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Stufendiagnostik zur Abklärung von krankhaften Veränderungen der Leukozyten

  • Heinz Diem EMAIL logo , Thomas Nebe and Peter Bettelheim
Published/Copyright: September 22, 2015
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Zusammenfassung

Die maschinelle Analyse von Veränderungen der weißen Blutzellen ist zu einem Massenparameter geworden und wird durch Hämatologieautomaten mit hohem Probendurchsatz geleistet. Die nachfolgende Stufe einer mikroskopischen Analyse eines panoptisch gefärbten Blutausstrichs durch einen erfahrenen Untersucher ist arbeitsaufwändig und teuer bei unzureichender Vergütung. Jedoch ist sie wegweisend und entscheidet über teure Spezialanalysen wie Zytogenetik und Molekulargenetik. Der Strategie der Stufendiagnostik kommt daher an dieser Stelle eine besondere Bedeutung zu. Zu diesem Thema wird ein neuer Vorschlag unterbreitet.

Abstract

The automated analysis of changes of white blood cells and their differential has become a high-throughput laboratory investigation done by hematology analyzers. The subsequent step of manual review of a stained blood film by light microscopy by an experienced investigator is laborious and expensive and has insufficient reimbursement. However, this is the decisive step and basis for very expensive specialized diagnostics like cytogenetics and molecular genetics. The strategy for a stepwise diagnostic procedure plays an important role at this stage. A new proposal is presented here.

Rezensierte Publikation:

Nebe C.T.


Einleitung

Das kleine Blutbild und das Differenzialblutbild zählen zu den am häufigsten angeforderten Laboruntersuchungen. Leukozytopenien und Leukozytosen sowie quantitative Veränderungen der Granulo- und Lymphozyten können sowohl reaktive Ursachen haben, als auch Folge von malignen Veränderungen der Myelopoese oder des lymphatischen Systems sein.

Die hier als Diskussionsvorschlag angeführte Stufendiagnostik stellt die Veränderungen der Leukozyten in den Mittelpunkt, ohne den Zusammenhang mit den anderen Zellsystemen vernachlässigen zu wollen. Diese Stufendiagnostik ist multifaktoriell, sie hängt von der Art der Veränderungen, vom Ausmaß und vom zeitlichen Verlauf ab. Das Ziel der hier dargestellten Stufendiagnostik ist eine sinnvolle Vorgehensweise und nicht eine komplette Auflistung aller in Frage kommender Differenzialdiagnosen.

Das kleine Blutbild ist zumeist Bestandteil eines Aufnahmeprofils oder routinemäßigen Laborchecks und wird oft unabhängig vom klinischen Status eines Patienten angefordert. Besteht vorab der Verdacht auf Veränderungen des Blutbildes oder zeigt der Patient unklare Symptome, so sollten (neben anderen Laboranforderungen) zusätzlich immer eine Differenzierung der Leukozyten (inkl. Beurteilung des roten Blutbilds und der Thrombozyten) und die Retikulozyten angefordert werden, die heute zu einem festen Bestandteil der Basisdiagnostik geworden sind [1].

Das kleine Blutbild, also die Messung der Konzentration der zellulären Blutbestandteile inkl. der Erythrozytenindices, kann fast ausnahmslos von automatischen Analysensystemen mit hoher Präzision und Richtigkeit durchgeführt werden.

Das Differenzialblutbild mit der Darstellung der Leukozytenuntergruppen kann von hämatologischen Analysesystemen nur zum Teil korrekt ermittelt werden [2]. Hämatologieautomaten können in der Regel unauffällige Zellpopulationen (Neutrophile segmentkernige Granulozyten, Lymphozyten, Monozyten, eosinophile Granulozyten) mit hoher Präzision zuordnen und quantifizieren. Normalerweise im Blut „nicht vorkommende“ Zellen werden jedoch von Automaten nicht sicher erkannt, damit auch nicht gezählt, bei „höherer“ Anzahl jedoch mit einem „Flag“ versehen. Differenzialblutbilder vom Gerät, die mit einem „Flag“ gewarnt sind, müssen am Mikroskop analysiert oder zumindest überprüft werden. Die häufigsten Flags sind in Tabelle 1 und die Leistungsfähigkeit von hämatologischen Analysensystemen ist in Tabelle 2 aufgelistet.

