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Marketing wie in Hollywood: Storytelling bei ZB MED mit der klassischen Heldenreise

  • Elke Roesner

    Als gelernte Buchhändlerin hat Elke Roesner Neuere Deutsche Literatur und Betriebswirtschaft studiert und einen weiteren Studienabschluss in Library and Information Science abgelegt. Sie befasst sich seit 2015 mit Storytelling. Als Leiterin der Bereiche Marketing und Organisations- und Personalentwicklung bei ZB MED setzt sie Storytelling als Methode ein.

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Published/Copyright: May 15, 2019

Zusammenfassung

Geschichten zu erzählen ist ein uraltes Bedürfnis von Menschen. Wie die wissenschaftliche Analyse von Sagen, Mythen, Romanen und Filmen zeigt, lässt sich die Struktur der Geschichten schlussendlich auf fünf Kapitel reduzieren, die dem Plot der klassischen Heldenreise entsprechen. Menschen, die nach „ETWAS“ streben, berühren die Rezipienten, da sie sich mit den Protagonisten identifizieren. Im Stil der Heldenreise lassen sich faszinierende Geschichten aus der Wissenschaft erzählen.

Abstract

Storytelling fulfils an ancient human need. Scientific analysis of sagas, myths, novels and films has shown that the structure of most stories can be broken down into five parts that correspond to the plot of the classic hero's journey. People who are striving for “SOMETHING” touch the hearts of listeners and readers, allowing them to identify with the protagonists. The storytelling style of the hero’s journey can be used to tell fascinating stories from the world of science.

Résumé

Raconter des histoires est un besoin humain ancien. Comme le montre l’analyse scientifique des légendes, mythes, romans et films, la structure des histoires peut être décomposée en cinq chapitres correspondant à l’intrigue du voyage de héros classique. Les personnes qui aspirent à «QUELQUE CHOSE» touchent les auditeurs car ils s’identifient aux protagonistes. Le style du voyage de héros permet de raconter des histoires fascinantes du monde scientifique.

1 Der Ruf des Abenteuers

„Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält“ – sagt Max Frisch über seinen berühmten Roman „Mein Name sei Gantenbein“. In diesem Buch probiert der Protagonist „Geschichten an wie Kleider“.

Unsere Geschichte mit Geschichten begann auf einem BibCamp vor ein paar Jahren. Dort gab es eine inspirierende Session über Geschichten und die Kunst des Storytellings. Die Hauptaussage: Mit Fabeln, Märchen und Geschichten trifft man besser die Seele einer Organisation als mit Zahlen, Daten und Fakten oder den klassischen Strategieworkshops.

Es gibt Erfahrungen, die bleiben im Hinterkopf und im Herzen, weil sie herausstechen und genau das war so eine. Beeindruckt hat mich damals die Überzeugungskraft von Geschichten und dass, die Identifikation mit Projektions- und Identifikationsfiguren Menschen besonders überzeugen kann. Die Abwehrhaltung sinkt, denn Zuschauerinnen und Zuschauer fühlen sich durch Geschichten nicht unter Druck gesetzt und zu einer Entscheidung gezwungen. Stattdessen erfolgt eine starke Identifikation mit der Heldin oder dem Helden, denn die Menschen verarbeiten Geschichten neurophysiologisch – ganz so als seien es jeweils die eigenen Erfahrungen. Häufig wird die Heldin/der Held zum Vorbild und die Rezipienten sind geneigt, die Haltungen zu übernehmen. Ob in der Werbewelt oder in der Wissenschaft: Es geht um Menschen und Menschen sind über Geschichten erreichbar. Der Literaturwissenschaftler Joseph Campbell hat wissenschaftlich Tausende von Mythen aus unterschiedlichen Kulturkreisen analysiert und dabei das archaische Muster der Heldenreise identifiziert. In seinem Werk „The Power of Myth“ beschreibt er das immer gleiche Muster einer Heldin oder eines Helden, die/der freiwillig oder unfreiwillig die gewohnte Welt verlässt und sich in neue, unbekannte Welten aufmacht und eine Reihe von Abenteuern bestehen und Erfahrungen sammeln muss, die die Welt oder auch sie bzw. ihn selbst verändern bevor sie/ er „nach Hause“ zurückkehren kann, um dort über die Transformation zu berichten. Campbell hat 17 verschiedene Stadien dieser Heldenreise beschrieben entwickelt und zahlreiche Drehbuchautoren nutzen das Muster seitdem. Was für Steven Spielberg, J.R.R. Tolkien und George Lucas bei den Star Wars-Filmen das Erfolgsrezept war, gelingt auch in der Wissenschaftskommunikation.

