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Alles-Könnerin: Care-Arbeit als Thema der zeitgenössischen Kunst und im Kunstbetrieb. Eine Einleitung

  • Tonia Andresen

    TONIA ANDRESEN ist seit 2022 wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt Putzen, Kochen, Sorgen: Care-Arbeit in der Kunst in West- und Osteuropa, den USA und Lateinamerika seit 1960 (2022–2025) an der Ruhr-Universität Bochum unter der Leitung von Änne Söll und Friederike Sigler. Aktuell schreibt sie an ihrer Dissertation zu globalen Arbeitsverhältnissen. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören globale Ungleichheiten, Arbeitsverhältnisse und Lateinamerikaforschung innerhalb zeitgenössischer künstlerischer Praxen.

    , Friederike Sigler

    FRIEDERIKE SIGLER ist seit 2020 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Änne Söll an der Ruhr-Universität Bochum und stellvertretende Projektleiterin des DFG-Projekts Putzen, Kochen, Sorgen: Care-Arbeit in der Kunst in West- und Osteuropa, den USA und Lateinamerika seit 1960 (2022–2025). 2021 ist bei Edition Metzel ihre Dissertation Arbeit sichtbar machen: Strategien und Ziele in der Kunst seit 1970 erschienen. Sie ist außerdem Herausgeberin von Work: Documents of Contemporary Art (London/Cambridge, MA 2017) und Kochen Putzen Sorgen: Care-Arbeit in der Kunst seit 1960 (Ausst.-Kat. Bottrop, Josef Albers Museum Quadrat), Berlin 2024. Derzeit forscht sie zur Faschismusrezeption in Kunst und Ausstellungen nach 1968.

    and Änne Söll

    ÄNNE SÖLL ist seit 2016 Professorin für Kunstgeschichte der Moderne mit einem Schwerpunkt in der Kultur- und Geschlechtergeschichte an der Ruhr-Universität Bochum und Leiterin des DFG-Projekts Putzen, Kochen, Sorgen: Care-Arbeit in der Kunst in West- und Osteuropa, den USA und Lateinamerika seit 1960 (2022–2025). Ihre Forschungsschwerpunkte liegen u. a. auf der Kunst der Weimarer Republik, der Männlichkeitsforschung und dem Museum’s Display. Ihre neueste Veröffentlichung Under Construction: Kunst, Männlichkeiten und Queerness seit 1970 erschien in der von Susanne Huber, Hongwei Bao und ihr herausgegebenen Reihe Oyster: Feminist and Queer Approaches to Arts, Cultures and Genders (Berlin 2024).

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Published/Copyright: November 15, 2024
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Die COVID-19-Pandemie hat – zwangsweise – einen erneuten Fokus auf die zentrale, wenn auch zumeist unsichtbare Rolle von Care-Arbeit für den gesellschaftlichen Zusammenhalt bzw. den Erhalt von Gesellschaften und der Ökonomie zur Folge gehabt und eine Welle neuer Publikationen zum Thema Care-Arbeit generiert, die sich jedoch selten explizit auf die Kunstsphäre beziehen. So ist es auch in prominenten Publikationen wie dem Care Manifesto,[1] in dem es nicht nur um Care-Arbeit an sich geht, sondern gleich um eine radikale gesellschaftliche Vision von universal care – »the ideal of a society in which care is front and centre at every scale of life and in which we are all jointly responsible«.[2] Das Autor:innenkollektiv versieht die Begriffe politics, kinships, communities, states und economies konsequenterweise mit dem prefix caring und entwirft damit das (utopische) Bild einer Gesellschaft, die nicht auf kapitalistischer Produktion, sondern auf der Anerkennung und Förderung gemeinschaftlicher und fairer (Re-)Produktion basiert. Caring, das heißt eine stetig andauernde (Für-)Sorge und Versorgung, wird damit als antikapitalistische Strategie zum Allheilmittel für die durch neoliberale Politik geschaffenen Lücken in allen sozialen, ökologischen und ökonomischen Bereichen. Eine solidarische Umund Aufwertung von Care-Arbeit und das Ende der Benachteiligung von Frauen als hauptamtliche Care-Geberinnen verspricht in programmatischen Publikationen wie dem Care Manifesto etwa das Konzept der caring kinships,[3] das familiäre Care-Strukturen durch »promiscuous care«[4] und damit flexiblere Beziehungsformen ablösen soll und das ähnlich wie in queeren Ansätzen, in denen community care, also die Fürsorge untereinander, als solidarische Praxis verstanden wird,[5] für Abhilfe in der Care-Krise und zugleich für die darunter liegenden Ungleichverhältnisse sorgen soll. Der Begriff care oder caring als einer Haltung der gegenseitigen Verbundenheit und Verantwortung wird damit zum (utopischen) Gegenspieler kapitalistischer Extraktionsstrategien und Profitmaximierung. Allerdings werden in solchen Ansätzen keine neuen Felder oder Themen aufgemacht: Auch Gabriele Winkers Care Revolution: Schritte in eine solidarische Gesellschaft, erschienen 2015, identifiziert bereits staatliche Politik, die Familie und institutionalisierte Care-Arbeit als die entscheidenden Arenen, in denen sich die Stellschrauben für gerechtere Formen von Care-Arbeit finden lassen und deren Vernachlässigung und Ausbeutung zu einer Krise sozialer Reproduktion führen.[6]

