Home Silke van Dyk / Tilman Reitz / Hartmut Rosa, Nach dem Privateigentum? Güter, Infrastrukturen und Weltverhältnisse im Kapitalismus des 21. Jahrhunderts. Frankfurt/New York: Campus 2024, 248 S., br., 39,00 €
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Silke van Dyk / Tilman Reitz / Hartmut Rosa, Nach dem Privateigentum? Güter, Infrastrukturen und Weltverhältnisse im Kapitalismus des 21. Jahrhunderts. Frankfurt/New York: Campus 2024, 248 S., br., 39,00 €

  • Raphael Deindl EMAIL logo and Loren Grbic-Oberndorfer
Published/Copyright: October 20, 2025
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Soziologische Revue
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Silke van Dyk / Tilman Reitz / Hartmut Rosa, Nach dem Privateigentum? Güter, Infrastrukturen und Weltverhältnisse im Kapitalismus des 21. Jahrhunderts. Frankfurt/New York: Campus 2024, 248 S., br., 39,00 €


Die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus, wie sie sich in den vergangenen Jahren seit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 manifestiert hat, scheint nunmehr eine Grundfeste der kapitalistischen Gesellschaftsformation erfasst zu haben: das Privateigentum. So hat sich die Struktur von Eigentumsverhältnissen dahingehend verändert, dass „die Eigentümerschaft und insbesondere Besitzverhältnisse oft nicht mehr auf der Hand liegen“ (S. 9). Zugleich steht aber auch zur Debatte, ob Privateigentum überhaupt noch eine notwendige Voraussetzung ökonomischen Wachstums darstellt und inwieweit der Gegenwartskapitalismus auf nicht-eigentumsförmigen Arrangements beruht. Vor ebendiesem Hintergrund diskutieren Silke van Dyk, Tilman Reitz und Hartmut Rosa die gegenwärtige Krise des (Privat-)Eigentums aus soziologischer und gesellschaftstheoretischer Perspektive, wobei ihre Schwerpunkte auf den Bereichen Konsum (Rosa), Produktion (Reitz) und soziale Reproduktion (van Dyk) liegen. Die inhaltliche Klammer bildet die Frage, „ob das global triumphierende Privateigentum tatsächlich in eine Existenzkrise oder zumindest unter Transformationsdruck geraten ist“ (S. 11). Ihre Analysen sind Bestandteil des Sonderforschungsbereichs 294 Strukturwandel des Eigentums, der sich aus insgesamt 23 Teilforschungsprojekten zusammensetzt und dem sie als Sprecher:innen vorstehen.

Den Anfang macht Hartmut Rosa mit einem Beitrag zum Thema Eigentum als Weltverhältnis. Besitzen, Nutzen, Pflegen: Von possessiven zu partizipatorischen Weltbeziehungen? Im Rekurs auf sein Resonanzkonzept argumentiert dieser, dass moderne Gesellschaften auf einem spezifischen Modus „des ‚In-der-Welt-Seins‘ der Subjekte, ein[em] bestimmte[n] Weltverhältnis, das aus je charakteristischen Formen der Weltbeziehungen gebildet wird“ (S. 20), beruhen, die sich aus Sozial-, Ding- und Selbstbeziehungen zusammensetzen. Eigentum, das Rosa als eine „Form der Verfügbarmachung von Welt“ (S. 21) versteht, erweist sich als zentrale Hintergrundstruktur dieser Weltbeziehungsformen. Diese drei Dimensionen konstituieren in der modernen Gesellschaft ein sogenanntes „possessives Weltverhältnis“ (S. 30), das in der Spätmoderne in Bewegung geraten ist. Eigentumsstrukturen verändern sich in extensionaler Hinsicht, indem bestimmte Gegenstände in die Eigentumsform überführt werden und umgekehrt (z. B. Natur, Rohstoffe). Zugleich wandelt sich aber auch die intensionale Bedeutung des Eigentums, was sich darin niederschlägt, dass Subjekte nur mehr zeitlich begrenzte Nutzungsrechte an bestimmten Dingen erwerben: für Musik, Filme, Bücher, Kleidung, Fahrzeuge und/oder Immobilien. All diese Entwicklungen bewirken, dass sich „die Subjektivierungsqualität der Dinge zumindest verändert, wenn nicht reduziert. Selbstbeziehungen werden als (flexible) Nutzerbeziehungen konfiguriert“ (S. 40). Dieser Übergang von einem possessiven hin zu einem partizipativen Weltverhältnis kann jedoch, wie Rosa betont, nur bedingt als partizipativ gelten, da Nutzer:innenrechte nur dann verfügbar sind, wenn sie bezahlt werden. „Kurz gesagt: Man muss Kapital ‚haben‘, um (konsumatorische) Partizipation kaufen zu können. Und gewiss verfügt nicht jeder und jede über solches Kapital in ausreichendem Maße“ (S. 41). Da der Strukturwandel des Eigentums weder vollkommen neuartige noch sozial-ökologisch nachhaltige Sozial-, Ding- und Selbstbeziehungen hervorbringt, so Rosas Schlussfolgerung, bedingt dieser „kein alternatives, sondern eher ein radikalisiertes possessives Weltverhältnis“ (S. 42).

