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Kaprow, konservativ

  • Clara Wörsdörfer

    Clara Wörsdörfer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sie wurde 2022 mit einer Arbeit zu Allan Kaprows Activities der 1970er-Jahre promoviert.

Published/Copyright: June 10, 2023
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Reviewed Publication:

Hildebrandt Dirk, The Extension of Art: Das Werk als Praxis nach Allan Kaprow München: edition metzel, 2022, 240 S., 59 Abb., € 27,00, ISBN 978-3-88960-220-6


Die überwiegend in den 1960er-Jahren konzipierten Happenings des US-amerikanischen Künstlers Allan Kaprow führen rund fünfzehn Jahre nach dem Tod ihres Erfinders ein bemerkenswertes Eigenleben. So war kürzlich in einem Onlinemagazin von einer Filmvorführung in einem Südtiroler Bergwerk »anlässlich des dritten Jahrestags von Overtime auf der Villanderer Alm« zu lesen.[1] Nun war Kaprow nicht jüngst in Jeans und mit Pfeife lässig dem Grab entsprungen, um auf der Alm sein Happening Overtime von 1968 noch einmal vor grandioser Kulisse einer Gruppe ernster Mittdreißiger in Funktionskleidung zu erläutern. Bei der Overtime-Version, deren Jahrestag für einen kleinen Teilnehmerkreis mit einer filmischen Erinnerungssitzung begangen wurde, handelte es sich um eine von den Künstlern Stéphane Verlet-Bottéro und Sophie Krier eigenmächtig vorgenommene Interpretation eines ursprünglich am Strand von San Diego umgesetzten Stücks. Dessen schriftliche Partitur sieht vor, dass eine Gruppe von Menschen über Nacht in mehreren Etappen eine mit Zäunen und Kreide markierte Grenzlinie zu verschieben hat.

Obwohl es im zeitgenössischen Kunstgeschehen an Teilnahmemöglichkeiten und intensiven, auch choreografierten Zusammentreffen mit Ereignischarakter nicht mangelt, scheinen Kaprows historische Arbeiten noch immer einen so großen Reiz auszuüben, dass sie in regelmäßigen Abständen wiederaufgeführt werden. Ist dieses Phänomen mit einer tiefsitzenden Sentimentalität des Kunstbetriebs zu erklären? Oder mit einem Institutionalisierungshunger, der längst auch jene performative Kunst umarmt, die sich jedweder Verstetigung doch eigentlich entziehen wollte? Dürfen wir also davon ausgehen, dass sich der Happening-Künstler im Grabe umdreht, weil aus der einmaligen Realisierung ein Repertoirestück geworden ist? Mitnichten, wie sich der von Dirk Hildebrandt verfassten, auf seiner Dissertation an der Universität Basel basierenden Monographie The Extension of Art: Das Werk als Praxis nach Allan Kaprow entnehmen lässt.

Hildebrandts Studie liefert dabei nicht eine Vertiefung der bestehenden Kaprow-Forschung in Form neuer Werkanalysen, sondern trägt dazu bei, ein komplexeres Bild des Künstlers insgesamt zu gewinnen, mit dem insbesondere dessen eigenwillige historische Fundierung neuer Werkformen sowie der Versuch einer Vorbestimmung des Nachlebens eingeblendet werden. In den Reflexionen des Autors werden lineare Vorstellungen von (kunst)geschichtlicher Entwicklung immer wieder durch Hinweise auf Rekurse und Vorwegnahmen durchkreuzt. Kaprow erscheint als emsiger Arbeiter an seiner ganz eigenen Position in der Kunstgeschichte und als ein »konservativer Avantgardist« (35) wie es mehrfach im Buch heißt.