Mit diesen Fragen beschäftigen sich seit 1960 zahlreiche Künstlerinnen weltweit, wie unsere Forschungen, darunter das DFG-geförderte Forschungsprojekt Kochen, Putzen, Sorgen: Care-Arbeit in der Kunst in West- und Osteuropa, den USA und Lateinamerika seit 1960, die daraus resultierte Ausstellung Kochen Putzen Sorgen: Care-Arbeit in der Kunst seit 1960 (Oktober 2023–März 2024, Josef Albers Museum Quadrat Bottrop) sowie die gleichnamige Begleitpublikation zeigen. Im Rahmen dieser Ausstellung haben wir uns explizit mit Care-Arbeit, definiert als »Kochen, Putzen, Sorgen«, beschäftigt und als globales Thema in der Gegenwartskunst untersucht.[7] Demgegenüber soll der vorliegende Themenschwerpunkt die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Care-Begriff im Sinne der Autor:innen des Care Manifesto zu einem (wenn auch utopischen) Ideal von universal care erweitern. Auch wenn wir Care-Arbeit als Allheilmittel für alle gesellschaftlichen Defizite nicht uneingeschränkt befürworten können und skeptischer ob dessen Heilungspotential sind, ist unsere These doch, dass Care-Arbeit eine der fundamentalen Stellschrauben in der Arbeits- und damit auch der Kunstwelt ist, die sich nicht nur auf unterbezahlte und unsichtbare Sorge- und Hausarbeit beschränkt, sondern einen tiefgreifenden Einfluss auf unsere Beziehungen zur (Um-)Welt, unserem sozialen Miteinander und zur künstlerischen Arbeit hat. Deshalb sind die Beiträge dieser Ausgabe nicht auf einen engeren arbeitszentrierten Care-Begriff von »Kochen, Putzen, Sorgen« begrenzt, sondern behandeln künstlerische Strategien, die diesen erweitern wie in Ursula Ströbeles Beitrag um ökologische Belange als künstlerische Care-Arbeit und im Aufsatz von Siona Wilson zu künstlerischem Kuratieren und Unterrichten als einer ambivalenten Form von Care-Arbeit. Im Unterschied dazu verhandelt Eva Kuhn in ihrem Beitrag einen Klassiker in der Beschäftigung mit Care-Arbeit, Chantal Akermans Film Jeanne Dielman (1975), der sowohl auf Materialebene als auch durch den Fokus auf die ausgeübte Haus- und Sexarbeit, so Kuhn, ein »Bollwerk gegen die Kapitalisierung von Lebenszeit« darstellt. Anknüpfend an die zentrale Frage, wie Care-Arbeit sichtbar gemacht werden kann, diskutiert Fabiola Fiocco die Ambivalenzen von Sichtbarkeitspolitiken im Rahmen der Beschäftigung mit künstlerischen Arbeiten, die entlohnte Care-Arbeit in den Blick nehmen und damit die Hierarchien zwischen Künstlerin und Care-Arbeiterin thematisieren. All diese Beiträge gehen zurück auf die von uns organisierte Tagung zu Care-Arbeit aus globaler Perspektive, die 2023 an der Ruhr-Universität Bochum stattfand.[8] Um eine möglichst heterogene Bandbreite an Gegenständen und Methoden zu versammeln, haben wir das Heft um die Beiträge von Kathrin Rottmann, die einen Blick auf die fotografische Politisierung des Begriffs der Leichtlohngruppe anhand der Praxis Theodor Oberheitmanns und Evelyn Richters Arbeiter:innenfotografie in Ost und West wirft, Maria Bremers Aufsatz zur Rolle der Care-Arbeit auf der Venedig Biennale 1978, deren Naturalisierung als ›Frauenarbeit‹ von den Künstlerinnenkollektiven Gruppo Donne/Immagine/Creativitä und Gruppo Femminista Immagine dekonstruiert wurde und Annekathrin Müllers Beitrag zum Einsatz von Fotografien in Erziehungsratgebern in der DDR erweitert.