Unter dem Titel Das Gemeinsame, das Ausschließliche und das Unrentable. Funktionsprobleme des postindustriellen Kapitalismus befasst sich Tilman Reitz mit dem Verhältnis von kapitalistischer Produktionsweise und Eigentumsordnung, das durch die wachsende Bedeutung nicht-industrieller Güter zunehmend brüchig geworden ist. Ausgangspunkt bildet die „Figur untypischer Güter“ (S. 50), worunter all jene Produkte und Leistungen fallen, die unbegrenzt zur Verfügung stehen und/oder nicht vermehrt werden können. Nichtknappe, kostenfrei reproduzierbare Güter (Software), nicht vermehrbare Güter (Land) sowie nicht rationalisierbare Dienstleistungen (Pflege) führen zu einem Trilemma für die Produktionsweise, da sich mit ihnen nur bedingt „eine ähnlich systemtragende Profit- und Wachstumsdynamik erreichen [lässt] wie im industriellen Kapitalismus“ (S. 50).

Die mit dem Bedeutungszuwachs nicht-industrieller Güter verbundenen Verwertungsschwierigkeiten zeichnet Reitz anhand zahlreicher Beispiele wie etwa der Wissens- und Informationsökonomie, digitalen Plattformen, dem Logistik-Sektor, Forschung und Wissenschaft bis hin zu sozialen Dienstleistungen nach. Infolgedessen verändern sich die „Spielregeln des Kapitalismus“ (S. 73), so dass „fortgeschrittene Ökonomien nur noch zögerlich wachsen“ (S. 89). Am deutlichsten erkennbar wird dies laut Reitz am „Rentenbegriff“ (S. 100), der Einkünfte beschreibt, die ohne eigene Arbeitsleistung und unabhängig von bloßem Eigentum oder Besitz wichtiger Güter erzielt werden. Dieser Begriff bezeichnet den Modus, nach dem sich unterschiedliche Akteur:innen Teile des Mehrwerts aneignen – etwa „Anteilseignerinnen und Fondsmanager, Anlage- und Firmenberatungen, Werbe- und Verkaufsagenturen, Betreiber und Protagonisten kommerziell wichtiger Öffentlichkeiten, Unternehmen in staatlich finanzierten Aufgabenfeldern und viele andere mehr“ (S. 106). Abschließend diskutiert Reitz Möglichkeiten, um die Funktionsprobleme des post-industriellen Kapitalismus zumindest temporär zu bearbeiten. Neben der Entkopplung nützlicher Tätigkeiten von Profiten ließe sich dies durch Verknappung, Vergesellschaftung und/oder Abstufungen von Eigentum erreichen. Nach Reitz sei es jedoch unabdingbar, „dass bei nichtknappen oder absolut limitierten Gütern wie auch bei vielen zeitintensiven Leistungen das Profitziel selbst ausgeschaltet werden muss, wenn nicht Abschöpfungs- und Rentenstrategien vorherrschen sollen“ (S. 121).

In ihrem Beitrag Das Kollektive im Privaten. Privateigentum als Schuld an der Gesellschaft und eine neue Politik des Öffentlichen konzentriert sich Silke van Dyk auf Bereiche der sozialen Reproduktion und diskutiert deren Gefährdung durch radikalisiertes Privateigentum. Nach einer ausführlichen theoretischen und historischen Einordnung und Reflexion des realen wie auch fiktiven privaten Charakters des Privateigentums richtet van Dyk ihren Fokus auf die „kollektive Hinterbühne“ (S. 163) der Kapitalakkumulation – also auf all jene Arbeiten, die außerhalb von „regulär entlohnte[r] Erwerbsarbeit” (S. 144) liegen. Neben den Modi der Invisibilisierung, die den Anteil der vielen Nichteigentümer:innen am vermeintlich individuellen Privateigentum verschleiern, muss auch die Rolle des Staates hervorgehoben werden, der durch Steuersenkungen, Deregulierungen und Subventionen von Kapitalbesitzer:innen zu einer Radikalisierung des Privateigentums beiträgt und so die multiplen Krisendynamiken weiter vorantreibt. Auch das Konzept des kollektiven Anteils im Privateigentum wird von der Autorin einer sozialtheoretischen Analyse unterzogen. Auf die hier erkannten Leerstellen reagiert van Dyk mit Verweis auf eigene Analysen zur politischen Ökonomie des Community-Kapitalismus, der auf Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und sozialem Engagement beruht, zur Verzivilgesellschaftlichung der sozialen Frage beiträgt und so ein humaneres Narrativ des Gegenwartskapitalismus zeichnet. Van Dyks Antwort auf den Community-Kapitalismus ist eine „Reorganisation universeller Infrastrukturen in öffentlicher Verantwortung mit kollektivem Charakter” (S. 167). Diese sollen auf Basis von Vermögens- und Ertragsteuern, gedacht als „Begleichung der sozialen Schulden der Privateigentümer:innen” (S. 168), finanziert und in „zivilgesellschaftliche Kontrolle, Partizipation und (Selbst-)Verwaltung” (S. 172) übertragen werden. Abschließend wird der Argumentationsbogen wieder zum Beginn des Kapitels gespannt. Als Gegenmaßnahme zur Akzeptanz und Passivität von Ungleichheit hervorbringender Mechanismen müsse die Idee der Leistungsgerechtigkeit von der Fiktion der individuellen Leistungsfähigkeit gelöst und in ein kollektives Prinzip übersetzt werden.

