Home Law V. Mark = Mark. Die deutsche Hyperinflation und ihre Auswirkungen auf das niederländische Recht
Article Open Access

V. Mark = Mark. Die deutsche Hyperinflation und ihre Auswirkungen auf das niederländische Recht

  • Willem van Boom and Emanuel van Dongen
Published/Copyright: July 11, 2025

Summary

Just over a century ago, Germany suffered devastating hyperinflation. The economic and social upheaval was unprecedented. The Netherlands were largely spared the direct consequences. In economic and legal terms, the Netherlands felt the effects of hyperinflation indirectly; for example, in the form of disputes between creditors with claims for money denominated in German Marks and the debtors of these claims. One such case resulted in the well-known Mark = Mark judgment (1931) of the Dutch Supreme Court. This article presents the background to this case and examines the hyperinflation problem in its contemporary legal context. First, this article places the established reading of the judgment in the legal context of the time by means of detailed legal-historical comments. The common reading is that the judgment focuses on the principle of nominalism and rejects the doctrine of the limiting effect of what we now call reasonableness and equity, good faith. Second, we show that this judgment was not groundbreaking but, on the contrary, preserved the boundaries between the German and Dutch legal systems: the judgment corresponded to the views on international monetary relations that were dominant at the time but have since come under increasing pressure. Third, we use the economic context to show that the Mark = Mark ruling was primarily a decision by Dutch judges who felt safe behind the ‘dikes’ of the Dutch gold standard. Looking at the economic context in Germany after the ‘Great War’, it becomes clear how complex the underlying currency devaluation problem in Germany actually was, and how much the Netherlands and its Supreme Court distanced themselves from this problem.

I Einführung

Vor etwas mehr als einhundert Jahren erlebte Deutschland eine verheerende Hyperinflation. Die wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen waren beispiellos. Die Niederlande blieben von den direkten Folgen weitgehend verschont. In wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht wurde die Hyperinflation aber indirekt spürbar, zum Beispiel in Form von Streitigkeiten zwischen Gläubigern mit Geldforderungen in Deutscher Mark und deren Schuldnern. Ein solcher Fall führte zu dem bekannten Urteil Mark = Mark, welches vom Hoge Raad der Nederlanden (dem niederländischen obersten Gerichtshof), gefällt wurde[1)]. In diesem Beitrag werden die Hintergründe dieses Falles und des Hyperinflationsproblems als vermögensrechtliches Problem dargestellt. Mit unserem Beitrag wollen wir drei Aspekte hervorheben: Erstens möchten wir die gängige Lesart des Urteils durch ausführliche rechtshistorische Anmerkungen in den rechtlichen Kontext der damaligen Zeit einordnen. Die gängige Lesart besteht nämlich darin, dass das Urteil den Grundsatz des Nominalismus (Nominalprinzip, Nennwertprinzip) in den Mittelpunkt stellt und die Lehre von der einschränkenden Wirkung dessen, was wir heute als Angemessenheit und Billigkeit, als guten Glauben bezeichnen, ablehnt. Interessant ist jedoch, und das ist der zweite Aspekt, dass dieses Urteil nicht bahnbrechend war, sondern im Gegenteil die Grenzen zwischen der deutschen und der niederländischen Rechtsordnung buchstäblich bewahrte: Das Urteil entsprach den damals vorherrschenden, heute aber unter Druck stehenden Ansichten über internationale Währungsbeziehungen. Und drittens wollen wir anhand des wirtschaftlichen Kontextes zeigen, dass das Mark = Mark-Urteil vor allem eine Entscheidung niederländischer Richter war, die sich hinter den ‚Deichen‘ des niederländischen Goldstandards sicher fühlten. Betrachtet man den wirtschaftlichen Kontext in Deutschland nach dem ‚Großen Krieg‘, so wird deutlich, wie komplex das zugrundeliegende Geldentwertungsproblem dort tatsächlich war und wie sehr sich die Niederlande, einschließlich des Obersten Gerichtshofs, davon entfernt hatten. Der hartnäckige Glaube an den Goldstandard war dafür mitverantwortlich. Als auch die Niederlande Krisenjahre erlebten und schließlich 1936 den Goldstandard aufgaben, änderten sich nicht nur die Ansichten über die internationalen Währungsbeziehungen. Auch das Recht erwies sich als Instrument, um bei Bedarf in die Vertragsbeziehungen einzugreifen.

Unser Beitrag ist wie folgt aufgebaut. Wir behandeln in § II zunächst ausführlich die Hintergründe, Ursachen und Folgen der deutschen Hyperinflation. In diesem Zusammenhang betrachten wir die staatlichen Maßnahmen der Währungsreform und Aufwertung. Sie wurden in Deutschland ergriffen, um die Hyperinflation zu beenden und das Vertrauen in die deutsche Währung wiederherzustellen. Wir beschreiben, welche Folgen dies für konkrete Geldschulden nach deutschem Recht hatte. Anschließend beschreiben wir in § III den Konflikt und das Gerichtsverfahren in der Sache Mark = Mark vor dem Hintergrund des damaligen Stands des niederländischen Rechts. Wir analysieren die in der niederländischen Literatur vorgebrachten Argumente für und gegen ein gerichtliches Eingreifen bei Hyperinflation. Da ‚Mark = Mark‘ einen grenzüberschreitenden Vertrag betraf, wird in § IV das Urteil vor dem Hintergrund der Währungsrisiken im internationalen Privatrecht behandelt. In § V zeigen wir den Kontrast auf, der sich ergibt, wenn man Mark = Mark mit den Geschehnissen rund um die Aufgabe des Goldstandards 1936 in den Niederlanden vergleicht. Wir schließen in § VI mit einigen Schlussfolgerungen.

II Die Deutsche Hyperinflation

1 Hintergrund und Anlass

Ungefähr zwischen 1900 und 1930 erlebte der Goldstandard seine Blütezeit[2)]. Kurz gesagt versteht man unter Goldstandard, dass nationale Währungen an den Goldvorrat der nationalen Zentralbanken gekoppelt und meist auch in Gold umtauschbar waren[3)]. Die Wahrheit wird geläufig als das erste Opfer im Krieg bezeichnet – vielleicht folgte nur knapp darauf 1914 der Goldstandard. In den Krieg zu ziehen, kostet Geld. Ein Goldstandard stand einer schnellen Erhöhung der Staatsausgaben im Wege. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 setzten daher viele Länder den Goldstandard aus[4)]. Auch Deutschland tat dies; das Recht auf den Gegenwert in Gold wurde ausgesetzt und die Goldmark [GM] wurde faktisch über Nacht zur Papiermark[5)]. Dies schuf Raum für eine Politik des Banknotendrucks, die sich später als verhängnisvoll erweisen sollte[6)]. Als 1918 der Waffenstillstand unterzeichnet wurde, war in Deutschland bereits viermal so viel Geld in Umlauf als zu Beginn des Krieges. Das Ende der Politik des Banknotendrucks war noch lange nicht absehbar.

Die Zeit nach dem Waffenstillstand war turbulent: Der Kaiser floh, das Kaiserreich endete und die erste deutsche Republik wurde ausgerufen. Der darauffolgende Vertrag von Versailles (1919) verpflichtete Deutschland zur Wiedergutmachung der Kriegsschäden, die vor allem Frankreich und Belgien zugefügt worden waren. Die Deutschland auferlegte Geldschuld belief sich auf mehr als realistischerweise aufgebracht werden konnte. Einige Stimmen wiesen auf den ungerechten Charakter des Vertrags hin und warnten vor sozialen Verwerfungen und verheerenden Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft. Dennoch bestanden vor allem Frankreich und Belgien auf der vollständigen Bezahlung[7)]. Zu deren Durchsetzung hatten sie unter anderem das Recht erhalten, das westliche Rheinland 15 Jahre lang zu besetzen, was sie auch taten. Da die Reparationen nicht in deutscher Währung gezahlt werden durften, musste die deutsche Regierung mit der Mark andere Währungen kaufen; der Tauschwert der Mark gegenüber anderen Währungen ging so langsam aber sicher verloren. Die ‚Lösung‘ bestand buchstäblich darin, Geld nachzudrucken. Dies heizte jedoch die Inflation im Inland an, die ab 1921 ernste Ausmaße annahm.

