Zusammenfassung
Dieses Interview mit dem Theologen Jürgen Moltmann, das kurz vor seinem Tod geführt wurde, bietet tiefgreifende Einblicke in seine lebenslangen Reflexionen über Hoffnung, Theologie und die Verantwortung der Menschheit angesichts globaler Herausforderungen. Moltmann spricht über die Entwicklung seiner theologischen Perspektive und betont die dynamische Rolle der Hoffnung im Glauben angesichts persönlicher und gesellschaftlicher Krisen. Mit Blick auf zeitgenössische Themen wie die Klimakrise, Wahrheit in einer Post-Truth-Ära und die Rolle des Menschen in Gemeinschaft und Gesellschaft plädiert er für einen Wandel von Herrschaft hin zu verantwortungsbewusster Fürsorge. Seine Überlegungen enden mit der persönlichen Hoffnung auf Auferstehung und Erneuerung des Lebens.
Abstract
This interview with theologian Jürgen Moltmann, conducted shortly before his death, offers profound insights into his lifelong reflections on hope, theology, and humanity’s responsibilities amid global challenges. Moltmann discusses the evolution of his theological perspective, emphasizing hope’s dynamic role in faith, especially during times of personal and societal crisis. Addressing contemporary issues such as the climate crisis, truth in a post-truth era, and humanity’s role within the community of life, he advocates for a shift from dominance to stewardship. His reflections conclude with his personal hope for resurrection and the renewal of life.
Hinführung zum Interview
Als wir uns im Herbst 2023 als Herausgebende der „Zeitschrift für Pädagogik und Theologie“ Gedanken zu einem Themenheft „Hoffnung“ machten, kam der Gedanke auf, auch den Tübinger Theologen Jürgen Moltmann für die Mitwirkung zu gewinnen. Es erschien uns allerdings als eher unwahrscheinlich, dass er in seinem hohen Alter noch einen ausführlichen Beitrag für unsere Zeitschrift abfassen würde. Insofern entschieden wir uns bei unserer Anfrage an ihn für das Setting eines Interviews, in dem ihn die Zürcher Theologin Fabienne Greuter als Vertreterin der jüngeren Generation befragen sollte. Im Dezember 2023 erreichte mich in Schreibmaschinenschrift die Nachricht: „Lieber Herr Schlag, Ich bin nun 97 Jahre alt und mein Sprechen ist sehr behindert, sonst geht es mir gut. Ich könnte unter Umständen ein schriftliches Interview geben, wenn Sie mir den Januar 2024 Zeit lassen.“ Dies war der Beginn der Entstehung seines letzten Textes, über dessen einzelne Schritte Fabienne Greuter berichtet:
Kurz vor Weihnachten 2023 fragte mich Thomas Schlag, ob ich mir vorstellen könnte, ein Interview mit Jürgen Moltmann zum Thema Hoffnung zu führen. Voller Respekt aber ohne Zögern, sagte ich gleich zu. Wenige Tage später ließ Thomas Schlag mir einige Werke von Jürgen Moltmann zukommen, unter anderem auch sein letztes Buch „Weisheit in der Klimakrise“. Dieses Buch packte ich sogleich in meinen Koffer, denn nur wenige Tage später reiste ich mit Freund:innen nach Gambia in Westafrika. Es ist wohl nicht zu viel gesagt, dass sich dieses Buch ganz stark mit meiner Reise verbunden hat. Moltmanns Gedanken zur Klimakrise und zur Rolle der Weisheit in dieser haben mich gefesselt. Wenn ich durch die Natur Gambias fuhr und gleichzeitig Berge an Abfall sah, vermischten sich Moltmanns Gedanken mit meiner Wahrnehmung. Immer wieder las ich auch meinen Freund:innen Stücke aus dem Buch vor – alles keine Theolog:innen! – und die anregenden Gespräche daraus haben mir vor Augen geführt, wie anschlussfähig die Theologie und Denkweise von Jürgen Moltmann ist.
