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Unrecht und Schuld in einem Unternehmensstrafrecht

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Unternehmensstrafrecht
Ein Kapitel aus dem Buch Unternehmensstrafrecht
Unrecht und Schuld in einem Unternehmensstrafrecht 2205Unrecht und Schuld in einem Unternehmens-strafrecht Unrecht und Schuld in einem UnternehmensstrafrechtJoachim Vogel Joachim VogelDas Thema „Unrecht und Schuld in einem Unternehmensstrafrecht“ betrifft die Frage, ob und wie Unternehmen rechtswidrig und schuldhaft im strafrechtlichen Sinne han-deln können, und ist somit auf den ersten Blick rein materiell-strafrechtlicher sowie rein dogmatischer Natur. In dieser Art und Weise ist das Thema – ein „Klassiker“ des Unternehmensstrafrechts – lange Zeit diskutiert worden, und deshalb ist es innerhalb dieses Symposions folgerichtig im Zweiten Teil „Konzepte eines Unternehmensstraf-rechts im Kriminaljustizsystem“ unter „Materielles Strafrecht – mögliche positivrecht-liche Gestaltung“ eingeordnet. Meine übergreifende These lautet nun, dass das Thema in Wahrheit eher wenig mit Dogmatik und eher viel mit Kriminalpolitik, aber auch mit Prozessrecht und Alternativen zum Unternehmensstrafrecht zu tun habe.1 Damit spre-che ich sozusagen in einer dogmatikkritischen Perspektive – wobei ich offen lasse, ob das die Veranstalter überrascht oder ob sie erahnten, dass ich das Thema so behandeln würde. In den Raum und zur Diskussion stellen möchte ich fünf Einzelthesen: 1. Die dogmatische Frage, ob und wie Unternehmen rechtswidrig und schuldhaft im strafrechtlichen Sinne handeln können, ist für die kriminalpolitische Frage der mögli-chen positiv-rechtlichen Gestaltung eines materiellen Unternehmensstrafrechts nicht von maßgeblicher Bedeutung. Wenn der Gesetzgeber eine Unternehmensstrafbarkeit einführt, begründet er die Möglichkeit rechtswidriger und schuldhafter Unterneh-menshandlungen im strafrechtlichen Sinne und gestaltet die Voraussetzungen hierfür aus, ohne an eine bestimmte Dogmatik gebunden zu sein. In der gegenwärtigen Dogmatik ist bekanntlich umstritten, ob ein auf Unrecht und Schuld beruhendes materielles Unternehmensstrafrecht im deutschen Kriminal-justizsystem (denk-)möglich ist.21 Es ist bemerkenswert, dass die Argumente pro et contra Verbandsstrafbarkeit, die im Ab-schlussbericht der Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems, Ab-schnitt 12 Einführung einer Verbandsstrafe (Strafbarkeit juristischer Personen), März 2000 aus-getauscht worden sind, nur am Rande die dogmatischen Fragen der Handlungs-, Schuld- und Straffähigkeit von Verbänden betreffen. 2 Den beiden „klassischen“ Monographien von Busch Grundfragen der strafrechtlichen Verant-wortlichkeit der Verbände, 1933; R. Schmitt Strafrechtliche Maßnahmen gegen Verbände, 1958 ist seit den 1990er Jahren eine kaum mehr überschaubare Literaturfülle gefolgt. Siehe aus der monographischen Literatur (Auswahl) Bosch Organisationsverschulden in Unternehmen, 2002; Ehrhardt Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafrecht, 1994; Eidam Unternehmen und Strafe, 1993, 3. Aufl. 2008 sowie Straftäter Unternehmen, 1997; v. Freier Kritik der Ver-bandsstrafe, 1998; Haeusermann Der Verband als Straftäter und Strafprozesssubjekt, 2003; HeineDie strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, 1995; Hirsch Die Frage der Straffähig-keit von Personenverbänden, 1993; Otto Die Strafbarkeit von Unternehmen und Verbänden, 1993; H.-J. Schroth Unternehmen als Normadressaten und Sanktionssubjekte, 1993; SchünemannUnternehmenskriminalität und Strafrecht, 1980. Siehe aus der Aufsatzliteratur (Auswahl) Bösein: FS Jakobs, 2007, S. 15ff.; Dannecker GA 2001, 101ff.; Jakobs in: FS Lüderssen, 2002, S. 559ff.;

