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Synthetische Kennfelder für die Energieverbrauchssimulation von Kraftfahrzeugen

  • Alexander Kaiser

    Dr. Alexander Kaiser ist seit 2017 als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Geschäftsfeld Verkehr & Assistenz des Instituts für Automation und Kommunikation tätig und verantwortet dort das Themenfeld Mobilität und Logistik in Stadt und Land. Zuvor hat er als Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Logistik und Materialflusstechnik an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg seit 2010 gearbeitet. Seine Arbeitsgebiete sind die Energieverbrauchs- und Verkehrssimulation, KI-basierte Prognosemodelle, insbesondere für die Parkraumbelegung, sowie Anwendungen zur Standort-, Touren- und Routenplanung in Städten.

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Veröffentlicht/Copyright: 27. Mai 2021

Zusammenfassung

Durch ein reales Kennfeld werden die nichtlinearen Input-Output-Beziehungen eines Verbrennungsmotors (Verbrauch – Leistung) abgebildet, sodass damit in einem Simulationsmodell der tatsächliche Verbrauch exakt berechenbar ist. In diesem Beitrag wird der alternative Einsatz eines synthetischen Kennfelds für den Fall beschrieben, dass das reale Kennfeld nicht zur Verfügung steht, aber der Durchschnittsverbrauch (Liter/km) eines Fahrzeugs bekannt ist. Damit dieser auch als Simulationsergebnis ermittelt wird, müssen verschiedene Parameter des synthetischen Kennfelds zuvor kalibriert werden. Hierzu wird ein neues Verfahren im Hauptteil des Beitrags vorgestellt.

Abstract

Real maps represent the nonlinear input-output relationships (consumption – power) within a combustion engine, so that the actual consumption can be calculated exactly in a simulation model. This article describes the alternative use of a synthetic map in case the real map is not available but the average consumption (litres/km) of a vehicle is known. To ensure that this is also determined as a simulation result, various parameters of the synthetic map have to be calibrated in advance. For this purpose, a new method is presented in the main part of the article.

1 Einleitung

1.1 Verbrauchskennfelder

In einem Verbrauchskennfeld wird der spezifische Kraftstoffverbrauch eines Verbrennungsmotors für jeden technisch möglichen Betriebspunkt, das heißt einer Kombination von Drehzahl und Drehmoment, als das Verhältnis von zugeführter Kraftstoffmasse (in Gramm) zu abgegebener mechanischer Arbeit (in Kilowattstunden) angegeben. Zum Beispiel zeigt Abbildung 1 das Verbrauchskennfeld eines Dieselmotors für schwere Nutzfahrzeuge im Fernverkehr.

Abb. 1 Reales Verbrauchskennfeld eines MAN-Dieselmotors (Typ D3876LF01) [1].
Abb. 1

Reales Verbrauchskennfeld eines MAN-Dieselmotors (Typ D3876LF01) [1].

Aufgrund des charakteristischen Verlaufs der Isolinien, auf denen der spezifische Verbrauch jeweils identisch ist, und des punktförmigen Minimums wird es auch als Muscheldiagramm bezeichnet. Im Beispiel beträgt der minimale spezifische Verbrauch etwa 180 g/kWh (dies entspricht einem Wirkungsgrad von rund 48 Prozent), der bei einer Drehzahl zwischen 1100 und 1200 Umdrehungen je Minute und bei einem Drehmoment zwischen 2300 und 2700 Newtonmetern vorliegt (hellster grüner Bereich unter der Volllastkennlinie). Die höchsten Werte des spezifischen Verbrauchs ergeben sich bei maximaler Drehzahl und minimalem Drehmoment (roter Bereich, unten rechts im Kennfeld).

Um ein reales Verbrauchskennfeld zu ermitteln, werden Messungen auf Motor- oder Rollenprüfständen nach standardisierten Verfahren durchgeführt. Je nachdem, ob dabei ein stationärer oder instationärer Testzyklus durchlaufen wird, ergibt sich ein sogenanntes steady state (statisches) bzw. transient (dynamisches) Kennfeld. Bei einem stationären Testzyklus wie dem WHSC (World Harmonized Stationary Cycle) werden festgelegte Betriebspunkte, die das komplette Kennfeld gleichmäßig abdecken, über jeweils z. B. 90 Sekunden konstant gehalten, um entsprechend konstante Verbräuche an jedem Punkt zu messen [2]. Bei einem instationären Testzyklus wie dem WHTC (World Harmonized Transient Cycle) verändert sich der Betriebspunkt dagegen kontinuierlich, weil das Fahrzeug realitätsnahe Fahrzyklen z. B. auf einem Rollenprüfstand über 30 Minuten absolviert [3]. Dementsprechend wird zu jeder Sekunde der aktuelle Kraftstofffluss und die letzte Zustandsänderung des Motors (z. B. die Drehzahländerung in den letzten zwei Sekunden) aufgezeichnet, um die Variabilität des Verbrauchs in allen Betriebspunkten aufgrund dynamischer Einflüsse zu berücksichtigen und dies im Kennfeld durch entsprechende Dynamikparameter zu kennzeichnen [4].

Trotz der höheren Genauigkeit von dynamischen Kennfeldern für die Verbrauchsermittlung bei realen Fahrsituationen, sind zusätzliche Korrekturfunktionen für die Dynamikparameter erforderlich. Diese werden in einem Kalibrierungs- und Validierungsverfahren mit weiteren Fahrzyklen bestimmt, sodass die Abweichung zwischen dem kennfeldbasierten und dem gemessenen Kraftstoffverbrauch minimiert wird [4]. Über diese empirischen Funktionen werden auch alle sonstigen relevanten Einflüsse inner- und außerhalb des Motors, wie z. B. das Luft-Kraftstoff-Verhältnis und die Temperatur der Abgasnachbehandlung (SCR) [2], aggregiert in einer Black-Box-Betrachtung berücksichtigt. Diese Korrekturfunktionen können im Prinzip auch zur Kalibierung von statischen Kennfeldern eingesetzt werden, um die aufwändigere Ermittlung von dynamischen Kennfeldern mit entsprechenden Parametern zu umgehen [2], [4].

Wie im folgenden Abschnitt noch erläutert, werden in dieser Untersuchung synthetische Kennfelder für schwere Nutzfahrzeuge in der statischen Form abgebildet. Da diese auf den Verbrauchswerten von HBEFA (Handbuch Emissionsfaktoren des Straßenverkehrs) basieren, handelt es sich genau genommen um Durchschnittsabbildungen der ursprünglich dynamischen Kennfelder (inklusive Korrekturfunktionen) [4], die sich über alle Fahrzyklen ergeben.