Die Deutschen stellten daher die Reparationszahlungen ein. Dies führte zu einer weiteren belgisch-französischen Besetzung, der Besetzung des Ruhrgebiets im Januar 1923[8)]. Diese sollte Deutschland unter Druck setzen, seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen und die Besatzer mit Sachleistungen (z. B. Kohle) zu versorgen. Die deutsche Regierung konnte dem wenig entgegensetzen, predigte aber passiven Widerstand, der unter anderem darin bestand, die Löhne der streikenden und vertriebenen Arbeiter in diesem Gebiet weiter zu zahlen. Um diese Zahlungen zu ermöglichen gab es nur wenige Möglichkeiten. Steuererhöhungen, die Ausgabe von Staatsanleihen oder gar Zinserhöhungen wurden aus politischen Gründen nicht mehr als echte Option angesehen. Und so wurden noch mehr Gelddruckmaschinen angeworfen[9)]. Ende 1923 liefen mehr als 1.700 Druckmaschinen Tag und Nacht, um in mehr als 130 Druckereien Banknoten zu produzieren[10)]. So brachte die Republik große Mengen an Papiermark auf den Markt, ohne dass es dafür einen echten Gegenwert gab. Das war im Nachhinein – und eigentlich auch im Voraus – kurzsichtig. Die Regierungspolitik führte zwischen Januar und Oktober 1923 zu einer beispiellosen Inflationsspirale, die sich für den deutschen Mittelstand als verheerend erwies. Nicht nur der internationale Tauschwert der deutschen Währung stürzte ins Bodenlose, sondern auch die Kaufkraft im Inland sank, da Bankguthaben, nicht indexierte Renten und Löhne täglich weniger wert wurden. Es gab aber auch ,Gewinnerʽ: Schuldner von Geldforderungen und indirekt auch Anleger in verschuldete Unternehmen profitierten von der Abwertung. Auch das Deutsche Reich profitierte: Schulden aus inländischen Kriegskrediten verflüchtigten sich wie Schnee in der Sonne[11)]. Die Nachteile der Politik des Banknotendrucks überwogen jedoch bei weitem die Vorteile: Die sozialen Verwerfungen waren enorm und der Ausbruch eines Bürgerkriegs stand kurz bevor[12)]. Schließlich gab es nur noch eine Option: Der passive Widerstand wurde eingestellt, die Gelddruckmaschinen abgestellt, die Staatsausgaben gekürzt, die Reichsbank wurde auf eine größere Distanz zur Politik gebracht, die Steuern wurden erhöht und die Währung durch Reform bereinigt. Die Goldmark wurde durch ein Notprogramm (die so genannte Rentenmark) durch eine neue Währung, die Reichsmark [RM], ersetzt[13)],[14)]. Bis 1924 kehrte, auch dank des amerikanischen Dawes-Plans, die Währungsstabilität zurück[15)].

2 Aufwertung und Revalorisierung

Für die Einführung einer neuen Währung kann es verschiedene Gründe geben: Der Sieger in einem Eroberungskrieg führt in dem eroberten Gebiet seine eigene Währung ein, eine Revolution kann zu einem neuen Staat und damit zur Einführung einer neuen Währung führen, mehrere alte Währungen können zu einer neuen Währung verschmolzen werden. Und, wie die Situation in Deutschland 1923 eindeutig zeigt, kann auch eine starke Inflation (Hyperinflation) Treiber für eine Währungsreform sein. Der Prozess der Reform bedeutet – neben zahlreichen geldpolitischen Maßnahmen, die zur Bereinigung der Staatsverschuldung und zur Wiederherstellung des internationalen Vertrauens erforderlich sein können – zumindest die Aufhebung des Status der alten Währung als gesetzliches Zahlungsmittel, die Einführung einer neuen Währung und die Festlegung des Umtauschverhältnisses zwischen beiden. Um eine RM zu erhalten, musste eine Billion alter Papiermark umgetauscht werden. Die Währungsreform verlangte, dass eine Schuld in alter Mark fortan nur noch in RM bezahlt werden konnte, und zwar in diesem Umtauschverhältnis[16)].

Nach einer Periode der Hyperinflation konnte Zwangsvollstreckung den Schaden an bestehenden Forderungen nicht beseitigen. Die Rechtslehre, die bei der Entstehung dieser Schäden eine zentrale Rolle spielt, ist der Grundsatz des Nominalismus. Dieser Grundsatz, der damals wie heute in den uns bekannten Rechtsordnungen führend ist, besagt, dass eine Geldschuld nur in ihrer nominalen Höhe zu begleichen ist, auch wenn sich die Kaufkraft oder der Wechselkurs der betreffenden Währung zwischenzeitlich erhöht oder verringert hat[17)]. Wenn also im Jahr 1914 eine Summe von 15.000 Mark geliehen wurde, die 1924 zurückgezahlt werden musste, dann besagt das Nennwertprinzip eindeutig, dass am Zahltag 15.000 Mark und kein Pfennig mehr (abgesehen von Zinsen) zurückgezahlt werden mussten. Diese Zahlungspflicht von 15.000 Mark in alter Währung wurde durch die Währungsreform kraft Gesetzes in eine Verpflichtung zur Zahlung in dem neuen gesetzlichen Zahlungsmittel, also 0,000000015 RM, umgewandelt.

Aus diesem Grund regten sich die Kritiker. Insbesondere der besitzende Mittelstand, der sein Geld als Gläubiger aus hypothekarisch gesicherten Krediten in Hypothekenpfandbriefen angelegt hatte, verarmte durch die Hyperinflation. Im Gegensatz dazu bereicherten sich die hypothekarisch verschuldeten Grundbesitzer durch den Wegfall ihrer Schuldenlast erheblich[18)]. Die durch die Hyperinflation verursachten Vermögensverschiebungen waren völlig willkürlich und lösten zum Teil große soziale Unruhen aus. Das Reichsgericht bewegte sich daher langsam dahin, das Nominalprinzip für diese Ausnahmesituation in Frage zu stellen. Es wählte dafür den Weg der einschränkenden Wirkung von „Treu und Glauben“, Angemessenheit und Billigkeit zwischen Gläubiger und Schuldner (§ 242 BGB)[19)]. In der so genannten Aufwertungsentscheidung vom November 1923 erkannte das Reichsgericht an, dass das Nominalprinzip nicht immer gelten und einer Aufwertung der Geldschuld weichen könne ‒ d. h. einer Anpassung des zu zahlenden Betrages zwischen Schuldner und Gläubiger ‒, um dem Gläubiger einen gewissen Ausgleich für den unvorhergesehenen und unvorhersehbaren Kaufkraftverlust durch die Abwertung zu ermöglichen[20)]. Diese Entscheidung führte zu einem politischen Eklat. Die Richter wurden von Seiten der Politik beschuldigt, zu aktivistisch zu sein und die gesetzgebende Gewalt an sich zu reißen. Die Regierung drohte, das Urteil durch ein Gesetz zu torpedieren, woraufhin die Richterschaft mit der gegenteiligen Drohung reagierte, das geplante Gesetz einer verfassungsrechtlichen Überprüfung zu unterziehen[21)]. Der Konflikt führte schließlich zu einer Art bewaffnetem Frieden zwischen Judikative und Legislative.

Dieser sah folgendermaßen aus: Der deutsche Gesetzgeber führte das Aufwertungsgesetz 1925 ein[22)]. Dieses Gesetz gab bestimmten Gläubigern ein Aufwertungsrecht gegen ihren Schuldner. Aufwertung, also die Neubewertung einer Geldschuld, bedeutet in diesem Zusammenhang vor allem eine Erhöhung des geschuldeten Nominalbetrags. Über das Aufwertungsgesetz lässt sich viel sagen: Es war ziemlich willkürlich, wer welches Schutzniveau erhielt und wer nicht[23)], als es am 15. Juli 1925 für bestimmte Geldforderungen aus Rechtsverhältnissen, die vor dem 14. Februar 1924 entstanden waren, in Kraft trat[24)]. Nach dem System des Gesetzes wurde der Nennbetrag in alter Mark zunächst in Goldmark umgerechnet, den an den Goldwert gebundenen Währungsstandard. War die Forderung vor dem 1. Januar 1918 entstanden, wurde auch der Nennwert in Mark zum Zeitpunkt des Erwerbs als Ausgangspunkt für den Goldmarkwert genommen. Forderungen, die zwischen 1918 und 13. Februar 1924 entstanden waren, wurden zunächst anhand einer Kurstabelle in Goldmark umgerechnet; so wurde eine am 8. August 1921 erworbene Forderung von 100 Papiermark in 5,32 GM und eine am 30. November 1923 erworbene Forderung von 1 Billion Papiermark in 1 GM umgerechnet[25)]. Der so in GM berechnete Betrag wurde dann neu bewertet (Aufwertung).

Dabei wurde in dem Gesetz zwischen verschiedenen Kategorien unterschieden[26)]. So wurden beispielsweise Unternehmensforderungen (Anleihen) mit 15 Prozent des ursprünglichen GV-Wertes neu bewertet, während hypothekarisch gesicherte Geldforderungen mit 25 Prozent des GV-Wertes angesetzt wurden[27)]. Die im Gesetz verwendeten Prozentsätze waren willkürlich. In jedem Fall war der Grundgedanke, dass bei einer Aufwertung ,das Leid‘ auf die Schultern beider Parteien zu verteilen war: Der Gläubiger erhielt nicht den Betrag, der der Kaufkraft des ursprünglich geschuldeten Geldes entsprach, und der Schuldner zog nicht den vollen Nutzen aus der Abwertung, er musste somit den Kaufkraftverlust des Gläubigers teilweise ausgleichen.

