwerpunktheftes darum, die unternehmensinternen Konfliktlösungsmechanismen zu analysieren und auf dieser Basis Konfliktmuster, eine Konflikttypologie bzw. eine Konfliktkultur für das Fallbeispiel Jägermeister herauszuarbeiten, auf deren Grundlage dann möglicherweise weitere, auch vergleichende Untersuchungen zu generalisierungsfähigen Aussagen über unternehmerisches Konfliktverhalten und -strategien führen können. Im Vordergrund soll dabei eine qualitative Analyse von Konflikten zwischen Jägermeister und Underberg stehen, um der Frage nach den internen Konfliktstrategien nachzugehen, die bislang – auch in der Studie von Erker – nur am Rande thematisiert werden. Wir gehen dabei von einem mehrstufigen Konfliktmodell aus, von unterschiedlichen Eskalationsstufen, die von der Markt- und Konkurrentenbeobachtung über informelle Kommunikation bis hin zu gerichtlichen Auseinandersetzungen reichen. Der Untersuchungszeitraum konzentriert sich dabei auf die 60er/70er Jahre, die den Übergang zur Massenkonsumgesellschaft der Bundesrepublik markieren und in dem, das zeigen auch die Beispiele adidas und Birkenstock, für westdeutsche Unternehmen das Problem der Markenrechtskonflikte eine neue Dimension erreicht. Der Zeitraum steht für eine frühe Phase entsprechender Konfliktfälle, in der es vor allem um produkt- oder bildmarkenähnliche Nachahmungen und billigere Nachahmungsprodukte geht, während in den 80er Jahren zunehmend identische Nachahmungen auf den Markt kamen, die von Seiten der Verbraucher kaum von den Originalen unterschieden werden konnten.[15] Weitere zehn Jahre später, in den 90er Jahren, erreichten die Markenrechtskonflikte im Zuge der Globalisierung – vor allem auch in quantitativer Hinsicht – eine weitere Dimension.

Die von uns in den Blick genommenen 60er und 70er Jahre stehen daher auch für den Übergang von stärker national geprägten Märkten zu internationalen Märkten im Konsumgüterbereich, wofür auch die Gründung der EWG eine Rolle spielte. Jägermeister sah sich in diesem Zeitraum u. a. mit nationalen Konkurrenten wie Underberg sowie mit deren Tochterfirmen aus dem EWG-Ausland konfrontiert. Wir fragen danach, wie und auf welchen Wegen bzw. auf welcher Informationsbasis Markenrechtsprobleme von Jägermeister in diesem Zeitraum identifiziert und verarbeitet wurden. Wie reagierte das Unternehmen auf diese Herausforderungen? Welche Mittel wurden eingesetzt, welche Schritte eingeleitet, um die Konflikte zu lösen? Welche Rolle spielte Kommunikation in diesem Zusammenhang? Welche Rolle spielten rechtliche Fragen und juristische Auseinandersetzungen? Schließlich ist zu bedenken, dass Konflikte und Konfliktlösungen erhebliche Kosten für die Unternehmen verursachten, die analog der Neuen Institutionenökonomik als eine Form von Transaktionskosten zu betrachten sind. Uns geht es darum, einzelne Entwicklungsschritte einer Markenschutzstrategie vom Auftreten des Problems bis zur Problemlösung anhand des Fallbeispiels Jägermeister vs. Underberg zu analysieren und dabei eine Art Systematik oder Typologie bzw. ein Konfliktmuster herauszuarbeiten, das für eine Problemlösungskultur bei Jägermeister steht. Die Untersuchungstiefe bzw. -reichweite ist dabei auf die Perspektive und die Strategien von Jägermeister begrenzt. Hier möchten wir zeigen, dass anlassbezogen informelle und gerichtliche Lösungsstrategien eine Rolle spielten und gleichwohl in Zeiten permanenter Auseinandersetzungen die Suche nach einer «friedlichen Koexistenz» und sogar der Kooperation bei Jägermeister immer präsent war.

Unsere Quellenlage konzentriert sich auf das Archiv sowie das Markenschutzarchiv der Mast-Jägermeister SE in Wolfenbüttel. Generalisierungsfähige Aussagen zum Thema Markenrechtskonflikte, Produkt- und Markenpiraterie lassen sich unternehmensübergreifend allein auf dieser Basis nicht tätigen, doch könnte das Fallbeispiel Jägermeister zu weiteren, vergleichenden Forschungen auf diesem Gebiet anregen, die dann eine größere Aussagekraft und Verallgemeinerungsfähigkeit ermöglichen.