Curare: Schnittstellen von Care-Arbeit und Kuratieren

Eine ubiquitäre Verwendung des Care-Begriffs lässt sich parallel zur Theorie auch in der kuratorischen Praxis feststellen. Dies zeigt sichan mehreren Publikationen, die das Kuratieren, abgeleitet vom lateinischen Wort curare, als eine Form des caring konzipieren.[9] Elke Krasny und Lara Perry begreifen das verstärkte Aufkommen des Begriffs als Antwort auf die anhaltenden sozialen und ökologischen Care-Krisen und eine neuere crisis of curating, der Anforderung immer größere Ausstellungsprojekte mit weniger Mitteln durchführen zu müssen und dabei selbst eingebunden zu sein in »material infrastructures to endow the interests of big capital«.[10] Die positive Besetzung des Begriffs zeigt sich besonders deutlich in der Feststellung der Autorinnen, dass neben pink- und greenwashing ein carewashing zu beobachten sei, und beschreiben damit kuratorische Strategien, die sich care zu reinen Repräsentationszwecken auf die Fahne schreiben.[11] Zu einem sorgenden Kuratieren gehört es laut Krasny und Perry hingegen, den Zugang zu Kunstinstitutionen zu vergrößern und diejenigen miteinzubeziehen, die Care-Arbeiten ausüben, insbesondere die Arbeitsbedingungen von Care-Arbeitenden im Museum wie Aufsichts- und Reinigungspersonal. Care als kuratorische Praxis müsse dementsprechend institutionelle Infrastrukturen so nutzen, dass »emancipatory social and ecological imaginaries« sowohl in Bezug auf die ausgestellten Werke als auch die Produktionsbedingungen und zugrundeliegenden institutionellen Strukturen ermöglicht werden.[12]

Krasny und Perry verweisen dabei auf den Konflikt zwischen care als positiv besetztem Bezugsrahmen im Sinne von »common good, benefit, service, and generosity« und der Sorgearbeit im Alltäglichen, die wiederum mit »conflict, confrontation, and dissatisfaction« einhergehe.[13] Sascia Bailer knüpft an diesen Konflikt an und plädiert dafür die kontrastierenden Aspekte von Care in das fürsorgliche Kuratieren einzubeziehen, ohne ihr Spannungsverhältnis aufzulösen. So soll die kuratorische Praxis durch »Beziehungsnetze und Sichtbarkeiten« der Care-Krise entgegenwirken und zu einer »Ethik des Miteinanders« beitragen.[14] Diese Debattenzeigen sich auch in Ausstellungsprojekten, in denen care als Form der Selbstpflege, Überlebensstrategie oder als Beschreibung für familiäre Beziehungen verwendet wird.[15] Dabei liegt der Fokus gewöhnlich auf den affektiven und relationalen Eigenschaften, die Sorgearbeiten einfordern. Care fungiert immer dann als positiver Bezugsrahmen, wenn Fürsorge, wie im Care Manifesto, als Möglichkeit der ›Heilung‹ verstanden wird, sei es in Bezug auf koloniale Herrschaftszusammenhänge oder Umweltthemen.[16] Zwar machte die Ausstellung YOYI! Care, Repair, Heal im Gropius Bau Berlin (2022) sichtbar, dass »Infrastrukturen der Pflege« missbraucht werden können,[17] insbesondere unter kolonialen Bedingungen, verhandelte aber nicht die den Sorgearbeiten inhärenten Hierarchien und ihre Konzeption als ›weibliche‹ Arbeit. Einen anderen Zugang wählte die Ausstellung Handle with Care im Ludwig Múzeum Budapest (2023–2024), die explizit die Hierarchien zwischen denen, die Sorge erhalten und denen, die diese geben, thematisierte und damit die »cracks and gaps« im sozialen Sektor sichtbar machte.[18]

