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Friedrich Christoph Oetinger und Jakob Böhme

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ROLAND PIETSCH Friedrich Christoph Oetinger und Jakob Böhme* Vom innersten Grund der Natur In seiner Autobiographie oder Genealogie der reellen Gedanken eines Gottesge-lehrten schildert Friedrich Christoph Oetinger ausführlich, wie er als junger Student der Theologie in Tübingen dem Pulvermüller JOHANN KASPAR OBENBER-GER begegnet und durch ihn zum erstenmal mit dem Werk JAKOB BÖHMES in Berührung gekommen ist. Die eingehende Beschäftigung mit der Gedankenwelt des Philosophus Teutonicus, die auf diese erste Begegnung folgt, führt dazu, daß sich Oetinger vom zeitgenössischen Rationalismus abwendet. 1731 veröffentlicht er unter dem Pseudonym Halatophilus Irenaus in dem Sammelwerk Aufmun-ternde Gründe zur Lesung der Schrifften Jacob Boehmens seine erste Schrift: „Vorstellung, wie viel J[akob] B[öhmes] Schrifften zur lebendigen Erkänntniß bey tragen". In den nächsten Jahren erscheinen weitere Schriften, in denen er neben der Kabbala und zahlreichen theologischen Schriftstellern immer wieder auf JAKOB BÖHME zurückkommt. Im Zusammenhang mit seinen Endzeiterwar-tungen sieht Oetinger sowohl in BÖHME als auch in JOHANN ARNDT oder auch in beiden zusammen den Engel des Ewigen Evangeliums1, von dem in der Apoka-lypse die Rede ist. BÖHME ist für Oetinger der Prophet, den Gott gesandt hat, um den innersten Grund der Natur zu offenbaren.2 Diese heilsgeschichtlich hohe Einschätzung hat Oetinger aber nicht gehindert, BÖHMES Darstellungsweise teil-weise sehr heftig zu kritisieren. Maßstab zur Beurteilung und Kritik von BÖHMES Werk ist für Oetinger letztlich die Heilige Schrift, deren gründliche Ausdeutung im Mittelpunkt seines ganzen geistigen und wissenschaftlichen Forschens steht. Als reife Frucht solchen Bemühens erscheint 1776 sein großes Biblisch-Emblematisches Wörterbuch, in das auch wesentliche Gedanken von JAKOB BÖH-ME übernommen und eingearbeitet sind. Was Oetinger im einzelnen von BÖHME in sein Wörterbuch übernommen hat, kann am besten vor dem Hintergrund einer metaphysischen Gesamtschau JAKOB BÖHMES aufgezeigt werden. JAKOB BÖHMES Metaphysik gründet sich auf ein mysti-sches Erlebnis oder eine geistige Schau „bis in die innerste Geburt der Gottheit"3, d. h. bis in die Mitte der göttlichen Selbstoffenbarung. Der Unterschied zwischen mystischem Erlebnis oder Mystik und Metaphysik besteht in diesem Zusammen-* Zum ganzen Zusammenhang vgl. auch Gott, Natur, Mensch in der Sicht Jacob Böhmes und seiner Rezeption. Hg. von JAN GAREWICZ und ALOIS MARIA HAAS. Wiesbaden 1994. 1 „Gott hat endlich die Zeit kommen lassen, dass der Engel mit dem Ewigen Evangelium um das Jahr 1600 entweder an JACOB BOHUMIL oder an [JOHANN] ARNDT oder collective an beiden zugleich erschien." In OETINGER, Hohespriestertum Christi, S. 146. 2 OETINGER, Wörterbuch, S. 21: Artikel „Adam". 3 BÖHME, Mr 19, 11. Die Zitation erfolgt nach JAKOB BÖHMES Sämtlichen Schriften, Faksimile-Neu-druck der Ausgabe von 1730 in elf Bänden, begonnen von AUGUST FAUST, neu herausgegeben von WILL-ERICH PEUCKERT, Stuttgart 1955-1961. Die von OETINGER zitierten BöHME-Texte sind mit den Texten dieser Edition identisch.

