Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft
Akademische Lebensläufe erzählen uns ebenso viel über die Person wie über ihr Fach und dessen Geschichte. Ute Frevert gab der Sozial- und Geschlechtergeschichte durch richtungsweisende Publikationen wichtige Impulse. Schon früh hat sie dabei auch die geschichtsbildende Kraft einzelner Gefühle herausgearbeitet und in ihrer historischen Gebundenheit verortet. Heute gilt die Historikerin hierzulande, aber auch weit über die deutschen Sprachgrenzen hinaus, als die einflussreichste Vertreterin einer neuen Forschungsrichtung: der Geschichte der Gefühle in der Moderne.
Dieser Band vereint 22 Texte: programmatische Aufsätze, die den Weg bahnten, anregende Einzelstudien und bislang unveröffentlichte Vorträge, die den Reiz und den Wert der Emotionsgeschichte belegen. In einem preisgekrönten sprachlichen Stil, gleichermaßen elegant wie präzise, präsentiert die Auswahl eine sorgsam komponierte Synthese aus drei Jahrzehnten, die von der Macht der Gefühle in der Geschichte zeugt.
Um sich ein Bild von den Problemen ihrer Gegenwart zu machen, zog es die Zeitgenossinnen und Zeitgenossen im fortgeschrittenen 20. Jahrhundert immer wieder in konkrete urbane Räume. Sie machten urbane Problemzonen wie periphere Großsiedlungen oder Barackenlager zu Experimentierfeldern für die Beobachtung von und Arbeit an gesellschaftlichen Veränderungen. Um diese Faszination geht es in der Studie von Christiane Reinecke, die darin für einen räumlich situierten, wissensbasierten Blick auf soziale Ungleichheit plädiert. Sie untersucht, wie sich in Frankreich und der Bundesrepublik der Umgang mit urbanen Problemlagen im Zeichen von urbaner Modernisierung, Dekolonisation und Deindustrialisierung wandelte. Den Abschied von der Klassengesellschaft und die ethnische Diversifizierung der westeuropäischen Gesellschaften seit den 1950er Jahren verankert sie im Nahraum Stadt und entwirft damit eine andere, urbane Erzählung sozialer Ungleichheit.
Lazarette prägten im Ersten Weltkrieg die Kriegserfahrung von Millionen deutscher Soldaten. Im Heimatlazarett trafen Verwundete und Kranke auf Militärärzte, Krankenschwestern und zivile Helfer, Inspekteure, Kriegsgefangene und Schaulustige. Alina Enzensberger spürt den Lazaretten an der Heimatfront als Übergangsräumen zwischen militärischer und ziviler Sphäre nach. Auf breiter Quellenbasis rekonstruiert sie Alltag und Erfahrung der Patienten, militärärztliche Disziplinar- und Propagandastrategien sowie Debatten um Kriegsneurosen, Invalidität und das Engagement der Zivilbevölkerung. Das Buch zeigt, wie sich die Lazarette zu umkämpften Räumen entwickelten, in denen militärische und zivile Akteure um Deutungshoheit, Gestaltungsspielräume und Aufenthaltsrechte konkurrierten. Anhand des Heimatlazaretts verhandelten sie moralische Fragen von Pflicht und Schuld im Krieg sowie von der zwiespältigen Rolle der Medizin zwischen humanitärem und militärischem Anspruch. Für die dem Buch „Übergangsräume. Deutsche Lazarette im Ersten Weltkrieg“ zugrunde liegende Dissertation wurde Alina Enzensberger 2019 mit dem Förderpreis für Militärgeschichte und Militärtechnikgeschichte ausgezeichnet sowie 2021 mit dem Förderpreis der Deutschen Gesellschaft für Krankenhausgeschichte.
Zwischen 1870 und 1937 wandelte sich das System der Unternehmenskontrolle im Deutschen Reich grundlegend. Während das Kaiserreich den Schutz des Aktionärs und der Aktionärsminderheiten betonte, büßten Aktionäre ihre Mitentscheidungsrechte in den 1920er Jahren ein, kompensiert wurden die Aktionäre mit strengeren Offenlegungsvorschriften. Gleichzeitig wandelte sich die Aktiengesellschaft von einem Eigentümerunternehmen zu einem managergeführten Großunternehmen. Felix Selgert untersucht den politischen und gesellschaftlichen Aushandlungsprozess, der zu diesem Ergebnis führte. Dabei zeigt sich, dass das Ergebnis der Verhandlungen zwischen politischen Entscheidungsträgern sowohl von Umweltbedingungen wie Finanz- und Wirtschaftskrisen als auch von Advokatenkoalitionen beeinflusst wurde. Neben Bankiers und Wirtschaftsverbänden taten sich dabei vor allem Rechtswissenschaftler und Journalisten hervor.
