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Das Charisma der Freundschaft, oder: Wodurch eine Feier zum Fest werden kann

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Published/Copyright: March 14, 2016

Zusammenfassung

Ausgehend von Friedrich Hölderlins Hymne „Friedensfeier“ formuliert der Essay (1) die Hypothese, dass es der Geist der Freundschaft ist, der eine Feier, die man willentlich planen und inszenieren kann, in ein Fest verwandeln kann, das die Freunde erhoffen, dessen Glanz und Glück sie aber nicht erzeugen können. Er klärt (2) die semantischen Profile und die neuzeitliche Veränderung in der Beziehung zwischen dem inszenierten, oft sozial instrumentalisierten Feierritus und dem Fest, dessen Emergenz z. B. mit affektiven Erregung begleitet wird. Er kritisiert (3) Definitionen des „Wesens“ des Festes (Exzess vs. Besinnung) und religiös-utopische Versuche, Fest und Alltag zu verschmelzen. (4) Auch phänomenologische Definitionen des Festes als „das Andere des Alltags“ erreichen noch nicht den kulturellen Unterschied zwischen Feier und Fest. Dieser unterschied lässt sich aber idealtypisch beschreiben, wenn man die charismatische Genese außeralltäglicher kultureller Praxis analysiert. (5) identifiziert das charismatische Moment von Freundschaft und begründet die These, dass Freunde die Grenze der machbaren Feier zu selbst eintretenden Festlichkeit sowohl respektieren als sie auch bereit sind, sich dieser schöpferischen Verwandlung zu öffnen. (6) reflektiert die religionsphilosophischen und die theologischen Implikationen dieser These. Gegen christliche Verdächtigungen festlichen Überschwangs stellte ich das eschatologische Recht von Hölderlins Verknüpfung von Fest und Freundschaft heraus: Das beglückte Fest unter Freunden ist ein Versprechen auf die Epiphanie des Göttlichen, ein darstellendes Zeichen des Reiches Gottes, das ein Reich der Freundschaft ist.

Summary

Interpreting Friedrich Hölderlin’s hymn “Friedensfeier” the essay (i) defines the hypothesis that it is the spirit of friendship by which a celebration (to be planned and stage-managed deliberately) may be transformed into a feast that friends can hope for but whose splendor and serendipity they cannot produce. (ii) I clarify the semantic profiles and the modern variation in the relation between ritual ceremonies, which are often being instrumentalized by social interests, and the feast whose emergence is intermingled e. g. with affective excitement. (iii) criticizes essentialist definitions of feast (e. g. excess vs. reflection) and religious utopias merging feast and workaday life. (iv) Also phenomenological definitions of the feast as “the other of daily routine” do not match the cultural difference between celebration and feast. An ideal-typical distinction, however, is possible if we take the charismatic genesis of non-everyday cultural practices into account. (v) identifies the charismatic moment of friendship and justifies the thesis that friends respect the difference between feasible ceremonies and contingent festivity transcending ceremonial style – friends are as well willing to open up to this creative transformation. (vi) The author explains some implications of the thesis in terms of philosophy of religion and of theology. Disputing Christian suspicions of feastful exuberance I highlight the eschatological legitimacy of Hölderlin’s entanglement of feast and friendship: A felicitous feast among friends is a promise of divine epiphany, a performative sign of God’s kingdom, which is a realm of friendship.

Schlüsselwörter: Hölderlin; Epiphanie; Freundschaft; Fest

1

Drum hab ich heute das Fest, und abendlich in der Stille
Blüht rings der Geist und wäre auch silbergrau mir die Loke,
Doch würd ich rathen, daß wir sorgten ihr Freunde
Für Gastmahl und Gesang, und Kränze genug und Töne
Bei solcher Zeit unsterblichen Jünglingen gleich.

Unter Friedrich Hölderlins Entwürfen zur „Friedensfeier“ aus dem Jahr 1801 finden sich diese Verse, die ein Fest auf eigenartig doppelte Weise ansprechen. Einerseits fehlt diesem Fest gar nichts, auch durch die silbergraue Locke des Alters wird die blühende Gegenwart des Geistes nicht gemindert. Andererseits rät ‚Ich‘ sich und seinen Freunden, Vorkehrungen für das Fest zu treffen, ein Gastmahl mit Gesang und Schmuck zu arrangieren. In der Sorge dafür verhalten sich die Freunde in der Zeit des Festes „unsterblichen Jünglingen gleich“.1[1]

