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Faszination und Faschismus in Alfred Döblins ›Epos der Moderne˓ Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf (1929)

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JUTTASCHLICHFaszination und Faschismus in Alfred Döblins ›Epos der Moderne‹ Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf(1929)Alfred Döblin (1878–1957) und der Berliner Alexanderplatz werden wechselweise miteinander konnotiert. Man könnte fast sagen, es handle sich um Synonyme. Mit seinem Roman Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf hat Döblin 1929 diesem Ort in Berlin seine Hand-schrift, seine Signatur aufgedrückt. Es ist von daher nur folgerichtig, wenn der Architekt Daniel Libeskind 1993, als er an einem Wettbewerb für die Wiederbebauung des Alexanderplatzes teilnahm, sich ganz konkret an der Hand von Alfred Döblin orientierte, um sich von ihr für seinen Entwurf inspirieren zu lassen. Gänzlich unesoterisch, sondern im Gegenteil ganz realistisch an der städtebaulichen Integration des Traumas Holocaust inte-ressiert, auf der Suche nach der Geschichte dessen, was seiner Meinung nach in Berlin »zu etwas scheinbar Geschichtslosem traumatisiert worden [ist]«,1 erblickte Libeskind in Döblins Hand die »›Handfläche‹ des Alexan-derplatzes«.2 Hier erkannte Libeskind »die Lebenslinien, die Liebeslinien, die Linien des Todes und die Linien der Arbeit«.3 Döblins Hand wurde Libeskind zur »menschliche[n] Matrix« für die Gestaltung einer trauma-tisch bedingten Leere des historischen Bewusstseins, »die – gerade weil sie in der Vergangenheit begründet ist – in die Zukunft weist«.4Gezeichnet von einem strukturellen Trauma, gezeichnet von der Ab-wesenheit dessen, was im Dritten Reich geschehen ist, wäre der Alexan-derplatz in Berlin nur einer neben anderen Plätzen dieser Stadt und ande-rer Städte. Der Alexanderplatz in Berlin wurde einzig durch Döblin zu einem, wie Libeskind sagt, »halb-profanen öffentlichen Raum«,5 zu einem _____________ 1 Daniel Libeskind: trauma/void, in: Trauma. Zwischen Psychoanalyse und kulturellem Deutungsmuster. Hg. v. Elisabeth Bronfen, Birgit R. Erdle u. Sigrid Weigel. Köln, Weimar, Wien 1999, S. 3-26, hier S. 7. 2 Libeskind: trauma/void, S. 7. 3 Libeskind: trauma/void, S. 7. 4 Libeskind: trauma/void, S. 7. 5 Libeskind: trauma/void, S. 6.

JUTTASCHLICHFaszination und Faschismus in Alfred Döblins ›Epos der Moderne‹ Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf(1929)Alfred Döblin (1878–1957) und der Berliner Alexanderplatz werden wechselweise miteinander konnotiert. Man könnte fast sagen, es handle sich um Synonyme. Mit seinem Roman Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf hat Döblin 1929 diesem Ort in Berlin seine Hand-schrift, seine Signatur aufgedrückt. Es ist von daher nur folgerichtig, wenn der Architekt Daniel Libeskind 1993, als er an einem Wettbewerb für die Wiederbebauung des Alexanderplatzes teilnahm, sich ganz konkret an der Hand von Alfred Döblin orientierte, um sich von ihr für seinen Entwurf inspirieren zu lassen. Gänzlich unesoterisch, sondern im Gegenteil ganz realistisch an der städtebaulichen Integration des Traumas Holocaust inte-ressiert, auf der Suche nach der Geschichte dessen, was seiner Meinung nach in Berlin »zu etwas scheinbar Geschichtslosem traumatisiert worden [ist]«,1 erblickte Libeskind in Döblins Hand die »›Handfläche‹ des Alexan-derplatzes«.2 Hier erkannte Libeskind »die Lebenslinien, die Liebeslinien, die Linien des Todes und die Linien der Arbeit«.3 Döblins Hand wurde Libeskind zur »menschliche[n] Matrix« für die Gestaltung einer trauma-tisch bedingten Leere des historischen Bewusstseins, »die – gerade weil sie in der Vergangenheit begründet ist – in die Zukunft weist«.4Gezeichnet von einem strukturellen Trauma, gezeichnet von der Ab-wesenheit dessen, was im Dritten Reich geschehen ist, wäre der Alexan-derplatz in Berlin nur einer neben anderen Plätzen dieser Stadt und ande-rer Städte. Der Alexanderplatz in Berlin wurde einzig durch Döblin zu einem, wie Libeskind sagt, »halb-profanen öffentlichen Raum«,5 zu einem _____________ 1 Daniel Libeskind: trauma/void, in: Trauma. Zwischen Psychoanalyse und kulturellem Deutungsmuster. Hg. v. Elisabeth Bronfen, Birgit R. Erdle u. Sigrid Weigel. Köln, Weimar, Wien 1999, S. 3-26, hier S. 7. 2 Libeskind: trauma/void, S. 7. 3 Libeskind: trauma/void, S. 7. 4 Libeskind: trauma/void, S. 7. 5 Libeskind: trauma/void, S. 6.

Kapitel in diesem Buch

  1. Frontmatter i
  2. Inhalt vii
  3. Singularität und Typik – Epische Planspiele zwischen Adel und Bürgertum in Theodor Fontanes Effi Briest (1894/95) 1
  4. Sicherheit ist nirgends. Arthur Schnitzlers Monologerzählungen Leutnant Gustl (1900) und Fräulein Else (1924) 19
  5. »Unser moderner Dichter« - Thomas Manns Buddenbrooks. Verfall einer Familie (1901) 47
  6. Der Entwicklungsroman als Farce. Robert Walser: Jakob von Gunten. Ein Tagebuch (1909) 73
  7. Der Beginn der Moderne im Roman. Rainer Maria Rilkes Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge (1910) 87
  8. Carl Einstein: Bebuquin (1912) als Anti-Prometheus oder Plädoyer für das »zerschlagene Wort« 110
  9. Jäger der verlorenen Pace. Robert Müller: Tropen. Der Mythos der Reise. Urkunden eines deutschen Ingenieurs (1915) 128
  10. Kein romanhafter Leitartikel. Zur Virulenz der ästhetischen Moderne in Heinrich Manns Roman Der Untertan (1918) 154
  11. Anspruch auf Modernität und traditionelle Gebundenheit. Thomas Mann: Der Zauberberg (1924) 179
  12. Franz Kafka: Der Process (1925) - Gerichtstag über die Moderne 211
  13. Endlich besiegte Zeit. Hermann Hesses Roman Der Steppenwolf (1927) 238
  14. Faszination und Faschismus in Alfred Döblins ›Epos der Moderne˓ Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf (1929) 263
  15. Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften (1930/32) und der Modernismus aus englischer Sicht 308
  16. Ein Mann ohne Eigenschaften im Wartesaal Europas. Erich Kästners Fabian. Die Geschichte eines Moralisten (1931) 332
  17. Kultur der Oberfläche, Glanz der Moderne. Irmgard Keuns Roman Das kunstseidene Mädchen (1932) 349
  18. Wirklichkeit mit goldenem Firnis. Hans Fallada: Kleiner Mann - was nun? (1932) 368
  19. Späte Moderne. Joseph Roths Radetzkymarsch (1932) 391
  20. Backmatter 419
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