Editorial
In der Werkstoffwissenschaft vollzieht sich gegenwärtig eine bedeutende Erweiterung der in die Forschung einbezogenen Stoffsysteme, Technologien und Untersuchungsmethoden. Ursachen dafür sind vielfältiger Natur, wie z. B. das gewachsene werkstoffwissenschaftliche Verständnis durch die Möglichkeit der Modellierung und Simulation von Stoffsystemen, neue physikalische und chemische Präparations- und Analytikmethoden und nicht zuletzt die Anforderungen des Marktes. Vor allem steht aber auch der sich nicht erschöpfende Drang des Naturforschers und Ingenieurs, mit diesen Möglichkeiten zu neuen Ufern vorzustoßen. Ein interessantes Beispiel bieten hierfür die sinter- und pulvermetallurgisch hergestellten Materialien.
Im folgenden kommen Autoren zu Wort, die auf unterschiedlichsten Gebieten dazu Beiträge geleistet haben. Ihnen gemeinsam ist, daß sie in ihrem Forschungsfeld mit Herrn Prof. Dr.-Ing. habil. Dr.-Ing. E.h. Werner Schatt in den letzten 30 Jahren in zeitweise enger Verbindung gestanden haben. Ihre Arbeiten können als eine praktische Umsetzung eines Gedanken verstanden werden, der von Werner Schatt in seiner „Einführung in die Werkstoffwissenschaft“ wie folgt formuliert worden ist: „Die Entwicklung der Werkstoffwissenschaft zeigt eine zunehmende Tendenz, das Werkstoffeigenschaftsbild über die Ausbildung von bisher (auf das jeweilige Material bezogen) ungewohnten Zuständen mehr oder weniger einschneidend zu verändern. Die Inhalte der ehemals durch menschliche Erfahrung geprägten Begriffe, die in der Vorstellung auch mit bestimmten sich dahinter verbergenden Zuständen verknüpft sind, wie z. B. Metall - kristallin oder Glas – amorph, erweitern sich ständig. … Voraussetzung für solche Entwicklungen sind immer Technologien, die es gestatten, extreme Parameter (wie höchste Abkühlgeschwindigkeit) sowie geeignete Wirkmechanismen (z. B. gesteuerte Kristallisation) zur Geltung zu bringen. Dabei ist die Zahl entsprechender Wirkmechanismen offensichtlich relativ gering, aber ausreichend, um ein breites Band thermodynamisch metastabiler Zustände herstellen zu können und damit die herkömmliche Anschauung, daß Zustände und das diesen zugehörige Verhalten ein für allemal Eigenschaften des Materials (gemäß seiner chemischen Zusammensetzung) seien, zu verdrängen. Die Nutzung einer verhältnismäßig eng begrenzten Zahl von Wirkmechanismen einerseits und die bei Verfügbarkeit geeigneter Technologien zunehmende Zahl der im Einzelfall einstellbaren Werkstoffzustände andererseits sind gleichbedeutend mit einer Erhöhung des Verflechtungswie auch Verallgemeinerungsgrades der elementaren Vorgänge und ihres Verständnisses.“
Werner Schatt hat bei der Beschäftigung mit diesen Problemen mit aller Konsequenz darum gerungen, das nach sei-At present, materials science is experiencing a significant expansion in research involving material systems, technologies and investigation procedures. Diverse reasons account for this development, such as an enhanced understanding of materials science due to the possibility of modelling and simulating material systems, as well as new physical and chemical preparation and analysis methods. Finally, there is the demand of the industrial market. But foremost it is the untiring effort of the scientist and engineer to reach new horizons exploiting these possibilities. Interesting examples are materials created in the field of sintering and powder metallurgy.
In the following contributions, the authors will present what they have achieved in their very diverse fields. All of them have on occasion been in close connection to Prof. Dr.- Ing. habil. Dr.-Ing. E.h. Werner Schatt over the past 30 years, respective to their fields of research. Their work can be regarded as the implementation of a concept formulated by Werner Schatt in the introduction to his book “Werkstoffwissenschaft” which can be understood as follows: “In the evolution of materials science the creation of hitherto unknown states (in relation to the respective materials) is causing far reaching changes for the definition of a material so far characterised by way of its properties. The concept’s content, formerly influenced by human experience is continually expanding together with the states usually associated with the concept, e.g. metal is crystalline or glass is amorphous. Prerequisites for such development are technologies that permit extreme parameters (high cooling rates) and enable the use of adequate basic mechanisms (e.g. controlled crystallisation). Admittedly, the number of respective basic mechanisms is small in relation, but sufficient to create a broad range of thermodynamic and metastable states so that the customary view that states and state-related behaviour are properties inherent to materials (i.e. according to their chemical composition) is not definitive. However, a limited number of basic mechanisms applicable to diverse material systems on one hand, and a growing number of states adjustable in the isolated case due to suitable technologies on the other, increase the complexity of the basic processes as well as of their understanding.”
