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ZR-Examensklausur zur Herstellergarantie im unionsrechtlichen Kontext: Richtlinienkonforme Auslegung, Vorabentscheidungsverfahren und Staatshaftung

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Veröffentlicht/Copyright: 20. Dezember 2023
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Die Klausur ist anspruchsvoll und atypisch, weil sie die Lösung überwiegend unbekannter Probleme mit den allgemeinen Methoden in einem unbekannten Rechtsgebiet verlangt. Da sie im Lauterkeitsrecht des UWG angesiedelt ist, das nicht vom Examensstoff erfasst ist, wird hier lediglich die saubere Subsumtion unter die Normen erwartet, auf die der Bearbeitungsvermerk hinweist. Die Hauptfragen der Klausur betreffen hingegen Pflichtstoff aus dem bürgerlichen Recht mit seinen europarechtlichen Bezügen. Das umfasst die richtlinienkonforme Auslegung, das Vorabentscheidungsverfahren und den unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch. Während solche Examensklausuren in »exotischen« Rechtsgebieten häufiger im öffentlichen Recht zu finden sind, kommen sie vermehrt auch im Privatrecht vor. Examenskandidat:innen können hier den souveränen Umgang mit dem Unionsrecht üben.

Stichwörter: Europäisches Privatrecht, europäische Methodenlehre, Kaufrecht, vorvertragliche Informationspflichten, Lauterkeitsrecht, richtlinienkonforme Auslegung, Vorlagepflicht, Vorlagerecht, unionsrechtliche Staatshaftung

SACHVERHALT

Die K GmbH und B GmbH vertreiben Taschenmesser im Wege des Onlinehandels und stehen hierbei miteinander in Wettbewerb.

Die B GmbH bot im April 2023 auf der Internetplattform A ein Taschenmesser des Schweizer Herstellers V an. Die Angebotsseite von A enthielt selbst keine Angaben zu einer von der B GmbH oder einem Dritten gewährten Garantie für das angebotene Messer, aber einen elektronischen Verweis (Link) mit der Bezeichnung »Betriebsanleitung« unter der Zwischenüberschrift »Weitere technische Informationen«. Beim Anklicken dieses Links öffnete sich ein auf einem Server des Betreibers der Internetplattform A gespeichertes Dokument, das ein zwei Seiten umfassendes, von V, dem Hersteller des Messers, gestaltetes und textlich formuliertes Produktinformationsblatt wiedergab. Auf dessen erster Seite fanden sich Erläuterungen zu einem in das Messer integrierten Mehrzweck-Werkzeug. Die zweite Seite enthielt Hinweise auf weitere in das Messer integrierte Werkzeuge und zur Pflege des Messers sowie folgenden Hinweis auf die sogenannte »V-Garantie«:

»Die V-Garantie erstreckt sich zeitlich unbeschränkt auf jeden Material- und Fabrikationsfehler (für Elektronik 2 Jahre). Schäden, die durch normalen Verschleiß oder durch unsachgemäßen Gebrauch entstehen, sind durch die Garantie nicht gedeckt.«

Die K GmbH meint, die B GmbH habe keine ausreichenden Angaben zu der für das Messer gewährten Garantie gemacht und somit in doppelter Hinsicht unlauter gehandelt. Erstens verletze die B GmbH ihre vorvertragliche Informationspflicht gegenüber den Verbrauchern vor dem Abschluss des Fernabsatzvertrags, da sie nicht hinreichend über die Garantie informiere. Dies sei weder im Einklang mit den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts noch Einklang mit den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2011/83/EU. Zweitens verletze sie ihre Informationspflicht bei vertraglicher Übernahme einer Garantie nach dem BGB und der Richtlinie (EU) 2019/771.

Die B GmbH widerspricht dem und meint erstens, dass sich im vorliegenden Fall weder aus nationalem noch aus unionalem Recht eine vorvertragliche Informationspflicht aus dem Fernabsatzvertrag ergebe. Die Informationspflicht sei schon ausgeschlossen, weil die Garantie nicht von ihr selbst, sondern von dem Hersteller des angebotenen Produkts stamme. Zudem bestehe die Pflicht nicht in jedem Falle und setze ein berechtigtes Interesse des Verbrauchers voraus, was hier nicht gegeben sei. Zweitens sei die abgegebene Erklärung keine Garantie und zwar weder nach nationalem Recht noch nach den Vorschriften der Richtlinie (EU) 2019/771.

Die K GmbH verlangt von der B GmbH, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr Angebote für den Absatz von Taschenmessern an Verbraucher mit Hinweisen auf Garantien zu versehen, ohne hierbei auf die gesetzlichen Rechte des Verbrauchers sowie darauf, dass sie durch die Garantie nicht eingeschränkt werden, hinzuweisen und ohne den räumlichen Geltungsbereich des Garantieschutzes anzugeben.

Aufgabenstellung

  1. Hat die K GmbH den geltend gemachten Unterlassungsanspruch gegen die B GmbH?

  2. Unterstellen Sie, dass der BGH über den vorliegenden Fall noch zu entscheiden hat. Ist er zu einer Vorlage an den EuGH verpflichtet und/oder berechtigt?

  3. Unterstellen Sie, dass der BGH zur Vorlage an den EuGH verpflichtet ist, aber nicht vorlegt. Welche Sanktionen sieht das Unionsrecht hiergegen vor, welche Voraussetzungen müssen jeweils erfüllt sein und wie erfolgsversprechend sind die Sanktionen?

Anhang und Bearbeitungshinweise

I. Auszug aus der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher (Verbraucherrechte-RL)

Erwägungsgrund 4

Gemäß Artikel 26 Absatz 2 AEUV umfasst der Binnenmarkt einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren und Dienstleistungen sowie die Niederlassungsfreiheit gewährleistet sind. Die Harmonisierung bestimmter Aspekte von im Fernabsatz und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verbraucherverträgen ist unabdingbar, wenn ein echter Binnenmarkt für Verbraucher gefördert werden soll, in dem ein möglichst ausgewogenes Verhältnis zwischen einem hohen Verbraucherschutzniveau und der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen bei gleichzeitiger Wahrung des Subsidiaritätsprinzips gewährleistet ist.

Erwägungsgrund 7

Die vollständige Harmonisierung einiger wesentlicher Aspekte der einschlägigen Regelungen sollte die Rechtssicherheit für Verbraucher wie Unternehmer erheblich erhöhen. Sowohl die Verbraucher als auch die Unternehmer sollten sich auf einen einheitlichen Rechtsrahmen stützen können, der auf eindeutig definierten Rechtskonzepten basiert und bestimmte Aspekte von Verträgen zwischen Unternehmen und Verbrauchern unionsweit regelt. Durch eine solche Harmonisierung sollte es zur Beseitigung der sich aus der Rechtszersplitterung ergebenden Hindernisse und zur Vollendung des Binnenmarkts auf diesem Gebiet kommen. Die betreffenden Hindernisse lassen sich nur durch die Einführung einheitlicher Rechtsvorschriften auf Unionsebene abbauen. Darüber hinaus sollten die Verbraucher in den Genuss eines hohen, einheitlichen Verbraucherschutzniveaus in der gesamten Union kommen.

Artikel 1

Gegenstand

Zweck dieser Richtlinie ist es, durch Angleichung bestimmter Aspekte der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten in Bezug auf Verträge, die zwischen Verbrauchern und Unternehmern geschlossen werden, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu erreichen und damit zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarkts beizutragen.

