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Wem gehört nochmal die Stadt? Der Campus Bockenheim und der sehr langwierige Versuch einer Rückeroberung des Raums

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Taschenspielertricks oder Eine öffentliche Hand wäscht die andereDer Campus Bockenheim, gelegen entlang der ehemaligen Frankfurter Landwehr zwischen den Stadtteilen Westend und Bockenheim, ist ein 16,7 Hektar großes Gelände in unmittelbarer Nähe zu Innenstadt und Messe. Wäh-rend großer Teile des 20. Jahrhunderts war er der Hauptsitz der Frankfurter Universität, die sich, 1914 als Stiftungsuniversität auf einem Teilgrundstück gegründet, in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg nach und nach auf dem gesamten Gelände und auf Einzelgrundstücken im umliegenden Westend ausgebreitet hatte. Nachdem die Naturwissenschaften bereits in den 1970er Jahren an den Stadtrand gezogen waren, stieß das rasante Wachstum der Universität hier Anfang der 1990er Jahre endgültig an seine Grenzen. 1996 wurde daher die Gelegenheit ergriffen, auf ein weiträumiges, bislang von den amerikanischen Streitkräften und zuvor vom IG-Farben-Konzern genutztes Gelände im etwas entfernteren oberen Teil des Westends umzuzie-hen. Seitdem befindet sich die Universität auf dem Rückzug von ihrem alten Campus, der nach jetzigem Stand 2023 abgeschlossen sein soll. Das Areal ist unterdessen zu einem Ort geworden, an dem sich die Auseinandersetzungen um eine ›Stadt für alle!‹ wie unter einem Brennglas bündeln.Entscheidend für das Verständnis ist dabei die Eigentumsfrage: War das Gelände zunächst im Besitz der Stadt Frankfurt, so hatte diese es 1967, als die Universität zur Landesuniversität wurde, dem Land Hessen kostenlos überlassen. Im Jahr 1999 verzichtete die Kommune schließlich auf ihre Grundstücksansprüche und ebnete dem Land damit den Weg zu deren Vermarktung. Das Ziel dieses im sogenannten ›Kulturvertrag‹ vereinbarten Deals war, dass das Land mit den Erlösen aus dem Verkauf der Flächen den Bau des neuen Uni-Campus finanzieren konnte. Ein Jahrzehnt später schließlich beauftragte die Stadt Frankfurt ihre Wohnungsbaugesellschaft ABG Frankfurt Holding mit dem abermaligen Kauf der Flächen vom Land, das sich diesen nach den inzwischen gestiegenen Bodenpreisen bezahlen ließ. Diese Konstruktion, bei der eine zentrale urbane Fläche zwischen Körperschaften der öffentlichen Hand hin und her gereicht wurde, erweist sich bis heute als die entscheidende Ausgangsbedingung. Sie führte dazu, Tim SchusterWem gehört nochmal die Stadt? Der Campus Bockenheim und der sehr langwierige Versuch einer Rückeroberung des Raums
© 2021 transcript Verlag

Taschenspielertricks oder Eine öffentliche Hand wäscht die andereDer Campus Bockenheim, gelegen entlang der ehemaligen Frankfurter Landwehr zwischen den Stadtteilen Westend und Bockenheim, ist ein 16,7 Hektar großes Gelände in unmittelbarer Nähe zu Innenstadt und Messe. Wäh-rend großer Teile des 20. Jahrhunderts war er der Hauptsitz der Frankfurter Universität, die sich, 1914 als Stiftungsuniversität auf einem Teilgrundstück gegründet, in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg nach und nach auf dem gesamten Gelände und auf Einzelgrundstücken im umliegenden Westend ausgebreitet hatte. Nachdem die Naturwissenschaften bereits in den 1970er Jahren an den Stadtrand gezogen waren, stieß das rasante Wachstum der Universität hier Anfang der 1990er Jahre endgültig an seine Grenzen. 1996 wurde daher die Gelegenheit ergriffen, auf ein weiträumiges, bislang von den amerikanischen Streitkräften und zuvor vom IG-Farben-Konzern genutztes Gelände im etwas entfernteren oberen Teil des Westends umzuzie-hen. Seitdem befindet sich die Universität auf dem Rückzug von ihrem alten Campus, der nach jetzigem Stand 2023 abgeschlossen sein soll. Das Areal ist unterdessen zu einem Ort geworden, an dem sich die Auseinandersetzungen um eine ›Stadt für alle!‹ wie unter einem Brennglas bündeln.Entscheidend für das Verständnis ist dabei die Eigentumsfrage: War das Gelände zunächst im Besitz der Stadt Frankfurt, so hatte diese es 1967, als die Universität zur Landesuniversität wurde, dem Land Hessen kostenlos überlassen. Im Jahr 1999 verzichtete die Kommune schließlich auf ihre Grundstücksansprüche und ebnete dem Land damit den Weg zu deren Vermarktung. Das Ziel dieses im sogenannten ›Kulturvertrag‹ vereinbarten Deals war, dass das Land mit den Erlösen aus dem Verkauf der Flächen den Bau des neuen Uni-Campus finanzieren konnte. Ein Jahrzehnt später schließlich beauftragte die Stadt Frankfurt ihre Wohnungsbaugesellschaft ABG Frankfurt Holding mit dem abermaligen Kauf der Flächen vom Land, das sich diesen nach den inzwischen gestiegenen Bodenpreisen bezahlen ließ. Diese Konstruktion, bei der eine zentrale urbane Fläche zwischen Körperschaften der öffentlichen Hand hin und her gereicht wurde, erweist sich bis heute als die entscheidende Ausgangsbedingung. Sie führte dazu, Tim SchusterWem gehört nochmal die Stadt? Der Campus Bockenheim und der sehr langwierige Versuch einer Rückeroberung des Raums
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Chapters in this book

