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Kapitel 12. „Neue" Reformpädagogik im Überblick. Schul- und Unterrichtskonzeptionen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts

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„Neue" Reformpädagogik 355 Kapitel 12 „Neue" Reformpädagogik im Überblick. Schul- und Unterrichts-konzeptionen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Wie in der komplexen Arbeitsdefinition zur Reformpädagogik in der Einleitung zu diesem Buch dargelegt, handelt es sich bei der Reformpädagogik um eine „unendliche Geschichte". In der Literatur wird häufig von der „neuen" Reformpädagogik und den „neuen Reformpäd-agogiken" gesprochen, wenn es darum geht, entsprechende Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg zu untersuchen. Die „alte" Reformpädagogik wird dann als „klassisch" bezeichnet oder - wie in den Niederlanden - als „traditionell". Gleichzeitig wird die „neue" dann als ir-gendwie zeitgemäßer dargestellt in dem Sinne, daß sie eine moderne Antwort auf den gesell-schaftlichen Wandel, insbesondere auf den dramatischen Wandel der Kindheit in der moder-nen Lebenswelt sei.' Als Beispiele werden dann, etwa von Göhlich, genannt: Alternativ-schulpädagogik, Offener Unterricht, Community Education (die gemeinwesenorientierte Schularbeit), Reggio-Pädagogik. Die „neue" Reformpädagogik ist gegenüber der „alten" zweifellos in dem Sinne neu, daß ihre Entwicklung später, in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, erfolgte. Unter konzep-tionellem Aspekt sind jedoch sämtliche von Göhlich zur Unterscheidung genannten Merk-male der „neuen" bereits auch bei Teilen der „klassischen" Reformpädagogik aufweisbar. Bei der von Göhlich vorgenommenen Charakterisierung der „klassischen" Reformpädagogik han-delt es sich denn auch um eine kaum gerechtfertigte Reduktion, teilweise gar eine Verzeich-nung derselben.2 • Die den „neuen" Reformpädagogiken zugeschriebene „multipersonale Urheberschaft" zum Beispiel trifft auch auf verschiedene Richtungen der „klassischen" Reformpädagogik zu - wie beispielsweise die Kunsterziehungs- und Arbeitsschulbewegung, Ansätze bei der Reform der Grundschularbeit (Kindgemäßheit, Gesamtunterricht), Richtungen der „Ecole active" und die „Education Nouvelle" in Frankreich, der Schweiz und Belgien. (Zudem trifft sie nicht auf alle Konzepte zu, die Göhlich in seinen Kanon der „neuen Reformpäd-agogiken" aufgenommen hat. So wie es ohne Maria Montessori keine Montessori-Pädago-gik gegeben hätte, so auch keine Reggio-Pädagogik ohne Loris Malaguzzi, den „Vater der Reggio-Pädagogik". So jedenfalls wird Malaguzzi von vielen praktizierenden Reggio-Pädagoginnen genannt und gesehen.). • Auch gibt es in der „klassischen Reformpädagogik" schon sozialisationstheoretisch orien-tierte Ansätze, etwa bei Freinet und bei den sozialistischen Konzeptionen der Arbeits-schule (und eben nicht nur „normativ-anthropologische"). • Das gleiche gilt für „vom Kind eingebrachtes Material" als wesentliches Moment der Ge-staltung der Lernumgebung, besonders in den Freinet- und Jenaplanschulen, ferner in al-len Konzeptionen, die die Gruppenarbeit und projektorientiertes Arbeiten betonen, an-satzweise aber auch in der Praxis der Montessori-Pädagogik (also: in der „klassischen" Reformpädagogik keineswegs nur „vom Erwachsenen vorgegebenes" Material und eine von ihm weitgehend „pädagogisch normiert(e)" Umgebung!). • Der Aspekt „Kultur als äußere Umgebung" spielt ebenfalls in fast allen „klassischen" Konzeptionen eine große Rolle (und nicht nur „Natur"). 1 Göhlich, Michael (Hsg.) (1997): Offener Unterricht, Community Education, Alternativschulpädagogik, Reg-gi opädagogik. Die neuen Reformpädagogiken. Geschichte, Konzeption, Praxis, Weinheim und Basel: Beltz 2 Zum folgenden siehe: Ebd., S.21ff
© 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Munich/Boston

