Startseite Literaturwissenschaften 9. Fragment über Mu«ik und Sprache (1956/57)
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9. Fragment über Mu«ik und Sprache (1956/57)

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Sprache, Dichtung, Musik
Ein Kapitel aus dem Buch Sprache, Dichtung, Musik
dende Kunst und der Tanz an dem Ereignis einer Opernauffüh-rung beteiligt sind, hängt von dem Willen des Opernschöpfers und von dem Vermögen der Bühne ab, welcher das Werk anvertraut ist. Das Zusammenwirken aller Künste rückt manche Opernauf-führung in die Nahe einer kultischen Handlung und macht fast jede zu einer Repräsentation der Kunst überhaupt. In diesem tiefe-ren Sinn ist der Gedanke der Repräsentation kein Vorwurf gegen die Gattung, sondern ihre schönste Rechtfertigung und Auszeich-nung, zumal in einer Zeit, die weit mehr auf Analyse, Spezialisie-rung, rationale und rationelle Entmenschlichung aller Bereiche be-dacht ist als auf humane Universalität. Der auf das Universelle gerichtete Gedanke der Verbindung der Künste hat auf dem Weg der Menschheit bedeutende Sinnbilder aufgerichtet, deren Funda-mente oft genug tief in mythische Urgründe hinabreichen. Von der ersten Oper »Dafne« und dem ersten »Orfeo« führt eine ge-rade Linie über Glucks »Orpheus«, Mozarts »Zauberflöte« (und, das sei besonders betont, auch über »Don Giovanni« und »Figa-ro«), Beethovens »Fidelio« über das ganze, dem Universellen ver-haftete Werk Wagners, über »Ariadne« oder »Elektra« von Strauss bis in die Gegenwart hinein. Die vereinzelten Verirrungen der Spätromantik und des Verismus spielen in diesem großen Zusam-menhang kaum eine Rolle. An den Opernmitteln von heute ist abzulesen, daß der Wille zum Universellen wieder mächtig wird. [...] THEODOR W. ADORNO Fragment über Musik und Sprache (1956/57) Musik ist sprachähnlich. Ausdrücke wie musikalisches Idiom, mu-sikalischer Tonfall, sind keine Metaphern. Aber Musik ist nicht Sprache. Ihre Sprachähnlichkeit weist den Weg ins Innere, doch auch ins Vage. Wer Musik wörtlich als Sprache nimmt, den führt sie irre. Sprachähnlich ist sie als zeitliche Folge artikulierter Laute, die mehr sind als bloß Laut. Sie sagen etwas, oft ein Menschliches. Sie sagen es desto nachdrücklicher, je höher die Musik geartet ist. Die Folge der Laute ist der Logik verwandt: es gibt Richtig und 71
© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Munich/Boston

dende Kunst und der Tanz an dem Ereignis einer Opernauffüh-rung beteiligt sind, hängt von dem Willen des Opernschöpfers und von dem Vermögen der Bühne ab, welcher das Werk anvertraut ist. Das Zusammenwirken aller Künste rückt manche Opernauf-führung in die Nahe einer kultischen Handlung und macht fast jede zu einer Repräsentation der Kunst überhaupt. In diesem tiefe-ren Sinn ist der Gedanke der Repräsentation kein Vorwurf gegen die Gattung, sondern ihre schönste Rechtfertigung und Auszeich-nung, zumal in einer Zeit, die weit mehr auf Analyse, Spezialisie-rung, rationale und rationelle Entmenschlichung aller Bereiche be-dacht ist als auf humane Universalität. Der auf das Universelle gerichtete Gedanke der Verbindung der Künste hat auf dem Weg der Menschheit bedeutende Sinnbilder aufgerichtet, deren Funda-mente oft genug tief in mythische Urgründe hinabreichen. Von der ersten Oper »Dafne« und dem ersten »Orfeo« führt eine ge-rade Linie über Glucks »Orpheus«, Mozarts »Zauberflöte« (und, das sei besonders betont, auch über »Don Giovanni« und »Figa-ro«), Beethovens »Fidelio« über das ganze, dem Universellen ver-haftete Werk Wagners, über »Ariadne« oder »Elektra« von Strauss bis in die Gegenwart hinein. Die vereinzelten Verirrungen der Spätromantik und des Verismus spielen in diesem großen Zusam-menhang kaum eine Rolle. An den Opernmitteln von heute ist abzulesen, daß der Wille zum Universellen wieder mächtig wird. [...] THEODOR W. ADORNO Fragment über Musik und Sprache (1956/57) Musik ist sprachähnlich. Ausdrücke wie musikalisches Idiom, mu-sikalischer Tonfall, sind keine Metaphern. Aber Musik ist nicht Sprache. Ihre Sprachähnlichkeit weist den Weg ins Innere, doch auch ins Vage. Wer Musik wörtlich als Sprache nimmt, den führt sie irre. Sprachähnlich ist sie als zeitliche Folge artikulierter Laute, die mehr sind als bloß Laut. Sie sagen etwas, oft ein Menschliches. Sie sagen es desto nachdrücklicher, je höher die Musik geartet ist. Die Folge der Laute ist der Logik verwandt: es gibt Richtig und 71
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