Gegen die Aufwertung konnte innerhalb bestimmter Fristen vor einem besonderen Ausschuss, der Aufwertungsstelle, Einspruch erhoben werden[28)]. Der Einspruch musste auf eine „grobe Unbilligkeit“ gegenüber dem Einspruchsführer (in der Regel dem Schuldner) gestützt werden. Wurde dem Einspruch stattgegeben, konnte dies zu einer Anpassung der Aufwertung führen. So konnten die gesetzlichen 25 Prozent je nach den Umständen auf 10 Prozent reduziert werden[29)]. Das Gesetz sah außerdem vor, dass die aufgewerteten Beträge erst ab dem 1. Januar 1932 vom Schuldner eingefordert werden konnten und ein angepasster Zinssatz zur Anwendung kam; dem Schuldner wurde also eine ‚Atempause‘ gewährt[30)]. Die Einspruchmöglichkeit umfasste auch Schulden, die bereits vor dem Inkrafttreten des Aufwertungsgesetzes beglichen worden waren, und sogar wenn sie auf einer gerichtlichen Verurteilung beruhten[31)].

Im Übrigen wurde eine ganze Reihe von Forderungen nicht neu bewertet[32)]. So wurden beispielsweise Bankguthaben und Forderungen von Banken an Kunden ausdrücklich nicht neu bewertet, und auch Staatsanleihen fielen nicht unter das Gesetz. Diese waren und blieben also wertlos[33)]. Die übrigen nicht geregelten Fälle – wie Forderungen aus Kauf- oder anderen gegenseitigen Verträgen[34)] – unterlagen den ‚gewöhnlichen Regeln‘ der Rechtsprechung, und das bedeutete eine fallspezifische gerichtliche Überprüfung anhand von Treu und Glauben[35)]. Dies konnte manchmal sogar zu einer vollständigen Neubewertung führen[36)], wobei jedoch Ansprüche aus „Investitionen“ einer gesetzlichen Obergrenze von 25 Prozent unterlagen[37)]. Ein ungesichertes Gelddarlehen zwischen zwei unternehmerisch handelnden Parteien konnte, abhängig etwa vom Motiv des Gelddarlehens und der Höhe der vereinbarten Zinsen, als ‚Investition‘ in diesem Sinne verstanden werden.

Diese ausführliche Darstellung der Systematik der Aufwertung wird sich im Folgenden als nützlich erweisen, um den Kontrast zwischen dem Umgang mit dem Problem der Hyperinflation seitens der deutschen Gerichte und des Gesetzgebers und der Reaktion darauf in den Niederlanden aufzuzeigen.

III Das Urteil

1 Ein geschäftlicher Konflikt

In der Rechtssache Mark = Mark ging es um einen Geschäftsstreit zwischen der niederländischen Handelsgesellschaft Müller & Co, einem internationalen Handelshaus, und M.J. van Heerdt, der Witwe des deutschen Großunternehmers Johann Heinrich Köppern[38)]. Müller & Co. und Köppern hatten um 1908 einen Gelddarlehensvertrag geschlossen, in dem Köppern Müller einen Geldbetrag in deutscher Goldmark zu 5 % Zinsen pro Jahr geliehen hatte[39)]. Der Vertrag unterlag dem niederländischen Recht und damit den gesetzlichen Vorschriften über das ‚Konsumdarlehen‘ des alten Bürgerlichen Gesetzbuchs (Art. 1791ff. Burgerlijk Wetboek 1838)[40)].

Im Jahr 1924 kündigte Van Heerdt – die als Rechtsnachfolgerin Köpperns nach dessen Tod dessen Position fortführte – das Gelddarlehen[41)]. Sie forderte den noch nicht ausgezahlten Betrag von 125.000 Goldmark zu einem Wert von 0,60 Niederländische Gulden [hfl.] pro Mark, also insgesamt 75.000 hfl. zuzüglich der nicht gezahlten Zinsen12. Die Beklagte Müller & Co verteidigte sich mit dem Argument, sie sei nur zur Rückzahlung in der aktuellen deutschen Währung Reichsmark im Verhältnis 1 Reichsmark = 1 Billion Goldmark (das sind 1012!) verpflichtet. Dies war nämlich der offizielle Umrechnungswert der Goldmark nach der deutschen Währungsumstellung von 1924[42)]. Sollte die Verteidigung also erfolgreich sein, müsste Müller praktisch nichts zurückzahlen.

Dass Van Heerdt den Fall vor Gericht brachte, ist nicht überraschend. Zu dieser Zeit gab es viele untere Gerichte, die Gläubiger schützten. Es ist auch nicht verwunderlich, dass Müller & Co sich weigerte, mehr als den Nominalbetrag zu zahlen[43)]. Das Handelshaus hatte im und nach dem Ersten Weltkrieg mal Verluste erlitten und mal von den Schwankungen verschiedener volatiler Währungen profitiert; vermutlich betrachteten die Gesellschafter der Firma dies als ein Geschäftsrisiko, das in diesem Fall bei den Köppern-Erben lag.

Um 1920 befasste sich die Rechtsprechung der unteren Instanzen mit den Auswirkungen der Inflation auf das Verhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger hauptsächlich in Bezug auf Devisengeschäfte, insbesondere dem spekulativen Kauf und Verkauf von Devisen[44)]. Mit der fortschreitenden Abwertung der Deutschen Mark kamen zahlreiche Streitfälle vor die Gerichte, die auch andere Vertragsarten wie Kauf, Miete und Kredit betrafen. Gläubiger versuchten verzweifelt, sich der Befugnis des Schuldners, in Mark zu zahlen, zu entziehen. Die Debatte zwischen den Parteien konzentrierte sich daher oft auf das Argument ‚dies war nicht gewollt‘ gegenüber dem Argument ‚Vereinbarung ist Vereinbarung‘ oder sogar ‚die Abwertung fand statt und war daher allgemein bekannt‘[45)]. In einer Reihe von Fällen wälzten die unteren Gerichte das Risiko der Abwertung einfach auf den Gläubiger ab[46)]. So wurde z. B. entschieden, dass die Kunden einer niederländischen Bank, die Deutsche Mark hinterlegt hatten, das Risiko der Abwertung trugen, da sie nur Anspruch auf die Rückgabe eines nominell gleichen Betrags hatten. Ein zusätzliches Argument für das Gericht war, dass der Kunde den Betrag jederzeit einfordern und eine alternative Anlage wählen hätte können. Wenn es jedoch um Geldforderungen z. B. aus Kreditverträgen ging, waren die unteren Gerichte manchmal bereit, dem Gläubiger entgegenzukommen. Zum Zeitpunkt des Rechtsstreits von Van Heerdt gab es bereits zahlreiche Urteile, in denen die Richter versuchten, den großen Vorteil, den die Hyperinflation dem Schuldner von Geldforderungen verschafft hatte, in irgendeiner Weise zu begrenzen. So wurde z. B. entschieden – und zwar mehrfach schon in Fällen vor der deutschen Hyperinflation –, dass, wenn der Schuldner die Wahl hatte, in dieser oder jener Währung zu leisten, die Zahlung annähernd den gleichen Wert haben mussten, oder dass zumindest ein Ungleichgewicht, wenn es nach Vertragsabschluss entstand, diese Wahlfreiheit aufheben konnte[47)]. In dieser Rechtsprechung spielte die Vorhersehbarkeit des Grades der Abwertung eine zentrale Rolle. So wurde beispielsweise geurteilt, dass ein Wertverlust, der für die Parteien nicht vorhersehbar gewesen war, nicht als vertraglich einkalkuliert gelten konnte[48)]. In einer Reihe von Fällen kam es daher auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses an. Der Rückgang oder die Schwankung des Wechselkurses der Mark war nach der Rechtsprechung zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhersehbar[49)].

2 Rechtliches Verfahren

Van Heerdts Klage scheiterte vor dem erstinstanzlichen Gericht in Den Haag[50)]. Zwar vertrat das Gericht die Auffassung, dass ein Kreditgeber nicht immer und unter allen Umständen mit einer Zahlung in abgewerteter Währung zufrieden sein muss. Doch entschied das Gericht schließlich, dass in diesem Fall das Risiko der Abwertung der Kreditgeber übernommen habe. In der Tat muss davon ausgegangen werden, dass Köppern bei der Vergabe des Geldkredits das Risiko einer Abwertung der Mark in Kauf nahm, sodass die nachteiligen Folgen von seiner Witwe getragen werden mussten[51)]. Außerdem habe sie sich 1917 mit einer Teilrückzahlung durch Müller & Co. begnügt, als die Mark bereits um mehr als ein Drittel an Wert verloren hatte, und sie habe die halbjährlichen Zinsen bis einschließlich 1919 widerspruchslos hingenommen. Darüber hinaus habe sie von der vertraglich vereinbarten zweimonatige Kündigungsmöglichkeit keinen Gebrauch gemacht.

Das Berufungsgericht kam zu einem anderen Ergebnis: Müller & Co. wurde zur Zahlung von 12,5 % des damaligen Kaufkraftwerts des geliehenen und damals noch geschuldeten Betrags verurteilt[52)]. Das Gericht begründete dies kurz damit, dass es für alle Beteiligten unvorhersehbar gewesen sei, dass die alte Mark für ganz wertlos erklärt werden würde, während Müller & Co. unbestreitbar von dem Geldbetrag profitiert hatte. Daher hielt es das Berufungsgericht für gerecht, dem Kreditgeber trotzdem einen gewissen Betrag zuzusprechen. Woher der konkrete Prozentsatz kommt, ist nicht klar.