Aus diesen Gesprächen, Eindrücken und Gedanken sind zwölf Fragen entstanden, die wir Jürgen Moltmann dann im Januar 2024 per Post zukommen ließen. Wenig später erhielten wir von ihm per Post ein Dokument zurück, in welchem er alle Fragen ausführlich beantwortete. Dabei lagen zwei persönliche Schreiben, eines an Thomas Schlag und eines an mich. Darin dankte er mir für die Fragen, die seiner Meinung klug gestellt waren und ihn, so schreibt er, ins Schwitzen gebracht haben. Diese persönlichen und aufbauenden Worte berührten mich und liessen mich schmunzeln. Auch wenn das Interview per Brief geführt wurde, wurde der „Hoffnungstheologe“ in seinen Zeilen spür- und nahbar, noch viel mehr in seinen sehr persönlichen Antworten auf meine Fragen, die er alle mit Schreibmaschine beantwortet hat. Nicht wissend, dass es sein letzter Text sein würde, wurde mir bewusst, dass wir mit diesem Interview ein wunderbares Zeitzeugnis von Jürgen Moltmann geschenkt bekommen haben, in welchem er auch über sein eigenes Leben, den Tod und die Hoffnung auf die Auferstehung nachgedacht hat. In der letzten Antwort schreibt er: „Ich wundere mich jeden Morgen, daß ich noch da und gesund bin und gehe mit Lebensfreue ich den neuen Tag hinein. Die Auferweckung zum ewigen Leben ist meine Hoffnung am anfänglichen Leben und im Sterben. So ist der Tod wie der Geburtstag zum neuen Leben. Das gibt mir jeden Morgen eines neuen Tages frischen Lebensmut.“
Eine letzte Druckversion hat uns Jürgen Moltmann – dann schon 98-jährig – wenige Tage vor seinem Tod am 3. Juni 2024 nochmals handschriftlich korrigiert per Post zukommen lassen. Der Verwalter seines Nachlasses, Prof. Dr. Gerhard Marcel Martin, hat mir (T. S.) telefonisch mitgeteilt, dass diese Textarbeit als letzte auf Moltmanns Schreibtisch lag.
Interview
FG: Lieber Herr Moltmann, Sie haben sich während Ihres Leben und in Ihren Werken vertieft mit dem Thema Hoffnung auseinandergesetzt und immer wieder betont, wie wichtig die Bedeutung der Hoffnung im und für den christlichen Glauben ist. Wie würden Sie die zentrale Botschaft Ihrer Theologie der Hoffnung zusammenfassen?
JM: Im Ende der neue Anfang: So könnte man die zentrale Botschaft der Theologie der Hoffnung beschreiben.
Das Christentum ist ganz und gar nicht nur im Anhang Hoffnung, Aussicht und Ausrichtung nach vorne, darum auch Aufbruch in die Zukunft und Wandlung der Gegenwart. Die Hoffnung ist schlechterdings das Medium des Glaubens, der Ton, auf den alles gestimmt ist, die Farbe der Morgenröte des erwarteten neuen Tages, in die hier alles getaucht ist. Denn der christliche Glaube lebt von der Auferweckung des gekreuzigten Christus und streckt sich aus mit den Verheißungen der universalen Zukunft Christi; Hoffnung sind die Leidenschaft und die Leiden, die dem Messias entstehen.
„Es ist aber der Glaube, eine feste Zuversicht auf das, was man hofft.“ (Hebr 11, 1).
FG: Hat sich Ihre Auffassung von Hoffnung im Laufe Ihres Lebens verändert? Wenn ja, wie und weshalb?
JM: 1964 im Alter von 38 Jahren habe ich die „Theologie der Hoffnung“ veröffentlicht, 2018 habe ich mit 92 Jahren den Traktat „Über die Geduld“ herausgegeben. Das zeigt an, daß sich die Theologie der Hoffnung in meinem Leben verändert hat.
Ich wurde 1943 eingezogen und kam 1948 aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Während der 5 Jahre habe ich die Hoffnung auf Freiheit und Leben kennengelernt. Ich wollte leben und drängte auf Zeichen der Erfüllung meiner Hoffnung. Damals engagierte ich mich in der Ökumenischen Bewegung. Mir konnte das nicht schnell und nicht weit genug gehen. Die Hoffnung machte mich ungeduldig.
Während der langen Krankheit meiner Frau Elisabeth, sie starb 2016, habe ich den „Gott der Hoffnung“ als „Gott der Geduld“ kennengelernt (Röm 15, 13; 15, 5). Geduld ist der lange Atem einer großen Hoffnung. Es wird im Neuen Testament sogar „Hiobs Geduld“ mit Gott gerühmt (Jak 5, 11).
