Home „OpenGLAM“ – Der neue Trend unter den Gedächtnisinstitutionen
Article Open Access

„OpenGLAM“ – Der neue Trend unter den Gedächtnisinstitutionen

  • Beat Estermann

    Beat Estermann

    EMAIL logo
Published/Copyright: December 2, 2015
Become an author with De Gruyter Brill

In den letzten paar Jahren wurde immer öfter der Ruf laut, digitalisierte Kulturgüter nicht nur in einem hochauflösenden Format ins Netz zu stellen, sondern sie auch für die Weiterverwendung durch Dritte freizugeben. Befeuert wurde diese Entwicklung durch die Bestrebungen der Wikipedia-Community, vermehrt die Kooperation mit Museen, Archiven und Bibliotheken zu suchen, und durch das gleichzeitige Erstarken der Open-Data-Bewegung. Durch das Öffnen von Daten und Inhalten soll deren Nutzung erleichtert und der gesellschaftliche Nutzen gesteigert werden – beispielsweise, indem Forschung und Bildung erleichtert und kulturelles Schaffen begünstigt werden, indem die Kulturgüter vermehrt in die freie Online-Enzyklopädie einfließen oder als Bestandteile diverser Online-Dienstleistungen dienen. Mittlerweile hat die Forderung nach offenen Kulturdaten Eingang in die europäische PSI-Richtlinie (Directive 2003/98/EC ergänzt durch Directive 2013/37/EU) gefunden, welche die EU-Mitgliedstaaten dazu auffordert, bis im Sommer 2015 entsprechende Gesetze zu erlassen. In diesem Beitrag möchte ich daher etwas näher darauf eingehen, was es mit OpenGLAM auf sich hat, wo die Gedächtnisinstitutionen in Europa hinsichtlich dieses neuen Trends heute stehen und mit welchen Entwicklungen wir in Zukunft rechnen können.

„OpenGLAM“ (GLAM steht im Englischen für „Galleries, Libraries, Archives, Museums“) lässt sich anhand von fünf Prinzipien einfach auf den Punkt bringen:

  1. Digitale Informationen zu Überlieferungsobjekten (Metadaten) werden mittels einer geeigneten Lizenz ohne Nutzungsbeschränkungen verfügbar gemacht […].

  2. Gemeinfreie Werke werden (insbesondere im Zusammenhang mit der Digitalisierung) keinen neuen Nutzungsbeschränkungen unterworfen.

  3. Bei der Publikation von Daten wird explizit und unmissverständlich kommuniziert, welche Art von Weiterverwendung erwünscht bzw. erlaubt ist […].

  4. Bei der Publikation von Daten werden offene, maschinenlesbare Dateiformate verwendet.

  5. Neue Möglichkeiten, Internet-NutzerInnen einzubeziehen, werden aktiv genutzt.

    (Die ungekürzte Originalfassung der OpenGLAM-Prinzipien ist unter folgendem Link abrufbar: http://openglam.org/principles/.)

Damit wird für die Metadaten das Open-Data-Prinzip verankert. Bei den eigentlichen Inhalten wird die Respektierung der Public Domain eingefordert, aber ansonsten viel Spielraum gelassen. Erwünscht ist natürlich, dass Gedächtnisinstitutionen nicht nur gemeinfreie Inhalte für die freie Weiterverwendung durch Dritte bereitstellen, sondern auch alle übrigen Inhalte aus ihren Beständen, sofern keine urheberrechtlichen oder andere rechtliche Gründe dagegen sprechen. Neben der Öffnung von Daten und Inhalten steht auch das Schaffen neuer Partizipationsformen im Vordergrund, welche durch das Internet ermöglicht werden. Damit lässt sich OpenGLAM als logische Fortschreibung der Entwicklung verstehen, die mit dem Aufkommen des Internets (Web 1.0 und Web 2.0) und der zunehmenden Digitalisierung von Überlieferungsobjekten angestoßen wurde.

Um aufzuzeigen, wie weit Gedächtnisinstitutionen hinsichtlich der Umsetzung von Open Data/Open Content und Crowdsourcing sind, welche Chancen und Risiken sie darin sehen und welchen Hindernissen sie gegenüberstehen, führt die Berner Fachhochschule in Kooperation mit lokalen Partnern derzeit in diversen Ländern eine Online-Befragung durch (http://survey.openglam.ch). Anhand der bisher vorliegenden Daten aus Polen, Finnland, den Niederlanden und der Schweiz zeichnet sich folgendes Bild ab:

Während sich Digitalisierung und die Nutzung von sozialen Medien zum Einbezug von Zielgruppen bereits bei über der Hälfte der Gedächtnisinstitutionen durchgesetzt haben, verfolgen 26 % der Institutionen für einen substantiellen Teil ihrer Metadaten einen Open-Data-Ansatz, während 17 % das Open-Data-Prinzip auch auf die eigentlichen Inhalte anwenden (Open Content). Um zu eruieren, inwieweit auch neue Möglichkeiten der Partizipation von Nutzern geschaffen werden, wurde nach verschiedenen Crowdsourcing-Ansätzen gefragt. Hier zeigte es sich, dass rund 13 % der Institutionen Crowdsourcing heute aktiv nutzen und dies auch in Zukunft zu tun gedenken.