Das Muster der Sagen, Mythen, Märchen, Romanen, Filmen wurde im Laufe der Zeit auf 12 bzw. auf fünf Kapitel fokussiert – das Grundprinzip der Heldenreise blieb.

Das Streben nach „etwas“ wirkt dabei als der Motor einer guten Geschichte, betont Petra Sammer in ihrem hervorragenden Buch zu Storytelling. Es geht um nichts anderes als um die den Menschen innewohnenden Grundbedürfnisse nach 1. Sicherheit und Stabilität, 2. Gemeinschaft und Liebe, 3. Freiheit und Unabhängigkeit, 4. Selbstverwirklichung und Entfaltung. Nicht jeder strebt gleichermaßen nach der Erfüllung dieser Grundbedürfnisse, doch jede und jeder kann sich in Menschen mit dem Streben nach Gemeinschaft oder Selbstverwirklichung hineinversetzen.

Ein paar Jahre nach der beeindruckenden BibCamp-Session wollten wir eine Marketingkampagne für unser neues Rechercheportal für die Lebenswissenschaften namens LIVIVO starten. Eine lange auf dem Schreibtisch liegende Visitenkarte fiel wieder ins Auge.

Ich nahm Kontakt mit der Frau auf, die mich mit der Kunst des Storytellings bekannt gemacht hatte.

2 Der Aufbruch ins Unbekannte

LIVIVO, das ZB MED-Suchportal, ermöglicht die zeitgleiche Recherche in 59 Millionen Datensätzen aus über 70 Datenquellen in den Bereichen Medizin, Gesundheitswesen, Ernährungs-, Umwelt- und Agrarwissenschaften. Diese Fakten klingen zwar beeindruckend, aber doch eher nüchtern und wenig nach Heldenreisen.

Wir wollen lieber das Potential von Geschichten nutzen, denn Geschichten sind neurophysiologisch „Kino im Kopf“ und durch Hormonausschüttungen am ganzen Körper spürbar – sie treffen unsere emotionale Seite und werden im episodischen Gedächtnis verarbeitet. Wir dachten uns, da bei den meisten Menschen das episodische Gedächtnis weit größer ausgeprägt ist als das Faktenwissen-Gedächtnis, können nicht nur Hollywoodregisseure ganz strategisch damit arbeiten, sondern auch wir bei ZB MED.

So beschlossen wir, die Nutzerinnen und Nutzer des Portals zu uns einzuladen und uns als unsere Heldinnen und Helden ihre Geschichte zu erzählen. Wir haben Vertreterinnen und Vertreter der verschiedenen Zielgruppen zu ZB MED eingeladen (Forschende, Lehrende, Studierende und Information Professionals), um sie ihre Erfahrungen mit ZB MED schildern zu lassen. Was jetzt so leicht klingt, war es zunächst nicht. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis wir genug Menschen zusammen hatten, die ihre Geschichte mit uns teilen wollten.

