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Bürokratieabbau konkret: Der Nationale Normenkontrollrat als Impulsgeber für Bessere Rechtsetzung, Verfahrensbeschleunigung und digitaltaugliches Recht

  • Sabine Kuhlmann EMAIL logo und Patrick Eckner
Veröffentlicht/Copyright: 21. November 2023
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Abstract

Since the 1990s, a number of governments in Germany and Europe have put better regulation and bureaucracy reduction on the political agenda and implemented corresponding reforms. In the face of increasing international competition, a growing body of regulation and the need to maintain and strengthen the legitimacy of legislative action, reforms are aimed at reducing regulatory compliance costs and the bureaucratic burden that regulations place on businesses, citizens and public administration.

Germany’s National Regulatory Control Council (NKR) was set up in 2006 on the basis of the Act Establishing a National Regulatory Control Council. In its structure, procedures and methodology, the NKR represents a new approach to institutionalising better regulation.

This article looks at the core task of the NKR, namely “bureaucracy checks”, and at a number of recent proposals issued to the German government by the NKR in its advisory role. An examination of changes in bureaucracy and compliance costs is followed by an outline of areas in which the NKR advocates action. Proposals relate to planning and approval processes and to the feasibility and digital-readiness of legislation.

I. Einleitung[1]

Seit dem Ende der 1990er Jahre haben verschiedene Regierungen in Deutschland und Europa die Themen von Besserer Rechtsetzung (Better Regulation) und Bürokratieabbau auf die politische Agenda gesetzt und entsprechende Reformen durchgeführt (vgl. Kuhlmann/Veit 2021; Schurig 2020: 15). Unter dem Druck eines zunehmenden internationalen Wettbewerbs, wachsender Regulierungsdichte und verstärkter Anforderungen an die Legitimität gesetzgeberischen Handelns zielen diese Reformen darauf ab, die Folgekosten des Gesetzesvollzugs und die bürokratischen Belastungen, die Regulierungen für Unternehmen, Bürger[2] und Verwaltung mit sich bringen, zu reduzieren. Es geht jedoch nicht nur um die Eindämmung von Normenflut und Überregulierung, sondern auch darum, die Wirksamkeit und Vollzugstauglichkeit von Vorschriften zu verbessern, um generell staatliche Handlungsspielräume und -fähigkeit zurückzugewinnen. Zudem sollen die Wirksamkeit und der Nutzen politischer Steuerungseingriffe unter Berücksichtigung nicht-intendierter Nebenfolgen, Akzeptanzeffekte und Praxistauglichkeit des Rechts verbessert werden. Somit zielen Better Regulation und Bürokratieabbau – als integrierte Konzepte – nicht nur auf Kosteneinsparungen und Effizienzgewinne ab, sondern die Wirksamkeit des politisch-administrativen Handelns und die Funktionsfähigkeit des Staates stellen zentrale Zieldimensionen dar (vgl. Kuhlmann/Veit 2021). In Deutschland sind Reformen von Bürokratieabbau und Better Regulation vorranging auf den exekutiven Rechtsetzungsprozess und nicht auf das parlamentarische Verfahren gerichtet, was dadurch begründet ist, dass Gesetzesinitiativen in Deutschland mehrheitlich aus der Exekutive kommen und die entsprechenden Regulierungen in der Ministerialverwaltung (von Legisten) vorbereitet und formuliert werden (vgl. Kuhlmann/Veit 2013).