Werner Schatt preoccupied by these problems, vied persistently to convey “a detached and more general view of the fundamental observed in a specific case. Basically it involves an idea expressed half a century ago by Frenkel that the key factor in the sintering process is the viscosity of the contact region. Which is why in his two-sphere particle model, independent of whether it is a crystalline or an amorphous material, he assumed the dominant factor of maner Meinung „aus einer vom konkreten Fall etwas abgehobeneren Sicht Wesentlichste noch einmal wiederzugeben. Es beinhaltet im Prinzip nichts weiter als die von Frenkel schon vor rund einem halben Jahrhundert geäußerte Idee, daß das Entscheidende beim Sintern die Viskosität der Kontaktsubstanz sei, weshalb er auch für das von ihm kreierte Zweikugelteilchenmodell unabhängig davon, ob es sich um ein kristallines oder amorphes Material handelt, als dominierenden Materialtransport im Kontaktbereich Fließen angenommen hat. Ein Fortschritt besteht freilich insofern, als dank der heute zur Verfügung stehenden Methoden der Experimentiertechnik und Zustandsdiagnostik dieser Gedanke durch experimentelle Befunde und den Zustand betreffende Messungen gestützt wird“ (aus W. Schatt „Sintervorgänge“).
In den folgenden Beiträgen dieses Heftes wird überzeugend deutlich, daß man in der Tat mit einer solchen Position auch stofflich unterschiedliche Phänomene in einem naturwissenschaftlich einheitlichen Bild – die Aktivierung des Massetransports im Teilchenkontaktbereich – verstehen kann. In dem Beitrag von Gille, Leitner und Hermel wird gezeigt, wie das klassische Zweiteilchenmodell auf das Hartmetall WC–Co übertragen werden kann, wobei die Untersuchungen durch moderne thermoanalytische Methoden experimentell unterstützt werden. Das Potential der Co-Basis- und Ni-Basis–Hartmetalle ist, wie die Entwicklung auf dem Werkzeugwerkstoffgebiet beweist, bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Ein Weg dahin führt über ein verbessertes Verständnis des Phasendiagramms der ternären Phasen Co–Ti–W, Ni–Ti–W entsprechend der Beiträge von Chen, Ettmayer und Lengauer. Ebenfalls dem Flüssigphasensintern widmet sich der Beitrag von Böhm und Kieback mit dem Ziel, zu hochtemperaturbeständigen Ti–Al-Werkstoffen zu kommen. Das interessante Wechselspiel zwischen reaktivem Sintern und der Ausbildung einer temporären Flüssigphase führt zu Besonderheiten der Gefügeentwicklung, die sich in einem abnormen Schwellverhalten äußert. Aus dessen mikromechanischer Erklärung wurde ein Vorschlag zum schwellungsfreien Sintern abgeleitet.
Erstaunlich ist es, daß auch beim mechanischen Verdichten von flüssigen keramischen Prekursoren beim Trocknen Erscheinungen beobachtet werden, die wiederum auf viskose Verformungen am Teilchenkontakt hinauslaufen. In der Arbeit von Lampenscherf und Pompe wird dafär ein neues Modell entworfen.
Anliegen Werner Schatts war es stets, Modellvorstellungen zu theoretisch vorausgesagten Prozessen am Teilchenkontakt mit sich neu anbietenden metallphysikalischen Methoden zu beweisen. Ullrich und Mitarbeiter wandten dafär die Kosseltechnik an. In dem hier vorgestellten Beitrag werterial transport in the contact area to be creep. Of course there has been progress in as much as this idea can today be corroborated by experimental results and measurements regarding the materials state, thanks to the advanced experimental methods and diagnostic techniques which we can use.” (from W. Schatt “Sintervorgänge”).
The following contributions to this issue will convincingly make clear that from such a viewpoint it is also possible to integrate phenomena from diverse materials into a single scientific concept – “Activation of mass transport in the contact area of particles”.
The article by Gille, Leitner and Hermel shows how the classical two-particle model can be applied to WC–Co, supported by modern thermoanalytical methods. The potential of cobalt-based as well as nickel-based hard alloys is not yet fully exploited as is evident in the development on the field of tools materials. A step in this direction has been taken in the contribution by Chen, Ettmayer and Lengauer which helps to improve the understanding of phase diagrams of ternary phases such as Co–Ti–W and Ni–Ti–W. Likewise, the article by Böhm and Kieback is dedicated to fluid phase sintering targeted to achieve high temperature Ti–Al-alloys. The interesting interplay between reactive sintering and the development of a temporary fluid phase leads to specific features in the microstructure which is exhibited as an abnormal swelling behaviour. The explanation was found by micromechanical assessment. From that a suggestion for manufacturing of a swelling free material has been derived.
It is astonishing that even in the course of mechanical densification of liquid ceramic precursors phenomena can be observed that result from a viscous deformation at the particle contact area. In their work Lampenscherf and Pompe have developed a new model in which this is indicated.
W. Schatt’s concern always was to be able to prove theoretical model conceptions of processes in the particle contact area using advanced metalphysical methods. In this spirit Ullrich and co-workers made use of the Kossel technique. In their contribution presented here, possible extensions by utilising synchrotron radiation are introduced.