Hildebrandt setzt mit seiner Argumentation bei der Extension an, die der Künstler selbst einst als formales und funktionales Prinzip einführte. Schon Philip Ursprung war in seiner wegweisenden Doppelmonographie zu Kaprow und Smithson dieser Fährte gefolgt, indem er die Happenings mit ihrer zeitlichen und räumlichen Ausdehnung in einer an Gegenwärtigkeit, direkter Konsumierbarkeit und Erlebnischarakter orientierten, ja deregulierten und sich über die Grenzen der bekannten Orte und Rezipientenkreise ausweitenden Kunstwelt um 1960 situierte.[2] Weil diese Kunstwelt sich zunächst allerdings eher für Pop und Minimal Art (und somit gegen die Happenings) entschied und einsetzte, konnte Ursprung im Jahr 2003 durchaus für sich in Anspruch nehmen, Kaprows eigenwillige Kunstproduktion überhaupt erst in die Kunstgeschichte einzuschreiben. Dabei merkte er bereits an, dass ausgerechnet die vergängliche, aber raumgreifende und assoziationsgeschwängerte Happeningkunst aufgrund ihrer Überlieferung in Form disparater Texte, Fotografien und Reproduktionen ihrer Historiographie besonders gut entgegenkomme.[3] Hildebrandt fokussiert dagegen die praktischen, materiellen und rhetorischen Operationen, mit denen der Künstler selbst von Beginn seines ambitionierten Schaffens an als Geschichtsschreiber und -bildner tätig wurde.

Aus gutem Grund tritt der Autor nicht mehr mit dem Gestus auf, es müsse einem vergessenen Kaprow endlich Gerechtigkeit widerfahren. Bereits parallel zu den Forschungen Ursprungs hatten sich in den Vereinigten Staaten unter anderem Judith Rodenbeck und Robert Haywood mit Kaprows Werk und der Geschichte des Happenings befasst, wenngleich ihre Schriften erst etwas später erschienen. Zeitgleich mit Ursprungs Buch publizierte zudem Jeff Kelley einen Band mit Kaprows wichtigsten Essays und machte diese somit nicht zuletzt einer jungen Künstlergeneration zugänglich, die sich mit ihrem Interesse an Partizipationsformen und relational aesthetics auf diesen beziehen konnte. Mit Kelleys biographisch angelegtem Buch über Kaprow und schließlich der von einem Katalog begleiteten großen Retrospektive Art as Life liegen zudem seit rund fünfzehn Jahren ein Überblick über das Gesamtwerk sowie eine Beschreibung der wesentlichen Errungenschaften und Problemfelder des Kaprowschen OEuvres vor.[4] Damit ist die Akte Kaprow allerdings keineswegs geschlossen. So wurde beispielsweise zum Kaprow nach den Happenings bislang höchstens punktuell publiziert, und sein Werk erweist sich immer wieder als überaus anschlussfähig und produktiv für das Nachdenken über unterschiedlichste Themenkomplexe – über das Verhältnis der Kunst zu den neuen Kommunikationsmedien, über Videokunst, Universalismus und Systemdenken oder die Politisierung des Privaten.[5] Hildebrandts Buch verhält sich zum Stand der Forschung hingegen wie eine kritische Reprise: Noch einmal wird der Blick hier auf Kaprows künstlerische Anfänge gelenkt, die Werkform des Happenings diskutiert, Kaprows Status als dessen Begründer hinterfragt; noch einmal erfährt die bekannte Arbeit Fluids eine neue Interpretation und endet die Erzählung mit der Krise des Happenings in den späten 1960er-Jahren – aber der Stoff wird diesmal so durchgearbeitet, dass die eingangs erwähnten zeitgenössischen Reinventions von Anfang an mitgedacht sind.