Better Regulation und Bürokratieabbau sind nicht auf bestimmte Politikbereiche beschränkt, sondern stellen eine Querschnittspolitik dar (vgl. Kuhlmann/Veit 2021). Diese ist darauf gerichtet, „Politikgestaltung und Regulierung mittels Standards und Verfahren zu verbessern, nach denen regulatorische Entscheidungsfindung in verschiedenen Politikbereichen zu erfolgen hat“ (vgl. Bunea/Ibenskas 2017: 591; Übersetzung S.K.). Daher können Better Regulation und Bürokratieabbau als institutionelle Politik (vgl. Kuhlmann/Wollmann 2019; Kuhlmann/Heuberger, 2021) oder als Metaregulierung (vgl. Radaelli/Meuwese 2009) aufgefasst werden, die quer zu den klassischen Ressortgrenzen verläuft. Sie umfasst Werkzeuge und Instrumente, die der Verbesserung der Qualität sowohl des Prozesses als auch des Ergebnisses der Rechtsetzung dienen und die auf die Optimierung der institutionellen und prozeduralen Architektur von Rechtsetzungsregimen gerichtet sind. Regelungsentwürfe der Regierung sollen dadurch verbessert werden, dass zusätzliche „Spielregeln“ für die gesetzesvorbereitende Ministerialverwaltung festgelegt werden, deren Einhaltung durch unabhängige Gremien (in Deutschland durch den Nationalen Normenkontrollrat) überwacht wird.

Der Nationale Normenkontrollrat (NKR), welcher 2006 in Deutschland auf der Grundlage des Normenkontrollratsgesetzes (NKRG) eingerichtet wurde, stellt in organisatorischer, verfahrensmäßiger und methodischer Hinsicht eine neue Form der Institutionalisierung von Better Regulation dar. Das zehnköpfige unabhängige Beratungs- und Kontrollgremium unterstützt die Bundesregierung in Fragen von Better Regulation und Bürokratieabbau mittels eines breiten Repertoires von Instrumenten und Werkzeugen, die mehr oder weniger formal festgeschrieben und verfahrensmäßig verankert sind. Das Kerngeschäft des NKR besteht darin, alle neuen Regelungsentwürfe der Bundesregierung im Hinblick auf die methodengerechte Ermittlung des Erfüllungsaufwands zu prüfen, der für Bürger, Unternehmen und Verwaltung aus der Umsetzung dieser Regelung resultiert, wobei die politischen Zielsetzungen der Regelungen nicht Gegenstand der Prüfung sind. Der NKR – bis 2021 im Bundeskanzleramt, danach im Bundesministerium für Justiz angesiedelt – untersteht dabei weder der Aufsicht der Regierung noch einer anderen Behörde (§ 1 Abs. 1 NKRG). Die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit des NKR werden auch durch seine gesetzliche Verankerung unterstrichen, so dass im Unterschied zu den meisten anderen Beratungsgremien der Bundesregierung für die Auflösung des NKR eine parlamentarische Mehrheit erforderlich ist.

Im Folgenden sollen zum einen das Kerngeschäft des NKR als „Bürokratie-TÜV“ und zum anderen einige aktuelle NKR-Positionen, die er im Rahmen seines Beratungsmandats gegenüber der Bundesregierung artikuliert hat, betrachtet werden. Zunächst wird die Entwicklung von Bürokratiekosten und Erfüllungsaufwand, deren methodengerechte Prüfung das Kerngeschäft des NKR bildet, untersucht. Sodann werden Handlungsbereiche im Kontext der NKR-Beratungstätigkeit adressiert, die sich auf Fragen der Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie auf die Praxis- und Digitaltauglichkeit des Rechts (Stichworte: Praxischeck, Digitalcheck) beziehen.

