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Forschungen zu Kunst und Kunstgeschichte im Nationalsozialismus: Die Reihe Brüche und Kontinuitäten, Bde. 1–10

  • Olaf Peters

    Olaf Peters ist seit 2006 Professor für die Kunstgeschichte der Moderne und Gegenwart an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Er studierte in Bochum und habilitierte sich 2004 in Bonn. Seine Forschungsgebiete umfassen den Expressionismus, die Neue Sachlichkeit, Kunst und Kunstpolitik während des Nationalsozialismus sowie die Geschichte der Kunstgeschichte. Er arbeitet zur Zeit an einer Gesamtdarstellung zum Thema Kunst im Dritten Reich.

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Published/Copyright: August 30, 2024
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Reviewed Publications:

Fuhrmeister Christian, Die Abteilung »Kunstschutz« in Italien: Kunstgeschichte, Politik und Propaganda 1936–1963 (Brüche und Kontinuitäten, Bd. 1) Wien/Köln/Weimar: Böhlau, 2019, 413 Seiten, 28 Schwarzweißabbildungen, € 55,00, ISBN 978-3-412–22404-2 (eBook: ISBN 978-3-412–51807-3 )

Bushart Magdalena, Gasior Agnieszka und Janatková Alena, (Hg.), Kunstgeschichte in den besetzten Gebieten 1939–1945 (Brüche und Kontinuitäten, Bd. 2) Wien/Köln/Weimar: Böhlau, 2016, 327 Seiten, 36 Schwarzweißabbildungen, € 50,00, ISBN 978-3-412–50168-6 (nicht als eBook erhältlich)

Löffler Emily, Kunstschutz im besetzten Deutschland: Restitution und Kulturpolitik in der französischen und amerikanischen Besatzungszone (1944–1953) (Brüche und Kontinuitäten, Bd. 3) Wien/Köln/Weimar: Böhlau, 2019, 416 Seiten, 7 Farb- und 5 Schwarzweißabbildungen, € 60,00, ISBN 978-3-412–51425-9 (eBook: ISBN 978-3-412–51426-6 )

Heyer Ester Rahel, de Peyronnet-Dryden Florence und Langbrandtner Hans-Werner (Hg.), »Als künstlerisch wertvoll unter militärischem Schutz!«: Ein archivisches Sachinventar zum militärischen Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg (Brüche und Kontinuitäten, Bd. 4) Wien/Köln/Weimar: Böhlau, 2022, 688 Seiten, 46 Schwarzweißabbildungen, € 59,00, ISBN 978-3-412–51997-1 (eBook: ISBN 978-3-412–51998-8 )

Langbrandtner Hans-Werner, Heyer Ester Rahel und de Peyronnet-Dryden Florence (Hg.), Kulturgutschutz in Europa und im Rheinland: Franziskus Graf Wolff Metternich und der Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg (Brüche und Kontinuitäten, Bd. 5) Wien/Köln/Weimar: Böhlau, 2020, 542 Seiten, 64 Schwarzweißabbildungen, € 65,00, ISBN 978-3-412–51994-0 (eBook: ISBN 978-3-412–51995-7 )

Fuhrmeister Christian und Murovec Barbara, Transfer of Cultural Objects in the Alpe Adria Region in the 20th Century (Brüche und Kontinuitäten, Bd. 6) Wien/Köln/Weimar: Böhlau, 2022, 520 Seiten, 111 teils farbige Abbildungen, € 59,00, ISBN 978-3-412–51887-5 (eBook: ISBN 978-3-412–51888-2 )

Saß Ulrike, Die Galerie Gerstenberger und Wilhelm Grosshennig: Kunsthandel in Deutschland von der Kaiserzeit bis zur BRD (Brüche und Kontinuitäten, Bd. 7) Wien/Köln/Weimar: Böhlau, 2021, 488 Seiten, 10 farbige und 86 Schwarzweißabbildungen, € 65,00, ISBN 978-3-412–51679-6 (eBook: ISBN 978-3-412–51680-2 )

Gröner Anke, »Ziehet die Bahn durch deutsches Land«: Gemälde zur Reichsautobahn von Carl Theodor Protzen (1887–1956) (Brüche und Kontinuitäten, Bd. 8) Wien/Köln/Weimar: Böhlau, 2022, 440 Seiten, 99 Farbabbildungen, € 65,00, ISBN 978-3-412–52407-4 (eBook: ISBN 978-3-412–52408-1 )

