Vorwort
Glasmalerei zählt zu den ältesten Ausstattungskünsten der westeuropäischen Architektur. Die anhaltende Faszination, die jene Symbiose von Lichtführung, Konturennetz und transluzenter Farbwirkung auf den Menschen ausübt, sorgte dafür, dass Glasmalerei nie wirklich an Aktualität verloren hat und auch aus den Umbrüchen der Moderne bereichert hervorging. Sensibilität gegenüber der sie rahmenden Architektur und der Anschluss an die im Krieg abgerissene Fertigungstradition prägten das Schaffen im ersten Jahrzehnt nach 1945. Die dann aufkommende Experimentierfreude, oft im Kontext mit dem neuen Kirchenbau, stellte die große Wandlungsfähigkeit dieser Gattung unter Beweis. Verunsicherung angesichts ihrer Benennung (»Ist das noch Glasmalerei?«) spiegelt die tiefgreifenden Veränderungen wider, die von neuen Inhalten, Motiven, Darstellungsweisen und in hohem Maße auch neuen Techniken getragen werden.
Auch wenn die farbenfrohen Seiten einen solchen Eindruck erwecken mögen: Das vorliegende Themenheft ist kein Luxus-Projekt. Der Anteil von »Glasmalerei nach 1945« in den Denkmallisten ist verschwindend gering und steht in keinem Verhältnis zur Zahl der schutzwürdigen Objekte, sei es mit oder ohne die sie »bindende« Architektur. Dass ein Großteil dieser Architektur, die Nachkriegskirchen, derzeit in hohem Maße gefährdet ist, macht das Thema umso dringlicher. Systematische Inventarisationen wurden vonseiten der Denkmalfachämter selten realisiert, die häufig weiterreichenden der Kirchen dienen nicht den gleichen Zielen und sind (bisher) kaum zugänglich. Die respektgebietende Erfassung der Forschungsstelle für Glasmalerei des 20. Jahrhunderts e. V. vermittelt einen Eindruck von der Dichte und Qualität des Bestandes, mit dem auch jenseits von deren Einzugsgebiet zu rechnen ist. Wenn dieser Bestand (demnächst) in die Jahre kommt, wird die Denkmalpflege mit Einzelanfragen konfrontiert werden, die gefestigter Bewertungskriterien bedürfen. Ist der Denkmalwert erkannt, liegen große Herausforderungen in der Restaurierung der nicht selten in experimentellen Prozessen gefertigten Werke. In der denkmalpflegerischen Praxis treten Fragen zur Einpassung neuer Glasmalereien in historische Architekturräume hinzu. Auch dafür ist die Einschätzung der spezifischen Qualitäten transluzenter Flachglaskunst und ihrer wechselnden Auswirkungen auf den Raum von Bedeutung.
Die im Heft versammelten Beiträge sollen dazu anregen, häufiger, sorgfältiger und systematischer die jungen Glasbestände zu betrachten, zu bewerten und ggf. auch zu schützen. Sie führen durch die Not der Nachkriegsjahre, schildern die Weiterentwicklung der tradierten Glasmalerei und stellen die Ablösungs- und Innovationsprozesse anhand von spannenden Beispielen aus den 1960er und 1970er Jahren dar. Ein Überblick über relevante neue Techniken erleichtert das Verständnis für Materialität und Methoden der Restaurierung. Eine spektakuläre Punktlandung im gegenwärtigen Geschehen, zwei – anspornende – Berichte zur Erfassung moderner Glasmalerei durch Denkmalpflege bzw. Bistum und die Präsentation einer technologischen Innovation runden den Schwerpunkt ab.
Zuletzt ein Wort in eigener Sache: Die Redaktion der Denkmalpflege hat sich neu aufgestellt, ihre vielfältigen Aufgaben flexibilisiert und stärker aufgeteilt. Unter anderem wird die Heftverantwortung abgekoppelt vom Sprecher*innenamt im rotierenden System wechselnden Redakteur*innen des Teams übertragen werden. Mit erfreulichen Neuzugängen haben wir uns zudem deutlich verjüngt.
Ich selbst verlasse das Team nach sechs intensiven Jahren und wünsche meinem Nachfolger Martin Baumann viel Freude und Erfolg bei dieser schönen Aufgabe.
Für die Redaktion
Melanie Mertens
© 2024 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston, Germany
Articles in the same Issue
- Frontmatter
- Inhalt
- Vorwort
- Vorwort
- Aufsätze
- Zwischen Rücksichtnahme und künstlerischem Anspruch
- Glasmalerei nach 1945 in Nordrhein-Westfalen
- Die glasmalerische Ausstattung von St. Willibrord in Echternach 1948–1952 und der Beginn der modernen Glasmalerei in Luxemburg
- Die Fenster von Charles Crodel in der Delitzscher Hospitalkirche
- Die Gegenwart ist jetzt
- »Very light and bright«
- Alte Pracht mit modernem Glanz
- Berichte
- Erfassung von Glasmalerei und Glaskunst im Rahmen der Erfassung baubezogener Kunst der DDR zwischen 1949 und 1990
- Moderne Glasmalerei im Bistum Münster
- Innovation in der Glasherstellung des 21. Jahrhunderts
- DenkMal miteinander – Teilhabe in der Denkmalpflege
- Upgrade! Ressource Industriedenkmal
- Aktuelles
- News
- Rezensionen
- Licht- und Farbenzauber. Glasmalerei im Thurgau
- Klimawandel und setzungsbedingte Bauwerksschäden am Beispiel der Wormser Synagoge
- Nachrufe
- Gert Kaster (1938–2024)
- Dieter Martin (1944–2024)
- Call for Papers
- Thema: 50 Jahre Europäisches Denkmalschutzjahr I – Sichtweisen in der Bundesrepublik
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- Inhalt
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- Aufsätze
- Zwischen Rücksichtnahme und künstlerischem Anspruch
- Glasmalerei nach 1945 in Nordrhein-Westfalen
- Die glasmalerische Ausstattung von St. Willibrord in Echternach 1948–1952 und der Beginn der modernen Glasmalerei in Luxemburg
- Die Fenster von Charles Crodel in der Delitzscher Hospitalkirche
- Die Gegenwart ist jetzt
- »Very light and bright«
- Alte Pracht mit modernem Glanz
- Berichte
- Erfassung von Glasmalerei und Glaskunst im Rahmen der Erfassung baubezogener Kunst der DDR zwischen 1949 und 1990
- Moderne Glasmalerei im Bistum Münster
- Innovation in der Glasherstellung des 21. Jahrhunderts
- DenkMal miteinander – Teilhabe in der Denkmalpflege
- Upgrade! Ressource Industriedenkmal
- Aktuelles
- News
- Rezensionen
- Licht- und Farbenzauber. Glasmalerei im Thurgau
- Klimawandel und setzungsbedingte Bauwerksschäden am Beispiel der Wormser Synagoge
- Nachrufe
- Gert Kaster (1938–2024)
- Dieter Martin (1944–2024)
- Call for Papers
- Thema: 50 Jahre Europäisches Denkmalschutzjahr I – Sichtweisen in der Bundesrepublik