Gegen dieses Urteil legte Müller & Co. Kassationsbeschwerde ein. Der Hoge Raad entschied 1931 zu Gunsten von Müller & Co[53)]. Zunächst vertrat der Hoge Raad die Auffassung, dass ein in ausländischer Währung ausgedrücktes Gelddarlehen unter Art. 1793 des Bürgerlichen Gesetzbuchs a.F. fällt. Dieser Paragraph besagt Folgendes:

,Die Schuld, die sich aus dem Geldverleih ergibt, besteht nur aus dem im Vertrag genannten Geldbetrag. Kommt es vor dem Zeitpunkt der Rückzahlung zu einer Auf- oder Abwertung der Währung oder zu einer Änderung ihrer Verbreitung [gangbaarheid], so wird das Darlehen in der zum Zeitpunkt der Zahlung gültigen Währung in Höhe des aktuell zu diesem Zeitpunkt berechneten Wertes rückerstattet.‘

Der erste Satz enthielt das Nennwertprinzip: Eine Geldschuld muss in ihrem Nominalwert zurückgezahlt werden[54)]. Heute ist dieser Grundsatz in Artikel 6:111 NBW verankert mit dem Hinweis, dass durch Gesetz, Gewohnheit oder Rechtsakt etwas anderes bestimmt werden kann[55)]. Eine inflationsbedingte Minderung des realen Wertes einer geschuldeten Geldsumme geht also grundsätzlich zu Lasten des Gläubigers, eine Wertsteigerung zu Lasten des Schuldners[56)]. Ein ‚Gesetz‘ im Sinne von Art. 6:111 NBW konnte beispielsweise ein spezielles niederländisches Notstandsgesetz sein, das darauf abzielt, die störenden Folgen der Hyperinflation abzumildern, aber auch Bestimmungen wie Art. 6:258 NBW (unvorhergesehene Umstände; Wegfall der Geschäftsgrundlage).

Der zweite Satz von Art. 1793 Burgerlijk Wetboek a.F. – der Art. 1895 Code Civil entlehnt ist – war weniger klar[57)]. Auf jeden Fall betraf er eine Änderung des Metallwerts von Münzen und die Änderung des gesetzlichen Zahlungsmittels durch Währungsreform[58)]. Aber regelte diese Bestimmung auch die Entwertung einer Währung durch Inflation? Die diesbezügliche Literatur ist geteilter Meinung[59)]. Den Anhängern des Nominalismus standen die Anhänger des Valorismus gegenüber, die der Meinung waren, dass eine Geldschuld in einer Höhe zu begleichen sei, die der Kaufkraft des ursprünglichen Betrags entspricht[60)]. Der Hoge Raad griff im Mark = Mark-Urteil den zweiten Satz von Art. 1793 Burgerlijk Wetboek a.F. wie folgt auf:

,… dass das Gesetz mit dieser letzten Vorschrift die uralte Frage beantwortet, ob unter den oben genannten Umständen der innere ‒ metallische ‒ Wert des vereinbarten Geldes oder sein äußerer ‒ nominaler ‒ Wert zurückgegeben werden muss, eine Frage ganz allgemeiner Art, die bei der Beleihung von inländischem und ausländischem Geld zu ähnlichen Zweifeln und Unsicherheiten geführt hat und die in dem einen Fall ebenso wie in dem anderen gelöst werden musste …‘[61)].

Der Hoge Raad stellte fest, dass Art. 1793 nicht nur für inländisches Geld, sondern auch für den Verleih von Geld in ausländischer Währung gelte und auch dann, wenn es sich nicht um Münzgeld, sondern um Papiergeld handelt,

,dass die Gründe, die zum Erlass des Artikels 1793 geführt haben, gleichermaßen für Bargeld und Papiergeld gelten und dass die gesetzliche Bestimmung, die sich allgemein mit Schulden aus Geldverleih befasst, in veränderten Zeiten, in denen Papiergeld gesetzliches Zahlungsmittel ist, auch auf Papiergeld angewendet werden muss; dass die Bestimmung über das Risiko bei einer Änderung des Wertes oder der Währung des Geldes daher nicht den Charakter einer eng auszulegenden Ausnahme hat, sondern einen allgemein gültigen Grundsatz erkennen läßt, der für jede Art von Geld gilt, das gesetzliches Zahlungsmittel ist …‘[62)].

Der Artikel bringe also ein Nominalprinzip von allgemeiner Tragweite zum Ausdruck, und es solle für alle Zahlungsmittel gelten. Die Entwertung aufgrund von Inflation wurde durch den Artikel zu einem Gläubigerrisiko. Damit stand fest, dass Müller & Co. die in Goldmark ausgedrückte Geldschuld nun in Reichsmark, dem zum Zeitpunkt der Zahlung herrschenden Geld, und im Verhältnis 1 Reichsmark (neu) = 1 Billion Goldmark (alt) zu begleichen hatte. Müller & Co. schuldeten also weniger als den Bruchteil eines Pfennigs.

Der Hoge Raad fährt fort, dass es sich bei Art. 1793 um ein Regelungsgesetz handelt, von dem die Parteien abweichen können. Es sei aber nicht Sache des Gerichts, den geschuldeten Betrag nach billigem Ermessen selbst anzupassen, unter der Voraussetzung

,… dass die Bestimmung des Artikels 1793, die das Risiko bei einer Änderung des Wertes oder der Verbreitung der Währung betrifft, keine zwingende, sondern eine ergänzende Rechtsvorschrift ist, da die Parteien nach Artikel 1794 die Möglichkeit haben, sich durch Vereinbarung über diese Bestimmung hinwegzusetzen;

dass eine solche Aufhebung im vorliegenden Fall jedoch nicht feststeht und sich daher die Frage stellt, ob das Gericht in Ermangelung einer gegenteiligen Absicht der Parteien aus Gründen der Billigkeit und von Treu und Glauben befugt ist, die vorgenannte Regel des ergänzenden Rechts des Artikels 1793 in der Weise unangewendet zu lassen, wie es das Gericht getan hat oder wie es von der Partei Van Heerdt beantragt wurde;

dass die Frage zu verneinen ist, dass, weil der Gesetzgeber selbst, mangels eines Parteiwillens in Fällen der Währungsreform, wie sie hier stattgefunden hat, eindeutig bestimmt, wer von den Parteien das Risiko zu tragen hat, sein Wille in dieser Angelegenheit den Parteien als Gesetz dient und das Gericht nicht befugt ist, auf der Grundlage seiner ‒ des Richters ‒ Beurteilung von Billigkeit und Treu und Glauben die Regelung, die der Gesetzgeber unter Berücksichtigung aller beteiligten Interessen als die richtigste und gerechteste Regelung befolgt sehen will, aufzuheben und durch eine andere Regelung zu ersetzen; …‘[63)].

Der Hoge Raad berief sich also darauf, dass er den Gesetzestext nicht einfach außer Kraft setzen kann. Würde das Gericht dies tun, würde es ,den inneren Wert und die Gerechtigkeit des Gesetzes‘ in Frage stellen, was durch § 11 Wet van 15 mei 1829, houdende algemeene bepalingen der wetgeving van het Koningrijk [Wet AB; Gesetz über die allgemeinen Vorschriften der Gesetzgebung des Königreichs] seit 1838 ausgeschlossen war:

,Der Richter muss Recht sprechen, wie es das Gesetz vorschreibt: Er darf auf keinen Fall über den inneren Wert oder die Gerechtigkeit des Gesetzes urteilen.‘

Der Hoge Raad sei nicht bereit, diese Grenze zu überschreiten, auch nicht im Bereich des dispositiven Rechts[64)]. Er hob daher das Urteil des Berufungsgerichts auf und bestätigte die für die deutsche Klägerin ungünstige Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts.

3 Rezeption

In der juristischen Fachliteratur gab es unterschiedliche Meinungen zu der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs. Einige stimmten zu[65)]. Spätere Autoren vertraten auch den Standpunkt, dass sich die Parteien gegen das Risiko einer Abwertung absichern sollten, beispielsweise durch Aufnahme von Indexierungsklauseln[66)]. Im Nachhinein scheint diese Kritik verständlich. Es sollte aber bedacht werden, dass Dauerverträge damals oft keinerlei Vorkehrungen gegen die Inflation, wie sie zwischen 1914 und 1924 auftrat, enthielten. Erstens garantierte der Goldstandard lange Zeit Währungsstabilität, zweitens hatte niemand vor 1914 vorausgesehen, dass der Krieg so lange dauern und für die europäischen Mächte so katastrophal sein würde, und drittens auch nicht, dass in Deutschland die eigene Regierung so leichtsinnig eine Hyperinflation auslösen würde. Über Letzteres herrscht weitgehend Einigkeit: In den Augen der niederländischen Juristen war das Vorgehen der Weimarer Regierung – das Anwerfen der Notenpresse – geradezu leichtsinnig. Dem Leidener Professor Meijers zufolge hatte der deutsche Staat 1924 „die Grundlagen des Rechts aufgegeben“[67)]. Daraus leitete er jedoch nicht die Schlussfolgerung ab, dass niederländische Gerichte in konkreten Abwertungsstreitigkeiten zwischen Gläubiger und Schuldner eine neutrale Haltung einnehmen sollten[68)]. Meijers sprach sich im Gegenteil für eine Anpassung der vertraglichen Schuld aus und lehnte, wie beispielsweise Paul Scholten, das Urteil Mark = Mark ab.