FG: Hoffnung ist ein hochgradig aktuelles Thema: Zehn Minuten Tagesschau zeigen bereits, wie prekär die Lage für viele Menschen auf dieser Welt ist. Wie kann es uns und vor allem uns als jüngerer Generation gelingen, die Hoffnung trotzdem nicht zu verlieren?
JM: Gott ist nicht nur unsere Hoffnung, wir sind auch Gottes Hoffnung für die Schöpfung. Wir sind Gottes Ebenbilder, Gottes Kinder. Und er erwartet Einiges von uns. Gott trägt uns und erträgt uns mit der Geduld der Hoffnung: „Der Gott der Geduld“. Diese Hoffnung Gottes kann uns niemand nehmen, auch wir selbst nicht.
Wir erneuern unsere Hoffnung auf Gott aus der Hoffnung Gottes.
Ich habe das Kriegsende mitgemacht: 1945 brach Deutschland zusammen und existierte nicht mehr. Die großen Städte waren zerstört, Flüchtlingsströme durchzogen Europa und „Auschwitz“ lastete auf unserem Gewissen und da habe ich den „Gott der Hoffnung“ gespürt: Im Ende – der neue Anfang!
Meine Sehnsucht und mein Gebet richteten sich auf Frieden in unseren Tagen. Ohne Frieden ist kein Leben möglich. Also setzen wir uns für den Frieden ein: „Gerechter Frieden“ ist das ökumenische Stichwort.
FG: In Ihrem Werk „Weisheit in der Klimakrise“ gehen Sie auf die ökologischen Herausforderungen unserer Zeit ein. Was können Weisheit und Hoffnung zum Umgang mit der Klimakrise beitragen?
JM: Wir müssen unser Verhältnis zur Natur neu ordnen. Darin sind sich alle Menschen einig, die die Klimakrise und -katastrophen ernst nehmen. Die moderne, westliche Welt hat den Herrschaftsauftrag aus der ersten Schöpfungsgeschichte ernst genommen. „Macht euch die Erde untertan“ (Gen 1, 28). Der moderne Mensch fühlt sich um so göttlicher und autonomer, je mehr er über die Erde und die Tiere herrscht. Der Aufbau der Naturwissenschaften fand zugleich mit Kolonisierungen der Erde durch die westlichen Mächte statt, vom spanischen Weltreich bis zu dem British Empire. Nun haben wir die ökologische Katastrophe.
Den Theologinnen und Theologen möchte ich sagen, statt Gen 1, 28 die 3. Seligpreisung Jesu zu nehmen: „Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen“ (Mt 5, 5). Sanftmütig mit Pflanzen umzugehen heißt, ihren Eigenwert anzuerkennen und nicht nur nach dem Nutzwert für den Menschen zu fragen. Sanftmütig mit Tieren umzugehen heißt, sie als „Mitgeschöpfe“ in der Schöpfungsgemeinschaft anzuerkennen.
Wilhelm Dilthey hat auf den Unterschied zwischen dem „Erklären“ und dem „Verstehen“ hingewiesen. Objekte können erklärt, Subjekte wollen verstanden werden. Die Naturwissenschaft erklärt die Natur als „vermessene Welt“. Es kommt darauf an, die Natur zu verstehen. Das setzt eine „Subjektivierung der Natur“ voraus.
FG: Sie sprechen in Ihrem Werk auch davon, dass wir von der anthropozentrischen Anthropologie wegkommen und uns Menschen kosmisch verstehen müssen – der Mensch als ein Mitgeschöpf, der in einer Schöpfungsgemeinschaft lebt. Gleichzeitig beschreiben Sie den modernen Menschen, der sich vom Verständnis einer solchen Schöpfungsgemeinschaft, so scheint es zumindest, immer weiter wegbewegt. Sind Sie der Meinung, dass sich der moderne Mensch so stark verändern kann und wird, dass er sich wieder als Teil der „Gemeinschaft des Lebens“ verstehen lernt und unseren Planeten nicht einfach zu einem „globalen Raumschiff“ umbaut – so Ihre Formulierungen in Ihrer „Politischen Theologie der Modernen Welt“[1]?