II. Bürokratiekosten und Erfüllungsaufwand – das Kerngeschäft des NKR

Bis 2011 war es die Hauptaufgabe des NKR, nach § 4 Abs. 2 NKRG Gesetzes- und Verordnungsentwürfe der Bundesministerien sowie Entwürfe für allgemeine Verwaltungsvorschriften vor deren Vorlage beim Bundeskabinett im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze einer standardisierten Bürokratiekostenmessung mit Hilfe des Standardkosten-Modells[3] (SKM) zu überprüfen. Bürokratiekosten sind dabei zu verstehen als Kosten, „die natürlichen oder juristischen Personen durch Informationspflichten entstehen. Informationspflichten sind auf Grund von Gesetz, Rechtsverordnung, Satzung oder Verwaltungsvorschrift bestehende Verpflichtungen, Daten und sonstige Informationen für Behörden und Dritte zu beschaffen, verfügbar zu halten oder zu übermitteln.“ (§ 2 Abs. 2 NKRG). Typische Beispiele für Informationspflichten sind anzufertigende Statistiken, Formulare oder Berichtspflichten. Um die Bürokratiekosten zu errechnen, wird der zur Erfüllung staatlicher Informationsanforderungen verbundene Zeit- und Kostenaufwand abgeschätzt. Die Daten werden anschließend mit dem Tarif, der Häufigkeit der Erfüllung und der Anzahl der Fälle multipliziert. Am Ende steht eine monetäre Angabe zu den mit einer Rechtsvorschrift, einem Rechtsbereich oder einem bestimmten Ereignis (z. B. Unternehmensgründung) verbundenen Bürokratiekosten (vgl. NKR, 2011: 21). Bürokratiekosten beinhalten gem. § 2 Abs. 2 S. 3 NKRG konkret alle Aktivitäten, bei denen Daten oder Informationen für Behörden oder Dritte beschafft, aufbewahrt oder übermittelt werden müssen (Destatis, 2022: S. 18).

Allerdings war die mangelnde Spürbarkeit von Bürokratieabbaumaßnahmen und der SKM-basierten Bürokratiekostenabschätzung im Gesetzgebungsverfahren eine wesentliche Ursache dafür, dass das Mandat des NKR im Jahr 2011 erweitert wurde. Bundesministerien müssen seitdem nicht mehr nur die Bürokratiekosten von Gesetzes- und Verordnungsentwürfen detailliert ausweisen, sondern den gesamten, mit einem Regelungsentwurf einhergehenden Erfüllungsaufwand für Bürger, die Wirtschaft sowie die Verwaltung darstellen (§ 44 Abs. 4 GGO). Der Erfüllungsaufwand umfasst neben den Bürokratiekosten sämtliche Kosten, die den Adressaten aus den inhaltlichen Vorgaben einer Regelung entstehen (§ 2 Abs. 1 NKRG). Der Zweck einer Darstellung des Erfüllungsaufwandes besteht nicht nur in der Herstellung von Transparenz über die Kostenfolgen des Regelungsvorhabens, sondern auch darin, ein Nachdenken über bürokratiearme Alternativen anzuregen und auf diese Weise den Erfüllungsaufwand möglichst gering zu halten.

Betrachtet man die Entwicklung der Bürokratiekosten im engeren Sinne (Informations-, Dokumentations-, Berichtspflichten von Unternehmen), so zeigt sich, dass die bisherigen Anstrengungen zur Begrenzung der Bürokratiekosten nicht zu einer tatsächlich beobachtbaren Trendwende beim Bürokratieabbau geführt haben (vgl. Destatis, 2023). Dies lässt sich anhand des Bürokratiekostenindex (BKI) nachvollziehen, der die Entwicklung der bürokratischen Belastungen für die Wirtschaft durch Informationspflichten aus Bundesregelungen seit Januar 2012 abbildet. Beginnend mit einem Basiswert von 100, der für das Gesamtvolumen der Bürokratiekosten zu Beginn der Messung steht, bedeutet ein BKI von 102 einen Anstieg von 2 % an Bürokratiekosten im Vergleich zum initialen Basiswert.