Hölderlins hymnische Inszenierung eines Festtages skizziert hier eine, wenn man so sagen will, phänomenologische Konstellation, die vom Fest, der Gegenwart des blühenden Geistes, die Inszenierung der Feier unterscheidet und doch beides verknüpft durch die anwesenden Freunde – Freunde, die in ihrer realen Arbeit zugleich metaphorisch, ‚übertragend‘, von Belang sind. Denn sie sind es, die den Übergang einer regulär und rhythmisch inszenierten Feier in ein geschenktes Fest zwar nicht verbürgen aber doch als möglich und besser: erhoffbar aufscheinen lassen. Es ist, so scheint mir, von Hölderlin nicht nur angedeutet, dass ein Fest mehr und anderes ist als die Summe dessen, was man für eine stilvolle Feier tun und einrichten kann. Angedeutet wird auch, dass es der Geist der Freundschaft ist, der, wenn er denn die Vorkehrungen und Umstände der Feier durchdringt, die Emergenz der spielerisch-ernsten Fülle eines Festes in der Feier möglich macht – eines Festtages, der dann auch die irdischen Bedingungen der Feier transzendiert und zum unsterblichen Gleichnis erhebt.

Was gibt die Konstellation, die Hölderlin in der „Friedensfeier“ andeutet, der philosophischen Reflexion des Festlichen zu denken? Seit der ‚Wiederkehr der Feste‘ schon zu Zeiten der Diagnose bürgerlicher Nostalgie oder medialer ‚Streufeste‘ durch die Gruppe „Poetik und Hermeneutik“2[2] und der ‚Wiederkehr der Freundschaft‘ im Gefolge der Voten von Michel Foucault und Jacques Derrida3[3] scheint das nicht aussichtslos. Über jene Konstellation möchte ich dem Freund einige kulturwissenschaftliche Gedanken widmen und dabei nicht aus dem Auge verlieren, dass Hölderlins Hymne auch eine religionsphilosophische Aufgabe stellt. Als Theologe möchte ich schließlich, ohne die Komplexität des Gesangs der Epiphanie des Göttlichen verkürzen zu wollen, den „Fürst des Festes“ in Christus ver- und angekündigt sehen. Daher argumentiere ich für die Annahme, dass ein Fest, wenn es den Freunden denn geschenkt wird, ein Vorschein des Reiches Gottes sein kann. Dieses, das nach christlicher Tradition als ein „ewiges Fest“ erhofft wird, ist nämlich ein Reich der Freundschaft.

2

Die terminologische Unterscheidung von „Feier“ und „Fest“, die ich soeben stark gemacht habe, ist in Hölderlins Dichtung nicht als solche formuliert; auch der heutige Sprachgebrauch im Deutschen unterscheidet nicht eindeutig. So sagt man Geburtstagsfest oder Geburtstagsfeier, Weihnachtsfeier oder Weihnachtsfest und signalisiert allenfalls eine besonders hohe, nicht nur praktisch, sondern auch affektiv motivierte Einschätzung, wenn man „festlich“ assoziiert. Immerhin entbehrt die Unterscheidung nicht jeglicher sprachlichen Begründung. Beide deutschen Wörter sind zwar dem Lateinischen entlehnt, feriae und (dies) festus, die ihrerseits stammverwandte Wörter sind; aber dennoch unterscheiden sie zwei Aspekte der Unterbrechung des Alltags: den Aspekt der Enthaltung oder Freiheit von der Sorge um und Arbeit für die profanen Bedürfnisse und den Aspekt der Zuwendung zum Göttlichen in Opfern, Festessen und Festspielen. Das Adjektiv festus meint nicht nur die Qualität dieser Zuwendung, sondern bezieht sich zuerst auf die Anwesenheit des Gottes, die den Tag zur „heiligen Zeit“ macht.4[4] Dem entsprechend gibt es auch noch im Deutschen ein Verbum „feiern“, nicht aber ein Verbum „festen“ – man muss sagen „ein Fest feiern“. Dies lässt den Sinn dafür erkennen, dass man für ein gelingendes Fest sehr viel tun kann und muss, dass damit aber nicht schon sichergestellt ist, dass die Feier wirklich ein „Fest“ wird. Zwar belohnt dessen Festlichkeit gleichsam die Mühen der praktischen, oft sehr regelhaften Vorkehrungen, übersteigt und überglänzt diese Mühen jedoch weit, wie es die affektive Erregung5[5] der Feiernden, die sich laut oder still bezeugt und wie es ihre Erinnerungen und Erzählungen aufbewahren werden.

