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Pferd als Nutztier i. S. des § 833 S. 2 BGB

Veröffentlicht/Copyright: 22. August 2017
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Pferd als Nutztier i.S. des §833 S.2 BGBDOI 10.1515/jura-2017-0209Leitsätze(gekürzt):1. §833 S.2 BGB räumt dem Tierhalter die Möglichkeit, sichvon der Gefährdungshaftung des §833 S.1 BGB zu entlasten, nur dann ein, wennder Schaden durch ein Haustier verursacht worden ist, das dem Beruf, der Erwerbs-tätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhaltersd.h. einem wirtschaftlichen Zweckzu dienen bestimmt ist.2. Unter Erwerbstätigkeit im Sinne des §833 S.2 BGB ist jede Tätigkeit zuverstehen, die auf Gewinnerzielung gerichtet ist. Diese Voraussetzung ist erfüllt,wenn die Tätigkeit objektiv darauf angelegt ist und subjektiv von der Absichtgetragen wird, Gewinn zu erzielen. Die bloße Gewinnerzielungsabsicht als solche,die in den objektiven Umständen keinen Niederschlag findet, genügt dagegennicht.BGH, Urt. v. 14.2.2017VI ZR 434/15= NJW-RR 2017, 725ff.Sachverhalt(abgewandelt):Am 15.9.2011 gegen 5.50 Uhr fährt K mit einemKleinbus auf einer Landstraße. Auf der Gegenfahrbahn stehen zwei Fahrzeuge miteingeschaltetem Licht. Eines dieser Fahrzeuge betätigt die Lichthupe, um denFahrer des Kleinbusses zu warnen. Als K an den Fahrzeugen vorbeifährt, sieht erauf der Fahrbahn zwei Pferde stehen, deren Eigentümer und Halter der B ist. Trotzeiner Vollbremsung kommt es zu einer Kollision mit einem der Pferde. Dabei wirddas Fahrzeug des K erheblich beschädigt. K erleidet Prellungen und Brüche. Kverlangt nun von B Schadensersatz. B beruft sich darauf, dass er im Nebenerwerbeine Pferdezucht betreibt; neben den zwei ausgebrochenen Pferden hielt er zumUnfallzeitpunkt noch zwei weitere Pferde. Zwar kann er mit den Einkünften ausder Pferdezucht seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten, doch kann er aus derVeräußerung der Pferde die Kosten der Zucht decken. Außerdem wendet er ein,dass er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet habe, da die Pferde vor demUnfallereignis auf einer Koppel in einer Entfernung von ca. 250 bis 300 m unterge-bracht waren, die mit an Holzpfosten befestigten Elektrobändern eingezäunt war.Wie sich im Nachhinein herausstellt, war ein Holzpfosten allerdings schon seitLängerem umgeknickt, und die Stärke und Länge der Holzpfosten entsprachenauch nicht den Empfehlungen des Bayerischen Staatsministeriums »Der sichereWeidezaun«. Besteht der geltend gemachte Anspruch des K?Probleme:Die Parteien streiten um die Ersatzpflicht wegen Schäden, die durchein Tier verursacht worden sind. Im Mittelpunkt der Entscheidung stehen dieVoraussetzungen der Tierhalterhaftung gemäß §833 BGB. Dazu im Einzelnen:I. §833 S.1BGB.K hat einen Anspruch gegen B auf Ersatz der ihm ent-standenen Sach- und Personenschäden, wenn diese »durch ein Tier« entstandensind und B als Halter anzusehen ist.1. Richtiger Anspruchsgegner.B ist als Halter der beiden ausgebrochenenPferde richtiger Anspruchsgegner (näher zum Begriff des TierhaltersRöthel,Kraft-fahrzeughalter und Tierhalter,JURA2014, S.1124ff.).2. Rechtsgutsverletzungen i.S. des §833 S.1 BGB.Infolge der Kollision istdas Fahrzeug des K beschädigt worden, und er hat Prellungen und Brüche erlitten.Ihm sind also Verletzungen an den von §833 S.1 BGB geschützten Rechtsgüternentstanden.3. Kausalität und Zurechnung.Diese Rechtsgutsverletzungen müssten auch»durch ein Tier« verursacht worden sein. Erforderlich ist, dass sich in den Rechts-gutsverletzungen eine typische Tiergefahr realisiert hat (vgl. BGHZ 67, 129, 130; dazuschonRöthel, JK 10/14, BGB §833/6), wie sie sich »in einem der tierischen Naturentsprechenden unberechenbaren und selbständigen Verhalten des Tieres« offen-bart. