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Eine kurze Geschichte des nachmittelalterlichen Artus

  • Nathanael Busch ORCID logo EMAIL logo
Published/Copyright: September 3, 2025

Abstract

Arthurian scholarship predominantly deals with medieval works; in recent years, however, a new field of study has opened up focussing on the reception of the Matter of Britain after the medieval period. It is difficult to survey post-medieval Arthurian works and their contexts because, in comparison, there are far more sources to be taken into account and these tend to cover a much longer period. Scholarly writings are also difficult to survey because they often focus upon single works. To bring structure to this complex situation, this article first offers an overview of certain Arthurian works since Malory that are useful as reference points for orientation. It then lists four characteristics that unite Arthurian reception: Plenitude, seriality, recognisability and the primacy of narrative. Finally, the hypothesis is put forward that the history of reception is characterised by a recurring engagement with certain problems. Four problems are reconstructed as examples: History, community, love and the marvellous.

Zusammenfassung

Im Zentrum der Artusforschung steht traditionellerweise die Untersuchung mittelalterlicher Werke; daneben wurde in den letzten Jahren mit der Rezeption des Stoffes nach dem Mittelalter ein neues Untersuchungsgebiet erschlossen. Es fällt schwer, die nachmittelalterlichen Werke und ihre Kontexte zu erfassen, weil im Vergleich mehr Quellen zu berücksichtigen sind und sie sich über einen längeren Zeitraum erstrecken. Auch die Sekundärliteratur ist schwer zu überschauen, weil sie sich oftmals auf einzelne Werke konzentriert. Der vorliegende Beitrag bietet gegen diese Unübersichtlichkeit zunächst einen Überblick über diejenigen arthurischen Werke seit Malory, die als Referenzpunkte zur Orientierung nützlich sind. Im Anschluss nennt er vier Merkmale, die die Artusrezeption verbinden: Fülle, Serialität, Wiedererkennbarkeit und Primat des Narrativen. Abschließend wird die These aufgestellt, dass die Rezeptionsgeschichte eine wiederkehrende Auseinandersetzung mit bestimmten Problemen kennt. Exemplarisch werden vier Problematiken rekonstruiert: Geschichte, Gemeinschaft, Liebe und Wunderbares.

Résumé

Traditionnellement, les études arthuriennes portent principalement sur les œuvres médiévales; ces dernières années, cependant, un nouveau champ d’étude s’est ouvert avec la réception de la Matière de Bretagne après le Moyen-Âge. Il est difficile d’étudier les œuvres post-médiévales et leurs contextes car, en comparaison, les sources à prendre en compte sont plus nombreuses et couvrent une période plus longue. La littérature critique est également difficile à recenser parce qu’elle se concentre souvent sur des œuvres uniques. Pour combler, en partie, cette lacune, le présent article propose tout d’abord une vue d’ensemble des œuvres arthuriennes qui, depuis Malory, constituent des points de référence utiles pour s’orienter. Il énumère ensuite quatre caractéristiques qui unissent la réception arthurienne: La plénitude, la sérialité, la reconnaissabilité et la place privilégiée faite au récit. Enfin, l’hypothèse est avancée que l’histoire de la réception se caractérise par une confrontation récurrente avec certains problèmes. Quatre problèmes en particulier sont reconstitués à titre d’exemple: L’histoire, la communauté, l’amour et le merveilleux.

Alles endet mit Malory …

Irgendwann hörte auch das Mittelalter auf. Bestenfalls pragmatisch können die zeitlichen Grenzen der wenig homogenen Epoche bestimmt werden. Für das arthurische Mittelalter dagegen ist es leicht, einen Endpunkt zu nennen. Zwar ist der Stoff so wenig homogen wie das Mittelalter und es wandelten sich die Interessen an ihm seit Geoffreys und Chrétiens Zeiten beständig. Doch gemeinhin verständigt man sich auf ein eindeutiges arthurisches Scharnier zwischen Mittelalter und Neuzeit, wenn man nach den Leuchttürmen fragt, die jeder und jede ArthurianerIn kennen sollte – und nichts anderes ist der Anspruch dieses Aufsatzes.[1] Dieses Scharnier ist das Werk des Briten Thomas Malory, das noch ganz für den Herbst des Mittelalters steht und zugleich schon andeutet, was kommen wird. Es markiert das Nonplusultra mittelalterlich arthurischen Erzählens. Malory schuf vor dem Jahr 1470 über längere Zeit hinweg und vermutlich in Gefangenschaft ein schwer greifbares Werk, dem sein Drucker Caxton den irreführenden Namen Le Morte d’Arthur gab, denn trotz des Titels erzählt es von der gesamten Biographie. Malory wählte aus, woran er interessiert war, und schuf einen Zyklus von in sich geschlossenen Erzählungen. Das Werk ist weder in jenem elegant-höfischen Stil geschrieben, den man aus dem Hochmittelalter kennt, noch in der frühneuzeitlichen Sammelprosa. Die einzelnen Kapitel werden nicht durch eine einheitliche Handlung verbunden, sondern durch eine eigentümliche Untergangsstimmung, angesichts derer die Zerstörung des sagenhaften Königreichs konsequent erscheint. Passend für die anbrechende Neuzeit ist auch die Überlieferung in einem nur unvollständigen Manuskript und in einem gehörig überarbeiteten Druck. Alles endet mit Thomas Malory …

… und alles beginnt mit ihm. Malory schuf weder die eleganteste noch die eindrücklichste oder gar umfassendste Artuserzählung aller Zeiten, aber sein Werk sollte am einflussreichsten werden. In den kommenden Jahrhunderten wird es die Artusrezeption der Neuzeit strukturieren.[2] Malorys große Bedeutung hat wohl mit der leichten Greifbarkeit seines Textes zu tun. Er ist sprachlich zugänglich genug, dass man ihn bis heute problemlos verstehen kann, und erzählerisch dicht genug, dass man zahlreiche Geschichten in ihm finden kann, und doch noch alt genug, damit man sich auf ihn berufen kann, wenn man nach dem einen, scheinbar ‘authentischen’ Artus aus dem Mittelalter sucht. Ebenfalls weist in die Zukunft, ist aber wegen seiner Offensichtlichkeit leicht zu übersehen, dass Malory auf Englisch schrieb. Aus Sicht der Rezeption ist diese Tatsache wie selbstverständlich, da die englischsprachige Rezeption heute bei Weitem dominiert (und es folgen mit gehörigem Abstand die französisch- und deutschsprachige). Aus mittelalterlicher Sicht ist der Vorzug der englischen Sprache alles andere als selbstverständlich, denn die Mehrzahl der großen arthurischen Werke entstand seinerzeit in anderen Sprachen.

Zu beachten ist die Zeit, in der Malory sein Werk verfasste. Um 1500 war das Rittertum ein anderes als zuvor im Hochmittelalter.[3] Waren die Ritter bei Chrétien und Hartmann noch veritable Kampfmaschinen, konnten sie nunmehr mit einem gezielten Schuss aus der Büchse vom Pferd geholt werden. Dennoch hatte sich das Konzept des Mannes in Rüstung auf Pferd nicht überlebt, es gab den Ritter noch immer, doch er stand für etwas Neues; wenn ihm auch keine militärische Funktion mehr zukam, wurde er vielmehr zur ständischen Attraktion, zur Verkleidung. Ritter fielen nach und nach aus der Zeit – und ebenso die Ritterliteratur, die gerade nach dem Mittelalter eine veritable Blüte in den Literaturen Europas erfuhr. Man erinnere sich, dass Don Quijote überschnappt, nachdem er zu viele Ritter-Bestseller gelesen hat (Kap. 1.1, veröffentlicht 1605). Auch die kommenden Jahrhunderte lassen auf ihre Weise mittelalterliche Stoffe und Gestalten weiterleben.

Das chronologisch nächste Werk nach Malory, das in der Artusforschung häufiger diskutiert wird, erscheint auf den ersten Blick nicht zentral für den Gegenstand. Um 1515 dichtete Ludovico Ariosto im norditalienischen Umfeld des Hauses Este den Orlando furioso, zu Deutsch den Rasenden Roland. Der Titelheld des Epos ist der Chanson de Geste-Tradition entlehnt, wird jedoch eingewoben in eine phantastisch-märchenhafte Welt mit einer kruden Geschichte, die Orlando um den Verstand bringen wird (und wo ließe sich der Verstand besser aufbewahren als in einem Krug auf dem Mond). Die Fabel erinnert in Nichts an einen Artusroman. Sie verbindet drei Stränge: (i) einen Krieg mit (ii) einer amourösen Handlung und schließlich (iii) mit einer dynastischen Geschichte.

Angesichts der artusfernen Fabel mag es zunächst verwundern, weshalb der Orlando oft in der Artusbibliographie genannt wird, weshalb es also ein dezidiert arthurisches Interesse an dem Text gibt. Man muss berücksichtigen, dass er, auch wenn er nicht an erster Stelle die Handlung eines Artusromans aufgreift, aus einem zeitgenössischen Artusfieber hervorgegangen ist.[4] Ariost übernimmt nicht eine einzige mittelalterliche Geschichte, sondern er benutzt vorliegendes Artusmaterial als Steinbruch und vermischt es mit Figuren und Handlungen anderer Stoffe, insbesondere aus der Karlsepik, verschachtelt die Handlung nach dem Vorbild der arthurischen ‘Entrelacement’ und setzt all das schließlich zu etwas Unerhörtem zusammen, das den Nerv seiner Zeit traf.[5] Auch wenn er die Verbindung beider Stoffkreise, also des arthurischen mit dem karlischen, nicht erfunden hat, so schuf Ariost doch ein literarisches Modell, das auf dem ganzen Kontinent rezipiert und nachgeahmt wurde.