Im Stall von 1990 erinnerte wenig an das dortige Geschehen vierzig Jahre zuvor. Neue Tiere produzierten die begehrtesten Lebensmittel der Konsumgesellschaft, Fleisch, Milch und Eier, so günstig wie noch nie. Gleichzeitig verschwanden sie hinter die Kulissen des gesellschaftlichen Lebens. In beiden deutschen Staaten sahen Agrarpolitik, Tierzucht, Tiermedizin, Agrarwissenschaft und die Bauern und Bäuerinnen vor Ort in einer Rationalisierung der Tierhaltung die vielversprechendste Möglichkeit, Anschluss an die Entwicklungen der Wohlstandsgesellschaft zu halten. Veronika Settele untersucht die Entwicklung der industrialisierten Massentierhaltung und zeigt dabei zugleich, warum sie trotz ihrer enormen ökonomischen Erfolge seit den 1970er Jahren Gegenstand einer kritischen Diskussion wurde.
"Revolution im Stall" ist mit dem Förderpeis Opus Primum der VolkswagenStiftung 2020 für die beste wisschenschaftliche Nachwuchspublikation ausgezeichnet worden.
Der flämische Nationalismus stellt heute den Fortbestand des belgischen Staates infrage. Weitgehend unbekannt ist der deutsche Beitrag zu seiner Entstehung. Während des Ersten Weltkriegs betrieb das wilhelminische Kaiserreich eine sogenannte »Flamenpolitik«. Mit der Gründung der ersten flämischen Universität, der Teilung belgischer Ministerien in flämische und wallonische Behörden sowie der Gründung eines »Rates von Flandern« wurden unter deutscher Besatzung die Umrisse eines flämischen Nationalstaats geschaffen. Die Studie untersucht die Entstehung dieser »importierten Nation« und ihre Folgen von der Zwischenkriegszeit bis zur erneuten Besatzung Belgiens im Zweiten Weltkrieg. Sie beleuchtet damit ein wenig bekanntes Kapitel deutsch-belgischer Geschichte und wirft darüber hinaus die Frage nach der Bedeutung externer Akteure für die Entstehung nationaler Bewegungen auf.
Politische Eide dienen staatlicher Herrschaftssicherung und politischer Loyalitätsbildung. Dies gilt auch und gerade für Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert mit seinen zahlreichen politischen Umbrüchen und Verwerfungen: jedes politische System zwischen 1871 und der Gegenwart nutzte den Eid, um politische Treue seiner Staatsdiener zu generieren und zu festigen. Gerade der im Schwur angelegte Zugriff auf das Gewissen des Einzelnen machte den Eid zum Herrschaftsinstrument. Im Ritual des Eides bündeln sich Recht, Religion und Moral, geprägt von den jeweiligen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen. Im Sinne einer politischen Kulturgeschichte ermöglicht eine diachrone Analyse des politischen Eides zentrale Erkenntnisse über den Wandel von staatlichem Herrschaftsanspruch und politischer Loyalität sowie über das spannungsreiche Verhältnis zwischen Staat und Staatsbürger.
Der Band versammelt Hartmut Kaelbles wichtigste Aufsätze zur europäischen Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert. Die zentralen Themen sind dabei Familie, Bildung, soziale Ungleichheit und Wohlfahrtsstaat. Das Buch fragt nach gemeinsamen Eigenarten der europäischen Gesellschaften in diesem Zeitraum und danach, wie sich diese wandelten. Die Wechselbeziehungen und weiter bestehenden Unterschiede der französischen und deutschen Gesellschaft werden ebenso behandelt wie die Methode des historischen Vergleichs sowie dessen Veränderungen und Erweiterungen im europäischen Vergleichen seit den 1980er Jahren.
Bis heute gilt Deutschland als gelobtes Land der Musik. Herausragende Komponisten, gefeierte Interpreten und berühmte Orchester üben international eine große Anziehungskraft aus. Auf ihnen ruht zugleich das Selbstverständnis der Deutschen als einer besonders musikalischen Kulturnation. Das Fundament dieser Reputation bildeten seit dem 19. Jahrhundert Musiker und Musikerinnen in ihrer breiten Masse. Sie saßen in Orchestergräben oder spielten in Ensembles zum Tanz auf, gaben mit der Militärkapelle ein Gartenkonzert oder sorgten im Stummfilmkino für die musikalische Untermalung. Martin Rempe spürt ihren Lebens- und Arbeitswelten zwischen Kunst, Spiel und Arbeit nach. Mit dem detaillierten Porträt der Berufsgruppe in ihrem Streben nach sozialem Aufstieg und gesellschaftlicher Anerkennung wird erstmals eine Musikgeschichte ›von unten‹ vorgelegt, die das deutsche Musikleben im 19. und 20. Jahrhundert in einem neuen Licht erscheinen lässt.
