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§ 46 Das Abstraktionsprinzip

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§ 46 Das AbstraktionsprinzipDie besondere Schwierigkeit, die das Abstraktionsprinzip in der Fallbearbeitung bereitet, rührt nicht zuletzt daher, dass es nicht ausreicht, den Inhalt dieses Prinzips losgelöst vom konkreten Fall zu kennen, sondern dass es entscheidend auf die rei-bungslose Anwendung ankommt. Das gilt zwar auch sonst im Zivilrecht, führt jedoch gerade im Umgang mit dem Abstraktionsprinzip nicht selten zu einem drastischen Auseinanderfallen und damit zu Widersprüchlichkeiten im Gutachten. So begegnet es nicht selten, dass sich an einer heiklen Stelle, die der Bearbeiter durchaus als solche erkannt haben mag, der Satz findet: „Nach dem Abstraktionsprinzip sind Verpflich-tungs- und Verfügungsgeschäft streng voneinander zu trennen.“ Das ist, wie sogleich zu zeigen sein wird, nicht ganz richtig, hat doch der Verfasser damit nur das Tren-nungsprinzip beschrieben. Nicht selten folgt auf einen solchen Satz ein Verstoß gegen das Abstraktionsprinzip. Daher soll zunächst der Unterschied zwischen Tren-nungs- und Abstraktionsprinzip dargestellt werden.¹I. Trennungs- und AbstraktionsprinzipDie Begriffe Trennungs- und Abstraktionsprinzip werden häufig nicht hinreichend deutlich unterschieden oder pauschal gleichgesetzt.² Am einfachsten macht man es sich, wenn man davon ausgeht, dass das Trennungsprinzip zunächst nur besagt, dass das Bürgerliche Recht zwischen Verpflichtung und Verfügung unterscheidet.³Die Verfügung über Sachen und Rechte erfolgt demnach durch ein eigenständiges Rechtsgeschäft, so dass das Verfügungsgeschäft im Rechtssinne eigenständig exis-tiert. Das Abstraktionsprinzip geht demgegenüber noch darüber hinaus: Die Ver-fügung kann wirksam sein, obwohl das zugrundeliegende Verpflichtungsgeschäft unwirksam ist. Das Abstraktionsprinzip ist so gesehen die vollendete Durchfüh-rung des Trennungsprinzips.1 Monographisch zum Abstraktionsprinzip Stadler, Gestaltungsfreiheit und Verkehrsschutz durch Abstraktion, 1996; lehrreich Schreiber/ Kreutz, Jura 1989, 617; auch Strack, Jura 2011, 5.2 Vgl. dazu die mannigfachen Nachweise bei Jauernig, JuS 1994, 721.3Wolf/ Neuner, § 29 Rn. 23; näher zur Unterscheidung von Verpflichtung und Verfügung Petersen, Rn. 22 f.; beide Typen anschaulich dargestellt bei Schwab/ Löhnig, Rn. 419 ff. (Kapitel 2).4 Treffend Habersack, Sachenrecht, 7.  Auflage 2012, Rn. 28: „Die Trennung zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft ist keineswegs so lebensfremd, wie es auf den ersten, durch das Bild vom Zeitungs- oder Brötchenkauf geprägten Blick erscheinen mag.“5Grigoleit, AcP 199 (1999), 379, 380.6 Vgl. Mugdan, Band  1, S. 422: „Die Parteien mögen bei einem dinglichen Vertrage verschiedene Rechtsgründe vorausgesetzt haben oder der von ihnen vorausgesetzte Rechtsgrund mag nicht vorhan-den oder ungültig sein, die Wirksamkeit des dinglichen Vertrags wird dadurch nicht ausgeschlossen.“7Larenz, Schuldrecht II/1, 13. Auflage 1986, § 39 II d; es geht zurück auf Savigny; vgl. dazu Felgentrae-ger, Friedrich Carl von Savignys Einfluß auf die Übereignungslehre, 1927.12