Konfliktstrategien: Jägermeister und Underberg im Dauerstreit

Konfliktanfänge, Sondierungen und informelle Lösungen

Mit der steigenden Zahl von Anbietern auf dem Spirituosenmarkt und dem wachsenden Wettbewerb auf nationaler und zunehmend auch auf internationaler Ebene gab es seit den 60er Jahren aus Sicht von Jägermeister ständig Anlässe, sich über unlauteren Wettbewerb, über die Nachahmung oder eine zu enge Anlehnung an die von Jägermeister benutzten Wort- und Bildmarken zu beschweren und diese als Angriffe gegen die eigene Marke zu werten. Eine besondere Rolle spielte in diesem Zusammenhang das Unternehmen Underberg, nicht zuletzt, weil die Konflikte mit diesem Unternehmen bis in die Gegenwart hinein anhalten und damit eine permanente Herausforderung für beide Unternehmen darstellen.

Jägermeister gehörte zu diesem Zeitpunkt zu den Marktführern im Bereich der Kräuterschnäpse und konnte seine Position auf dem Inlandsmarkt nicht zuletzt aufgrund steigender Investitionen auf dem Gebiet der Werbungs- und Vertriebskosten weiter ausbauen. Innovative Werbemethoden führten seit den 60er Jahren dazu, den Bekanntheitsgrad der Marke erheblich zu steigern, wodurch auch das Konfliktpotential stieg, da viele Anbieter mit ihren Werbemethoden versuchten, sich den Erfolg von «Jägermeister» zunutze zu machen. Die Konflikte betrafen u. a. Fragen der Wort- und Bildmarken, Wortkombinationen, Symbole, Farbgebungen etc.[16]

Der Beginn eines jeden Markenkonfliktes geht auf Informationen zurück, die die Markenschutzabteilung über die Wettbewerber einholte. Dabei handelte es sich bei Jägermeister um eine seit den 50er Jahren existierende Abteilung, die aus nicht mehr als drei Personen bestand, und die regelmäßig Informationen über die Wettbewerber im Markt einholten und dafür unterschiedliche Quellen nutzten. Primäre Bedeutung hatte zunächst das seit 1894 vom Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) herausgegebene «Warenzeichenblatt» (ab 1994 «Markenblatt»), mit dem Jägermeister neu angemeldete oder benutzte Warenzeichen im Spirituosenmarkt ermittelte. Zudem nutzte Jägermeister auch die Informationsdienste des «Nielsen Index». Das in den 30er Jahren in den USA gegründete und nach dem Zweiten Weltkrieg auch in der Bundesrepublik aktive Unternehmen A.C. Nielsen war eines der ersten Marktforschungsinstitute und lieferte über den «Nielsen Food and Drug Index» umfangreiches Datenmaterial aus dem Bereich des Einzel- und Lebensmittelhandels, etwa wenn es um bestimmte Umsätze in bestimmten Segmenten ging. Eine wichtige Rolle der Informationsbeschaffung spielten bei Jägermeister schließlich die eigenen Handelsvertreter im In- und Ausland, die professionelle Zuarbeit durch die Firma «Schutz-Marken-Dienst Archivgesellschaft» sowie der «Schutzverband der Spirituosen Industrie», der sich um die Regeleinhaltung seiner Verbandsmitglieder kümmerte. All dies zusammen genommen ermöglichte eine systematisch betriebene Marktbeobachtung, die für die Verteidigung der eigenen Markenfamilie von Jägermeister eine kaum zu unterschätzende Rolle spielte.

Auf der Basis der so erlangten Informationen begannen Konflikte beispielsweise mit dem Konkurrenten Underberg mit einem Hinweis auf einen Warenzeichenverstoß, den in zahlreichen Fällen Curt Mast[17] persönlich an Emil Underberg adressierte, verbunden mit der Bitte, die aus Sicht von Jägermeister zu Unrecht benutzte «Wortbildzeichenmeldung» zurückzuziehen, «damit ich in dieser Sache nicht weiter tätig zu werden brauche»,[18] was so viel hieß wie rechtliche Schritte einzuleiten. Lenkte die Gegenseite ein, so war die Angelegenheit erledigt, wenn nicht, eskalierte der Konflikt und Mast schaltete seine Rechtsanwälte ein. Wenn möglich, waren aber beide Seiten an einer Eskalationsvermeidung bzw. an einer «friedlichen Koexistenz» beider Unternehmen interessiert. «Deshalb sind wir auch der Ansicht», so die Jägermeister-Anwälte in einem anderen Fall, «daß es für unsere beiden Unternehmen nicht sinnvoll sein kann, in einen unmittelbaren Konkurrenzkampf einzutreten, nachdem viele Jahre ein friedliches Nebeneinander, ja zu Lebzeiten Ihres sehr verehrten Herrn Emil Underberg sogar eine freundschaftliche Kontakthaltung bestanden hat.»[19]