Tabelle 1

Die wichtigsten Warnhinweise (Flags) von hämatologischen Analysengeräten, die eine Nachkontrolle erfordern.

Blasten
Linksverschobene Granulopoese
Atypische Lymphozyten (beinhaltet sowohl aktivierte lymphatische Zellen als auch Lymphomzellen)
Erythroblasten
Thrombozytenagglutinate

Die Flags werden von den Geräten mit unterschiedlichen firmenspezifischen Abkürzungen benannt; diese sind hier nicht extra aufgelistet.

Tabelle 2

Leistungsfähigkeit von hämatologischen Analysensystemen.

AnalytBeurteilung
Leukozytenzahlsehr gut
Konzentrationen von neutrophilen Granulozyten, Lymphozyten, Monozyten, eosinophile Granulozytensehr gut
Konzentration von basophilen Granulozytenmäßig
Linksverschobene Zellen, Blasten, atypische LymphozytenWarnhinweise möglich, nicht sicher
PlasmazellenZählung und sichere
Zuordnung nicht möglich
Erythrozytenindices (MCV, MCH, MCHC)sehr gut
Erythrozytenanisozytosesehr gut
Erythroblasten (Zählung)möglich, oft unsicher
Erythrozytenmorphologie (siehe Checkliste Morphologie)nicht möglich
Thrombozytenzahlsehr gut
ThrombozytenagglutinateErkennen möglich, nicht sicher
Thrombozytenanisozytosemöglich

Ein „Flag“ eines hämatologischen Analysesystems bei der Leukozytendifferenzierung einer Blutprobe bedeutet, dass eine normalerweise nicht vorkommende Zellpopulation der Blutprobe vorhanden sein könnte. Die Sensitivität der Erkennung von atypischen Populationen ist jedoch von Gerät zu Gerät verschieden und kann zum Teil vom Anwender verändert werden.

Als Regel gilt

  • je sensitiver ein Gerät Warnhinweise gibt, desto mehr pathologische Proben werden vom Gerät erkannt. Der Nachteil von „sensitiven“ Geräten ist, dass auch zum Teil unauffällige Proben gewarnt und damit ausgestrichen werden. Die hohe Richtigkeit für normale Zellpopulationen vom Gerät geht bei der manuellen Mikroskopie verloren, da in der Regel nur 100 oder 200 Zellen differenziert werden. Zusätzlich steigt der zeitliche Aufwand der Nachdifferenzierung am Mikroskop.

  • Je weniger sensitiv ein Gerät ist, desto mehr pathologische Proben werden nicht gewarnt und ausgestrichen. Der Nachteil ist damit ein mehr oder weniger hoher Anteil an nicht erkannten pathologischen Proben. Dies kann Patienten gefährden und die Verantwortung hierfür liegt beim Labor.

Die meisten Laboratorien arbeiten mit diesem Stufenschema und ermitteln die Differenzialblutbilder primär am Automaten. Dies ist in der Abbildung 1 dargestellt. Die Blutprobe des Patienten wird mit einem Laborauftrag, aber meist ohne klinische Fragestellung (der linke Pfeil vom Patienten weg) an das Labor geschickt und dort am Automaten analysiert.

Abbildung 1: Schematische Darstellung des empfohlenen Laborablaufs.
Abbildung 1:

Schematische Darstellung des empfohlenen Laborablaufs.

Wird das Blutbild „nicht geflagt“ (die grüne Flagge in Abbildung 1), so werden die Blutbildwerte dem Einsender mitgeteilt, ohne dass eine Kontrolle am Mikroskop stattgefunden hat. Die alters- und geschlechtsabhängigen Referenzbereiche sind in der Regel auf den Laborausdrucken mit angegeben und wurden kürzlich aktuell ermittelt [3]. Die Bewertung und der Abgleich mit der Klinik bzw. den klinischen Symptomen erfolgt durch den Einsender.