Artikel 2

Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnen die Ausdrücke

1. »Verbraucher« jede natürliche Person, die bei von dieser Richtlinie erfassten Verträgen zu Zwecken handelt, die außerhalb ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit liegen;

2. »Unternehmer« jede natürliche oder juristische Person, unabhängig davon, ob letztere öffentlicher oder privater Natur ist, die bei von dieser Richtlinie erfassten Verträgen selbst oder durch eine andere Person, die in ihrem Namen oder Auftrag handelt, zu Zwecken tätig wird, die ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können;

(...)

7. »Fernabsatzvertrag« jeden Vertrag, der zwischen dem Unternehmer und dem Verbraucher ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit des Unternehmers und des Verbrauchers im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- bzw. Dienstleistungssystems geschlossen wird, wobei bis einschließlich zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ausschließlich ein oder mehrere Fernkommunikationsmittel verwendet wird/werden;

(...)

14. »gewerbliche Garantie« jede dem Verbraucher gegenüber zusätzlich zur gesetzlichen Gewährleistung eingegangene Verpflichtung des Unternehmers oder eines Herstellers (Garantiegebers), den Kaufpreis zu erstatten oder die Waren auszutauschen oder nachzubessern oder Dienstleistungen für sie zu erbringen, falls sie nicht diejenigen Eigenschaften aufweisen oder andere als die Mängelfreiheit betreffende Anforderungen nicht erfüllen, die in der Garantieerklärung oder der einschlägigen Werbung, wie sie bei oder vor dem Abschluss des Vertrags verfügbar war, beschrieben sind;

(...)

Artikel 3

Geltungsbereich

(1) Diese Richtlinie gilt unter den Bedingungen und in dem Umfang, wie sie in ihren Bestimmungen festgelegt sind, für alle Verträge, die zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher geschlossen werden, bei denen der Verbraucher den Preis zahlt oder die Zahlung des Preises zusagt. Sie gilt für Verträge über die Lieferung von Wasser, Gas, Strom oder Fernwärme, einschließlich durch öffentliche Anbieter, sofern diese Güter auf vertraglicher Basis geliefert werden.

(...)

Artikel 4

Grad der Harmonisierung

Sofern diese Richtlinie nichts anderes bestimmt, erhalten die Mitgliedstaaten weder von den Bestimmungen dieser Richtlinie abweichende innerstaatliche Rechtsvorschriften aufrecht noch führen sie solche ein; dies gilt auch für strengere oder weniger strenge Rechtsvorschriften zur Gewährleistung eines anderen Verbraucherschutzniveaus.

Artikel 6

Informationspflichten bei Fernabsatz- und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen

(1) Bevor der Verbraucher durch einen Vertrag im Fernabsatz oder einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag oder ein entsprechendes Vertragsangebot gebunden ist, informiert der Unternehmer den Verbraucher in klarer und verständlicher Weise über Folgendes:

a) die wesentlichen Eigenschaften der Waren oder Dienstleistungen, in dem für das Kommunikationsmittel und die Waren oder Dienstleistungen angemessenen Umfang;

(...)

m) gegebenenfalls den Hinweis auf das Bestehen und die Bedingungen von Kundendienst, Kundendienstleistungen und gewerblichen Garantien;

(...)

II. Auszug aus der Richtlinie (EU) 2019/771 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs (Warenkauf-RL)

Artikel 1

Gegenstand und Zweck

Zweck dieser Richtlinie ist es, zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarkts beizutragen und gleichzeitig für ein hohes Verbraucherschutzniveau zu sorgen, indem gemeinsame Vorschriften über bestimmte Anforderungen an Kaufverträge zwischen Verkäufern und Verbrauchern festgelegt werden, insbesondere Vorschriften über die Vertragsmäßigkeit der Waren, die Abhilfen im Falle einer Vertragswidrigkeit, die Modalitäten für die Inanspruchnahme dieser Abhilfen sowie über gewerbliche Garantien.

Artikel 2

Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

1. »Kaufvertrag« jeden Vertrag, durch den der Verkäufer das Eigentum an Waren auf einen Verbraucher überträgt oder die Übertragung des Eigentums an dieser Ware auf den Verbraucher zusagt und der Verbraucher hierfür den Preis dafür zahlt oder dessen Zahlung zusagt;

2. »Verbraucher« jede natürliche Person, die in Bezug auf von dieser Richtlinie erfasste Verträge zu Zwecken handelt, die außerhalb ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit liegen;

3. »Verkäufer« jede natürliche oder juristische Person, unabhängig davon, ob letztere öffentlicher oder privater Natur ist, die in Bezug auf von dieser Richtlinie erfasste Verträge selbst oder durch eine andere Person, die in ihrem Namen oder Auftrag handelt, zu Zwecken handelt, die innerhalb ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit liegen;

(...)

12. »gewerbliche Garantie« jede dem Verbraucher gegenüber zusätzlich zur gesetzlichen Gewährleistung eingegangene Verpflichtung des Verkäufers oder eines Herstellers (Garantiegebers), den Kaufpreis zu erstatten oder die Waren zu ersetzen, nachzubessern oder in sonstiger Weise Abhilfe zu schaffen, falls sie nicht die Eigenschaften aufweisen oder andere nicht mit der Vertragsmäßigkeit verbundene Anforderungen erfüllen sollten, die in der Garantieerklärung oder der einschlägigen Werbung, wie sie bei oder vor Abschluss des Vertrags verfügbar war, beschrieben sind;

(...)

Artikel 3

Anwendungsbereich

(1) Diese Richtlinie gilt für Kaufverträge zwischen einem Verbraucher und einem Verkäufer.

(2) Verträge zwischen einem Verbraucher und einem Verkäufer zur Bereitstellung von Waren, die noch hergestellt oder erzeugt werden müssen, gelten auch als Kaufverträge im Sinne dieser Richtlinie.

(3) Diese Richtlinie gilt nicht für Verträge über die Bereitstellung von digitalen Inhalten oder digitalen Dienstleistungen. (...)

Artikel 17

Gewerbliche Garantien

(1) Jede gewerbliche Garantie ist für den Garantiegeber zu den Bedingungen verbindlich, die in der entsprechenden Garantieerklärung und einschlägiger Werbung, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses oder davor verfügbar war, angegeben sind. Zu den Bedingungen, die in diesem Artikel festgelegt sind, und unbeschadet sonstiger anwendbarer Vorschriften der Union oder des nationalen Rechts haftet der Hersteller in dem Fall, dass der Hersteller dem Verbraucher eine gewerbliche Haltbarkeitsgarantie für bestimmte Waren für einen bestimmten Zeitraum anbietet, dem Verbraucher direkt während des gesamten Zeitraums der gewerblichen Haltbarkeitsgarantie auf Nachbesserung der Waren oder Ersatzlieferung gemäß Artikel 14. Der Hersteller kann dem Verbraucher in der Haltbarkeitsgarantieerklärung günstigere Bedingungen anbieten.Sind die in der Garantieerklärung genannten Bedingungen weniger vorteilhaft für den Verbraucher als die in der einschlägigen Werbung angegebenen, ist die gewerbliche Garantie zu den in der Werbung für diese Garantie angegebenen Bedingungen verbindlich, es sei denn die einschlägige Werbung wurde vor Abschluss des Vertrags in der gleichen oder einer vergleichbaren Weise berichtigt, in der sie gemacht wurde.