1.2 Problem- und Zielstellung

Wie im vorigen Abschnitt beschrieben, ist die Ermittlung eines realen Kennfelds relativ aufwändig, da hierfür Messungen auf Motor- oder Rollenprüfständen mit den entsprechenden Motoren bzw. Fahrzeugen durchgeführt werden müssen. Dies können im Allgemeinen nur die Motoren- und Fahrzeugentwickler selbst oder entsprechend ausgestattete Einrichtungen (z. B. das Labor eines fahrzeugtechnischen Forschungsinstituts) leisten. Doch auch dann darf ein selbstermitteltes Verbrauchskennfeld häufig aus Geheimhaltungsgründen nur mit Zustimmung des Herstellers veröffentlicht werden [5]. Dementsprechend sind in der Fachliteratur, insbesondere für die Motoren von schweren Nutzfahrzeugen, nur wenige reale Kennfelder zu finden, die überdies häufig zu älteren Fahrzeugen gehören oder nur unzureichend gekennzeichnet sind (in der Regel handelt es sich um statische Kennfelder wie in Abbildung 1, die außerdem nur relative statt absolute Verbrauchsangaben enthalten).

Jedoch ist ein motorspezifisches Verbrauchskennfeld (mit absoluten Werten) ein essenzieller Bestandteil eines physikbasierten Kraftstoffverbrauchsmodells, um damit den absoluten Verbrauch (in Litern) über eine Simulation der fahrdynamischen Verhältnisse, die die Drehzahl und das Drehmoment des Motors bestimmen, exakt zu berechnen. Da im Rahmen einer eigenen Untersuchung zu schweren Nutzfahrzeugen [6] keine realen Kennfelder ermittelt oder beschafft werden konnten, wurde ein alternatives Verfahren entwickelt, mit dem sich auf Basis von bekannten Durchschnittsverbrauchswerten (in Litern je Kilometer) ein synthetisches Verbrauchskennfeld konstruieren lässt, das einer Durchschnittsabbildung des ursprünglich dynamischen Kennfelds (inklusive Korrekturfunktionen) aus HBEFA 3.2 [7] näherungsweise entspricht. Dabei wird ein geometrischer Körper für das Kennfeld angenommen, der durch mehrere Formparameter variiert werden kann, sodass die einzelnen Isolinien als konzentrische Kreise (mit abnehmenden Abständen) um den Punkt des minimalen spezifischen Verbrauchs verlaufen. Die alternative Verwendung von Ellipsen, die einem realen Kennfeld optisch ähnlicher sind, wird zunächst nicht betrachtet, da diese zwei Parameter (Halbachsen) statt nur nur einem (Radius) erfordert und eine analytische Lösung (Abschnitt 2) entsprechend erschweren würde.

In Abbildung 2, rechts ist ein entsprechendes Beispiel für ein sogenanntes synthetisches Kennfeld dargestellt, das eine erste Näherungslösung für das reale Kennfeld eines Nutzfahrzeug-Dieselmotors mit 6,7 l Hubraum (Abbildung 2, links) darstellt und mit den zugehörigen Formelzeichen und Gleichungen im folgenden Abschnitt 2 erläutert wird.

Abb. 2 Synthetisches Verbrauchskennfeld (rechts) als erste Näherungslösung für ein reales Verbrauchskennfeld (links [8]).
Abb. 2

Synthetisches Verbrauchskennfeld (rechts) als erste Näherungslösung für ein reales Verbrauchskennfeld (links [8]).

Durch ein Kalibrierungsverfahren werden die einzelnen Kennfeldparameter mit dem Ziel optimiert, dass der aus der Simulation resultierende Durchschnittsverbrauch (Ist) mit dem vorgegebenen Wert (Soll) unter identischen Bedingungen übereinstimmt. Die Soll-Werte für leere und vollbeladene Nutzfahrzeuge und ebenso die zugrunde liegenden Bedingungen (u. a. der Mix der Fahrzyklen für unterschiedliche Verkehrssituationen und die entsprechenden Fahrzyklus-Datensätze) sind für HBEFA 3.2 aus [7], [9] bekannt. Durch lineare Interpolation kann eine Nutzmassen-abhängige Funktion des durchschnittlichen entfernungsspezifischen Kraftstoffverbrauchs (DKV) gebildet werden, sodass sich nach einer erfolgreichen Kalibrierung letztlich zwei Funktionsgeraden überlagern (durch Anpassung von Ist an Soll).

In diesem Beitrag werden zunächst die wesentlichen Berechnungsgrundlagen und der Ablauf des Kalibrierungsverfahrens erläutert. Anschließend werden ausgewählte Ergebnisse (synthetische Kennfelder und DKV-Funktionen von schweren Nutzfahrzeugen) zur Demonstration des Verfahrens vorgestellt. Schließlich wird die Korrektheit der eigenen Ergebnisse durch den Vergleich mit anderen, unabhängigen Daten aus der Literatur beurteilt. Dieses Validierungsverfahren basiert auf einer Sensitivitätsanalyse, die aufgrund der angenommenen Durchschnittsabbildung eines dynamischen Kennfelds unbedingt notwendig ist, da es genau genommen nur unter den Bedingungen, das heißt Daten zu Fahrzyklus und Fahrzeugparametern, gültig ist, die zur Ermittlung eingesetzt wurden. Durch die Sensititätsanalyse wird festgestellt, wie sich der Verbrauch bei einer geringen Anpassung von einzelnen Parametern verändert, und durch den Ergebnisvergleich, ob diese Veränderungen innerhalb eines zulässigen Bereiches liegen und somit gültig sind.

2 Berechnungsgrundlagen

Tab. 1

Verbrauchskennfeldparameter – Formelzeichen, Bezeichnung und Einfluss auf die zwei Teile der DKV-Funktion.