Die Arbeit gliedert sich in fünf Teile. Nach einer stellenweise eher abstrakten und nicht besonders leserfreundlichen Einleitung liefert der Autor mit dem ersten großen Kapitel (33–80) einen hervorragend erzählten Einstieg. Er legt eine umfassende Auseinandersetzung mit einem Werk Kaprows vor, das trotz seiner ubiquitären Erwähnung als solches bislang nicht untersucht wurde: gemeint ist die Publikation Assemblage, Environments & Happenings, die 1966 bei Harry N. Abrams in New York erschien. Hildebrandt nimmt sich das Buch als »diskursives Objekt« (36) vor und denkt dessen buchkünstlerische Gestaltung, das Zusammenspiel von Bild und Text mit dem intendierten Gebrauch zusammen. Auf erhellende Art und Weise durchblättert der Autor das Buch und kann einsichtig machen, wie Kaprow die amerikanische Assemblage als Bindeglied zwischen Abstraktem Expressionismus und einer neuen Kunst durch das Arrangement der Abbildungen inszeniert und sich dabei nicht nur eingeführter didaktischer Mittel der Kunstgeschichte – wie der paarweisen Zusammenstellung von Bildern zwecks vergleichendem Sehen – sondern auch gestalterischer Tricks der Dadaisten bedient. Die komplexen Zeige- und Erzählstrategien Kaprows machen aus Assemblage, Environments & Happenings eben jenes diskursive Objekt, mit dem der Künstler widerstreitende Anliegen produktiv verquicken kann: So liefert das Buch zwar eine autoritative kunstgeschichtliche Begründung des Happenings, will aber mit seiner spielerischen, auf den emanzipierten Leser setzenden Aufmachung zugleich dessen fortdauernde Aktivität unterstreichen. Diese Kunstgeschichte kommt einerseits mit der Überzeugungskraft einer gleichsam natürlichen Entwicklung und kanonischer Beiträge verschiedener Künstler und Künstlerinnen daher, wird andererseits in einer seltsamen Mischung aus Witz und Größenwahn aber als persönliches Projekt Kaprows ausgewiesen. Dieser eröffnet das Buch nicht ohne Grund mit einer Fotografie (Abb. 1), die auf die groß gedruckten Worte »Step right in« folgt und ihn dabei zeigt, wie er mit schelmischem Grinsen einen Vorhang lüftet, hinter dem sich allerdings lediglich eine Wand befindet. Kaprow sei es, schreibt Hildebrandt, ein Anliegen gewesen, die kunsthistorische Bedeutung seiner Kunst im direkten Zusammenhang mit seiner Person zu unterstreichen (79).

Mit der genauen Begutachtung dieser publizistischen Tat hat Hildebrandt bereits die Umrisslinien seiner Kaprow-Figur gezeichnet, zu der ein eminentes Interesse am Konservieren der Vorgeschichte und an der historischen Herleitung seiner zeitgenössischen Kunst ebenso gehört wie das verschmitzte Spiel mit dem Narrativ, welches der nach dem Tod des Autors frisch geborene Leser performativ mitproduziert. Die große Bedeutung der Malerei, die hierbei bereits offensichtlich geworden ist, bestimmt den zweiten Teil des Buchs mit dem etwas kryptischen Titel Orientierung der Malerei (81–114). Hildebrandt arbeitet heraus, dass die Malerei im OEuvre des Künstlers nicht nur als das gesehen werden sollte, womit der Künstler brach. Anhand verschiedener Beispiele kann er vielmehr zeigen, wie Kaprow die Malerei buchstäblich verarbeitete und geradewegs zum Material seiner neuen, sich in Raum und Zeit ausdehnenden Kunst machte. So ist sie noch, in Streifen geschnitten und im Raum hängend, in seinen Environments präsent oder taucht als Praxis zitathaft in 18 Happenings in 6 Parts auf. Dass Kaprow stets am »figuralen Sinn« (87) seiner Malerei festhielt, wie der Autor treffend bemerkt, lässt ihn als Akteur einer auch politisierten Debatte um Abstraktion und Figuration in der nordamerikanischen Malerei erkennen und ist programmatisch auch für seine Assemblagen und Happenings in Anschlag zu bringen. Über die Präsenz der menschlichen Figur, den abstrahierten Körper der Happenings und die teils auf seinen Lehrer Meyer Schapiro gestützten Aussagen zu einer humanen Abstraktion hätte man gern noch mehr erfahren, zumal hier ein interessanter Rückbezug zu der von Hildebrandt im vorangehenden Kapitel markierten Passage aus Assemblage, Environments & Happenings möglich gewesen wäre, in der Kaprow überraschend auf die Höhlenmalerei zu sprechen kommt, um der spezialistischen abstrakten Malerei ein im direkten, lebendigen Bezug zur Alltagspraxis stehendes Bildermachen als anthropologische Konstante entgegenzusetzen.

