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Editorial (Deutsch)

  • Carmen Mellado Blanco and Fabio Mollica
Published/Copyright: December 7, 2022
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Liebe Leserinnen, liebe Leser

In der diesjährigen Ausgabe lassen sich einige Schwerpunkte erkennen. Zum einen zeigt sich ein deutliches Interesse an Kollokationen aus mono- und bilingualer Sicht, sowohl im Bereich der Umgangssprache, als auch in den Fachsprachen. Die Kollokationsforschung wird darüber hinaus im Rahmen von phraseographischen und korpuslinguistischen Fragen in Bezug auf das Spanische, Englische und Italienische behandelt. Ebenso empirisch und/oder korpuslinguistisch orientiert sind die Beiträge zu den lexical bundles im akademischen Englischen, zu den sprichwörtlichen Markern im Deutschen, zur Idiom-Semantik sowie zur umgangssprachlichen Phraseologie des Syrisch-Arabischen. Was die untersuchten Sprachen anbelangt, bietet das neue Heft anregende Phraseologiestudien zum genuesischen Dialekt, Italienischen, Englischen, Spanischen, Deutschen und syrischen Arabischen.

In ihrem Beitrag zur Dialektphraseographie schlägt Erica Autelli (Universität Innsbruck, Österreich) im Rahmen ihres GEPHRAS2-Projektes eine Reihe von Parametern zur lexikographischen Beschreibung von Kollokationen und Idiomen des genuesischen Dialektes und des Italienischen vor. Die Autorin bietet interessante Lösungen für die besonders problematische Konzipierung von Beispielen im Genuesischen, da – wie generell bei Dialekten – nicht immer frei zugängliche Korpora verfügbar sind und die Belegbeispiele vom Lexikographen ad hoc gebildet werden müssen. Der Artikel von Elena Dal Maso (Universität Venedig, Italien) beschäftigt sich ebenso mit phraseographischen Fragen des Italienischen, aber in diesem Fall ist die Kontrast- und Ausgangssprache das Spanische. Den Untersuchungsgegenstand bilden hierbei komplexe Kollokationen mit der Struktur [Verb + adverbiales Phrasem] aus dem Diccionario fraseológico multilingüe digital. Diese Einheiten befinden sich an der Schnittstelle zwischen Idiomen und Kollokationen, und deren Lemmatisierung in den Wörterbüchern erweist sich aus diesem Grund als hochkomplex. Ein weiterer Aufsatz zum Thema der italienischen Kollokationen aus lexikographischer Sicht stammt von Laura Giacomini (Universität Heidelberg/Hildesheim, Deutschland). Darin wird korpusbasiert das Verhalten von Konstituenten einfacher und komplexer fachsprachlicher Kollokationen des Englischen und Italienischen aus dem Bereich der Photovoltaiktechnik beschrieben. Besonders hervorgehoben wird dabei die Rolle des Kontextes bei den hochproduktiven komplexen Kollokationen, denn er bestimmt die Struktur und Form der–eingebetteten, argumentativen oder entfernten – Kollokationskomponenten. Der Beitrag von James O’Flynn (Universität Warwick, England) fokussiert ebenso auf Fachphraseme, in diesem Fall jedoch aus dem akademischen Diskurs. Untersucht werden hierbei die sogenannten lexical bundles, d.h. rekurrente Mehrwortketten mit funktionalen Eigenschaften, die unabhängig von ihrem strukturellen idiomatischen Status rein quantitativ erhoben werden. Die korpusbasierte Analyse von englischen akademischen Texten der Geisteswissenschaften deutet darauf hin, dass eine kleine Anzahl von lexical bundles (n=47) in solchen Texten über alle Genres, Ebenen und Institutionen hinweg vorkommt und anhand von CALL-Ressourcen aufgefunden werden kann.

Carla Spellerberg (Goethe-Universität Frankfurt, Deutschland) geht in ihrer empirischen Studie der Frage des Proverbialitätsgrades nach, wobei sie sich auf Aroras Modell der sprichwörtlichen Marker (1984) bei deutschen Parömien stützt. Ziel Spellbergs Forschung ist die Erstellung einer Hierarchie von primär syntaktischen und semantischen sprichwörtlichen Markern, die einen wesentlichen Aspekt der sprachlichen Sprichwortdefinition darstellen und den muttersprachlichen SprecherInnen die erfolgreiche Identifizierung von unbekannten Sprichwörtern im Diskurs gewährleisten soll. Vor diesem Hintergrund werden sogar erfundene Sprichwörter, die dennoch erkennbare Marker enthalten, von den Versuchspersonen als echt wahrgenommen. Die Semantik der deutschen Idiome ist das Thema von Anna Sulikowskas (Universität Szczecin, Polen) Beitrag. Auf der Basis von großen elektronischen Textkorpora setzt sie sich die Herausarbeitung eines Instrumentariums zur Auseinanderhaltung von kontextsensitiven Bedeutungsvarianten und Subbedeutungen zum Ziel. Im Rahmen der kognitiven Linguistik und der Prototypentheorie gelingt es der Autorin zu beweisen, dass in der Idiomatik Überlappungen, Grenzfälle und kontinuierliche Übergänge der Bedeutungen eher die Norm als die Ausnahme sind. Die Reihe der Artikel schließt mit dem Aufsatz von Carmen Berlinches Ramos (Complutense-Universität Madrid, Spanien) ab, in dem sie sich mit der bisher wenig erforschten Phraseologie der syrisch-arabischen Umgangssprache auseinandersetzt. Zu diesem Zweck analysiert die Autorin 151 Idiome aus sieben bekannten Fernsehserien, indem sie sowohl ihre idiomatische Bedeutung als auch deren morphologische, lexikalische und syntaktische Merkmale unter die Lupe nimmt. Durch diese korpusbasierte Studie werden auffällige Parallelen – insbesondere bei Somatismen – nicht nur zu weiteren arabischen Sprachvarietäten, sondern auch zu manchen Westsprachen Europas aufgedeckt.

Sechs Rezensionen zu wichtigen Publikationen der letzten zwei Jahre runden den Band ab. Die große thematische Breite dieser Buchbesprechungen – zur Schnittstelle zwischen Konstruktionsgrammatik und Phraseologie, zu Anti-Sprichwörtern, zu Modifikationen in polnischen Presse-Überschriften, zur polnischen und französischen Phraseologie und zur übereinzelsprachspezifischen figurativen Sprache – zeigt die erfreuliche Vielfalt der aktuellen Phraseologieforschung in den östlichen und westlichen europäischen Sprachen und bildet einen Anreiz zur Untersuchung von neuen Themenfeldern.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen!

Santiago de Compostela und Mailand, im Juni 2022

Published Online: 2022-12-07
Published in Print: 2022-12-16

© 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 14.12.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/phras-2022-0002/html
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