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1. Einleitung

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Handbuch Literatur & Pop
This chapter is in the book Handbuch Literatur & Pop
1. EinleitungMoritz Baßler und Eckhard Schumacher1. Pop und LiteraturSeit Pop und Literatur aufeinander bezogen werden, seit Mitte der 1960er Jahre, sorgt diese Verbindung für Aufbruchsstimmung und Begeisterung, aber auch für Irritationen, Ärger und Ablehnung. Während sich Pop Art und Pop-Musik längst als Begriffe etabliert haben, die wie selbstverständlich verwendet werden, wirkt die Kopplung von Pop und Literatur bis heute polarisierend. Immer wieder führt sie zu Konflikten, Missverständnissen und, zumindest im deutschsprachigen Literatur-betrieb, Grundsatzdiskussionen über den Zustand der Gegenwartsliteratur.Weitaus stärker als im Fall von Pop Art und Pop-Musik ist das Verhältnis von Pop und Literatur durch die Markierung von Differenzen gekennzeichnet, über die zugleich ein Werturteil kommuniziert wird. „Dieses Etikett wird ja stets abwer-tend verwandt“, kommentiert Benjamin v. Stuckrad-Barre die literaturkritische Verortung seiner Texte unter dem Label Pop-Literatur, „als Abgrenzung gegen die vermeintlich richtige, echte, tiefe Literatur.“ (Philippi und Schmidt 1999) Was Stuckrad-Barre für die späten 1990er Jahre konstatiert, lässt sich auch in anderen Zeiträumen beobachten, in denen die Kopplung von Pop und Literatur auffällig wird, insbesondere Ende der 1960er und Mitte der 1980er Jahre. So wie Pop zumeist außerhalb der Grenzen der Literatur situiert wird, verweist das ebenso unter-bestimmte wie überdeterminierte Schlagwort Pop-Literatur immer auch auf etwas anderes als auf das, was üblicherweise als Literatur begriffen wird. Aber nicht nur die abwertende Verwendung des Begriffs, auch die Einwände und Angriffe, die im Namen von Pop seit den 1960er Jahren gegen den Literaturbetrieb gerichtet werden, stützen sich häufig auf vergleichbare Abgrenzungsstrategien. Unab-hängig von der je spezifischen Wertung führt die Zuschreibung Pop vor Augen, wie mit einem hochgradig unscharfen Begriff scharfe Grenzen gezogen werden, wie sich Grenzziehungen im Zuge von Kanonisierungsprozessen verschieben und wie Exklusionsmanöver in Inklusionsansprüche oder Eingemeindungsversuche umschlagen können. So erweist sich die polarisierende Kraft, die Pop im Kontext von Literatur und Literaturkritik entfalten kann, als eine Konstante, über die seit Mitte der 1960er Jahre von ganz verschiedenen Seiten aus die jeweils gängigen Maßstäbe zur Verortung und Bewertung von Gegenwartsliteratur in Frage gestellt, aber auch bestätigt und gesichert werden.Gerade weil Pop als ein potentieller Gegenbegriff zu Literatur aufgefasst wird, kann er die Option eröffnen, eingefahrenen Vorstellungen von Literatur Neues https://doi.org/10.1515/9783110340655-001
© 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Munich/Boston

1. EinleitungMoritz Baßler und Eckhard Schumacher1. Pop und LiteraturSeit Pop und Literatur aufeinander bezogen werden, seit Mitte der 1960er Jahre, sorgt diese Verbindung für Aufbruchsstimmung und Begeisterung, aber auch für Irritationen, Ärger und Ablehnung. Während sich Pop Art und Pop-Musik längst als Begriffe etabliert haben, die wie selbstverständlich verwendet werden, wirkt die Kopplung von Pop und Literatur bis heute polarisierend. Immer wieder führt sie zu Konflikten, Missverständnissen und, zumindest im deutschsprachigen Literatur-betrieb, Grundsatzdiskussionen über den Zustand der Gegenwartsliteratur.Weitaus stärker als im Fall von Pop Art und Pop-Musik ist das Verhältnis von Pop und Literatur durch die Markierung von Differenzen gekennzeichnet, über die zugleich ein Werturteil kommuniziert wird. „Dieses Etikett wird ja stets abwer-tend verwandt“, kommentiert Benjamin v. Stuckrad-Barre die literaturkritische Verortung seiner Texte unter dem Label Pop-Literatur, „als Abgrenzung gegen die vermeintlich richtige, echte, tiefe Literatur.“ (Philippi und Schmidt 1999) Was Stuckrad-Barre für die späten 1990er Jahre konstatiert, lässt sich auch in anderen Zeiträumen beobachten, in denen die Kopplung von Pop und Literatur auffällig wird, insbesondere Ende der 1960er und Mitte der 1980er Jahre. So wie Pop zumeist außerhalb der Grenzen der Literatur situiert wird, verweist das ebenso unter-bestimmte wie überdeterminierte Schlagwort Pop-Literatur immer auch auf etwas anderes als auf das, was üblicherweise als Literatur begriffen wird. Aber nicht nur die abwertende Verwendung des Begriffs, auch die Einwände und Angriffe, die im Namen von Pop seit den 1960er Jahren gegen den Literaturbetrieb gerichtet werden, stützen sich häufig auf vergleichbare Abgrenzungsstrategien. Unab-hängig von der je spezifischen Wertung führt die Zuschreibung Pop vor Augen, wie mit einem hochgradig unscharfen Begriff scharfe Grenzen gezogen werden, wie sich Grenzziehungen im Zuge von Kanonisierungsprozessen verschieben und wie Exklusionsmanöver in Inklusionsansprüche oder Eingemeindungsversuche umschlagen können. So erweist sich die polarisierende Kraft, die Pop im Kontext von Literatur und Literaturkritik entfalten kann, als eine Konstante, über die seit Mitte der 1960er Jahre von ganz verschiedenen Seiten aus die jeweils gängigen Maßstäbe zur Verortung und Bewertung von Gegenwartsliteratur in Frage gestellt, aber auch bestätigt und gesichert werden.Gerade weil Pop als ein potentieller Gegenbegriff zu Literatur aufgefasst wird, kann er die Option eröffnen, eingefahrenen Vorstellungen von Literatur Neues https://doi.org/10.1515/9783110340655-001
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Chapters in this book