FormelzeichenBezeichnungEinfluss auf DKV1(mNutz)Einfluss auf DKV2(mNutz)
fk,beKalibrierungsfaktor des spez. Kraftstoffverbrauchsfk,be·f1(mNutz)fk,be·f2(mNutz)
be,Minminimaler spezifischer Kraftstoffverbrauchbe,Min·f1(mNutz)nein
faAbstandsfaktor der Isolinienneinfa·f2(mNutz)
fsStreckungs- bzw. Stauchungsfaktor der Isolinienneinf2(mNutz,fs)
nbe,MinDrehzahl bei be,Min (x-Koordinate des Punkts)neinf2(mNutz,nbe,Min)
Mbe,MinDrehmoment bei be,Min (y-Koordinate des Punkts)neinf2(mNutz,Mbe,Min)

In einem synthetischen Kennfeld wird der spezifische Verbrauch (be) zu einem bestimmten Simulationszeitpunkt durch folgende Gleichung 2.1 berechnet. Darin hängt nur der Radius einer Isolinie (rbe) von der aktuellen Drehzahl (nMot) und dem aktuellen Drehmoment (MMot2) gemäß Gleichung 2.2 ab. Er entspricht dem Abstand des aktuellen Betriebspunkts (nMot; MMot2) zum Punkt des minimalen spezifischen Verbrauchs (nbe,Min; Mbe,Min) (siehe auch Abbildung 2, rechts). Alle sonstigen Größen sind konstante Kennfeldparameter (Tabelle 1), die zu kalibrieren sind und zu diesem Zweck zunächst hinsichtlich ihres Einflusses auf die Nutzmassen-abhängige DKV-Funktion analysiert werden.

(2.1)be=fk,be·(be,Min+fa·rbefs)
(2.2)rbe=(nbe,MinnMot)2+(Mbe,MinMMot2)2
Um den Einfluss der einzelnen Kennfeldparameter auf den durchschnittlichen entfernungsspezifischen Kraftstoffverbrauch (DKV) zu analysieren, wird die entsprechende Ausgangsgleichung 2.3 [6] in zwei Komponenten zerlegt.[1]

(2.3)DKV=1053600·x·ρKst·fk,be·(be,Min+fa·rbefs)·PMotdt

Die erste Komponente entspricht dem ersten Summanden des Integrals (gemäß Summenregel, siehe Gleichung 2.4). Darin wird der Ausdruck 1/3600·PMotdt (Integral der Motorleistung) durch die identische Motorarbeit (WMot) ersetzt. Analog ergibt sich die zweite Komponente, die dem zweiten Summanden entspricht (siehe Gleichung 2.5).

(2.4)DKV1=105x·ρKst·fk,be·be,Min·WMot
(2.5)DKV2=1053600·x·ρKst·fk,be·fa·rbe(nbe,Min,Mbe,Min)fs·PMotdt
Nach der vollständigen Substitution des Integrals durch WMot kann die erste Komponente in eine lineare Funktion transformiert werden, da sich die Motorarbeit und die Nutzmasse (mNutz) proportional zueinander verhalten (siehe Gleichung 2.6). Damit steht der erste Teil der gesuchten Nutzmassen-abhängigen Funktion DKV=f(mNutz) fest.

(2.6)DKV1(mNutz)=105x·ρKst·fk,be·be,Min·(a1·mNutz+b1)

Um den zweiten Teil zu bestimmen, ist DKV2 ebenso in Abhängigkeit von mNutz zu formulieren. Da hierfür jedoch keine allgemeingültige Beziehung bekannt ist, wird eine lineare Funktion angenommen (siehe Gleichung 2.7). Diese Annahme basiert auf einer Regressionsanalyse der mittels Simulation ermittelten Funktionswerte (mNutzDKV2).[2]

(2.7)DKV2=1053600·x·ρKst·fk,be·fa·(a2·mNutz+b2)

Aufgrund der Umformung sind vier Funktionsparameter hinzugekommen: die Steigung a1 bzw. a2 und die Verschiebungskonstante b1 bzw. b2 der linearen Funktion. Diese lassen sich jedoch durch die Wiedervereinigung der beiden Teile (d. h. DKV=DKV1+DKV2) zu jeweils einem Parameter zusammenfassen (siehe Gleichung 2.8). Dabei wird im Folgenden zwischen einer Ist-Funktion der aus den Simulationsergebnissen ermittelten Regressionsgeraden (DKVIst) und einer Soll-Funktion für die aus HBEFA 3.2 [7] gegebenen Parameterwerte der Funktion (DKVSoll) unterschieden. Da die Funktionsparameter von DKVSoll (im Folgenden bezeichnet mit aGes,Soll und bGes,Soll) bekannt sind und das Bestimmtheitsmaß von DKVIst, der Regressionsgeraden, R2=1 gelten soll, können die bekannten Parameter mit den entsprechenden Ausdrücken der unbekannten Parameter in DKVIst (das heißt aGes,Ist in eckigen bzw. bGes,Ist in geschweiften Klammern) jeweils gleichgesetzt werden, sodass sich schließlich die Gleichungen 2.9 und 2.10 ergeben.

(2.8)DKVIst(mNutz)=aGes,Ist·mNutz+bGes,Ist
(2.9)aGes,Soll=105x·ρKst·fk,be·be,Min·a1+fa·a23600
(2.10)bGes,Soll=105x·ρKst·fk,be·be,Min·b1+fa·b23600
An dieser Stelle können bereits drei der sechs gesuchten Kennfeldparameter bestimmt werden. Der Wert des ersten Parameters be,Min resultiert aus den beiden letzten Gleichungen 2.9 und 2.10, die jeweils nach fk,be aufgelöst und dann gleichgesetzt werden (siehe Gleichung 2.11). Dazu kann fa zunächst beliebig, jedoch größer als null gewählt werden.[3]

(2.11)be,Min=fa3600·bGes,Soll·a2aGes,Soll·b2aGes,Soll·b1bGes,Soll·a1

Anschließend wird der für be,Min ermittelte Wert in die bereits nach fk,be umgeformten Gleichungen 2.9 oder 2.10 eingesetzt, sodass sich die folgende Gleichung 2.12 (Mitte nach Gleichung 2.9, rechts nach Gleichung 2.10) ergibt.

(2.12)fk,be=aGes,Soll·x·ρKst·105be,Min·a1+fa·a23600=bGes,Soll·x·ρKst·105be,Min·b1+fa·b23600

Da der Kalibrierungsfaktor fk,be nur während der Durchführung des Kalibrierungsverfahrens als Hilfsgröße benötigt wird, kann er danach in der Ausgangsgleichung 2.1 (jeweils durch Multiplikation mit be,Min und fa) eliminiert werden, sodass das kalibrierte Kennfeld nur durch die Effektivwerte be,Min,eff und fa,eff bestimmt wird (siehe Gleichung 2.13).