Schwerdtfeger Paula, Raum – Zeit – Ordnung: Kunstausstellungen im Nationalsozialismus (Brüche und Kontinuitäten, Bd. 9) Wien/Köln/Weimar: Böhlau, 2023, 537 Seiten, 225 teils farbige Abbildungen, € 85,00, ISBN 978-3-412–52884-3 (eBook: ISBN 978-3-412–52885-0 )

Ender Valerie, Von wirtschaftlichem Aufstieg, Verfolgung und Exil: Die Galerie und Sammlung Thannhauser 1909–2005 (Brüche und Kontinuitäten, Bd. 10) Wien/Köln/Weimar: Böhlau, 2024, 276 Seiten, 2 farbige und 30 Schwarzweißabbildungen, € 40,00, ISBN 978-3-412–52887-4 (eBook: ISBN 978-3-412–52888-1 )


Forschungsprojekte und Publikationsreihen zum Nationalsozialismus gehören zu den maßgeblichen Beiträgen der zeitgeschichtlichen Forschung im 20. Jahrhundert. Die Kunstgeschichte hat von diesen Veröffentlichungen in erheblichem Maße profitiert und sich seit den 1970er-Jahren selbst der Thematik immer stärker zugewandt. Eine lose Reihe im Hanser-Verlag veröffentlichte seitdem Pionierstudien von Berthold Hinz, Joachim Petsch oder Hans Dieter Schäfer. Die kritische Kunstgeschichte des Ulmer Vereins publizierte ihre Ergebnisse in den 1980er-Jahren im Jonas-Verlag und weitete den Blick auf Arbeiterdarstellungen, Thingstätten, Autobahnen und Werbung. Zuletzt war es vor allem die Forschungsstelle zur »Entarteten Kunst« (Berlin und Hamburg), die hier kontinuierlich wichtige Beiträge zu einem zentralen Untersuchungsgegenstand vorgelegt hat. Vor wenigen Jahren startete der renommierte Böhlau-Verlag eine neue Reihe mit dem Titel Brüche und Kontinuitäten, was ein wichtiges Merkmal der Publikationen bereits hervorhebt. Nicht in die engeren Epochendaten 1933–1945 fügt man sich, sondern bewusst werden diese Grenzen überschritten. Der Forschungsgegenstand wird nicht isoliert betrachtet, wie es lange Zeit häufig und gerne Praxis war, auch zur Entlastung der eigenen Zunft.

Nun kann man hier schlecht die bislang erschienenen Bände, bis Januar 2024 sind dies insgesamt zehn, adäquat wiedergeben und bewerten. Es handelt sich bei den ersten fünf Veröffentlichungen um zwei Monographien und drei Sammelbände, wobei die Thematik des Kunst- und Kulturgutschutzes zuletzt allein vier Bände thematisch beherrscht, während die Geschichte der Kunstgeschichte im engeren Sinne den Auftakt im Jahr 2016 bildete. In der letzten Zeit sind Publikationen zum Kunsthandel, zur Malerei und zum Ausstellungswesen hinzugekommen, die das Themenspektrum entscheidend erweitern.

Insgesamt stellt die Reihe bisher ein Komplementär zu den bereits erwähnten Bänden zur »Entarteten Kunst« dar und ergänzt ferner die thematisch breiter angelegte Reihe der Schriften zur modernen Kunsthistoriographie, die beide vom Akademie-Verlag begonnen und inzwischen von De Gruyter fortgeführt werden. Angesichts der hier besprochenen wichtigen neuen Reihe sollen an dieser Stelle die Monographien und einige zentrale Ansätze in den Blick genommen werden, ohne wohl den bisherigen Veröffentlichungen aufgrund ihres Umfangs und ihrer komplexen thematischen und methodischen Vielgestalt vollständig gerecht werden zu können.