  1. Frontmatter I
  2. Inhaltsverzeichnis V
  3. 1. Einleitung 1
  4. 2. Theorien – Konzepte – Kontexte
  5. 2.1 Postmoderne und Pop-Literatur: Die Fiedler-Debatte 31
  6. 2.2 Import, Übersetzung, Übernahme – der Bezug zu Großbritannien und den USA 42
  7. 2.3 Pop-Journalismus, Feuilleton, Literatur 55
  8. 2.4 Diedrich Diederichsen und die Pop I/ Pop II-Periodisierung 72
  9. 2.5 Camp: Susan Sontag 84
  10. 2.6 Strukturalismus, Semiotik und Pop 96
  11. 2.7 Marxismus, Kritische Theorie, Pop-Literatur 109
  12. 2.8 Pop-Feminismus/ Geschlechterverhältnisse im Pop 119
  13. 2.9 Autorinszenierungen 130
  14. 2.10 Pop-Literatur in den Verlagen 142
  15. 2.11 Trivialität, Unterhaltung, High und Low 152
  16. 3. Problematisierungen und Forschungsfragen
  17. 3.1 Gerade Eben Jetzt – Schreibweisen der Gegenwart 165
  18. 3.2 Katalog- und Montageverfahren: Sammeln und Generieren 184
  19. 3.3 Autofiktion 199
  20. 3.4 Generation, Sozialisation, Erinnerung 214
  21. 3.5 Lyrics als Literatur 229
  22. 3.6 Konsumästhetik 247
  23. 3.7 Authentizität 267
  24. 3.8 Gelebte Pop-Ästhetiken: Dandy, Flaneur, Hipster 283
  25. 3.9 Underground 304
  26. 3.10 Text-Bild-Strategien in Pop-Texten der 1960er Jahre 326
  27. 4. Exemplarische Analysen
  28. 4.1 Gottfried Benn: Bar (1953). Populärkultur in der Literatur der frühen Bundesrepublik 353
  29. 4.2 Hubert Fichte: Die Palette (1968) 370
  30. 4.3 Peter Handke: Die japanische Hitparade vom 25. Mai 1968 (1968) 384
  31. 4.4 Rolf Dieter Brinkmann und Ralf-Rainer Rygulla: Acid – neue amerikanische Szene (1969) 398
  32. 4.5 Elfriede Jelinek: wir sind lockvögel baby! (1970) 414
  33. 4.6 Rolf Dieter Brinkmann: Mondlicht in einem Baugerüst (1975) 426
  34. 4.7 Rainald Goetz: Subito (1983) 439
  35. 4.8 Peter Glaser: Zur Lage der Detonation – Ein Explosé (1984) 452
  36. 4.9 Joachim Lottmann: Mai, Juni, Juli. Ein Roman (1987) 465
  37. 4.10 Blumfeld: L’etat et moi (Mein Vorgehen in 4, 5 Sätzen) (1994) 480
  38. 4.11 Max Goldt: Titanic-Kolumnen 494
  39. 4.12 Christian Kracht: Faserland (1995) 509
  40. 4.13 Benjamin v. Stuckrad-Barre: Soloalbum (1998) 524
  41. 4.14 Thomas Meinecke: Tomboy (1998) 538
  42. 4.15 Tristesse Royale. Das popkulturelle Quintett mit Joachim Bessing, Christian Kracht, Eckhart Nickel, Alexander v. Schönburg und Benjamin v. Stuckrad-Barre (1999) 552
  43. 4.16 Kerstin Grether: Zuckerbabys (2004) 568
  44. 4.17 Heinz Strunk: Fleisch ist mein Gemüse (2004) 576
  45. 4.18 René Pollesch 591
  46. 4.19 Charlotte Roche: Feuchtgebiete (2008) 607
  47. 4.20 Leif Randt: Schimmernder Dunst über Coby County (2011) 623
  48. 5. Glossar 635
  49. 6. Auswahlbibliografie 651
  50. 7. Register 657
  51. 8. Abbildungsverzeichnis 683
  52. 9. Autorinnen und Autoren 685
  53. Dank 687
Downloaded on 13.11.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/9783110340655-001/pdf?licenseType=restricted&srsltid=AfmBOoof8rmpt4G-LcbzSnk1w882SPtb8Ngamfl9fqOhy7OW-DKRPaZF
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