Unrecht und Schuld in einem Unternehmensstrafrecht 2205Unrecht und Schuld in einem Unternehmens-strafrecht Unrecht und Schuld in einem UnternehmensstrafrechtJoachim Vogel Joachim VogelDas Thema „Unrecht und Schuld in einem Unternehmensstrafrecht“ betrifft die Frage, ob und wie Unternehmen rechtswidrig und schuldhaft im strafrechtlichen Sinne han-deln können, und ist somit auf den ersten Blick rein materiell-strafrechtlicher sowie rein dogmatischer Natur. In dieser Art und Weise ist das Thema – ein „Klassiker“ des Unternehmensstrafrechts – lange Zeit diskutiert worden, und deshalb ist es innerhalb dieses Symposions folgerichtig im Zweiten Teil „Konzepte eines Unternehmensstraf-rechts im Kriminaljustizsystem“ unter „Materielles Strafrecht – mögliche positivrecht-liche Gestaltung“ eingeordnet. Meine übergreifende These lautet nun, dass das Thema in Wahrheit eher wenig mit Dogmatik und eher viel mit Kriminalpolitik, aber auch mit Prozessrecht und Alternativen zum Unternehmensstrafrecht zu tun habe.1 Damit spre-che ich sozusagen in einer dogmatikkritischen Perspektive – wobei ich offen lasse, ob das die Veranstalter überrascht oder ob sie erahnten, dass ich das Thema so behandeln würde. In den Raum und zur Diskussion stellen möchte ich fünf Einzelthesen: 1. Die dogmatische Frage, ob und wie Unternehmen rechtswidrig und schuldhaft im strafrechtlichen Sinne handeln können, ist für die kriminalpolitische Frage der mögli-chen positiv-rechtlichen Gestaltung eines materiellen Unternehmensstrafrechts nicht von maßgeblicher Bedeutung. Wenn der Gesetzgeber eine Unternehmensstrafbarkeit einführt, begründet er die Möglichkeit rechtswidriger und schuldhafter Unterneh-menshandlungen im strafrechtlichen Sinne und gestaltet die Voraussetzungen hierfür aus, ohne an eine bestimmte Dogmatik gebunden zu sein. In der gegenwärtigen Dogmatik ist bekanntlich umstritten, ob ein auf Unrecht und Schuld beruhendes materielles Unternehmensstrafrecht im deutschen Kriminal-justizsystem (denk-)möglich ist.21 Es ist bemerkenswert, dass die Argumente pro et contra Verbandsstrafbarkeit, die im Ab-schlussbericht der Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems, Ab-schnitt 12 Einführung einer Verbandsstrafe (Strafbarkeit juristischer Personen), März 2000 aus-getauscht worden sind, nur am Rande die dogmatischen Fragen der Handlungs-, Schuld- und Straffähigkeit von Verbänden betreffen. 2 Den beiden „klassischen“ Monographien von Busch Grundfragen der strafrechtlichen Verant-wortlichkeit der Verbände, 1933; R. Schmitt Strafrechtliche Maßnahmen gegen Verbände, 1958 ist seit den 1990er Jahren eine kaum mehr überschaubare Literaturfülle gefolgt. Siehe aus der monographischen Literatur (Auswahl) Bosch Organisationsverschulden in Unternehmen, 2002; Ehrhardt Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafrecht, 1994; Eidam Unternehmen und Strafe, 1993, 3. Aufl. 2008 sowie Straftäter Unternehmen, 1997; v. Freier Kritik der Ver-bandsstrafe, 1998; Haeusermann Der Verband als Straftäter und Strafprozesssubjekt, 2003; HeineDie strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, 1995; Hirsch Die Frage der Straffähig-keit von Personenverbänden, 1993; Otto Die Strafbarkeit von Unternehmen und Verbänden, 1993; H.-J. Schroth Unternehmen als Normadressaten und Sanktionssubjekte, 1993; SchünemannUnternehmenskriminalität und Strafrecht, 1980. Siehe aus der Aufsatzliteratur (Auswahl) Bösein: FS Jakobs, 2007, S. 15ff.; Dannecker GA 2001, 101ff.; Jakobs in: FS Lüderssen, 2002, S. 559ff.;