JM: Der moderne Mensch wird sich so weit verändern, daß er sich wieder als Teil der „Gemeinschaft des Lebens“ verstehen lernt, wenn er überleben will. Er kann zum Mond fliegen und demnächst zum Mars, aber auf der Erde kann er keinen „Regen machen oder Regen verhindern“. Das Wetter und das Klima hat sich der Mensch nicht „untertan machen“ können. Die Erdbeben und Tsunamis haben wir auch nicht im Griff. „Unsere bisherige Technik steht in der Natur wie eine Besatzungsarmee im Feindesland und vom Landesinneren weiß sie nichts“, sagte Ernst Bloch. Das kann sich ändern, wenn wir der Erde und ihrer „Gemeinschaft des Lebens“ weniger Gewalt, sondern mehr Sanftmut antun. Dazu gehört auch „Subjektivierung“ alles Lebendigen und der Rechtsschutz aller Lebewesen. Rechte der Natur müssen formuliert und von der UNO beschlossen werden, wie „Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ (1948).
FG: Sie schreiben, dass der Mensch ein Experiment der Natur und seiner Selbst ist. Anders als andere Experimente ist es aber einmalig und ob es gelingt, hängt von uns Menschen ab.[2] Ich würde sagen, das Experiment läuft momentan doch ziemlich schief. Was müssen wir tun, damit es doch noch gelingt?
JM: Noch ist das Experiment „Mensch“ nicht gelungen, noch ist das Experiment „Mensch“ nicht gescheitert. Es ist keine Zeit für den technologischen Optimismus oder die Apokalyptik der „letzten Generation“. Die Situation zwischen Gelingen und Scheitern fordert eher den Lebenswillen der zukünftigen Generationen.
Aber muß das Menschengeschlecht überhaupt überleben? Die Dinosaurier sind auch gekommen und dann ausgestorben. Wie sollen wir das Leben bejahen und lieben, wenn es ein Zufallsprodukt der Natur ist?
Es gibt eine „Pflicht zum Dasein“ und eine „Pflicht zur Zukunft“, wenn man Hans Jonas folgt.
Ich halte mich aber an Hölderlins Spruch: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“ – weil ich es selbst erlebt habe.
FG: Welche Rolle kommt dabei den Christ:innen dieser Welt zu? Und haben wir als wissenschaftlich arbeitende Theolog:innen und spätere Pfarrer:innen dabei eine spezielle Bildungs-Aufgabe?
JM: Da müssen Sie eher junge, praktizierende Theologen/Innen fragen als einen 97-jährigen alten Theologen oder fragen Sie Prof. Thomas Schlag. In meiner Zeit unterrichteten wir die biblische Botschaft in Kontexten. Kein Kontext ohne Text.
FG: In Ihrem Werk „Weisheit in der Klimakrise“ sprechen Sie in Anbetracht der Fake News auch über das Thema Wahrheit und Lüge und sagen, dass Wahrheit und Lüge nicht abstrakt, sondern in den konkreten Situationen des Lebens zu beurteilen sind.[3] Wie aber finden wir den richtigen Weg?
JM: Der ganze Satzzusammenhang lautet: In der Nazidiktatur in Deutschland: „Damals war die Wahrheit über versteckte Juden zu sagen tödlich, zu lügen war lebensrettend. ‚Wahrheit und Lüge‘ sind nicht abstrakt, sondern in den konkreten Situationen des Lebens zu beurteilen.“[4]
Wir beurteilen Wahrheit und Lüge moralisch: Wahrheit ist gut, Lüge ist schlecht. Mit Aussagen sind Interessen verbunden und mit Interessen sind Werte verbunden. Der Friede ist der „Leib der Wahrheit“, die Lüge hat den Leib des Konfliktes oder des Krieges. Hitler war ein großer Lügner, er wollte den 2. Weltkrieg. Putin ist ein grosser Lügner, sein Interesse ist „russki mir“, die „russische Welt“; darum führt er den Krieg um die Ukraine, weitere Kriege werden folgen, um das russische Weltreich wiederherzustellen.
Also auf die verborgenen Interessen achten, um Wahrheit und Lüge zu unterscheiden!
FG: In diesem Zusammenhang sprechen Sie auch darüber, dass Wahrheit Vertrauen schafft und Vertrauen Freiheit bringt. Grundlage des Vertrauens ist wiederum das Versprechen.[5] Doch von diesen haben wir doch schon zu viele bekommen! Wie lernen wir gerade als jüngere Generation wieder zu vertrauen?
JM: Ich bin in der Nazidiktatur aufgewachsen. Deutschland war voller Lug und Trug. Seitdem habe ich mir einen Zaun des Mißtrauens gegen öffentliche, politische Verlautbarungen zugelegt. Erst wenn dieser Zaun überwunden ist, fasse ich Vertrauen.
