Relevanzgesteuerter morphologischer Umbau im Frühneuhochdeutschen
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Damaris Nübling
Das Frühneuhochdeutsche hat ohne Zweifel als die morphologisch aktivste und dynamischste Periode der deutschen Sprachgeschichte zu gelten. Die morphologischen Umstrukturierungen, Neuordnungen und Rationalisierungen wirken bis heute nach. Dagegen sind die vorherigen Perioden Alt- und Mittelhochdeutsch primär durch phonologische Umbrüche gekennzeichnet: Einerseits durch zwei große Umlautphasen, bei denen Merkmale unbetonter Vokale regressiv auf den betonten Vokalismus projiziert wurden, andererseits durch Schwächung und Abbau nichtbetonter Vokale. Dieser phonologische Wandel hat das morphologische System massiv affiziert – nicht nur insofern, als suffigierend realisierte Kategorien in ihrer Realisierung bedroht waren, sondern indem auch »Verzerrungen« stattgefunden haben. So wurden durch den anfänglich rein phonetisch motivierten Umlaut Informationen, die bis dato nur in der Wortperipherie ausgedrückt wurden, »automatisch« in die Wurzel befördert – etwa die Kategorie ›Kasus‹ (Genitiv und Dativ im Singular) und ›Numerus‹ (Plural) bei Substantiven oder die Kategorie ›Modus‹ (Konjunktiv) beim starken Verb. Während manche dieser phonologischen »Angebote« in den folgenden Jahrhunderten von der Morphologie aufgegriffen und grammatikalisiert wurden, hat sie andere abgelehnt: Kasusumlaute beim Substantiv wurden in der sog. ersten (ahd.) und zweiten (mhd.) »paradigmatischen Ausscheidung von Umlautvarianten« (Sonderegger 1979, S. 308–310) per Analogie schon bald wieder aus der Wurzel beseitigt, Plural- und Konjunktivumlaute haben sich dagegen bis heute gehalten bzw. wurden sogar ausgebaut. Die Morphologie reagiert schnell auf phonologischen Wandel – und keineswegs erst dann, wenn sie in ihrem Bestand bedroht ist. Beim Substantiv besteht das wichtigste morphologische Ziel in der Numerusprofilierung, beim Verb in der Tempusprofilierung.
© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2004
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