In vielen Fällen kamen – nicht nur mit Blick auf das Unternehmen Underberg – die Informationen über Produktfälschungen bzw. Nachahmungen aus den Reihen der Jägermeister-Handelsvertreter, die über den Kontakt mit Groß- und Einzelhändlern unmittelbar mit Nachahmungen oder Verstößen gegen die eigenen Markenrechte wie auch Vertriebsbedingungen konfrontiert waren. Die Handelsvertreter verfügten über eigens ausgegebene Meldebögen; ihre Auslagen etwa bei «Testkäufen» wurden zügig und unbürokratisch erstattet. Die Handelsvertreter meldeten in quasi detektivischer Kleinarbeit mögliche Grenzüberschreitungen der Konkurrenz. «Nur ich als Fremder», so ein Vertreter aus der Nähe von Heidelberg, «konnte an Ort und Stelle einen Testkauf durchführen! Ich besuchte daher am Mittwoch, d. 28. April gegen 11 Uhr obige Firma unter dem Vorwand eine Flasche Kirschwasser zu kaufen». Der Verkäufer «führte mich darauf hin in seine Brennerei, öffnete einen Schrank, wo ich mir eine 1/1 Flasche aussuchte, ganz beiläufig wünschte ich dann auch noch eine kleine Flasche Kräuterlikör, nicht zu süß (um mit dieser Bemerkung das Gespräch auf seinen Halb-Bitter zu lenken!). Dabei nahm er eine Flasche ‹Jägerfürst› und sagte wortwörtlich: ‹Das ist dasselbe wie Jägermeister, nur herzhafter!›». Das Schreiben endete mit dem Satz: «Sehr geehrter Herr Mast, wir wären Ihnen alle sehr dankbar, wenn es Ihnen auf dem Prozeßwege gelänge, diesem plumpen Nachahmer, um nicht zu sagen Betrüger das Handwerk zu legen und zeichne mit freundlichen Grüßen […]».[20]

Die permanente Markt- und Konkurrentenbeobachtung zeigt, dass Jägermeister sich offenbar in einem ständigen Konfliktmodus befand, der im Falle von Underberg wohl zu Gewöhnungseffekten führte. Die Betonung des Begriffs «friedliche Koexistenz» mit Blick auf das Unternehmen Underberg deutet darauf hin, dass sich beide Seiten – ähnlich wie die Lager im politischen Großkonflikt des Kalten Krieges – an einen Dauerkonflikt gewöhnt und sich damit eingerichtet hatten. Zu einer «Abrüstung» kam es allerdings ebenfalls nicht. Beide Unternehmen sorgten nicht dafür, dass die Markenkonflikte abnahmen, ganz im Gegenteil: Mit dem Wachstum der Unternehmen und der Eingliederung von Tochtergesellschaften auch im westeuropäischen Ausland gestaltete sich die Konkurrenz eher stärker und die Marktbeobachtung wurde schwieriger.

Hinweise und Informationen über Markenzeichenverletzungen kamen schließlich zudem über Händler aus dem Ausland, wie ein Beispiel aus den Niederlanden zeigt. Ein dortiger Weinhändler meldete Jägermeister eine Annonce aus der niederländischen Fachpresse, in der das Produkt «Jagdtraum» beworben wurde. Es stellte sich heraus, dass es sich bei dem Anbieter von «Jagdtraum» um eine niederländische Tochter von Underberg handelte, so dass Jägermeister in diesem Fall direkt über seine Anwälte intervenierte und rechtliche Schritte androhte. Die Auseinandersetzung Anfang der 70er Jahre endete zunächst erfolgreich für Jägermeister, so dass die Anwälte des Unternehmens sich in ihrem Vorgehen bestätigt sahen: «Es zeigt sich wieder einmal, wie richtig es ist, sofort ‹kräftig› vorzugehen.»[21] Damit war der Konflikt mit der niederländischen Underberg-Tochterfirma allerdings noch nicht beigelegt, denn zwei Jahre später wurde in den Niederlanden vom selben Hersteller ein Produkt namens «Jagersdroom» in das Benelux-Warenzeichenregister eingetragen, wobei es sich um eine Anlehnung an den zuvor genutzten deutschen Begriff «Jagdtraum» handelte. Durch erneute Androhung rechtlicher Schritte ließ sich die niederländische Underberg-Tochterfirma im Jahr 1975 dazu bewegen, das Warenzeichen «Jagersdroom» aus dem Warenzeichenregister löschen zu lassen.[22]

