Startseite Wagner, Deliah, Führer, Jennifer Laura & Asbrock, Frank, Von Kriminalitätsfurcht zu Feindseligkeit. Dynamiken der Kriminalitätswahrnehmung im politischen Kontext. Nomos Verlag, Baden-Baden 2024. 190 Seiten.
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Wagner, Deliah, Führer, Jennifer Laura & Asbrock, Frank, Von Kriminalitätsfurcht zu Feindseligkeit. Dynamiken der Kriminalitätswahrnehmung im politischen Kontext. Nomos Verlag, Baden-Baden 2024. 190 Seiten.

  • Helmut Hirtenlehner
Veröffentlicht/Copyright: 31. Januar 2025

Rezensierte Publikation:

Wagner Deliah, Führer Jennifer Laura & Asbrock Frank, Von Kriminalitätsfurcht zu Feindseligkeit. Dynamiken der Kriminalitätswahrnehmung im politischen Kontext. Nomos Verlag, Baden-Baden 2024. 190 Seiten.


Das Zentrum für Kriminologische Forschung Sachsen bereicherte das Oeuvre unserer Disziplin kürzlich um eine Publikation zu den »Dynamiken der Kriminalitätswahrnehmung im politischen Kontext«. Der Untertitel dieses hier zu besprechenden Sammelwerks ist Programm: Die thematische Bandbreite der im Buch versammelten Artikel erstreckt sich vom rechtsgerichteten Autoritarismus hin zur Furcht vor dem Verbrechen. Eine gemeinsame, die verschiedenen Einzelbeiträge verbindende Fragestellung zielt darauf, wie rechtsautoritäre bzw. rechtspopulistische Einstellungen oder kriminalitätsbezogene Unsicherheitsgefühle entstehen bzw. wie sich diese beiden Größen gegenseitig beeinflussen. Teilaspekte dieses Sujets werden in den enthaltenen Aufsätzen empirisch bearbeitet.

Alle im Sammelband vertretenen Beiträge stützen sich auf Daten aus dem »Panel zur Wahrnehmung von Kriminalität und Straftäter:innen« (kurz: PaWaKS). Dabei handelt es sich um eine 5-Wellen-Panelstudie, für die bundesweit über einen Zeitraum von zwei Jahren halbjährlich (anfangs) rund 5.000 Personen befragt wurden. Die Online-Umfrage beruht auf einer soziodemographisch und regional repräsentativen Zufallsstichprobe der erwachsenen Bevölkerung Deutschlands. Im Zeitpunkt der Verfassung des Sammelwerks konnten Daten aus den ersten vier Befragungsrunden analysiert werden; an der vierten Welle haben immer noch mehr als 1.000 Personen teilgenommen. Die Forschung zur Kriminalitätswahrnehmung in Deutschland um eine derart elaborierte Multi-Wellen-Paneluntersuchung zu bereichern und die gesammelten Daten dann auch noch anderen Wissenschaftlern unentgeltlich zur Verfügung zu stellen, kann gar nicht hoch genug geschätzt werden. Hier kann man Frank Asbrock und seinen Kolleginnen nur bewundernd gratulieren.

Debattieren lässt sich über die Operationalisierung mancher der im Sammelband verwendeten Konstrukte. So wird beispielsweise die Fremdenfeindlichkeit nur über ein einziges Item erhoben. Affektive Verbrechensfurcht wird in Form der Häufigkeit einschlägiger Furchterlebnisse gemessen. Diese Operationalisierung leistet eine Erfassung erfahrungsbezogener Kriminalitätsfurcht, deren Prädiktoren sich von den Determinanten expressiver Kriminalitätsfurcht systematisch unterscheiden (Farrall et al. 2009). Während die Bestimmungsfaktoren ersterer stärker im kriminalitätsnahen Bereich angesiedelt sind, erlangt letztere erst im Kontext einer Fülle anders gelagerter (sozialer, ökonomischer und politischer) Unsicherheiten ihre Bedeutung. Das wird Auswirkungen auf die erzielten Befunde haben. Rechtsautoritäre bzw. -populistische Einstellungen dürften stärker mit expressiver als mit erfahrungsbezogener Verbrechensfurcht zusammenhängen. Sehr vermisst wird jedenfalls eine Messung individueller Unordnungswahrnehmungen. Die Abwesenheit von Messwerten subjektiver ›Disorder Perceptions‹ im Datenvorrat verhindert, dass diese in den verschiedenen Auswertungen zur Entstehung kriminalitätsbezogener Unsicherheitsgefühle als Kontrollvariablen Berücksichtigung finden können, was kausale Schlussfolgerungen trotz des längsschnittlichen Untersuchungsformats erheblich erschwert. Dies kann den Autoren der Buchbeiträge nicht vorgehalten werden. Wie das bei Sekundäranalysen eben so ist: Arbeiten kann man nur mit den Variablen, die im reanalysierten Datensatz vorhanden sind.