Wird das Blutbild „geflagt“ (die rote Flagge in Abbildung 1), dann wird das EDTA-Blut ausgestrichen und am Mikroskop manuell beurteilt, eine optimale Färbung des Ausstrichs vorausgesetzt [4]. Die Werte des kleinen Blutbilds, die Prozent- und Absolutwerte der Leukozytenuntergruppen, sowie die am Mikroskop zusätzlich erkannten Veränderungen der Leuko-, Erythro- als auch Thrombozyten werden dem Einsender ohne Interpretation (in der Graphik dargestellt als „ohne Befund“) mitgeteilt.

Das Problem bei dieser Vorgehensweise ist, dass hämatologische Automaten nicht sicher pathologische Zellpopulationen erkennen und damit auch nicht warnen können. Aus diesem Grund gibt es viele zusätzliche Algorithmen (Regelwerke) [5], die aus Kombinationen von Blutbildwerten nahelegen, dass auffällige Zellpopulationen vorhanden sein müssten, auch wenn das Gerät diese nicht warnt. Diese Blutbilder werden durch den angewandten Algorithmus gewarnt, ausgestrichen und am Mikroskop analysiert. So werden z.B. Blutbilder mit Granulozytopenie ausgestrichen, aus der Befürchtung heraus, Dysplasien oder Blasten bei einem myelodysplastischen Syndrom (MDS) zu übersehen. Dies stellt eine nicht unerhebliche Arbeitsbelastung dar, vor allem, da meistens nicht hämatologische Erkrankungen die Granulozytopenie verursacht haben (z.B. Z.n. Chemotherapie oder Virusinfektion). Auch neue Verfahren, die immunzytologische Kriterien einschließen, haben eine hohe Rate an Nachbearbeitungen [6]. Ein Kompromiss für eine Workflow-Entscheidung kann ein schneller Blick durch das Mikroskop sein [7].

An dieser Stelle setzt unser „neuer“ Vorschlag an. Die Ergebnisse von Differenzialblutbildern ohne Fragestellung und ohne Flag vom Gerät werden dem Einsender mitgeteilt, ohne dass zusätzliche Algorithmen diesen Entscheidungsbaum beeinflussen, da diese Regelwerke unvollkommen sind. Kann der Arzt, der den Patienten betreut, die Blutbildveränderungen nicht mit der Klinik in Einklang bringen, so entsteht eine Fragestellung. Die Fragestellung (um bei dem Beispiel zu bleiben) „unklare Granulozytopenie“ mit „V.a. MDS“ wird dem Labor auf der Laboranforderung mitgeteilt und der Laborablauf ändert sich (dargestellt mit dem rechten Pfeil in der Abbildung und den Angaben in dem Laborauftrag). In diesem Fall wird immer ein manuelles Differenzialblutbild angefertigt und dem Einsender werden die Werte des kleinen Blutbilds und des Differenzialblutbilds mitgeteilt, als auch die Frage des Einsenders beantwortet. Die Beantwortung einer solchen nachvollziehbaren Fragestellung (und nicht einer vorgeschobenen Frage) kann über einen Befund, über Textbausteine oder aber auch über Textkürzel erfolgen. In Tabelle 3 sind zur Anschauung einige Beispiele aufgelistet.

Tabelle 3

Beispiele einer klinischen Fragestellung und eine mögliche Antwort des Labors.