Zwar benennen viele der genannten kuratorischen Projekte die materialistisch-feministischen Ursprünge der Zweiten Frauenbewegung, wie die Forderung nach Lohn für Hausarbeit, beziehen aber eine kritische Perspektive auf Care-Arbeit als Arbeit nur selten ein. Care wird vorrangig in ihrer (ver-)sorgenden, zwischenmenschlichen Funktion verhandelt und damit von den kapitalistischen Verhältnissen, in denen sie als Arbeit eingebunden ist, abgetrennt. Deshalb war es uns in der Konzeption der Ausstellung Kochen, Putzen, Sorgen: Care-Arbeit in der Kunst seit 1960 besonders wichtig, care erstens als ein Arbeitsverhältnis zu verstehen, das zweitens Geschlechter- und Klassenverhältnisse produziert und reproduziert. Die Ausstellung und der dazugehörige Katalog setzen in den 1960er und 1970er Jahren an, in denen Künstlerinnen beginnen, sich intensiv mit der vermeintlich ›weiblichen Arbeit‹ zu beschäftigen und dabei in vielen, aber nicht allen Ländern durch die Zweite Frauenbewegung beeinflusst sind.[19] Vielmehr wird deutlich, dass das Thema der Care-Arbeit nicht nur für Künstlerinnen aus kapitalismuskritischen Milieus, sondern aus sehr unterschiedlichen politischen Hintergründen virulent und durch die künstlerische Arbeit politisiert wird.[20]

Die Ausstellung haben wir nach den Strategien und Techniken strukturiert, die Künstlerinnen zur Thematisierung von Care-Arbeit einsetzen.[21] Dazu zählt die Verschmelzung des eigenen Körpers mit dem privaten Raum oder den dazugehörigen Haushaltsgeräten, wie zum Beispiel in den Arbeiten von Tomaso Binga, Rosemarie Trockel, Helen Chadwick und Letícia Parente.[22] Als weitere Strategie lässt sich die performative Aufführung der oft monotonen Arbeitsabläufe von Care-Arbeit ausmachen, wie in den Videos von Margaret Raspé beim Spülen, Mierle Laderman Ukeles ikonischer Putzaktion vor und im Museum oder Anna Kuteras Bodenmalerei, in der Care-Arbeit zugleich zur künstlerisch-performativen Technik wird.[23] Eine dritte Strategie ist das Delegieren von Care-Arbeit, das bis heute in den USA, in Peru, Südafrika und Deutschland Ungleichheitsverhältnisse produziert, wie sie Martha Rosler, Natalia Iguiñiz, Mary Sibande und Jinran Ha sichtbar machen.[24] Die Doppelbelastung von Frauen durch Lohn- und Care-Arbeit ist das vierte Thema, das Künstlerinnen wie Anna Daučíková, das Kollektiv Hackney Flashers und die Filmemacherin Krystyna Gryczełowska aufgreifen und dabei unter anderem aufzeigen, dass das Kochen, Putzen und Sorgen auch in sozialistischen Ländern oft Frauen vorbehalten bleibt.[25] Künstlerinnen wie Mako Idemitsu, Valie Export oder Annegret Soltau bearbeiten, fünftens, den Mythos von Care-Arbeit als einer ›Arbeit aus Liebe‹ und zerpflücken das Bild der sich aufopfernden Mutter – sei es durch einen dramatischen Tango, bei dem am Ende die Teller fliegen, oder durch die gewaltvolle Arbeit am Bild.[26] Sechstens geht es Künstlerinnen wie Birgit Jürgenssen, Eulàlia Grau und den Filmemacherinnen Gunvor Nelson & Dorothy Wiley darum, in ihren Werken die repressive und isolierende Macht der nie enden wollenden Care-Arbeit zu verdeutlichen. Und, last but not least, widmen sich siebtens Künstlerinnen wie Milli Gandini, Mariuccia Secol und Betye Saar Strategien der Verweigerung von Haus- und Sorgearbeit.[27] Komplementiert haben wir die Auswahl durch Archivmaterialien, die den lokalen Kontext des Ruhrgebiets als »Region der Arbeit« und die örtliche Frauenbewegung beleuchten sowie den von Gabriele Voss und Christa Donner produzierten Film Frauen-Leben, der sich um die Zechensiedlung Ebel in Bottrop, unweit des Museums, dreht.[28]