Bereits mit Kabinettbeschluss vom 28. Februar 2007 hatte sich die Bundesregierung das Ziel gesetzt, bis 2012 die Bürokratiekosten um 25 % zu senken. Referenziert auf eine Ausgangsbelastung von 49,3 Mrd. Euro hätte dies einem Abbau von Bürokratiekosten in Höhe von 12,3 Mrd. € entsprochen. Bis Ende 2011 wurde dann immerhin eine Entlastung von 11 Mrd. € (22,5 %) festgestellt. Die verbleibende Lücke sollte dann mit noch im Folgejahr zu verabschiedenden Maßnahmen, wie der Abschaffung der Praxisgebühr oder dem E-Government-Gesetz, erreicht werden (vgl. NKR, 2013: 77). Die Bundesregierung hatte sich mit Einführung des BKI dann das Ziel gesetzt, dieses Ausgangsniveau immerhin dauerhaft zu halten. Allerdings musste kaum nach Implementierung des BKI beobachtet werden, wie über den Folgezeitraum von drei Jahren das bis 2012 mühsam erreichte 25 %-Abbauvolumen durch neue Erfüllungsaufwände, wie durch zusätzliche Beratungsprotokolle bei der Vermittlung von Finanzanlagen, die Regulierung des Hochfrequenzhandels oder auch Meldepflichten für Bankkonten mit Steuerbezug zu den USA, praktisch wieder „aufgezehrt“ worden ist (vgl. NKR, 2014: 17, 23). Das zeigt, dass konkrete Zielvorgaben zwar zu messbaren Abbauerfolgen führen können, es aber besonderer Anstrengungen bedarf, um das erreichte Niveau aufrechtzuerhalten oder weiter zu senken. Umso wichtiger sind konkrete Zielfestlegungen, die den berühmten „Druck im System“ aufrechterhalten und so einen Anreiz bieten, um messbar und nachhaltig zur Bürokratiekostenbegrenzung und -verminderung beizutragen.

Allerdings besteht ein Problem darin, dass der BKI keine konsistente Entwicklung und schon gar nicht einen linear absteigenden Trend aufweist. Stattdessen gab es seit Beginn der Messung bis 2015 einen Trendanstieg, der bis 2016 zwar zunächst etwas abnahm, dann aber von 2016 bis 2019 sowie in der jüngsten Zeit wieder klar aufsteigend war. M.a.W., nach dem Auslaufen des 25 % Ziels gab es keinen stabilen Abwärtstrend im BKI, was Anlass zu der Frage gibt, welche weiteren Mechanismen zur Verfügung stehen, um im Rechtsetzungsprozess wirksame Anreize zur Reduzierung von Bürokratiekosten und Erfüllungsaufwand zu setzen. Einen wesentlichen Hebel hierzu stellt die durch die Bundesregierung im Jahre 2015 eingeführte sog. „One in one out (OIOO)“-Regel dar. Diese zielt darauf ab, den Erfüllungsaufwand dadurch zu reduzieren, dass jeder Euro an Erfüllungsaufwand, der durch eine belastende Maßnahme entsteht, ausgeglichen wird, indem eine gleichwertig entlastende Maßnahme verabschiedet wird (vgl. NKR, 2016: 31). Allerdings hat auch die OIOO-Regel ihre Grenzen, da sie sich bislang ausschließlich auf den Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft beschränkt und den breiten Bereich des EU-Rechts, der mehr als 50 % der Folgekosten von Regulierungen ausmacht, sowie Belastungen für die öffentliche Verwaltung und Bürger ausklammert (vgl. BMJ, 2022: 13). Daher könnte man hier auch von einer „Realitätslücke“ bei der Erfüllungsaufwandsmessung und -begrenzung mittels der OIOO-Regel sprechen (vgl. NKR, 2021: 80), die teils auch erklären mag, warum statistisch messbare Entlastungen bei den Unternehmen faktisch kaum spürbar sind.

Insgesamt zeigen die bisherigen Erfahrungen mit unterschiedlichen Instrumenten des Bürokratieabbaus und der Besseren Rechtsetzung, dass einerseits die Betrachtung der Bürokratiekosten allein (Informations-, Dokumentations- etc. -pflichten für Unternehmen) deutlich zu kurz greift, aber andererseits auch weitergehende Ansätze zur Begrenzung des Erfüllungsaufwands bisher nicht den gewünschten Erfolg gezeitigt haben, was aus den verfügbaren Datenzeitreihen ersichtlich wird. Betrachtet man die Entwicklung der Veränderung des jährlichen Erfüllungsaufwands insgesamt, so zeigt sich, dass dieser durch neue bundesrechtliche Vorschriften signifikant zugenommen hat (s. Abbildung 1).