Die zu Beginn des Buches aufgeworfenen Thesen und Fragen werden in den jeweiligen Kapiteln ausführlich diskutiert, wobei sich neben divergierenden inhaltlichen Akzentuierungen auch komplementäre Momente ergeben. So überschneiden sich die Beiträge in der Beobachtung des Trends hin zur Rentenextraktion sowie der Infragestellung von Privateigentum, wenn dieses immer weniger in Form von konkreten Gütern besteht und gleichzeitig die Infrastrukturen zur Bereitstellung dieser an Bedeutung gewinnen. Auch weisen alle Beiträge darauf hin, dass der zunehmende Bedeutungsverlust von Privateigentum nicht notwendigerweise zur Problembehebung schädlicher Effekte kapitalistischer Vergesellschaftung führen muss.

Neben einer Zusammenfassung der zentralen Annahmen wird im Abschlusskapitel auch ausführlich auf Kontroversen, empirische Gegentendenzen und offene Fragen hingewiesen, die internen Diskussionen der Autor:innen, aber auch der Arbeit im Sonderforschungsbereich entstammen. Kritisiert wird etwa Rosas positives Bild von Privateigentum und die von ihm nur am Rande betrachtete Beziehung zwischen „Verfügung und Sorge [und] Klassenverhältnissen, Rassismus und Sexismus” (S. 235). Als potentielle Leerstelle bei Reitz’ Krisendiagnose von nützlichen und profitablen Tätigkeiten wird hingegen die Ausblendung externalisierter Kosten beanstandet. Bei van Dyks Ausführungen zu alternativen Infrastrukturen wird wiederum die Realisierbarkeit des kollektiven und universellen Charakters dieser in Frage gestellt. Zur Kritik steht aber auch der allgemeine Fokus des Buches, der lediglich auf Problemen des Privateigentums liegt, während gleichzeitig auch eine anhaltende Stärkung und Ausweitung des Privateigentums zu beobachten ist. Hieraus ergibt sich für die Autor:innen die Frage nach der Beziehung zwischen Problematisierung und Radikalisierung: Denkbar sei ein dialektischer Zusammenhang genauso wie ein voneinander unabhängiger und parallel verlaufender Doppeltrend.

Die übergeordnete Frage bezüglich einer Welt nach (oder neben) dem Privateigentum wird von den Autor:innen einstimmig mit einem Plädoyer für Vergesellschaftung beantwortet, wobei es im Anschluss an die kritische Theorie darum gehe, „den Horizont alternativer Daseinsmöglichkeiten nicht voreilig zu beschränken“ (S. 248). Eine solche Alternative müsse „die Bedingungen der (Re-)Produktion, Organisation und Nutzung von Gütern und Dienstleistungen” (S. 246) kollektiv verfügbar machen, neben Risiken und Verantwortung auch Erträge und Verfügung sozialisieren, um das transformative Potential von Vergesellschaftung zu entfalten und gleichzeitig kritisch nach den Grenzen und der Reichweite dieser möglichen Transformation zu fragen.

Ungeachtet der Schwerpunktsetzungen bietet das Buch eine multiperspektivische Betrachtung des Strukturwandels von Privateigentum und liefert so nicht nur eine umfassende, sondern zugleich auch überzeugende Momentaufnahme parallellaufender Entwicklungen sowie aktueller (politischer) Diskurse rund um Eigentumsfragen. Zudem ist die selbstreflexive Herangehensweise hervorzuheben, so dass auch Probleme, Grenzen, offene Fragen sowie weiterführende Diskussionsbedarfe bezüglich der eigenen Forschung zur Sprache kommen.

Online erschienen: 2025-10-20

© 2025 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Downloaded on 15.11.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/srsr-2025-2049/html
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