Die Beiträge im Ausstellungskatalog analysieren all diese künstlerischen Strategien und verorten das Thema innerhalb eines internationalen Diskurses, der von Künstlerinnen und Kuratorinnen ebenso in Südamerika, Südafrika, Ost- und Westeuropa geführt wird, um so auch den kuratorischen Rahmen, der bislang stark auf den US-amerikanischen Kontext zentriert war, zu erweitern. In diesem Zusammenhang war es uns ein Anliegen, künstlerische Strategien zu versammeln, die nicht zu den bereits kanonisierten gehören sowie Platz für experimentelle Herangehensweisen zu schaffen, die den Care-Begriff im Kontext seiner materialistischen Ursprünge verhandeln, aber auch ausweiten, wie dies aktuell in der kuratorischen Praxis stattfindet.

Kunstwissenschaftliche Diskurse zur Care-Arbeit

Die Überlagerung von Care-Arbeit und Kunstproduktion wird demzufolge von Künstlerinnen seit den späten 1960er Jahren in ihrer Kunst aufgegriffen und thematisiert. Die Ergebnisse unseres Forschungsprojekts haben außerdem gezeigt, dass Care-Arbeit ein zentrales Thema der feministischen Kunst seit den 1960er Jahren auf globaler Ebene ist, in der Kunstgeschichte jedoch erstaunlicherweise bisher weder Gegenstand einer systematisierenden noch global angelegten Untersuchung geworden war. Deutsch- und englischsprachige wissenschaftliche Diskurse, die in den 1960er und 1970er Jahren vor allem im Bereich der Kunstkritik und durch Texte von Künstlerinnen einsetzten, thematisierten Kunst zu Care-Arbeit zunächst innerhalb der beiden Komplexe ›weibliche Kunst‹ sowie ›feministische Ästhetik‹ und somit in Debatten, in denen es in erster Linie um die Eigenschaften von Kunst von Frauen ging. In Household Images in Art von 1973 beschreibt die Kunstkritikerin Lucy Lippard exemplarisch die Fallstricke von Künstlerinnenkarrieren und der künstlerischen Auseinandersetzung mit Care-Arbeit:

After all, the few women artists making it in the 1950s and 1960s were rarely housewives, and anybody who was took care to hide it when showing her work in the serious art world. (Because women were considered ›part-time-artists‹, if they worked for a living outside of art, or were married, or had a child, they didn’t have to be taken seriously.) Another version of the same tabu was made unmistakably clear in art schools. »Female techniques« like sewing, weaving, knitting, ceramics, even the use of pastel colors (pink!) and delicate lines – all natural elements of artmaking – were avoided by women. They knew they could not afford to be called »feminine artists«, the implications of inferiority having been all to precisely learned from experience.[29]

Durch den Einfluss der Zweiten Frauenbewegung kehrte sich diese Situation um: »Many women artists have organized, are shedding their shackles, proudly untying the apron strings – and, in some cases, keeping the apron on, flaunting it, turning it into art.«[30] Anknüpfend an Lippard kategorisiert die Künstlerin Mary Kelly bei einem Vortrag bei der Konferenz Art and Politics 1977 solche Kunst zu Care-Arbeit als »feministart practice«, die sich mit den verschiedenen Facetten einer»female culture« auseinandersetze.[31]