(2.13)be=be,Min,eff+fa,eff·rbefs

Danach bleiben noch drei unbekannte Parameter übrig, die in der inneren Funktion für den Radius rbe enthalten sind (fs, nbe,Min und Mbe,Min). Jedoch handelt es sich dabei um ein zeitabhängiges Integral (Gleichung 2.5), das sich aufgrund seiner unbestimmbaren Stammfunktion nicht analytisch, sondern nur durch numerische Integration lösen lässt. Somit ist ein iteratives Lösungsverfahren mit mehreren Simulationsläufen erforderlich, wobei die einzelnen Parameterwerte vor jedem neuen Simulationslauf in Abhängigkeit von den letzten Simulationsergebnissen angepasst werden (hierzu ausführlich im nächsten Abschnitt 3).

Um die Anzahl der Iterationen (wegen der zeitaufwändigen Simulationsläufe) gering zu halten, wird eine optimale Lage für den Punkt des minimalen spezifischen Verbrauchs (nbe,Min; Mbe,Min) vorgegeben. Dazu wird angenommen, dass dieser Punkt mit dem durchschnittlichen Betriebspunkt (das heißt des mittleren Drehzahl- bzw. Drehmomentwerts eines Simulationslaufs im Zeitraum von 0 bis T) übereinstimmt, sodass der absolute Gesamtverbrauch minimiert wird. Um das zu erreichen, sind die drei Kennfeldparameter so zu bestimmen, dass der entsprechende Flächeninhalt (in Gleichung 2.5) unabhängig von den vorangestellten Parametern fk,be und fa minimiert wird (siehe Gleichung 2.14).

(2.14)minZ(fs,nbe,Min,Mbe,Min)=0Trbe(t,nbe,Min,Mbe,Min)fs·PMot(t)dt

Um die Zielfunktion Z mit den Standardverfahren der Integralrechnung lösen zu können, wird für den Exponenten fs ein konstanter Wert „2“ angenommen, um die enthaltene Wurzelfunktion (Gleichung 2.2) zu beseitigen.[4] Schließlich ergeben sich die optimalen Werte für nbe,Min und Mbe,Min durch partielles Ableiten (siehe Gleichung 2.15 bzw. 2.16).[5]

(2.15)nbe,Min(mNutz)=n0=0TM(t)·n(t)2dt0TM(t)·n(t)dt
(2.16)Mbe,Min(mNutz)=M0=0TM(t)2·n(t)dt0TM(t)·n(t)dt

3 Ablauf des Kalibrierungsverfahrens

Wie im vorigen Abschnitt erläutert, können die Kennfeldparameter nbe,Min und Mbe,Min nur mittels numerischer Integration optimiert werden, da sie nicht auflösbare Bestandteile eines zeitabhängigen Integrals (Gleichung 2.5) sind. Dementsprechend werden sie (und ferner auch die Konstante fs) im Folgenden als implizite Parameter bezeichnet. Davon zu unterscheiden sind die expliziten Parameter fk,be, be,Min und fa, die mit den oben genannten Gleichungen analytisch gelöst werden können. Folglich liegt der Fokus des simulationsgestützten Kalibrierungsverfahrens, dessen mehrteiliger iterativer Ablauf in diesem Abschnitt beschrieben wird, auf der Optimierung der impliziten Parameter.

In Abbildung 3 wird der allgemeine Programmablauf des Kalibrierungsverfahrens in sechs Teilen (0–5) dargestellt. Die Teile 1–5 bilden eine sogenannte Kalibrierungsrunde, die wiederholt werden kann, um die Lösungsgüte (mittlere relative Abweichung von DKV: MRADKV) zu verbessern. Dazu werden vor jeder neuen Runde im Simulationsmodell[6] die Werte der Fahrwiderstandsparameter innerhalb des zulässigen Wertbereiches proportional angepasst.

Abb. 3 Ablauf des Kalibrierungsverfahrens.
Abb. 3

Ablauf des Kalibrierungsverfahrens.

3.1 Anpassung der Fahrwiderstandsparameter (Teil 0)

Die erste Kalibrierungsrunde erfolgt mit den sicher bekannten bzw. geschätzten Werten, die aus allgemeingültigen Wertebereichen (Minimum, Maximum) für ähnliche Fahrzeugklassen aus der Literatur hergeleitet werden, zu jedem Parameter des Simulationsmodells. In jeder weiteren Runde werden nur solche Parameter angepasst, die a) nicht sicher bekannt sind, b) die abgegebene Motorleistung (PMot) beeinflussen, und c) hinsichtlich ihres zulässigen Wertebereiches noch reduziert werden können (das heißt in der ersten Runde nicht mit dem minimalen Wert berechnet werden). Durch die Beeinflussung von PMot (b) werden im Endeffekt die Isolinien (d. h. die Werte des spezifischen Verbrauchs) gleichmäßig erhöht, wenn der entsprechende Parameter (z. B. der Roll- oder Luftwiderstandsbeiwert) verringert wird, da sich PMot und be während der Kalibrierung stets indirekt proportional zueinander verhalten [6]. Die ausschließliche Reduzierbarkeit eines Parameters (c) resultiert aus den optimierten Hoch- und Runterschaltpunkten des Getriebes, die bereits in der ersten Kalibrierungsrunde ermittelt und danach beibehalten werden sollen. Wenn sonst ein Fahrwiderstandsparameter erhöht wird, sind die festgelegten Hoch- und Runterschaltpunkte gegebenenfalls zu niedrig, sodass zu früh hochgeschaltet wird und das potentielle Motordrehmoment letztlich nicht mehr ausreicht [6]. Um das Gesamtausmaß der Veränderung (Sensitivität) zu ermitteln, reichen zunächst drei Kalibrierungsrunden aus, wobei die gewählten Fahrwiderstandsparameter (z. B. Roll- und Luftwiderstandsbeiwert) jeweils um den Korrekturgrad 0 (Runde 1: maximale Werte), −1 (Runde 2: minimale Werte) und −0,5 (Runde 3) proportional reduziert werden.