Die Unterscheidung von Feier und Fest hat nicht nur einen semantischen Anhalt, sondern stellt auch ein kultur- und speziell religionsgeschichtliches Datum dar. Die vorneuzeitliche, staatskirchlich fixierte Verflechtung des religiösen Kults und des kulturellen Lebens überformte sämtliche lebensgeschichtlichen, jahreszeitlichen und gesellschaftlichen Anlässe zu irdischen Feiern mit heilsgeschichtlichem Sinn und Gewicht, so dass man von einer prozeduralen, vielleicht sogar von einer quasi liturgischen Einheit von feierlichen Vollzügen und festlichen Erfahrungen sprechen kann. Doch wurde dadurch der Unterschied zwischen irdischer und himmlischer Perspektive nicht aufgehoben, wie man an vielen Maßnahmen der Kirchenzucht, aber auch an den närrisch-karnevalesken Inszenierungen einer ‚verkehrten Welt‘ ablesen kann. In der Neuzeit allerdings wurde die Konstellation von Rituell-Feierlichem und Affektiv-Festlichem allmählich unterlaufen. Dies wohl weniger durch die Lösung des kulturellen Lebens aus dem religiösen Deutungshorizont als vielmehr durch exzessive Inszenierung der höfischen und kirchlichen Feiern mit dem Ziel überwältigender Wirkung. Im Hintergrund stand nun die Annahme, Festlichkeit sei machbar; der Preis der Theatralik war, dass die affektive Anteilnahme am glanzvollen Fest sich selbst als ‚gemacht‘ erkennen musste. Diese Ambivalenz zeigte sich übrigens nicht erst in der Aufklärung, etwa in Jean-Jacques Rousseaus instrumentalistischer Reduktion der Feste, sondern schon in der barocken Festkultur, gerade wegen ihrer pompösen (und in hohem Maße synkretistischen) religiösen Orchestrierung auch der Feste politischer Herrschaft.6[6]

Wegen der Auflösung des bislang (religions-)kulturell fundierten Zusammenhangs von Feier und Fest trennen sich seither drei Formen des Feierns: die politische Feier, das so genannte Volksfest und die Feiern / Feste in intermediären Institutionen und informellen Assoziationen.7[7] Die Instrumentalisierung politischer Feiern teils zur Erzeugung besinnungsloser Ekstase, teils zur Beschweigung trister Lebensverhältnisse zu vermeiden, ist ein selten gelingendes Kunststück; die ökonomische Kolonialisierung der öffentlichen Lustbarkeiten ist notorisch; auch in Familien- und Vereinsfeiern, selbst in kirchlichen Festen nimmt das Geld als Medium der Korrelation von Dingen und Sinn eine zunehmend wichtige Rolle ein. Sagen also Max Horkheimer und Theodor W. Adorno zurecht, dass das Fest in der Moderne zur Funktion ökonomisch-politischer Interessen pervertiert worden sei?8[8] Aber vielleicht gibt es Gründe anzunehmen, dass das in gleicher Weise nicht immer und überall gilt.

3

Die neueren wissenschaftlichen Theorien des Festes haben eine plausible Konstellation von Feier und Fest nicht wieder erreicht. Das liegt daran, dass sie den Unterschied beider zum Alltag nur abstrakt wahrnehmen und das ‚Wesen‘ des Festes ohne Rücksicht auf die konkret Feiernden bestimmen. Auf der einen Seite fassten Émile Durkheim, Roger Caillois und viele andere jedes Fest, auch das profane, als kurzzeitigen, moralisch und affektiv exzessiven Ausbruch aus dem Alltag auf, der „die Individuen einander näher, Massen in Bewegung (bringt)“.9[9] Dies steht sichtlich auch in der Nachwirkung der Moral- und Kulturkritik Friedrich Nietzsches, der angesichts der faden „modernen Feststimmung“ neue, d. h. heidnische Feste forderte, und im Gefolge Sigmund Freuds, der das „Wesen des Festes“ bestimmte als „ein gebotener Exzeß, ein feierlicher Durchbruch eines Verbotes“.10[10] Auf der anderen Seite der Alternative versteht der Religionsphänomenologe Karl Kerényi, Hölderlins „abendlich in der Stille“ im Hintergrund, das Fest als „Ruhe, welche Lebensintensität und Kontemplation in sich vereinigt“, und das selbst dann, wenn sich „Ausgelassenheit“ einstellt. Ähnlich gegen die Bestimmung „Exzess“ gewandt, hält der Religionsphilosoph Josef Pieper die „schlechthin universale Zustimmung [zur] Welt im ganzen“ für den „einzig tragende(n) Grund des Festes“, weil im Fest „für den Feiernden die größere Wirklichkeit gewahrbar und betretbar wird, die das werktägliche Dasein der Arbeitswelt relativiert, indem sie es trägt.“11[11]