(2) Die Garantieerklärung wird dem Verbraucher auf einem dauerhaften Datenträger spätestens zum Zeitpunkt der Lieferung der Waren zur Verfügung gestellt. Die Garantieerklärung muss in klarer und verständlicher Sprache formuliert sein. Sie muss Folgendes enthalten:

a) einen klaren Hinweis, dass der Verbraucher bei Vertragswidrigkeit der Waren ein gesetzliches Recht auf unentgeltliche Abhilfen des Verkäufers hat und dass diese Abhilfen von der gewerblichen Garantie nicht berührt werden;

b) Name und Anschrift des Garantiegebers;

c) das vom Verbraucher einzuhaltende Verfahren für die Geltendmachung der gewerblichen Garantie;

d) die Nennung der Waren, auf die sich die gewerbliche Garantie bezieht; sowie

e) die Bestimmungen der gewerblichen Garantie.

(3) Die gewerbliche Garantie bindet den Garantiegeber auch dann, wenn die Anforderungen des Absatzes 2 nicht eingehalten werden.

(4) Die Mitgliedstaaten können für andere Aspekte in Bezug auf gewerbliche Garantien, die nicht in diesem Artikel geregelt sind, Vorschriften einführen, einschließlich Vorschriften zu der Sprache oder den Sprachen, in denen die Garantieerklärung dem Verbraucher zur Verfügung gestellt werden muss.

III. Auszug aus der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken)

Artikel 7

Irreführende Unterlassungen

(1) Eine Geschäftspraxis gilt als irreführend, wenn sie im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände und der Beschränkungen des Kommunikationsmediums wesentliche Informationen vorenthält, die der durchschnittliche Verbraucher je nach den Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und die somit einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst oder zu veranlassen geeignet ist, die er sonst nicht getroffen hätte.

(...)

(5) Die im Gemeinschaftsrecht festgelegten Informationsanforderungen in Bezug auf kommerzielle Kommunikation einschließlich Werbung oder Marketing, auf die in der nicht erschöpfenden Liste des Anhangs II verwiesen wird, gelten als wesentlich.

IV. Auf die §§ 3, 3 a, 5 a, 5 b und 8 UWG wird hingewiesen.

Frage 1: Anspruch auf Unterlassen aus §§ 8 Abs. 1 Satz 1, 3 Abs. 1 UWG wegen unlauteren Verhaltens

Die K GmbH könnte gegen die B GmbH einen Anspruch auf Unterlassen nach §§ 8 Abs. 1 Satz 1, 3 Abs. 1 UWG haben.[1] Dieser Anspruch setzt die Anspruchsberechtigung der K GmbH und eine unzulässige geschäftliche Handlung nach § 3 Abs. 1 UWG voraus. Als Mitbewerberin ist die K GmbH nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG anspruchsberechtigt, da mangels entgegenstehender Angaben im Sachverhalt davon auszugehen ist, dass sie Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maß und nicht nur gelegentlich vertreibt. Fraglich ist, ob die B GmbH eine unlautere Handlung als unzulässige geschäftliche Handlung nach § 3 Abs. 1 UWG vorgenommen hat. Möglicherweise stellt die Beschreibung der V-Garantie eine unlautere geschäftliche Handlung dar. Die Unlauterkeit kann sich vorliegend aus zwei Gesichtspunkten ergeben: erstens aus einer vorvertraglichen Informationspflicht gegenüber den Verbraucherkunden nach § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 246 a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 EGBGB (A.) oder zweitens aus einer vertraglichen Informationspflicht gegenüber den Verbraucherkunden bei Übernahme einer Garantie nach §§ 479 Abs. 1, 443 Abs. 1 BGB (B.).

A. Vorvertragliche Informationspflicht nach § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 246 a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 EGBGB

I. Maßgeblicher Unlauterkeitstatbestand[2]

Fraglich ist zunächst, nach welchem Unlauterkeitstatbestand sich eine mögliche Verletzung der vorvertraglichen Informationspflicht nach § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 246 a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 EGBGB richtet. Diese könnte eine unlautere Handlung i. S. d. Rechtsbruchs nach § 3a UWG oder i. S. d. Irreführung durch Unterlassen nach § 5a UWG sein. Nach einer Ansicht ist § 3a UWG anzuwenden, da die vorvertraglichen und vertraglichen Informationspflichten des bürgerlichen Rechts wie § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 246 a EGBGB das Marktverhalten von Unternehmern regeln und damit Marktverhaltensregelungen sind.[3] Eine zweite Ansicht wendet in solchen Fällen § 5a UWG an mit dem Argument, dass er die Irreführung durch Unterlassung speziell regelt und insbesondere im Falle der kommerziellen Kommunikation als lex specialis Vorrang genießt.[4] Nach einer dritten Ansicht haben die vorvertraglichen Informationspflichten eine Doppelnatur, sodass § 3a UWG und § 5a UWG parallel anzuwenden seien.[5] Die Einstufung von § 5a UWG als lex specialis wird der Systematik des UWG besser gerecht und ist daher vorzugswürdig.[6]

II. Unlauteres Handeln nach § 5a Abs. 1 UWG

Die B GmbH handelt nach § 5a Abs. 1 UWG unlauter, wenn sie einen Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer irreführt, indem sie ihm eine wesentliche Information vorenthält, die der Verbraucher oder der sonstige Marktteilnehmer nach den jeweiligen Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen (§ 5a Abs. 1 Nr. 1 UWG), und deren Vorenthalten dazu geeignet ist, den Verbraucher oder den sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte (§ 5a Abs. 1 Nr. 2 UWG). § 5a Abs. 1 UWG dient der Umsetzung von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt. Danach gilt eine Geschäftspraxis als irreführend, wenn sie im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände und der Beschränkungen des Kommunikationsmediums wesentliche Informationen vorenthält, die der durchschnittliche Verbraucher je nach den Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und die somit einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst oder zu veranlassen geeignet ist, die er sonst nicht getroffen hätte. Als Vorenthalten gilt nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 UWG auch das Verheimlichen wesentlicher Informationen. Fraglich ist, ob die B GmbH mit der Auskunft über die Garantie eine wesentliche Information i. S. d. § 5a Abs. 1 UWG vorenthalten hat.

III. Wesentliche Information nach § 5a Abs. 1 UWG, § 5b Abs. 4 UWG

Die vorvertragliche Information über die Garantie müsste eine wesentliche Information i. S. d. § 5a Abs. 1 UWG sein. Das ist nach § 5b Abs. 4 UWG der Fall, wenn die Information dem Verbraucher nicht vorenthalten werden darf und auf einer Rechtsvorschrift basiert, die unionsrechtliche Richtlinien für kommerzielle Kommunikation einschließlich Werbung und Marketing umsetzt. Art. 246 a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 EGBGB setzt die unionsrechtliche Vorschrift des Art. 6 Abs. 1 lit. m Richtlinie 2011/83/EU (Verbraucherrechte-RL = VRRL) um.[7] Nach § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 246 a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 EGBGB darf die vorvertragliche Information dem Verbraucher nicht vorenthalten werden. Die Vorschriften betreffen die kommerzielle Kommunikation, weil die danach vorgeschriebenen Informationen dem Verbraucher vor der Abgabe von dessen Vertragserklärung zur Verfügung zu stellen sind (§ 312d Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 246 a § 4 Abs. 1 EGBGB) und daher der Förderung des Produktabsatzes dienen.[8] Mithin ist die vorvertragliche Information über die Garantie eine wesentliche Information i. S. d. §§ 5a Abs. 1, 5 b Abs. 4 UWG.