Der Dauerkonflikt mit Underberg sollte über die nächsten vier Jahrzehnte anhalten. Auf einer niederschwelligen Ebene bestand die Konfliktstrategie bei Jägermeister darin, auf der Basis von persönlicher Kommunikation, über Briefe und Telefongespräche, die Auseinandersetzungen möglichst außergerichtlich zu klären. Das bestätigt ein Schreiben aus dem Hause Jägermeister aus dem Jahr 2013, in dem es heißt: «Vor dem Hintergrund des traditionell guten Verhältnisses zum Hause Underberg haben wir das anliegende Schreiben nicht als förmliche Abmahnung formuliert. Gleichwohl wollen wir die andere Seite auffordern, die Benutzung der fraglichen Bilddarstellung umgehend einzustellen und uns dies auch schriftlich zu bestätigen.»[23] Dazu gehörte ebenfalls, dass Jägermeister selbst Informationen über Verletzungen der Underbergmarke an die Geschäftsleitung in Rheinberg weiterleitete, um das gegenseitige Verhältnis zu verbessern, vielleicht auch um aus einer Situation der Dankbarkeit heraus eigene Ziele besser durchsetzen zu können.[24]

Markenkonflikte, so zeigt das Beispiel Jägermeister/Underberg bis hierher, basierten auf der permanenten gegenseitigen Beobachtung der Marktteilnehmer bzw. Konkurrenten, die über umfangeiche Netzwerke der Informationsversorgung verfügten. Formale Gerichtsverfahren spielten nur ab einer bestimmten Eskalationsstufe eine Rolle. Vielmehr wurde bei Jägermeister versucht, sich abzeichnende Konflikte zunächst auf einer persönlichen, individuellen Ebene zu lösen, bevor es in einem weiteren Schritt zur Einschaltung von Rechtsanwälten kam, die dann auf einer formalen Ebene weitere Schritte einleiteten; die informelle Ebene der niederschwelligen Konfliktbeilegung wurde dann überschritten. Die nächste Eskalationsstufe sah die Ergreifung juristischer Schritte vor. Sie reichten von der Aushandlung konkreter Vergleichs- bzw. Abgrenzungsvereinbarungen bis zur klageweisen Durchsetzung von Ansprüchen vor Gericht.

Die Abgrenzung von Interessenssphären zur Konfliktprävention

Angesichts der erheblichen Marktanteile, die Jägermeister und Underberg in den 60er Jahren erworben hatten, waren beide mit inzwischen «berühmten» Kernmarken präsent. Mitte der 70er Jahre gingen Jägermeister und Underberg dazu über, die gegenseitigen Markenformen quasi als Status quo festzuschreiben und vertraglich voneinander abzugrenzen. Das Interessenabgrenzungsabkommen von 1974 regelte die gegenseitigen Markensphären und sicherte in Bezug auf die jeweiligen Warenzeichen das erlangte Kräftegleichgewicht. Danach wurde auf der Seite von Jägermeister zunächst festgestellt, dass es sich bei der üblichen Aufmachung des Produkts, d. h. die Flasche mit dem Etikett, der Wortmarke «Jägermeister» und dem «Hubertushirschkopf im Medaillon (mit oder ohne Kreuz)» um Markenrechte handele. Entsprechend komme bei «Underberg» der typischen Verpackung der Kleinstflasche in hellbraunem Papier und der grünen Farbe Markencharakter zu.

Der entscheidende Teil des Abkommens bestand aber darin, dass sich die beiden Konkurrenzunternehmen auf bestimmte Verhaltensweisen ihres jeweiligen Marketings einigten, um kommende Konflikte im Vorfeld auszuschließen. Darin wurde Grün als beherrschende Werbefarbe für Underberg, Orange dagegen für Jägermeister festgelegt und Ausnahmen waren nur wie beim Jägermeister-Etikett in ausgewogenen Mehrfarbenkombinationen zulässig.[25] Die Vertragschließenden verpflichteten sich, die definierten Interessenssphären zu wahren und ihre Werbe- und Vertriebsstrategien entsprechend anzupassen. Derartige Vereinbarungen hatten auf den objektiven Bestand der jeweiligen Warenzeichen und Ausstattungen zunächst keinen Einfluss; wie bei jedem Vertrag band er zunächst nur die Vertragschließenden. Ein Verstoß gegen derartige Abkommen konnte aber nicht nur warenzeichenrechtliche, sondern auch vertragliche Ansprüche nach sich ziehen, erweiterte also das potentielle Klagerecht im Verletzungsfall. Die Vertragspartner wollten diesen Fall nicht riskieren, so dass diesen Abgrenzungsvereinbarungen in der Regel eine konfliktvermeidende bzw. -präventive Funktion zukam.