Mit den Texten von Malory und Ariosto sind zwei Modelle genannt, die für die Breite der Rezeption in den nachmittelalterlichen Jahrhunderten stehen:

Malory

Ariosto

Artusstoff

als Sujet

als Inspiration

Stil

düster

ironisch

Sprache

nüchterne Prosa

elegante Verse

Weltverhältnis

realistisch

phantastisch-grotesk

Geschichtsverständnis

global-historisch

entrückt-singulär

Entstehungsumstände

Gefangenschaft

Fürstenlob

Endpunkt

Untergang der Dynastie

Ursprung der Dynastie

Wirkung

als Artus-Rezeption

als Ariost-Rezeption

Wirkungskreis

britisch

‘italienisch’-europäisch

Der Zeitraum nach dem Entstehen dieser beiden Texte ist schwer greifbar. Alan Lupack hat gar die Jahre, in denen keine neue Auflage von Malory erschien – zwischen Mitte des 17. und Beginn des 19. Jahrhunderts –, als das lange arthurische 18. Jahrhundert bezeichnet.[6] Das liegt nicht an einem arthurischen Vakuum, vielmehr gibt es ein Grundrauschen, in dem Artus an den Fürstenhöfen und in den Städten Europas gespielt, gehört und gesehen wurde. Die mittelalterlichen Texte wurden zwar überwiegend nicht mehr gelesen, doch es finden sich vereinzelte Nennungen vor allem im chronikalen Kontext, je nach Region entstehen neue Texte. Den ambivalenten Stellenwert von Artus in diesen Jahrhunderten kann man daran ermessen, welche Schriftsteller sich aus unterschiedlichen Gründen nicht an den Stoff herantrauten. An erster Stelle verwundert es, dass William Shakespeare (c. 1564–1616) kein Artus-Spiel geschrieben hat. Auf den Wanderbühnen war der Stoff bekannt,[7] da muss es wie eine Ablehnung erscheinen, wenn sich in Shakespeares Œuvre nur minimale Hinweise auf den zumal noch britischen König finden.[8] Konnte er mit dem Stoff nichts anfangen? Hat er womöglich eines geschrieben und es ist nicht gedruckt worden?[9] Am wahrscheinlichsten aber ist eine andere Vermutung: Der Stoff galt als politisch aufgeladen.[10] Die Tudors vereinnahmten Artus regelmäßig für ihre Genealogie; ein Onkel Elisabeths I. wurde gar in Winchester zur Welt gebracht und als wiederkehrender Arthur getauft. Er verstarb frühzeitig und kinderlos; auch Elisabeth blieb kinderlos, mit ihr endete die Dynastie. Darin mag sich auch ein Grund dafür finden, dass mit fortlaufender Tudorzeit die Referenz auf die arthurische Genealogie zurückging – und ein Artusstück Shakespeares wäre wie aus der Zeit gefallen. Der zweite Autor, der dafür bekannt ist, sein geplantes Artusepos nicht geschrieben zu haben, ist John Milton (1606–74), der stattdessen seine schriftstellerische Energie in Paradise Lost lenkte: ein christliches Epos statt eines arthurischen, die Geschichte der Menschheit statt der englischen Nation. Ebenfalls kein Artusepos verfasste John Dryden (1631–1700), der allerdings mit dem Libretto King Arthur or The British Worthy bekannt wurde, das dank einer Vertonung von Henry Purcell (Uraufführung 1691) bis heute in den Stadttheatern erklingt. In diesem Stück sorgen höhere Mächte gemeinsam mit dem Zauberer Merlin für eine Entscheidung gegen die Sachsen und lassen Artus in bestem Licht dastehen. Mit dem Libretto tritt Dryden für Karl II. ein und greift die Gegner des Königs an. Seine großen Pläne eines umfangreichen Artusepos wurden durch die Glorious Revolution zunichte gemacht – übrig blieb eine Barockoper mit viel Bühnenzauber und zeittypisch drastischen Effekten.

Fragt man in der weiteren Chronologie nach Namen, um die man aus arthurischer Sicht nicht herumkommt, wird man ins 19. Jahrhundert springen müssen, und damit in eine neue Phase der Mittelalterrezeption, die vom Gothic Revival und der Ritterromantik geprägt ist.[11] In ganz Europa – und darüber hinaus – verklärte und imitierte man, was man für mittelalterlich hielt und bis heute hält. Dass im Folgenden mit Ausnahme der Opern von Richard Wagner vor allem englischsprachige Rezeptionszeugnisse genannt werden, zeigt die Konzentration der Rezeption auf wenige Regionen. Besonders stark wahrgenommen wurde der Brite Alfred Lord Tennyson, der 1859–85 auf der Basis von Malory einen Zyklus von zwölf kurzen Versepen schrieb – ähnlich wie bei seiner Vorlage Malory werden ausgewählte Episoden erzählt –, deren Titel Idylls of the King zunächst Programm ist. Sie zeichnen einen idealen Herrscher, der mit hoher Autorität den Mächten des Bösen entgegentritt. Doch Tennyson bleibt nicht bei Vergangenheitsverklärung stehen, sondern er zieht eine Parallele zwischen der Geschichte vom Untergang des Artusreiches und der Auflösung der traditionellen Moral, die er in seiner Zeit erkannte. Man würde diese Beschwörung von Dekadenz und Verfall fünfzig Jahre später in der Literaturgeschichte vermuten, doch schon bei Tennyson gewinnen Verschwörung und Missgunst die Oberhand, bis zuletzt alle Ritter mitsamt Artus im Kampf gegen Mordred untergehen. Mit Malory verbindet seine Darstellung eine düstere Stimmung. Tennyson findet einen eigenen, faszinierenden Stil, hochstehend und geschliffen, aber nicht kryptisch; dicht, aber nicht undurchdringlich.

Der stilistische Unterschied tritt im Vergleich mit dem Text von Malory konturiert hervor. Ein Beispiel: Artus wird bei Malory kurz vor dem Ende von Sir Bedwere und Sir Lucan hochgehoben, letzterem fallen schon die Gedärme aus dem Bauch. Artus befiehlt Bedwere, sein Schwert Excalibur zurück ins Wasser zu werfen, von dem er es einst empfangen hat. Zweimal reut es Bedwere, den Befehl auszuführen, doch Artus kommt stets hinter den Betrug. Beim dritten Mal wirft der Ritter das Schwert, und aus dem See erhebt sich ein Arm, der das Schwert wieder in Empfang nimmt – ein später vielfach gezeichnetes Bild:

Than Sir Bedwere departed and wente to the swerde and lyghtly toke hit up, and so he wente unto the watirs syde. And there he bounde the gyrdyll aboute the hyltis, and threw the swerde as farre into the watir as he myght. And there cam an arme and an honde above the watir, and toke hit and cleyght hit, and shoke hit thryse and braundysshed, and than vanysshed awaye the honde with the swerde into the watir.[12]

Tennyson dagegen muss zunächst noch die ganze Episode nacherzählen, wie Artus an das Schwert gelangt ist, weil er diese Geschichte für seinen Zyklus bislang noch nicht brauchte, und sagt dann:

So flashed and fell the brand Excalibur:

But ere he dipt the surface, rose an arm

Clothed in white samite, mystic, wonderful,

And caught him by the hilt, and brandished him

Three times, and drew him under in the mere.

And lightly went the other to the King.[13]

Der Unterschied in Hinblick auf Eleganz und Stilhöhe ist frappant. Tennyson unterstreicht mit seiner Wortwahl im Gegensatz zu Malorys schlichter Prosa die Wichtigkeit des Gegenstands. Das ist umso bedeutsamer, als den Königsidyllen das Weiterleben des Arthurischen im Wesentlichen zu verdanken ist. Der Stellenwert von Tennyson für die Wahrnehmung der Arthuriana bis in die Gegenwart ist kaum hoch genug einzuschätzen; sein Werk kommt zeitweise einem Nationalepos nahe.[14]