IV. Fernabsatzvertrag, § 312c BGB

Eine vorvertragliche Informationspflicht nach § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB setzt einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag gemäß § 312b BGB oder einen Fernabsatzvertrag gemäß § 312c BGB voraus. Bei einem Fernabsatzvertrag verwenden die Unternehmer und Verbraucher für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel, also solche, die ohne körperliche Anwesenheit verwendet werden können, § 312c Abs. 1 und 2 BGB. Die B GmbH bietet die Taschenmesser auf der Internetplattform A an, auf der die Verbraucherkunden diese kaufen können. Mithin liegt ein Fernabsatzvertrag nach § 312c Abs. 1 BGB vor.

V. Information zur Garantie, Art. 246 a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 EGBGB

Nach § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB ist die B GmbH zur Information nach Art. 246 a EGBGB verpflichtet. Laut Sachverhalt ist allein die Information zur Garantie streitig. In dieser Hinsicht verpflichtet Art. 246 a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 EGBGB den Unternehmer, dem Verbraucher Informationen über gegebenenfalls das Bestehen und die Bedingungen von Kundendienst, Kundendienstleistungen und Garantien zur Verfügung zu stellen. Fraglich ist, ob sie dieser vorvertraglichen Informationspflicht genügt hat.

1. Ausschluss der Informationspflicht wegen Garantie von Drittem

Zunächst könnte die Informationspflicht ausgeschlossen sein, weil die B GmbH die Garantie nicht selbst gegeben hat, sondern ein Dritter, hier die V als Herstellerin. Der Wortlaut des Art. 246 a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 EGBGB unterscheidet nicht zwischen eigenen und fremden Garantien. § 443 Abs. 1 BGB enthält die Legaldefinition der Garantie des BGB und nennt als mögliche Verpflichtete einer Garantie sowohl den Verkäufer, den Hersteller als auch sonstige Dritte. Diese weite Definition muss aber nicht maßgeblich sein für die Bestimmung des Begriffs der Garantie in Art. 246 a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 EGBGB.

Bei der Auslegung der deutschen Vorschriften ist zu berücksichtigen, dass die VRRL nach ihrem Artikel 4 und ihrem Erwägungsgrund 7 auf eine vollständige Harmonisierung der von ihr erfassten Aspekte des Verbraucherschutzes gerichtet ist. Die Mitgliedstaaten dürfen daher in diesem Bereich weder strengere noch weniger strenge Rechtsvorschriften aufrechterhalten oder einführen.[9] Entscheidend ist daher der Garantiebegriff unter Maßgabe der unionsrechtlichen Vorgaben. Art. 6 Abs. 1 lit. m VRRL unterscheidet auch nicht zwischen eigenen und fremden Garantien, regelt jedoch im Unterschied zu Art. 246 a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 EGBGB nur gewerbliche Garantien.

Eine gewerbliche Garantie ist nach Art. 2 Nr. 14 VRRL jede dem Verbraucher gegenüber zusätzlich zur gesetzlichen Gewährleistung eingegangene Verpflichtung des Unternehmers oder eines Herstellers (Garantiegebers). Anders als § 443 Abs. 1 BGB nennt die Verbraucherrechte-RL als Garantiegeber zwar nicht sämtliche Dritte, aber auch den Hersteller. Sowohl nach dem nationalen Begriff der Garantie als auch dem unionsrechtlichen Begriff der gewerblichen Garantie müssen der die Ware anbietende Unternehmer und der die Garantie gewährende Hersteller demnach nicht identisch sein.[10]

Im Wege der richtlinienkonformen Auslegung ist daher Art. 246 a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 EGBGB so auszulegen, dass er auch Hersteller als Garantiegeber erfasst. Da V Hersteller der Taschenmesser ist, umfasst die vorvertragliche Informationspflicht der B GmbH daher auch die Garantie des V als Herstellergarantie.

2. Auslösen der vorvertraglichen Informationspflicht durch Herstellergarantie

Fraglich ist, ob allein schon das bloße Bestehen einer Herstellergarantie die Informationspflicht nach Art. 246 a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 EGBGB auslöst. Entscheidend ist die Auslegung des Wortes »gegebenenfalls«. Dem Wortlaut nach kann dies entweder das Bestehen einer Garantie voraussetzen oder von den jeweiligen Bedingungen der Garantie abhängen. Die Systematik der Informationspflichten in Art. 246 a BGB lässt darüber hinaus keinen Rückschluss zu, welche der beiden Auslegung zu bevorzugen ist. Der Telos der Norm ist unionsrechtlich geprägt und damit nicht allein aus dem nationalen Recht zu ermitteln. Die Gesamtschau der nationalen Auslegungsmethoden kommt mithin nicht zu einem eindeutigen Ergebnis.

VI. Unionsrechtliche Lösung

Da Art. 246 a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 EGBGB den wortgleichen Art. 6 Abs. 1 lit. m VRRL umsetzt, ist die Frage durch das Unionsrecht zu beantworten.

1. Unmittelbare Wirkung von Richtlinien

Zunächst kommt eine unmittelbare Wirkung des Art. 6 Abs. 1 lit. m VRRL in Betracht. Im Gegensatz zu Verordnungen (Art. 288 Abs. 2 AEUV) haben unionsrechtliche Richtlinien nach Art. 288 Abs. 3 AEUV keine allgemeine Geltung, richten sich nur an Mitgliedstaaten und sind nur hinsichtlich des Ziels verbindlich, nicht hingegen hinsichtlich der Wahl der Form und Mittel. Daher entfalten Richtlinien sind Richtlinien im Grundsatz nicht zwischen Privaten unmittelbar anwendbar.[11] Gründe für eine Ausnahme von diesem Prinzip sind hier nicht ersichtlich. Mithin scheidet die unmittelbare Wirkung des Art. 6 Abs. 1 lit. m VRRL aus.[12]

2. Richtlinienkonforme Auslegung

Allerdings ist eine richtlinienkonforme Auslegung möglich.[13] Die Pflicht mitgliedstaatlicher Gerichte zur richtlinienkonformen Auslegung folgt aus der Pflicht zur Richtlinienumsetzung nach Art. 288 Abs. 3 AEUV und aus dem Prinzip der Unionstreue nach Art. 4 Abs. 3 EUV.[14]

Der Anwendungsbereich der Richtlinie ist hier nach Art. 3 Abs. 1 VRRL eröffnet, da es sich um einen Vertrag zwischen einem Verbraucher i. S. d. Art. 2 Nr. 1 VRRL und der B GmbH als Unternehmerin i. S. d. Art. 2 Nr. 2 VRRL handelt, bei dem der Verbraucher den Preis zahlt. Auch liegt ein Fernabsatzvertrag i. S. d. Art. 6 Abs. 1, Art. 2 Nr. 7 VRRL vor. Fraglich ist, welche Auslegung Art. 6 Abs. 1 lit. m VRRL vorgibt.

a) Wortlaut

Der Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 lit. m VRRL lässt ebenfalls zwei Auslegungen zu, da mit dem Wort »gegebenenfalls« entweder »für den Fall des Bestehens einer Garantie« oder »je nach der Gestaltung des Angebots des Unternehmers« gemeint sein könnte.

