NACHWEISE AUS AUGUST SCHLEICHER, KURZER ABRISS DER GESCHICHTE DER ITALIENISCHEN SPRACHEN, IN: RHEINISCHES MUSEUM FÜR PHILOLOGIE 14 (1859), COMPENDIUM DER VERGLEICHENDEN GRAMMATIK DER INDOGERMANISCHEN SPRACHEN (1861)
Vorlesungen über lateinische Grammatik, KGW II 2.192, Fußnote 2:
Jetzt scheidet man 1. isolierende Sprachen zB. das Chinesische die Bedeutungslaute sind unveränderlich u. ungegliedert 2. zusammenfügende Sprachen zB. finnische südafrikanische, die zu den unveränderlichen Bedeutungslauten vorn, in der Mitte u. am Ende neue Laute (Präfixe Infixe Suffixe) anfügen können 3. flektirende Sprachen zB. indogerman. u. semitisch. die die Wurzel selbst regelmäßig verändern können u. die Mittel der Zusammenfügung haben.
Vgl. August Schleicher, Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen, Weimar 1861, S. 2 f.:
Die sprachen kann man vor der hand am leichtesten nach irer morphologischen beschaffenheit anordnen. Es gibt 1. sprachen, die nur auß ungegliderten unveränderlichen bedeutungslauten bestehen, isolierende sprachen (z. b. das Chinesische); wir bezeichnen einen solchen unveränderlichen bedeutungslaut mit W; auf diser stufe würde das indogermanische stehen, wenn z. b. das wort ai-mi (griech. εἶμι) nicht so, sondern i oder i ma (formel W oder W + w) lautete; ferner 2. sprachen, die zu disen unveränderlichen bedeutungslauten vorn, in der mitte, am ende oder an mereren stellen zugleich beziehungslaute – von uns bezeichnet mit s (suffix) p (praefix) i (infix) – fügen können: zusammen fügende sprachen (z. b. die finnischen, tatarischen, dekhanischen und die meisten sprachen überhaupt); auf diser stufe der entwickelung würde das wort ai-mi i-ma oder i-mi (Ws) lauten; 3. sprachen, die die wurzel selbst zum zwecke des beziehungsaußdruckes regelmäßig verändern können und dabei die mittel der zusammenfügung bei behalten: flectierende sprachen. Eine solche zum zwecke des beziehungsaußdruckes regelmäßig veränderliche wurzel bezeichnen wir mit Wx (W¹, W² u. s. f.). Bis jezt sind uns zwei sprachstämme diser classe bekant, der semitische und der indogermanische.
Vorlesungen über lateinische Grammatik, KGW II 2.193, Z. 5–8:
Für die latein. Sprache ist nun folg. Verwandtschaftsverh. ans Licht getreten. [Zwei Vorperioden sind abzuscheiden, die indogermanische, u. die gräkoitalische.]
Vgl. August Schleicher, Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen, Weimar 1861, S. 6:
Combinieren wir diß mit den eben an gegebenen verwantschaftsverhältnissen der indogermanischen sprachen unter einander und ziehen wir darauß den schluß auf die teilungsprocesse des indogermanischen sprachkörpers in der vorzeit, so erhalten wir mit notwendigkeit folgendes resultat. Die indogermanische ursprache teilte sich zuerst durch ungleiche entwickelung in verschidenen teilen ires gebietes in zwei teile, es schied nämlich von ir auß das slawodeutsche (die sprache, welche später in deutsch und slawolitauisch auß einander gieng); sodann teilte sich der zurückbleibende stock der ursprache, das ariograecoitalokeltische, in graecoitalokeltisch und arisch, von denen das erstere in griechisch (albanesisch) und italokeltisch sich schied, das leztere, das arische, aber noch lange vereint blib. Später teilten sich slawolitauisch, arisch (indoeranisch) und italokeltisch nochmals.
