Rezensierte Publikation:
Theresa Schweden. 2023. Personenreferenz im Dialekt. Grammatik und Pragmatik inoffizieller Personennamen in Dialekten des Deutschen (Empirische Linguistik 18). Berlin, Boston: De Gruyter. 288 S.
Müllers Peter, Peter Müller oder der Müller Peter? Theresa Schweden widmet sich in ihrer Untersuchung, die auf ihrer Dissertation an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz aufbaut, solchen onymischen Personenreferenzen in deutschsprachigen Regionalsprachen. Dabei interessieren sie vor allem diatopische und diachrone Variation sowie Grammatik und Pragmatik der untersuchten Referenzen. Schweden erweitert die bisherige Forschung zu dem Thema, bei der es sich hauptsächlich um „Tiefenbohrungen“ (S. 241) handelte, substanziell um eine theoretisch wie methodisch fundierte, umfassende Arbeit, die zudem die Forschungslücke eines regionalen Vergleichs schließt.
Nach einer konzisen Einführung in den Gegenstandsbereich, in der auch der Forschungsstand referiert wird, geht die Verfasserin in Kap. 3 ausführlich auf die Methoden ihrer Untersuchung ein. Sie nutzt einen Mixed-Methods-Ansatz zur Datenerhebung: Die indirekte Erhebung bezieht sich auf Daten eines Onlinefragebogens, die direkte Erhebung fand an zwölf Orten mit 90 Gewährspersonen statt, es wurden Übersetzungen durchgeführt sowie Fotogespräche – Freundesgespräche mit einem Foto als Impuls, um Referenzen zu evozieren – und Fokusgruppendiskussionen aufgenommen. Die Daten der direkten Erhebung wurden transkribiert, annotiert und anschließend u. a. mit einer Kombination aus qualitativer Inhaltsanalyse und Grounded Theory ausgewertet. Die Methoden werden transparent dargestellt und gut reflektiert.
Das darauffolgende Kapitel behandelt die Soziolinguistik der Gesamtnamen, indem Einflussfaktoren auf die Serialisierung (Rufname+Familienname vs. Familienname+Rufname) quantitativ (bspw. durch einen CHAID-Klassifikationsbaum) und qualitativ (bspw. Kategorisierung der Antworten zu Verwendungskontexten, die überzeugend an Gesprächsausschnitten exemplifiziert werden) untersucht werden. Schweden kann anhand der quantitativen Befunde der indirekten Erhebung zeigen, dass neben dem Dialektgebiet die Zahl der Einwohner:innen am Erhebungsort und das Geburtsjahr der Sprecher:innen die Serialisierung beeinflussen: Je größer der Ort und je jünger die Person, desto weniger wird die Abfolge Familienname+Rufname verwendet. Die qualitativen Analysen ergeben, dass die Abfolge soziopragmatisch gesteuert ist. Dabei spielen die Nutzung des Ortsdialekts, die Teilnahme am Ortsgeschehen und die Ortsgebundenheit eine Rolle. Die Abfolge Familienname+Rufname dient der Ingroup-Herstellung, die pragmatische Steuerung ist dabei aber regional unterschiedlich. Im westfälischen Untersuchungsort (Alstätte) ist die Verwendung dieser Abfolge stark pragmatisch gesteuert und auf mehrgenerationelle ortsansässige Familien und Hofnamen beschränkt, während im bayrischen Untersuchungsort (Fürstenzell) eine schwache pragmatische Steuerung vorliegt und die Verwendung der Abfolge auf den gesamten bairischen Sprachraum bezogen ist.
In Kap. 5 geht die Verfasserin auf die Diatopie der Abfolge Familienname+Rufname ein. Auf Grundlage der Auswertung der Onlinefragebogen kann sie vier morphosyntaktische Haupttypen mit klaren Verteilungsarealen identifizieren: (1) der Schmidt Peter (süddeutscher Typ), (2) Schmidt-s/Schmidt-en(s) Peter (norddeutscher Typ), (3) (d)(e)s Schmidt-s/Schmidt-en Peter (südwestdeutscher Typ) und (4) mit zwei Ausprägungen (a) der Schmidt-e Peter und (b) der Schmidt-s Peter (westmitteldeutscher Hybridtyp). Die Auswertung der direkten Erhebung zeigt Variation in der Frequenz der Verwendung und in der Modifikation des Familiennamens und des Artikels.
