Startseite Literaturwissenschaften 13 „Was in ons drinsteckt im Kopp ond ieberall, das Beese muß raus…“. Im Krebsgang
Kapitel
Lizenziert
Nicht lizenziert Erfordert eine Authentifizierung

13 „Was in ons drinsteckt im Kopp ond ieberall, das Beese muß raus…“. Im Krebsgang

Veröffentlichen auch Sie bei De Gruyter Brill
Theologie bei Günter Grass
Ein Kapitel aus dem Buch Theologie bei Günter Grass
https://doi.org/10.1515/9783110714715-021„Was in ons drinsteckt im Kopp ond ieberall, das Beese muß raus...“. Im Krebsgang .Einführung Die 2002 lancierte Novelle552Im Krebsgangpräsentiert sich an mehreren Stellen als Fortsetzung der Geschichte der Hundejahre, insbesondere durch die Aufnahme der Figur Tulla Pokriefke, die als Mutter des Erzählers von Im Krebsgang eine zentrale Stelle in der Novelle einnimmt.553 Da diese Figur als Nebenfigur in Katz und Mausund dann ausführlicher in Hundejahre als Personifikation der Sündenstruktur dar-gestellt wird, soll in diesem Zusammenhang danach gefragt werden, inwieweit sie auch in Im Krebsgang dieser Charakterisierung entspricht und welche Funktion dies im Zusammenhang der Novelle hat.554 Daraus ergibt sich eine vertiefte Interpretati-onsmöglichkeit für die Figur Tulla sowie für die Thematiken von Im Krebsgang. Damit erweitert die Darstellung die vorhandenen Interpretationen des Textes, die sich insbesondere mit zwei Fragen beschäftigen, nämlich erstens damit, ob Grass das Tabu bricht, in der Literatur vom Leiden der Deutschen im Zweiten Weltkrieg zu erzählen, und zweitens, in welcher Weise Erinnerung in der Literatur thematisch wird und werden kann. Paul Pokriefke, der Sohn Tullas, präsentiert in der Novelle drei verschiedene Er-zählstränge, die er mittels eines komplexen Verweissystems aufeinander bezieht. Erstens berichtet er von dem Nationalsozialisten Wilhelm Gustloff, der 1936 durch den Juden David Frankfurter erschossen worden ist, weil dieser sich durch den Na-tionalsozialismus angesichts der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse bedroht sah und mit seiner Tat ein Zeichen gegen die Unterdrückung setzen wollte. Auf einer zweiten Zeitebene berichtet der Erzähler über den Bau des Schiffs Wilhelm Gustloff. Von den Nationalsozialisten zunächst als Kreuzfahrtschiff für die Organi-sation Kraft durch Freude genutzt, ermöglichte es auch einfachen Arbeitern einen sonst nicht zu bezahlenden Urlaub und sollte den Gedanken einer klassenlosen Gesellschaft bis in den Aufbau des Schiffs hinein repräsentieren. Im Zweiten Welt-krieg wurde die Wilhelm Gustloff dann als Lazarettschiff und für den Truppentrans-== 552 In einer ausführlichen Auseinandersetzung kommt Elena Wassmann zu dem Ergebnis, dass Im Krebsgang als Novelle bezeichnet werden kann, vgl. Wassmann, S. 310–360. 553 Klaus Pezold weist darauf hin, dass die Novelle die Danziger Trilogie zitiert und aufruft und damit deutlich in deren Kontext eingestellt wird, vgl. Klaus Pezold: Im Krebsgang und Danziger Trilogie – Weiterführung oder Zurücknahme? In: Bernd Neumann/Dietmar Albrecht/Andrzej Ta-larczyk (Hg.): Literatur – Grenzen – Erinnerungsräume. Erkundungen des deutsch-polnisch-baltischen Ostseeraums als einer Literaturlandschaft. Würzburg 2004, S. 189–194, hier S. 194. 554 Auch Rüdiger Bernhardt bezeichnet Tulla als „Personifikation der Bösartigkeit“, Rüdiger Bern-hardt: Günter Grass. Im Krebsgang. Hollfeld ⁵2008, S. 61.
© 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Munich/Boston