Wer im Frieden kommt und ehrlich ist, verdient ein Vorschußvertrauen. Wer neu ist, dem begegnet man mit dem Zaun von Mißtrauen. Er kann sich unser Vertrauen erarbeiten, indem er seine Versprechen hält.
FG: Sie sagen weiter, dass das die Wahrheit durch Betrug und Lüge gefährdet ist, sowie durch politische und ökologische Kontrolle.[6] Herr Moltmann, wenn die Wahrheit gefährdet ist, ist dann auch die Hoffnung in Gefahr?
JM: Wenn die Wahrheit gefährdet ist, ist die Hoffnung auch in Gefahr. Das ist so. Aber hundertmal enttäuscht zu werden, gibt der Mensch seine Lebenshoffnung nicht auf. Jedenfalls ich nicht. Sie hängt mit dem Lebenswillen zusammen. Sie trägt den Überlebenswillen. Die Lebenshoffnung ist eigentlich immer in Gefahr. Sie wird in Gefahr zu einer Dennoch- oder Trotzhoffnung.
Aber ich will nicht nur von der Welt der Gefahren reden. Die Hoffnung entzündet in uns auch den „Möglichkeitssinn“ (Robert Musil). Alle Wirklichkeit ist verwirklichte Möglichkeit. So ist die Welt der Möglichkeiten größer als unsere sichtbaren Wirklichkeiten. Die Hoffnung macht uns aufmerksam für die gegenwärtigen Möglichkeiten, einschließlich der Möglichkeiten Gottes. Aber die Welt der Möglichkeiten lädt auch ein zu Träumen und Utopien. Dagegen hilft der Wirklichkeitssinn oder der realistische Möglichkeitssinn.
FG: Gegen Ende Ihres Weisheits-Buches beschreiben Sie, wie die Leidensgeschichte der Welt auch die Passionsgeschichte Gottes ist. Gott ist dabei der, der die Welt trägt[7] – und ich würde ergänzen – auch erträgt. Glauben Sie, dass Gott die Hoffnung in uns Menschen wirklich nie aufgibt?
JM: Die „Passionsgeschichte Gottes“, wie das Wort „Passion“ sagt, besteht aus Leidenschaft und Leiden. Gott liebt diese Welt, sonst würde sie gar nicht existieren. Darum leidet Gott an den Widersprüchen dieser Welt. Gott leidet, weil er Geduld mit dieser Welt hat: Geduld der Hoffnung. Würde Gott diese Welt nicht wie der treue Atlas tragen oder wie Sie sagen „ertragen“, so würde diese Welt aufhören zu existieren. Gott ist unsere Hoffnung, wir Menschen aber auch Gottes Hoffnung für die Erde.
Ich glaube, daß Gott die Hoffnung in uns Menschen nie aufgibt, so lange Menschen da sind.
FG: Lieber Herr Moltmann, zum Schluss noch eine persönliche Frage: Blicken Sie eigentlich hoffnungsvoll in die Zukunft – kann auch mir als Theologin der jüngeren Generation die „ars resurgendi“, wie Sie in Ihrem Buch „Auferstanden in das ewige Leben“[8] schreiben, helfen, um meine eigene gegenwärtige und zukünftige Existenz in einem helleren Licht zu sehen?
JM: Ich glaube, daß die jüngeren Generationen es besser machen als meine Generation. Wir haben eine schwere Last von der vorigen Generation bekommen und wir haben eine schwerere Last den jüngeren Generationen aufgebürdet, z. B. die ökologische Krise oder Katastrophe. Ich hoffe, daß die Hoffnung, die uns beflügelt hat, auf die jüngeren Generationen überspringt und sie lebendig macht.
Am Schluß werde ich persönlich: Ich wundere mich jeden Morgen daß ich noch da und gesund bin und gehe mit Lebensfreude in den neuen Tag hinein. Die Auferweckung zum ewigen Leben ist meine Hoffnung im anfänglichen Leben und im Sterben. Das ewige Leben wird auch erlebt werden. Es ist das Leben in der neuen Schöpfung. So ist der Tod wie der Geburtstag zum neuen Leben. Das gibt mir jeden Morgen eines neuen Tages frischen Lebensmut.
© 2025 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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