Nach der ersten Auslegung soll die Informationspflicht nach Art. 6 Abs. 1 lit. m VRRL bereits dadurch ausgelöst werden, dass der Hersteller eine Garantie gewährt, unabhängig davon, ob der Verkäufer diese in seinem Angebot erwähnt.[15] Hierfür spricht auch der Regelungszusammenhang des Art. 6 Abs. 1 lit. m VRRL, der Garantien im Zusammenhang mit den Kundendienstleistungen nennt. Da über Kundendienstleistungen nur zu informieren ist, wenn sie Gegenstand des Vertrags werden sollen oder jedenfalls von dem Verkäufer bei Vertragsschluss als kostenpflichtige Zusatzleistungen angeboten werden, könnte auch für Garantien gelten, dass diese im Angebot erwähnt werden müssen.[16]

Nach der zweiten Auslegung soll die bloße Existenz einer Herstellergarantie die Informationspflicht noch nicht auslösen.[17] Dafür spricht der Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 lit. m VRRL, der »gewerbliche Garantien« im Plural nennt und damit sowohl verschiedene Garantien des Unternehmers für dieselbe Ware als auch verschiedene Garantien des Unternehmers und des Herstellers erfasst.

b) Systematik

Die Systematik des Art. 6 Abs. 1 lit. m VRRL spricht dafür, Herstellergarantien unter gewissen Umständen in die vorvertragliche Informationspflicht mit einzubeziehen. Ansonsten würde Art. 2 Nr. 14 VRRL keinen Sinn ergeben, der den Begriff der gewerblichen Garantie auf Herstellergarantien erweitert. Wenn der Hersteller selbst seine Produkte verkauft, tritt er selbst als Unternehmer i. S. d. Art. 2 Nr. 2 VRRL auf. Mithin muss Art. 6 Abs. 1 lit. m VRRL nach Art. 2 Nr. 14 VRRL aus systematischen Gründen Fälle erfassen, in denen Unternehmer und Hersteller nicht personenidentisch sind.[18]

c) Sinn und Zweck

Art. 6 Abs. 1 VRRL dient dazu, dem Verbraucher eine informierte Entscheidung zu ermöglichen, bevor dieser sich für den Abschluss eines Fernabsatzvertrags entscheidet. Daher erfasst er Informationen über die Vertragsbedingungen und die Folgen eines Vertragsabschlusses sowie Informationen, die zur ordnungsgemäßen Vertragserfüllung und vor allem zur Ausübung der Rechte des Verbrauchers erforderlich sind.[19] Die VRRL ist nach Art. 4 VRRL vollharmonisierend. Mitgliedstaaten dürfen also den Regelungsgehalt weder strenger noch weniger streng umsetzen. Diese vollharmonisierende Wirkung der VRRL nach Erwägungsgrund 7 dazu, einen unionsweit hohen, einheitlichen Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten. Allerdings muss dieser Verbraucherschutz im Verhältnis stehen zur Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, wie Erwägungsgrund 4 VRRL ausdrückt. Ebenso ist die unternehmerische Freiheit des Unternehmers nach Art. 16 GRCh gebührend zu berücksichtigen und in Einklang mit dem Verbraucherschutz zu bringen.

d) Resultierende Kriterien

Der Wortlaut ist uneindeutig und lässt verschiedene Auslegungen zu. Die systematische und teleologische Auslegung führen dazu, dass nicht in jedem Fall eine Informationspflicht des Unternehmers für Herstellergarantien besteht, sondern nur unter bestimmten Umständen. Die Belange des Verbraucherschutzes und der unternehmerischen Wettbewerbsfähigkeit und Freiheit sind abzuwägen und können dann ausgeglichen zur Entfaltung kommen, wenn ein besonderes Interesse der Verbraucher an der Information gefordert wird. In der Konsequenz besteht eine Informationspflicht über die Herstellergarantie dann, wenn der normal informierte, angemessen aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher ein berechtigtes Interesse an der Information hat.[20] Hier ist eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen. Entscheidend ist dabei, ob der Unternehmer die vom Hersteller angebotene gewerbliche Garantie zu einem zentralen oder entscheidenden Merkmal seines Angebots macht. Dies ist dann der Fall, wenn der Unternehmer die Aufmerksamkeit des Verbrauchers ausdrücklich auf die Herstellergarantie lenkt, um daraus ein Verkaufs- oder Werbeargument herzuleiten und damit seine Wettbewerbsfähigkeit und die seines Angebots zu verbessern.[21] Es ist nicht der Fall, wenn der Unternehmer die gewerbliche Herstellergarantie lediglich beiläufig oder in belangloser oder vernachlässigbarer Weise erwähnt, so dass sie im Hinblick auf Inhalt und Ausgestaltung des Angebots objektiv weder als Geschäftsargument angesehen werden noch einen Irrtum beim Verbraucher hervorrufen kann.[22]

e) Subsumtion

Die B GmbH hat die gewerbliche Garantie nicht im eigentlichen Text des Angebots erwähnt und damit nicht in nennenswertem Umfang als Verkaufs- oder Werbeargument genutzt. Das Angebot erwähnt diese Garantie nur beiläufig, nämlich auf der zweiten Seite eines Informationsblatts des Herstellers, auf die man vermittels eines mit »Betriebsanleitung« bezeichneten Links unter der Rubrik »Weitere technische Informationen« zugreifen kann. Diese Begrifflichkeiten weisen grundsätzlich auf vom Hersteller zur betreffenden Ware zur Verfügung gestellte Informationen hin. Die Garantie ergibt sich gerade aus einem Informationsblatt, das nicht die B GmbH als Unternehmer, sondern V als Hersteller erstellt hat und das die Garantie ausdrücklich als eine Garantie des Herstellers bezeichnet. Daher ist die Erwähnung der Herstellergarantie nicht als ein zentrales oder entscheidendes Merkmal des Angebots der B GmbH anzusehen.

3. Übertragung in das nationale Recht

Die richtlinienkonforme Auslegung ist im Rahmen der nationalen Auslegungsmethoden und -spielräume auszuführen, die laut EuGH voll auszuschöpfen sind.[23] Hierbei gilt nicht die Grenze des Wortlauts, sondern auch eine den Wortlaut übersteigende Rechtsfortbildung ist zulässig.[24] Nur im Fall einer contra legem Auslegung ist die richtlinienkonforme Auslegung ausgeschlossen, wobei der manifeste Gesetzgeberwille entscheidend ist.[25] Vorliegend ist die Auslegung § 312d Abs. 1 BGB, Art. 246 a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 EGBGB im Rahmen des Wortlauts möglich, da die Bestimmung »gegebenenfalls« hinreichend Auslegungsspielraum lässt.

VII. Zwischenergebnis

Nach unionsrechtskonformer Auslegung von § 312d Abs. 1 BGB, Art. 246 a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 EGBGB war die B GmbH nicht verpflichtet, die Verbraucherkunden vor dem Abschluss eines Fernabsatzvertrages ausführlicher über die Herstellergarantie zu informieren.

B. Informationspflicht bei vertraglicher Übernahme einer Garantie nach §§ 479 Abs. 1, 443 Abs. 1 BGB

Allerdings könnte die B GmbH ihre vertragliche Pflicht zur Information über eine bestehende Garantie nach §§ 479 Abs. 1, 443 Abs. 1 BGB verletzt haben.