FragestellungAntwort
Unklare AnämieNormozytäre, hyporegenerative Anämie.
Morphologisch keine auffälligen
Erythrozyten
Unklare ThrombozytopenieThrombozytenagglutinate +++
V.a. Pseudothrombozytopenie
Unklare Lymphadenopathie. Lymphom?10% atypische Lymphozyten, vermutlich neoplastisch
Unklare Zytopenie – MDS?Panzytopenie mit einzelnen Blasten und
Dysplasien. V.a. MDS oder Akute Leukämie
Unklares Fieber. Unklare Splenomegalie„atypische Lymphozyten, vermutlich reaktiv“
V.a. Virusinfektion

Der „neue“ Vorschlag lässt die Anforderung eines „manuellen“ Differenzialblutbildes bei normalem Blutbild, ohne Flags und ohne Fragestellung nicht (mehr) zu. Ein manuelles Blutbild ist zeitaufwändig und nur gerechtfertigt, wenn eine Fragestellung durch den Einsender angegeben wurde, welche eine mikroskopische Differenzierung notwendig macht und die ein Analysegerät nicht leisten kann (siehe Tabelle 2).

Um am Mikroskop nichts zu übersehen, hilft eine Checkliste, an deren Punkte bei jeder mikroskopischen Analyse gedacht werden sollte (siehe Tabelle 4). Diese Checkliste hilft vor allem in der hämatologischen Stufendiagnostik. Die Blutbildveränderungen werden so „stichpunktartig“ zusammengefasst und ergeben ein Muster. So legen z.B. die Beschreibung Leukozytose, Granulozytose, Linksverschiebung bis zum Blasten, Basophilie, unauffälliges rotes Blutbild und Thrombozytose mit Anisozytose den V.a. eine chronische myeloische Leukämie (CML) nahe, die mit der molekulargenetischen Untesuchung von BCR-ABL1 bestätigt oder auch verworfen werden kann.

Tabelle 4

Checkliste (für Erwachsene) um am Mikroskop nichts zu übersehen.

LeukozytenzahlLeukozytopenie (<3.8 G/L) – normal – Leukozytose (>10 G/L)
GranulozytenzahlGranulozytopenie (<1.8 G/L) – normal – Granulozytose (>8 G/L)
LymphozytenzahlLymphozytopenie (<1.0 G/L) – normal – Lymphozytose (>3.0 G/L)
MonozytenzahlMonozytopenie (<0.1 G/L) – normal – Monozytose (>1.0 G/L)
EosinophilenzahlNormal – Eosinophilie (>0.5 G/L)
BasophilenzahlNormal – Basophilie (>0.1 G/L)
LinksverschiebungWie weit (Stab? Meta? Myelo? Promyelo? Blast?)
BlastenMyeloisch? Granula? Auerstäbchen? …?
DysplasienFahle Granulozyten? Pseudopelgerformen? Kernauflockerung?
Atypische LymphozytenVermutlich reaktiv? vermutlich neoplastisch? unklare Dignität?
EinschlüssePhagozytose? toxische Granula? Döhle Körperchen?
Hb-WertAnämie (<11/12/13.5 g/dL (nach Alter und Geschlecht)) – normal – Polyglobulie (>16/17.5 G/L (nach Geschlecht))
AnisozytoseMikrozyten (<6 μm) – Normozyten – Makrozyten (>10 μm)
PoikilozytoseTränenform? Fragmentozyten? …?
Polychromasie?
EinschlüsseMalaria? Jolly-Körperchen? Basophilie Tüpfelung? …?
Hb-VerteilungAnulozyten? Hb-Verteilungsstörungen? Kugelzellen? …?
Lagerung der ErythrozytenVerklumpung? Geldrollen?
Erythroblasten?
ThrombozytenzahlThrombozytopenie (<140 G/L) – normal – Thrombozytose (>400 G/L)
ThrombozytenanisozytoseMakrothrombozyten?
Thrombozytenagglutinate?
Thrombozytenpoikilozytose?

Hämatologische Stufendiagnostik

Numerisches Blutbild, das Differenzialblutbild und die Bestimmung der Retikulozyten sind die Basis in der hämatologischen Stufendiagnostik. Hat der Kliniker den Verdacht auf eine hämatologische Erkrankung, so werden häufig zusätzliche Methoden notwendig, die über die hämatologische Basisdiagnostik hinausgehen.