Tennysons Zeitgenossen waren nicht einhellig begeistert. Unweigerlich riefen Werk und seine Rezeption Kritiker auf den Plan, deren bekanntester Mark Twain war, der 1899 mit A Connecticut Yankee in King Arthur’s Court eine bitterböse Satire auf die viktorianische Mittelalterbegeisterung vorlegte.[15] Bis heute ist umstritten, ob sie besonders hintergründig oder besonders misslungen sei. Erfolgreich war sie immerhin und wurde erstaunlich oft verfilmt.[16] Die Handlung beruht auf einer einfachen Zeitreisegeschichte. Der Amerikaner Hank Morgan wird nach einem heftigen Schlag auf den Kopf ins England des 6. Jahrhunderts versetzt. Die Umgangsformen dieser Zeit entsetzen ihn, und er vergleicht naiv die Zeiten. Mit dem Protagonisten zeichnet auch der Erzähler gleichermaßen stereotyp Armut und Elend des finsteren Mittelalters. Doch man täte dem Buch unrecht, wenn man es als simple Kulturkritik läse. Der Erzähler berichtet zuweilen ungenau und Morgan bleibt kein Beobachter, sondern er mischt sich in das Leben am Hof ein, soweit man das erfährt. Er installiert sich als eigentliche Macht am Hof und lässt sich, weil es dafür keinen traditionellen Titel gibt, unverfroren ‘The Boss’ nennen. Für die Zeit und den Ort – das Mittelalter Englands – hat der moderne Amerikaner nur Spott übrig. In einem Kapitel beispielsweise antwortet eine Figur auf eine simple Frage mit einem seitenlangen Zitat aus Malory (Kap. 15), wodurch die altertümliche Sprache und Darstellung genauso wie die zeitgenössisch-britische Begeisterung von ihr dem Spott preisgegeben werden. Fortwährend kommentiert Morgan die Sprache ‘Malorys’ bissig und kann den Umgangsformen nichts abgewinnen: ‘Well, that is just the trouble about this state of things, it ruins so many horses’.[17] Wie Prometheus ‘erfindet’ Hank Errungenschaften seiner Herkunftszeit. Er führt etwa Zeitungen und Telegraphie ein und, als seine Ritter in höchster Not zu seiner Rettung eilen, dann kommen sie auf dem Fahrrad. Der ‘Boss’ ‘zivilisiert’ das Mittelalter nicht uneigennützig, sondern verdient daran kräftig. Der rücksichtslos eingeführte Kapitalismus führt am Ende nicht zu einer menschenwürdigen Demokratie, die dem Feudalismus überlegen wäre, sondern bringt dialektisch den todbringenden Rückfall in die Barbarei. Die Interpretation des Buches bleibt offen. Die Erstveröffentlichung hingegen hat die Offenheit des Romans vereindeutigt, etwa indem der Illustrator den Antagonisten Merlin mit erkennbaren Zügen des Konterfeis von Tennyson zeichnete; die Verkaufsanzeige des Verlegers vereinnahmte das Werk vollends für einen Kulturkampf Amerikas gegen das Großbritannien der Gegenwart: ‘A Book that appeals to all true Americans. It will be to English Nobility and Royalty what Don Quixote was to Ancient Chivalry’.[18] Die Beispiele von Tennyson und Twain zeigen das ‘Artusfieber’ des 19. Jahrhunderts und auch den Spott darüber, der allerdings nicht ohne Sachkenntnis auskommt. Twain nimmt Artus ernst genug, um sich über ihn lustig zu machen.

Über einen Mangel an Ernsthaftigkeit kann man sich beim Pathos der Werke Richard Wagners dagegen nicht beklagen. Kaum ein Künstler der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat mittelalterliche Stoffe erfolgreicher an die Gegenwart vermittelt, wenn auch dieser Superlativ gerade für den arthurischen Bereich stark eingeschränkt werden muss.[19] Mit Parsifal (Uraufführung 1882), Lohengrin (1850) und vor allem Tristan und Isolde (1865) hat er drei Opern geschaffen, die zwar einschlägig für das Fortleben des Stoffs sind, aber sich doch weit von den Vorlagen entfernen und die Figur des Artus weitgehend zurückdrängen. Die Opern vermitteln nicht bloß den Stoff mittelalterlicher Erzählungen, sondern die Handlung wird auf ein Minimum reduziert und eigenwillig interpretiert. Beispielsweise wird der Name ‘Parsifal’ mit Wörtern aus dem Persischen etymologisiert. Präsentiert werden die Bühnenhandlungen mit einer zeittypischen Mischung aus pathetischer Musik und schwer verdaulicher Sprache. Trotzdem – oder vielleicht auch gerade deswegen – waren Erfolg und Wirkung enorm.

Im 20. und 21. Jahrhundert wird die Situation unübersichtlich. Warum man sich bis in die Gegenwart auf Artus beruft oder für ihn interessiert, ist im Einzelnen schwer nachvollziehbar und Gegenstand fortwährender Untersuchung. Welches Werk aus dieser Zeit nur im Moment Aufmerksamkeit erhält und welches von ihnen auch noch in hundert Jahren bedeutsam sein wird, zeichnet sich nur allmählich ab. Was sollte man auch aus den letzten fünfzig Jahren nennen? Der schräge Humor von Monty Pythons Holy Grail (1975) entschwindet langsam aus unserer Welt. Excalibur (1981, Regie: John Boorman) ist die Verfilmung, auf die sich die meisten ArtusforscherInnen verständigen können, doch auch sie gerät in Vergessenheit. Um Marion Zimmer-Bradlays Roman The Mists of Avalon (1983) wäre man vor einigen Jahrzehnten nicht herumgekommen und noch immer wird er in allen Handbüchern genannt, jedoch hat er in den letzten Jahren an Bedeutung verloren und Relektüren können die damalige Begeisterung nicht reproduzieren.

Den vermutlich größten Einfluss im 20. Jahrhundert hatten eine Comicserie und eine Jugendbuchreihe. Bei Prince Valiant (seit 1937 von Hal Foster, dt. Prinz Eisenherz) handelt sich um eine Serie einseitiger Comics, die zunächst in amerikanischen Tageszeitungen abgedruckt wurden und von der bis heute nicht ganz 5000 Folgen entstanden sind. In der Serie wird der Titelheld aus Thule kommend in Camelot Knappe Gaweins und später Tafelrundenritter. Populär sind die Comics u. a. wegen des Synkretismus verschiedener Mythologien und historischer Tatsachen sowie wegen der schon im zweiten Weltkrieg erkennbaren Anspielungen auf die Zeitgeschichte. Die Comics wurden mehrfach verfilmt, dramatisiert oder gar als Rollenspiel adaptiert. Auch die Jugendbuchreihe The Once and Future King (1938–58, dt. Der König auf Camelot) von TH. White wurde adaptiert, zunächst in John F. Kennedys Lieblingsmusical Camelot (Frederick Loewe/Alan Jay Lerner, Uraufführung 1960) und später in einem weniger erfolgreichen Disney-Film.[20] Auf den ersten Blick scheint das Werk eine Mischung aus Bildungsroman und coming of age, entstand aber vor dem ernsten Hintergrund des 2. Weltkrieges. Der Pazifist White sah im Artusstoff das Potential für ein Gegenmittel zum Krieg und zur Abrechnung mit dem Faschismus, doch er tat sich schwer damit, seinen Verleger vom vorgesehenen Ende zu überzeugen. Zuletzt scheitert auch Artus wie in der Vorlage Malory; es gelingt ihm nicht, Frieden zu halten. Er kann den Krieg gegen Mordred nicht verhindern.

Verbindende Merkmale

Von Malory zu White auf wenigen Seiten ist eine allzu kurze Geschichte des nachmittelalterlichen Artus. Der Titel meines Beitrags suggeriert, man könnte die arthurische Entwicklung in diesen Jahrhunderten in wenigen Minuten abhandeln. Das kann nicht das Ziel sein. Doch angesichts des neuerlichen Interesses an arthurischer Rezeptionsforschung ist es reizvoll, einen roten Faden zu spannen, der die einzelnen Bausteine der Rezeptionsgeschichte verbindet und an dem hier und da ein kleiner Knoten einen weiteren Abschnitt anzeigt. Man darf sich dennoch nicht von dem Reiz täuschen lassen: Über die Auswahl solch arthurischer Leuchttürme lässt sich streiten. Ihre Zusammenstellung erzählt eine Geschichte der Artusrezeption, die vor allem englisch und männlich und eurozentrisch ist, und das ist so, nicht weil es keine Alternativen gäbe, sondern weil diese Traditionslinie besonders dominant war. Es handelt sich überdies um die Werke, die die Forschung bis heute am meisten beschäftigt. Doch die ‘kurze Geschichte’ bleibt hölzern, sie ist eine Aufzählung von Einzeltexten, deren Verbindung im Ungefähren bleibt. Was fängt da bei Malory an und hört bei White auf? Ist es überhaupt gerechtfertigt, von einer spezifisch arthurischen Rezeptionsgeschichte zu sprechen?

Warum es sich lohnt, von einer eigenständigen Geschichte auszugehen und darin keine erzwungene Zusammenstellung zu sehen, ergibt sich aus dem Vergleich der Rezeption der Artusromane im 19. Jahrhundert mit derjenigen des Nibelungenliedes. Lange Zeit wurde der Unterschied beider Gattungen herausgestellt, was sich hartnäckig bis in heutige Lehrbücher hält. Die Ursache dafür liegt darin, dass das Nibelungenlied nach der Wiederentdeckung im 18. Jahrhundert im Lichte einer anderen Tradition betrachtet wurde als die Artusromane, nämlich derjenigen der nationalen Heldenepen, es wurde gar mit der Ilias verglichen.[21] Heute geht man davon aus, dass das Nibelungenlied trotz der unterschiedlichen Stoffherkunft ähnlichen Literarisierungsbewegungen in der Höfischen Kultur um 1200 entsprungen ist wie etwa Wolframs Parzival oder Hartmanns Iwein.[22] Die ‘Gattungen’ sind deshalb in ihrer Darstellungsweise mutatis mutandis gar nicht so weit voneinander entfernt. Doch obwohl sich die Werke ähneln, hätte sich die Rezeption unterschiedlicher nicht entwickeln können. In der folgenden Tabelle werden nicht zeitlose Unterschiede zwischen den Textsorten ‘an sich’ rekonstruiert, sondern die Zuschreibungen, die in der Rezeption stark gemacht wurden.