I. Maßgeblicher Unlauterkeitstatbestand[26]

Grundsätzlich kommen wieder die Unlauterkeitstatbestände nach § 3a UWG und § 5a UWG in Betracht. Allerdings gilt §§ 479 Abs. 1, 443 Abs. 1 BGB für sämtliche Verträge unabhängig von der kommerziellen Kommunikation. Daher greift § 5b Abs. 4 UWG nicht ein und es fehlt an einer wesentlichen Information i. S. d. § 5a Abs. 1 UWG. Als Auffangtatbestand ist der Rechtsbruchtatbestand des § 3a UWG dennoch anwendbar.[27]

II. Marktverhaltensregelung

§ 3a UWG setzt eine Vorschrift voraus, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln (Marktverhaltensregelung). Hierzu zählen die Informationspflichten des BGB, einschließlich der Information über Garantien nach § 479 Abs. 1 BGB.[28]

III. Pflichtverstoß

Fraglich ist, ob die B GmbH gegen die Pflicht aus §§ 479 Abs. 1, 443 Abs. 1 BGB verstoßen hat.

1. Anwendungsbereich

§ 479 BGB setzt einen Verbrauchsgüterkauf voraus. Die in der Internetpräsentation erwähnte Herstellergarantie betrifft einen Verbrauchsgüterkauf nach § 474 Abs. 1 Satz 1 BGB i. S. e. Kaufs einer Ware (§ 241a Absatz 1) durch Verbraucherkunden (§ 13 BGB) von der B GmbH als einem Unternehmer (§ 14 BGB).

2. Inhalt der Pflicht

Nach § 479 Abs. 1 BGB muss eine Garantieerklärung (§ 443 BGB) einfach und verständlich abgefasst sein und Folgendes enthalten: 1. den Hinweis auf die gesetzlichen Rechte des Verbrauchers bei Mängeln, darauf, dass die Inanspruchnahme dieser Rechte unentgeltlich ist sowie darauf, dass diese Rechte durch die Garantie nicht eingeschränkt werden, 2. den Namen und die Anschrift des Garantiegebers, 3. das vom Verbraucher einzuhaltende Verfahren für die Geltendmachung der Garantie, 4. die Nennung der Ware, auf die sich die Garantie bezieht, und 5. die Bestimmungen der Garantie, insbesondere die Dauer und den räumlichen Geltungsbereich des Garantieschutzes.

Die B GmbH hat die V-Garantie nur dahingehend beschrieben, dass die Garantie grundsätzlich zeitlich unbegrenzt und im Fall von Elektronik nur für zwei Jahre gilt. Zudem erklärte sie, dass Verschleißschäden und Schäden infolge unsachgemäßen Gebrauchs von der Garantie nicht erfasst sind. Es fehlen insbesondere der Hinweis auf die gesetzlichen Rechte des Verbrauchers bei Mängeln, Hinweise auf das Verfahren für die Geltendmachung und den räumlichen Geltungsbereich der Garantie. Mithin genügt der Hinweis auf der Online-Plattform den Maßstäben § 479 Abs. 1 BGB nicht.

3. Vorliegen einer Garantieerklärung

Allerdings müsste die Erklärung der B GmbH überhaupt eine Garantieerklärung i. S. d. § 443 Abs. 1 BGB sein, damit die Pflicht nach § 479 Abs. 1 BGB greift. Unter den Begriff der Garantieerklärung im Sinne der § 479 Abs. 1, § 443 Abs. 1 BGB fallen nur rechtsverbindliche Willenserklärungen, die zum Abschluss eines Kaufvertrags (unselbstständige Garantie) oder eines eigenständigen Garantievertrags führen, nicht dagegen die Werbung, die den Verbraucher lediglich zur Bestellung auffordert und in diesem Zusammenhang eine Garantie ankündigt, ohne sie bereits rechtsverbindlich zu versprechen.[29] Garantieerklärungen sind von einer Werbung danach abzugrenzen, ob der Unternehmer nur eine invitatio ad offerendum gemacht oder aber bereits ein rechtsverbindliches Angebot im Sinne des § 145 BGB abgegeben hat und der Verbraucher damit zu entscheiden hat, ob er dieses annehmen soll.[30]

Der Link auf das die V-Garantie enthaltende Produktinformationsblatt des Herstellers ist keine rechtsverbindliche Erklärung der B GmbH. Der angegriffene Internetauftritt lässt auch sonst nicht erkennen, dass die B GmbH den Verbrauchern ein durch die Bestellung des angebotenen Produkts anzunehmendes Angebot auf Abschluss eines Garantievertrags mit dem Hersteller unterbreitet hätte. Daher liegt keine Garantieerklärung i. S. d. §§ 479 Abs. 1, 443 Abs. 1 BGB vor.

IV. Richtlinienkonforme Auslegung

Etwas anderes könnte sich aus der richtlinienkonformen Auslegung ergeben.[31] § 479 Abs. 1 BGB setzt Art. 17 Abs. 2 Satz 3 Richtlinie (EU) 2019/771 (Warenkauf-RL = WKRL) um.

Der Anwendungsbereich der WKRL müsste nach Art. 3 Abs. 1 WKRL eröffnet sein. § 479 Abs. 1 BGB betrifft Kaufverträge i. S. d. Art. 2 Nr. 1 WKRL einem Verbraucher i. S. d. Art. 2 Nr. 2 WKRL und einem Verkäufer i. S. d. Art. 2 Nr. 3 WKRL. Auch der in Rede stehende Kaufvertrag über Taschenmesser auf der online-Plattform A ist ein Kaufvertrag zwischen der B GmbH als gewerblicher Verkäuferin und Verbraucherkunden, sodass der Anwendungsbereich nach Art. 3 Abs. 1 WKRL eröffnet ist.

1. Inhalt der Garantieerklärung

Nach Art. 17 Abs. 2 S. 1 und 2 WKRL muss die Garantieerklärung auf einem dauerhaften Datenträger spätestens zum Zeitpunkt der Lieferung der Waren zur Verfügung gestellt werden und in klarer und verständlicher Sprache formuliert sein. Nach Art. 17 Abs. 2 S. 3 WKRL muss sie a) einen klaren Hinweis, dass der Verbraucher bei Vertragswidrigkeit der Waren ein gesetzliches Recht auf unentgeltliche Abhilfen des Verkäufers hat und dass diese Abhilfen von der gewerblichen Garantie nicht berührt werden, b) Name und Anschrift des Garantiegebers, c) das vom Verbraucher einzuhaltende Verfahren für die Geltendmachung der gewerblichen Garantie, d) die Nennung der Waren, auf die sich die gewerbliche Garantie bezieht, sowie e) die Bestimmungen der gewerblichen Garantie enthalten. Das unterscheidet sich nicht von den Voraussetzungen des § 479 Abs. 1 BGB.

2. Garantiebegriff

Nach Art. 2 Nr. 12 WKRL bezeichnet im Sinne dieser Richtlinie der Ausdruck »gewerbliche Garantie« jede dem Verbraucher gegenüber zusätzlich zur gesetzlichen Gewährleistung eingegangene Verpflichtung des Verkäufers oder eines Herstellers (Garantiegebers), den Kaufpreis zu erstatten oder die Waren zu ersetzen, nachzubessern oder in sonstiger Weise Abhilfe zu schaffen, falls sie nicht die Eigenschaften aufweisen oder andere nicht mit der Vertragsmäßigkeit verbundene Anforderungen erfüllen sollten, die in der Garantieerklärung oder der einschlägigen Werbung, wie sie bei oder vor Abschluss des Vertrags verfügbar war, beschrieben sind. Danach fällt unter den Begriff der Garantie nur die rechtlich verbindliche Garantieerklärung.[32] Zwar erfasst § 443 Abs. 1 BGB auch sonstige Dritte und setzt die Pflicht nach Art. 17 Abs. 1 WKRL auch außerhalb von dessen Anwendungsbereich, also überschießend um. Das ist vorliegend aber nicht erheblich, da es um eine Herstellergarantie geht. Somit unterscheidet sich der Garantiebegriff der WKRL nicht in einer für den vorliegenden Fall relevanten Weise vom Garantiebegriff des § 443 Abs. 1 BGB.