Die nun aufgestellte Alternative von bloß eskapistischem Exzess aus dem Alltag und bloß affirmativer Kontemplation der Welt motivierte fatalerweise theologische Versuche, Fest und alltägliche Welt ineinander zu schieben und eine „messianische“ Festtheorie zu entwickeln, die eine praktisch-politische Forderung des, wie Ernst Bloch formulierte, „festlichen Alltags“ begründete. Diese Versuche standen bewusst im Gefolge des historisch-materialistisch und durch Bloch messianisch revidierten Chiliasmus Hegels; sie schienen ja von soziologischen Analysen moderner Festformen als Medien politischer und ökonomischer Herrschaft des Kapitalismus ins Recht gesetzt. Sie konnten sich aber auch auf die bereits altkirchliche Auffassung stützen, wonach der auferstandene Christus das Leben zu einem beständigen Fest mache. Die angezielte Konvergenz von Fest und Alltag wurde teils einer ästhetisch bewussten und auf die Fantasie bauenden Spiritualität12[12], d. h. Gesang, Lachen, Spiel und Tanz, teils dem politisch-revolutionären Kampf für die Befreiung von Repression und für soziale Gerechtigkeit anvertraut. So oder so, gerade das gelungene Fest hatte nun einen offenen Ausgang, denn es machte den strukturell ‚ungelungenen‘ Alltag unerträglich: „Alltag soll ‚Sonntag‘ werden und zwar so, daß Sonntag ‚Alltag‘, die gewöhnliche Situation, Reich Gottes wird.“13[13]

Im Gegensatz zu dieser chiliastischen Wendung christlicher Eschatologie scheint mir eine plausible Konstellation von Fest und Feier erst möglich auf der Grundlage einer (kultur- und speziell sozial-)anthropologischen Beschreibung der fraglichen Praxis; statt normativer Postulate ist eine möglichst nüchtern deskriptive Bestimmung des feierlichen und festlichen Handelns in der Perspektive der Handelnden vonnöten. Allerdings liegt auch einem solchen Vorhaben eine Annahme zugrunde, die sich nur näherungsweise empirisch bewahrheiten lässt: die Annahme, dass Festliches und der Alltag sich nicht aufeinander zurückführen lassen, dass zwischen dem Fest und dem Alltag vielmehr eine kategoriale Differenz besteht. Die Annahme lässt sich phänomenologisch verifizieren und wenigstens idealtypisch im Begriff erfassen. Denn auch die ethnologische Forschung hat bislang keine Gesellschaft gefunden, in der das individuelle und kollektive Handeln von dem Unterschied zwischen Alltag und Feier oder Fest nicht mitbestimmt wäre. Zurecht hat daher Jan Assmann das Fest kulturell universal als „das Andere des Alltags“ beschrieben, als „Inbegriff all dessen, was eine Kultur im Interesse ihres alltäglichen Funktionierens ausblenden muß“: Es stellt Inszenierung, Fülle und Besinnung oder Erregung (oft beides) des Festes gegen die Kontingenz, die Knappheit und die routinierte Banalität des Alltags und dessen Institutionen der Gleichzeitigkeit.14[14] Denn der Mensch jeder Kultur lebt in zwei Zeiten: im Alltag, der seine Transparenz und Konsistenz vor allem dem kommunikativen Gedächtnis verdankt, und in der „anderen Zeit“, die vom kulturellen Gedächtnis konstituiert wird. Neben andern Objektivationen und symbolischen Formen ist eben das Fest das ursprünglichste Medium kultureller Erinnerung, d. h. der Reproduktion des gemeinsamen kulturellen Sinns, der sich artikuliert in gemeinsamer Sprache, gemeinsamem Wissen und gemeinsamer Erinnerung: „Und es ist die ‚andere Zeit‘, die im Fest vergegenwärtigt, d. h. zur Gegenwart gemacht wird.“15[15]

4

So überzeugend diese Begründung der Differenz von Fest und Alltag als irreduzibler Formen kultureller Praxis gewiss ist, so wenig reicht sie für die Unterscheidung von Fest und Feier zu. Ihr Interesse gilt der kulturellen „Orientierung im Großen“, d. h. der „Gruppenidentität“, die über die Generationenfolge hinweg durch „zeremonielle Kommunikation“ eines kulturellen Gedächtnisses je neue stabilisiert wird; die konkreten Feiernden bleiben unbeachtet.16[16] Das ist der Fall auch in Odo Marquards Interpretation des Festes als ein „Moratorium des Alltags“. Gegen die Extreme eines totalen Alltags und eines totalen Fests (auch die Flucht aus dem Alltag in den Krieg, mit Manès Sperber, und die ins ‚alternative Leben‘) plädiert sie für „mehr Mut zum Alltag und mehr Mut zum Sonntag“. Unter „Sonntag“ rubriziert Marquard nicht nur religiöse Feste, sondern auch die halb- oder nichtreligiösen „zweitbesten Feste“: den ästhetischen Umgang mit Kunstwerken, die Kultur der Naturverhältnisse etwa in Gärten, oder Parks, ja den Sport, den Urlaub oder den Schlaf. So kommen erstaunlich viele Feiernde in den Blick; allerdings thematisiert auch Marquard sie nicht als solche. Seine „weitherzige“ Philosophie des Festes hat einfach für alle Lebensformen, für die genießende, die praktische und die fromm-beschauliche Form, Feste parat, die das Alltagsleben „ergänzen“. Denn „die Menschen sind – unvermeidlich – feiernde und also festliche Lebewesen“.17[17]