Nibelungenlied

Artusepik

Gattung

Epos

Roman

Stofftradition

Sage

Fortschreibung

Handlung

eine Handlung

zahlreiche Handlungen

Figuren

Krieger (Heroen)

Ritter

Figurenmotivation

Eroberung

Selbstbeherrschung

Nationalidentität

deutsch

britisch/europäisch

Erwartungshorizont

Katastrophe

Abenteuer

Geschichtsauffassung

mythisch

märchenhaft

Kontinuität

wiederentdeckt

durchgängig

Noch einmal: Die Grenzen sind nicht so scharf, wie es die Tabelle glauben macht. Sie soll weder den heutigen Forschungsstand festhalten noch Texteigenschaften enthistorisieren, sondern rekonstruiert Extrempositionen der Rezeption. Die Faktur der Texte, auf denen die Rezeptionsgeschichten basieren, ähnelt sich mehr, als es die spätere Wahrnehmung von ihnen vermuten ließe. Die Rezeption ging verschiedene Wege, was sich auch in der literarischen Verarbeitung von ihnen niederschlägt. Wenn oben Einzelwerke zu einer arthurischen Geschichte verbunden werden, dann stellt sich folglich die Frage, worin die Verbindung besteht und was die arthurischen Werke sehen, das andere Werke – etwa Nibelungendramen – nicht im Blick haben. Auf diese Frage soll in zwei Schritten geantwortet werden. Zunächst soll nach verbindenden Merkmalen gefragt werden, danach nach inhaltlichen Gesichtspunkten der gesamten Rezeption. Die verbindenden Merkmale seien in vier Thesen gefasst:

1. Das Arthurische scheint grenzenlos zu sein. Arthurisches begegnet einem in den gut 550 Jahren seit Malory nicht nur in der Literatur-, sondern u. a. auch in der Film-, Kunst- und Musikgeschichte. Es vergeht kaum ein Jahr, in dem nicht neue Videospiele oder Theaterstücke auf den Markt kommen, und kaum ein Jahrzehnt der Filmgeschichte, in dem nicht der ‘ultimative Blockbuster’ angekündigt wird. Es wäre unmöglich, auch nur die ‘wichtigsten’ Werke knapp zu skizzieren, zumal die Bedeutsamkeit nicht nur im Höhenkamm und den oben genannten Leuchttürmen liegt, sondern gerade auch im Grundrauschen der Alltagsprodukte und Eintagsfliegen. Diese große Menge erklärt sich nicht bloß aus dem Fleiß von wenigen, sondern aus der großen Zahl derer, die am Mythos gearbeitet haben. Artus ist ein Stoff der Teilhabe, den Kunstschaffende aller Niveaus aufgreifen dürfen; ein arthurisches Werk zu schaffen, bedarf keiner gesonderten Begründung. Ann Howey und Steve Reimer haben vor einigen Jahren ein umfangreiches Nachschlagewerk vorgelegt: ein Verzeichnis der englischsprachigen Arthuriana seit 1500.[23] Es ist ein Standardwerk, ein steter Quell der Erleuchtung, aber eben auch ein Buch, bei dessen Lektüre man gelegentlich in Wehklagen über die Kürze des Forscherlebens ausbricht.

Was gibt es nicht alles in der Rezeptionsgeschichte! Briefmarken, Glasfenster, Stickmuster, die Anleitung Origami in King Arthur’s Court und das Merlin Book of Logic Puzzles.[24] Howey/Reimer zählen bis ins Jahr 2000 ungefähr 4500 Werke auf; eine Fortsetzung wäre wünschenswert, aber sie wäre wegen der inzwischen dominanten Fankultur und Internetpublikationen jenseits der Buchmarktstandards schwierig zu erstellen. Man kann es sich leicht machen und alle Fankultur ausschließen, aber das würde dem Stoff nicht gerecht. Angesichts der Fülle wäre eine vollständige Sichtung unmöglich. Der Versuch, all diese Artefakte zu berücksichtigen – was man besser einem Lexikon oder einer Bibliographie überlässt –, würde zur völligen Verzweiflung führen.[25] Wer dem Arthurischen in einem Überblick gerecht werden will, sollte weder endlose Listen bieten noch etwas Überzeitlich-Arthurisches rekonstruieren, sondern muss vielmehr von den Ideologien ausgehen, aus denen all diese Artefakte hervorgebracht werden. Damit wäre das Arthurische auch nicht mehr grenzenlos, sondern bezöge sich auf Institutionen und Praktiken, die bestimmte Dinge in den Blick nehmen – und andere wiederum nicht.[26] Artus ist eben nur scheinbar grenzenlos.

2. Erzählt wird nicht die eine einzige Geschichte. Positiv formuliert: Artusgeschichten können seriell weitererzählt, adaptiert oder neu erfunden werden. Das ist insofern relevant, als es in der Weltliteratur wirkmächtige Stoffe gibt, deren Fabel klarer konturiert ist.[27] Arthurische Erzählungen dagegen sind geprägt von einer strukturellen Offenheit bei gleichzeitigem Bezug auf eine Erzähltradition. Es ist legitim, überlieferte Handlungselemente zu variieren und fortzuschreiben. Beispielsweise wird ein nur nebenbei erwähnter Ritter mit einer eigenen Geschichte ausgestattet. Dem Arthurischen wird dadurch als Mythologie begegnet, in der alle mit allen zusammenhängen und neue Zusammenhänge aus den Interessen der jeweiligen Gegenwart formuliert werden können. Ein Beispiel gibt der Liebestrank von Tristan und Isolde ab. Bindet er ursprünglich die Liebenden mechanisch aneinander, hat sich bei Richard Wagner die Funktion geändert. Er ist eigentlich nicht mehr nötig, sondern dient als bloßes Symbol der vorher Verliebten.[28] Bei der Verfilmung von 2006 (Tristan & Isolde, Regie: Kevin Reynolds) reibt man sich verwundert die Augen, weil dieses für die mittelalterliche Dichtung unverzichtbare Handlungselement einfach entfällt: Man braucht im 21. Jahrhundert keinen Liebestrank mehr, damit Liebende sich lieben.

Trotz der strukturellen Offenheit dokumentiert die Rezeptionsgeschichte den wiederkehrenden Wunsch, Übersicht im arthurischen Wildwuchs zu schaffen, indem die einzig maßgebliche Geschichte erzählt wird.[29] Besonders in der populären Aneignung findet sich eine Sehnsucht nach einer fest definierten, ursprünglichen Artussage. Man wird hier allerdings weniger an nachprüfbares oder falsifizierbares Wissen zu denken haben als eine mündlich tradierte Überlieferung.

3. Arthurisches ist leicht wiedererkennbar. Diese These mag wenig einleuchten, denn Arthurisches ist kein Markenzeichen, das auf einfache Wiedererkennbarkeit angelegt wäre. Wie oben gesagt, findet sich Arthurisches vielfältig, in der Hochkultur genauso wie in der Populärkultur. Ein vorgeschriebener Stil oder eine verbindliche Ikonographie gibt es nicht. Voraussetzung für die Teilhabe ist keine besonders ausgeprägte Kenntnis des Stoffs, sondern eine eigentümliche Mischung aus Kenntnis und Unkenntnis bei Publikum und Produzierenden. Alle kennen Artus, aber keiner weiß so recht, worum es dabei geht. Da wäre beispielsweise Ben Aaronovitch, der heutzutage als Autor von Londoner Fantasykrimis bekannt ist. Er wurde 1989 beauftragt, die bislang einzige arthurische Folge der britischen Science-Fiction-Serie Doctor Who zu schreiben. Doch der Drehbuchautor kannte sich nicht aus mit den arthurischen Figuren, Themen und Geschichten; er griff als erstes zur Arthurian Encyclopedia.[30] Ein ahnungsloser Drehbuchautor schafft ein Werk für ein ahnungsloses Publikum, auf eine feste Ikonographie oder einen vorgeschriebenen Stil kann er sich nicht verlassen. Das kann nur deshalb gut gehen, weil es nicht viel braucht, um vom Publikum als Arthurisches wahrgenommen zu werden.

Es reichen ein paar Namen oder Szenen, die wie ‘arthurische Leitsterne’ die Orientierung ermöglichen. Lancelot, Merlin, Gawein, Tristan oder Ginover sind als Namen bekannt und werden teils mit einer Geschichte verbunden, was aber auch gar nicht erforderlich ist. Wenige Szenen werden sogleich Artus zugeordnet (also etwa: das Schwert im Stein, das mit dem Schwert aus dem See verwechselt wird, oder der Gral, von dem man freilich weder weiß, wie er aussieht, noch, warum er mit Artus zusammenhängt), eine vorgegebene Ikonographie haben indes auch sie nicht. Die strukturell offene Fülle des Arthurischen, an der alle partizipieren dürfen, wird also von einer zweifelhaften Kenntnis begünstigt – und ist trotzdem leicht wiederzuerkennen.

4. Von Artus wird primär erzählt. Man würde doch meinen, dass durch neue Medientechniken wie dem Film oder dem Computerspiel oder der Briefmarke nunmehr auch die ursprünglichen narrativen Medien weniger wichtig würden. Allerdings ist bekannt, dass Artus immer schon transmedial rezipiert wurde, im 13. Jahrhundert etwa als Wandmalereien oder in Form von außerliterarischer Namensgebung. Daran hat sich prinzipiell nichts geändert, doch die verwendeten medialen Formen gehen mit veränderten Interessen und Bedürfnissen einher. Obschon sich die Medienpraktiken kaum unabhängig voneinander untersuchen lassen, gehen die vorliegenden Überblicksdarstellungen und Bibliographien zur Artusrezeption noch stets von literarischen Werken aus und nennen erst an zweiter Stelle Kunst, Musik und Bewegtbilder bzw. Theater oder Merchandising, Tourismus usw. Es gibt ein Primat des Narrativen und all die Bilder sind sekundär auf diese Erzählung bezogen, auch wenn sie kein Nebenprodukt in der Rezeption sind.

Mit den vier Thesen zu den verbindenden Merkmalen der Artusrezeption kann mithin die Popularität des Genres erklärt werden. Unbefriedigend bleibt die Inhaltsleere dieser Beobachtungen. Dabei lässt sich auch ohne Lektüre von tausenden von Texten leicht erkennen, dass bestimmte Probleme, die bereits von den mittelalterlichen Texten vorgegeben werden, in der Rezeption kontinuierlich aufgegriffen werden. Vier dieser Probleme seien im folgenden Kapitel exemplarisch genannt.