Um aus der Basisdiagnostik eine Verdachtsdiagnose/Diagnose stellen zu können, sind meistens auch Kenntnisse zum Zustand des Patienten, seiner Vorerkrankungen und u.U. auch seiner medikamentösen Behandlung erforderlich. Diese Synopsis dient in erster Linie der Orientierung, ob ein reaktives oder neoplastisches Geschehen vorliegt und ob ein akuter Handlungsbedarf besteht, weitere Untersuchungen vordringlich zu veranlassen.

In den meisten Fällen reichen die klinischen Angaben, das Routinelabor und die hämatologische Basisdiagnostik aus, um reaktive Veränderungen der Leukozyten ausreichend zu erklären. Besteht der Verdacht auf eine hämatologische Erkrankung, so sind meistens weitere Spezialuntersuchungen erforderlich. Ausgangspunkt vor (teuren) Spezialuntersuchungen aus dem peripheren Blut sind in der Regel ausreichende klinische Daten und Fragestellungen, Werte des kleinen Blutbilds, Retikulozyten und ein manuelles Differenzialblutbild, die Zusammenschau dieser Werte, ein Erkennen eines Musters und die Formulierung einer oder mehrerer Arbeitshypothesen. Die Frage „unklare Leukozytose“ wäre besser formuliert als „persistierende unklare Lymphozytose seit 3 Monaten ohne Fieber bei normalem Lymphknotenstatus und Splenomegalie“ oder „persistierende Leukopenie bei Z.n. grippalem Infekt vor 6 Monaten“ oder „Progrediente cervikale Lymphadenopathie seit 2 Wochen“, d.h. Dauer, Klinik mit Entzündungszeichen und Zustand des lymphatischen Systems bzw. der extramedullären Hämatopoese verschieben die Toleranzgrenzen für Veränderungen des Blutbildes. Ein gutes Beispiel ist der obere Grenzwert der Lymphozyten und ihrer morphologischen Abweichungen, die stark von Alter und Klinik abhängen [8].

Schwierig ist die Beurteilung des Stellenwertes von Bilderkennungssytemen (Computer-assistierte Mikroskopie). Diese arbeiten mit automatisch hergestellten Ausstrichen und Färbungen und analysieren die Leukozyten mittels digitaler Bildverarbeitung [9]. Die fotografierten Zellen werden vorklassifiziert und müssen dann vom Laborpersonal für den Endbefund freigegeben werden. Der Zeitvorteil der digitalen Bildverarbeitung hat den Nachteil der Bildschirmarbeit und der Betonung der Leukozyten bei gewisser Vernachlässigung der Erythro- und Thrombozytenmorphologie (z.B. Fragmentozyten [10]). Auch werden feine kontrastarme Strukturen wie feine LGL-Granula nicht erkannt oder die Behandlung von Kernschatten ist noch nicht berücksichtigt [11]. Digitale Bildverarbeitungssysteme werden aber fortlaufend weiterentwickelt und eine „endgültige“ Stellungnahme ist daher nicht möglich.

Die Spezialuntersuchungen sind auf der Abbildung im unteren Teil für das periphere Blut dargestellt und sind (von links nach rechts) die Immunzytologie, zytogenetische Untersuchungen inkl. FISH-Analytik und die Molekulargenetik. Bei der Untersuchung des Knochenmarks muss zwischen der Aspiration und der Histologie unterschieden werden, bei der Untersuchung des Lymphknotens zwischen der Feinnadelpunktion und der Histologie. Auf diese Methoden wird in den Beiträgen in diesem Heft näher eingegangen und es sei auf hämatologische Lehrbücher verwiesen [12, 13].

