Im vorliegenden Heft setzen wir unseren Schwerpunkt zum wissenschaftlichen Schreiben mit Beiträgen fort, die sich allesamt auch mit der Frage nach einer möglichen Poetik des wissenschaftlichen Schreibens beschäftigen. Dass es überhaupt eine Poetik des wissenschaftlichen Schreibens geben könne, ist keine Selbstverständlichkeit. Die Aufmerksamkeit auf die Narrativität des wissenschaftlichen Textes, auf Perspektive, Dramaturgie und Spannungsaufbau beispielsweise, begleitet zwar immer auch den Schreibvorgang, ist aber explizit von den Produzenten wissenschaftlicher Texte bisher nur selten reflektiert und zum Thema gemacht worden. Was für literarische Autoren eine Selbstverständlichkeit und Teil des Metiers ist, ihr eigenes Schreiben auch schriftlich zu reflektieren, bleibt für die meisten wissenschaftlichen Autoren eine ungeübte Praxis. Und dies selbst für diejenigen, die von Hause aus Philologen und damit Spezialisten für die Fragen nach der Konstitution von Texten sind.
Bei den im Folgenden abgedruckten Beiträgen von Josef Haslinger, Michael Lentz, Elmar Schenkel und Tasos Zembylas handelt sich um – entsprechend überarbeitete – Vorträge, die auf der von Walter Erhart und Hans-Ulrich Treichel organisierten, von der Thyssen-Stiftung dankenswerterweise finanzierten und am Deutschen Literaturinstitut der Universität Leipzig vom 25. bis 27. September 2013 durchgeführten Tagung „Schreiben in den Geisteswissenschaften“ gehalten worden sind. Der Beitrag von Hans-Ulrich Treichel wurde nachträglich verfasst. Der erste Teil des Schwerpunktes erschien in Band 40, Heft 2 des Jahrgangs 2015 im Internationalen Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur.
Die Texte von Josef Haslinger, Michael Lentz, Elmar Schenkel und Hans-Ulrich Treichel stellen insofern eine Besonderheit dar, als es sich hierbei um Autoren handelt, die sowohl akademisch als auch schriftstellerisch tätig sind und von daher eine jeweils eigene Beziehung zum akademischen Schreiben und speziell zum Essay besitzen, der ja gleichsam eine Schwellengattung darstellt. Der Essay kann als akademischer Essay dem wissenschaftlichen Aufsatz nahe kommen, während der persönliche Essay zuweilen in die Nähe eines autobiographisch fundierten Berichts rücken und starke Narrativität aufweisen kann. Die Beiträge von Haslinger, Lentz, Schenkel und Treichel machen diese Spannweite auf jeweils eigene Weise sichtbar.
Der Beitrag von Tasos Zembylas wiederum gehört zu den akademischen Texten, deren Autoren ohne Scheu „Ich“ sagen und als Ich-Berichterstatter die wissenschaftliche und die persönliche Perspektive zusammenführen. Zugleich weist Zembylas noch einmal darauf hin, wie auch die soziale Praxis des wissenschaftlichen Schreibens in situative Kontexte und soziale Interaktionen eingebunden ist, die nie frei sind von Wertungen, Emotionen und subjektiven Präferenzen.
Umberto Eco, auch ein Überschreiter der Disziplinen, ist einmal nach dem Unterschied von wissenschaftlichem und literarischem Schreiben gefragt worden. Der sei gar nicht so groß, hat er geantwortet, beides sei für ihn, wir zitieren aus dem Gedächtnis, „das Erzählen von einer Recherche“. Was ein für alle wissenschaftlichen Autoren durchaus empfehlenswertes Verfahren sein kann.
© 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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