Vorlesungen über lateinische Grammatik, KGW II 2.193, Z. 9–16:
Die indogermanische Sprachenfamilie zerfällt in drei Gruppen die asiatische, die südwestlicheuropäische, die nördlicheuropäische. Zur asiatischen gehört das Altindische (einzelne Theile des Veda) später Sanskrit als correkte Schriftsprache. Das Altbaktrische u. das Altpersische u. das armenische. Zu 2. das Griechische das Italische das Keltische (letzteres am besten im Altirischen erhalten Zu 3. das Slawische das Litauische. Das Deutsche.
Vgl. August Schleicher, Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen, Weimar 1861, S. 4 f.:
Innerhalb diser indogermanischen sprachsippe zeigen sich aber gewisse geographisch benachbarte sprachen als näher verwant; so zerfält die indogermanische sprachsippe in drei gruppen oder abteilungen. Dise sind: 1. die asiatische oder arische abteilung, bestehend auß der indischen und iranischen oder wol richtiger eranischen sprachfamilie, welche unter sich ser nahe verwant sind. Ältester repräsentant und grundsprache der indischen familie und älteste bekante indogermanische sprache überhaupt ist das altindische, die sprache der ältesten teile des veda; später, in vereinfachter form und nach gewissen regeln als correcte schriftsprache den volksdialecten gegenüber fest gesezt, sanskrit genant. Das eranische kennen wir nicht in seiner grundsprache; die ältesten uns erhaltenen eranischen sprachen sind das altbaktrische oder zend (osteranisch) und das altpersische, die sprache der achämenidischen keilinschriften (westeranisch). Zu diser familie gehört ferner das armenische, welches wir erst auß späterer zeit kennen und das sich frühe schon von der eranischen grundsprache ab gesezt haben muß. 2. die südwestliche europäische abteilung, bestehend auß griechisch, dem wol das nur in späterer sprachform erhaltene albanesische zunächst zu stellen ist, italisch (die ältesten bekanten formen diser familie sind das lateinische, besonders wichtig für uns ist das altlateinische vor einfürung der unter griechischem einfluße gebildeten correcten schriftsprache, das umbrische und oskische), keltisch (die am besten erhaltene aber dennoch schon ser zersezte sprache der keltischen familie ist das altirische, etwa vom 7ten jarh. unserer zeitrechnung an zugänglich). Italisch und keltisch sind einander änlicher als dem griechischen. 3. die nördliche europäische abteilung, bestehend auß der slawischen familie mit der ser nahe verwanten litauischen (die wir von der wichtigsten sprache derselben benennen) und der von beiden weiter ab stehenden deutschen.
Vorlesungen über lateinische Grammatik, DFGA/P-II-3a,20–21 und KGW II 2.194, Fußnote 3:

Vgl. August Schleicher, Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen, Weimar 1861, S. 7:

Vorlesungen über lateinische Grammatik, KGW II 2.193, Z. 17–31:
Das lateinische hat, wie jede Sprache seine vorhistorische und seine historische Periode: letztere durchaus als Periode des Verfalls anzusehn. Geschichte u. Sprache in umgekehrtem Verhältniß: je energischer historisch ein Volk ist, um so schneller verdirbt die Sprache. Der Weg bis zum Kulminationspunkt dh. der Punkt, wo ein Volk in die Geschichte eintritt, ist viel länger als der des Abfalls. Von den ältesten Zeiten zeugt der Bau der Sprache und seine Verwandtschaftsgrade. Das Lateinische, das Umbrische u. die weniger bekannten italischen Sprachen sind Schwestersprachen. (das Messapische ausgenommen u. das Etruskische) Die Mutter nennen wir die italische Grundsprache. Die ital. Sprachen als Ganzes stehen dem Keltischen am nächsten vgl. Kuhn und Schleicher Beitr. zur vgl. Sprachf. Bd. 1. Also Zwillingsschwestern usw.