Arthurische Probleme

1. Wahrhaftigkeit der Geschichte. In der Artusforschung wird seit Langem über den Zusammenhang von Geschichte und Fiktion debattiert. Diskutiert werden etwa Fragen nach der Historizität der in den mittelalterlichen Romanen dargestellten Ereignisse. Dieses Thema ist nicht nur deshalb kompliziert, weil es kaum Quellen gibt, sondern vor allem deshalb, weil sich der Erfolg des Artusstoffs dem Romanmodell Chrétiens verdankt und nicht etwa einem Tatsachenbericht. Wenn man aber nach der Historizität fragt, wird Artusliteratur als Geschichtsdichtung wahrgenommen, die fortwährend ein unlösbares Rätsel aufgibt, und also geheimnisvoll bleibt. Nicht nur die Forschung, auch die Masse der Rezeptionszeugnisse arbeitet sich kontinuierlich an der Geschichtlichkeit des Stoffes ab. Man denke an jene frühneuzeitlichen Genealogien, bei denen sich nicht nur die Tudors, sondern allenthalben auch Provinzfürsten und Stadträte in arthurische Nachfolge stellten und ihre Legitimation mit der vermeintlichen Wahrhaftigkeit des Stoffes begründeten. Bis in die Gegenwart gibt es jene Archäologen, die es in der Art Schliemanns ganz genau wissen wollen, wie es damals war.

Eine Frage, die kontinuierlich gestellt wird, aber ungelöst bliebt, stachelt zu neuen Antworten an. Nichts kann bewiesen werden und im Umkehrschluss ist alles erlaubt: Die Ungewissheit ist auch ein Grund für die Artusfaszination. Dabei wäre es, zumindest aus literaturwissenschaftlicher Perspektive, für die Lektüre und Interpretation der Texte mehr oder weniger egal, ob jemals ein König Artus gelebt hat. Doch der Vorgang selbst ist aus wissenschaftlicher Perspektive nicht egal: Einem weitgehend unwichtigen Aspekt wird Bedeutung zugeschrieben und die bisherigen Antworten gelten stets als unzureichend. Interessant ist dann die ständige Wiederholung die Frage, ob Artus existiert habe, nicht die Antwort darauf. Es kommt demnach nicht darauf an, wie es damals war; dafür interessiert man sich mehr dafür, warum man sich dafür interessiert, wie es damals war.

Meine These ist, dass fast alle (außerakademische) Beschäftigung mit Artus mit dem Anspruch einhergeht, zu sagen, wie es damals wirklich war. Das sei an einem Beispiel ausgeführt. Kazuo Ishiguro legte 2015 mit The Buried Giant den bedeutendsten Roman der jüngeren Arthuriana vor. Er schließt damit an seine fortlaufende Beschäftigung mit dem Thema ‘Erinnerung’ an und führt vor, was passiert, wenn Menschen ihre gemeinsamen Erfahrungen vergessen – und wenn sie ihre Erinnerung wiedererlangen.

Der Roman spielt in einer wenig bestimmten Vorzeit Großbritanniens. Das nächste Dorf ist eine Tagesreise entfernt, gerade so, dass man es noch erreichen kann, bevor der Himmel dunkel wird und die Oger aus der Tiefe der Nacht kommen. Ein Ehepaar, Axl und Beatrice, fasst sich ein Herz und bricht auf, um ihren Sohn zu besuchen, der in einem entfernten Dorf lebt. Ein Nebel habe sich über die Mitmenschen gelegt, so stellen sie fest, die nunmehr ohne Vergangenheit nur in den Tag hineinleben und vergessen, was sie ausmacht, woran sie glauben, wen sie lieben, worüber sie gelacht und worüber sie geweint haben. Auf ihrer Reise erleben Axl und Beatrice allerhand, sie treffen unter anderem Sir Gawain und jagen mit ihm Drachen. Artus wird erst nach siebzig Seiten in einem Nebensatz erwähnt.

Fortwährend werden vage Hinweise darüber eingestreut, dass es früher einmal eine militärische Auseinandersetzung, einen Krieg vielleicht, gegeben habe. Der Roman verhandelt nicht das traumatische Ereignis selbst, sondern den Umgang damit. Er thematisiert, was mit einer Gesellschaft passiert, die irgendetwas Schlimmes hinter sich hat und nun mit Erinnerungsfetzen und Ritualen damit umgeht. Das Kapitel, in dem am meisten über den Krieg zu erfahren ist, trägt den Titel Gawain’s First Reverie; wieder bleibt im Unbestimmten, wie zuverlässig sich Gawain in seinen Tagträumen an die Vergangenheit erinnert. Er unterhält sich auf dem Schlachtfeld, während um ihn herum Raserei und Wahnsinn ausbrechen, mit einem Mann, den er für den späteren Axl hält. Dieser ist nicht glücklich über den Sieg, weil durch ihn die zuvor gegebenen Friedensversprechen gebrochen werden und Menschen erbarmungslos abgeschlachtet werden. Gawein antwortet irritierend:

Master Axl, what was done in these Saxon towns today my uncle would have commanded only with a heavy heart, knowing of no other way for peace to prevail. Think, sir. Those small Saxon boys you lament would soon have become warriors burning to avenge their fathers fallen today. The small girls soon bearing more in their wombs, and this circle of slaughter would never be broken. Look how deep runs the lust for vengeance! Look even now, at that fair maid, one I escorted here myself, watch her there still at her work! Yet with today’s great victory a rare chance comes. We may once and for all sever this evil circle, and a great king must act boldly on it. May this be a famous day, Master Axl, from which our land can be in peace for years to come.[31]

Sollte ein Ritter nicht Schwache beschützen und das Böse bekämpfen? Doch was ist das Böse, wenn Sachsen gegen Britannier in die Schlacht ziehen? Wer soll denn, im Nachhinein gesehen, schon der Gute sein, wenn nicht der Gewinner, der die Geschichte schreibt. Im Krieg, so sagt man, gewinnt nur der Tod. Im Abschlachten von Kindern bleibt kein Platz mehr für Heldentum. Aber wenn die Kinder überleben, dann wachsen neue Krieger heran, die nichts als Hass verspüren. Der Kriegsfürst dagegen wird sich als Friedensfürst feiern lassen. Gawein rechtfertigt ihn, nur mit einem ‘heavy heart’ habe sein Onkel den Befehl gegeben. Artus sorgt für Frieden und Ruhe, indem er seine Feinde nicht nur besiegt, sondern ausrottet. Zurück bleibt ein schweres Herz.

Axl und Beatrice erleben England als kaputt, aber nicht, weil sie überall Ruinen fänden, sondern weil die Gesellschaft in Vereinzelung und Primitivität auseinandergefallen ist. Man kann der Landschaft nicht ansehen, welche Geschichte sie trägt, aber man kann dem Umgang mit der Landschaft das Trauma ablesen, das diese Geschichte hinterlassen hat. Ishiguro greift ein bekanntes Detail aus der chronikalen Artustradition auf, wie man es bei Geoffrey von Monmouth nachlesen kann: Artus habe eine besondere Zeit des Friedens erwirkt (das ist die Zeit, in der all die Abenteuer stattfinden). Aus der Sicht der Geschichtswissenschaft ist das hanebüchen, aber Ishiguro führt die Wirkmächtigkeit kollektiv erinnerter Geschichtserzählungen vor. Artus steht für Frieden, der mit dem Blut von Toten erkauft wurde. Gawein erscheint wie aus der Zeit gefallen. Er fungiert wie ein Mahnmal für eine alte Zeit, er ist lebender Beweis für die Existenz des blühenden Hofes. Wenn er stirbt, ist Artus nur noch eine Sage.

Ishiguros Roman ist nicht der einzige, der ausspekuliert, was zu Artus’ Zeit vielleicht passiert sei. Die Figuren sind mit der Frage konfrontiert, wie zugänglich die nahe Vergangenheit für sie ist und wie zuverlässig die Erzählungen über sie sind. Auch sie stellen sich der Frage, wieso sich niemand mehr darum kümmert, wie es damals war. Arthurische Geschichten beanspruchen als Geschichten über die Vergangenheit eine gewisse Wahrhaftigkeit. Sie berichten etwa von einem historischen Umbruch oder von einer glorreichen Zeit oder sind Rittergeschichten in romantischer Nachfolge. Dadurch stehen die Geschichten in einer Spannung zwischen der Gegenwart, in der sie erzählt und gelesen werden, und dem Zugriff auf Geschichte, von der sie (angeblich) berichten. Wer über Artus spricht, muss also auch über die Mechanismen zur Herstellung historischer Verbindlichkeit sprechen.

Ishiguro greift eine Problematik auf, in der sich die Artustexte seit jeher bewegen, nämlich das Verhältnis von Vergangenheit und Wahrheit, der Frage nach der Wahrhaftigkeit des historischen Artus. Zugleich verknüpft er sie mit dem erinnerungspolitischen Diskurs,[32] der sein ganzes Œuvre umfasst und der zur Jahrtausendwende in aller Munde war, als einschneidende Katastrophen des 20. Jahrhunderts vom kommunikativen ins kulturelle Gedächtnis überführt wurden. Anhand des Begrabenen Riesen kann man erkennen, zu welchem Preis jene von der historischen Überlieferung bekannte Friedenszeit unter König Artus erkauft wird: Wenn alle glücklich wiedervereint sind, klebt an ihren Händen Blut, das sie nicht mehr sehen. Ishiguro zeigt, wie aktuell gerade solche Passagen der chronikalen Artustradition sind.