Unter den jüngeren Autoren ist Wouter Snijders (1928–2020) zu nennen, der als Regierungsbeauftragter an der Schaffung des aktuellen Bürgerlichen Gesetzbuchs beteiligt war. Snijders wandte sich entschieden gegen den interventionistischen Ansatz der deutschen Richter. Er kritisierte im Wesentlichen, dass diese Richter an Selbstverherrlichung litten, die Justiz mit einem Haufen Arbeit überlasteten und die Weimarer Regierung ins Chaos stürzten. Snijders zufolge waren Inflationssteuerung und Geldpolitik Sache der Regierung und des Gesetzgebers, nicht der Richter[69)]. Er verknüpfte dies mit der Schlussfolgerung, dass Richter eigentlich nicht in Geldschulden eingreifen sollten, die sich aufgrund der Inflation verflüchtigen: Sein Ausgangspunkt war, dass die Inflation vorhersehbar gewesen sei und dass die Parteien sich mit Indexierungs- und Zinsklauseln hätten schützen sollten[70)]. Für Snijders bedeutete dies, dass die Kritik am Urteil Mark = Mark unberechtigt war[71)]. Er verwies zustimmend auf die Äußerungen ‚von Regierungsseite‘ während der parlamentarischen Diskussion über das neue Bürgerliche Gesetzbuch. Er meinte damit seine eigenen Äußerungen als Regierungsbeauftragter für das neue bürgerliche Gesetzbuch Nieuw Burgerlijk Wetboek [NBW]: Dort wird angemerkt, dass das Mark = Mark-Urteil nicht so entmutigend sei, wie viele dachten, und dass das deutsche Gericht nicht anders als der Hoge Raad der Nederlanden entschieden hätte[72)]. Die letztgenannte Bemerkung wurde nicht begründet und ist wahrscheinlich falsch. Tatsächlich hätte das deutsche Gericht in Anwendung des Aufwertungsgesetzes 1925 eine Forderung aus einem ungesicherten Gelddarlehen von 125.000 Mark aus dem Jahr 1908 in 125.000 Goldmark und damit Reichsmark umgewandelt, um dem Gläubiger dann im Wege der Aufwertung bis zu 25 % davon in Reichsmark zuzuweisen[73)]. Und hätte es das Aufwertungsgesetz 1925 nicht gegeben, hätte ein deutsches Gericht über die Aufwertung im Einzelfall nach § 242 BGB („Treu und Glauben“) entschieden. Das Reichsgericht war angesichts der beispiellosen sozialen und wirtschaftlichen Krise in Deutschland bereit, Treu und Glauben eine viel größere Bedeutung beizumessen als der niederländische Oberste Gerichtshof damals dem ,guten Glauben‘.

Zudem verkennt die Kritik von Autoren wie Snijders am deutschen richterlichen Aktivismus den beispiellos problematischen gesellschaftlichen Kontext, in dem sich die deutschen Gerichte und der Gesetzgeber gegenüberstanden und der letztlich zu dem gefundenen Kompromiss führte. Natürlich sind Inflationsbekämpfung und Währungspolitik nicht in erster Linie Aufgabe der Judikatur, aber man kann durchaus Verständnis dafür aufbringen, dass die Richter angesichts einer Regierungspolitik, die die Rechtsbeziehungen zwischen Gläubigern und Schuldnern so willkürlich aus dem Gleichgewicht gebracht hatte, ‚etwas tun‘ wollten. Die Glaubwürdigkeit der staatlichen Institutionen war mit der bloßen Währungsreform noch nicht wiederhergestellt. Die aktivistische Haltung der Richter kann daher vielleicht als Versuch verstanden werden, genau das in Gang zu setzen[74)]. Dass diese Rechtsprechung in der Tat wenig konsequent sowie schwer anwendbar war und in gewisser Weise ein Palliativum darstellte, ist sicherlich richtig ‒ aber nichts zu tun war keine Option[75)]. Durch die niederländische Brille betrachtet war es schwer vorstellbar, was in Deutschland vor sich ging. Obwohl die Niederlande vom Ersten Weltkrieg wirtschaftlich betroffen waren, gingen sie im Vergleich zum Kriegsverlierer gestärkt daraus hervor. Als offene Volkswirtschaft sind die Niederlande zwar von den Handelsströmen von und nach Deutschland abhängig, aber sie hatten vor, während und nach dem Krieg deutschen Parteien überdurchschnittlich viele Kredite gewährt und das aus Deutschland fliehende Kapital mit offenen Armen aufgenommen. Bis in die 1930er Jahre verfügten sie über eine einigermaßen stabile Wirtschaft und einen einigermaßen stabilen Staatshaushalt, dessen Inflationsraten im Vergleich zu Deutschland überschaubar blieben[76)]. Kurzum, es war für den Hoge Raad im Jahr 1931 ‚leicht‘, sich an den Wortlaut des Vertrags zu halten, weil es kaum gesellschaftlichen Druck gab, eine aktivere Haltung einzunehmen[77)]. Dass Frau Van Heerdt mit einer wertlosen Forderung dastand, wurde als bedauerlich, aber auch als selbstverständlich hingenommen.

Nach heutigen Maßstäben ist die Haltung von Snijders auch in anderer Hinsicht nicht ohne weiteres haltbar. Ein Vertrag nach niederländischem Recht unterliegt Artikel 6:258 NBW und damit der richterlichen Befugnis, eine Geldschuld zu ändern, wenn die unveränderte Aufrechterhaltung der Geldschuld nach den Maßstäben der Angemessenheit und Billigkeit unzumutbar ist[78)], [79)], [80)]. Dass der Hoge Raad zum Zeitpunkt des Mark = Mark-Urteils keinen Raum für die Anwendung der einschränkenden Wirkung von Angemessenheit und Billigkeit auf Fälle unvorhergesehener Umstände sah, mag richtig sein, aber das Bürgerliche Gesetzbuch gab und gibt diesen Raum ausdrücklich vor, und Snijders wusste das offensichtlich. Wir sind daher geneigt, seine Position in einen Aufruf zur vorsichtigen Anwendung von Artikel 6:258 NBW in Fällen wie Mark = Mark umzudeuten. So verstanden, lässt sich Snijders‘ Position besser in die Systematik des NBW 1992 einordnen, das er selbst mitgestaltet hat.

IV Lex monetae, lex contractus und öffentliche Ordnung

In diesem Abschnitt verorten wir das Mark = Mark-Urteil im Kontext des internationalen Privatrechts. Es sei darauf hingewiesen, dass dieser Kontext in dem Gerichtsverfahren selbst keine große Rolle spielte; es soll aber gezeigt werden, dass sich Gläubiger wie Van Heerdt in einem ,Vakuum der Rechtsordnungen‘ befanden.

Als Müller und Köppern einen Vertrag schlossen, galt die klassische völkerrechtliche Abgrenzung der Rechtsordnungen: Was nach deutschem Recht zu beurteilen war, wurde nach deutschem Recht beurteilt, und die niederländische Rechtsordnung respektierte das Ergebnis, sofern es nicht gegen die niederländische öffentliche Ordnung verstieß. Die besondere Schwierigkeit bei der Mark = Mark-Klage bestand darin, dass der Vertrag zwar niederländischem Recht unterlag, die Zahlung aber nicht in Gulden, sondern in deutscher Währung erfolgen sollte. Es gab also mindestens zwei Rechtssysteme, die auf Fragen der Wiedervereinigung und Aufwertung angewendet werden konnten. Im Einzelnen handelte es sich um die lex monetae, das auf eine bestimmte Währung anwendbare Recht, und die lex contractus (oder lex causae), das Recht, das die Rechtsbeziehung zwischen Schuldner und Gläubiger regelt[81)]. Die lex monetae drückt den internationalen Respekt vor der nationalen Staatsgewalt aus: Ein Staat, der eine Währung einführt, sollte die Freiheit haben, diese auch zu ersetzen, ihren Nennwert zu ändern, ihr Goldgewicht zu ändern oder jeglichen Metallwert zugunsten eines rein nominalen, treuhänderischen Wertes aufzugeben usw[82)]. Die lex monetae ist also mit dem Recht des Souveräns verbunden, seine eigene Währung zu gestalten und zu ersetzen, zu bestimmen, was gesetzliches Zahlungsmittel ist und was nicht, und sogar mit der Befugnis, eine souveräne Wirtschaftspolitik zu betreiben, die zu einer erheblichen Inflation führt[83)]. Stattdessen drückt die lex contractus das Rechtsverhältnis aus, das zwischen den Parteien besteht. Bei Vertragsbeziehungen mit grenzüberschreitender Dimension ist die Kollisionsautonomie, also die Rechtswahl, von zentraler Bedeutung[84)]. Eine lex monetae kann von den Parteien nicht gewählt werden, wohl aber das Recht, dem ihr Vertrag unterliegt. Dies war auch zur Zeit von Mark = Mark weitgehend akzeptiert[85)]. Die Parteiautonomie des internationalen Privatrechts erlaubte es den Parteien damals, und auch heute noch, beispielsweise die Anwendbarkeit des niederländischen Rechts zu wählen. Die Vertragsfreiheit des niederländischen Rechts erlaubt es den Parteien, selbst zu bestimmen, dass die Geldschuld aus dem Vertrag in einer anderen Währung als der niederländischen bezahlt werden soll[86)].