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ein Pferd von einer Weide entkommtund sich aufdie Fahrbahn einer Landstraße begibt (vgl. BGHNJW-RR 1990, 789, 791).4. Entlastungsmöglichkeit gemäß §833 S.2 BGB.Gleichwohl würde Bnicht haften, wenn es sich bei den ausgebrochenen Pferden um Nutztiere i.S. des§833 S.2 BGB handelte und B darlegen könnte, dass er die im Verkehr erforderli-che Sorgfalt beachtet hatte.a) Nutztier i.S. des §833 S.2 BGB.Eine Entlastungsmöglichkeit ist aller-dings nur dann eingeräumt, »wenn der Schaden durch ein Haustier verursachtworden ist, das dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhaltersd.h. einem wirtschaftlichen Zweckzu dienen bestimmt ist. Tiere, die ausLiebhaberei oder zu sonstigen ideellen Zwecken wie zum Beispiel zur Ausübungdes Reitsports gehalten werden, ohne dass der Halter aus ihrer NutzungderVermietung, Erteilung von Reitunterricht, Zucht oder dergleichenseinen Erwerbbezieht, werden von der Vorschrift nicht erfasst.«aa)Entscheidend ist also, ob die ausgebrochenen Pferde der Erwerbstätigkeitdes B zu dienen bestimmt waren. »Dabei ist unter Erwerbstätigkeit i.S. des §833S.2 BGB jede Tätigkeit zu verstehen, die auf Gewinnerzielung gerichtet ist. DieseVoraussetzung ist erfüllt, wenn die Tätigkeit objektiv darauf angelegt ist undsubjektiv von der Absicht getragen wird, Gewinn zu erzielen. Die bloße Gewinn-erzielungsabsicht als solche, die in den objektiven Umständen keinen Nieder-schlag findet, genügt dagegen nicht. Vielmehr muss zumindest im Ansatz dierealistische Möglichkeit bestehen, dass der Tierhalterggf. nach einer gewissenAnlaufzeitauf Dauer gesehen aus seiner Tätigkeit Gewinne erwirtschaftet.« Indesist »nicht erforderlich, dass der Tierhalter seinen Lebensunterhalt zu einem erheb-lichen Anteil aus der Tierhaltung erwirtschaftet und diese eine wesentliche Grund-lage seines Erwerbs bildet... Für eine derartige Einschränkung des Anwendungs-bereichs des §833 S.2 BGB finden sich weder im Wortlaut noch in denGesetzesmaterialien Anhaltspunkte (vgl. BGH VersR 1986, 1077, 1078f.).«bb)Gemessen an diesen Anforderungen lassen sich die von B gehaltenenPferde als Nutztiere i.S. des §833 S.2 BGB ansehen. Denn es gelingt dem B, mitder Zucht der Pferdeanders als in dem Originalsachverhalt, wo der BGH hierzunoch Feststellungen für erforderlich hieltEinkünfte zu erzielen, die derzeitimmerhin die Kosten decken, so dass eine »realistische Möglichkeit« besteht, dassB aus der Pferdezucht langfristig Gewinne erwirtschaftet. Ob diese Gewinne auchseinen gesamten Lebensbedarf decken, ist dagegen unerheblich.b) Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt.Nimmt man an, dasses ich bei den ausgebrochenen Pferden um Nutztiere i.S. des §833 S.2 BGBhandelt, ist ein Anspruch des K gegen B ausgeschlossen, wenn B bei der Beauf-sichtigung der Pferde die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet hat.aa)Als Tierhalter ist B für die sichere Unterbringung seiner Pferde verant-wortlich: »Er ist insbesondere verpflichtet, für eine ausreichend sichere Einzäu-nung der Anlagen zu sorgen, in denen sich seine Pferde aufhalten, wenn von ihnenGefahren für Dritte ausgehen können. Die Erfüllung dieser Pflicht soll dazu dienen,ein Entweichen der Tiere, etwa von der Koppel oder Weide, auf Dritten zugäng-liches Gelände oder Straßen zu verhindern, da erfahrungsgemäß in einem solchenFall mit schweren Unfällen zu rechnen ist ... Insoweit müssen zur Sicherung derunbeaufsichtigten Tiere auf der Weide im freien Gelände wegen der großen Gefahrschwerer Unfälle hohe Anforderungen gestellt werden... Allerdings muss nichtjeder abstrakten Gefahr durch vorbeugende Maßnahmen begegnet werden; Siche-rungen von absoluter Wirksamkeit sind kaum möglich. Dementsprechend ist auchder Tierhalter nicht verpflichtet, alle theoretisch denkbaren, von dem Tier aus-gehenden Gefahren von Dritten durch geeignete Sicherungsmaßnahmen abzuwen-den; vielmehr muss er nur die allgemein üblichen und im Verkehr als ausreichenderachteten Sicherungsmaßnahmen einhalten.