In Kap. 6 erfolgt eine diachrone Perspektivierung der onymischen Personenreferenzen, die sich auf eine Auswertung von 27 frühneuhochdeutschen Hexenverhörprotokollen bezieht. Die Verfasserin arbeitet heraus, dass die Abfolge Familienname+Rufname historisch eine geringe soziale Stellung markiert und dass es geschlechtsspezifische Unterschiede der Referenzen gibt: ‚Frauen‘ werden überwiegend mit dem Rufnamen genannt und über dritte Personen identifiziert. Außerdem zeichnet Schweden die Entstehung und Entwicklung der vier ermittelten Typen (s. o.) nach – so entwickelt sich bspw. Typ 1 vom artikellosen Gesamtnamen zu einem Gesamtnamen mit grammatikalisiertem onymischen Artikel (Schmidt Peter > der Schmidt Peter).
Das umfangreiche Kap. 7 behandelt die Grammatik von Familienname+Rufname. Zunächst unternimmt Schweden eine grammatische Klassifizierung der Abfolge und kann anhand festgelegter Kriterien (Formstabilität, globale Kongruenz nach Kopf- & Kompositumakzent) zeigen, dass es sich bei Typ 1 um Komposita handelt. Auch Typ 4a und 4b ordnet sie der Wortbildung zu, während sie – auf nachvollziehbare Weise – Typ 2 und 3 als Phrasen einstuft. Entsprechend wertet sie die modifizierenden Elemente bei Typ 4a und 4b als Fugenelemente. Daraufhin geht die Verfasserin in ausgewählten Beispielen auf verschiedene Stadien des Flexionsabbaus des Gesamtnamens in unterschiedlichen Dialekten ein. Dieser äußert sich im Abbau morphologischer Komplexität, in überstabiler Markierung, im Übergang syntaktischer Strukturen in die Wortbildung und in einem vollständigen Abbau. Des Weiteren kann für einzelne Dialekte eine pragmatische Funktionalisierung phrasischer und kompositionaler Typen (bspw. im rheinfränkischen Untersuchungsort) sowie morphosyntaktische Stabilität festgestellt werden (bspw. im bayrischen Untersuchungsort). Eine statistische Analyse zeigt, dass neben dem Untersuchungsort die Silbenanzahl und der Akzent den größten Einfluss auf die modifizierenden Elemente haben, was im Zusammenhang mit einer Präferenz für trochäische Strukturen zu sehen ist.
In Kap. 8 wird die Frage beantwortet, warum der pränominale Genitiv in onymischer Referenz konserviert wird, während er ansonsten in den Dialekten abgebaut wird oder bereits abgebaut wurde. Ausgehend von konkreten sprachlichen Beispielen und verschiedenen sprachtheoretischen Modellen argumentiert Schweden für ein Zusammenwirken verschiedener Prinzipien: „von Referenzoptimierung über die kulturanalytisch begründbare Etablierung eines sprachlichen Musters bis hin zu verschiedenen Prinzipien des Ikonismus“ (S. 216). Im Dorf als klar strukturiertem Sozialraum werden Typ 2 und Typ 3 zu besonders geeigneten Referenzformen, nämlich zu „minimal referring expressions und recognitionals“ (S. 216) – Referenzstrategien nach Sacks und Schegloff, die einerseits Referenzen mit einer einzigen Form und andererseits Referenzen mit eindeutiger Identifikation von Personen speziell für Rezipierende ermöglichen.