https://doi.org/10.1515/9783110714715-021„Was in ons drinsteckt im Kopp ond ieberall, das Beese muß raus...“. Im Krebsgang .Einführung Die 2002 lancierte Novelle552Im Krebsgangpräsentiert sich an mehreren Stellen als Fortsetzung der Geschichte der Hundejahre, insbesondere durch die Aufnahme der Figur Tulla Pokriefke, die als Mutter des Erzählers von Im Krebsgang eine zentrale Stelle in der Novelle einnimmt.553 Da diese Figur als Nebenfigur in Katz und Mausund dann ausführlicher in Hundejahre als Personifikation der Sündenstruktur dar-gestellt wird, soll in diesem Zusammenhang danach gefragt werden, inwieweit sie auch in Im Krebsgang dieser Charakterisierung entspricht und welche Funktion dies im Zusammenhang der Novelle hat.554 Daraus ergibt sich eine vertiefte Interpretati-onsmöglichkeit für die Figur Tulla sowie für die Thematiken von Im Krebsgang. Damit erweitert die Darstellung die vorhandenen Interpretationen des Textes, die sich insbesondere mit zwei Fragen beschäftigen, nämlich erstens damit, ob Grass das Tabu bricht, in der Literatur vom Leiden der Deutschen im Zweiten Weltkrieg zu erzählen, und zweitens, in welcher Weise Erinnerung in der Literatur thematisch wird und werden kann. Paul Pokriefke, der Sohn Tullas, präsentiert in der Novelle drei verschiedene Er-zählstränge, die er mittels eines komplexen Verweissystems aufeinander bezieht. Erstens berichtet er von dem Nationalsozialisten Wilhelm Gustloff, der 1936 durch den Juden David Frankfurter erschossen worden ist, weil dieser sich durch den Na-tionalsozialismus angesichts der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse bedroht sah und mit seiner Tat ein Zeichen gegen die Unterdrückung setzen wollte. Auf einer zweiten Zeitebene berichtet der Erzähler über den Bau des Schiffs Wilhelm Gustloff. Von den Nationalsozialisten zunächst als Kreuzfahrtschiff für die Organi-sation Kraft durch Freude genutzt, ermöglichte es auch einfachen Arbeitern einen sonst nicht zu bezahlenden Urlaub und sollte den Gedanken einer klassenlosen Gesellschaft bis in den Aufbau des Schiffs hinein repräsentieren. Im Zweiten Welt-krieg wurde die Wilhelm Gustloff dann als Lazarettschiff und für den Truppentrans-== 552 In einer ausführlichen Auseinandersetzung kommt Elena Wassmann zu dem Ergebnis, dass Im Krebsgang als Novelle bezeichnet werden kann, vgl. Wassmann, S. 310–360. 553 Klaus Pezold weist darauf hin, dass die Novelle die Danziger Trilogie zitiert und aufruft und damit deutlich in deren Kontext eingestellt wird, vgl. Klaus Pezold: Im Krebsgang und Danziger Trilogie – Weiterführung oder Zurücknahme? In: Bernd Neumann/Dietmar Albrecht/Andrzej Ta-larczyk (Hg.): Literatur – Grenzen – Erinnerungsräume. Erkundungen des deutsch-polnisch-baltischen Ostseeraums als einer Literaturlandschaft. Würzburg 2004, S. 189–194, hier S. 194. 554 Auch Rüdiger Bernhardt bezeichnet Tulla als „Personifikation der Bösartigkeit“, Rüdiger Bern-hardt: Günter Grass. Im Krebsgang. Hollfeld ⁵2008, S. 61.
© 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Munich/Boston