2. Fragilität der Gemeinschaft. Im Arthurischen wird das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft so stark thematisiert wie bei wenigen anderen Stoffen. Das liegt daran, dass die verschiedenen Figuren in Gemeinschaften zusammengeschlossen werden, deren bekannteste die Tafelrunde ist. An dieser sind die Ritter in scheinbarer Gleichheit versammelt, jedoch ist die Rangfolge des Einzelnen in der Gesellschaft umkämpft. Deshalb kann man immer wieder neu von der Versammlung der Ritter erzählen und die Konstellation an die Interessen der Gegenwart anpassen. Bald wird diese Gesellschaft als ideal begriffen, bald als dekadent dargestellt, und unterzugehen droht sie sowieso bald. Obschon die Anpassungsfähigkeit ein Erzählpotential darstellt, folgt daraus, dass eine Gemeinschaft nicht auf Dauer angelegt ist; sie steht vor dem fortwährenden Problem ihrer Zeitlichkeit.

Arthurische Gruppenbildung ist kein bloß literarisches Motiv, sondern der Stoff ist auch außerhalb der Literatur identitätsstiftend verwendet worden. Zu denken wäre etwa an die Versammlungen in den Artushöfen der Hansestädte oder auch an Pfadfindergruppen, die sich nach arthurischen Figuren benennen. Die Übertragung von Literatur auf die außerliterarische Gesellschaft ist die Voraussetzung für die Indienstnahme von Artus im politischen Diskurs, was als Thema bislang wissenschaftlich kaum aufgearbeitet wurde. Einige Beispiele: Im Robing Room des Westminster Palace erfolgt die rechte Einkleidung des Staatsoberhaupts unter den Blicken von Gemälden der Tafelrundenritter und von einem Ölportrait Königin Victorias und Prinz Alberts. Dem aktuellen Monarchen begegnen dort die vergangene und die fiktive Herrschaft Englands. In den digitalisierten Transkriptionen der Parlamentsdebatten von Unter- und Oberhaus harren hunderte Treffer der Suchwörter ‘Grail’ oder ‘Arthur’ der Auswertung. Beispielsweise verlieh die Abgeordnete Jean Mann 1946 in einer Debatte über die Wohnungssituation in Schottland ihrer Aussage Nachdruck durch Verse aus dem Werk Tennysons – anscheinend eine unhinterfragbare Autorität aller Parlamentarier.[33] Der Abgeordnete David Curry stellte in einer Debatte über die Errichtung von Regionalparlamenten fest, es gebe Menschen, die ‘Arthurian reveries’ nachhingen, das heißt fragwürdigen oder überkommenen nationalen Denkmälern und Ritualen der britischen Erinnerungskultur.[34] Die wenigen Beispiele zeigen, dass Artus bis in den Kern politischer Auseinandersetzung in Großbritannien präsent ist. Der Artus-Mythos dient der Verständigung über nationale Identität und folglich der Annahme einer gemeinsamen Gruppe. Ein ‘Volk’ gründet sich im gemeinsamen Glauben an derartige Denkmäler und scheint dadurch homogen zu sein, auch wenn die einzelnen ‘Briten’ durch Privilegien und Benachteiligungen alles andere als gleich sind. Die nationale Deutung des Artusstoffs sorgt für eine Gruppenbildung und überdeckt, wie wenig die Mitglieder der Gruppe miteinander verbindet.

Die nationale Artus-Deutung ist aus heutiger Sicht gängig. Die Rezeption des Stoffs entwickelte sich spätestens seit dem 19. Jahrhundert je nach Land unterschiedlich und wurde z. T. eng geführt mit dem Diskurs des Nationalstaats.[35] Aber mit Blick auf die gesamte Rezeptionsgeschichte ist diese Deutung nicht so exklusiv, wie man aus Sicht der Moderne meinen könnte. Artus war und ist in vielen Ländern und Sprachen verbreitet, man kann mit Recht von einer kulturellen Grundlage Europas sprechen. Die Widersprüche der einseitigen Wahrnehmung von Rezeption in nur einem Land sind offenkundig: Ist der französische Artus ein anderer als der japanische? Hat nicht Ariost in ganz Europa gewirkt und liebte man die britische Komikertruppe Monty Python nicht auch in den USA? Ist die Genialität Wolframs wirklich deutsch? Trotz dieser Einwände kann man im Artusstoff keine geographisch losgelöste Weltliteratur wie Tolkiens Fantasy erkennen. Dieser Unterschied ergibt sich bereits daraus, wo die Werke entstehen und rezipiert werden. Es wäre etwas anderes, heute einen Artusroman in Jamaika, Südafrika oder Hong Kong als in Deutschland zu schreiben: Stichproben haben ergeben, dass just solche kolonialen Werke entweder überhaupt nicht entstanden oder bislang nicht recht in den Blick genommen wurden.[36] Das Thema bleibt eine Auseinandersetzung mit Europa und dort noch einmal konzentriert: mit Großbritannien.

Die Verwendung im britischen Parlament wird weniger überraschen, als dass der Artusstoff auch, wenngleich seltener, im deutschen Bundestag genannt wird. Rund um den Berliner Mauerfall im November 1989 forderte der SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel einen runden Tisch aller Kräfte, der von Bundeskanzler Helmut Kohl abgelehnt wurde. Willy Brandt, Ex-Kanzler und Friedensnobelpreisträger, seinerzeit ohne Amt – weder Partei- noch Fraktionsvorsitzender –, reagierte als erster auf die Rede des Kanzlers. Er begegnete Kohls Ablehnung historisch:

Herr Bundeskanzler, Sie sagen gelegentlich – das ist auch wohl so –, daß Sie Geschichte studiert haben. Da dies so ist, können Sie nicht bei der Meinung bleiben, der runde Tisch sei besetzt durch Situationen, in denen eine Diktatur abgelöst wird. […] Die Tradition des runden Tisches geht in das 6. Jahrhundert zurück, nämlich auf den König Artus. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Wer die Geschichte dieses Jahrhunderts verfolgt hat […], der weiß, welche entscheidende Rolle die Round-table-Konferenzen z. B. des britischen Weltreiches gespielt haben: Indien ist durch Verhandlungen am Round-table ein selbständiges Land geworden; dann kam Gandhi dazu. Die Labour Party, die nicht an der Regierung war, wurde eingeladen, kam aber nicht immer.[37]

Indem Brandt das vorgeschlagene Gesprächsformat in eine historische Linie stellt, wertet er es nicht nur auf, sondern verlangt nach gleichrangiger Behandlung aller Beteiligten. Mit einem rhetorischen Kniff unterstellt er seinem Gegner, wegen seines Studiums der Geschichte könne er nicht bei seiner (falschen) Meinung bleiben, sondern müsse die Konsequenz aus dieser (vermeintlich) historischen Tatsache anerkennen. Brandt geht es hier nicht um nationale Identität, sondern um die Herstellung von Gemeinschaft für eine staatspolitische Aufgabe. Auch hier lauert im Hintergrund das arthurische Problem der Fragilität von Gemeinschaft, denn die Gespräche sollen mit der nötigen Legitimation für eine langfristige Anerkennung ausgestattet werden. Falls nicht alle ‘Ritter’ am Runden Tisch sitzen, ist er zum Scheitern verurteilt.

3. Zerstörungskraft der Liebe. Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki sagte gelegentlich, die ganze Literatur spreche eigentlich nur über zwei Dinge, nämlich Liebe oder Tod. Liebe wäre demnach ein Allerweltsthema, dessen Geschichte zumeist mit dem Erwerb der Liebe fertig erzählt ist. Beispielsweise gilt die schönste Frau in der Heldenepik eine Art Trophäe des stärksten Helden.[38] Wenn man hingegen Liebe als ein spezifisch arthurisches Problem in den Blick nimmt, dann verschiebt sich die Perspektive. In der europäischen Literaturgeschichte ist es derjenige Stoff, bei dem es nicht nur um den Erwerb der Liebe geht, sondern auch um die Schwierigkeiten, die aus der Liebe folgen. Dafür stehen an erster Stelle die Ehebruchsgeschichten der Ritter Lancelot und Tristan. Es ist gerade der Forschung zu arthurischen Texten im 20. Jahrhunderts zu verdanken, dass heute eine historische Herleitung der personalen Liebe aus der Höfischen Literatur gesehen wird.[39] Diese arthurische Liebe zeigt sich alles andere als sanft, sie hat das Potential, sich gegen die Gesellschaft und zuletzt gegen die Liebenden selbst zu richten.

Wenn von der Zerstörungskraft der Liebe als ‘Problem’ des Artusromans gesprochen wird, soll nicht bloß von einem überzeitlichen Motiv oder einem mechanisch wiederholten Thema die Rede sein. ‘Liebe’ in den Texten z. B. von Beroul und Zimmer-Bradley bezeichnet verschiedene Konzepte, die von gesellschaftlichen Umständen abhängig sind. Doch was da verhandelt wird, sind keine realen Emotionen, sondern der Versuch, mit literarischen Konventionen die Unfassbarkeit der ‘Liebe’ (Minne, Love, Ameir) zum Ausdruck zu bringen. Die wiederkehrende Auseinandersetzung mit Liebe (Geschichtlichkeit, Gruppenbildung) erfolgt unter je neuen Gesichtspunkten mit dem Problem ihrer Zerstörungskraft. ‘Problematisierung’ meint nicht (nur), dass Liebe zur Schwierigkeit für die Figuren wird, sondern dass sie auch für das Publikum als Aufgabe erscheint, die immer wieder bewältigt werden muss (und sei es in einem ‘Happy End’). Die Art und Weise, wie auf die Herausforderung reagiert wird, ist zeitlich bestimmt. Das soll im Folgenden am Beispiel einer Lanval-Oper aus dem 19. Jahrhundert ausgeführt werden.