Kunstschutz

Die Reihe beginnt nominell programmatisch mit der Habilitationsschrift Christian Fuhrmeisters, der am Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München forscht und an der dortigen Ludwig- Maximilians-Universität unterrichtet. Zusammen mit Magdalena Bushart, Professorin an der TU Berlin, fungiert er auch als Reihenherausgeber und kann als einer der besten Kenner der Materie gelten. Seine Monographie behandelt den deutschen militärischen Kunstschutz in Italien in den letzten Kriegsjahren 1943–1945, wo dieser aufgrund des Kriegsverlaufs vergleichsweise spät etabliert wurde. Erst mit dem Sturz Mussolinis und der alliierten Landung auf Sizilien im Sommer 1943 wurde das Hoheitsgebiet des vormaligen Verbündeten zum Tätigkeitsfeld des Kunstschutzes der neuen Besatzer, während in den von Deutschland ab 1939 besetzten Gebieten unmittelbar mit der Sicherung von Kulturgütern begonnen werden konnte. Fuhrmeisters Analyse widmet sich der konkreten Tätigkeit deutscher Kunsthistoriker ab Herbst 1943, die vor der Folie zuvor in Italien ansässiger Forschungsinstitutionen wie dem Kunsthistorischen Institut in Florenz und der Bibliotheca Hertziana in Rom betrachtet werden muss; so kommen Forschungsinitiativen ab 1936 sowie Rechtfertigungen nach 1945 bis 1963 als zeitlicher Rahmen der Darstellung kurz zur Sprache.

Fuhrmeister zielt auf die Erweiterung eines etablierten kunsthistoriographischen Ansatzes: »Nur der dezidiert multiperspektivische Zugriff – Aspekte der Institutions- und Organisationsgeschichte mit individuellen Lebenswegen und übergreifenden inhaltlichen Fragen verschränkend – führt zur histoire croisée einer Problemgeschichte von Ästhetik und Politik« (Bd. 1, 339). Selbst- und Fremdwahrnehmungen der ins Blickfeld gerückten Persönlichkeiten werden dabei ebenso berücksichtigt wie konkretes Handeln, Handlungsweisen, -möglichkeiten, und -optionen. Kunstgeschichte, Kunstschutz, Kunstpolitik und sogar Kulturpropaganda verschränken sich auf mitunter schwer zu entwirrende und zu beurteilende Weise. Die ideologische Vorstellung von der Superiorität eines deutschen Genies und einer arischen Rasse als Kulturträger war mit Blick auf Italien vor die Herausforderung gestellt, das antike Erbe als auch die Meisterwerke der Renaissance und des Barock mit der eigenen, unbewussten Hybris konfrontieren zu müssen, ohne das eigene Konstrukt zu sehr zu hinterfragen.

In der Endphase des Krieges wird dann die Vorstellung eines gegen den Bolschewismus aber auch den Amerikanismus (beides aus Sicht überzeugter Nationalsozialisten oftmals ohnehin nur Formen des Materialismus und Vehikel des jüdischen Geistes) zu bewahrenden Abendlandes bemüht, um die eigene ideelle Überlegenheit im Kontrast zum Kriegsverlauf aufrecht erhalten zu können. Das latente Minderwertigkeitsgefühl wird bei einem so bekannten Kunsthistoriker wie Wilhelm Pinder greifbar, der 1943 in einer Rundfunkansprache vom »Strahlungsbereich der deutschen Kunst« sprach, um festhalten zu können, dass auch die Italiener von den Deutschen empfangen und nicht nur gegeben hätten (vgl. Bd. 1, 105–106).

Es ist ein grundlegendes Verdienst der materialreichen und umfassend aus den freilich nur fragmentarisch erhalten und weit gestreuten Quellen erarbeiteten Studie, dass die einzelnen Figuren und ihr Handeln differenziert dargestellt und beurteilt werden. Verallgemeinerungen verbieten sich und von dem Kunstschutz kann nicht gesprochen werden. Ohne Zweifel verfolgten die Angehörigen des militärischen Kunstschutzes unterschiedliche Interessen, wobei der Aspekt des Schutzes vor Zerstörung zentral war, selbst wenn teilweise wissenschaftliche Eigeninteressen forciert wurden oder dies mitunter die Verbringung von Werken oder gar punktuelle Überschneidungen zum heute starke Aufmerksamkeit auf sich ziehenden Feld des Kulturgutraubs implizierte. Für strukturell gegeben – und damit nicht nur individuell möglich – sieht Fuhrmeister hingegen die propagandistische Komponente des Kunstschutzes an, da er im Zeichen des Krieges praktiziert immer auf der »Mobilisierung der eigenen Truppe (und der eigenen Bevölkerung) und der Demotivation des Gegners beruht« (Bd. 1, 131). Der realen und behaupteten Zerstörung von Kulturgut wurde das Bild der Bewahrung entgegengestellt, wobei jeder Anschein von Beraubung einer fremden Kultur zu vermeiden war.[1] Dem militärischen Kunstschutz entstanden in diesem Zusammenhang aufgrund des Charakters des Krieges, aber auch aufgrund der immanenten Herrschaftsstruktur des Nationalsozialismus und seines auf Bereicherung durch Plünderung und Raub, aber auch auf Zerstörung zielenden Charakters, immer wieder Konflikt- oder auch Betätigungsfelder. Dass auch hier keine Verallgemeinerungen angebracht sind, zeigt Fuhrmeisters knapper, differenzierender Exkurs zum Kunstschutz in Serbien bzw. Griechenland.