  1. Frontmatter 1
  2. Inhalt 5
  3. Einleitung 9
  4. Themen und Konfliktfelder
  5. Frankfurts Aufstieg zur Global City 23
  6. Frankfurt als Ort post-industrieller Arbeitsverhältnisse? 35
  7. Frankfurts Stadtentwicklung – Nachhaltig für alle? 45
  8. Der Stachel des Widerspruchs: Wohnungspolitik und soziale Kämpfe in Frankfurt am Main 53
  9. Bodenpreise und Bodenpreispolitik in Frankfurt/Rhein-Main 67
  10. Arm und Reich in der Stadtregion. Was sagen die Zahlen und was nicht? 79
  11. Zermürbend, abschreckend, desintegrierend: Frankfurts Politik gegen Obdachlose 89
  12. ÖPNV für alle? Soziale Aspekte und aktuelle Verschiebungen im Kontext von Fahrkarten und Tarifen 99
  13. »Nur ‘n bisschen chillen?!« – Eigensinnige Raumaneignung als Konflikt 111
  14. Wildes Frankfurt – Nilgänse im Fokus räumlicher Konflikte 121
  15. Orte und Stadtteile
  16. Sex, Drogen, Alkohol – umkämpfter öffentlicher Raum im Bahnhofsviertel 133
  17. Die gespaltene Stadt und das Erstarken der AfD. Eine Spurensuche im Riederwald und in Nied 141
  18. Drogenhandel in der Frankfurter Platensiedlung – Entmietungspraxis einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft 155
  19. Die neue Altstadt: Erlebnis, Erinnerung und Wirtschaft. Ein Rundgang 165
  20. Gentrifizierung im Ostend. Stadtpolitisch forcierte Aufwertung und Verdrängung 179
  21. Gentrifizierung im Gallus. Ein polit-ökonomischer Spaziergang durch das ehemalige Arbeiter*innenviertel 191
  22. Orte der Prekarisierung: Wohnen am ›Rand‹ der Global City. Das Beispiel Sossenheim 207
  23. 30 Jahre Lesbisch- Schwules Kulturhaus: Queere Stadtgeschichte in der Klingerstraße 221
  24. Ein Gespräch über das Autonome Frauenhaus als feministischer Ort 231
  25. Drahtseilakt: Der ewige Kampf um den Erhalt der eigenen Lebenswelt von Schausteller*innen, Zirkusangehörigen und reisenden Händler*innen 243
  26. ÜberLeben in der AUtopie – von Liebeskummer & Vietcong 253
  27. Wem gehört nochmal die Stadt? Der Campus Bockenheim und der sehr langwierige Versuch einer Rückeroberung des Raums 267
  28. ›Faites Votre Jeu!‹ Stadtpolitische Kämpfe für ein kulturpolitisches Zentrum oder: Wie eine Hausbesetzung im Knast endet 277
  29. Zufluchtsort Frankfurt? Leben in der Sammelunterkunft 285
  30. Kämpfe und Initiativen
  31. Racial Profiling und antirassistischer Widerstand: ›We look out for each other‹ 297
  32. Project Shelter: Practices of Solidarity between visions of liberation and boundaries of integration 309
  33. Unterbrechungen in der Global City. Arbeitskämpfe im Baugewerbe und am Flughafen 319
  34. Die Stadt gehört nicht allen! Roma in Frankfurt 329
  35. »Sich Räume einfach nehmen«: Raven als Widerstandspraxis? 341
  36. Tower to the People? Verdrängung durch Modernisierung. Erfahrungen aus dem Brentano- Hochhaus in Frankfurt Rödelheim 351
  37. Ein Erfolgsmodell: Die Nachbarschaftsinitiative Nordend-Bornheim-Ostend (NBO) 363
  38. Frankfurt Westhausen – Prekäres Wohnen und Prozesse politischer Kollektivierung 373
  39. Mietentscheid Frankfurt: Direktdemokratisch für mehr bezahlbaren Wohnraum 383
  40. Hausbesetzungen – Mietstreiks – ›Häuserkampf‹. Urbane Kämpfe in Frankfurt 1970 bis 1975 393
  41. Die feministische ›Stadt für alle!‹: Über Alltag, Sorgearbeit und die Verbindung von Kämpfen 411
  42. »Den Nazis auf die Pelle rücken« – Bedeutung und Geschichte des Antifaschismus in Frankfurt 423
  43. Autor*innenverzeichnis 441
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