Der erste inhaltliche Artikel befasst sich mit den Determinanten der Bewertung von Hass- bzw. Vorurteilskriminalität. Rowenia Bender und Oliver Christ zeigen, dass Befragte aus den neuen Bundesländern vorurteilsmotivierte Gewalttaten moralisch weniger missbilligen als Personen aus den alten Bundesländern dies tun. Da das diesbezügliche Ost-West-Gefälle auch nach Kontrolle von sozialstrukturellen Merkmalen signifikant bleibt, vermuten die Autoren hier einen Effekt des regionalen Meinungsklimas.

Der nächste Beitrag beleuchtet die Natur der Beziehung zwischen der Furcht vor Kriminalität und der Akzeptanz rechtspopulistischer Politikangebote. Auf der Basis komplexer Strukturgleichungsmodellierungen finden Henrik Andersen und Jochen Mayerl keine Belege für eine gegenseitige Beeinflussung der beiden Größen. Beobachtbare bivariate Zusammenhänge zwischen der Verbrechensfurcht und der Unterstützung rechtspopulistischer Parteien scheinen aus Sicht der Autoren vielmehr deren gemeinsamer Verwurzelung im Autoritarismusgrad der Person geschuldet zu sein. Realiter bleiben in den vorgestellten Analysen aber auch die Autoritarismuseffekte sehr schwach. Der Artikel besticht indes durch eine sehr anschauliche und zugängliche Darstellung der Anwendung des ›Cross-Lagged Panel Models‹ mit ›Fixed Effects‹.

In einer weiteren Arbeit suchen Clemens Lindner, Pascal Gelford und Thomas Kessler nach kontextuellen Determinanten des rechtsgerichteten Autoritarismus. Ausgehend von der Erkenntnis, dass Autoritarismus bislang vorwiegend als Persönlichkeitsmerkmal konzipiert und dessen Kontextabhängigkeit vernachlässigt wurde, zeigen die Autoren unter Zusammenführung der PaWaKS- mit Politbarometerdaten, »dass sozial geteilte und in einem sozialen Kontext verbreitete rechte Einstellungen signifikant die individuelle Ausprägung des RWA [›Right-Wing Authoritarism‹ – der Verfasser] einer Person vorhersagen« (S. 93). Zu diesem Schluss gelangen sie vermittels statistischer Mehrebenenanalysen, in welche sie die auf Bundesländerebene hochaggregierten Autoritarismuswerte der Befragten und die aus der Sonntagsfrage für die jeweiligen Bundesländer errechneten Wähleranteile verschiedener politischer Parteien als Prädiktoren einführen. Ob Bundesländer hier nicht eine etwas großräumige Aggregationsebene darstellen, kann man diskutieren. Verdienstvoll ist jedenfalls der Nachweis, dass individuelle rechtsautoritäre Haltungen sich in einem Prozess der Anpassung an kontextuelle Stimmungslagen bzw. kollektive Mentalitäten entwickeln.

Eva Groß, Stefanie Kemme, Joachim Häfele und Jasper Bendler analysieren die komplexen Wechselbeziehungen zwischen Verbrechensfurcht, Fremdenfeindlichkeit und Punitivität. Ausgehend von der Idee einer engen Verwobenheit der drei Konstrukte schätzen die Autoren trivariate ›Cross-Lagged Panel Models‹, um unter Ausnutzung der längsschnittlichen Natur der PaWaKS-Daten die kausale Ordnung der Konzepte zu bestimmen. Die Ergebnisse enthüllen reziproke Abhängigkeiten zwischen der Ablehnung von Zuwanderung und der Befürwortung strenger Strafen. Der Konnex fremdenfeindlicher und punitiver Einstellungen zur Furcht vor Kriminalität bleibt indes bescheiden, was allerdings mit der oben schon angesprochenen Art der Operationalisierung von Verbrechensfurcht zu tun haben könnte. Die Beziehungen zu herkömmlichen Messungen der Kriminalitätsangst könnten durchaus enger ausfallen. Während der Effekt fremdenfeindlicher Ressentiments auf die persönliche Straffreudigkeit mit der Gruppenbedrohungsthese (Blalock 1967) bzw. dem ›Racial-Animus Model‹ (Unnever & Cullen 2010) gut erklärbar erscheint, bedarf der umgekehrte Wirkungspfad noch einer näheren theoretischen Fundierung (so man sich nicht auf die Annahme beschränken will, dessen Existenz reflektiere schlicht den gemeinsamen Ursprung der beiden Konstrukte in einem autoritären Einstellungssyndrom bzw. in diffusen Modernisierungsängsten). »Bestrafungswünsche brauchen ein Ziel in Form eines idealtypischen Straftäters« geben uns die Autoren (S. 113) hier als Starthilfe mit auf den Weg.