3.2 Simulationsexperimente mit Parameterstartwerten (Teil 1)

Um zunächst die Regressionsfunktion DKVIst(mNutz) vor der Kalibrierung zu bestimmen, wird das Simulationsmodell mit variablen Nutzmassen wiederholt ausgeführt. Bei jeder Wiederholung (ein Simulationsexperiment mit konstanter Nutzmasse) werden sämtliche Verkehrssituationen (repräsentiert durch 23 Fahrzyklen für schwere Nutzfahrzeuge) und Straßenlängsneigungen (−6, −4, …, +4, +6 %) durchlaufen.[7] Alle sonstigen Modellparameter, einschließlich der Kennfeldparameter, bleiben konstant. Um den Kennfeldparametern sinnvolle Startwerte zuzuweisen, wird ein vergleichbares Kennfeld herangezogen und – wie in Abbildung 2 demonstriert – grafisch gelöst. Demnach können für die Kennfelder von schweren Nutzfahrzeugen z. B. die folgenden Parameterstartwerte angenommen werden (siehe Tabelle 2).

Tab. 2

Startwerte und zulässiger Wertebereich der Kennfeldparameter.

KennfeldparameterStartwert (grafische Lösung)zulässiger WertebereichEinheit
fk,be=0>0
be,Min=194>0g/kWh
fa=2·106>0
fs=2,5>1
nbe,Min=0,5·nMot,Min+nMot,Max=1600nMot,Min<nbe,Min<nMot,Maxmin1
Mbe,Min=0,75·MMot,Max=7000<Mbe,Min<MMot,MaxNm

Am Ende von Teil 1 wird die Kalibrierung – entsprechend der Verzweigung in Abbildung 3 – entweder mit oder ohne Optimierung der impliziten Parameter fortgesetzt. Obwohl die Kalibrierung vor allem den impliziten Parameter dient, kann ebenso mit den Startwerten (Tabelle 2) eine zulässige Lösung gleicher Güte ermittelt werden. Diese wird dann gewählt, wenn die nach mehreren Kalibrierungsrunden optimierten Kennfeldparameter nbe,Min und Mbe,Min zu weit außerhalb des zulässigen Wertebereiches (Tabelle 2) liegen (hierzu folgt ein erklärendes Beispiel im Abschnitt 4).

3.3 Durchschnittlicher Punkt des minimalen spezifischen Verbrauchs (Teil 2)

Im Teil 2 werden die Durchschnittswerte für nbe,Min (gemäß Gleichung 2.15) und Mbe,Min (gemäß Gleichung 2.16) auf Basis der Simulationsergebnisse aus Teil 1 berechnet. Da alternative Werte für unterschiedliche Nutzmassen vorliegen, werden die entsprechenden Summen (d. h. die kumulierten Zähler- und Nennerwerte zu Gleichung 2.15 bzw. 2.16 über alle Simulationsexperimente) eingesetzt. Somit wird die Durchschnittslage für den Punkt des minimalen spezifischen Verbrauchs (nbe,Min; Mbe,Min) berechnet, die für eine durchschnittliche Nutzmasse (mNutz) verbrauchsoptimal ist.

3.4 Optimierung der impliziten Parameterwerte (Teil 3)

Ausgehend von der zuvor ermittelten Durchschnittslage, wird im Teil 3 der Punkt ggf. nur geringfügig verschoben, sodass er innerhalb des zulässigen Wertebereiches (Tabelle 2) und möglichst nahe unterhalb der Volllastkennlinie – wie in realen Kennfeldern von schweren Nutzfahrzeugen üblich (siehe z. B. Abbildung 2) – liegt. Da die horizontale Durchschnittslage (d. h. nbe,Min) durch die Hoch- und Runterschaltpunkte des Getriebes bestimmt wird und sich dementsprechend dazwischen befindet, ist eine weitere Verschiebung in horizontaler Richtung nicht mehr erforderlich.[8]

Um die vertikale Punktlage (Mbe,Min) zu optimieren, das heißt zur Volllastkennlinie zu verschieben, wird zunächst eine Sensitivitätsanalyse durchgeführt. Ziel dabei ist es, die Veränderung der DKV2-Funktion, das heißt der Parameter a2 und b2, in Abhängigkeit von einer Verschiebung des Punkts nach oben und unten (z. B. ±100 Nm) festzustellen. Daraus werden die gesuchten Veränderungsraten (da2/dMbe,Min und db2/dMbe,Min) mittels Regressionsanalyse berechnet. Somit kann die Veränderung der DKV2-Funktion, das heißt der Differenzen Δa2 (siehe Gleichung 3.1) und Δb2 (siehe Gleichung 3.2), bei beliebiger Verschiebung des Punkts um die Differenz ΔMbe,Min abgeschätzt werden.

(3.1)Δa2=da2dMbe,Min·ΔMbe,Min
(3.2)Δb2=db2dMbe,Min·ΔMbe,Min
Auf Basis dieser Veränderungsraten kann eine Funktion der vertikalen Punktlage (Mbe,Min) in Abhängigkeit vom Wert des minimalen spezifischen Verbrauchs (be,Min,eff) gebildet werden, die zugleich als Hauptbestandteil der Zielfunktion der Optimierungsaufgabe dient (siehe Gleichung 3.3). Demnach ist es das Ziel der Optimierungsaufgabe, die Differenz der vertikalen Punktlage (ΔMbe,Min) im Vergleich zur Ausgangslage (Mbe,Min,0=Mbe,Min) zu maximieren. Die Restriktionen werden durch die jeweiligen Wertebereiche der Kennfeldparameter bestimmt, das heißt obere und untere Schranken gemäß Tabelle 2 sowie zusätzliche Richtwerte (z. B. soll be,Min,eff zwischen 180 und 210 g/kWh liegen).[9]

(3.3)maxΔMbe,Min=Mbe,Min,1(be,Min,eff,1)Mbe,Min,0

3.5 Ermittlung der expliziten Parameterwerte (Teil 4)

Nachdem die impliziten Parameter – entweder mit oder ohne der in Teil 2 und 3 beschriebenen Optimierung – feststehen, werden im Teil 4 die noch fehlenden, expliziten Parameter be,Min,eff und fa,eff (gemäß den Gleichungen in Abschnitt 2) berechnet. Die dazu erforderlichen Parameter der DKVIst-Funktion (a1, b1, a2 und b2) werden anhand der letzten Simulationsergebnisse zum „Gesamtfahrzyklus“ bestimmt (wie im Teil 1 beschrieben).