Die zentralen, von Fuhrmeister auf ihre Handlungsprofile untersuchten Figuren in Italien sind Franziskus Graf Wolff Metternich, Hans Gerhard Evers, Ludwig Heinrich Heydenreich, Herbert Siebenhüner und Alexander Langsdorf, die wichtige Positionen während und zum Teil auch nach dem Krieg bekleideten, etwa als Professoren oder gar als Direktoren der Bibliotheca Hertziana. Evers machte sich im westlichen Nachkriegsdeutschland auch einen Namen als (Mit-)Organisator der berühmten Darmstädter Gespräche. Politik und Wissenschaft werden von Fuhrmeister als ein »elastisches Spannungsfeld« (Bd. 1, 257) und nicht als kategorial voneinander zu scheidende Bereiche betrachtet. Die Ambivalenz der eigenen Tätigkeit kam bei den Zeitgenossen mitunter zur Sprache, wenn auch vielleicht unbewusst: Ellen Haniel – wie Erika Hanfstaengl eine der wenigen Frauen in dem Bereich – hielt rückschauend fest: »Wir waren nur Werkzeuge, um einen Befehl durchzuführen, gute Werkzeuge, denn wir taten alles mit feinfühliger Liebe, mit einer tiefen Hoffnung im Herzen, daß die Arbeit, die vorerst aufwühlte und zerriß, einmal der Grundstein zu einem neuen Aufbau, zu einer glücklichen Wiederherstellung sein sollte« (Bd. 1, 280) Diese Bemerkung zeigt, wie Verantwortung gleichzeitig abgegeben und angenommen werden konnte – eine fundamentale Problematik, die heutiger, oftmals stark moralisierender Bewertung entgleitet. Gleichwohl sind für die Nachkriegszeit Strategien der Auslassung und der Umdeutung zu konzedieren, denen Fuhrmeister zum Schluss seiner Arbeit nachspürt und am Beispiel von Förderern der Moderne nach 1945 beleuchtet. Leopold Reidemeister, erster Direktor des Brücke-Museums in Berlin, hatte noch Wochen vor Kriegsende »jüdische und pazifistische Literatur« aus einer Bibliothek in Bergamo ausgesondert (Bd. 1, 335).

Wie schwierig indes Bewertungen sind, kann in Band 4 des Unternehmens ein kleiner Aufsatz über Eduard Neuffer und das Referat »Vorgeschichte und Archäologie« im Rahmen des Kunstschutzes in Frankreich zeigen. Die Bände 4 und 5 stellen Franziskus Graf Wolff Metternich ins Zentrum, was sich auch der vorbildlichen Kooperation der Familie verdankt, die den Nachlass dieser Zentralfigur der Forschung zugänglich gemacht hat. Seit Mai 1940 fungierte er als vom Wissenschaftsministerium berufener Beauftragter für Kunstschutz in den von den Deutschen besetzten Gebieten. Nicht zuletzt aufgrund von Differenzen mit Reichsmarschall Hermann Göring, der sich in ausgedehntem Maße selbst bereicherte, wurde Wolff Metternich Mitte 1942 beurlaubt und im Herbst 1943 aus dem Militärdienst entlassen.[2] In Paris hatte er zuvor einige Bekannte aus Bonner Studientagen oder anschließenden Tätigkeiten (u. a. als Leiter der Rheinischen Denkmalpflege) um sich gesammelt, zu denen der Archäologe Neuffer, der ab 1931 am Rheinischen Landesmuseum tätig war, gehörte. Susanne Haendschke schildert Neuffers Tätigkeit unter Wolff Metternich, dem schließlich eine »frankophile Haltung und seine kritischdistanzierte Einstellung zur Plünderung privater französischer Kunstsammlungen« bescheinigt wird, die zu seiner Beurlaubung führte (Bd. 4, 384). Neuffer wurde im März 1944 zur Wehrmacht eingezogen und wohl im September aufgrund seines Alters und nur bedingten Wehrtüchtigkeit dem SS-Wachpersonal des KZ Auschwitz, Außenlager Jawischowitz zugeordnet. Unmittelbar danach bemühte er sich im Oktober 1944 über den DAI-Präsidenten Schede um eine Versetzung, wobei der Kunstschützer Alexander Landsdorff, der ab Februar 1944 als Leiter des Kunstschutzes in Italien agierte und dem Neuffer Kontakte zu hohen SS-Führern unterstellte, entscheidenden Einfluss nehmen sollte. Haendschke problematisiert aktuelle Bewertungen Neuffers aufgrund der nachgewiesenen Tätigkeit – von der wir aber nicht viel wissen und angesichts derer Neuffer mit seinem unmittelbaren Gesuch m. E. zeigt, wie die anzunehmende Abordnung von der Wehrmacht und die wohl nicht selbst veranlasste oder angestrebte Übernahme durch die SS zu einem direkten Ausweichmanöver des dem Nationalsozialismus eher distanziert gegenüberstehenden Archäologen führte (vgl. Bd. 4, 385–390). Ich erwähne das eindrückliche Beispiel, weil der deutlich sichtbare Wunsch zu einer quellenbasierten Einschätzung, der die gesamte Reihe kennzeichnet, immer wieder latent mit einem moralischen Impetus einhergeht, der Täterschaft suggeriert, wo vielleicht differenzierter zu urteilen wäre, wie Susanne Haendschke es für sich über weite Strecken fraglos in Anspruch nehmen kann.