3. Kein Unterschied durch richtlinienkonforme Auslegung

Das Auslegungsergebnis nach der WKRL unterscheidet sich nicht von der alleinigen Auslegung des nationalen Rechts. Mithin ergibt sich auch aus der richtlinienkonformen Auslegung kein anderes Ergebnis.

V. Zwischenergebnis

In Ermangelung einer Garantieerklärung hat die B GmbH nicht die Informationspflicht nach §§ 479 Abs. 1, 443 Abs. 1 BGB verletzt.

C. Gesamtergebnis

Mangels unlauteren Verhaltens der B GmbH hat die K GmbH keinen Anspruch auf Unterlassen nach §§ 8 Abs. 1 Satz 1, 3 Abs. 1 UWG.

Frage 2: Vorlagerecht und Vorlagepflicht

A. Vorlagepflicht letztinstanzlicher Gerichte nach Artikel 267 Abs. 1 und 3 AEUV

Nach Art. 267 Abs. 1 und 3 AEUV sind letztinstanzliche Gerichte zu Vorlage an den EuGH verpflichtet.[33]

I. Einzelstaatliches Gericht, dessen Entscheidungen nicht mehr angefochten werden können

Bei der Frage, ob die Entscheidungen eines mitgliedstaatlichen Gerichts nicht mehr angefochten werden können, ist eine konkrete Betrachtungsweise einzunehmen.[34] Der BGH ist als höchstes Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit ein einzelstaatliches Gericht, dessen Entscheidungen nicht mehr angefochten werden können, und unterliegt damit grundsätzlich der Vorlagepflicht.

II. Vorlagegegenstand

Vorlagegegenstand sind nach Art. 267 Abs. 1 lit. a AEUV die Auslegung der Verträge und nach Art. 267 Abs. 1 lit. b AEUV die Auslegung der Handlungen der Organe der Europäischen Union. Hier geht es nicht um die Auslegung des EUV, AEUV und der GRCh, sondern einer europäischen Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates, mithin einer Handlung der Organe der Europäischen Union.

III. Entscheidungserheblichkeit

Die Vorlagefrage muss zudem entscheidungserheblich sein, was sich direkt aus dem Zusammenspiel von Art. 267 Abs. 2 und 3 AEUV ergibt. Hinsichtlich der Entscheidungserheblichkeit ist dem vorlegenden Gericht Entscheidungsspielraum einzuräumen.[35] Hier geht es maßgeblich um die Auslegung der VRRL, die im vorliegenden Fall zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. Mithin ist die Vorlagefrage entscheidungserheblich.

IV. Grundsatz: Vorlagepflicht

Demnach besteht im Grundsatz eine Vorlagepflicht des BGH angesichts der Unterstellung, dass er den vorliegenden Fall noch nicht entschieden haben soll.

V. Ausnahmen nach der CILFIT-Rechtsprechung des EuGH

Hiervon bestehen zwei Ausnahmen nach der CILFIT-Rechtsprechung des EuGH. Erstens besteht keine Vorlagepflicht, wenn bereits eine gesicherte Rechtsprechung des EuGH besteht (acte éclairé).[36] Zweitens besteht keine Vorlagepflicht, wenn die zutreffende Auslegung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass kein Raum für vernünftige Zweifel besteht (acte clair).[37] Hier ist die Auslegungsfrage zwar nicht offenkundig, da begründete Zweifel an der Auslegung der Richtlinie bestehen. Allerdings besteht mit dem EuGH-Urteil Victorinox[38] eine gesicherte Rechtsprechung genau für die Fragen, die sich in diesem Fall stellen. Mithin entfällt die Vorlagepflicht nach der CILFIT-Rechtsprechung des EuGH.

B. Vorlagerecht nach Art. 267 I, II AEUV

Fraglich ist, ob der BGH auch dann zur Vorlage berechtigt ist, wenn ihn keine Vorlagepflicht trifft. Grundsätzlich ist den mitgliedstaatlichen Gerichten ein weiter Entscheidungsspielraum zur Frage einzuräumen, ob sie von ihrem Vorlagerecht nach Art. 267 Abs. 1 und 2 AEUV Gebrauch machen.

Hier besteht das Problem, dass mit dem Victorinox-Urteil eine EuGH-Rechtsprechung existiert, die genau die vorliegenden Auslegungsfragen klärt und die dem BGH selbst bei der Unterstellung, dass er diesen Fall noch nicht entschieden hat, bekannt sein dürfte. Fraglich ist, ob auch in solchen Fällen noch ein Vorlagerecht besteht oder das Vorabentscheidungsverfahren unzulässig ist. Für die Unzulässigkeit spricht der Grundsatz der Prozessökonomie und die Überlegung, den EuGH nicht unnötig mit bereits geklärten Fragen zu beschäftigen. Diesem Ziel dient ja auch die CILFIT-Rechtsprechung. Allerdings betrifft diese gerade nur die Vorlagepflicht und nicht das Vorlagerecht. Der weite Entscheidungsspielraum der mitgliedstaatlichen Gerichte spricht gerade dafür, auch in bereits entschiedenen Fällen neue Vorlagefragen zu stellen. Das hat der EuGH im Urteil Torresi ausdrücklich für zulässig erachtet.[39]

Frage 3: Sanktionen bei Nichtvorlage

Als unionsrechtliche Sanktionen gegen die Nichtvorlage kommen ein Vertragsverletzungsverfahren und ein Staatshaftungshaftungsanspruch in Betracht.

A. Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 – 260 AEUV

Die erste Sanktionsmöglichkeit bietet das Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 – 260 AEUV.[40]

I. Vertragsverletzung: Nichtvorlage trotz Pflicht

Das Vertragsverletzungsverfahren setzt nach Art. 258 AEUV eine Vertragsverletzung voraus. Hier ist eine Verletzung des Art. 267 Abs. 1 und 3 AEUV möglich, also eine Nichtvorlage trotz Pflicht zur Vorlage.

II. Zurechnung an Mitgliedstaat

Die Nichtvorlage des BGH müsste der Bundesrepublik Deutschland auch zurechenbar sein. Zwar sind Richter in Deutschland nach Art. 97 Abs. 1 GG unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Dennoch üben sie als Judikative Staatsgewalt aus, die nach Art. 1 Abs. 3 GG auch der Grundrechtsbindung unterliegt. Die Nichtvorlage ist daher dem Mitgliedstaat Deutschland zurechenbar.

III. Klageberechtigung

Klageberechtigt sind nach Art. 258 AEUV die Europäische Kommission und nach Art. 259 AEUV jeder Mitgliedstaat. Mithin eignet sich das Vertragsverletzungsverfahren nicht als Individualrechtsbehelf.

IV. Klageerfolg: grds. möglich, aber nicht effektiv, da Entscheidung vorher Rechtskraft erlangt

Ein Vertragsverletzungsverfahren kann zwar grundsätzlich Erfolg haben, wenn die Kommission oder ein Mitgliedstaat es initiiert. Auch dann dürfte es aber keinen effektiven individuellen Rechtsschutz bieten, da die BGH-Entscheidung in diesem Fall bereits Rechtskraft erlangt hätte.