Ende der 1990er Jahre entstanden mit monosgrafischen Untersuchungen zu Künstlerinnen wie Mierle Laderman Ukeles, Mary Kelly und Martha Rosler tiefergehende Analysen der künstlerischen Auseinandersetzung mit Care-Arbeit. Zu nennen sind die von Sabine Breitwieser herausgegebenen Kataloge zu Martha Roslers Positionen der Lebenswelt und Mary Kellys Post-Partum Document, beide 1999, sowie der für eine Ausstellung im New Yorker Queens Museum entstandene, von Patricia C. Philipps herausgegebene Katalog zu Mierle Laderman Ukeles Maintenance Art (2016). Mit diesen Studien verfestigte sich ein erster Kanon an Care-Künstlerinnen, der mit seiner geografischen Zentrierung auf Nordamerika bis heute nachwirkt. In diese Zeit fällt auch Helen Molesworths Essay House Work and Art Work, in dem sie vorschlägt, die Werke von Ukeles, Kelly, Rosler und Judy Chicago nicht länger durch ihre jeweilige Nähe zu unterschiedlichen feministischen Theorien voneinander abzugrenzen, etwa Chicago zum Essentialismus und Kelly zur Dekonstruktion, sondern den Fokus auf die Auseinandersetzung mit Care-Arbeit zu verschieben.[32] Dann ergäben sich sowohl neue inhaltliche Schnittmengen, zum Beispiel die Beschäftigung mit dem Privaten, als auch neue Perspektiven auf künstlerische Techniken. Denn die Künstlerinnen beteiligten sich »wie viele ihrer ZeitgenossInnen […] an dem Angriff auf die Privilegierung des Sehens in der Ästhetik. Ist der Binärkomplex erstmal aufgelöst, zeigt sich, dass diese Werke in direkter Auseinandersetzung mit den ›avanciertesten‹ künstlerischen Praktiken ihrer Zeit – Minimalismus, Performancekunst und Conceptual Art – entstanden sind und dass sie zudem auch im Begriff waren, die Praxis der Institutionskritik herauszubilden.«[33]

Gerade durch die Thematisierung des »Privaten‹ im öffentlichen Raum der Kunst, etwa wie Ukeles mit ihren Maintenance Art Performances in einem öffentlichen Museum, rückten die Künstlerinnen die Produktionsbedingungen von Kunst in den Mittelpunkt, zu denen im Falle der Institutionen auch die unsichtbare Instandhaltung (Putzen etc.) zählten, die ihre Entsprechung wiederum häufig in ihren eigenen Lebensrealitäten und ihrer Care-Arbeit hatte.[34] Damit knüpfte Molesworth an die Westberliner Künstlerinnenausstellung Unbeachtete Produktionsformen in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) an, für die bereits 1982 »Unbeachtetheiten in ihren mannigfaltigen Formen aus dem Bereich weiblicher Kultur […] in ihrer Prozesshaftigkeit für einen Moment festgehalten und ins Blickfeld gerückt« wurden.[35] Dass einschlägige Studien zu künstlerischen Techniken und künstlerischer Arbeit, wie Molesworths Ausstellung Work Ethic (2003) und Julia Bryan-Wilsons Art Workers: Radical Practice in the Vietnam War Era (2006) oder das von Bryan-Wilson mit Glenn Adamson herausgegebene Überblickswerk über Techniken und Materialien Art in the Making: Artists and Their Materials from the Studio to Crowdsourcing (2016) Care-Arbeit nur am Rande abhandeln, ist deshalb besonders verwunderlich.

Auch die großen Überblicksausstellungen zu Kunst von Frauen haben seit den 2000er Jahren zu einer neuen Aufmerksamkeit für das Thema beigetragen, wenngleich Care-Arbeit innerhalb der Ausstellungen als auch der Kataloge meist als einer von vielen miteinander verwobenen Schauplätzen behandelt wird.[36] Nichtsdestotrotz haben sie die Auswahl von Kunst zu Care-Arbeit maßgeblich erweitert und so auch den geografischen Rahmen. Ebenso einreihen lassen sich vereinzelte Themenhefte von Zeitschriften, die sich mit Care-Arbeit in der zeitgenössischen Kunst auseinandersetzen.[37] Seit den 2010er Jahren entstanden im Anschluss mehrere Ausstellungen und wissenschaftliche Studien, die sich mit spezifischen thematischen Interessen, regionalen Schwerpunkten oder methodischen Blickwinkeln dem Thema widmeten, wobei auchhier Care-Arbeit meist als Begleiterscheinung behandelt wird.[38]