3 Der Weg der Prüfungen

Bei dem Workshop haben wir Zweiergruppen gebildet und ein Gast hat einer internen Geschichten-Patin seine Geschichte erzählt. Es waren schöne Geschichten und völlig verschiedene. Warum arbeiten sie in einem lebenswissenschaftlichen Fach, warum sind sie ins Rheinland gekommen, warum brauchen sie ein Rechercheportal und immer wieder ein wissenschaftlicher Forschungsauftrag als großes Ziel. Doch waren es wirklich spannende Geschichten, die wir als Erfolgsgeschichten rund um LIVIVO marketingtechnisch aufbereiten und wie geplant als Filme, Poster, Plakate und Anzeigen kommunizieren können?

Wie gut, dass wir unsere Geschichtenexpertin Christine Erlach mit an Bord unserer Geschichtenschmiede hatten. Sie hat in unserem LIVIVO-Erzähl-Workshop einen eindrücklichen Vortrag über Geschichten, die Ursprünge des Storytellings in Schöpfungsmythen, die den Menschen innewohnende Suche nach der Sinnhaftigkeit des eigenen Daseins, der Suche nach Orientierung gegeben und vor allem die Struktur der klassischen Heldenreise erzählt. Danach haben wir alle Teilnehmenden ihre Erfahrungen mit Wissenschaft und LIVIVO erneut erzählen lassen. Es war die Geburtsstunde von lauter Heldinnen und Helden. Was macht also eine gute Geschichte aus? Es ist die Geschichte einer Transformation – das Davor entspricht so gar nicht dem Danach. So erzählt jede Geschichte letztlich vom Wandel. Ein fast beliebiger Ausgangszustand wird durch Herausforderungen, Konflikte und Grenzüberschreitungen auf einmal spannend und mündet nach der erfolgreichen Überwindung -oder dem traditionellen Finden des Schatzes -in einen Endzustand, an dem die Geschichte enden darf.

Der Held oder die Heldin ist auf der Reise nicht allein. Es gibt in den Geschichten immer verschiedene Rollen, die besetzt werden. Das können aktive Gegenspielerinnen oder Gegenspieler wie ein Drache, eine Vorgesetzte, ein Doktorvater sein oder auch „nur“ innere Konflikte. Eine wichtige Aufgabe übernehmen Mentorinnen oder Mentoren, die in der Heldin oder dem Helden etwas erkennen und fördern, was die Person selbst noch nicht erkannt hat, oder ihr auch konkret ein Hilfsmittel zur Verfügung stellen. Ein eindrückliches und vielzitiertes Beispiel ist dafür Obi-Wan Kenobi im „Krieg der Sterne“. In unserem Fall ist der Helfer sächlich und tritt als das Suchportal LIVIVO auf. Ein Suchportal kann in der Welt der Wissenschaften ähnlich hilfreich sein wie ein Lichtschwert. Weniger offensichtliche Helfergestalten sind Gefährtinnen und Gefährten, die die Hauptperson der Geschichte loyal und treu auf dem Weg begleiten. Dank dieser realen Menschen oder technischen Hilfsmittel können die Heldin oder der Held die Mission erfüllen.

4 Der Schatz

Wir waren überwältigt von der Fülle an Geschichten. Beim Workshop haben wir alle Geschichten aufgezeichnet, später den Plot aufgeschrieben und drei möglichst verschiedene und besonders spannende Geschichten schließlich in Kurzfilmen aufbereitet. Um die Kampagne zur Einführung rund zu machen haben wir in Anzeigen, Postern, Plakaten, Roll-Ups und weiteren Werbeartikeln auf die schönen User Stories hingewiesen.

Wie lautet nun so eine Geschichte. Nehmen wir zum Beispiel die Geschichte von Dzemal, der vor ein paar Jahren aus Montenegro nach Köln kam, um klinische Chemie zu studieren und nun über die Pathomechanismen von Arthrose forscht.

  1. Ruf des Abenteuers (Auftrag, Herausforderung):

Dzemal – „Auf der Jagd nach dem Protein“

  1. Aufbruch in Unbekannte (Überschreiten erster Grenzen und Hindernisse):

Dzemal kommt für sein Master-Studium und die anschließende Promotion aus Montenegro nach Köln.