Lanval ist der Protagonist eines Lais der Marie de France aus dem 12. Jahrhundert, des einzigen Lais von ihr mit arthurischem Bezug. Es handelt sich um eine Feengeschichte, deren Schema vielfach bekannt ist (‘gestörte Mahrtenehe’): Ein Mensch erfährt durch die Liebe zu einer Fee einen gesellschaftlichen Aufstieg, doch es gibt eine unsinnige Bedingung, sonst ist die Liebe dahin. Bei Lanval kommt es, wie es in allen Geschichten kommt; die Bedingung wird gebrochen und er verliert alles. Als er verurteilt werden soll, kommt die Fee im letzten Moment zum Artushof und klärt die Verwicklungen auf. Lanval entschwindet gemeinsam mit ihr nach Avalon.

Nicht nur im Französischen, sondern auch im Deutschen und Englischen entstanden in anderthalb Jahrhunderten gleich neun Lanval-Dramatisierungen.[40] Den Anfang im Deutschen machte OLB. Wolff, ein seinerzeit geschätzter und produktiver Autor. Er schuf eine hübsch-naive Oper mit Ballett in drei Akten, ohne große Überraschungen und von begrenztem ästhetischen Reiz, die von J. C. F. A. Wandersleb vertont und 1852 uraufgeführt wurde.[41] Wolff geht von einer unglücklichen Konstellation aus: Der Artusritter Cedrik liebt die Königin Ginevra, diese aber liebt Lanval, der seinerseits die Feenkönigin Morgana liebt. Alle sind in den Falschen verliebt. Statt die Verwicklung zu klären, versuchen die Königin und Cedrik die Situation für sich auszunutzen, scheitern damit aber: Auf einer Feier klagt Lanval die Königin der Untreue an und wird vom Hof verbannt. Im zweiten Akt weckt Morgana den in die Feenwelt entführten Lanval, er verliebt sich in sie, will ihr ‘Ritter’, ‘Diener’, ‘Sclave’ gar sein. Es stellt sich heraus: Dass die Königin ihn bedrängte, war eine Prüfung für ihn, auferlegt von Morgana. Nun hält sie eine neue Prüfung für ihn bereit: Er soll an den Artushof zurückkehren und die Liebe verschweigen. Morgana verlangt von Lanval, sich bei der Königin zu entschuldigen. Er kommt ihrem Wunsch nach, wird aber aufgefordert, sich zu erklären. Da er den Namen seiner tatsächlichen Geliebten nicht verrät, kommt er in den Kerker. Als Lanval im dritten Akt gerichtet werden soll, erscheint mit Blitz und Donner eine Elfe und löst alles auf.

Morgana. Du hast die Prüfung wohl bestanden,

Dich schreckten Kerker nicht, noch Banden,

Jetzt bin ich ewig dein!

Süße Liebe, deine Gaben,

Will ich über ihn verstreu’n,

Will an seinem Blick mich laben,

Mich in seinem Glück erfreu’n.

Alle Pracht

Meiner Macht

Werde sein, ja werde sein.

Ohne der Liebe Kranz

Will ich sie nimmer – dann sei sie nicht mein!

Chor. So belohnt sich wahre Treue,

Wenn sie ungetrübt sich fand.

Darum fühle tiefe Reue,

Wer die Prüfung nicht bestand.

Der echten Liebe Heil!

Der echten Liebe Heil! (Vorhang fällt.)[42]

Lanval ist Teil einer Hofgesellschaft. Schon an den Titeln der Adaptionen lässt sich sehen: Es geht um Lanval, nicht um Lanval und die Fee oder den Artushof. Spielball ist der treue Held, der vor dem Konflikt zweier Gelöbnisse steht, der Treue zu seinem Herrn und der Treue zu seiner Liebe. Kann man hier zurecht von einer zerstörerischen Liebe sprechen? Im Vordergrund steht doch die Treue des Helden, auch wenn sie als Liebe bezeichnet wird. Zwar ist seine Liebe zur Fee nicht mehr in den Hof integrierbar, aber nicht, weil die Liebe alles andere in Frage stellt, sondern im Gegenteil: weil die Liebe seinen Charakter bestätigt.

Zu beachten ist die Form des Werks und das Umfeld seiner Entstehung. Wolffs Libretto steht den Konventionen der Märchenoper nahe, wonach die primäre Funktion der Fee darin besteht, nicht in die Gesellschaft integrierbar zu sein. Dadurch wird der Treuekonflikt Lanvals umso stärker herausgestellt. Diese Konstellation passt zum Umfeld der Entstehung. Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha etablierte um die Jahrhundertmitte in seinen Residenzstädten ein kulturelles Leben, an dem er selbst aktiv teilnahm. Ernst stand einerseits den Interessen des liberalen Bürgertums nahe und nahm Impulse der Frankfurter Nationalversammlung, die kurz vor der Entstehung der Oper abgehalten wurde, auf. Zugleich war er dem preußischen König zugewandt. Auch er muss in diesen Jahren seine Treue unter Beweis stellen. Zwar ist Lanval nicht Herzog Ernst und eine einfache Übertragung nicht statthaft, aber die Oper macht erkennbar, was den Gothaer Hofstaat im Jahr 1851 beschäftigte. Wenn im dortigen Theater von Liebe die Rede war, dann war diese nicht maßlos, sondern konventionell. Sie erscheint nicht mehr unerträglich, sondern Liebe wird zum Problem, weil ihr die vorhersehbare Gewohnheit jede Beunruhigung nimmt. Das Ergebnis zeigt sich in den possierlichen Versen des Schlusschores: Die Protagonisten spulen ein erwartbares Programm ab. Der Lanval-Stoff lebt von der märchenhaften Verbindung mit dem Übernatürlichen, das als typisch arthurisch gilt, wie im Folgenden verhandelt wird.

4. Herausforderung des Wunderbaren. Wer sich für eine Völkerschau von der Antike bis ins Mittelalter interessiert, wird bei Johann Gottfried Herder fündig. Im 16. Buch der Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (1784–91) kommt er auf die Eigenheiten vergangener Völker zu sprechen und beginnt mit den ‘Vasken, Galen und Kymren’. Über letztere weiß er zu berichten: ‘Das Denkwürdigste, was uns von den Kymren übriggeblieben und wodurch wunderbar auf die Einbildungskraft der Menschen gewirkt worden, ist ihr König Artus mit seinen Rittern der runden Tafel’. Es ist ‘das schöne Gefolge von Rittern, Riesen, dem Zauberer Merlin, (auch einem Waliser,) von Feen, Drachen und Abenteurern […], an welchem sich jahrhundertelang Ritter und Frauen vergnügten’.[43] Herder weist die Artussage einem bestimmten Volk zu und sieht ihre Qualität im Phantastischen. Den Zweck der Dichtung sieht er im delectare: Artus bereitet Vergnügen.

Das ‘schöne Gefolge’ wäre demnach bloß Gattungskennzeichen, laut dem Arthurisches stets mit Übernatürlichem einher ginge. Das wäre an sich kein Problem. Doch es stellt sich zunächst die Frage, ob denn das Wunderbare etwas exklusiv Arthurisches wäre. All die Riesen und Zwerge und Zaubersalben, die man damit im Sinn hat, gibt es schon bei Chrétien und es gibt sie bis in die Literatur der Gegenwart. Ein genauerer Blick relativiert die Zuschreibung. Im Mittelalter gibt es Wunderbares auch bei anderen Stoffen, wenn nicht sogar in größerem Maß als beim arthurischen. Die Wunderwesen sind nicht phantastisch im heutigen Sinne, sondern zieren als Mirabilia die Welt da draußen, die wild und unzivilisiert erscheint. In der Neuzeit sind Textsorten wie ‘Märchen’, ‘Fantasy’ oder ‘Schauerroman’ mehr auf Phantastik ausgerichtet als die Arthuriana. Wenn also das Wunderbare in anderen Gattungen verstärkt erscheint und all die Wunderwesen über die vielen Jahrhunderte hinweg unterschiedliche Funktionen erfüllten, stellt sich umso mehr die Frage danach, welche Auseinandersetzung im Artusstoff mit dem Wunderbaren geführt wird. Wiederum ist es für die Diskussion des Problems irrelevant, ob man von Mirabilia, Übernatürlichem, Merveilleux oder Wunderbarem spricht, denn es geht um das Problem, das die Geschichte aufwirft, nicht um seine Lösung.

Der Auseinandersetzung mit dem Wunderbaren soll am Beispiel des Krimi Bretonische Geheimnisse (2018) des deutschen Schriftstellers Jean-Luc Bannalec (d. i. Jörg Bong) nachgegangen werden. Es ist der siebente Roman aus einer Reihe viel verkaufter Krimis, die ihre Attraktivität unter anderem aus Schauplätzen in der beliebten Urlaubsregion Bretagne ziehen. In diesem Roman gerät Kommissar Dupin während eines Betriebsausflugs in einen Mordfall im Forêt de Brocéliande. Der Kommissar findet bald eine heiße Spur: Es gibt Pläne, einen Themenpark mit arthurischen Attraktionen zu bauen, einen ‘Parc de l’Imagination illimitée’, ‘einen Erlebnispark’, den manche Figuren für den Ausverkauf des Waldes halten. ‘An den entscheidenden Artus-Stätten sollen aufwendige Präsentationen errichtet werden, mithilfe hochmoderner Technik und Technologien. Wie zum Beispiel Holografie. Hier am Brunnen würde man dann Iwein als 3-D-Projektion gegen den Schwarzen Ritter kämpfen sehen’.[44]

Das aber ist nur eine von zahlreichen Spuren, denen der Kommissar bis Seite 300 nachgeht, bis ihm zufällig die richtige Spur vor die Füße geworfen wird. Die Lösung des Falls hängt mit einem zweifelhaften Treffen zusammen, das im Centre de l’Imaginaire Arthurien stattfindet.