Die Umweltbilanz der DDR fällt bitter aus. Doch während die vorhandenen Umweltprobleme in den achtziger Jahren in einen unversöhnlichen Konflikt zwischen dem SED-Staat und Teilen der Gesellschaft mündeten, hatte die Situation gut zwanzig Jahre zuvor ganz anders ausgesehen. Die Verabschiedung des Landeskulturgesetzes im Jahr 1970 markierte einen Aufbruch, der nicht nur eine Verbesserung der Umweltsituation in Aussicht stellte, sondern auch gesellschaftliches Umweltengagement gezielt förderte.
Die Studie untersucht die Möglichkeiten und Grenzen der Aushandlung von Umweltfragen in der sozialistischen Diktatur. Der Fokus ist auf die politische Kommunikation in Eingaben, gesellschaftliche Initiativen und die verschiedenartigen Räume des Mitmachens gerichtet. Auf diese Weise ist es nicht nur möglich, die Hintergründe des ökologischen Niederganges jenseits teleologischer Deutungsmuster ausgewogen darzustellen, sondern auch die Vielfalt des Umwelthandelns im Staatssozialismus zu beleuchten.
Die ersten, ab der Mitte des 19. Jahrhunderts gegründeten Nachrichtenagenturen schufen die Grundlage für die globale Informationsgesellschaft der Gegenwart. Indem die Agence Havas und Reuters, Wolff’s Telegraphisches Bureau und die Associated Press die Welt in Nachrichtenmonopole unterteilten und ihre Informationen systematisch austauschten, entwickelten sie Techniken zur Produktion verlässlicher Fakten. Volker Barth fragt danach, wie sich innerhalb eines hart umkämpften, globalen Marktes Kriterien objektiver Nachrichten herausbildeten, welchen Interessen diese entsprachen und welche Ziele sie verfolgten.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verwüsteten Epidemien der Schlafkrankheit weite Teile der europäischen Kolonialgebiete in Afrika. Diese akute Krise in den Krankheitsgebieten setzte eine ganze Reihe von Entwicklungen in Gang, deren Reichweite sich keineswegs auf den afrikanischen Kontinent beschränkte. Während in den Kolonien Zwangsuntersuchungen und -behandlungen der afrikanischen Bevölkerung eingeführt, Verkehrswege kontrolliert und ganze Landstriche evakuiert und umgestaltet wurden, formierte sich in Europa die Tropenmedizin als avantgardistisches Projekt an einer Schnittstelle von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Stellte die Konfrontation mit der Krankheit die Kolonialmächte zwar vor massive Schwierigkeiten, so öffnete sie gleichzeitig ein koloniales Experimentierfeld für Biomedizin, Pharma-Industrie und Administrationen. Die Studie beschreibt die Entstehung dieses neuen Forschungs- und Interventionsfeldes als eine europäische Verflechtungsgeschichte. Was sagen die Maßnahmen zur Bekämpfung der Krankheit über die imperiale Prägung moderner Biomedizin? Welche Dynamiken kolonialer Herrschaft und internationaler Politik lassen sich an ihnen ablesen? Anhand dieser Fragen öffnet die Studie das Thema nicht nur für medizinhistorische Zugriffe, sondern auch für aktuelle Fragen der Global- und Zeitgeschichte.
Der Band geht aus von der gegenwärtigen Klage über die „Selbstentmachtung des Staates“, deren Vorgeschichte er am Beispiel der Privatisierungsvorhaben der alten Bundesrepublik erzählt. Die Untersuchung setzt allerdings nicht in den siebziger Jahren ein, die gemeinhin als Auftaktphase der vielfach kritisierten „Selbstentmündigung“ des Staates gelten, sondern verfolgt deren Geschichte bis in die bundesrepublikanische Gründungsphase, die bereits erste größere Privatisierungsmaßnahmen kennzeichneten. Auf diese Weise werden sowohl langfristige Kontinuitätslinien als auch Bruchstellen sichtbar, die der Annahme eines unumkehrbaren staatlichen Rückzuges widersprechen. Außerdem geraten die behandelten Privatisierungsvorhaben als politische Projekte in den Blick, mit denen der Anspruch verbunden war, das Verhältnis von Staat und Wirtschaft verbindlich festzulegen. Dieses Buch erzählt die Geschichte der bundesrepublikanischen Privatisierungsprojekte mithin als Geschichte der Definitionen und Begründungen wirtschaftlicher Staatstätigkeit, die um die Frage kreisten: „Was soll und kann der Staat noch leisten?“.