Marken- oder Interessenabgrenzungsabkommen waren für Mast-Jägermeister ein häufig genutztes Instrument nicht nur der Konfliktprävention, sondern auch der Konfliktregulierung. Sichtbar wurde das beim Ausbau des «Jäger»-Komplexes, der Anfang der 70er Jahre einen «Globalvergleich» nach sich zog, indem insgesamt 23 Konkurrenzfirmen auf die Verwendung des Jägerzeichens zugunsten des Wortbestandteils «Jagd» verzichten sollten. Erker hat diesen Prozess ausführlich nachgezeichnet.[26] An diesem Beispiel wird eine weitere strategische Funktion derartiger Abkommen deutlich: Zwar ging es auf der einen Seite um Konfliktregulierung, d. h. Streitigkeiten um den Wortbestandteil «Jäger» sollten nicht nur beigelegt, sondern auch für die Zukunft ausgeschlossen werden. Auf der anderen Seite dienten diese Abkommen zugleich der Monopolisierung der eigenen Kernmarke «Jägermeister». Genau hier liegt der Grund, warum Mast für die Aushandlung des Globalvergleichs erhebliche Kosten in Kauf nahm: Der Streitwert wurde allein für die 17 Spirituosenhersteller, die den Globalvergleich ursprünglich unterzeichneten, auf insgesamt 3,4 Mio. DM beziffert, zuzüglich der Anwaltshonorare von über 100 000 D-Mark.[27] Ähnliche strategische Überlegungen liegen auch den Konflikten um das Bildsymbol des «Hubertushirschkopfes» zugrunde, das durch unterschiedliche Aushandlungsprozesse mit diversen Konkurrenzunternehmen zugunsten von Jägermeister als Bildmarke ausgebaut werden konnte.

Letzter Ausweg? Konflikte vor Gericht

Konflikte wurden vor allem dann vor Gericht ausgetragen, wenn die informellen, außergerichtlichen Konfliktlösungsmechanismen keinen Erfolg versprachen oder scheiterten, und dadurch eine ernste Gefahr für das aufgebaute Marken- oder Produktimage drohte. Das betrifft etwa die Fälle, in denen es nicht nur um Warenzeichenverletzungen im engeren Sinne, sondern auch um Fragen des lauteren Wettbewerbs ging. Kam es in der Werbung zu Assoziationen mit dem Konkurrenzprodukt oder ließ sich daraus eine «herabsetzende» Botschaft bzw. ein «Alleinstellungsmerkmal» ableiten, dann schreckten auch die Kontrahenten Underberg und Jägermeister nicht vor einer direkten Einschaltung der Gerichte zurück. Das zeigte sich bei Jägermeister bereits bei seinem Vorgehen gegen die Marke «Leibwächter», die explizit mit gesundheitsfördernden Wirkungen beworben wurde. Obgleich zwischen Mast und H. C. König bereits seit Oktober 1963 ein Interessenschutzabkommen bestand, ging Günter Mast umgehend, d. h. ohne informelle Vorgespräche gegen die Kampagne vor.[28]

Auch Underberg zog unverzüglich gegen Jägermeister vor Gericht, als man sich als Hersteller von Magenbitter verunglimpft sah. Jägermeister bewarb seinen Kräuterlikör u. a. mit dem Begleittext: «Die vielen Kräuter sorgen dafür, daß Jägermeister gut für den Magen ist. Aber wenn das alles wäre, könnten Sie Ihre Parties auch mit Magenbitter feiern.» Underberg als meistgekaufter «Magenbitter» fühlte sich durch diese Werbung direkt angegriffen und versuchte in einem Eilverfahren vor dem Landgericht Düsseldorf die Anzeige zu stoppen. Das deutsche Wettbewerbsrecht lieferte dazu über § 1 UWG eine zwar passende, aber zugleich unbestimmte und generalklauselartige Rechtsgrundlage, nach der vor Gericht gegen eine als «sittenwidrig» empfundene Wettbewerbshandlung geklagt werden konnte. Die Rechtsprechung hat aus diesem unbestimmten Tatbestand eine ganze Reihe von Fallgruppen erarbeitet, die in den 60er und 70er Jahren u. a. noch das Verbot der «herabsetzenden» bzw. «verunglimpfenden» Werbung kannten, auf die sich Underberg nun berief. Das Gericht gab Underberg teilweise Recht und untersagte die bereits eingeleitete Werbekampagne.