1 Allan Kaprow, Coca-Cola, Shirley Cannonball?, 1960, in: Assemblage, Environments & Happenings, New York 1966, 3
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Allan Kaprow, Coca-Cola, Shirley Cannonball?, 1960, in: Assemblage, Environments & Happenings, New York 1966, 3

Im dritten Teil (115–154) widmet sich der Autor der »Extension als Form« und wählt dabei den Krebsgang durch die Kaprow-Geschichte, indem er mit dessen wichtiger Einzelausstellung im Pasadena Art Museum 1967 beginnt und sich von dort zu 18 Happenings in 6 Parts im Jahr 1959 zurückarbeitet, um dabei die Entwicklung der Extension als Form von ihrem Ende her zu beschreiben – von dem Punkt an nämlich, an dem die Logik der unwiederholbaren Aufführung in eine Art Feedback-Schleife überführt wird. Er arbeitet heraus, dass diese Form nur dynamisch und sich in der Zeit erstreckend vorstellbar ist, da Kaprow in der Regel ein Konzept von gewisser Strenge als Vorwurf erarbeitete, welches anschließend performativ realisiert und angepasst wurde (118). Dass dabei ausgerechnet die Ausstellungsinstitution als Rahmung oder Kontrastfolie vom Museumskritiker Kaprow in Gebrauch genommen wurde, zeigt Hildebrandt unter anderem anhand der Ausstellung im Pasadena Art Museum, mit der Kaprow darauf abgezielt habe, die historische Genese seiner Kunst auf einmal sichtbar zu machen und diese zugleich demonstrativ mit der mehrfachen Realisierung von Fluids im Stadtraum in einen postmusealen Status zu überführen. Abermals taucht der Künstler außerdem als Verwerter und Konservator seiner eigenen Vorgeschichte auf, denn der Verfasser folgt der Spur jener Teerpappe-Seil-Konstruktion, mit der Kaprow einst im Hof der New Yorker Martha Jackson Gallery die modernen Skulpturen anderer Künstler umwickelte, um an gleicher Stelle sein begehbares Autoreifen-Environment Yard zu installieren. Sechs Jahre später baute der Künstler kurioserweise solche Objekte beim Wiederaufbau von Yard im Pasadena Museum erneut ein – fast könnte man meinen, er habe damit sicherstellen wollen, dass eben jener Eindruck von Yard vertieft wird, den er mit den Fotografien der ersten Installation gerade eben prominent in Assemblage, Environments & Happenings platziert hatte.

Nun aber hat Hildebrandt das Bild eines Künstlers gefestigt, der auffallend um den inneren Werkzusammenhang und die Herleitung seiner Praxis bemüht war. Der Aspekt der Kunstweltlichkeit Kaprows wird auch im letzten Kapitel (187–225) noch einmal vertieft, in dem Hildebrandt über das Prinzip der Reinvention nachdenkt, das der Künstler selbst in Abgrenzung zur Rekonstruktion einführte, und damit nicht weniger als den Versuch unternahm, das lebendige Nachleben seiner Kunst und das fortdauernde Durcharbeiten deren inneren Zusammenhangs vorwegzunehmen.

Zuvor allerdings befasst Hildebrandt sich im Kapitel Politik der Form (155–186) mit jenen Kräften, die »von außen« auf Kaprows Projekt wirken. Gemeint sind damit zunächst einmal die gesellschaftspolitischen Agenden der 1960er-Jahre, zu denen Kaprow mit seiner inneren Dialektik von Bewahrung und Überschreitung in entsprechend kompliziertem Verhältnis stand. Dass er politisch weniger progressiv sei, als sein konsequenter Partizipationsansatz nahelegt, wurde schon zu Lebzeiten des Künstlers als Kritik formuliert. Was allerdings ist damit nun gewonnen, wenn Hildebrandt Kaprow »als einen ›rechten‹ Avantgardisten« bezeichnet – nur um dann zu betonen, dies habe »nichts mit bestimmten politischen Überzeugungen zu tun« (157)? Hildebrandt führt im Folgenden alternative, politisch eindeutigere und die Werkform gänzlich überschreitende Positionierungen im Feld der amerikanischen New Left an, darunter Henry Flynts und George Maciunas’ heftigen Protest anlässlich einer Veranstaltung mit Musik von Karlheinz Stockhausen. Und er überlässt sich (und den Leser) dann einem langen Exkurs über LaMonte Youngs Dream House in New York. Erhellend ist der Gedanke, LaMonte Young habe sein Sound-Environment ganz ähnlich auf Dauer gestellt und zu seinen Bedingungen rezipierbar gemacht, wie dies Kaprow mit der Verquickung von Extension und Reinvention betrieben hatte, womit Hildebrandt den Versuch macht, Kaprows eigene Zuordnung, mit der dieser LaMonte Youngs Projekt als »art art« von seiner »un-art« abgrenzte, gegen den Strich zu bürsten (172). Doch geraten mit dieser Argumentationslinie vielleicht die inhaltlichen Anliegen der Werke etwas zu sehr aus dem Blick. Denn im Unterschied zu LaMonte Youngs immerwährendem Klangerlebnis verlangen Kaprows Arbeiten (auch nach 1970) von den Interpreten einen ständigen Wechsel zwischen Einfühlung und Distanznahme, Empfindung und Reflexion, Gegenwärtigkeit und intellektuellem Transfer – und sind die ausgeführten Handlungen nicht zuletzt metaphorisch immer auf soziale Interaktion und gesellschaftliche Vorgänge zu beziehen. Der »figurale Sinn«, den Hildebrandt selbst im zweiten Kapitel seines Buchs so spannungsreich einführt – man hätte ihn an dieser Stelle noch einmal produktiv machen können.

