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Menschenrechte

Published/Copyright: August 12, 2021
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Liebe Leserinnen und Leser,

„Menschenrechte kennen keine Grenzen“, so hieß es in einem im Mai 2020 veröffentlichten „Gemeinsamen Wort der Kirchen zur Interkulturellen Woche“ in Deutschland. „Sie gelten auch für Flüchtlinge und Schutzsuchende in Europa, an dessen Rändern und vor den Toren unseres Kontinents“, erklärten der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Bischof Georg Bätzing, und der Vorsitzende der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland, Metropolit Augoustinos Lambardakis. Nicht überall herrscht eine solche ökumenische Einigkeit in der Bewertung der Menschenrechte. Deshalb widmete sich die 65. Europäische Tagung für Konfessionskunde vom 19. bis 20. Februar 2021, konzipiert und organisiert vom Konfessionskundlichen Institut des Evangelischen Bundes und seinem Wissenschaftlichen Beirat, diesem Thema. Die Vorträge, die dort als Diskussionsimpulse gehalten wurden, werden in diesem Heft einem breiteren Publikum zugänglich gemacht.

Das konfessionskundliche Interesse an dieser Thematik ist es, die Nuancen in der Begründung und Stellung der Menschenrechte in den verschiedenen Konfessionen genauer zu verstehen. Dazu bietet der Beitrag des evangelischen Ethikers Friedrich Lohmann eine Einleitung, indem er die philosophischen und theologischen Grundlagen für die Entstehung des Menschenrechtsgedankens überblicksmäßig entfaltet.

Die erste Serie von Artikeln ist dem evangelischen Spektrum gewidmet – sowohl landeskirchlich als auch freikirchlich. Für die evangelisch-landeskirchliche Tradition zeigt zunächst der Bonner Pfarrer und Doktorand Malte große Deters den historischen Weg von einer anfänglichen Skepsis bzw. Ablehnung der Menschenrechte hin zu deren Befürwortung und stellt für den Stand der heutigen Haltung exemplarisch die Auffassungen von Jürgen Moltmann und Heinz Eduard Tödt/Wolfgang Huber einander gegenüber. Im Beitrag von Ulrike Schuler, Professorin an der Theologischen Hochschule Reutlingen, wird deutlich, dass es im Methodismus zentral um die religiöse und bürgerliche Freiheit der Menschen geht. Aus der Beziehung des Menschen zu Gott ergibt sich die Fähigkeit, ethisch zu handeln und sich für andere einzusetzen. Die Oldenburger Professorin Andrea Strübind hinterfragt das baptistische Selbstverständnis, Vorkämpfer der Menschenrechte gewesen zu sein, und macht auf die Gefahr eines konditionalen Verständnisses der Religionsfreiheit in jüngster Zeit aufmerksam. Stefan Höschele, Professor an der Theologischen Hochschule Friedensau, legt dar, dass im Bereich der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten zwar auf dem Hintergrund der amerikanischen Herkunft die Menschenrechte von Anfang an befürwortet wurden, aber bisher vor allem die Frage der Religionsfreiheit Gegenstand systematischen Nachdenkens war. Auch spielt die Betonung der mit den Menschenrechten verbundenen Pflichten hier eine wichtige Rolle.

Drei weitere Artikel beleuchten die vorreformatorischen Kirchen: Ingeborg Gabriel, katholische Sozialethikerin aus Wien, macht deutlich, dass auch in der katholischen Kirche der Widerstand gegen die Menschenrechte erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil aufgegeben wurde, und plädiert für eine Verstärkung der Bemühungen um deren Durchsetzung. Die orthodoxe Sicht wird von dem rumänischen Kirchenhistoriker Mihai-D. Grigore dargestellt. Er stellt in den östlich-orthodoxen Kirchen eine uneinheitliche Haltung und eine unzureichende Beschäftigung mit den Menschenrechten fest und schlägt eine Fundierung im biblischen Gedanken der Liebe Gottes vor. Der koptisch-orthodoxe Diakon Sherif Rezkalla aus Düsseldorf hebt hervor, dass durch die von Gott geschenkte Freiheit der Mensch auch für seine Taten verantwortlich ist, und macht darauf aufmerksam, dass in den allgemeinen Erklärungen zu den Menschenrechten ein Recht fehlt: das Recht zu lieben und geliebt zu werden.

Die letzten vier Artikel bilden eine inhaltliche Einheit insofern, als es hier exemplarisch um die konkrete Debatte zu den Menschenrechten geht, die vor einigen Jahren zwischen der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) und der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) geführt wurde, in die sich auch römisch-katholische Stimmen einschalteten. Die Direktorin des Instituts für Ökumenische Forschung in Straßburg und Orthodoxieexpertin Jennifer Wasmuth fasst zunächst den Inhalt des Dokumentes der ROK, das die Debatte ausgelöst hatte, kurz zusammen und rekapituliert die verschiedenen Argumentationen der an der Diskussion Beteiligten. Sie stellt heraus, dass es angesichts neuer Herausforderungen interessant ist, sich heute noch einmal mit dieser Diskussion zu beschäftigen. Ernest Kadotschnikow, russisch-orthodoxer Christ und Religionswissenschaftler aus Erfurt, erläutert die Hintergründe der Haltung der ROK. Stefan Tobler, reformierter Theologe in Sibiu (Rumänien), der an der damaligen Debatte federführend mitbeteiligt gewesen war, analysiert die Differenzen, die sich damals zwischen den beiden Traditionen gezeigt hatten, und kommt zu dem Ergebnis, dass von einer grundsätzlichen Inkompatibilität keine Rede sein kann. Zum Abschluss zeigt die katholische Theologin Barbara Hallensleben aus Fribourg (Schweiz), dass das jüngste orthodoxe Dokument zur Sozialethik („For the Life of the World“, vorgestellt in MdKI 2/2021) ein neues Licht auf die damalige Debatte wirft und neue Perspektiven für eine Konvergenz in Fragen der Menschenrechte eröffnet.

Das eingangs erwähnte „Gemeinsame Wort der Kirchen zur Interkulturellen Woche“ in Deutschland ist nach wie vor eines, das jährlich nur von den hiesigen byzantinisch-orthodoxen, römisch-katholischen und evangelisch-landeskirchlichen Kirchenleitungen ergeht. Andere der in Deutschland kleinen Kirchen sind bisher nicht beteiligt. Der „Ökumenische Bericht zur Religionsfreiheit von Christen weltweit“ erging 2013 und 2017 im Namen der DBK und der EKD. Es wäre zu begrüßen, wenn dieses Heft des „Materialdienstes“ zur Weiterentwicklung kirchlichen Einsatzes für Menschenrechte in ökumenischer Gemeinsamkeit beitragen könnte.

Wir wünschen, wie immer auch im Namen unserer Kollegin Miriam Haar und unseres Kollegen Martin Bräuer, ertragreiche Lektüre!

Dagmar Heller und Lothar Triebel

Published Online: 2021-08-12
Published in Print: 2021-08-10

© 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 11.10.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/mdki-2021-0020/html?lang=en
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