Abbildung 1: Entwicklung der Veränderung des jährlichen Erfüllungsaufwands für Wirtschaft, Bürger, Verwaltung und Gesamt
Quelle: Eigene Darstellung.
Abbildung 1:

Entwicklung der Veränderung des jährlichen Erfüllungsaufwands für Wirtschaft, Bürger, Verwaltung und Gesamt

Quelle: Eigene Darstellung.

Daher stellt sich zum einen die Frage, wie die OIOO-Regel realitätsgerechter ausgestaltet werden könnte, indem z. B. das EU-Recht und auch weitere Adressaten (Bürger, Verwaltung) einbezogen werden. Zum anderen geht es um Bereiche von Bürokratieabbau und Better Regulation, die über die enge Betrachtung von Regulierungskosten hinausgehen und eine breitere Perspektive, insbesondere unter stärkerer Berücksichtigung der Verwaltung und des Vollzugs, einnehmen, wozu im Folgenden zwei – mit Blick auf die Thematik dieses Forums – besonders dringliche Handlungsbereiche herausgegriffen werden: die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie die Praxis-, Vollzugs- und Digitaltauglichkeit des Rechts.

III. Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren

Die Beschleunigung von Verfahren ist als ein zentraler Hebel anzusehen, um bürokratische Entlastungen für Staat und Wirtschaft freizusetzen und wichtige Infrastrukturinvestitionen in vertretbaren Fristen umzusetzen. Vor diesem Hintergrund hat sich der NKR seit längerem mit der Thematik der Verfahrensbeschleunigung befasst und auch explizit die Initiative der Bundesregierung für einen Pakt zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren unterstützt, etwa im Rahmen eines Positionspapiers, welches die in dem Pakt umrissenen Maßnahmen und Prüfaufträge zu konkretisieren versucht und darüber hinaus wichtige, aber bislang unberücksichtigte Vorschläge einbringt. Neben der Verfahrensoptimierung, Digitalisierung und Standardisierung dürfte sich eine wesentliche Beschleunigungswirkung aus der Vereinfachung des materiellen Rechts ergeben, was allerdings im Einzelnen durchaus schwierige Abwägungsprozesse mit sich bringt. Dabei besteht die Grundidee darin, den Prüfumfang materiell auf das erforderliche Minimum zu reduzieren und im Hinblick auf europäische Rechtsetzung nicht über eine 1:1 Umsetzung europarechtlicher Vorgaben hinauszugehen. Als Beispiel für eine problematische „Übererfüllung“ von EU-Recht durch nationales Recht kann der Anhang der Verordnung für genehmigungsbedürftige Anlagen, u. a. aus den Bereichen der Wärmeerzeugung, des Bergbaus oder auch der Metallverarbeitung, im Bundes-Immissionsschutzgesetz[4] dienen: In dieser werden auch solche Anlagen geführt, die nach der relevanten EU-Richtlinie[5] über Industrieimmissionen nicht genehmigungsbedürftig wären, aber für die mit diesem nationalen Recht eine Genehmigungspflicht vorgesehen ist (vgl. NKR, 2023: 5). Weiteres Beschleunigungspotenzial bieten die Möglichkeit der materiellen Präklusion: Das bedeutet, dass Einwände, die nicht innerhalb einer vorgegebenen Frist geltend gemacht werden, auch im künftigen Verfahrensverlauf ausgeschlossen sind. Eine unionsrechtlich zulässige Form dessen forciert ebenfalls der Koalitionsvertrag der 20. Legislaturperiode (vgl. NKR, 2023: 5). Außerdem empfiehlt der NKR die Einführung von Stichtagsregelungen bei Planungs- und Genehmigungsverfahren, die es ermöglichen, dass in den teils lange dauernden Verfahren Antragsunterlagen bei Änderungen von Vorgaben nicht zeitintensiv bis zum Zeitpunkt der Genehmigung angepasst bzw. aktualisiert werden müssen, sondern auf den Zeitpunkt einer Vollständigkeitserklärung fixiert werden können. Der NKR empfiehlt auch die Förderung und Nutzung möglicher indirekter Beschleunigungseffekte, z. B. durch die Vereinfachung von Großraum- und Schwerlasttransporten (vgl. NKR, 2023: 6). Ein erhebliches Beschleunigungspotenzial liegt des Weiteren in der Einführung verbindlicher Fristen für die Bestätigung der Vollständigkeit von Unterlagen durch Genehmigungsbehörden. Bei Fristüberschreitung könnte die Fiktion der Vollständigkeit des Antrags gelten. Außerdem sollten Erörterungstermine in Genehmigungsverfahren (§ 10 Abs. 4 Nr. 3 BImSchG) nur noch bei wirklicher Erforderlichkeit, deren Kriterien zu definieren wären, durchgeführt werden (vgl. NKR, 2023: 7). Durch präzise und einheitliche Vorgaben kann des Weiteren im Bereich des Natur- und Artenschutzes der Vollzug erheblich vereinfacht und beschleunigt werden, wenn einheitliche Standards die Komplexität von Einzelentscheidungen reduzieren und die Rechtssicherheit erhöhen. Zu einer solchen Standardisierung gehören am Beispiel des Bereichs der Windenergie u. a. einheitliche Erfassungs- und Bewertungsmethoden, Signifikanzschwellen und abschließende Listen kollisionsgefährdeter und störungsempfindlicher Arten (vgl. NKR, 2023: 10).