B. Staatshaftungsanspruch

Die zweite Sanktionsmöglichkeit bietet der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch.[41]

I. Herleitung

Der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch wird aus Art. 4 Abs. 3, 19 Abs. 1 EUV und verschiedenen unionsrechtlichen Prinzipien abgeleitet. Hierzu zählen das Prinzip der Wirksamkeit des Unionsrechts, des effektiven Rechtsschutzes und die Mitwirkungspflicht der Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 3 EUV. Zudem kann eine Parallele zum Staatshaftungsanspruch gegen die Europäische Union nach Art. 340 Abs. 2 AEUV gezogen werden.[42]

II. Anspruchsgrundlage

Als Anspruchsgrundlage kommen entweder ein Anspruch sui generis aus dem Unionsrecht oder eine Modifikation der § 839 BGB, Art. 34 GG unter Maßgabe der unionsrechtlichen Vorgaben in Betracht.

III. Mitgliedstaatliches Handeln

Der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch erfasst sämtliches dem Mitgliedstaat zurechenbare Handeln oder Unterlassen der Exekutive, Legislative und Judikative.[43] Die richterliche Unabhängigkeit führt auch hier zu keinem anderen Ergebnis, zumal Richter nach Art. 97 Abs. 1 GG an Recht und Gesetz gebunden sind. Mithin ist auch die zu unterstellende Nichtvorlage des BGH als richterliches Unterlassen mitgliedstaatliches Handeln.

IV. Haftungsvoraussetzungen

Der Staatshaftungsanspruch hat drei inhaltliche Voraussetzungen. Die verletzte Rechtsnorm muss bezwecken, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, der Verstoß muss hinreichend qualifiziert sein und der Schaden muss durch den Unionsrechtsverstoß kausal verursacht worden sein.[44]

1. Verletzte Rechtsnorm bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen

Als verletzte Normen kommen hier zum einen Art. 288 Abs. 3 AEUV mit der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung und zum anderen die konkrete Richtlinienbestimmung des Art. 6 Abs. 1 lit. m. VRRL in Betracht. Sie müssten zum einen inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt sein und zum anderen auch darauf abzielen, dem Einzelnen Rechte zu verleihen. Beide Normen setzen keine weiteren Umsetzungsmaßnahmen der EU oder des Mitgliedstaaten voraus abgesehen vom allgemeinen Umsetzungsbedürfnis der Richtlinie und sind somit unbedingt. Sie sind auch inhaltlich bestimmt. Fraglich ist, ob sie subjektive Rechte gewähren. Zwar dient die Vorlagepflicht dem »Gemeinwohlwert« der Sicherung einheitlicher Unionsrechtsanwendung in den Mitgliedstaaten. Allerdings dient die Vorlagepflicht auch der Durchsetzung des effektiven Rechtsschutzes für Unionsbürger.[45] Sie ist zudem Teil des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und auf den gesetzlichen Richter nach Art. 47 GRCh. Art. 6 Abs. 1 lit. m. VRRL zielt auf eine vorvertragliche Information gegenüber den Verbrauchern vor dem Abschluss eines Fernabsatzvertrags ab und bezweckt somit, die Verbraucher mit Rechten auszustatten. Beide Normen sind also unbedingt und hinreichend bestimmt und zielen auch darauf ab, dem Einzelnen Rechte zu verleihen.

2. Hinreichend qualifizierter Verstoß, d. h. offenkundig und erheblich

Der hinreichend qualifizierte Verstoß muss im Falle judikativer Verstöße offenkundig und erheblich sein, was sich aus der richterlichen Funktion und Rechtssicherheit ergibt.[46] Ob der Verstoß offenkundig ist, unterliegt einer Einzelfallentscheidung. Relevante Kriterien zur Bestimmung der Offenkundigkeit sind die Klarheit der verletzten Vorschrift, der Umfang des eingeräumten Ermessensspielraums, mögliche Absicht des Verstoßes und die mögliche (Un ‑ )Entschuldbarkeit eines Rechtsirrtums. Verschulden ist nicht erforderlich, kann aber als Abwägungskriterium dienen.

Problem 1: Fehlerhafte richtlinienkonforme Auslegung

Die fehlerhafte richtlinienkonforme Auslegung kann ein hinreichend qualifizierter Verstoß sein.[47] Dafür müssten die Richtlinienbestimmungen aber so eindeutig sein, dass kein vernünftiger Zweifel an der Auslegung besteht. Das ist hier gerade nicht der Fall, da der Begriff »gegebenenfalls« in Art. 6 Abs. 1 lit. m. VRRL mehrdeutig ist. Mithin scheidet in dieser Hinsicht ein offenkundiger Verstoß aus.

Problem 2: Nichtvorlage trotz Vorlagepflicht

Die Nichtvorlage eines zur Vorlage verpflichteten Gerichts kann ein offenkundiger Verstoß sein.[48] Entscheidend ist, ob vernünftige Zweifel an der Auslegung bestehen. Nach der CILFIT-Rechtsprechung des EuGH bestehen Ausnahmen von der Vorlagepflicht nur bei einer gesicherten Rechtsprechung des EuGH oder bei offenkundiger Auslegung, sodass keine Zweifel an der Auslegung bestehen. Der Maßstab für die Vorlagepflicht ist also niedrigschwellig. Bei der Auslegung des mehrdeutigen Art. 6 Abs. 1 lit. m VRRL bestanden vor dem EuGH-Urteil Victorinox erhebliche Zweifel. Nach dem Urteil besteht hingegen eine gesicherte Rechtsprechung. Je nach Kenntnis des Urteils kann ist also ein offenkundiger Verstoß zu bejahen oder abzulehnen.

3. Schaden steht in unmittelbarem Kausalzusammenhang zum begangenen Unionsrechtsverstoß

Problem 3: Kausalität bei nicht erfolgter Vorlage

Bei einer Nichtvorlage trotz Vorlagepflicht ergibt sich noch das Zusatzproblem, dass die Kausalität des Verstoßes erst dann nachwiesen werden kann, wenn die gleiche nicht vorgelegte Auslegungsfrage des zur Vorlage verpflichteten Gerichts später vom EuGH in einem anderen Verfahren anders entschieden wird, und zwar zugunsten desjenigen entschieden wird, der den Staatshaftungsanspruch geltend macht. Dann hat das Urteil des vorlagepflichtigen Gerichts bereits Rechtskraft und der Schaden ist kausal. Diese Frage kann das Gericht, das über den Staatshaftungsanspruch zu entscheiden hat, grundsätzlich auch durch eine eigene Vorlage an den EuGH klären. Angesichts des EuGH-Urteils Victorinox besteht allerdings bereits Rechtsklarheit über die Auslegung und – im Falle der Nichtvorlage trotz Vorlagepflicht – auch die notwendige Kausalität zwischen Verstoß und Schaden.

V. Ergebnis

Je nach Auslegung und Kenntnis der zugrundeliegenden Entscheidungen sind die Voraussetzungen eines Staatshaftungsanspruchs erfüllt oder nicht.


Hinweis:

Der Autor hat die Klausur im Sommersemester 2023 als Lehrbeauftragter im Examensklausurenkurs der Humboldt-Universität zu Berlin gestellt.


Online erschienen: 2023-12-20
Erschienen im Druck: 2023-11-28

© 2024 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

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