Hildebrandts Studie erlaubt sich einige Suchbewegungen und sogar den Verzicht auf ein Fazit, vermeidet dafür braves Abschreiten der Ereignisse. Zahlreiche gute Einfälle und unkonventionelle Gedankengänge machen den Text anregend und lesenswert. Dazu gehören beispielsweise die Interpretation der Figur des Sandwichman aus 18 Happenings in Six Parts, die Analyse der trickreich eingesetzten Scharnierbilder in Assemblage, Environments & Happenings oder die aufgespürte Fährte der Teerpappe-Seil-Konstruktionen. Die Stärke des Buchs liegt aber vor allem darin, Kaprows konservative, formbewusste Impulse ernstzunehmen und zu zeigen, dass die radikale Abkehr von tradierten Werkvorstellungen und malerischem Können nicht bedeutete, gleichermaßen den Glauben an die Überzeugungskraft des geschichtlich Gewordenen und eine moderne Entwicklungslogik aufzugeben. Wie Kaprow viele Jahre eine Verdichtungs- und Bezugsarbeit leistet, die von seinem eigenen Schaffen aus auch das anderer Künstler einbezieht, und so seinem Entgrenzungsprojekt Fundament, Geschichte und Werkzusammenhang stiftet, wird – in dieser Deutlichkeit formuliert – für die künftige Kaprow-Forschung von Belang sein und darüber hinaus reichende Impulse geben. Hildebrandt bringt somit auch Bewegung in allzu starre Vorstellungen der Kunst um 1960, etwa die Gleichsetzung einer antiformalistischen Position mit der Inszenierung von Formlosigkeit oder eben der eines konsequenten Bruchs zwischen Modernismus und Postmodernismus.

Und doch ist auch auf die andere Seite der Waage wieder Gewicht zu legen: Vielleicht laufen wir sonst Gefahr – wie Kaprow in seinen eigenen unbestreitbaren Widersprüchen – einer allzu betriebsinternen Sichtweise anzuhängen. Denn Kaprows Arbeiten bergen gerade in ihrer Formalität die Chance, in der Realisierung eine ganz eigen geartete Erfahrung zu machen, die grundlegende, existenzielle Themen betrifft wie die Stabilität menschlicher Beziehungen, die Kommunikation von Gefühlen, Wertschöpfungsprozesse und gesellschaftliche Sinnstiftungsarbeit. Die größten Fragen, die Kaprows Werk stellt, sie weisen über den Kosmos der Kunstgeschichte deutlich hinaus.

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Clara Wörsdörfer

Clara Wörsdörfer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sie wurde 2022 mit einer Arbeit zu Allan Kaprows Activities der 1970er-Jahre promoviert.

  1. Abbildungsnachweis: 1 aus: Allan Kaprow, Assemblage, Environments & Happenings, New York 1966, 3.

Published Online: 2023-06-10
Published in Print: 2023-06-27

© 2023 Clara Wörsdörfer, published by De Gruyter

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Downloaded on 17.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/zkg-2023-2009/html
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