Kapitel in diesem Buch

  1. Frontmatter I
  2. Vorwort VII
  3. Inhalt IX
  4. Teil 1: Einleitung
  5. 1 Theologie bei Günter Grass? 1
  6. 2 Theologisches Interesse an Literatur? 6
  7. 3 Das Debattenfeld 6
  8. 4 Das Debattenfeld 9
  9. Teil 2: Das Verhältnis der Theologie zu Literatur und Literaturwissenschaft. Theoretische Grundlegung in systematisch-theologischer Perspektive
  10. 1 Die Genese der gegenwärtigen Debattenlage 13
  11. 2 Theologische Bestimmungen des Verhältnisses der Theologie zu Literatur und Literaturwissenschaft 39
  12. 3 Literaturwissenschaftliche Bestimmungen des Verhältnisses von Theologie, Literatur und Literaturwissenschaft 82
  13. 4 Karl Barths Lichterlehre als Grundlage für eine Bestimmung des Verhältnisses der Theologie zu Literatur und Literaturwissenschaft 92
  14. 5 Die Rezeptionen der Lichterlehre 117
  15. 6 Die Lichterlehre als materiale und methodische Grundlage der Dogmatik bei Michael Trowitzsch 153
  16. 7 Eigene Bestimmung des Verhältnisses der Theologie zu Literatur und Literaturwissenschaft im Anschluss an die Lichterlehre Karl Barths und ihre Rezeption bei Michael Trowitzsch 169
  17. Teil 3: Die Sündenerfahrung des Subjekts vor dem Horizont der Abwesenheit Gottes als Theologie der literarischen Texte von Günter Grass
  18. 1 Verortung im Kontext der Grass-Forschung 179
  19. 2 Die Aussagen des Autors Günter Grass zu Christentum und Kirche 192
  20. 3 Die Sündenerfahrung des Subjekts vor dem Horizont der Abwesenheit Gottes. Hochwasser 219
  21. 4 Keine Erlösung nach Rezept. Die bösen Köche 240
  22. 5 Jesus trommelt nicht für Oskar. Die Blechtrommel 247
  23. 6 Katz und Maus als Evangelium ohne Evangelium 299
  24. 7 „Der Orkus ist oben“. Hundejahre 329
  25. 8 „Es atmete der heilge Geist. Ich hielt’s für Zugluft“. Die Plebejer proben den Aufstand 365
  26. 9 „Immer neue Schmerzen.“ örtlich betäubt 368
  27. 10 Der Zweifel als adäquate Form des Glaubens unter der Bedingung der Abwesenheit Gottes. Aus dem Tagebuch einer Schnecke 393
  28. 11 Die Weltgeschichte als Wirkungsraum der Sünde vor dem Horizont der Abwesenheit Gottes in der Welt. Der Butt 415
  29. 12 „Gott existiert nur im Zweifel“. Ein weites Feld 438
  30. 13 „Was in ons drinsteckt im Kopp ond ieberall, das Beese muß raus…“. Im Krebsgang 451
  31. 14 Die Rättin als Summe der Theologie der literarischen Texte von Günter Grass 465
  32. Teil 4: Schluss
  33. 1 Vorschlag zu einer systematisch-theologischen Bestimmung des Verhältnisses der Theologie zu Literatur und Literaturwissenschaft 501
  34. 2 Beitrag zur Barth-Forschung 502
  35. 3 Die Sündenerfahrung des Subjekts vor dem Horizont der Abwesenheit Gottes als Theologie der literarischen Texte von Günter Grass 503
  36. 4 Beitrag zur Grass-Forschung 506
  37. Literaturverzeichnis 509
  38. Index 531
Heruntergeladen am 10.10.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/9783110714715-025/html?lang=de&srsltid=AfmBOooh4Ujtdd0uAya_xRbGlxYCw5vr6jWfG7fg-RtK-8g36W2aXnNz
Button zum nach oben scrollen