  1. Weg der Prüfungen (Abenteuer, Irrwege):

Dzemal findet die Promotionsstelle und beginnt mit seiner Forschungstätigkeit. Zunächst klappen viele Versuche nicht und der Doktorvater hat alte Recherchemethoden.

  1. Der Schatz (Kraftprobe, Erreichen der Ziele, Belohnung):

Dzemals Ziel ist es, das Protein gegen Arthrose zu finden und damit erfolgreich zu promovieren. LIVIVO hilft ihm bei der Recherche – und macht ihm Spaß!

  1. Rückkehr – Verteidigung des Errungenen und Heimkehr:

Dzemal möchte zurück nach Montenegro gehen und dort an einer Hochschule arbeiten. Sein Ziel ist die Habilitation.

Abbildung 1 Das Dzemal-Plakat. (Foto: Sima Dehgani; Grafik: Sabina Sieghart)
Abbildung 1

Das Dzemal-Plakat. (Foto: Sima Dehgani; Grafik: Sabina Sieghart)

Abbildung 2 Der Dzemal-Film. (Film: Martin Marburger)
Abbildung 2

Der Dzemal-Film. (Film: Martin Marburger)

5 Rückkehr

Die Kampagne lief wirklich gut, das Portal wurde bekannter und auch intern hat die Kampagne Auswirkungen gehabt. Der Erzählworkshop ist unvergessen und den Menschen hinter LIVIVO hat es nachhaltig gutgetan, so viel Begeisterung über das Portal zu hören, das bei ZB MED von Menschen mit viel Enthusiasmus für die Lebenswissenschaften entwickelt wurde und stetig weiterentwickelt wird. Was zählen in dem Moment Downloadzahlen, Page Impressions und KPIs wenn reale Menschen ihre Geschichten erzählen? Und Geschichten à la Hollywood zu erzählen, bedeutet auch nicht gleichzeitig, das Zahlen-Daten-Fakten-Hirn gänzlich auszuschalten. Im Sinne einer ganzheitlichen und nachhaltigen Kommunikation wollen wir beide Gehirnhälften bedienen. Und das Schöne ist: Die Heldenreise geht weiter!

Mit der Transformation von ZB MED haben wir neue Heldinnen und Helden an Bord, deren Geschichten auch erzählt werden wollen. Aber das ist eine andere Geschichte, die an anderer Stelle erzählt werden wird...

Fazit: "It's all about storytelling"! Und wir alle erzählen Geschichten, die wir am Ende für unser Leben halten – und manchmal wie Kleider anprobieren.

About the author

Elke Roesner , M. A. MLIS

Als gelernte Buchhändlerin hat Elke Roesner Neuere Deutsche Literatur und Betriebswirtschaft studiert und einen weiteren Studienabschluss in Library and Information Science abgelegt. Sie befasst sich seit 2015 mit Storytelling. Als Leiterin der Bereiche Marketing und Organisations- und Personalentwicklung bei ZB MED setzt sie Storytelling als Methode ein.

Literatur

Sammer, Petra, 2014. Storytelling. Die Zukunft von PR und Marketing. 1. Auflage. Köln: O‘Reilly GmbH & Co. KG. ISBN 978-3-95561-818-6Search in Google Scholar

Vogler, Christopher: Die 17 Stadien der Heldenreise. Zitiert nach: Wissenschaft im Dialog. 2019. Search in Google Scholar

Raabe, Kristin: Forscher auf der Heldenreise –Wissenschaft spannend erzählen. Berlin, 06.08.2018 [Zugriff am: 05.02.2019]. https://www.wissenschaftskommunikation.de/forscher-auf-der-heldenreise-wissenschaft-spannend-erzaehlen-16995/Search in Google Scholar

Published Online: 2019-05-15
Published in Print: 2019-05-08

© 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 19.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/iwp-2019-2002/html
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