„Neue" Reformpädagogik 355 Kapitel 12 „Neue" Reformpädagogik im Überblick. Schul- und Unterrichts-konzeptionen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Wie in der komplexen Arbeitsdefinition zur Reformpädagogik in der Einleitung zu diesem Buch dargelegt, handelt es sich bei der Reformpädagogik um eine „unendliche Geschichte". In der Literatur wird häufig von der „neuen" Reformpädagogik und den „neuen Reformpäd-agogiken" gesprochen, wenn es darum geht, entsprechende Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg zu untersuchen. Die „alte" Reformpädagogik wird dann als „klassisch" bezeichnet oder - wie in den Niederlanden - als „traditionell". Gleichzeitig wird die „neue" dann als ir-gendwie zeitgemäßer dargestellt in dem Sinne, daß sie eine moderne Antwort auf den gesell-schaftlichen Wandel, insbesondere auf den dramatischen Wandel der Kindheit in der moder-nen Lebenswelt sei.' Als Beispiele werden dann, etwa von Göhlich, genannt: Alternativ-schulpädagogik, Offener Unterricht, Community Education (die gemeinwesenorientierte Schularbeit), Reggio-Pädagogik. Die „neue" Reformpädagogik ist gegenüber der „alten" zweifellos in dem Sinne neu, daß ihre Entwicklung später, in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, erfolgte. Unter konzep-tionellem Aspekt sind jedoch sämtliche von Göhlich zur Unterscheidung genannten Merk-male der „neuen" bereits auch bei Teilen der „klassischen" Reformpädagogik aufweisbar. Bei der von Göhlich vorgenommenen Charakterisierung der „klassischen" Reformpädagogik han-delt es sich denn auch um eine kaum gerechtfertigte Reduktion, teilweise gar eine Verzeich-nung derselben.2 • Die den „neuen" Reformpädagogiken zugeschriebene „multipersonale Urheberschaft" zum Beispiel trifft auch auf verschiedene Richtungen der „klassischen" Reformpädagogik zu - wie beispielsweise die Kunsterziehungs- und Arbeitsschulbewegung, Ansätze bei der Reform der Grundschularbeit (Kindgemäßheit, Gesamtunterricht), Richtungen der „Ecole active" und die „Education Nouvelle" in Frankreich, der Schweiz und Belgien. (Zudem trifft sie nicht auf alle Konzepte zu, die Göhlich in seinen Kanon der „neuen Reformpäd-agogiken" aufgenommen hat. So wie es ohne Maria Montessori keine Montessori-Pädago-gik gegeben hätte, so auch keine Reggio-Pädagogik ohne Loris Malaguzzi, den „Vater der Reggio-Pädagogik". So jedenfalls wird Malaguzzi von vielen praktizierenden Reggio-Pädagoginnen genannt und gesehen.). • Auch gibt es in der „klassischen Reformpädagogik" schon sozialisationstheoretisch orien-tierte Ansätze, etwa bei Freinet und bei den sozialistischen Konzeptionen der Arbeits-schule (und eben nicht nur „normativ-anthropologische"). • Das gleiche gilt für „vom Kind eingebrachtes Material" als wesentliches Moment der Ge-staltung der Lernumgebung, besonders in den Freinet- und Jenaplanschulen, ferner in al-len Konzeptionen, die die Gruppenarbeit und projektorientiertes Arbeiten betonen, an-satzweise aber auch in der Praxis der Montessori-Pädagogik (also: in der „klassischen" Reformpädagogik keineswegs nur „vom Erwachsenen vorgegebenes" Material und eine von ihm weitgehend „pädagogisch normiert(e)" Umgebung!). • Der Aspekt „Kultur als äußere Umgebung" spielt ebenfalls in fast allen „klassischen" Konzeptionen eine große Rolle (und nicht nur „Natur"). 1 Göhlich, Michael (Hsg.) (1997): Offener Unterricht, Community Education, Alternativschulpädagogik, Reg-gi opädagogik. Die neuen Reformpädagogiken. Geschichte, Konzeption, Praxis, Weinheim und Basel: Beltz 2 Zum folgenden siehe: Ebd., S.21ff
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Kapitel in diesem Buch

  1. Frontmatter I
  2. Vorwort V
  3. Inhaltsverzeichnis IX
  4. Kapitel 1. Einführung: Reformpädagogik als Diskurs und Erziehungswirklichkeit - Zugangswege in einen vielschichtigen Zusammenhang 1
  5. Kapitel 2. Frühe Schulkritik und die Idee einer menschenfreundlichen Schule. Historische Skizze über die Herausbildung einer notwendigen und aktuellen Idee 29
  6. Kapitel 3. Erziehung und das Unbehagen an der Kultur der Moderne: Zivilisationskritik, Lebensreform und die Reform der Erziehung im Übergang zum 20. Jahrhundert 45
  7. Kapitel 4. Arbeit und Kunst - Erziehung und Bildung im Medium einer vielschichtigen Aktivität 103
  8. Kapitel 5. Landerziehungsheime und verwandte Einrichtungen - Erziehung als Leben und Lernen in einer eigens gestalteten Welt 163
  9. Kapitel 6. Die Montessori-Schule: Erziehung als Hilfe zur Arbeit an sich selbst nach dem eigenen Entwicklungsgesetz 195
  10. Kapitel 7. Die Waldorfschule: Erziehung als Einführung und Einleben in den sinnlich-übersinnlichen kosmischen Zusammenhang 233
  11. Kapitel 8. Die Dalton-Plan-Schule: Erziehung durch selbstverantwortliches Lernen für eine demokratische Gesellschaft 269
  12. Kapitel 9. Die Jenaplan-Schule. Erziehung in, durch und für die Gemeinschaft 289
  13. Kapitel 10. Die Freinet-Schule: Erziehung als Emanzipation und als Einübung in ein selbstbestimmtes Leben 311
  14. Kapitel 11. Die Freie Alternativschule: Erziehung in Freiheit - durch Mitbestimmung zur Selbstbestimmung 331
  15. Kapitel 12. „Neue" Reformpädagogik im Überblick. Schul- und Unterrichtskonzeptionen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts 355
  16. Kapitel 13. Die Erweiterung des Lernbegriffs: Wege zu methodischer Vielfalt im Unterricht 375
  17. Kapitel 14. Zum Einfluß reformpädagogischen Denkens auf die Schulreform der Gegenwart 421
  18. Kapitel 15. Reformpädagogik in außerschulischen Bereichen - Ein Überblick 429
  19. Kapitel 16. Reformpädagogik - offene Fragen, Hinweise zum Weiterstudium 453
  20. Literaturverzeichnis 477
  21. Personen- und Sachregister 501
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