§ 46 Das AbstraktionsprinzipDie besondere Schwierigkeit, die das Abstraktionsprinzip in der Fallbearbeitung bereitet, rührt nicht zuletzt daher, dass es nicht ausreicht, den Inhalt dieses Prinzips losgelöst vom konkreten Fall zu kennen, sondern dass es entscheidend auf die rei-bungslose Anwendung ankommt. Das gilt zwar auch sonst im Zivilrecht, führt jedoch gerade im Umgang mit dem Abstraktionsprinzip nicht selten zu einem drastischen Auseinanderfallen und damit zu Widersprüchlichkeiten im Gutachten. So begegnet es nicht selten, dass sich an einer heiklen Stelle, die der Bearbeiter durchaus als solche erkannt haben mag, der Satz findet: „Nach dem Abstraktionsprinzip sind Verpflich-tungs- und Verfügungsgeschäft streng voneinander zu trennen.“ Das ist, wie sogleich zu zeigen sein wird, nicht ganz richtig, hat doch der Verfasser damit nur das Tren-nungsprinzip beschrieben. Nicht selten folgt auf einen solchen Satz ein Verstoß gegen das Abstraktionsprinzip. Daher soll zunächst der Unterschied zwischen Tren-nungs- und Abstraktionsprinzip dargestellt werden.¹I. Trennungs- und AbstraktionsprinzipDie Begriffe Trennungs- und Abstraktionsprinzip werden häufig nicht hinreichend deutlich unterschieden oder pauschal gleichgesetzt.² Am einfachsten macht man es sich, wenn man davon ausgeht, dass das Trennungsprinzip zunächst nur besagt, dass das Bürgerliche Recht zwischen Verpflichtung und Verfügung unterscheidet.³Die Verfügung über Sachen und Rechte erfolgt demnach durch ein eigenständiges Rechtsgeschäft, so dass das Verfügungsgeschäft im Rechtssinne eigenständig exis-tiert. Das Abstraktionsprinzip geht demgegenüber noch darüber hinaus: Die Ver-fügung kann wirksam sein, obwohl das zugrundeliegende Verpflichtungsgeschäft unwirksam ist. Das Abstraktionsprinzip ist so gesehen die vollendete Durchfüh-rung des Trennungsprinzips.1 Monographisch zum Abstraktionsprinzip Stadler, Gestaltungsfreiheit und Verkehrsschutz durch Abstraktion, 1996; lehrreich Schreiber/ Kreutz, Jura 1989, 617; auch Strack, Jura 2011, 5.2 Vgl. dazu die mannigfachen Nachweise bei Jauernig, JuS 1994, 721.3Wolf/ Neuner, § 29 Rn. 23; näher zur Unterscheidung von Verpflichtung und Verfügung Petersen, Rn. 22 f.; beide Typen anschaulich dargestellt bei Schwab/ Löhnig, Rn. 419 ff. (Kapitel 2).4 Treffend Habersack, Sachenrecht, 7.  Auflage 2012, Rn. 28: „Die Trennung zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft ist keineswegs so lebensfremd, wie es auf den ersten, durch das Bild vom Zeitungs- oder Brötchenkauf geprägten Blick erscheinen mag.“5Grigoleit, AcP 199 (1999), 379, 380.6 Vgl. Mugdan, Band  1, S. 422: „Die Parteien mögen bei einem dinglichen Vertrage verschiedene Rechtsgründe vorausgesetzt haben oder der von ihnen vorausgesetzte Rechtsgrund mag nicht vorhan-den oder ungültig sein, die Wirksamkeit des dinglichen Vertrags wird dadurch nicht ausgeschlossen.“7Larenz, Schuldrecht II/1, 13. Auflage 1986, § 39 II d; es geht zurück auf Savigny; vgl. dazu Felgentrae-ger, Friedrich Carl von Savignys Einfluß auf die Übereignungslehre, 1927.12

Kapitel in diesem Buch

  1. Frontmatter i
  2. Vorwort v
  3. Inhaltsverzeichnis vii
  4. Abkürzungsverzeichnis xxvii
  5. Literaturverzeichnis xxxi
  6. Erster Teil: Privatautonomie, Systematik und Anspruchsaufbau
  7. § 1 Die Privatautonomie und ihre Grenzen 3
  8. § 2 Allgemeiner Teil und Handelsrecht 10