Beschleunigungseffekte sind zudem über die Digitalisierung von Verfahren zu erreichen. Hier ist zum einen an die Festlegung von Standards, Datenformaten und Schnittstellen zu denken, welche die Entwicklung von kompatiblen IT-Komponenten ermöglicht und auch bei der Entwicklung von OZG-Leistungen zu berücksichtigen wäre. Zum anderen dürfte die vollständig digitale Abwicklung von Genehmigungsverfahren über Kollaborationsplattformen eine erhebliche Verfahrensbeschleunigung bewirken. Allerdings ist daran zu erinnern, dass der Mangel an qualifiziertem Personal in den Behörden, der auch darin sichtbar wird, dass vorhandene Planstellen oftmals nicht besetzt werden können, Planungs- und Genehmigungsverfahren erheblich verlangsamt. Neben der Digitalisierung und, wo sinnvoll, Automatisierung von Prozessen ist hier auch verstärkt über effizienzsteigernde Varianten des Personaleinsatzes nachzudenken, wie etwa über Poollösungen von Fachspezialisten, die auf Landesebene oder durch interkommunale Zusammenarbeit etabliert werden könnten, oder auch über den vermehrten Einsatz von externen Projektmanagern für größere und/oder spezifischere Vorhaben. Insgesamt könnte eine verstärkt projektorientierte Verfahrenssteuerung, die mit den Instrumenten eines transparenten Monitorings, einer stringenten Zeit- und Ressourcenplanung, Kennzahlen und verbindlichen Entscheidungsstrukturen operiert, zur Beschleunigung und Ressourcenschonung bei der Planung und Genehmigung von Vorhaben beitragen.