In einem politikwissenschaftlich gerahmten Beitrag untersuchen Reinhold Melcher und Christoph Meißelbach, wie Sensibilitäten bezüglich politisch motivierter Straftaten die Wahlabsicht der Bürger beeinflussen. Bislang kennt man in diesem Zusammenhang nur, dass Furcht vor Kriminalität anfällig für rechtspopulistische Politikangebote macht (Schuermans & Maesschalck 2010). Resultate hybrider multinomialer Mehrebenenmodelle liefern keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass eine Besorgnis bezüglich extremistischer Kriminalität eine Hinwendung zu Parteien der politischen Mitte begünstigt. Vielmehr verstärkt die Sorge vor rechtsextremistischen Straftaten die Bereitschaft, Parteien im dezidiert linken Spektrum zu unterstützen, während die Sorge vor linksextremistischen Straftaten das Wählen rechtsgerichteter Parteien wahrscheinlicher macht. Offenbar formen politische Standpunkte, was man fürchtet und wie sich das auf das weitere Wahlverhalten auswirkt.

In einer abschließenden theoretischen Einordung der in den einzelnen Arbeiten erzielten Befunde unterstreicht Thomas Feltes die Relevanz des symbolischen Paradigmas (Elchardus et al. 2008) für das Verständnis gegenwärtiger Verbrechensfurcht. Danach klammern diffuse Ängste sich an alles, was ihnen als Kristallisationsobjekt angeboten wird. Mediale Berichterstattung und politische Agitation offerieren ›Kriminelle‹ und ›Ausländer‹ als ideale Projektionsfläche für schwer bestimmbare, inzwischen aber auch die gesellschaftliche Mitte erfassenden Transformationsängste. Abstrakte Unsicherheitsgefühle finden so in der konkreteren Furcht vor dem gefährlichen Fremden ein erlösendes Auslassventil.

Die im Sammelband enthaltenen empirischen Arbeiten zeichnen sich allesamt durch sehr anspruchsvolle statistische Modellierungen aus. Ihre Nutzung der zur Verfügung gestellten Paneldaten entspricht dem methodischen ›State of the Art‹. Zusammengenommen liefern die Beiträge ein umfassendes und facettenreiches Bild von den Interdependenzen autoritär-populistischer Haltungen und kriminalitätsassoziierter Furchtsamkeiten. Eine in verschiedenen Artikeln wiederkehrende Botschaft bezieht sich dabei auf die Bedeutung des regionalen Meinungsklimas für die Entwicklung individueller Sensibilitäten, sei es im Bereich rechtsautoritärer Einstellungen oder im Hinblick auf die Furcht vor dem Verbrechen. Dies deckt sich mit aktuellen kriminologischen Forschungsergebnissen zu den Implikationen rechtspopulistischer Stimmungsmache und kollektiver Befindlichkeiten. Beispielsweise zeigen Eva Groß und Kollegen (2023) anhand querschnittlicher Befragungsdaten aus zwei deutschen Bundesländern, dass die Intensität persönlicher Kriminalitätsfurcht erst unter Berücksichtigung der Resonanz rechtsgerichteter politischer Agitation im Landkreis sowie des im lokalen Umfeld vorherrschenden Angstklimas adäquat verständlich wird.

Helmut Hirtenlehner

Johannes Kepler Universität Linz

Literatur

Blalock, H. (1967). Toward a Theory of Minority Group Relations. New York: Capricorn Books.Suche in Google Scholar

Elchardus, M., De Groof, S. & Smits, W. (2008). Rational Fear or Represented Malaise. A Crucial Test of Two Paradigms Explaining Fear of Crime. Sociological Perspectives 51: 453–471.10.1525/sop.2008.51.3.453Suche in Google Scholar

Farrall, S., Jackson, J. & Gray, E. (2009). Social Order and the Fear of Crime in Contemporary Times. Oxford: Oxford University Press.10.1093/acprof:oso/9780199540815.001.0001Suche in Google Scholar

Groß, E., Hirtenlehner, H., Häfele, J. & Kanis, S. (2023). Autoritärer Nationalradikalismus, Xenophobie und kriminalitätsbezogene (Un-)Sicherheitsgefühle. Eine Mehrebenenanalyse. Soziale Probleme 34: 348–378.10.3262/SP2302348Suche in Google Scholar

Schuermans, N. & Maesschalck, F. (2010). Fear of Crime as a Political Weapon: Explaining the Rise of Extreme Right Politics in the Flemish Countryside. Social & Cultural Geography 11: 247–262.10.1080/14649361003637190Suche in Google Scholar

Unnever, J. & Cullen, F. (2010). The Social Sources of Americans’ Punitiveness: A Test of Three Competing Models. Criminology 48: 99–129.10.1111/j.1745-9125.2010.00181.xSuche in Google Scholar

Online erschienen: 2025-01-31
Erschienen im Druck: 2025-04-16

© 2025 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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Heruntergeladen am 12.10.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/mks-2025-0001/html?lang=de
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