Die Umfragedaten lassen für die kommenden Jahre einen relativ raschen Anstieg dieser Zahlen erwarten, nicht zuletzt auch aufgrund der intensiven Digitalisierungstätigkeit, die von den Umfrageteilnehmenden in Aussicht gestellt wird. Bei unseren Projektionen haben wir drei Aspekte berücksichtigt: die Angaben der Institutionen bezüglich der Wichtigkeit und der Wünschbarkeit der verschiedenen Praktiken, das Vorhandensein (bzw. die Abwesenheit) von wichtigen Voraussetzungen bzw. Hindernissen und die Angaben der Institutionen zu ihren künftigen Aktivitäten. Basierend auf den erhobenen Daten lassen sich folgende Schätzungen bezüglich der künftigen Entwicklung abgeben:

  1. In etwa 10 Jahren werden etwa zwei Drittel der Gedächtnisinstitutionen mindestens 10 % ihrer Metadaten als Open Data verfügbar machen. Das längerfristig wichtigste Hindernis bezüglich der Umsetzung von Open Data ist das Nicht-Vorhandensein von strukturierten Metadaten (Inventare, Kataloge, Findmittel) in rund 30 % der Institutionen.

  2. In etwa 15 Jahren werden etwa zwei Drittel der Gedächtnisinstitutionen mindestens 5 % ihrer Überlieferungsobjekte in digitalisierter Form zur Weiterverwendung freigegeben haben. Hier bestehen längerfristig die wichtigsten Beschränkungen bei der Digitalisierung (ohne Digitalisierung keine offenen Inhalte) und im Bereich der Urheberrechte.

  3. Was Crowdsourcing anbetrifft, so dürfte die Adoptionsrate geringer ausfallen als bei den offenen Daten und Inhalten. Eine genauere Vorhersage ist aufgrund der Umfragedaten leider nicht möglich.

Kurzfristig scheinen vor allem drei wichtige Hürden gewisse Institutionen noch davon abzuhalten, digitale Inhalte zur Weiterverwendung durch Dritte im Internet bereitzustellen:

  1. die damit verbundenen Kosten und Zeitaufwände (für Digitalisierung, Dokumentation und die Rechteklärung),

  2. ein unter Gedächtnisinstitutionen noch immer weit verbreitetes Mindset, das sich der Öffnung von Inhalten verwehrt – gespeist wird dieses einerseits durch ein Gefühl des Kontrollverlusts und andererseits durch den Wunsch, Dritte davon abzuhalten, mittels der freigegebenen Inhalte Geld zu verdienen, ohne selber einen fairen Anteil der Kosten zu tragen,

  3. technische Herausforderungen bzw. ungenügend ausgebildetes Personal.

Interessanterweise scheint die Angst, künftige Einnahmen zu verlieren, kaum eine Rolle zu spielen. Von der Umfrage nicht erfasst wurde allerdings die Praxis, gewisse Digitalisierungsarbeiten im Gegenzug für exklusive Zugangsrechte von Dritten ausführen und finanzieren zu lassen. Hier könnte es durchaus sein, dass konkrete finanzielle Interessen einer Öffnung der Inhalte entgegenstehen.

Die Institutionen wurden auch danach gefragt, worin sie denn die Vorteile einer Öffnung ihrer Inhalte sehen. Demnach bestehen die wichtigsten treibenden Faktoren darin, die externe Wahrnehmung der Institutionen und ihrer Bestände zu verbessern, bisherigen Nutzerinnen und Nutzern den Zugang zu den Inhalten zu erleichtern und neue Nutzer anzuziehen. Zudem soll dadurch die Interaktion mit den Nutzern verbessert werden. Bezeichnenderweise sind 70 % der befragten Institutionen der Ansicht, das Öffnen der Inhalte erlaube es ihnen, ihre Kernaufgaben besser wahrzunehmen. Demnach liegt OpenGLAM unter europäischen Gedächtnisinstitutionen ganz klar im Trend.

Zum Autor:

Beat Estermann forscht am E-Government-Institut der Berner Fachhochschule zu den Themenbereichen Open Data, Crowdsourcing und Big Data. Er ist zudem Initiator und Koordinator der Schweizer OpenGLAM-Arbeitsgruppe, einem losen Netzwerk von Vertretern von Gedächtnisinstitutionen, interessierten Communities aus dem Spektrum Wikimedia/Open Data/Open Knowledge/Creative Commons und Forschenden. Die im Beitrag erwähnten Forschungsergebnisse sind im folgenden Paper genauer beschrieben: Estermann, Beat (2015), Diffusion of Open Data and Crowdsourcing among Heritage Institutions. Based on data from Finland, Poland, Switzerland, and The Netherlands. Paper Presented at the EGPA 2015 Conference, held on 26–28 August 2015 in Toulouse, France (verlinkt auf der Koordinationsseite des OpenGLAM Benchmark Survey, einem Projekt der Berner Fachhochschule in Zusammenarbeit mit der internationalen OpenGLAM-Community – http://survey.openglam.ch).

About the author

Beat Estermann

Beat Estermann

Published Online: 2015-12-02
Published in Print: 2016-01-01

© 2016 by De Gruyter

This work is licensed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 3.0 License.

Downloaded on 3.10.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/bd-2016-0012/html
Scroll to top button