Im vorletzten Kapitel befasst sich Schweden mit Familienkollektiva, also Sammelbezeichnungen für alle oder einige Familienmitglieder wie bspw. (die/s) Müllers. Sie haben sich aus Gesamtnamen entwickelt, wobei bei Genitivphrasen des Typs 2 und 3 das singularische Kopfnomen Haus elidiert und die pluralische Bedeutung – als Reanalyse – auf das Attribut (Müllers) übertragen wird. Die diatopische Verteilung der Kollektiva ähnelt dabei sehr stark derjenigen der strukturell ähnlichen Gesamtnamentypen. In manchen dialektalen Systemen wird zudem zwischen Kollektiva (s Erhard-s) und Pluralia (alle Erhardt-e) unterschieden.
Kap. 10 schließt die Untersuchung mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse zu Verbreitung, Pragmatik, Diachronie, Kollektiva und Grammatik. Dabei ist dem Fazit, dass „[m]it der im Rahmen des Forschungsprojekts durchgeführten bundesweiten Studie [...] neue und tiefgreifende Einblicke in dörfliche Referenzsysteme erlangt werden“ konnten (S. 246), nichts hinzuzufügen.
Fazit
Mit der vorliegenden Arbeit legt Theresa Schweden eine umfangreiche Untersuchung onymischer Referenzen in den deutschsprachigen Regionalsprachen vor, die aufgrund der behandelten Themen insbesondere anschlussfähig für die Namenforschung, die Grammatikforschung, die Sprachwandelforschung sowie die Regionalsprachenforschung ist. Die Anlage der Arbeit ermöglicht es, je nach Interessensschwerpunkten einzelne Kapitel zu lesen, aber auch die Gesamtlektüre der Arbeit lohnt sich. Zwar ist die Dichte an Informationen recht hoch, doch die Struktur der Arbeit und der Schreibstil sowie zahlreiche Abbildungen, Tabellen und Beispiele erleichtern das Lesen und Verstehen der Untersuchung.
Neben den grundlegenden und anschlussfähigen Erkenntnissen der Arbeit ist auch das methodische Vorgehen positiv herauszustellen. Die Verfasserin kombiniert für die Datenerhebung und -auswertung qualitative mit quantitativen Verfahren, was als angemessen und sinnvoll zu bewerten ist. Außerdem reflektiert sie das methodische Vorgehen, was nicht in allen Arbeiten in diesem Forschungsfeld derart zu finden ist. Die Arbeit mit Gatekeeper:innen, die bei der Akquise von Gewährspersonen und ortsspezifischen Informationen behilflich waren, kann sicher für kommende Studien übernommen werden.
Zwei Aspekte der Arbeit möchte ich kurz – konstruktiv-kritisch – anreißen: (1) Auch wenn es sich bei Kapitel 7.1.4 lediglich um einen phonetischen Exkurs handelt, weist es – vor allem im messphonetischen Teil – einige Ungenauigkeiten auf. Beispielsweise wäre bei einer akustisch benannten Studie der Begriff der Grundfrequenz zu empfehlen. Gegebenenfalls hätte auf diesen Exkurs verzichtet werden können, zumal die Verfasserin selbst die ohrenphonetischen Auswertungen priorisiert. (2) In verschiedenen Kapiteln arbeitet die Verfasserin geschlechtsspezifische Unterschiede in der onymischen Referenz selbst und in den Verwendungen heraus. Im abschließenden Kapitel greift sie eine Intensivierung der Perspektive als Möglichkeit der Anschlussforschung auf, der ich nur beipflichten kann. Die Untersuchung erhebt nicht den Anspruch einer genderlinguistischen Arbeit und die herausgearbeiteten Ergebnisse sind an sich nicht zu kritisieren, doch erscheinen sie an manchen Stellen tendenziell eher essentialistisch. Wenn sie also aufgegriffen werden, hätte eine Fundierung mit (neueren) Ansätzen der Soziolinguistik und der Geschlechterforschung die Ergebnisse noch verbessert. Beide Aspekte schmälern aber in keiner Weise die grundlegende, sehr gute und empfehlenswerte Arbeit Schwedens und sind hier eher als Optimierungsvorschläge zu verstehen.
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