Zu einem solchen Monitoring und zur transparenten Ergebniskontrolle ist auch die evidenzbasierte Überprüfung des von der Bundesregierung gesetzten ehrgeizigen Ziels zu zählen, die Verfahrensdauern zu halbieren. Bislang gibt es weder Verfahren noch Messinstrumente, um die Zielerreichung in diesem Bereich nachvollziehbar zu prüfen (und ggf. Abweichungen kausal erklären zu können). Vor diesem Hintergrund schlägt der NKR vor, Beschleunigungseffekte bei Verwaltungsverfahren zukünftig in der Gesetzesfolgenabschätzung zu berücksichtigen und auch die Beschleunigungswirkung von neuen Regulierungen ex-post zu evaluieren, was durch eine Ergänzung der Justizstatistik und die Schaffung einer entsprechenden Datengrundlage zu unterstützen wäre (vgl. NKR, 2023: 10 ff.).

IV. Praxis-, Vollzugs- und Digitaltauglichkeit in der Gesetzgebung

Ein Kernelement guter Rechtsetzung ist die Praxis- und Vollzugstauglichkeit von Regulierungen, welche auch die Digitaltauglichkeit einschließt. Hierzu hat der NKR ebenfalls eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, von denen im Folgenden einige beispielhaft herausgegriffen werden sollen. Derzeit gibt es dafür keine klaren Regeln, und oft werden nur große Verbände gehört. Zum einen ist die Perspektive der Adressaten einer Regelung sowie der Vollzugsebene stärker und zu einem früheren Zeitpunkt in den Rechtsetzungsprozess einzubeziehen, um nicht erst nach der Konsentierung eines ausformulierten Rechtstextes Vollzugs- und Umsetzungsfragen zu adressieren, sondern frühzeitig im Prozess (vgl. NKR, 2019a: 10). Eine solche strukturelle Veränderung im Rechtsetzungsprozess erleichtert es, Anpassungen und Optimierungen im Hinblick auf vollzugsbezogene und digitalrelevante Fragestellungen vorzunehmen, die zu einem späteren Zeitpunkt kaum mehr möglich sind. Frühzeitige Einbindung meint dabei gerade nicht erst im Rahmen der Länder- und Verbändebeteiligung, die ohnedies inzwischen fast durchweg mit zu knappen Fristen versehen ist, oder zu einem Zeitpunkt, wenn Bundesregelungsentwürfe schon knapp vor der Kabinettsbefassung stehen. Stattdessen wäre eine solche Beteiligung sinnvoll, bevor der erste Paragraph geschrieben ist. Hierzu könnten sich, insbesondere bei komplexen vollzugsbedürftigen Regelungsvorhaben, sog. Gesetzgebungslabore anbieten, in denen Experten und Betroffene gemeinsam Lösungsoptionen entwickeln und testen, ohne langwierige Verfahren durchlaufen zu müssen.

Ein weiteres Instrument, welches sicherstellen soll, dass vollzugs- und speziell digitalisierungsbezogene Fragen von neuen Regulierungen systematisch und frühzeitig im Prozess adressiert werden, stellt der sog. „Digitalcheck“ dar, der mit der Änderung des NKRG zum 01.01.2023 für alle Ressorts verbindlich eingeführt wurde und nunmehr vom NKR für jedes neue Regelungsvorhaben geprüft wird. Der Digitalcheck hat zum Ziel, die Verwaltungsdigitalisierung bereits im Regelungstext selbst zu berücksichtigen und zu gewährleisten, dass die Legisten bei der Konzipierung neuer Regelungen potentielle Fragen des digitalen Vollzugs grundsätzlich mitdenken (müssen). Dabei stellt die Prozessvisualisierung als Teil der Dokumentation des Digitalchecks (vgl. Goebel, 2023: 20) ein probates Mittel dar, um die Schritte und Schnittstellen des Verwaltungsvollzugs „vorzudenken“, visuell sichtbar zu machen und auf dieser Grundlage dafür Sorge zu tragen, dass Regelungskomponenten, die digitale Bezüge aufweisen, auch mit entsprechenden digitalen Lösungsräumen versehen werden („Digitaltauglichkeit“).