Die Rollenverteilung zwischen der lex monetae und der lex contractus ist wie folgt: Die Zwangsvollstreckung selbst unterliegt der lex monetae und die Aufwertung, wie sie durch das Aufwertungsgesetz realisiert wurde, unterliegt der lex contractus. Bei der Aufwertung handelte es sich nicht um eine Währungsfrage, sondern um die Begradigung des durch die Hyperinflation aus dem Gleichgewicht geratenen Rechtsverhältnisses zwischen Schuldner und Gläubiger. Ob dies der Fall war, richtete sich nicht nach dem auf die Währung anwendbaren Recht, sondern nach dem zwischen den Parteien vereinbarten Recht[87)]. Als die Richter selbst Geldschulden neu bewerteten, geschah dies nicht, um in das staatliche Geldmonopol einzugreifen, sondern in das konkrete vermögensrechtliche Verhältnis zwischen den Vertragspartnern. So gesehen ist das Aufwertungsgesetz 1925 also nicht Teil der lex monetae, sondern der lex contractus. In dem Fall Mark = Mark, in dem das Gelddarlehen in deutscher Währung zurückzuzahlen war, der Vertrag aber niederländischem Recht unterlag, war zwar die zu zahlende Währung durch deutsches Recht (die Währungsreform) bestimmt (lex monetae), nicht aber die Aufwertung (lex contractus).

Wenn allerdings auf eine Klage die lex contractus nach deutschem Recht anzuwenden war, sah die Rechtslage nach mehreren niederländischen Urteilen anders aus[88)]. Denn dann waren die niederländischen Gerichte in der Regel bereit, die materiellen Normen des deutschen Aufwertungsgesetzes von 1925 anzuwenden, selbst wenn dieses mit dem Grundsatz des Nominalismus in Konflikt geriet. Die niederländische Ausnahme zum Schutz der öffentlichen Ordnung wurde nur in einem einzigen Urteil berücksichtigt[89)]: Das Bezirksgericht Amsterdam entschied 1928, dass die Berufung auf das Aufwertungsgesetz 1925 in einem Kreditvertrag nach deutschem Recht vor einem niederländischen Gericht gegen den im niederländischen Recht verankerten Grundsatz der Vertragsfreiheit verstoße und dass die Rückwirkung des Gesetzes ein im niederländischen Recht unbekanntes Rechtsinstitut sei und daher nicht anerkannt werde[90)].

In den Niederlanden war die öffentliche Ordnung also nicht durch das deutsche Recht gefährdet, aber das deutsche Recht hatte umgekehrt Auswirkungen durch ausländisches Recht zu befürchten, z. B. : Das Reichsgericht war der Auffassung, dass das Aufwertungsgesetz 1925 in Deutschland zur öffentlichen Ordnung gehörte. 1926 weigerte sich das Reichsgericht, ein dänisches Urteil anzuerkennen. Das dänische Gericht hatte nämlich nicht das Aufwertungsgesetz 1925 angewendet, sondern den Grundsatz des Nominalismus. Es ging um eine Geldforderung, die mit einer Hypothek auf ein Grundstück in Nordschleswig gesichert war, jenem Teil Schleswigs, der nach der Volksabstimmung von 1920 von deutschen in dänische Hände zurückgefallen war. Mit Urteil vom 5. November 1924 hatte das dänische Gericht dem Schuldner gestattet, die Geldschuld in Papiermark zu begleichen, und den Gläubiger aufgefordert, bei der Löschung der Hypothek mitzuwirken. Dieser lebte in Deutschland und zog dort vor Gericht. Die Frage war, ob dieses dänische Urteil in Deutschland vollstreckt werden konnte. Das Reichsgericht entschied, dass dies nicht der Fall sei: Der Mark = Mark-Ansatz des dänischen Gerichts nehme dem Gläubiger das Recht auf die Rückzahlung in „sittlich verwerflicher Weise“ und widerspreche zudem dem Zweck des deutschen Rechts, die „Grundlagen des deutschen staatlichen und wirtschaftlichen Lebens“ zu wahren; das deutsche Recht beziehe sich lediglich auf § 242 BGB („Treu und Glauben“), der, so das deutsche Gericht, seit der Aufwertungsentscheidung vom November 1923 die Grundlage für das Recht auf Aufwertung bilde[91)].

V Der Untergang des Goldstandards und die Auswirkungen auf Goldklauseln

Die Schlussfolgerung aus dem oben Gesagten ist, dass die klassische Abgrenzung der Rechtsordnungen nach logischen Gesichtspunkten in Mark = Mark zu einem leicht verzerrten Ergebnis für den Gläubiger führte. Natürlich gab es im niederländischen Recht kein Aufwertungsrecht, wie es Deutschland eingeführt hatte, denn die niederländische Kaufkraft war in den meisten Fällen kein Thema. Gerade Geschäfte mit internationaler Dimension ‒ wie Van Heerdt vs. Müller ‒ zeigten die Grenzen der klassischen Abgrenzung auf. Natürlich hätten auch nach niederländischem Recht Treu und Glauben, Angemessenheit und Billigkeit, in dieser Hinsicht als ‚Lückenfüller‘ berücksichtigt werden können. Ein naheliegender Gesichtspunkt, unter dem Mark = Mark verstanden werden kann, ist also das Fehlen einer international anerkannten Doktrin der unvorhergesehenen Umstände (Wegfall der Geschäftsgrundlage). Eine solche Lehre hätte dem Gericht zumindest die Möglichkeit gegeben, den Grundsatz des Nominalismus zu durchbrechen.

Bekanntlich war der Hoge Raad noch nicht so weit gegangen. Er vertrat nämlich die in dieser Zeit weit verbreitete Auffassung, dass die Einrede des guten Glaubens, d. h. die einschränkende Wirkung von Angemessenheit und Billigkeit, weder die von den Parteien vereinbarten genauen Verpflichtungen noch gesetzliche Bestimmungen, selbst wenn es sich um Ordnungsrecht handelt, berühren konnte[92)], [93)] . Die unteren Gerichte gingen damals oft in eine andere Richtung, wie im Fall der Frage Mark = Mark. Der Hoge Raad erkannte offenbar erst infolge der Umstürze durch die Krisenjahre, des Zweiten Weltkriegs und des Beginns der Ausarbeitung des neuen Bürgerlichen Gesetzbuchs NBW die volle einschränkende Wirkung von Angemessenheit und Billigkeit. Erst ab den 1960er Jahren bildete die einschränkende Wirkung von Angemessenheit und Billigkeit einen eigenständigen Prüfungspunkt und erst noch später kam ihnen ihre Funktion bei unvorhergesehenen Umständen zu[94)].

Interessant ist jedoch, dass der niederländische Gesetzgeber 1936, nur 5 Jahre nach dem Mark = Mark-Urteil, der Aufhebung vertraglicher Bestimmungen zustimmte. Dies hatte mit anderen Ereignissen in jenen Jahren zu tun, die erhebliche Auswirkungen auf die Niederlande und deren Rechtssystem hatten. Während die durch die deutsche Hyperinflation von 1923 ausgelöste Störung an dem Land vorbeiging, konnte man das von dem Börsenkrach von 1929, der darauffolgenden Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre und dem damit einhergehenden Niedergang des Goldstandards nicht behaupten.

Als der Hoge Raad 1931 Mark = Mark urteilte, glaubten viele noch fest an den Goldstandard. Die niederländischen Politiker hielten noch an ihm fest, als die wichtigsten Handelspartner ihn bereits aufgegeben hatten. Der Gulden blieb zuletzt die einzige Währung, die an den Goldstandard gebunden war, während die anderen Währungen längst abgewertet worden waren[95)]. Die Befürworter der Abwertung wiesen darauf hin, dass das Festhalten am Goldstandard den Gulden verteuerte: Der Wechselkurswert des Guldens war im Vergleich zu Währungen, die nicht mehr an den Goldwert gebunden waren, hoch; das führte zu einem Rückgang der Exporte niederländischer Produkte und sogar zu einer Deflation[96)]. Das Festhalten am Goldstandard verstärkte die wirtschaftliche Misere der Krisenjahre in den Niederlanden[97)]. Die Gegner sahen in einer Abwertung aber buchstäblich den Anfang vom Ende: Sie würde nicht nur das Geld sofort entwerten, sondern auch jegliche Haushaltsdisziplin zunichte machen[98)]. Längerfristig könnte die Entkopplung also zu großen Finanzierungsproblemen führen. Als die Niederlande das letzte Land waren, das noch am Goldstandard festhielt, musste die niederländische Regierung feststellen, dass der Goldstandard nicht mehr haltbar war, und gab ihn am 26. September 1936 auf[99)].