Wenn in der Soziologie der Gegenwart Klassen nicht mehr die zentrale Kategorie sind, so haben sie doch die europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts geprägt. Sie sind als die Akteure und Resultate des industriellen Wandels, als Zeichen moderner Lebensweisen und als dynamische Faktoren des politischen Lebens gesehen worden. Dabei haben sie sich in der Regel scharfrandigen Definitionen entzogen und waren durch Mischformen geprägt, die am Beispiel des Kleinbürgertums dargestellt werden. Ihr Nebeneinander war weniger durch friedliche Arrangements gekennzeichnet als durch Konflikte, deren nationale Ausprägung und Dynamik besonders betont werden. Klassen entwickelten sich zwar im nationalen Rahmen, werden in ihrer Besonderheit aber erst verständlich, wenn sie durch einen international vergleichenden Blick in einen größeren Zusammenhang gestellt werden. Dieser international-geschichtliche Vergleich gehört mithin zum notwendigen Handwerkszeug des Sozialhistorikers und ist Gegenstand der hier als Sammelband veröffentlichen Aufsätze.
Welchen Ort hat das Wissen Afrikas und Asiens in den europäischen Wissenschaften? Wie wurde es zu Wissenschaft und welche historischen Konfigurationen waren dafür entscheidend? Diese Frage beantwortet Anne Kwaschik mit einer Genealogie der Area Studies, deren Konjunkturen im Kolonialismus und im Kaltem Krieg liegen. Die Autorin beleuchtet die Rolle der »Kolonialwissenschaften« für das Konzept im Westeuropa des 19. Jahrhunderts. Sie zeigt, wie es im 20. Jahrhundert in den USA sozialwissenschaftliche und wissenschaftspolitische Konturen annahm und wie diese wiederum die Etablierung der Area Studies in Westeuropa prägten.
Benno Nietzel zeichnet die Geschichte jüdischer Unternehmer aus Frankfurt am Main von den 1920er bis in die 1960er Jahre nach. Er untersucht Voraussetzung, Ausprägung und Folgewirkung des sozioökonomischen Umbruchs, den die Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit unter der NS-Herrschaft darstellte. Welche betriebswirtschaftlichen Behauptungs- und Überlebensstrategien entwickelten jüdische Unternehmer? Welchen Prozessen der Ausgrenzung und Verfolgung waren sie ausgesetzt? Was geschah im Krieg und in der Nachkriegszeit mit ihren Unternehmen?
Die heute weit verbreitete Nutzung digitaler Medien und ihre Möglichkeiten der Verbreitung und Vervielfältigung rücken geistige Eigentumsrechte in das Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit und machen sie zu einem permanenten Streitgegenstand – national, europaweit und international. Wie aber hat sich die globale Ausdehnung geistiger Eigentumsrechte seit dem späten 19. Jahrhundert entwickelt? Isabella Löhr zeigt in dieser Studie, wie eng die weltweite Einführung von Urheberrechten mit zwei anderen historischen Prozessen verknüpft war: Die Globalisierung von Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts führte zur Gründung und Expansion internationaler Organisationen, die den Eigentumsrechten erst einen organisatorischen Platz in der internationalen Politik gaben.
In Deutschland wird viel diskutiert – im Fernsehen und auf öffentlichen Podien, in Schulen und Universitäten, in Familien und Partnerschaften. Warum aber nehmen Menschen an solchen Gesprächen teil, welche kommunikativen Regeln bilden sich dabei heraus und wie hat sich die Bereitschaft zu diskutieren im Zeitverlauf verändert?
Nina Verheyen zeigt die »Diskursivierung« der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, die zunehmende Verbreitung und Aufwertung von mündlich geführten, argumentativen Gesprächen bis in die frühen siebziger Jahre. Sie nimmt Diskussionen vor allem als Machttechnik, als Instrument der Profilierung und der Distinktion in den Blick und verbindet Versuche der Westalliierten, die »Kunst der Diskussion« als demokratische Kulturtechnik zu vermitteln, mit dem Bemühen von 68erinnen und 68ern, alles zwanglos »auszudiskutieren«.