Ob dieser Schluss vom „feiernd“ auf „festlich“ den zu beschreibenden Phänomenen gerecht wird, kann man freilich bezweifeln. Man sollte es auch bezweifeln angesichts der seit langem in vielen Varianten, freilich meist nur in rhapsodischer Form mitgeteilten (und nur selten der terminologischen Unterscheidung von „Feier“ und „Fest“ zugeordneten) Beobachtungen zum Unterschied zwischen zwei ungleichartigen Momenten oder Polen der außeralltäglichen, den alltäglichen Zeitfluss unterbrechenden kulturellen Praxis. Wohl als erster hat Otto F. Bollnow in einer Anthropologie des Festes versucht, diese phänomenologisch zu differenzieren und terminologisch zu fixieren. Seine Beobachtungen besagen im Kern: (1) Eine Feier kann man anlassbedingt ansetzen, gestalten und gezielt durchführen; ein Fest kann man jedoch nicht organisieren, es begegnet, und man kann sich ihm nur hingeben. (2) Eine Feier mutet durch ihren demonstrativen, Anfang und Ende markierenden Vollzug ernst, schwer, bedeutungsvoll an; ein Fest mutet auch in seiner äußeren Erscheinungsform leicht, gelöst, frei an und hat nicht unbedingt feste Zeitgrenzen. (3) Eine Feier ist immer auf ein konkretes geschichtliches Ereignis bezogen; ein Fest bringt gesteigert Lebensfreude zum Ausdruck und verdankt sich „reiner Erfahrung des Göttlichen“.18[18]

Trotz vieler schätzbarer Einzelbeobachtungen bleibt Bollnows Anthropologie des Festes gerade anthropologisch, nämlich im Blick auf die beteiligten Menschen, unterbestimmt. Die Teilnehmer der Feier wollen und machen diese Feier, die Teilnehmer des Festes geben sich dem ihnen begegnenden Fest hin – aber wie hängt beides zusammen, wenn es dieselben Menschen sind? Die Dissoziation von aktivem Feierverhalten und passivem Festerleben spiegelt eine essentialistische, um nicht zu sagen: metaphysische Disjunktion von Feier und Fest. Die durchgehende Leitunterscheidung von Irdischem und Göttlichem, von Machbarem und Mythischem („das natürlich-vorgeschichtliche Dasein“19[19]) lässt sich empirisch aber nicht bewahrheiten; viele der einer „Feier“ zugeschriebenen Elemente sind auch am „Fest“ zu beobachten und umgekehrt. Insbesondere kann man nicht unterstellen, dass eine politische Feier sich nur auf Irdisch-Geschichtliches beziehe – die Selbstfeiern des Totalitarismus inszenierten im Gegenteil stets dessen überzeitlichen, oft explizit sakralen Anspruch und fordert gläubige, bedingungslose Hingabe der Teilnehmer. Auch als Theologe muss man der kulturwissenschaftlichen Kritik an der Erschleichung religiöser Normativität im Begriff des ‚wahren‘ Festes zustimmen.20[20]