Vgl. August Schleicher, Kurzer Abriss der Geschichte der italienischen Sprachen, in: Rheinisches Museum für Philologie 14 (1859), S. 329 f.:
Die Geschichte der Sprache zerfällt uns vor allem in zwei Hauptabschnitte, in die vorhistorische und in die historische Periode. Die erstere ist als die Geschichte des Werdens der Sprache, als die Epoche der Sprachbildung zu bezeichnen, die zweite als die des Verfalles der sprachlichen Form; denn Sprachbildung und Geschichte sind sich, ablösende Manifestationen des menschlichen Wesens, beide zugleich können nicht stattfinden. Geschichte und Sprache stehen in umgekehrtem Verhältnisse zu einander, die eine ist nur auf Kosten der andern vorhanden; je thätiger ein Volk in der Geschichte austritt, je historischer, so zu sagen, es ist, desto rascher geht es mit seiner Sprachform abwärts. Völker dagegen, die in geschichtelosem Dasein verharren, conservieren ihre Sprache. Diese Sätze sind von mir bereits früher aufgestellt und erwiesen worden. Von dem vorhistorischen Leben der Sprache können uns also unmöglicher Weise irgend welche aussere Zeugnisse Kunde geben, wir haben es demnach lediglich zu erschließen. Dasselbe gilt von den Anfängen der historischen Periode, da die Völker im Beginne ihres geschichtlichen Lebens nicht sofort des Schreibens und der Aufzeichnung von Sprachdenkmalen sich zu befleißen pflegen.
Um zu einer Anschauung des vorhistorischen Lebens der Sprache zu gelangen, haben wir also keinen andern Weg als die Betrachtung der Sprache selbst unter den hierfür brauchbaren Gesichtspunkten. Die vorhistorische Lebensperiode der Sprache werden wir freilich nicht nach Jahrhunderten oder Jahrtausenden, überhaupt nicht ihrer Zeitdauer nach messen können, sondern nur in Perioden zerlegen; aller Wahrscheinlichkeit nach dürfte sie aber als länger zu denken sein, als das bisher durchlebte Stück Geschichte; denn der Weg vom Culminationspunkte sprachlicher Entwickelung, d. h. vom Momente des Eintritts des die Sprache redenden Volkes in die Geschichte, bis herab zu der bis zur Stunde erreichten Stufe des Verfalles sprachlicher Form, verbindet viel weniger weit von einander abstehende Entwickelungsstufen, als der von dem ersten Werden der Sprache an bis hinauf zu der höchsten Entfaltung der sprachlichen Form, den das vorhistorische Zeitalter zurückgelegt hat. Auch werden sich uns für die vorhistorische Zeit zahlreichere Epochen des Sprachlebens ergeben, als für die historische.
Ueber das vorhistorische Leben einer Sprache legen uns aber zwei Dinge vollgültiges Zeugniß ab. Von der allerältesten Zeit, von dem Werden der Sprache, zeugt der Bau der Sprache selbst, der sich als ein gewordenes zu erkennen gibt; als etwas, das durch ein successives Hervortreten der es constituierenden Momente zu dem geworden ist, als was wir es finden. Von den späteren Schicksalen der Sprache zeugen aber ihre Verwandtschaftsverhältnisse zu andern Sprachen. Wollen wir also die Geschichte einer gegebenen Sprache, in diesem Falle also die des Lateins und seiner Schwestersprachen, weiter zurückverfolgen, als uns dieß mittels äusserer Zeugnisse möglich ist, so haben wir vor allem, um die zunächst vor der historischen Zeit liegenden Perioden des Sprachlebens zu finden, uns der Verwandtschaftsverhältsnisse dieser Sprache zu erinnern. Erst dann, wenn diese aufhören zu zeugen, wenden wir uns an den Bau der Sprache selbst.
Welches sind nun die Verwandtschaftsverhältnisse des Lateins und der italischen Sprachen?
Das Latein, das Umbrische, Oskische und die weniger bekannten italischen Sprachen im engeren Sinne (also mit Ausschluß des zum indogermanischen Sprachstamme gehörigen Messapischen und des völlig dunkelen Etruskischen) sind Schwestersprachen, die sich sehr nahe stehen, sie sind Töchter einer Mutter. Nennen wir diese Mutter die italische Grundsprache.
Die italischen Sprachen als ein Ganzes ausgefaßt stehen dem Celtischen unter allen Sprachen am nächsten (vgl. Kuhn und Schleicher Beiträge zur vgl. Sprachforschung Bd. I, wo ich dieß bewiesen zu haben glaube). Hieraus folgt: die italische Grundsprache und die celtische Grundsprache waren Zwillingsschwestern. Sie müssen eine Mutter gehabt haben: die italoceltische Grundsprache.