Materials with specific properties, produced with powder metallurgy techniques open new horizons to the engineer in the field of functional materials. Two representative examples are given in the items by Stadelmeier, Reinsch and Petzow and by Sauer et al. The former work concerns magnetic materials created by powder metallurgy and the latter deals with dispersion strengthened copper alloys. Likewise, Treppmann, Hornbogen and Wenzel present metastable microstructures, though not produced by powder metallurgy, regarding the shape-memory effect in titanium-based alloys. Metastable den mögliche Erweiterungen unter Nutzung von Synchrotronstrahlung vorgestellt.
Werkstoffe mit besonderen Eigenschaften, hergestellt über die pulvermetallurgische Route, eröffnen dem Ingenieur neue Wege vor allem auf dem Gebiet der Funktionswerkstoffe. Mit den Beiträgen von Stadelmeier, Reinsch und Petzow zu pulvermetallurgisch hergestellten Magnetwerkstoffen sowie von Sauer et al. zu dispersionsverfestigten Kupferlegierungen werden zwei repräsentative Beispiele vorgestellt. Ebenfalls metastabile Gefügezustönde, wenn auch nicht pulvermetallurgisch erzeugt, stehen im Aufsatz von Treppmann, Hornbogen und Wenzel über den Formgedächtniseffekt bei Ti-Basis-Legierungen im Blickpunkt. Metastabile Gefügezustände werden natürlich auch genutzt, um Eigenschaftsverbesserungen von pulvermetallurgisch hergestellten KonstruktionsWerkstoffen zu erreichen, wie es im Beitrag von Danninger et al. am Beispiel von molybdänlegiertem Sinterstahl verdeutlicht wird.
Mit der Erweiterung der physikalischen Methoden werden Fragen einer Gefügeentwicklung, wie wir sie beim klassischen Sintern kennen, heute auch in ganz anderen Gebieten gestellt. In dem Aufsatz von Boiko et al. wird die Entwicklung von Poren unter energiereicher Ionenbestrahlung studiert. Ähnliche Prozesse fern vom Gleichgewicht werden bei der selbstausbreitenden Hochtemperatursynthese genutzt. Ge, Li und Cao stellen hierzu Ergebnisse zum System SiC – TiN vor. Gleichermaßen gleichgewichtsfern verläuft bei Raumtemperatur die Gefügeausbildung von Metall/Keramik- Schichten mit Hilfe der bekannten elektrochemischen Abscheidung. Neuland wird beschritten, wenn mit dieser Methode von Worch und Scharnweber auch Ti/TiO2/Bio- polymer-Verbunde hergestellt werden.
Wir wissen, daß Werner Schatt alle diese Entwicklungen, an denen er in den letzten 40 Jahren wesentlich mitgewirkt hat, auch als Emeritus mit großer Anteilnahme begleitet. Sein Rat wird auch künftig von allen Fachkollegen dankbar aufgenommen werden. microstructures are naturally also used to improve the properties of structural materials made by powder metallurgy. In the work of Danninger et al. this is elucidated in the case of molybdenum alloyed sintered steel.
W. Pompe, H. Worch, Dresden
With advanced physical methods, questions concerning microstructure development already known from classical sintering, can be applied nowadays also in very other fields. In the report by Boiko et al. pore development under high energy ion-irradiation has been studied. Similar processes far from equilibrium are used for materials preparation via combustion synthesis. Ge, Li and Cao present results introducing SiC–TiN systems. The microstructure formation of metal-ceramic layers also develops far from equilibrium with the well known electrochemical precipitation procedure at room temperature. Unknown territory is entered with the development of Ti/TiO2-biopolymer composites using this method, which has been carried out by Worch and Scharnweber.
Werner Schatt has substantially participated in these developments over the past 40 years and we are certain he will continue to do so as professor emeritus. His advice will also in future be received gratefully from his colleagues.
W. Pompe, H. Worch, Dresden
© 1998 Carl Hanser Verlag, München
Articles in the same Issue
- Frontmatter
- Editorial
- Editorial
- Aufsätze
- Schwindungsverhalten von WC–Co Hartmetallen
- Melting Behaviour of (Ti, Mo)C–Co and (Ti, W)C–Co Alloys
- Melting Behaviour of (Ti, Mo)C–Ni and (Ti, W)C–Ni alloys
- Investigation of Swelling Behaviour of Ti–Al Elemental Powder Mixtures During Reaction Sintering
- Mechanical Behaviour of Granular Ceramic Films During Drying
- Grundlagen und neue Anwendungen der Kossel-Technik in der Materialforschung
- Samarium-Cobalt Phase Equilibria Revisited; Relevance to Permanent Magnets
- Dispersion Strengthening of Copper Alloys
- Thermomechanical Treatment of Shape Memory Alloys by Ausforming and Marforming
- High Cycle Fatigue Behaviour of Mo Alloyed Sintered Steel
- The Evolution of a Single Void under Irradiation
- Thermodynamics and Combustion Synthesis of Si–TiC–N and Si–TiO2–N
- Biologisierte Titanwerkstoffe
- Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Materialkunde e.V.
- Zeitschrift für
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