Um sich vor einer solchen Erschleichung zu bewahren, empfiehlt es sich, sich analytisch auf die an Feiern und Festen teilnehmenden Menschen und ihr Verhalten zu beschränken, also so zu verfahren, wie es die Soziologie im Gefolge Max Webers tut. Das begründet zwar nur idealtypische Begriffe von „Fest“ und „Feier“, die aber, weil handlungsanalytisch induziert, die an dem Geschehen beteiligten Menschen fokussiert. Auch der Weber’sche Ansatz unterstellt die Zweidimensionalität menschlichen Handelns und Gestaltens als existenzielle Dialektik von „Alltäglichem“ und „Außeralltäglichem“. Aber er nimmt das Außeralltägliche nicht erst in seinen sozialen Gestaltungen oder Institutionen in den Blick, sondern schon in ihrer Genese aus einem überraschend auftretenden, dann aber schöpferisch umgestaltenden Sprach- und Handlungsvermögen, das Weber bekanntlich „Charisma“ nennt.21[21] Dann kann man Feier und Fest als unterschiedliche, aber nicht völlig disparate Formen der sozialen (kommunikativen, ästhetischen, ethischen) Gestaltwerdung von Charisma beschreiben. Weil charismatische Erscheinungen Prozessen der Veralltäglichung unterliegen, kann man auch bei Feiern und Festen die historischen Veränderungen beschreiben, die sie relativ zum Alltag und relativ zueinander erfahren. In dieser Perspektive werden Feier und Fest in ihren Unterschieden, aber auch in ihrem Zusammenhang und in ihrer Veränderlichkeit aufgrund der Dialektik von Charisma und Alltag transparent.22[22] Nun lässt sich auch die Frage stellen, wie Feiern und Fest sich unterscheiden oder auch zusammengehören kraft des Verhaltens oder des Habitus von Menschen, die an beidem beteiligt sind.

5

Es gibt ein habituelles Verhalten, das die Gestaltung des Außeralltäglichen insgesamt und auch den Umgang mit der Differenz von Feier und Fest braucht. Es ist die Freundschaft, das praktische und affektive Verhalten von Freunden und Freundinnen gegenüber Freunden und Freundinnen. Freund oder Freundin sein zu können und zu wollen, ist ein Charisma. Gewiss ist es wahr, dass habituell gewordene Freundschaft im Prozess der Gewöhnung oder Veralltäglichung, dem sie ja unvermeidlich unterliegt, sich zur bloßen Konvention entleeren kann, so dass man von charismatischer Kraft nichts mehr spürt. Dann wird es notwendig, die Freundschaft neu zu inspirieren und neuerlich zu gestalten – aber das gelingt keineswegs kraft bloßer Absicht und vorhandenem Vermögen. So ist auch noch diese Situation ein Hinweis darauf, dass Freundschaft aus einem charismatischen Impuls entsteht und aus dessen, freilich nie zu erzwingenden Aktivitäten lebendig bleibt.

Allerdings sind die Phänomene der Freundschaft nicht unter einen Begriff zu bringen. Man kann sie als universale Vergesellschaftungsform identifizieren, muss deren konkrete Praxis aber als vielfach bedingte partikulare akzeptieren. Die alteuropäischen Muster, die lange Zeit zum Bildungskanon gehörten,23[23] haben soziale, mentale und religiöse Voraussetzungen, die es nicht leicht machen, sie unter den veränderten Umständen zur Geltung zu bringen, wie sie christlich-mittelalterliche und erst recht die neuzeitliche Welt etabliert hat. Das kann man bei Augustinus, Thomas von Aquin und Franz von Assisi beobachten, und zu einer noch tiefer reichenden Transformation des Freundschafskonzeptes sah sich der Humanismus und die Aufklärung veranlasst, wie zahlreiche Autoren von Erasmus und Michel de Montaigne bis zu Immanuel Kant, Friedrich Schiller oder Friedrich Schleiermacher bezeugen.24[24] Erneut komplexer ist die Lage seit dem Verblassen der Ikone „Persönlichkeit“, die, identisch mit sich selbst, stets wird, was sie ist, und ihrer autonomen Entscheidung zur Gegenseitigkeit einer Freundschaft gewiss ist. Angesichts der sozioökonomischen Zwänge zum Leben in Rollen scheint so etwas wie beständige und treue Freundschaft zwischen Freien und Gleichen nur geringe Chancen zu haben. Sind Freundschaften also seltener geworden?25[25]

Orientierung sollte man nun vielleicht weniger bei philosophischen und soziologischen oder psychologischen Theorien erhoffen als von den Erzählungen gelebter Freundschaft und von den literarischen Imaginationen von Freundschaft. Davon gibt es viele und vielsagende, nicht nur aus der Zeit der intensiven Pflege und des Kultes empfindsamer und romantischer Freundschaften im Zuge der Individualisierungsprozesse, die sich in der europäischen Moderne seit 1750 entwickelten. Über die Freundschaft als einem besonderen Medium der Vergesellschaftung und damit über die Beziehung von Einzelnen und Gruppen vis-à-vis sozialer, politischer und religiöser Strukturen (Verwandtschaft, Stand, Kirche) lässt sich allerdings in der autobiographischen und der schönen Literatur gerade jener Zeit unerhört viel für heute lernen. Aber auch viele gegenwärtige Zeugnisse gelebter und bedachter Freundschaft, ihrer Verheißungen und Enttäuschungen,26[26] lassen erkennen, was schon im Nathan Lessings, in Christoph M. Wielands Geschichte des Agathon, in Jean Pauls Titan und selbst in Goethes Wilhelm Meister zutage tritt: Keine Freundschaft, die eine konkrete Form der Freiheit des Geistes ist, basiert nur auf (im-)materiellem Gabentausch.27[27] Auch nicht die Übereinstimmung vitaler Interessen, nicht die moralischer Werte und Handlungsziele genügen, nicht einmal gegenseitige Sympathie und affektiver Gleichklang. Es ist das Charisma von Personen, das Freundschaft zwischen ihnen in Gang bringt und das, wenn es weniger wird, eine (hoch zu lobende) ethische Loyalität, und wenn es ganz eingeschlafen ist, eine (auch nicht zu verachtende) utilitaristische Zweckgemeinschaft übrig lässt.