Bei internationalen Finanztransaktionen war es nicht unüblich, Zahlungsverpflichtungen an eine verlässliche Werteinheit wie Gold zu binden. Die Zahlungsverpflichtung wurde dann durch eine Goldklausel als ein Gewichtsbetrag in Gold einer bestimmten Qualität ausgedrückt, der am Zahltag im Gegenwert einer nationalen Währung zu begleichen war[100)]. Goldklauseln wurden manchmal sogar bei nicht grenzüberschreitenden Transaktionen verwendet, wenn man die Instabilität der eigenen Währung fürchtete[101)]. Solche Goldklauseln schadeten kaum den an den Goldstandard gebundenen Währungen und waren daher zulässig[102)]. In Ländern, in denen eine solche Bindung nicht bestand oder aufgegeben worden war, konnten Goldklauseln mit der staatlichen Autorität in Konflikt geraten; schließlich bestimmte der Staat, was gesetzliches Zahlungsmittel war und was nicht[103)]. In Frankreich beispielsweise wurde bei Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges (1870–1871) der Goldstandard und damit die Umtauschbarkeit von Geld in Gold aufgegeben: Gläubiger mussten sich fortan mit Banknoten der Banque de France begnügen[104)], die Cour de Cassation erklärte vertragliche Goldklauseln für sofort nichtig, da sie gegen die Staatsgewalt und damit gegen die öffentliche Ordnung verstießen[105)]. Dieses Muster trat in weiteren Ländern auf; in den Ländern, die seit 1914 den Goldstandard verließen, und in den Krisenjahren wurden vertragliche Goldklauseln vom Gespenst der Nichtigkeit verfolgt[106)], [107)]. In den Niederlanden kam die Diskussion erst nach 1930 auf.

Das niederländische Gesetz über die Goldklausel 1937[108)] erklärte rückwirkend Goldklauseln in einer Reihe von Verträgen einschließlich Gelddarlehensverträgen, die vor dem 26. September 1936 (dem Tag der Aufgabe des Goldstandards) geschlossen worden waren, für nichtig, sofern es sich um Klauseln ohne internationale Komponente handelte[109)]. Die Überlegung des Gesetzgebers war, dass der Ausstieg Gläubigern, die sich auf eine Goldklausel berufen konnten, einen unverdienten Vorteil bringen würde: Schließlich war das inländische Preisniveau gleich geblieben, und die Berufung auf die Klausel konnte nun eine ,störende Wirkung auf den inländischen Wirtschaftsverkehr‘ haben[110)]. Die Regierung griff daher ein:

,Die Regierung verkennt nicht, dass gemäß Artikel 1374 des Bürgerliches Gesetzbuches rechtmäßig geschlossene Verträge ‒ zu der nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auch die Goldklausen gehören ‒ für die Parteien rechtmäßig sind. Diese Regel, die den Vertragsparteien in Bezug auf ihre gegenseitigen Beziehungen zugestanden wird, hindert den Gesetzgeber jedoch nicht daran, bestimmte Verträge oder Vertragsklauseln außer Kraft zu setzen, wenn diese aufgrund besonderer Umstände dem öffentlichen Interesse abträglich wären. Und wenn der Staat aus den oben genannten Gründen feststellt, dass die Einhaltung der Goldklauseln zugunsten der Gläubiger in bestimmten Fällen tatsächlich zu einem Ungleichgewicht bei den Rechten und Pflichten der Vertragsparteien führen und sich somit wirtschaftlich und sozial störend auswirken würde, ist es seine Pflicht, einzugreifen und die störende Wirkung zu stoppen, wo immer sie auftritt‘[111)].

Die Vertragsparteien durften jedoch auch nach Inkrafttreten des Gesetzes eine Goldklausel vereinbaren, da dies im Nachhinein nicht zu einer Unverhältnismäßigkeit oder zu sozialen Verwerfungen führen würde. Die Argumentation des Gesetzgebers ist fragwürdig wenn man bedenkt, dass die Goldklausel gerade als ,Versicherungspolize‘ gegen die seit Jahren drohende Aufgabe des Goldstandards in Verträge aufgenommen worden war. Der Unterschied im Ergebnis ist in gewisser Weise bemerkenswert, wenn man das Gesetz über die Goldklausel 1937 mit der Haltung des Hoge Raad in der Rechtssache Mark = Mark vergleicht: Der Gesetzgeber schützte offenbar den Schuldner vor einem Gläubiger, der durch die Berufung auf den Vertrag einen unverdienten Vorteil erlangen würde, der Oberste Gerichtshof jedoch schützte den Gläubiger nicht vor einem Schuldner, der durch die Berufung auf den Vertrag einen unverdienten Vorteil erlangte.

Wie schnell kann sich die Situation ändern[112)]. Zum Zeitpunkt des Hinweises auf Mark = Mark galt in den Niederlanden noch der Goldstandard, Goldklauseln galten als Domäne der Vertragsfreiheit und soweit ausländisches Recht hier eingreifen wollte, konnte es zu einem Konflikt mit der niederländischen öffentlichen Ordnung kommen: Die Parteien mussten die Freiheit haben, einen ‚sicheren Hafen‘ für den Wert der Zahlung zu wählen. Der Unterschied zwischen 1931 und 1936 lässt sich natürlich bis zu einem gewissen Grad erklären: Der niederländische Gesetzgeber wollte mit dem Goldklauselgesetz die unverdienten Vorteile ausgleichen, die das Handeln des Staates (die Lockerung des Goldstandards) für die Gläubiger mit sich brachte, während das niederländische Gericht in der Rechtssache Mark = Mark vor allem mit den Trümmern konfrontiert war, die die Weimarer Republik hinterlassen hatte. Außerdem glaubte der Gesetzgeber, dass die Aufgabe des Goldstandards zu einer wirtschaftlichen Störung in den Niederlanden führen würde ‒ eine Befürchtung, die nicht mehr bestand, als der Wert der deutschen Mark 1923 einbrach.

VI Schlussfolgerungen

Das Mark = Mark-Urteil markiert die Spannung zwischen der gesetzlichen Prämisse des Nennwertprinzips und einer ungeschriebenen Lehre der einschränkenden Wirkung von Angemessenheit und Billigkeit, die eine Neubewertung der Geldschuld fordert. In dem Urteil entschied sich der Oberste Gerichtshof im Einklang mit seiner früheren Rechtsprechung für einen Gesetz = Gesetz-Ansatz: Es sei nicht Sache des Gerichts, den im Gesetz verankerten Grundsatz der Nominalismus außer Kraft zu setzen, auch wenn es sich um eine Regel des Ordnungsrechts handelte. Da die Parteien selbst keine abweichende Klausel aufgenommen und sich somit vor den Folgen der Inflation geschützt hatten, war das Gesetz zu befolgen. Das Urteil steht in einer Linie mit der Rechtsprechung des niederländischen Obersten Gerichtshofs, die keinen Raum für eine außergesetzliche Doktrin der einschränkenden Wirkung von Angemessenheit und Billigkeit lässt. In dieser Hinsicht wurde die deutsche Hyperinflation mit den störenden Auswirkungen des Ersten Weltkriegs auf Verträge gleichgesetzt: Auch wenn die vertragliche Bindung durch ein Ungleichgewicht von Preis und Leistung belastet war, galt Vertrag = Vertrag.

Das Urteil war also nicht bahnbrechend, sondern bewahrte buchstäblich die Grenzen zwischen der deutschen und der niederländischen Rechtsordnung. Damit entsprach es den damals vorherrschenden Auffassungen über internationale Währungsbeziehungen. Der Fall Mark = Mark war in dieser Hinsicht etwas Besonderes: Die lex monetae war deutsches Recht und die lex contractus war niederländisches Recht. Hätte das deutsche Recht auch für den Geldkredit gegolten, hätte das niederländische Gericht höchstwahrscheinlich das deutsche System der Aufwertung angewandt.

Betrachtet man den wirtschaftlichen Kontext in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg, so wird deutlich, wie komplex das zugrundeliegende Geldentwertungsproblem dort tatsächlich war und wie sehr sich die Situation in den Niederlanden davon unterschied. Der unerschütterliche Glaube an den Goldstandard war dafür mitverantwortlich. Als auch die Niederlande Krisenjahre durchlebten und 1936 schließlich den Goldstandard aufgaben, änderten sich nicht nur die Ansichten über die internationalen Währungsbeziehungen, sondern das Recht erwies sich mehr als zuvor als Instrument, um bei Bedarf in vertragliche Beziehungen einzugreifen. So wurden Goldklauseln rückwirkend außer Kraft gesetzt. Es war der Gesetzgeber, der hier die Führung übernahm, nicht der Oberste Gerichtshof. Es sollte bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg dauern, bis die Lehre von der einschränkenden Wirkung von Angemessenheit und Billigkeit und in ihrem Gefolge die Lehre der Störung der Geschäftsgrundlage in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs breitere Akzeptanz fand.


Dieser Text ist eine überarbeitete Fassung von W.H. van Boom/E.G.D. van Dongen/M. Smit, Mark = Mark, Over de Duitse hyperinflatie en hoe het Nederlandse recht ermee omging, Groninger Opmerkingen en Mededelingen [GROM] XL (2023) 1–28. Wir danken Prof. Dr. Jan Thiessen (Humboldt-Universität zu Berlin) für wertvolle Hilfe bei der Auslegung des Aufwertungsgesetzes 1925 und Dr. Ariëtte Dekker (Leiden) für wertvolle Anregungen bei der Auslegung der Geschäftsbeziehung zwischen Wm. H. Müller & Co. und dem Geldgeber Köppern, ferner Bart Bierens (RU), Christiaan van Bochove (UU) und Rick Verhagen (RU) für Kommentare zu einer früheren Fassung.