3.6 Verifikation und Validierung der Kalibrierungslösungen (Teil 5)

Zur Überprüfung der Korrektheit (Verifikation) einer Kalibrierungslösung[10] wird das Simulationsexperiment „Gesamtfahrzyklus“ mit den endgültigen Werten der Kennfeldparameter durchgeführt. Eine korrekte Lösung liegt dann vor, wenn die auf Basis der Simulationsergebnisse ermittelte DKVIst-Funktion (Regressionsanalyse) mit den zuvor im Teil 4 bestimmten Parametern (a1, b1, a2, b2) übereinstimmt. Damit gilt auch das Simulationsmodell als verifiziert.

Während die Verifikation eine vollständige Übereinstimmung der beiden Ist-Funktionen ergeben muss (ansonsten funktioniert das Simulationsmodell nicht einwandfrei oder Gleichungen des Kalibrierungsverfahrens sind fehlerhaft), können bei der Validierung grundsätzlich Abweichungen zwischen der Ist- und Soll-Funktion auftreten, die unter anderem auf die inhärenten Strukturunterschiede zwischen synthetischen und realen Kennfeldern zurückzuführen sind. Um das Ausmaß der Abweichung bzw. die Anpassungsgüte zu beziffern, wird die mittlere relative Abweichung (MRADKV) zwischen der Ist- und Soll-Funktion über alle möglichen Nutzmassen berechnet (siehe Gleichung 3.4).

(3.4)MRADKV=1mNutz,Max·0mNutz,MaxDKVIstmNutzDKVSollmNutz1dmNutz

Anhand der Anpassungsgüte können auch unterschiedliche Kalibrierungslösungen (z. B. mit oder ohne Optimierung der impliziten Parameter) verglichen werden. Dabei gilt: je kleiner der Betrag der Anpassungsgüte, desto besser die Kalibrierungslösung. Eine vollständige Übereinstimmung, das heißt optimale Lösung, liegt bei MRADKV=0 vor.

Damit sind die Berechnungsgrundlagen und der allgemeine Ablauf des Kalibrierungsverfahrens vollständig beschrieben. Auf dieser Grundlage wird das Verfahren im nächsten Abschnitt 4 anhand von Kalibrierungsergebnissen demonstriert. Diese werden dann über eine Sensitivitätsanalyse mit anderen, davon unabhängigen Ergebnissen verglichen.

4 Kalibrierungsergebnisse

4.1 Gegenstand und Eingangsdaten der Untersuchung

In der vom Autor durchgeführten Untersuchung [6] werden 15 unterschiedliche Klassen von schweren Nutzfahrzeugen betrachtet, für die nach erfolgter Kalibrierung jeweils ein synthetisches Verbrauchskennfeld sowie eine Nutzmassen-abhängige Funktion des durchschnittlichen Kraftstoffverbrauchs (DKVIst) vorliegen.[11] Diese Kennfelder und Funktionen werden am Beispiel von drei ausgewählten Fahrzeugklassen im nächsten Abschnitt 4.2 vorgestellt.

Die auf einem Kennfeld basierende DKV-Funktion hängt jedoch auch von den übrigen Fahrzeug- und Fahrzyklusparametern (z. B. dem Rollwiderstandsbeiwert bzw. der Höchstgeschwindigkeit) ab und kann sich dementsprechend verändern. Davon unabhängig ist das synthetische Kennfeld, da es allein auf Basis der Ausgangssituation, das heißt der gegebenen Fahrzeug- und Fahrzyklusdaten, kalibriert wird. Hierzu zeigt Tabelle 3 eine Übersicht der verschiedenen Arten und Quellen der verwendeten Eingangsdaten.

Tab. 3

Arten und Quellen der Eingangsdaten für die Energieverbrauchssimulation und Kennfeldkalibrierung.

ObjektObjektmerkmalParameter (Beispiel)QuelleBezugsobjekt in der Quelle
FahrzeugAllgemeine ParameterEigenmasse (in kg)HBEFA 3.2Fahrzeugklasse
FahrwiderstandRollwiderstandsbeiwertFachliteraturschwere Nutzfahrzeuge (allg.)
GetriebeAchsgetriebeübersetzungFahrzeugherstellereinzelnes Fahrzeug
MotorVolllastkennlinieFahrzeugherstellereinzelnes Fahrzeug
KraftstoffverbrauchDurchschnittsverbrauch (in l/km)HBEFA 3.2Fahrzeugklasse
Fahrzyklusdynamische ParameterGeschwindigkeit = f(t) (in km/h)HBEFA 3.2Fahrzeugklasse
statische ParameterStraßenlängsneigungswinkelHBEFA 3.2Fahrzeugklasse

Außerdem wird jede Fahrzeugklasse durch ein ausgewähltes Einzelfahrzeug repräsentiert (siehe Tabelle 4). Dadurch können entsprechend detaillierte Herstellerangaben für bestimmte Parameter genutzt werden, die ansonsten in der Fachliteratur nicht nach den hier untersuchten Fahrzeugklassen differenziert werden (vgl. Tabelle 3, letzte Spalte).

Tab. 4

Ausgewählte Fahrzeugklassen mit zugehörigem Repräsentanzfahrzeug.

FahrzeugklasseTyp, zulässiges Gesamtgewicht (zGG)RepräsentanzfahrzeugMotortyp, Leistung
8Solofahrzeug 7,5-12 t zGGMercedes-Benz Atego 1224 LOM 936 R6 175 kW
24Solofahrzeug 14-20 t zGGMercedes-Benz Antos 1830OM 936 R6 220 kW
70Sattelkraftfahrzeug/Gliederzug 34-40 t zGGMercedes-Benz Actros 1842 EEVOM 471 R6 310 kW

Im Folgenden werden die Kalibrierungsergebnisse zu den drei ausgewählten Fahrzeugklassen (Tabelle 4) vorgestellt.

4.2 Verbrauchskennfelder und -funktionen

Zu Beginn der ersten Kalibrierungsrunde (Teil 1–2) ergeben sich bei einzelnen Fahrzeugklassen mit den entsprechenden Parameterstartwerten (gemäß Tabelle 2) mittlere relative Abweichungen von bis zu 15 Prozent. Für die drei ausgewählten Fahrzeugklassen (siehe auch Tabelle 5) beträgt der entsprechende Wert von MRADKV +4,45 % (8), +1,24 % (24) bzw. +6,00 % (70). Außerdem liegt die durchschnittliche Drehzahl nbe,Min (horizontale Punktlage im Kennfeld) bei 8 von 15 Fahrzeugklassen im Sollwertbereich, der sich gleichmäßig (d. h. ± 100) um den Startwert erstreckt. Ansonsten wird der Sollwertbereich nur geringfügig unter- bzw. überschritten, zum Beispiel um −8 % (24) und +4 % (8).