Es ist nun, meine ich, das charismatische Moment von Freundschaft, das Grenze zwischen Feier und Fest zugleich zieht und – kontingent – überschreitet. Der charismatische Faktor in der psychosozialen, Individuen und Gesellschaft vernetzenden Ökonomie außeralltäglicher kultureller Praktiken ist in keiner geplanten und rituell realisierten Feier ganz abwesend, weil mit einer solchen Begehung, wenn sie nicht zynisch unterlaufen wird, die „charismatische Grundlage des Alltags bewußt erhalten wird“. In dem davon unterschiedenen Fest „(wird) ein begrenzter Zeitraum offengehalten für ein neues Aufbrechen des Charismatischen“.28[28] Diesen idealtypischen Kontrast von Feier und Fest sollte man aber nicht essentialistisch verfestigen. Denn ein Fest emergiert oft anlässlich einer zeremoniellen Feier; für diese kann man viele Vorbereitungen treffen, den Umschlag ins Fest, das den Stil der Feier relativiert und in einer Authentizität transzendiert, kann man nicht willkürlich herbeiführen. Auch gibt es Feste, die außerhalb von rituellen Gelegenheiten auftreten, aber offenbar hinreichend günstige äußere und innere Umstände dafür vorfinden. Vielleicht sollte man den Unterschied von Fest und Feier daher auch asymmetrisch formulieren und „die Feier“ und „das Festliche“ sagen.

6

Man mag überrascht sein, dass ein Theologe meint, dass die Emergenz eines Festes am Ort einer Feier oder in hinreichend günstigen sonstigen Umständen sich dem Charisma von Menschen, Freund im emphatischen Sinne sein zu können, verdankt; dass er also nicht, wie manche Philosophen, ohne weiteres Heiliges und Göttliches als Ursache von Festlichkeit veranschlagt. Philosophisch kann man jedoch, auch wenn man im Festakt einer Kultur deren „Selbsttranszendierung“ sieht,29[29] nur vom Auftreten von Festlichkeit, aber nur im Blick auf positive Religion kann man so vom festbegründenden Eintreten des Göttlichen in der Welt sprechen. Nicht ohne Grund weist Hölderlin vor den zitierten Versen des Entwurfes der „Friedensfeier“ auf die abgründige Differenz zwischen dem schöpferischen Charisma der Freundschaft und dem Eintreten des göttlichen ‚Charisma‘ hin:

Denn manches mag ein Weiser oder
Der treuanblikenden Freunde einer erhellen, wenn aber
Ein Gott erscheint, auf Himmel und Erd und Meer
Kömt allerneuernde Klarheit.30[30]

Das Plädoyer des Theologen für die Freundschaft als charismatische Inspiration des Festes in seiner transzendierenden Bedeutung mag dennoch überraschen. In der Tat sind die christlichen Vorbehalte gegen nicht wenige Formen der Freundschaft notorisch und wurzeln tief. Die im Alten Testament anrührend dargestellten Freundschaften unter Männern und unter Frauen, auch die Auszeichnung von Freundschaft als der Beziehung zwischen Jesus und seinen Jüngern (Joh 15) haben dies nicht verhindert. Die Gründe dafür lagen nicht nur in der heidnischen Umwelt, sondern schon früh auch in der sozialen Applikation der christlichen „Gottesfreundschaft“ durch gnostische und spiritualistische Gruppen, die sich, stets auch hierarchiekritisch, etwa als Society of friends etablierten. Dazu kam die sozialethische Skepsis der Staatskirchen gegen freie freundschaftliche Beziehungen, die psychosoziale Stabilität zuungunsten der Verpflichtung auf institutionelle Loyalität und konventionelle Konformität aufbauten. Fatal wirkte sich nicht zuletzt die moralische Verdächtigung des erotischen Aspekts von Freundschaft aus. Speziell im restaurativen Protestantismus31[31] hat eine abstrakte Alternative von Agape und Eros, verstanden als selbstlose Nächstenliebe und selbstsüchtiges Begehren, zu einem fast völligen Ausfall der Reflexion auf Freundschaft und Fest geführt.32[32]

