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NATO-Doppelbeschluss, westdeutsche Friedensbewegung und der Einfluss der DDR

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247Helge HeidemeyerNATO-Doppelbeschluss, westdeutsche Friedensbewegungund der Einfluss der DDR„Im Nachrüstungsstreit [...] brach eine Massenbewegung, wie sie die Bundesrepubliknoch nicht gesehen hatte, mit außerordentlicher Vehemenz in die bis dahin eher Exper-tenzirkeln vorbehaltenen Gefilde der Sicherheitspolitik ein. [...] Die Friedensbewegunghat die westdeutsche Sicherheitspolitik in ihren Fundamenten erschüttert.“1Folgt man dieser Bewertung, die Peter Graf Kielmansegg im Jahr 2000 vornahm, dürftedas Grund genug sein, sich bei der Beschäftigung mit dem NATO-Doppelbeschluss auchder Friedensbewegung zuzuwenden. Dieser Beitrag tut dies in zwei Schritten. Zunächstwird kurz der Forschungsstand über die Friedensbewegung Anfang der 1980er Jahre skiz-ziert, um dann der Frage nachzugehen, welchen Einfluss der Osten, namentlich die DDR,innerhalb der westdeutschen Friedensbewegung besaß. Diese Frage liegt auf der Hand,stand eine solche Einflussnahme doch auch zeitgenössisch schon im Raum. Da mancheZiele der (westlichen) Friedensbewegung auch eine Stärkung der östlichen Positionen im-plizierten, lagen solche Verbindungen inhaltlich nah.I. Die Friedensbewegung Anfang der 1980er JahreSeit den 1950er Jahren existierte eine Friedensbewegung in der Bundesrepublik. Sie er-fuhr immer dann einen besonderen Zulauf, wenn sicherheitspolitische Entscheidungenanstanden, so bei der Gründung der Bundeswehr die „Ohne-mich“-Bewegung2.ImVor-feld der atomaren Stationierung in Europa entstand die Bewegung „Kampf dem Atomtod“1958, die vornehmlich von der SPD, den Gewerkschaften und der evangelischen Kirchegetragen wurde, oder um 1960 die Ostermarschbewegung3.So wichtig für diese Friedensinitiativen die Mobilisierung von Menschen war, so wichtigblieb auch das Engagement von prominenten Unterstützern. Dazu zählten solche Initia-tiven wie das „Göttinger Manifest“ von 18 ausgewiesenen Atomwissenschaftlern gegen dieatomare Ausrüstung der Bundeswehr aus dem Jahr 19574. Aber auch das jahrzehntelange1Peter Graf Kielmansegg, Nach der Katastrophe. Eine Geschichte des geteilten Deutschland, Berlin2000, S. 234.2Vgl. Hans-Peter Schwarz, Die Ära Adenauer 19491957, Stuttgart 1981, S. 261; Christoph Kleßmann,Zwei Staaten, eine Nation. Deutsche Geschichte 19551970, Bonn 1988, S. 158162; Edgar Wolfrum,Die Bundesrepublik Deutschland 19491990, Stuttgart 2005, S. 130132; Eckart Conze, Die Suchenach Sicherheit. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis in die Gegenwart,München 2009, S. 290296.3Vgl. Andreas Buro, Friedensbewegung, in: Roland Roth/Dieter Rucht (Hrsg.), Die sozialen Bewe-gungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch, Frankfurt am Main/New York 2008, S. 272291;Holger Nehring, Searching for Security: The British and West German Protests Against Nuclear Weap-ons and „Respectability“, 19581963, in: Benjamin Ziemann (Hrsg.), Peace Movements in WesternEurope, Japan and the USA during the Cold War, Essen 2007, S. 167187; Karl A. Otto, Vom Oster-marsch zur APO. Geschichte der außerparlamentarischen Opposition in der Bundesrepublik19601970, Frankfurt am Main 1977.4Vgl. Wolfrum, Bundesrepublik, S. 139f.247-304 Kap.IV_Gassert.indd 24724.02.2011 12:16:42 Uhr
© 2017 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Genthiner Str. 13, 10785 Berlin.