Vorlesungen über lateinische Grammatik, KGW II 2.194, Z. 1–2:
So kommt man auf die indogermanische Ursprache: diese ist ebensowohl uritalisch urgriechisch urdeutsch urindisch usw.
Vgl. August Schleicher, Kurzer Abriss der Geschichte der italienischen Sprachen in: Rheinisches Museum für Philologie 14 (1859), S. 333:
Die indogermanische Ursprache war eben sowohl uritalisch als urgriechisch, urdeutsch, urindisch u. s. f., sie ist die älteste Form aller jener Sprachen, welche später, nach mehrfach wiederholter Differenzierung, den indogermanischen Sprachstamm bildeten.
Vorlesungen über lateinische Grammatik, KGW II 2.194, Z. 3–15:
Mehrere historische Perioden des Italischen 1. Von den ältesten Zeiten bis zur Bildung einer gemeinsamen correkten Schriftsprache und der vollständigen Verdrängung der andern ital. Sprachen aus dem öffentlichen Gebrauche. (Ertheilung der Civität an die Socii 666) 2. Periode der lat. Schriftsprache v. 88 v. Chr. bis gegen das 5t Jhd. n. Chr. In dieser Periode verbreitet sich das Latein als Volkssprache überall hin u. unterliegt im Lauf der Zeit den Abschleifungen, sprachgeschichtl. Gesetzen gemäß. Die Beimischung fremder Worte ändert nichts Wesentliches 3. Periode der romanischen Sprachen bis jetzt. Eine Mehrheit von Schwestersprachen, alle aus dem einen Latein hervorgegangen. Durch Denkmäler erst seit dem 9t Jhd. bezeugt.
Vgl. August Schleicher, Kurzer Abriss der Geschichte der italienischen Sprachen in: Rheinisches Museum für Philologie 14 (1859), S. 344 f.:
VI. Periode, in die Periode der italischen Sprachen und des archaischen Lateins. Das Italische als eine Mehrheit von Schwestersprachen. I. Historische Periode von den ältesten Zeiten bis zur Ertheilung der Civität an die socii 666 (wenn wir wenigstens einen bestimmten Abschluß geben wollen), bis zur Bildung einer gemeinsamen correcten lateinischen Schriftsprache und dem vollständigen Verdrängen der anderen italischen Sprachen dem öffentlichen Gebrauche. […] VII. Periode der einen lateinischen Schriftsprache; das Italische als eine und zwar als lateinische Sprache. II. Historische Periode von 88 v. Chr. bis etwa gegen das Ende des 5. Jahrh. n. Chr. Wenn auch das Oskische noch in diese Periode hereinragt, so tritt es doch gänzlich in den Hintergrund, so daß wir von dieser verseinzelten Fortdauer einer italischen Sprache neben dem Latein bei der Abtheilung großer Perioden füglich absehen dürfen. Die Schriftsprache selbst, die sich von nun an wenigstens in den Lauten und den grammatischen Formen wesentlich gleich bleibt, ist für die Geschichte der Sprache von geringerer Bedeutung als die Volkssprache, die Sprache des täglichen Lebens, die sich bis gegen das Ende dieser Periode hin leider fast gänzlich unseren Blicken entzieht. Die Verbreitung der lateinischen Sprache ausserhalb Italiens, die schon in der vorigen Periode begonnen hat, vollendet sich in dieser. Man hüte sich jedoch in der Ausbreitung des Lateins die Hauptursache der Veränderung der lateinischen Sprache zu suchen; das Lateinische unterlag im Laufe der Zeit eben so lautlichen und grammatischen Abschleifungen, sprachgeschichtlihen Gesetzen gemäß, wie alle Sprachen. Die Beimischung fremder Worte ändert nicht das eigentlich Wesentliche der Sprache. […] Demnach ist die leßte Periode im Leben des Italischen (abgesehen von seiner Zukunft, die uns nichts angeht) die VIII. Periode, die Periode der romanischen Sprachen. Das Italische als eine Mehrheit aus dem einen Latein hervorgegangener Schwestersprachen. III. Historische Periode, bis auf die Gegenwart. Durch Denkmäler ist das früher schon entstandene Romanisch erst vom 9. Jahrh. an bezeugt.