ROLAND PIETSCH Friedrich Christoph Oetinger und Jakob Böhme* Vom innersten Grund der Natur In seiner Autobiographie oder Genealogie der reellen Gedanken eines Gottesge-lehrten schildert Friedrich Christoph Oetinger ausführlich, wie er als junger Student der Theologie in Tübingen dem Pulvermüller JOHANN KASPAR OBENBER-GER begegnet und durch ihn zum erstenmal mit dem Werk JAKOB BÖHMES in Berührung gekommen ist. Die eingehende Beschäftigung mit der Gedankenwelt des Philosophus Teutonicus, die auf diese erste Begegnung folgt, führt dazu, daß sich Oetinger vom zeitgenössischen Rationalismus abwendet. 1731 veröffentlicht er unter dem Pseudonym Halatophilus Irenaus in dem Sammelwerk Aufmun-ternde Gründe zur Lesung der Schrifften Jacob Boehmens seine erste Schrift: „Vorstellung, wie viel J[akob] B[öhmes] Schrifften zur lebendigen Erkänntniß bey tragen". In den nächsten Jahren erscheinen weitere Schriften, in denen er neben der Kabbala und zahlreichen theologischen Schriftstellern immer wieder auf JAKOB BÖHME zurückkommt. Im Zusammenhang mit seinen Endzeiterwar-tungen sieht Oetinger sowohl in BÖHME als auch in JOHANN ARNDT oder auch in beiden zusammen den Engel des Ewigen Evangeliums1, von dem in der Apoka-lypse die Rede ist. BÖHME ist für Oetinger der Prophet, den Gott gesandt hat, um den innersten Grund der Natur zu offenbaren.2 Diese heilsgeschichtlich hohe Einschätzung hat Oetinger aber nicht gehindert, BÖHMES Darstellungsweise teil-weise sehr heftig zu kritisieren. Maßstab zur Beurteilung und Kritik von BÖHMES Werk ist für Oetinger letztlich die Heilige Schrift, deren gründliche Ausdeutung im Mittelpunkt seines ganzen geistigen und wissenschaftlichen Forschens steht. Als reife Frucht solchen Bemühens erscheint 1776 sein großes Biblisch-Emblematisches Wörterbuch, in das auch wesentliche Gedanken von JAKOB BÖH-ME übernommen und eingearbeitet sind. Was Oetinger im einzelnen von BÖHME in sein Wörterbuch übernommen hat, kann am besten vor dem Hintergrund einer metaphysischen Gesamtschau JAKOB BÖHMES aufgezeigt werden. JAKOB BÖHMES Metaphysik gründet sich auf ein mysti-sches Erlebnis oder eine geistige Schau „bis in die innerste Geburt der Gottheit"3, d. h. bis in die Mitte der göttlichen Selbstoffenbarung. Der Unterschied zwischen mystischem Erlebnis oder Mystik und Metaphysik besteht in diesem Zusammen-* Zum ganzen Zusammenhang vgl. auch Gott, Natur, Mensch in der Sicht Jacob Böhmes und seiner Rezeption. Hg. von JAN GAREWICZ und ALOIS MARIA HAAS. Wiesbaden 1994. 1 „Gott hat endlich die Zeit kommen lassen, dass der Engel mit dem Ewigen Evangelium um das Jahr 1600 entweder an JACOB BOHUMIL oder an [JOHANN] ARNDT oder collective an beiden zugleich erschien." In OETINGER, Hohespriestertum Christi, S. 146. 2 OETINGER, Wörterbuch, S. 21: Artikel „Adam". 3 BÖHME, Mr 19, 11. Die Zitation erfolgt nach JAKOB BÖHMES Sämtlichen Schriften, Faksimile-Neu-druck der Ausgabe von 1730 in elf Bänden, begonnen von AUGUST FAUST, neu herausgegeben von WILL-ERICH PEUCKERT, Stuttgart 1955-1961. Die von OETINGER zitierten BöHME-Texte sind mit den Texten dieser Edition identisch.
Heruntergeladen am 24.9.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/9783110878806.513/html?lang=de&srsltid=AfmBOooFt9p8ajPSMiFZZ1TgO4dg8_KtbdZpnH0TdJoGJFgCkItvg7Jj
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