Die direkte gerichtliche Auseinandersetzung führte aber für die Unternehmen nicht zu einer Eintrübung des beschriebenen Verhältnisses, was auch mit dem geschickten Einlenken auf der Seite von Jägermeister zu tun hatte. In Wolfenbüttel war man sich offenbar über die Brisanz des Verfahrens bewusst, das den persönlichen Draht zwischen den Unternehmen nachhaltig belasten konnte. Als sich im Laufe des Verfahrens vor dem LG Düsseldorf herausstellte, dass Jägermeister inzwischen tatsächlich der «meistgetrunkene Kräuterlikör» war, was das Gericht im Beschluss explizit feststellte, ergriff Jägermeister aus einer Position der Stärke die Initiative und verfasste am 20. Februar 1967 noch im laufenden Verfahren einen ausführlichen Brief an die Geschäftsleitung von Underberg. Mast bemühte sich darin um Schadensbegrenzung: Es sei nie die Absicht gewesen, durch die Werbung in eine Konkurrenz zu Underberg einzutreten, da man der festen Überzeugung sei, dass die Produkte geschmacklich und auch bezüglich der Zielgruppe «weit auseinanderliegen». Ein «unmittelbarer Konkurrenzkampf» sei daher «nicht sinnvoll», nachdem zwischen beiden Unternehmen «viele Jahre ein friedliches Nebeneinander, ja zu Lebzeiten Ihres sehr verehrten Herrn Emil Underberg sogar eine freundschaftliche Kontakthaltung bestanden hat.»[29] Daher werde Jägermeister «selbstverständlich bei der Ausarbeitung künftiger werblicher Äußerungen» die Haltung von Underberg berücksichtigen, da «eine friedliche Koexistenz möglich und wünschenswert ist.»[30]

Markenstrategie und institutioneller Rechtsrahmen

Markenrechtskonflikte können, das machen die Beispiele deutlich, ganz unterschiedliche Rechtsregime adressieren. Es geht nicht nur um die Verletzung von Warenzeichen als subjektive Privatrechte (property rights), sondern auch um das damit symbolisierte Produktimage. Letzteres hängt stark von der Markenstrategie des jeweiligen Unternehmens ab: Hersteller von Markenprodukten zielen in der Regel auf den Aufbau und die Etablierung eines konkreten Produkt- bzw. Markenimages, indem sie auf den Wiedererkennungswert bestimmter Symbole setzen. Bei Jägermeister wurde die Monomarkenstrategie im Laufe der 60er Jahre von Mast erkannt und zielstrebig durch den Aufbau des sogenannten Jäger-Komplexes einschließlich des Bildsymbols «Hubertushirschkopf» umgesetzt. Beide Marken waren in den 60er Jahren eingebettet in eine umfassende Werbe- bzw. Marketingstrategie, die die damit transportierten Produktimages kennzeichneten und festigten.

Markenpiraterie ist daher in einem weiteren Sinne als Angriff auf das Markenimage zu verstehen, die damit nicht nur Verletzungen der konkreten Wort- oder Bildmarke erfasste, sondern jede Form der Beeinträchtigung oder Ausnutzung des Markenimages, der Wertschätzung des Produkts oder seiner zentralen Eigenschaften zugunsten eines Mitbewerbers einschließen konnte. Neben die Mobilisierung des Warenzeichengesetzes traten zwischen Jägermeister und Underberg daher häufig das Wettbewerbsrecht in Form des UWG oder auch rufschützende Abwehrrechte im BGB (insb. § 826), die beide als strategische Rechtsbehelfe zur Verteidigung des Markenimages beschrieben werden können.

Die eingeschlagene Markenstrategie von Jägermeister, sich nämlich als Monomarkenunternehmen für den Wortbestandteil «Jäger»- und den «Hubertushirschkopf» als Bildsymbol zu etablieren, war aus juristischer Perspektive keineswegs trivial. Hier ergaben sich durchaus Hürden, da die Wolfenbütteler zwar «Jägermeister» als Wortmarke für sich beanspruchen konnten, aber eben nicht den Wortbestandteil «Jäger»- in jeder denkbaren Form für sich schützen lassen konnten, der als Begriff der Sprache bzw. beschreibende Kennzeichnung prinzipiell freihaltebedürftig war. Die Konkurrenz hatte sich darauf mit Nachdruck berufen.[31] In den 50er Jahren hatten die Wolfenbütteler daher durchaus Schwierigkeiten, mit den entsprechenden Symbolen Neuanmeldungen beim Patentamt durchbringen zu können.[32] Wollte man mit «Jägermeister» andere «Jäger»-Wortkombinationen juristisch angreifen, war das nach dem bundesdeutschen Warenzeichen- und Wettbewerbsrecht von weiteren Umständen abhängig. Mast setzte dazu auf eine Steigerung der Bekanntheit durch Werbung, was seit den 50er Jahren dazu führte, dass sogar ganze Werbeslogans als Warenzeichen geschützt wurden.[33] Als die Marke im Laufe der 60er Jahre an Bekanntheit zulegte, auch deutliche Umsatzzuwächse für sich verbuchen konnte, ließ sich das juristisch nutzbar machen. Der BGH wies 1968 den Einwand der Freihaltebedürftigkeit sogar für das Zeichen «Jäger» vor dem Hintergrund der Bekanntheit des Zeichens und seiner konsequenten Nutzung mit der Begründung zurück, dass die «Entwicklung der Verkehrsauffassung» dazu geführt habe, «daß der Bestandteil ‹Jäger› in einer anderen Wortverbindung kein Freizeichen ist».[34] Hilfreich für die Geschäftsleitung in Wolfenbüttel war in diesem Zusammenhang die juristische Konstruktion des «berühmten» oder «bekannten» Zeichens, die einen erweiternden Schutz beanspruchen konnte.[35] Auch der führende Praktikerkommentar bestätigte eindrücklich zugunsten von Jägermeister: «Ist eine neue Wortkombination durch intensive Benutzung bekanntgeworden, so können schutzunfähige Bestandteile an der Kennzeichnungskraft des Gesamtzeichens teilnehmen und beim Gesamtvergleich die von einer Ähnlichkeit in den übrigen Bestandteilen ausgehende Verwechslungsgefahr verstärken. Verwechslungsfähig daher Jägermeister/Jägerfürst».[36]

