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„Die Erkenntnis der Duplizität“

Zum Verhältnis von Ding und Bild in der europäischen Romantik
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Jakob Christoph Heller, Erik Martin und Sebastian SchönbeckDie Erkenntnis der DuplizitätZum Verhältnis von Ding und Bild in der europäischen RomantikDass die Leistungen der Einbildungskraft einerseits und die als resistent wahr-genommene Außenwelt andererseits stets in einem produktiven Spannungsver-hältnis stehen (müssen), wird in der europäischen Romantik immer wieder alsphilosophisches, ästhetisches und poetologisches Problem aufgeworfen. Gehtdas Bewusstsein derDuplizitätvon Bild und Ding verloren, droht der Wahn-sinn, wie etwa E.T.A. Hoffmanns Serapionsbruder Cyprianus zu berichten weiß:Armer Serapion, worin bestand dein Wahnsinn anders, als daß irgend ein feindlicherStern dir die Erkenntnis der Duplizität geraubt hatte, von der eigentlich allein unser irdi-sches Sein bedingt ist. Es gibt eine innere Welt, und die geistige Kraft, sie in voller Klar-heit, in dem vollendetsten Glanze des regesten Lebens zu schauen, aber es ist unserirrdisches Erbteil, daß eben die Außenwelt in der wir eingeschachtet, als der Hebel wirkt,der jene Kraft in Bewegung setzt. Die innern Erscheinungen gehen auf in dem Kreise, dendie äußeren um uns bilden und den der Geist nur zu überfliegen vermag in dunklen ge-heimnisvollen Ahnungen, die sich nie zum deutlichen Bilde gestalten. Aber du, o meinEinsiedler! statuiertest keine Außenwelt, du sahst den versteckten Hebel nicht, die aufdein Inneres einwirkende Kraft [...].1Diese Mitleidsbekundung, die Hoffmann Cyprianus in den Mund legt, setzt dievolle Einsicht in die Duplizität voninnere[r] WeltundAußenweltund in diemechanisch gedachte Hebelwirkung der Dinge auf die menschliche Imaginationals Norm voraus. Dabei bewahrt offenbar das Wissen von dem Verhältnis derDing- zur Gedankenwelt vor jenem Wahnsinn, der Serapion attestiert wird. Mitdieser psychopathologischen Diagnose ist zugleich eine paradigmatische Vor-gabe romantischer Theorien bezeichnet, die sich als spezifisches Verhältnis vonDing und Bild auf den Punkt bringen lässt. Für den zentralen Stellenwert desvon Hoffmann in den 1819 publiziertenSerapionsbrüdernformulierten Problemsspricht, dass auch die programmatischen Texte der Frühromantik die Wechselbe-ziehung von Außen- und Innenwelt an prominenter Stelle ausbuchstabieren. Soschreibt der junge Friedrich Schlegel 1798 im 116. Athenäums-Fragment, die ro-mantische Poesiedieprogressive Universalpoesiesei, solle zumSpiegel1E.T.A. Hoffmann: Die Serapions-Brüder. In: ders.: Werke. Bd. 4, hg. v. Wulf Segebrecht.Frankfurt a.M. 2008, S. 68.https://doi.org/10.1515/9783110686197-001
© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Munich/Boston

Jakob Christoph Heller, Erik Martin und Sebastian SchönbeckDie Erkenntnis der DuplizitätZum Verhältnis von Ding und Bild in der europäischen RomantikDass die Leistungen der Einbildungskraft einerseits und die als resistent wahr-genommene Außenwelt andererseits stets in einem produktiven Spannungsver-hältnis stehen (müssen), wird in der europäischen Romantik immer wieder alsphilosophisches, ästhetisches und poetologisches Problem aufgeworfen. Gehtdas Bewusstsein derDuplizitätvon Bild und Ding verloren, droht der Wahn-sinn, wie etwa E.T.A. Hoffmanns Serapionsbruder Cyprianus zu berichten weiß:Armer Serapion, worin bestand dein Wahnsinn anders, als daß irgend ein feindlicherStern dir die Erkenntnis der Duplizität geraubt hatte, von der eigentlich allein unser irdi-sches Sein bedingt ist. Es gibt eine innere Welt, und die geistige Kraft, sie in voller Klar-heit, in dem vollendetsten Glanze des regesten Lebens zu schauen, aber es ist unserirrdisches Erbteil, daß eben die Außenwelt in der wir eingeschachtet, als der Hebel wirkt,der jene Kraft in Bewegung setzt. Die innern Erscheinungen gehen auf in dem Kreise, dendie äußeren um uns bilden und den der Geist nur zu überfliegen vermag in dunklen ge-heimnisvollen Ahnungen, die sich nie zum deutlichen Bilde gestalten. Aber du, o meinEinsiedler! statuiertest keine Außenwelt, du sahst den versteckten Hebel nicht, die aufdein Inneres einwirkende Kraft [...].1Diese Mitleidsbekundung, die Hoffmann Cyprianus in den Mund legt, setzt dievolle Einsicht in die Duplizität voninnere[r] WeltundAußenweltund in diemechanisch gedachte Hebelwirkung der Dinge auf die menschliche Imaginationals Norm voraus. Dabei bewahrt offenbar das Wissen von dem Verhältnis derDing- zur Gedankenwelt vor jenem Wahnsinn, der Serapion attestiert wird. Mitdieser psychopathologischen Diagnose ist zugleich eine paradigmatische Vor-gabe romantischer Theorien bezeichnet, die sich als spezifisches Verhältnis vonDing und Bild auf den Punkt bringen lässt. Für den zentralen Stellenwert desvon Hoffmann in den 1819 publiziertenSerapionsbrüdernformulierten Problemsspricht, dass auch die programmatischen Texte der Frühromantik die Wechselbe-ziehung von Außen- und Innenwelt an prominenter Stelle ausbuchstabieren. Soschreibt der junge Friedrich Schlegel 1798 im 116. Athenäums-Fragment, die ro-mantische Poesiedieprogressive Universalpoesiesei, solle zumSpiegel1E.T.A. Hoffmann: Die Serapions-Brüder. In: ders.: Werke. Bd. 4, hg. v. Wulf Segebrecht.Frankfurt a.M. 2008, S. 68.https://doi.org/10.1515/9783110686197-001
© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Munich/Boston
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