Tab. 5

Punktlage des minimalen spezifischen Verbrauchs zu Beginn der ersten Kalibrierungsrunde (Teil 1–2).

FahrzeugklasseHorizontale Punktlage [min1]Vertikale Punktlage [Nm]Lösungsgüte
SollwertStartwertnbe,MinSollwertStartwertMbe,MinMRADKV
81500...170016001760750...1000750439+4,45 %
241500...170016001378938...1250938666+1,24 %
701300...1500140013551575…210015751230+6,00 %

Nach Abschluss der letzten (dritten) Kalibrierungsrunde wird aus den vorhandenen Kalibrierungslösungen die jeweils „beste“ für eine Fahrzeugklasse ausgewählt (siehe Tabelle 6). Da sich die Werte der Lösungsgüte (MRADKV) zwischen den einzelnen Kalibrierungsrunden nicht unterscheiden, sind für die Auswahl stattdessen die relativen Abweichungen der Kennfeldparameter in Bezug auf die Sollwertbereiche maßgebend. Diese werden als auf 1 normierte[12] Korrekturfaktoren berechnet und in der folgenden Tabelle 6 hinter den Lösungswerten in Klammern angegeben.

Tab. 6

Gewählte (beste) Kalibrierungslösung aus allen Kalibrierungsrunden.

Fahrzeugklassebe,Min,eff [g/kWh]max(be) [g/kWh]nbe,Min [min1]Mbe,Min [Nm]Lösungsgüte
SollwertLösungswertSollwertLösungswertLösungswertLösungswertMRADKV
8180...210180 (1,00)500...600427 (0,85)1752 (1,03)946 (1,00)0,00 %
24180...210214 (1,02)500...600431 (0,86)1600 (1,00)938 (1,00)0,00 %
70180...210163 (0,90)500...600488 (0,98)1355 (1,00)1267 (0,80)+0,02 %

Abb. 4 Synthetisches Verbrauchskennfeld nach abgeschlossener Kalibrierung – am Beispiel von Fahrzeugklasse 24 [6].
Abb. 4

Synthetisches Verbrauchskennfeld nach abgeschlossener Kalibrierung – am Beispiel von Fahrzeugklasse 24 [6].

Wie durch den Vergleich von Tabelle 5 und 6 zu erkennen ist, wird MRADKV bei den drei ausgewählten – wie auch allen anderen Fahrzeugklassen – auf 0,00 % oder +0,02 % reduziert. Dieser optimale bzw. sehr geringe Wert ist ein Nachweis für die korrekte Funktionalität des Kalibrierungsverfahrens. Zur Veranschaulichung einer Kalibrierungslösung aus Tabelle 6 zeigt folgende Abbildung 4 das synthetische Verbrauchskennfeld (Muscheldiagramm) von Fahrzeugklasse 24, das aus der zweiten Kalibrierungsrunde (Fall ohne Optimierung der impliziten Parameter) stammt.

Da mit den gewählten Kennfeldern auch das Simulationsexperiment „Gesamtfahrzyklus“ im letzten Teil der entsprechenden Kalibrierungsrunde durchgeführt wird, liegen die Simulationsergebnisse für DKVIst(mNutz) zu verschiedenen Nutzmassen vor, um aus diesen Punkten eine Regressionsgerade zu bestimmen. Diese werden in der Abbildung 5 – zusammen mit den entsprechenden Geraden zu DKVSoll(mNutz) – für jede ausgewählte Fahrzeugklasse dargestellt. Das entsprechende Bestimmtheitsmaß R2 der Ist-Funktionsgeraden beträgt bei jeder Fahrzeugklasse zwischen 0,99 und 1. Die kongruente Abbildung von Soll- und Ist-Funktionsgeraden entspricht der sehr hohen Lösungsgüte (MRADKV0).

Abb. 5 Funktionen des durchschnittlichen Kraftstoffverbrauchs – am Beispiel von Fahrzeugklasse 8, 24 und 70 [6].
Abb. 5

Funktionen des durchschnittlichen Kraftstoffverbrauchs – am Beispiel von Fahrzeugklasse 8, 24 und 70 [6].

4.3 Sensitivitätsanalyse und Ergebnisvergleich

Abb. 6 Ergebnisse der Sensitivitätsanalyse zum Rollwiderstand mit den entsprechenden Vergleichswerten aus [2].
Abb. 6

Ergebnisse der Sensitivitätsanalyse zum Rollwiderstand mit den entsprechenden Vergleichswerten aus [2].

Abb. 7 Ergebnisse der Sensitivitätsanalyse zum Luftwiderstand mit den entsprechenden Vergleichswerten aus [2].
Abb. 7

Ergebnisse der Sensitivitätsanalyse zum Luftwiderstand mit den entsprechenden Vergleichswerten aus [2].

Um die Korrektheit der eigenen Ergebnisse auch durch den Vergleich mit anderen, unabhängigen Untersuchungen beurteilen zu können, wird eine vergleichbare Simulationsstudie der TU Graz [2] herangezogen, in der im Gegensatz zu anderen Veröffentlichungen auch quantifizierte Ergebnisse zum Kraftstoffverbrauch zu finden sind. Diese werden allerdings nur als relative Veränderungen des Verbrauchs bei einer geringfügigen Erhöhung bzw. Senkung von verschiedenen Fahrzeugparametern (Sensitivitätsanalyse) angegeben. Dementsprechend werden solche Simulationsexperimente auch mit dem eigenen, endgültig kalibrierten Modell durchgeführt. Dazu wird bei allen 15 Fahrzeugklassen zum einen der Rollwiderstandsbeiwert und zum anderen die Luftwiderstandsfläche jeweils um denselben absoluten bzw. relativen Betrag erhöht und gesenkt. Die resultierenden Veränderungen des durchschnittlichen Kraftstoffverbrauchs sind in der Abbildung 6 (Rollwiderstand) und Abbildung 7 (Luftwiderstand) für jede Fahrzeugklasse angegeben.[13] Zum Vergleich sind daneben jeweils die minimale und maximale Veränderung aus der externen Sensitivitätsanalyse dargestellt.[14] Wenn sich der eigene Wert dazwischen oder in der Nähe befindet, wird er als korrekt angesehen.