Zwar kamen Jägermeister die schmeichelhaften Umsatzberichte und Marktforschungsergebnisse zugute, doch daraus ergab sich für Jägermeister noch kein «Markenmonopol». Da es sich beim Schutz «berühmter» Warenzeichen in den 60er und 70er Jahren lediglich um eine anerkannte Gerichtspraxis handelte, musste z. B. die Nutzung des Wortbestandteils «Jäger»- stets aufwendig vor Gericht durchgesetzt werden. Der Ausgang des Verfahrens hing aber von den «Gesamtumständen» des Falls ab, nämlich wie nah sich die Beklagte tatsächlich an das Image von Jägermeister «angelehnt» hatte, unter anderem in der grafischen Gestaltung, den verwendeten Bildsymbolen oder auch den Werbetexten. Und hier entschieden die Gerichte von Fall zu Fall durchaus unterschiedlich. Eine kalkulierbare Monomarkenstrategie, wie sie Mast anstrebte, ließ sich damit nur sehr aufwendig und mit durchaus ungewissem Ausgang erreichen. Vor diesem juristischen Hintergrund wird der Weg über gezielte Abkommen verständlich, die sich Jägermeister zwar teuer erkaufen musste, die das Unternehmen aber einer Monopolisierung des Jägerzeichens – ähnlich wie bei der Bildmarke «Hubertushirschkopf» – schlagartig ein ganzes Stück näher brachte, und obendrein Konflikte mit den Konkurrenten reduzierten. Diese Markenstrategie, in der zugleich eine Konfliktstrategie gesehen werden kann, erwies sich im Rückblick als durchaus erfolgreich.

Fazit

Markenpiraterie und Markenrechtskonflikte sind ständige Begleiter der sich nach dem Zweiten Weltkrieg durchsetzenden Massenkonsumgesellschaft in der Bundesrepublik. Am Beispiel des Konflikts zwischen Jägermeister und Underberg haben wir aus der Perspektive von Jägermeister dessen unternehmensinterne Konfliktlösungsstrategie in den Blick genommen mit dem Ziel, ein spezifisches Konfliktlösungsmuster, eine Konfliktlösungstypologie herauszuarbeiten. Dabei lassen sich mehrere Eskalationsstufen erkennen, wobei der Ausgangspunkt bzw. der Beginn des Markenkonfliktes in einer permanenten Marktbeobachtung besteht, die sich im Verdachtsfall gezielt auf einen der Marktwettbewerber, in diesem Fall die Firma Underberg, richtete. Die erste Eskalationsstufe bestand in dem Versuch, das Problem auf informeller Ebene, etwa durch persönliche Brief- und Telefonkontakte auf höchster Ebene durch Curt Mast selbst zu lösen. Begleitet wurde dies durch eine intensivierte und gezielte Beobachtung des Marktverhaltens von Underberg, etwa in Form von Testkäufen als Beleg für «unlauteren Wettbewerb». Eine zweite Eskalationsstufe bzw. ein damit verbundener Konfliktlösungsversuch bestand dann in einer institutionellen Vereinbarung beider Unternehmen in Form eines «Interessenabgrenzungsabkommens» zur Absicherung von Interessensphären und zur Regelung von Marketingstrategien. Erst auf der dritten Eskalationsstufe wurde dann eine gerichtliche Auseinandersetzung eingeleitet, wobei diese aus Sicht von Jägermeister quasi als «ultima ratio» betrachtet wurde, da das Ziel des Unternehmens grundsätzlich in einer Vermeidung von Konflikteskalationen bestand und vielmehr, insbesondere mit Blick auf Underberg, eine «friedliche Koexistenz» zu den Wettbewerbern angestrebt wurde.