Nietzsche war mit August Schleicher, insbesondere mit dessen Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen, sicherlich bereits während seiner Studienzeit vertraut. In den Mitschriften zu Griechische Grammatik (GSA 71/50, Blätter 41, 149, 163 und 169; GSA 71/51, Blätter 30, 39 und 77), die den Vorlesungen Georg Curtius’ entstammen, sowie in jenen zu Einleitung und Anleitung zur lateinischen Grammatik (GSA 71/52, Blatt 174), Historische Grammatik der lateinischen Sprache nebst Einleitung in die roemische Epigraphik (GSA 71/54, Blatt 63) und Lateinische Grammatik (GSA 71/55, Blatt 101), die auf Friedrich Ritschl zurückgehen, finden sich direkte Verweise auf Schleicher und dessen Compendium. Auch die Bekanntschaft mit dem 14. Band des Rheinischen Museums für Philologie lässt sich bereits auf Nietzsches Studienzeit zurückführen, wie die Notizen zu den genannten Ritschl-Vorlesungen Einleitung und Anleitung zur lateinischen Grammatik (GSA 71/53, Blatt 51), Historische Grammatik der lateinischen Sprache (GSA 71/54, Blätter 4, 13, 31, 39, 101, 105, 117) und Lateinische Grammatik (GSA 71/55, Blatt 20) belegen – auch wenn sich die Verweise auf die darin enthaltenen Beiträge von Ritschl (Epigraphische Briefe) und Keil (Zum Corpus Inscriptionum Graecarum) beschränken.
In der Forschung wurde wiederholt auf Nietzsches Lektüre des Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen sowie auf den Einfluss Schleichers in den Vorlesungen über lateinische Grammatik hingewiesen. Fritz Bormann nennt Schleicher als eine der Quellen der Vorlesungen,[1] eine Einschätzung, die von Christian Benne,[2] Johann Figl[3] und mir[4] geteilt wird – insbesondere wegen der Verwendung des Stammbaum-Diagramms im zweiten Kapitel der Vorlesung. Christian J. Emden wiederum vertritt die Auffassung, dass Nietzsche zumindest Teile des Compendiums gelesen haben muss, als er das Werk 1869 aus der Basler Bibliothek entlieh – in jener Zeit, in der er seine Vorlesungen über lateinische Grammatik vorbereitete.[5]
Am 3. November 1869 entleiht Nietzsche aus der Basler Universitätsbibliothek das Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen. Wenige Tage später, am 10. November 1869, leiht er sich aus derselben Bibliothek den 14. Band des Rheinischen Museums für Philologie (1859) aus, der den Aufsatz Kurzer Abriss der Geschichte der italienischen Sprachen enthält.[6] Aus beiden Texten übernimmt Nietzsche insbesondere Schleichers sprachklassifikatorische Modelle – das genealogische und das morphologische –, die Eingang in das zweite Kapitel der Vorlesungen über lateinische Grammatik finden. Schleicher gilt als zentrale Figur der frühen Sprachwissenschaft aufgrund seiner evolutionären Deutung morphologischer Sprachtypen (isolierend, agglutinierend, flektierend) sowie seiner Vorstellung eines genealogischen Netzes, das sich von einer Ursprache in Sprachfamilien aufgliedert.[7]
In seinem Vorlesungsmanuskript bildet Nietzsche Schleichers berühmtes Stammbaum-Diagramm der indogermanischen Sprachfamilien ab. Dass ihm solche schematischen Darstellungen bereits durch seine Kenntnis Ritschls vertraut waren, sollte dabei nicht unberücksichtigt bleiben. Ritschl stellte genealogische Beziehungen zwischen Handschriften durch stemmata codicum dar. Es ist durchaus plausibel, dass Schleicher selbst Anregungen für seine genealogischen Darstellungen auch bei Ritschl und Karl Lachmann gefunden haben könnte.[8]
Literaturverzeichnis
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