Hauptschauplatz: Care-Arbeit

Den aktuellen Publikationen zum Thema Care-Arbeit ist zumeist gemein, dass sie einen Forderungskatalog aufstellen, der sich nicht grundlegend von denen früherer Analysen unterscheidet: Care-Arbeit muss erstens als Arbeit sichtbar, als ›naturhafte‹ Aufgabe der Frau hinterfragt und gerechter verteilt werden.[39] Sie muss zweitens aufgewertet und im professionellen Bereich besser entlohnt werden.[40] Familiäre Strukturen, die ein traditionelles Geschlechtermodell stützen, müssen (drittens) überdacht und durch andere Formen von Beziehungen und Verbindungen ersetzt werden.[41] Wiederaufgenommen wird auch das Argument einer Reduktion von Care-Arbeit durch effiziente Technik und Rationalisierung. Helen Hester und Nick Srnicek argumentieren jedoch nicht, wie noch die Haushaltstheoretikerinnen am Beginn des 20. Jahrhunderts,[42] dass sich die einzelne Hausfrau durch Ergonomik und Technik die lästige Care-Arbeit vom Hals schaffen kann – ein Versprechen, das, wie die Autorinnen zeigen, bis heute unerfüllt bleibt–,[43] sondern dass Rationalisierung, digitale Infrastruktur und Technik für die Umverteilung von Care-Arbeit potentiell genutzt werden könnten, um die tägliche Arbeit zu minimieren, bisher jedoch allein für das schlecht bezahlte Outsourcing von Hausarbeit eingesetzt werden.[44] Womit wir bei einem weiteren, entscheidenden Thema wären, dass die Diskussion um Care-Arbeit bestimmt: die Delegation bzw. das Outsourcing von Hausarbeit, z. B. an migrantische Arbeiter:innen. Barbara Duden, deren gemeinsam mit Gisela Bock verfasster Aufsatz zur Geschichte der Hausarbeit im Kapitalismus im deutschen Sprachraum die (wissenschaftliche) Diskussion um unbezahlte Hausarbeit losgetreten hatte und bis heute als ›Klassiker‹ gilt,[45] zieht in einer Revision ihres Aufsatzes 2009 ernüchternde Bilanz:

Wieso und seit wann sprechen wir von »Care« und nicht mehr von unbezahlter Hausarbeit? Wieso sehen wir deren industriegesellschaftliche Bedeutung nicht mehr – während sie von Sozialplanern berechnet wird, die die Kommerzialisierung und »De-Familiarisierung« dieses Sektors propagieren? Die »Versorgungslücke«, die die Erwerbsarbeit der Frauen mit sich brachte, wird in der neuen globalen Arbeitsteilung zwischen erwerbstätigen Frauen und »privat« dienstleistenden Migrantinnen geschlossen, und die staatlichen Migrationsregime sorgen dafür, dass diese in der Illegalität oder mit einer beschränkten Arbeitserlaubnis billige Arbeit leisten.[46]

Duden argumentiert weiter, dass Care-Arbeit trotz aller feministischen Anstrengungen noch unsichtbarer geworden sei als vor 50 Jahren, denn »der neue Kapitalismus wird gestützt durch eine Gleichheitsrhetorik, in deren Blickwinkel allein die Erwerbsarbeit steht«.[47] Ähnlich argumentiert auch Nancy Fraser, wenn sie von einer andauernden »socalled crisis of care« spricht, die durch das Care-Defizit in einer durch Kapitalmärkte gestützten neokapitalistischen Ordnung entstünde.[48] Fraser fragt deshalb, wie die geteilten Sphären der Produktion und Reproduktion (und das Zwei-Verdiener:innen-Modell) neu gedacht werden könnten,[49] und kommt zu einem ähnlichen Ergebnis wie die Autorinnen des Care Manifesto:

What is required, above all, is to overcome financialized capitalism’s rapacious subjugation of reproduction to production – but this time without sacrificing either emancipation or social protection. This in turn requires reinventing the production-reproduction distinction and reimagining the gender order. It remains to be seen whether the result will be compatible with capitalism at all.[50]