  9. § 3 Die Entstehung und Prüfung von Ansprüchen 23
  10. § 4 Die Aufrechterhaltung des Primäranspruchs 33
  11. § 5 Einwendungen und Einreden 39
  12. § 6 Die Grenzen zulässiger Rechtsausübung 44
  13. § 7 Verjährung der Ansprüche 51
  14. § 8 Die Anspruchsgrundlagen des Allgemeinen Teils 63
  15. Zweiter Teil: Rechtsgeschäftslehre
  16. § 9 Der Tatbestand der Willenserklärung 79
  17. § 10 Die Wirksamkeit der Willenserklärung 87
  18. § 11 Die Auslegung von Rechtsgeschäften 99
  19. § 12 Das Zustandekommen des Vertrags 114
  20. § 13 Der Dissens beim Vertragsschluss 132
  21. § 14 Die Einbeziehung Allgemeiner Geschäftsbedingungen 135
  22. § 15 Faktische und fehlerhafte Vertragsverhältnisse 143
  23. § 16 Schweigen im Bürgerlichen Recht 148
  24. § 17 Schweigen im Handelsrecht 154
  25. § 18 Einseitige Rechtsgeschäfte 160
  26. § 19 Der Widerruf im Bürgerlichen Recht 170
  27. § 20 Die Geschäftsfähigkeit 178
  28. § 21 Der Minderjährige im Schuld- und Sachenrecht 186
  29. § 22 Der Minderjährige im Familien- und Erbrecht 195
  30. § 23 Die Irrtumsanfechtung 203
  31. § 24 Die Anfechtung wegen Täuschung und Drohung 216
  32. § 25 Die Form des Rechtsgeschäfts 230
  33. § 26 Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft 239
  34. § 27 Der Verstoß gegen die guten Sitten 246
  35. § 28 Bedingung und Befristung 252
  36. § 29 Die Teilnichtigkeit 258
  37. § 30 Die Umdeutung 263
  38. § 31 Die Bestätigung des nichtigen und anfechtbaren Rechtsgeschäfts 270
  39. § 32 Doppelwirkungen im Recht 274
  40. § 33 Unmittelbare und mittelbare Stellvertretung 282
  41. § 34 Stellvertretung und Botenschaft 290
  42. § 35 Das Offenkundigkeitsprinzip bei der Stellvertretung 294
  43. § 36 Bestand und Umfang der Vertretungsmacht 302
  44. § 37 Die Abstraktheit der Vollmacht 314
  45. § 38 Vertretung ohne Vertretungsmacht 325
  46. § 39 Die Haftung bei der Untervollmacht 331
  47. § 40 Insichgeschäfte 342
  48. § 41 Die Wissenszurechnung 348
  49. § 42 Die Vollmacht über den Tod hinaus 354
  50. § 43 Die Prokura 359
  51. § 44 Scheinvollmachten im Handelsrecht 364
  52. § 45 Handelsrechtlicher Verkehrsschutz 369
  53. Dritter Teil: Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte
  54. § 46 Das Abstraktionsprinzip 375
  55. § 47 Veräußerungs- und Verfügungsverbote 385
  56. § 48 Rechtsgeschäftliche Abtretungsverbote im Handelsrecht 389
  57. § 49 Die Verfügung eines Nichtberechtigten 393
  58. § 50 Der gute Glaube an die Verfügungsmacht im Handelsrecht 399
  59. Vierter Teil: Rechtssubjekte und Rechtsobjekte
  60. § 51 Personen und Sachen 409
  61. § 52 Die Rechtsfähigkeit des Menschen 419
  62. § 53 Namensrecht und Domain-Namen 423
  63. § 54 Das Firmenrecht zwischen Bürgerlichem Recht und Handelsrecht 432
  64. § 55 Verbraucher und Unternehmer 437
  65. § 56 Der Kaufmann 445
  66. § 57 Die rechtsfähige Personengesellschaft 451
  67. § 58 Das Vereinsrecht des BGB 456
  68. § 59 Das Stiftungsrecht des BGB 465
  69. Stichwortverzeichnis 471
  70. Gesetzesverzeichnis 481
Heruntergeladen am 23.9.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/9783110248012.375/html?lang=de&srsltid=AfmBOopYOBL0_dOmxkAvWj8M5fFKiSby0Mujj_M5v-P8tn_lZzl9B1A2
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