Die bisher beschriebene hämatologische Diagnostik mit der Synopsis aus bisher bekannten Patientenbefunden, Therapien, klinischen Symptomen, klinischer Fragestellung, Werte des kleinen Blutbildes, Differenzialblutbild (vom Mikroskop) und Retikulozyten als auch anderer Laborwerte endet in der Hypothese einer oder auch mehrerer Diagnosen. Für die weitere Stufendiagnostik und den sinnvollen Einsatz von Spezialuntersuchungen kann es keinen „einfachen“ Algorithmus geben. Zu vielfältig sind die möglichen Diagnosen und die Veränderungen. Noch vor 30 bis 40 Jahren bestand die hämatologische Diagnostik fast nur aus der Analytik am Mikroskop und diese wurden überwiegend vom behandelnden Arzt selbst durchgeführt. In manchen Ländern ist dies auch heute noch so. Die moderne hämatologische Diagnostik mit Immunzytometrie, Zytogenetik und Molekulargenetik kann vom Kliniker überwiegend nicht mehr selbst durchgeführt werden und diese Arbeit wird von spezialisierten Labors übernommen. Die Interpretation wird damit automatisch von Personen übernommen, welche den Patienten nicht kennen. Der alte Spruch „Die Diagnose wird am Krankenbett gestellt“ hat aber immer noch seine Berechtigung. Dieses Dilemma kann nur gelöst werden, wenn es eine patientenorientierte Zusammenarbeit zwischen dem Kliniker und dem „Labor“ gibt. So kann durch eine geübte und eingespielte Zusammenarbeit zwischen diesen Personen die Spezialuntersuchung ausgesucht werden, welche zeitnah und sicher die Arbeitsdiagnose bestätigt oder auch verwirft. Dieser diagnostische Kreislauf endet erst an dem Punkt, wo die Therapie für den Patienten entschieden ist.

Zusammenfassung

In dem Vorschlag für die Stufendiagnostik zur Abklärung von krankhaften Veränderungen der Leukozyten ist „neu“, dass die Fragestellung des Klinikers die Abläufe steuert und es stellt sich dann wie folgt dar:

  • Differenzialblutbilder vom hämatologischen Analysegerät ohne Flag werden nicht mehr ausgestrichen und die Werte ohne Kommentare dem Einsender mitgeteilt

  • Differenzialblutbilder vom hämatologischen Analysegerät mit Flag werden ausgestrichen und die Werte aus der Kombination Gerät und Mikroskopie dem Einsender und nur ggf. mit Kommentaren mitgeteilt, wenn eine weitere Abklärung dringend zu empfehlen ist.

  • Blutbilder mit Fragestellung werden immer ausgestrichen und mikroskopiert und die Fragestellung des Einsenders „beantwortet“

  • Bei der Abklärung von hämatologischen Fragestellungen sollte vor den Spezialuntersuchungen eine hämatologische Basisdiagnostik (inkl. Retikulozyten und mikroskopischem Differenzialblutbild) vorliegen und dem Labor, welche die Spezialuntersuchungen durchführt, bekannt sein.

  • Die notwenigen Spezialuntersuchungen sollten eine rationale Begründung haben, in die sowohl klinische Fragestellungen, als auch die Aussagekraft von Untersuchungstechniken eingehen

  • Die Diagnostik sollte im Zusammenspiel zwischen Klinikern und Speziallaboratorien so lange weitergeführt werden, bis über die Therapie(n) entschieden bzw. Nachkontrollen des Patienten abgeschlossen sind

Der hier vorgestellte Vorschlag schafft auf beiden Seiten Klarheit, beim Kliniker und im Labor, welche Diagnostik und wie sie durchgeführt wird und macht komplexe Regelwerke mit umstrittenen Grenzwerten und Algorithmen überflüssig. Die Vorgehensweise an dieser Stelle hat einen weitreichenden Einfluss auf die Weichenstellung für einen Patienten mit Veränderungen des Blutbildes.

Autorenbeteiligung: Alle Autoren tragen Verantwortung für den gesamten Inhalt dieses Artikels und haben der Einreichung des Manuskripts zugestimmt.

Forschungsförderung: Keine.

Interessenkonflikt: Kein Interessenkonflikt.


Korrespondenz: Dr. med. Heinz Diem, Würmtal-Labor, Robert-Koch-Allee 7, 82131 Gauting, Deutschland, E-Mail:

Literatur

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Erhalten: 2015-7-10
Angenommen: 2015-8-26
Online erschienen: 2015-9-22
Erschienen im Druck: 2015-10-1

©2015 by De Gruyter

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