Informelle Aushandlungsprozesse, die auch in besonderen Abkommen zwischen den Konkurrenten ihren Niederschlag finden konnten, waren also für Markenunternehmen wie Jägermeister ein wichtiges Instrument der Konfliktregulierung. Gerichtliche Auseinandersetzungen spielten bei Warenzeichenverletzungen zwischen den beiden Konkurrenten in den 60er und 70er Jahren eine eher zweitrangige Rolle. Kam es zu gerichtsförmigen Auseinandersetzungen, dann kam es nicht zu einem nachhaltigen Bruch, gar einer «Feindschaft» der Konkurrenten Underberg und Jägermeister, sondern die Kontrahenten gingen sogar während eines laufenden Prozesses wieder aufeinander zu. Die «friedliche», vor allem informelle Koexistenz, mitunter Kooperationsbereitschaft war ein zu wichtiges Pfund, um auf dem umtriebigen Markt der Spirituosenhersteller leichtfertig verspielt zu werden. Die strategische Nutzung von Netzwerken zu anderen Familienunternehmen innerhalb der jeweiligen Märkte spielten hier eine deutlich stärkere Rolle als etwa bei Großunternehmen.[37] Dem stehen die gerichtsförmigen Auseinandersetzungen im Bereich der unlauteren Werbung nur eingeschränkt entgegen. Denn anders als bei den eigenen Marken blieben Umfang und Grenzen des lauterkeitsrechtlichen Schutzes juristisch wenig bestimmt und ließen sich häufig nur durch eine gerichtliche Klärung für beide Seiten verbindlich lösen.

Mit dem hier vorgestellten Fallbeispiel zu Jägermeister können keine generalisierungsfähigen Aussagen zu unternehmensinternen Konfliktlösungsmustern oder gar zu Konfliktkulturen gemacht werden. Insofern wären weitere Fallbeispiele wünschenswert, auf deren Basis dann gesichertere Aussagen zu einem zentralen, bislang jedoch vernachlässigten Feld der Unternehmensgeschichte getroffen werden können.

Online erschienen: 2025-03-12
Erschienen im Druck: 2025-03-10

© 2025 bei den Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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Artikel in diesem Heft

  1. Titelseiten
  2. Aufsätze (Articles)
  3. Konfliktstrategien.
  4. Rechtsbeugung durch Rechtsprechung?
  5. Designpiraterie, Geschmacksmusterschutz und Konfliktstrategien in der Industrie der Barmer Artikel (20er bis 60er Jahre)
  6. Markenunternehmen und Markenrechtskonflikte.
  7. Patentkonflikte in der deutschen metallurgischen Industrie in der Zwischenkriegszeit am Beispiel der Isabellenhütte Heusler GmbH
  8. Rezensionen (Reviews)
  9. Hartmut Berghoff/Manfred Grieger, Die Geschichte des Hauses Bahlsen: Keks – Krieg – Konsum, 1911–1974, Wallstein Verlag, Göttingen 2024, 602 S., € 29,00.
  10. Stephanie Tilly, Delius. Seit 1722, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2022, 280 S., € 40,00.
  11. Andrea H. Schneider-Braunberger, Miele im Nationalsozialismus: Ein Familienunternehmen in der Rüstungs- und Kriegswirtschaft, Siedler Verlag, München 2023, 352 S., € 38,00.
  12. Johanna Steinfeld, Unternehmen ohne Eigentümer. Unternehmerische Entscheidungen der Optischen Werkstätte Carl Zeiss von 1889 bis 1933, De Gruyter Oldenbourg, Berlin/Boston 2023, 399 S., € 89,95.
  13. Friederike Sattler/Reinhard H. Schmidt/Harald Wixforth/Dieter Ziegler, 200 Jahre Frankfurter Sparkasse, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2023, 374 S., € 49,00.
  14. Michael Wetzel, Graf Detlev von Einsiedel (1773–1861). Sächsischer Staatsmann, Unternehmer und Exponent der Erweckungsbewegung zwischen Alter Welt und bürgerlicher Moderne, Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2023, 392 S., € 62,00.
  15. Richard N. Langlois, The corporation and the twentieth century. The history of American business enterprise, Princeton University Press, Princton/Oxford 2023, 816 S., $ 50,00/£ 42,00.
  16. Mareike Witkowski, Arbeitsplatz Haushalt. Städtische Hausgehilfinnen im 20. Jahrhundert, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2023, 373 S., € 65,00.
  17. Franz Hederer, Politik der Ökonomie. Der Reichswirtschaftsrat in der Weimarer Republik, Campus Verlag, Frankfurt a.M. 2024, 415 S., € 54,00.
  18. Mitteilung (information)
  19. Preis für Unternehmensgeschichte Ausschreibung 2025
  20. Reisestipendien Ausschreibung 2025
  21. Zur Rezension in der Geschäftsstelle eingegangene Bücher
Heruntergeladen am 14.10.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/zug-2024-0025/html?lang=de
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