»Popular Conservatism« – konservative Traditionen in den englischen Unterschichten? Der ungestüme Patriotismus, die loyalistische Begeisterung für die Krone und der xenophobische Antikatholizismus der einfachen Engländer wurden in der Forschung lange vernachlässigt. In dieser Studie geht Jörg Neuheiser religiösen Aspekten der Protest- und Alltagskultur ebenso nach wie der konservativen Mobilisierung von gewöhnlichen Engländern in Wahlkämpfen. Lange bevor das Wahlrecht die Unterschichten erreichte, entdeckt er einen »Konservatismus von unten«, der das traditionelle Bild der englischen Unterschichten um eine neue Dimension bereichert.
Im 19. Jahrhundert entstand eine neue Sensibilität gegenüber der Nahrungsmittelqualität, die sich in einer breiten öffentlichen Debatte niederschlug. Die zunehmend industrialisierte Nahrungsmittelherstellung, unzählige neuartige Produkte und der wissenschaftliche Fortschritt erzeugten ein Gefühl der Unsicherheit bei den Verbrauchern.
Vera Hierholzer geht der Frage nach, wie die sich entfaltende Konsumgesellschaft mit dem wachsenden Misstrauen umging. Sie untersucht, welche neuen Formen der Vertrauenssicherung entstanden und nimmt nicht nur die Gesetzgebung, sondern auch Normsetzungen anderer Akteure in den Blick. Die Studie zeigt, dass sich im Zusammenspiel von Staat, Wissenschaft, Wirtschaft und Verbrauchern ein arbeitsteiliges Modell der Nahrungsmittelregulierung herauskristallisierte.
Seit ihrer Gründung im 18. Jahrhundert hat die Herrnhuter Brüdergemeine mit zivilgesellschaftlichem Engagement und internationalen Verbindungen eine wichtige Rolle innerhalb des Protestantismus gespielt. Wie ging die sozialistische Obrigkeit der DDR mit dieser pietistischen Gemeinschaft um? Wie gelang es den Herrnhutern, im Sozialismus zu überleben? Wie weit passten sie sich an und wie weit wurden Glaubenspraxis und Selbstverständnis modifiziert? Hedwig Richter wirft allgemeine Probleme des Verhältnisses zwischen Herrschaft und Gesellschaft in der Diktatur ebenso auf wie transfergeschichtliche Fragen nach den Möglichkeiten eines internationalen Austausches über den Eisernen Vorhang hinweg.
Warum haben die deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg so verbissen gekämpft, selbst als die Niederlage schon absehbar war? Und wie konnte es geschehen, dass so viele gewöhnliche Soldaten einen verbrecherischen Krieg unterstützten? Die Antwort liegt nicht nur im Antisemitismus oder im Befehlsgehorsam der Deutschen, sondern in ihrer Sehnsucht nach Gemeinschaft und in der Erfüllung dieser Sehnsucht inmitten massenhafter Gewalt und massenhaften Todes. Im Schnittfeld der neueren Kultur-, Geschlechter- und Militärgeschichte angesiedelt, zeigt dieses Buch, wie das mythische Leitbild der Kameradschaft die mentale Vorbereitung, die Erfahrung und schließlich die kollektive Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in Deutschland geprägt hat.
Freimaurer: Da denkt man zunächst an die Zeit der Aufklärung, an die »Zauberflöte« und geheimnisvolle Rituale. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Freimaurerlogen zu Räumen für das liberale und nationale Bürgertum. Stefan-Ludwig Hoffmann rekonstruiert die Innenwelt der Logen im 19. Jahrhundert und ihre Bedeutung für die deutsche Bürgergesellschaft. In der Geselligkeit der Logen sollten die Bürger Tugend und Bildung einüben, zu besseren Menschen werden – als Vorbild für die gesamte Menschheit. Wie vertrug sich dieser moralische Universalismus mit der Ausgrenzung von Juden, Sozialdemokraten, Katholiken und Frauen? Warum wurde die universale Mission zunehmend der eigenen Nation zugeschrieben? Als der Erste Weltkrieg Begriffe wie »Humanität« und »Zivilisation« diskreditiert hatte, wirkten die Logen wie Relikte einer untergegangenen Welt. Umso interessanter ist ein Blick auf die Logen des 19. Jahrhunderts, auf den Wunsch, die Menschheit zu verbessern, und auf die gegenteiligen Ergebnisse, die dieser Wunsch zeitigen konnte.
Ausgezeichnet mit dem Hedwig-Hintze-Preis 2002