Durch die angenommene Erhöhung des Rollwiderstands steigt der Kraftstoffverbrauch um 0,83 bis 1,17 % an. Dabei ist in Abbildung 6 (oben) auch zu erkennen, dass der Wert tendenziell zunimmt, je größer die Nummer und folglich das zulässige Gesamtgewicht der Fahrzeugklasse ist (vgl. FZK-Nummer und zGG in Tabelle 4). Dies ist plausibel, da der Kraftstoffverbrauch annähernd linear vom Rollwiderstand und der Rollwiderstand linear von der Fahrzeugmasse abhängt. Demzufolge lässt sich im umgekehrten Fall (Verringerung des Rollwiderstands) auch eine zunehmende Einsparung des Kraftstoffverbrauchs in etwa gleicher Höhe feststellen (siehe Abbildung 6, unten). Insgesamt liegen die eigenen Werte im Bereich der Vergleichswerte oder überschreiten diesen nur geringfügig (um bis zu 0,16 %).[15]

Die angenommene Erhöhung des Luftwiderstands führt zu einem Mehrverbrauch zwischen 0,68 und 1,24 %. Umgekehrt wird durch eine Senkung des Luftwiderstands der Kraftstoffverbrauch in etwa gleicher Höhe reduziert. Wie beim Rollwiderstand ist eine Tendenz bezüglich der Fahrzeuggröße zu erkennen, wobei jedoch die relative Verbrauchserhöhung abnimmt, je größer das Fahrzeug ist. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass der Luftwiderstand von der Fahrzeugmasse unabhängig ist und dieser bei schweren Fahrzeugen – im Vergleich zu anderen Fahrwiderständern wie dem Rollwiderstand – weniger Einfluss hat als bei leichten Fahrzeugen. Insgesamt liegen auch hier die eigenen Werte im Bereich der Vergleichswerte oder überschreiten diesen nur geringfügig (um bis zu 0,03 %).

5 Fazit und Ausblick

Reale Verbrauchskennfelder sind für die Energieverbrauchssimulation von Kraftfahrzeugen unbedingt erforderlich, um die nichtlinearen Beziehungen im Inneren eines Verbrennungsmotors adäquat zu berücksichtigen und somit den tatsächlichen Kraftstoffverbrauch exakt zu berechnen. Wenn das reale Kennfeld eines bestimmten Motors allerdings nicht zur Verfügung steht, kann ersatzweise ein synthetisches Kennfeld eingesetzt werden. Aufgrund der idealisierten Form (konzentrische Kreise) müssen die entsprechenden Kennfeldparameter jedoch vor dem Einsatz kalibriert werden.

Abb. 8 AnyLogic-Simulationsmodell eines Park-and-Ride-Parkplatzes mit reservierbaren Stellplätzen (jeweils mit Farbsignalen).
Abb. 8

AnyLogic-Simulationsmodell eines Park-and-Ride-Parkplatzes mit reservierbaren Stellplätzen (jeweils mit Farbsignalen).

Wie in diesem Beitrag gezeigt wird, kann ein synthetisches Kennfeld mithilfe des vorgestellten Verfahrens so kalibriert werden, dass damit im Simulationsmodell der allgemein bekannte Durchschnittsverbrauch korrekt ermittelbar ist (das heißt mit einer mittleren relativen Abweichung von 0 bzw. 0,02 Prozent gegenüber dem vorgegebenen Wert). Ebenso korrekte Ergebnisse liefert das Simulationsmodell, wenn darin einzelne Fahrzeugparameter im Rahmen einer Sensitivitätsanalyse geringfügig verändert werden. Die jeweils resultierende Veränderung des Durchschnittsverbrauchs liegt im Bereich der Werte, die in einer ähnlichen Untersuchung der TU Graz mit realen Kennfeldern angegeben werden (das heißt in 27 von 32 Fällen[16] liegen die eigenen Werte im Vergleichswertebereich, sonst um bis zu 0,16 % darüber). Somit liefert das Simulationsmodell mit den kalibrierten Kennfeldern hinreichend genaue, valide Ergebnisse. (Obwohl in diesem Beitrag bisher nicht thematisiert, wurde nebenbei auch die Rechenzeit des Simulationsmodells mit synthetischen gegenüber realen Kennfeldern verglichen.[17] Demnach konnten keine Unterschiede festgestellt werden.)

Die Anwendung von synthetischen Kennfeldern, die auf Basis von gegebenen Durchschnittsverbrauchswerten kalibriert werden, ist grundsätzlich bei allen Kraftfahrzeugen (mit Verbrennungsmotor) möglich. Im Rahmen des aktuellen, vom Autor geleiteten Forschungsprojekts PAMIR[18] ist es unter anderem das Ziel, die Energie- und Emissionseinsparung von Personenkraftwagen (Pkw) zu ermitteln, die durch eine Online-Reservierung von einzelnen Parkplätzen und somit der Reduzierung des städtischen Parksuchverkehrs erreicht werden kann. Hierzu werden die Fahrzyklen der entsprechenden Pkw-Fahrten (mit bzw. ohne Reservierung) aus einem mikroskopischen Verkehrsflussmodell gewonnen, das einen Park-and-Ride-Parkplatz in München abbildet und in der Software AnyLogic implementiert ist (siehe Abbildung 8). Da ebenfalls keine realen Kennfelder verfügbar sind, dafür aber der Durchschnittsverbrauch von unterschiedlichen Pkw-Typen bekannt ist, sollen demnächst auch hierfür die synthetischen Kennfelder erzeugt werden.

Über den Autor / die Autorin

Dr.-Ing. Alexander Kaiser

Dr. Alexander Kaiser ist seit 2017 als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Geschäftsfeld Verkehr & Assistenz des Instituts für Automation und Kommunikation tätig und verantwortet dort das Themenfeld Mobilität und Logistik in Stadt und Land. Zuvor hat er als Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Logistik und Materialflusstechnik an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg seit 2010 gearbeitet. Seine Arbeitsgebiete sind die Energieverbrauchs- und Verkehrssimulation, KI-basierte Prognosemodelle, insbesondere für die Parkraumbelegung, sowie Anwendungen zur Standort-, Touren- und Routenplanung in Städten.

Literatur

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Erhalten: 2020-06-21
Angenommen: 2021-04-12
Online erschienen: 2021-05-27
Erschienen im Druck: 2021-06-25

© 2021 Kaiser, publiziert von De Gruyter

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