Somit stellt sich die Frage, wie diese Revisionen, nach Fraser das reimagining der Trennung von Reproduktion und Produktion und damit auch des Geschlechterverhältnis aussehen könnten und – essentiell für diese Ausgabe der Zeitschrift für Kunstgeschichte – wie dies mit der Produktion von Kunst bzw. der Kunstsphäre zusammenhängt? Einen Ansatz dafür liefert Marina Vishmidt, die fordert, dass Künstler:innen ihre Produktionsbedingungen und damit auch den Autonomiestatus der Kunst hinterfragen müssen – »[…] art has to confront its own character as an institution of reproduction – a service, an ambience«.[51] Vishmidt referiert beispielhaft auf die Arbeiten Ukeles’, die durch ihren Ansatz der Maintenance Art die Autonomie der Kunst durch die Heteronomie der Care-Arbeit »befleckt« habe und so auf die künstlerischen Herstellungsbedingungen verweise.[52] Und damit kommt erneut das zur Sprache, was Generationen von Künstlerinnen seit den 1960er Jahren stets neu thematisiert haben und was Christa Näher mit ihrem lakonischen Spruch »Frauen die malen, drücken sich vor der Arbeit«, zuerst als Postkarte veröffentlicht im Jahr 1982 (Abb. 1), auf den Punkt bringt: Die geschlechtsspezifische Codierung von Care-Arbeit ist direkt mit künstlerischer Arbeit und ihren Produktionsbedingungen verbunden, denn während die Frau in Nähers Postkarte paradoxerweise ohne Lappen kniend den Boden schruppt und damit ihrer ›natürlichen Bestimmung›bzw. der Care-Arbeit nachgeht, steht ihre künstlerische Produktion still.

1 Christa Näher, Frauen die malen, drücken sich vor der Arbeit, 1984, Offsetdruck (Postkarte), 14,8 × 10,4 cm. Heidelberg, Edition Staeck
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Christa Näher, Frauen die malen, drücken sich vor der Arbeit, 1984, Offsetdruck (Postkarte), 14,8 × 10,4 cm. Heidelberg, Edition Staeck

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Tonia Andresen

TONIA ANDRESEN ist seit 2022 wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt Putzen, Kochen, Sorgen: Care-Arbeit in der Kunst in West- und Osteuropa, den USA und Lateinamerika seit 1960 (2022–2025) an der Ruhr-Universität Bochum unter der Leitung von Änne Söll und Friederike Sigler. Aktuell schreibt sie an ihrer Dissertation zu globalen Arbeitsverhältnissen. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören globale Ungleichheiten, Arbeitsverhältnisse und Lateinamerikaforschung innerhalb zeitgenössischer künstlerischer Praxen.

Friederike Sigler

FRIEDERIKE SIGLER ist seit 2020 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Änne Söll an der Ruhr-Universität Bochum und stellvertretende Projektleiterin des DFG-Projekts Putzen, Kochen, Sorgen: Care-Arbeit in der Kunst in West- und Osteuropa, den USA und Lateinamerika seit 1960 (2022–2025). 2021 ist bei Edition Metzel ihre Dissertation Arbeit sichtbar machen: Strategien und Ziele in der Kunst seit 1970 erschienen. Sie ist außerdem Herausgeberin von Work: Documents of Contemporary Art (London/Cambridge, MA 2017) und Kochen Putzen Sorgen: Care-Arbeit in der Kunst seit 1960 (Ausst.-Kat. Bottrop, Josef Albers Museum Quadrat), Berlin 2024. Derzeit forscht sie zur Faschismusrezeption in Kunst und Ausstellungen nach 1968.

Änne Söll

ÄNNE SÖLL ist seit 2016 Professorin für Kunstgeschichte der Moderne mit einem Schwerpunkt in der Kultur- und Geschlechtergeschichte an der Ruhr-Universität Bochum und Leiterin des DFG-Projekts Putzen, Kochen, Sorgen: Care-Arbeit in der Kunst in West- und Osteuropa, den USA und Lateinamerika seit 1960 (2022–2025). Ihre Forschungsschwerpunkte liegen u. a. auf der Kunst der Weimarer Republik, der Männlichkeitsforschung und dem Museum’s Display. Ihre neueste Veröffentlichung Under Construction: Kunst, Männlichkeiten und Queerness seit 1970 erschien in der von Susanne Huber, Hongwei Bao und ihr herausgegebenen Reihe Oyster: Feminist and Queer Approaches to Arts, Cultures and Genders (Berlin 2024).

  1. Abbildungsnachweis: 1 © Christa Näher, mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin.

Published Online: 2024-11-15
Published in Print: 2024-12-15

© 2024 Tonia Andresen, Friederike Sigler und Änne Söll, published by De Gruyter

This work is licensed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 International License.

Downloaded on 8.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/zkg-2024-4002/html
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