«bb)Bei der Bestimmung der jeweils von einem Tierhalter erwartbaren Sorg-faltsanforderungen können sich aus sachverständigen Empfehlungen, wie hierden Empfehlungen »Der sichere Weidezaun« Anhaltspunkte ergeben, die bei derBewertung zu berücksichtigen sind. Dass Stärke und Länge der Einzäunung nichtden Empfehlungen entsprach, ist ein gewichtiges Indiz dafür, dass B bei derEinzäunung nicht die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet hat. In dieselbeRichtung weist der Umstand, dass ein Holzpfosten schon seit Längerem umge-knickt war (a.A. vertretbar; im Originalfall hat der BGH wegen weiter erforderli-cher Feststellungen zurückverwiesen).5. Ergebnis.K hat einen Anspruch gegen B gemäß §833 BGB auf Ersatz derihm an seinem Fahrzeug und seinem Körper entstandenen Schäden.II. §823 Abs.1 BGB.Geht man davon aus, dass B die im Verkehr erforderli-che Sorgfalt dadurch außer Acht gelassen hat, dass er die Weide nicht hinreichendgesichert hat, haftet er dem K für die ihm entstandenen Rechtsgutsverletzungenauch gemäß §823 Abs.1 BGB wegen Verletzung seiner Verkehrspflichten.III. Was lehrt der Fall?§833 BGB umfasst zwei Typen von Haftung: erstensdie »reine« Gefährdungshaftung in S.1 für sog. Luxustiere« und zweitens die»eingeschränkte« Gefährdungshaftung mit Entlastungsmöglichkeit für Nutztiere.Röthel,JURA(JK), 2017, S. 1119, §833 BGBZivilrecht | GesSchR
Online erschienen: 2017-8-22
Erschienen im Druck: 2017-8-7

© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Artikel in diesem Heft

  1. Titelseiten
  2. Info-Teil
  3. JURA INFO
  4. Aufsätze
  5. Der Kronkorkenfall – Zu Gelegenheitsgesellschaft (§ 705 BGB), Auslobung (§ 657 BGB) und Inhabermarke (§ 807 BGB)
  6. Rechtsfragen bei der nachbarlichen Paket-Annahme
  7. Karlsruher Sommer der Meinungsfreiheit – Die Prüfung von Art. 5 I S. 1 Var. 1 GG im Lichte der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
  8. Die Einführung der Zeugenaussage in die strafprozessuale Hauptverhandlung
  9. Grundstudium
  10. Familienrechtliche Rechtsgeschäfte (Teil II): Zu den Auswirkungen von Irrtum, Täuschung, Drohung
  11. Bauen im Außenbereich nach § 35 BauGB
  12. Repetitorium
  13. Die Bedeutung der Grundrechte im Privatrecht
  14. Schwerpunktbereich
  15. Die Versicherungspflicht von GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführern
  16. Lehren und Lernen
  17. Business Law Clinics in der rechtswissenschaftlichen Ausbildung
  18. Methodik
  19. Die Sicherungsgrundschuld
  20. Klausur im Kommunalrecht: Ausschluss aus dem Gemeinderat
  21. Karteikarten
  22. Eigentumsvermutung des § 1006 BGB zur Verteidigung des Vermieterpfandrechts gegen Dritte
  23. Besitz, Besitzdienerschaft und Besitzmittlung beim Kfz während Reparatur und anschließender Probefahrt
  24. Pferd als Nutztier i. S. des § 833 S. 2 BGB
  25. Zur Bestimmtheit einer Patientenverfügung
  26. Verweisung des Geschädigten auf günstigere Reparaturmöglichkeit in »freier« Fachwerkstatt
  27. Die Berücksichtigung von Beweisverwertungsverboten bei Eröffnung des Hauptverfahrens
  28. Hausfriedensbruch bei Stadionverboten
  29. Garantenpflicht und eigenverantwortliche Selbstgefährdung
  30. Teilhabe von Fraktionen verfassungsfeindlicher Parteien an Fraktionszuwendungen der Gemeinde
  31. Vereinbarkeit landesrechtlicher Einschränkungen für Spielhallen mit der Berufsfreiheit
  32. Anspruch schwer und unheilbar kranker Personen in Notlage auf Erlaubnis des Erwerbs letaler BtM
  33. Die Verjährungsfrist für Erstattungsansprüche nach § 49 a I VwVfG bemisst sich nach § 195 BGB
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