Kapitel in diesem Buch

  1. Frontmatter i
  2. Vorwort v
  3. Inhalt vii
  4. Die Autoren und die Herausgeber xi
  5. Einführung
  6. Unternehmensstrafrecht – Der Blick des Wirtschaftsrechtlers auf das Thema 3
  7. Ausgangspunkte für eine strafrechtliche Unternehmenshaftung
  8. Gesellschaftliche Impulse für eine stärkere Gemeinwohlorientierung von Unternehmen 7
  9. Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Verbänden – rechtstheoretische Prolegomena 13
  10. Die gegenwärtige Rechtslage und ihre Entwicklung
  11. Die Haftung von Unternehmen nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten 23
  12. Im Straf- und Strafprozessrecht geregelte Sanktionen gegen Unternehmen 37
  13. Hundert Jahre Erfahrung mit einem Unternehmensstrafrecht in den USA 55
  14. Die strafrechtliche Haftung von juristischen Personen nach spanischem Strafrecht 59
  15. Interdisziplinäre Grundfragen einer strafrechtlichen Unternehmenshaftung
  16. Kollektive und institutionelle Verantwortlichkeit aus soziologischer und philosophischer Perspektive 73
  17. The aggregative Model: Jenseits von Fiktionen und Surrogaten 79
  18. Das interpretatorische Konstrukt „Unternehmen“ hinter der „Unternehmenskriminalität“ 111
  19. Was ist ein Unternehmen aus psychodynamischer Sicht und wie sollte es haften? – Unternehmensstrafrecht aus Sicht von Behavioural Economics und Behavioural Strategy 153
  20. Das Verhältnis zwischen Zuschreibung und Fakten in einem Unternehmensstrafrecht 175
  21. Konzepte eines Unternehmensstrafrechts im Kriminaljustizsystem
  22. Schwerpunkte
  23. Ziele eines Unternehmensstrafrechts und die Frage seiner Vereinbarkeit mit dem Verfassungsrecht 195
  24. Unrecht und Schuld in einem Unternehmensstrafrecht 205
  25. Deliktskataloge für eine Verbandsstrafbarkeit 217
  26. Strafzwecke und Sanktionsarten in einem Unternehmensstrafrecht 231
  27. Akzessorische, subsidiäre oder exklusive strafrechtliche Haftung des Unternehmens 253
  28. Zielkonflikt – Unerwünschte Nebenfolgen eines Unternehmensstrafrechts 263
  29. Modelle
  30. Gedanken zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Unternehmens 271
  31. Unternehmensstrafrecht – auch in Deutschland? 277
  32. Überlegungen zur strafrechtlichen Verantwortung des Unternehmensträgers 285
  33. Bestrafung von Unternehmen – Abkehr vom Schuldstrafrecht 311
  34. Festung Unternehmen oder System von Schlüsselfunktionen – ein Diskussionsbeitrag zum Thema Risiko, Haftung und Unternehmensstrafrecht 321
  35. Verfahrensrecht – Ausgewählte Fragen
  36. Verdachtsschöpfung und Unternehmensberatung 335
  37. Die Beschuldigtenrechte in einem Strafverfahren gegen Unternehmen 347
  38. Probleme des Zugriffs auf Beweismaterial bei Rollenkonflikten von Verbandsmitgliedern 361
  39. Die Hauptverhandlung gegen ein Unternehmen 373
  40. Verfahrensrecht – Ausgewählte Fragen
  41. Ausbau der wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Unternehmenshaftung 379
  42. Interventionsrecht gegen Unternehmen? – Skizze eines neuen Haftungstypus 387
  43. Ausblick
  44. Ein europäisches Unternehmensstrafrecht? 395
  45. Strafbarkeit der juristischen Person – Illegitimes Kind des Strafrechts? Nachlese einer Diskussion 403
  46. Teilnehmer des 4. ECLE Symposions 18. & 19. November 2011 411
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