Published Online: 2025-07-11
Published in Print: 2025-06-26

© 2025 Willem van Boom/Emanuel van Dongen, publiziert von De Gruyter

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Articles in the same Issue

  1. Frontmatter
  2. Joachim Rückert zum 16. August 2025
  3. Aufsätze
  4. I. Die Königsgerichtsbarkeit und die Gerichtsstandsprivilegien im deutschen Spätmittelalter (1273–1400)
  5. II. The Advocate’s Office and Royal Justice in East Francia and the German Kingdom, c. 800–c. 1125
  6. III. Schlächtiges und Durchschlächtiges Eigen, Sala: Unbekannte Institute des mittelalterlichen Sachenrechts in Nordwestdeutschland
  7. IV. Nordschleswig/Sønderjylland: Zur neueren Privatrechtsgeschichte eines „Zwischenraums“
  8. V. Mark = Mark. Die deutsche Hyperinflation und ihre Auswirkungen auf das niederländische Recht
  9. VI. „Rechtssicherheit ist in der DDR dreifach genäht“
  10. Miszellen
  11. Tracing Hunger- and Poverty-Related Thefts in the Early Modern Swedish Court Records
  12. The Feudal Court and Diet of the Olomouc Bishopric in the Sixteenth Century: Influences and Reception of Moravian Provincial Law on the Feudal System of the Olomouc Bishopric
  13. Ein Erbstück kursächsischer Justizaufsicht ‒ Specificationes derer von der Juristen-Facultät und dem Schöppen-Stuhl zu Wittenberg einzusenden anbefohlenen Verzeichnisse (1741–1756)
  14. Prügelknaben – Anmerkungen zu Karl-Heinz Ladeur
  15. Literatur
  16. (Post)Koloniale Rechtswissenschaft. Geschichte und Gegenwart des Kolonialismus in der deutschen Rechtswissenschaft. Hg. v. Philipp Dann/Isabel Feichtner/Jochen von Bernstorff
  17. Andermann, Ulrich, Recht, Richter und Gerichte in Ravensberg. Rechtsgeschichte einer Grafschaft
  18. Knut Bergbauer/Sabine Fröhlich/Stefanie Schüler-Springorum, Hans Litten ‒ Anwalt gegen Hitler. Eine Biographie. 2. überarbeitete Auflage
  19. Birr, Josefa, Der Schatten des Wanderers – Einzelfall, Rechtswandel und Fortschritt in Rudolf von Jherings Lehre vom Rechtsgefühl. Herleitung eines Mehrebenenmodells seines komplexen Rechtsgefühlsbegriffs
  20. Booß, Christian/Sebastian Richter, ,Kristallhart gegenüber allen Feinden‘. Die DDR-Staatsanwaltschaft und das MfS im politischen Strafprozess
  21. Carl Schmitt – Roman Schnur. Briefwechsel 1951 bis 1983, hg. v. Martin Tielke
  22. Das zweite Kolberger Stadtbuch 1373–1436, hg. von Dietrich W. Poeck
  23. Dawne miejsca straceń na Śląsku w ujeciu interdisciplinarnym [Ehemalige Richtstätten in Schlesien in einem interdisziplinären Ansatz], hg. von Daniel Wojtucki
  24. Die Akten des Kaiserlichen Reichshofrates, Serie II: Antiqua, 6: Karton 517‒616c. Hg. v. Wolfgang Sellert, bearb. v. Tobias Schenk
  25. Die Grafschaft Ravensberg im 17. Jahrhundert. Verfassung – Recht – Wirtschaft – Kultur. Beiträge des zweiten Ravensberger Kolloquiums, hg. v. Ulrich Andermann/Michael Zozmann
  26. Die Tagebücher des preußischen Hof- und Staatsbeamten Rudolf Graf von Stillfried-Alcántara 1827 bis 1882. Eine historisch-kritische Edition, hg. von Joachim Bahlcke/Roland Gehrke
  27. Willoweit, Dietmar, Rechtsdenken. Zwischen innergesellschaftlicher Rechtsbildung und hoheitlicher Rechtssetzung, hg. und auf Grundlage des vom Autor nahezu vollständig vollendeten Manuskripts ergänzt von Steffen Schlinker
  28. Dinkel, Jürgen, Alles bleibt in der Familie. Erbe und Eigentum in Deutschland, Russland und den USA seit dem 19. Jahrhundert
  29. Dippel, Horst, Moderner Konstitutionalismus. Entstehung und Ausprägungen. England ‒ Nordamerika ‒ Frankreich ‒ Deutschland ‒ Europa/Europäische Union ‒ Lateinamerika
  30. Dörrenbächer, Simon, NS-Strafjustiz an der Saar. Nationalsozialistisches Strafrecht in der Rechtsprechung des Sondergerichts Saarbrücken 1939 bis 1945
  31. Duve, Thomas/Egío, José Luis, Rechtsgeschichte des frühneuzeitlichen Hispanoamerika
  32. Eberhard Schmidt. Strafrechtshistoriker, Strafprozessualist und Strafrechtler, hg. v. Arnd Koch/Carl-Friedrich Stuckenberg/Wolfgang Wohlers
  33. Eckert, Georg/Meurer, Sebastian, Gesetzgeber als Helden. Figuren der Ermächtigung zwischen Antike und Moderne
  34. Grimm, Dieter, Recht oder Politik? Die Kelsen-Schmitt-Kontroverse zur Verfassungsgerichtsbarkeit und die heutige Lage
  35. Gross, Norbert, Was blieb von Kaisers Recht in Elsass-Lothringen?
  36. Hüther, Paul, Wissenschaft und Praxis im Verwaltungsrecht (1949‒2020)
  37. Hüther, Paul/André Lepej, Karl Zeidler (1923–1962). Staats- und Verwaltungsrecht in der jungen Bundesrepublik
  38. Keil, Rainer, Hugo Grotius als Wegbereiter des Menschenrechts auf Asyl und des modernen Rechts zum Schutz geflüchteter Personen vor ernsthaftem Schaden
  39. Justiz im Umbruch. Die Geschichte des Bundesgerichtshofes 1950 bis 1965, Bd. 1: Michael Kißener, Das Gericht, Bd. 2: Andreas Roth, Rechtsprechung
  40. Kißener, Michael/Andreas Roth/Vaios Kalogrias/Philipp Martin, Das rheinische Nurnotariat im Nationalsozialismus
  41. Lepej, André, Eduard Wahl (1903–1985). Rechtswissenschaft und Rechtspolitik
  42. Luger, Daniel, Das ‚Königliche Gerichtsbuch‘ des Michael von Pfullendorf aus den Jahren 1442 bis 1451. Einführung und Edition. Mit einem Vorwort von Bernhard Diestelkamp
  43. Mikuła, Maciej, Municipal Magdeburg Law (Ius municipale Magdeburgense) in Late Medieval Poland. A Study on the Evolution and Adaptation of Law
  44. Müller, Christian, Recht und historische Entwicklung der Scharia im Islam
  45. Nadijm, Arian V., Schiedsrichterliche Führung. Autoritär-korporative Staatsrechtslehre nach Heinrich Herrfahrdt
  46. Quellenkunde zur westfälischen Geschichte vor 1800. Zwanzig Beiträge zu Auswertungsmöglichkeiten und Erkenntnispotentialen vormoderner Überlieferungen, hg. von Stefan Pätzold/Wilfried Reininghaus
  47. Rossi, Guido, Ordinatio ad casum. Legal Causation in Italy (14th–17th Centuries)
  48. Schenkel, Silvan, Der Deutsche Juristentag 1933. Die kumulative Selbstmobilisierung der juristischen Professionselite in der Formierungsphase des NS-Regimes
  49. Schorkopf, Frank, Die unentschiedene Macht. Verfassungsgeschichte der Europäischen Union, 1948–2007
  50. Stella, Attilio, The Libri Feudorum (the ‚Books of Fiefs‘). An Annotated English Translation of the Vulgata Recension with Latin Text
  51. Vogt, Dennis, Arbeit am Konflikt. Die Lösung individueller Arbeitsstreitigkeiten im Deutschen Kaiserreich, 1890–1918
  52. Von Bußen und Strafen. Gerichtliche Verfolgung von Unrecht, hg. v. Anja Amend-Traut/Peter Oestmann
  53. Wagner, Maximilian, Naturrecht und Sozialistische Gesetzlichkeit. Begründungsstrategien und Reflexionstheorien im Recht der Nachkriegszeit (1945‒1958).
  54. Wheatley, Natasha, The Life and Death of States. Central Europe and the Transformation of Modern Sovereignty
  55. Neuerscheinungsliste ZRG 142 (2025)
  56. In memoriam
  57. Dietmar Willoweit 17. Juli 1936–24. April 2023
  58. Bernd Rüthers (12. Juli 1930–22. Juni 2023). Arbeitsrecht – Methodenlehre – Zeitgeschichte
  59. Gerhard Dilcher 14. Februar 1932–1. Juli 2024 Mit einem digitalen Schriftenverzeichnis
  60. Chronik
  61. Zum 44. Rechtshistorikertag in Frankfurt a. M.
Downloaded on 7.12.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/zrgg-2025-0006/html
Scroll to top button