247Helge HeidemeyerNATO-Doppelbeschluss, westdeutsche Friedensbewegungund der Einfluss der DDR„Im Nachrüstungsstreit [...] brach eine Massenbewegung, wie sie die Bundesrepubliknoch nicht gesehen hatte, mit außerordentlicher Vehemenz in die bis dahin eher Exper-tenzirkeln vorbehaltenen Gefilde der Sicherheitspolitik ein. [...] Die Friedensbewegunghat die westdeutsche Sicherheitspolitik in ihren Fundamenten erschüttert.“1Folgt man dieser Bewertung, die Peter Graf Kielmansegg im Jahr 2000 vornahm, dürftedas Grund genug sein, sich bei der Beschäftigung mit dem NATO-Doppelbeschluss auchder Friedensbewegung zuzuwenden. Dieser Beitrag tut dies in zwei Schritten. Zunächstwird kurz der Forschungsstand über die Friedensbewegung Anfang der 1980er Jahre skiz-ziert, um dann der Frage nachzugehen, welchen Einfluss der Osten, namentlich die DDR,innerhalb der westdeutschen Friedensbewegung besaß. Diese Frage liegt auf der Hand,stand eine solche Einflussnahme doch auch zeitgenössisch schon im Raum. Da mancheZiele der (westlichen) Friedensbewegung auch eine Stärkung der östlichen Positionen im-plizierten, lagen solche Verbindungen inhaltlich nah.I. Die Friedensbewegung Anfang der 1980er JahreSeit den 1950er Jahren existierte eine Friedensbewegung in der Bundesrepublik. Sie er-fuhr immer dann einen besonderen Zulauf, wenn sicherheitspolitische Entscheidungenanstanden, so bei der Gründung der Bundeswehr die „Ohne-mich“-Bewegung2.ImVor-feld der atomaren Stationierung in Europa entstand die Bewegung „Kampf dem Atomtod“1958, die vornehmlich von der SPD, den Gewerkschaften und der evangelischen Kirchegetragen wurde, oder um 1960 die Ostermarschbewegung3.So wichtig für diese Friedensinitiativen die Mobilisierung von Menschen war, so wichtigblieb auch das Engagement von prominenten Unterstützern. Dazu zählten solche Initia-tiven wie das „Göttinger Manifest“ von 18 ausgewiesenen Atomwissenschaftlern gegen dieatomare Ausrüstung der Bundeswehr aus dem Jahr 19574. Aber auch das jahrzehntelange1Peter Graf Kielmansegg, Nach der Katastrophe. Eine Geschichte des geteilten Deutschland, Berlin2000, S. 234.2Vgl. Hans-Peter Schwarz, Die Ära Adenauer 19491957, Stuttgart 1981, S. 261; Christoph Kleßmann,Zwei Staaten, eine Nation. Deutsche Geschichte 19551970, Bonn 1988, S. 158162; Edgar Wolfrum,Die Bundesrepublik Deutschland 19491990, Stuttgart 2005, S. 130132; Eckart Conze, Die Suchenach Sicherheit. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis in die Gegenwart,München 2009, S. 290296.3Vgl. Andreas Buro, Friedensbewegung, in: Roland Roth/Dieter Rucht (Hrsg.), Die sozialen Bewe-gungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch, Frankfurt am Main/New York 2008, S. 272291;Holger Nehring, Searching for Security: The British and West German Protests Against Nuclear Weap-ons and „Respectability“, 19581963, in: Benjamin Ziemann (Hrsg.), Peace Movements in WesternEurope, Japan and the USA during the Cold War, Essen 2007, S. 167187; Karl A. Otto, Vom Oster-marsch zur APO. Geschichte der außerparlamentarischen Opposition in der Bundesrepublik19601970, Frankfurt am Main 1977.4Vgl. Wolfrum, Bundesrepublik, S. 139f.247-304 Kap.IV_Gassert.indd 24724.02.2011 12:16:42 Uhr
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Chapters in this book

  1. Frontmatter 1
  2. Inhalt 5
  3. Zweiter Kalter Krieg und Friedensbewegung: Einleitende Überlegungen zum historischen Ort des NATO-Doppelbeschlusses von 1979 7
  4. I. Die Supermächte: Politische Entscheidungen und Reaktionen
  5. Erosion der Abschreckung? 31
  6. Sowjetische Euroraketenrüstung und Auseinandersetzung mit den Reaktionen des Westens 49
  7. Verhandlung und Stationierung: Die USA und die Implementierung des NATO-Doppelbeschlusses 1981–1987 65
  8. II. Die Außenpolitik der beiden deutschen Staaten
  9. Die Regierung Schmidt-Genscher und der NATO-Doppelbeschluss 95
  10. Bündnissolidarität und Rüstungskontrollpolitik 123
  11. Zwischen Unterstützung und Ablehnung der sowjetischen Linie: Die DDR, der Doppelbeschluss und die Nachrüstung 137
  12. III. Die gesellschaftlichen Folgen in Deutschland
  13. Zwischen Militarisierung und abnehmender Systemloyalität 155
  14. Viel Lärm um Nichts? 175
  15. Doppelbeschluss und Nachrüstung als innerparteiliches Problem der SPD 203
  16. Der Protest gegen den NATO-Doppelbeschluss und die Konsolidierung der Partei Die Grünen zwischen 1979 und 1983 229
  17. IV. Der NATO-Doppelbeschluss und die Friedensbewegung
  18. NATO-Doppelbeschluss, westdeutsche Friedensbewegung und der Einfluss der DDR 247
  19. Zwischen Ost und West, zwischen Staat und Kirche: Die Friedensgruppen in der DDR 269
  20. Vereint marschieren, getrennt schlagen? 283
  21. V. Doppelbeschluss und Nachrüstung in der NATO
  22. Großbritannien zwischen Doppelbeschluss und Anti-Kernwaffen-Protestbewegungen 305
  23. Die Nukleardebatte in der italienischen Politik der späten 1970er und frühen 1980er Jahre 325
  24. „Hollanditis“ oder die Niederlande als „schwaches Glied in der NATO-Kette“? 345
  25. Mitläufer der Allianz? 363
  26. Abkürzungsverzeichnis 377
  27. Bibliographie 381
  28. Autoren 402
  29. Register 403
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