‘Wie kommt es zu der Zusammensetzung der Gruppe?’

Vielleicht lag darin ein Hinweis. Die drei Toten gehörten ja dem illustren Kreis an. Das konnte kein Zufall sein.

‘Wir sind der Vorstand der Französischen Sektion der Artus-Gesellschaft, der Société Internationale Arthurienne’, Terrier antwortete und hielt es für angemessen, dies in äußerst formellem Ton zu tun. ‘Ein wissenschaftlicher Verein mit dreitausend Mitgliedern alleine in Frankreich. Und Sektionen in insgesamt siebenundvierzig Ländern dieser Welt. – Ich bin der stellvertretende’, Terrier setzte ab, irgendetwas schien ihn zu beschäftigen, ‘nun erst einmal auch der amtierende Vorsitzende der Gesellschaft. Paul Picard war vor zwei Jahren gewählt worden und hätte das Amt noch für ein weiteres Jahr bekleidet. Er hatte ohnehin nur ein paar wenige Stimmen mehr als ich erhalten’. Es war unfasslich, wie wenig Mühe sich Terrier gab, die Genugtuung über seinen neuen Status zu verbergen.[45]

Am Ende war das Tatmotiv, natürlich, eine alte Handschrift. Ein bretonischsprachiger Codex aus Aberystwyth, der die ursprüngliche (!) Artussage enthält und deren Erstpublikation als Tatmotiv für Artusforschende offenbar ausreicht. Durch die ‘Realitätssplitter’[46] wird an anderer Stelle das Wunderbare umso deutlicher herausgestellt. Der Anblick des ‘See der Viviane’ raubt den Polizisten den Atem:

Die Oberfläche war glatt, ein vollkommener Spiegel. Er gab den Himmel in sonderbar intensiver, fast übernatürlicher Weise wieder. Als gäbe es zwei Himmel – und dazwischen eingebettet das bisschen Erde. Wie in Kirmesspiegeln verzerrte Bäume zierten das gespiegelte Himmelblau. Nur an einzelnen, scharf begrenzten Stellen des Sees war das Wasser merkwürdig gekräuselt, unruhig. Obgleich kein Wind zu spüren war.[47]

Für den vorliegenden Zusammenhang wäre ein Wald als typischer Krimiort zunächst uninteressant. Bei Bannalec dagegen wird der Wald mit einem Eigenleben ausgestattet. Er ist ein lebendiger Zeuge für das Arthurische. Diese kurzen Momente brechen in die nüchterne Krimihandlung ein und stellen die Realitätswahrnehmung des Protagonisten in Frage. Das Arthurische wird dadurch als Sphäre eigenen Rechts markiert, als etwas Vormodernes und Antimodernes, das das gewohnte Weltverhältnis in Frage stellt (und sei es in Form eines Parks mit unbegrenzten Imaginationen). Auch Kommissar Dupin muss, nachdem ihm die Geschichte von Viviane und Merlin erzählt worden ist, zunächst seine Sinne klären: Er verlangt nach einem Kaffee.

Das Wunderbare ist nicht bloß Gattungskennzeichen. Vielmehr ist zu beachten, dass es hier in der Handlung eines Regionalkrimis im 21. Jahrhundert verwendet wird. Solche ‘Unterhaltungsliteratur’ spielt mit schematischen Vorstellungen und Stereotypen, was zuweilen auch zur Abwertung von ihr führt, an dieser Stelle aber nicht abwertend aufzufassen ist, denn das Arthurische zählt seit jeher zu dieser ‘Unterhaltungskunst’, worauf auch Herder hinwies. Es darf in einem Artuskrimi nicht bloß um eine Handschrift gehen, sondern es muss etwas passieren, das den Zauberwald zum Zauberwald macht, auch wenn das für die Handlung und den Mordfall irrelevant ist. Das arthurisch-Wunderbare wirft das Problem der rechten Weltwahrnehmung auf – und in der Folge auch die Auseinandersetzung mit dem rechten Umgang mit der fremden Welt da draußen. Grob gesprochen werden zwei verschiedene Möglichkeiten vorgegeben, wie man sich dem Fremden gegenüber als überlegen zeigt: mit Angst (den Drachen schlägt man tot) oder mit Staunen (das Wunderbare als Attraktion). Ob es nun ein Drache oder ein dreckig lachender Ritter ist: Sie bleiben eine Herausforderung, die man gesehen haben muss. Dupin dagegen lässt sich nicht von den Sinnestäuschungen ablenken und konzentriert sich auf den Mordfall. Er bleibt ein Profi.

Aktualität der Vergangenheit

Artus nach dem Mittelalter ist nicht an erster Stelle ein komplexes Thema, sondern ein uferloses. Es gibt unfassbar viele Artefakte, an denen anzusetzen wäre und die von der Forschung mit unermüdlichem Eifer zusammengetragen werden. Die Gefahr ist offenkundig: Rezeptionsforschung kann bei bloßen Aufzählungen und Beschreibungen stehen bleiben, statt systematisch Erkenntnisse über die historischen Zusammenhänge zu produzieren. Der Rückgriff auf Artus über die vergangenen acht Jahrhunderte ist nicht bloß additiv und innerliterarisch zu erklären, sondern Artus wird immer wieder neu für gegenwärtige Interessen entdeckt. Niemand interessiert sich heute oder um 1825 für Artus aus den Gründen aus dem Jahr 1225. Deshalb ist aus Sicht der Rezeptionsforschung nicht nur relevant, was arthurische Texte, egal welcher Epoche, heute zu sagen haben, sondern auch, was die Rezeption von Artus in anderen Zeiten heute zu sagen hat.

Ziel dieses Aufsatzes war es, einen doppelten Überblick zu geben. Einerseits hat er die Entwicklungen des Arthurischen nach dem Mittelalter skizziert. Andererseits sind Thesen über die Gemeinsamkeiten der Zeugnisse aufgestellt worden. Zunächst wurden die literarischen Fixsterne der Artusrezeption benannt, ein zweiter Schritt hat Thesen zu formalen Merkmalen formuliert und abschließend illustrierten einige Beispiele vier wiederkehrende Probleme der Artusrezeption. Einen weiten Bogen habe ich allerdings um eine Frage gemacht, die hinter all diesem Tun steht: Warum ruft Artus eine derartige Dauerfaszination hervor? Meine Argumentation hat lediglich die eine Feststellung wiederholt, dass die Strukturierung des Arthurischen Bedingungen für eine vielseitige Adaption erfüllt. Nicht aber wurde erklärt, warum das so ist. Es gäbe doch andere Stoffe, die ähnlich gut strukturiert wären, aber nicht auf gleiches Interesse stoßen. Warum also Artus und nicht etwa König Salomon oder Alexander der Große?

Eine einfache Antwort auf diese Frage zeichnet sich leider nicht ab. Eine Idee sei zumindest angedeutet: Das Mittelalter – und damit ist nicht dasjenige der Geschichtswissenschaft gemeint – ist die bevorzugte Epoche des Geschichtenerzählens und König Artus steht für den bevorzugten Stoff. Man kann in ihn die Interessen der Gegenwart projizieren, ohne ausdrücklich die Gegenwart zu meinen. Das wäre mit anderen Räumen und Zeiten kaum möglich. Es ist Platz für alle da: Für hohe Kunst genauso wie für Trivialliteratur, für stets neue Medientechniken. Für Geschichten, die hintergründig sind, genauso wie für Geschichten, die nichts anderes sagen, als was sie erzählen. Das Arthurische ist nicht nur so strukturiert, dass man vielerlei anlagern kann, sondern es steht auch für eine entrückte Geschichtenerzählzeit, egal ob sie ausgestattet ist mit alleinreitenden Märchenprinzen, brutalen Kriegsschauplätzen oder Sozialutopien. Es ist wie eine breite Puppenstube, in der alle Geschichten ihren Platz finden. Wenn ich es recht sehe, gibt es kaum eine Epoche, die das gleichermaßen wie das Mittelalter erlaubt, und kaum einen mittelalterlichen Stoff, der dafür gleichermaßen in Frage käme wie die Matière de Bretagne.

Die Wirksamkeit des Geschichtenerzählens hat auch T. H. White zuletzt herausgestellt. Er tat sich nicht leicht, ein Ende für seinen Artus-Zyklus zu finden. Veröffentlicht wurde schließlich eine Szene mit einem jungen Boten, der bereitsteht für die letzte Schlacht, der noch immer glaubt an die Ideale und an den Sieg. Doch Artus weiß, dass alle sterben werden, er weicht der Wahrheit nicht aus. Deshalb befiehlt er dem Pagen, fortzugehen und die Idee von Camelot und der Tafelrunde weiterzutragen, die Idee, dass Gewalt nur um der Gerechtigkeit willen ausgeübt werden darf. Der junge Bote nennt sich Tom Malory – mit dem alles beginnt und zugleich endet.[48]

Published Online: 2025-09-03
Published in Print: 2025-09-01

© 2025 bei den Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

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