Die Prozessvisualisierung kann, insbesondere bei komplexen Behördenzuständigkeiten und vielschichtigen Schnittstellenkonstellationen, eine Hilfestellung bieten, um mehr Klarheit über den Umsetzungsprozess einer Regelung zu gewinnen und entsprechende Digitalisierungspotentiale aufzudecken: Wo findet Austausch zwischen Normenadressaten statt? Ist dieser noch mit Schriftformerfordernissen hinterlegt oder kann dieser auf elektronischen Wegen stattfinden? Wo können Automatisierungsregeln zur Beschleunigung implementiert und an welchen Stellen im Verfahren können, anstelle von Dateneingaben i. S. v. Informationspflichten, die gesetzliche Ermöglichung von Datenabrufen zum Bürokratieabbau platziert werden? Vor diesem Hintergrund sind Digitaltauglichkeit und Verwaltungsvereinfachung/Bürokratieabbau auch in engem Zusammenhang zu sehen, wenn bspw. vielfältige Informationspflichten im Analogformat durch gesetzlich ermöglichte Datenabrufe i. S. d. Once-Only-Regel substituiert werden (vgl. NKR, 2019b: 4). Da die Ergebnisse des Digitalchecks noch nicht im Begründungsteil von Gesetzesentwürfen enthalten sind, veröffentlicht der NKR in seinen Stellungnahmen die entsprechenden Ausführungen der Ressorts und, wenn vorliegend und fachlich hinreichend geeignet, zugehörige Prozessvisualisierungen. Inwieweit der Digitalcheck tatsächlich zu mehr digitaltauglichem Recht führt, was ja letztlich das Ziel der Übung ist, bleibt mit Blick auf seine weitere Institutionalisierung in den Ressorts und konkrete Anwendung im Rechtsetzungsprozess abzuwarten. Auch dieser Frage wird sich der NKR zukünftig vermehrt annehmen.

Fazit und Ausblick

In einem Zeitalter, das von ständigem Wandel, rascher technologischer Entwicklung und dem Phänomen von Polykrisen geprägt ist, wird die Zukunftsfähigkeit von Staat und Verwaltung zunehmend zu einem Schlüsselfaktor, der mithin auch das Vertrauen in Institutionen und die demokratische Legitimität des Regierungssystems bestimmt. Im vorliegenden Beitrag wurden aus dieser größeren Debatte drei Aspekte herausgegriffen, denen aus Sicht der Autoren ein besonderer Stellenwert zukommt: Erstens liegt im Abbau solcher Regulierungen und Vorschriften, die nicht erforderlich sind, um ein politisch gewünschtes Ziel zu erreichen, d. h. „unnötiger“ Bürokratie, sowie im Ansatz der Besseren Rechtsetzung ein wichtiger Hebel, um Staat und Verwaltung zukunftsfähiger und Rechtsetzung wirksamer zu machen. Zum anderen wurde – als Beispiel für eine solche Agenda – das Modernisierungspotential von beschleunigten und vereinfachten („entbürokratisierten“) Planungs- und Genehmigungsverfahren aufgezeigt, die nicht zuletzt notwendig sind, um wichtige Zukunftsinvestitionen in vertretbaren Zeithorizonten tätigen und im Standortwettbewerb „überlebensfähig“ bleiben/werden zu können. Drittens wurde in diesem Beitrag herausgearbeitet, mittels welcher Mechanismen eine verstärkte Praxis-, Vollzugs- und Digitaltauglichkeit des Rechts erreicht werden und so dazu beigetragen kann, einerseits Verwaltungsprozesse effektiver und effizienter zu gestalten sowie andererseits die Legitimität staatlichen Handelns generell zu verbessern. Im Ergebnis sollte deutlich geworden sein, dass Bürokratieabbau und Bessere Rechtsetzung mitnichten technokratische oder „neoliberale“ Ansätze sind, sondern dass sie eine – oftmals vernachlässigte und in der Politik bisweilen verkannte – Demokratiedimension, also letztlich dezidiert politische Komponente, aufweisen.

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Online erschienen: 2023-11-21
Erschienen im Druck: 2023-11-17

© 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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