Alle diese Vorbehalte fußen nur zu geringem Teil auf theologischen Argumenten. Die Loci, an denen man solche suchen muss, sind nicht nur die Ethik in ihrem weisheitlichen (als Tugend- und Sozialethik philosophisch auch verifizierbaren) Aspekt, sondern, in vielem modifizierend, die Eschatologie.33[33] Die im Christusglauben begründete Ewigkeitshoffnung schließt prominent zwei Bilder ein, die den zeitlich-irdischen Umgang mit Freundschaft und erhoffter Festlichkeit prägen (sollten). Die eine, wohlbekannte Metapher ist der ewige Sabbat, d. h. die Versöhnung der Dialektik von alltäglicher Arbeit und außeralltäglichem Feiern und der kategorialen Differenz zwischen gemachter Feier und geschenktem Fest. Die andere Metapher ist das Reich Gottes, freilich nicht missverstanden als Durchsetzung der Herrschaft Gottes über Feinde (die es gar nicht mehr geben wird) und über unendlich gehorsame Menschengeschöpfe (die in der Liebe Gottes frei leben). Vielmehr stellt sie ein Reich der Freundschaft vor Augen, in dem die ‚Reichsgenossen‘ untereinander freie und gleiche Freunde sind und deren gegenseitige Attraktivität nicht dem Mangel, sondern der individualisierten Fülle entspringt.34[34] Die feierliche Gestaltung des Außeralltäglichen durch Christenmenschen und ihre Erwartung des Festlichen kann sich als Vorschein des Reiches Gottes verstehen, der transzendenten Zeit der individuell und universal geglückten Einheit von Freiheit und Liebe.

Die Antizipation des Reiches Gottes – „da Herrschaft nirgend ist zu sehn bei Geistern und Menschen“35[35] – in der Erwartung des Festes unter Freunden wäre jedoch eine bloße Utopie des „ewigen Festes“ und „unendlicher Freundschaft“, wenn sie sich in nicht auch sich selbst reflektierte, d. h. die eschatologische Differenz zwischen Fest und Feier in ihre Feierpraxis aufnähme. Für die angemessene Wahrnehmung der Ungleichzeitigkeit, die ein Fest auf erträgliche Weise in einem Jetzt herstellt,36[36] ist Hölderlins Arbeit an der „Friedensfeier“ (auch theologisch) vorbildlich. Die Reinschrift nimmt das anfänglich vermeinte Erkennen des „Da“ der „Freundesgestalt“ zurück auf das eher stille, sehnsüchtige „Ahnen“ seiner Epiphanie „zum Abend der Zeit“ – ein Ahnen, das den „Unvergeßlichen“ noch nicht sieht, ihn aber zum Fest einladen und rufen darf, „…daß wir des Abends / Mit den Freunden dich nennen, und singen / Von den Hohen…“.37[37] Denn das Fest ist ein Zeichen, dessen „goldenes Licht“ performativ ein „Versprechen“ in sich trägt – ein Versprechen, auf das das Fest besinnt, weil es einstweilen von allem je begegnenden Göttlichen bekräftigt wird:

Zulezt ist aber doch, ihr heiligen Mächte, für euch
Das Liebeszeichen, das Zeugniß
Daß ihrs noch seiet, der Festtag.38[38]

Es ist auch Hölderlins schmerzliche und zugleich zuversichtliche Verbindung von Erinnerung und Hoffnung, wie sie im charismatisch inspirierten Fest unter Freunden unsterbliche Gestalt gewinnt, die mit dem Umstand versöhnt, dass auch dieses Fest das irdische Schicksal nur „eine Weile“ ausgleicht39[39] und die irdischen Freunde ins ernste Tagwerk weitergehen müssen. In dem kurz vor der „Friedensfeier“ verfassten Gedicht an den Freund Christian Landauer heißt es:

Sei froh! Du hast das gute Loos erkoren,
Denn tief und treu ward eine Seele dir;
Der Freunde Freund zu seyn, bist du geboren,
Diß zeugen dir am Feste wir.
Und sieh! Aus Freude sagen wir von Sorgen;
Wie dunkler Wein, erfreut auch ernster Sang;
Das Fest verhallt, und jedes gehet morgen
Auf schmaler Erde seinen Gang.40[40]

Online erschienen: 2016-3-14
Erschienen im Druck: 2016-3-1

© 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 22.10.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/nzsth-2016-0001/html
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