Hermann Bunjes muss hingegen als Beispiel für die willentliche Teilhabe am Unrechtsregime des Dritten Reichs herangezogen werden. Er war seit dem Sommer 1940 für den Kunstschutz in Frankreich tätig und Wolff Metternich über Tätigkeiten für die Rheinprovinz als auch die Universität Bonn bekannt. Gleichzeitig agierte er für den Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg – dem es u. a. um die Beschlagnahmung von Bibliotheken und Archiven ging – und für den notorischen Kunsträuber Göring, wobei auch das Auswärtige Amt in die Vorgänge involviert war. Die »Sicherstellung« und Plünderung jüdischer Sammlungen ist auch vor dem Hintergrund der Funktion Görings als Bevollmächtigter für den Vierjahresplan zu sehen – die allerdings ausgeblendet wird – und konfligierte notwendigerweise mit den Bestrebungen des Kunstschutzes und dessen allgemein zu konzedierendem Ethos. Göring legte denn auch bei den Besichtigungen der in den Jeu de Paume verbrachten Kunstgegenstände keinen Wert auf die Anwesenheit Wolff Metternichs oder dessen Stellvertreter von Tieschowitz’, da diese mit dem eingeleiteten Raubzug – der letztlich Vorlauf und Teil der »Endlösung« der »Judenfrage« darstellte – offenkundig nicht einverstanden waren und latenten Widerstand in Form von Verzögerungen oder Bedenken entgegensetzten. Bunjes hingegen wurde selbst initiativ – etwa durch die Schaffung von Depot- und Schauräumen – und machte sich zum Profiteur der Vorgänge. Eine wohl von Wolff Metternich angelegte, in seinem Nachlass befindliche »Geheimakte Bunjes« zeugt von der inneren Distanz ihm gegenüber.

Bunjes’ Person beleuchtet weiter schlaglichtartig, wenn auch nur punktuell die verbrecherische Rolle von in Personalunion agierenden Kunstschutzvertretern, wie es Kateryna Kostiuchenko und Julia Schmidt in ihren Aufsätzen unternehmen (Bd. 4, 299–333). Dass Bunjes sich 1945 in Kriegsgefangenschaft das Leben nahm, und darin seinem »Auftraggeber« Göring voranging, spricht für sich. Die Versuchung, Wolff Metternich und Bunjes weiterhin als systemimmanent agierende Antipoden zu begreifen, besteht weiter, auch wenn die AutorInnen der Reihe dem immer wieder, manchmal etwas bemüht widerstehen (vgl. auch Esther Rahel Heyer in Bd. 5, 103–108).

Band 4 der Reihe bietet insgesamt ein facettenreiches Bild des militärischen Kunstschutzes mit kleineren Schwerpunktsetzungen, die z. B. das Netzwerk Kunstschutz, die Beispiele Frankreich und das Rheinland sowie die Nachkriegszeit umfassen. Abgerundet wird er durch Gespräche, die Esther Rahel Heyer mit den Angehörigen ehemaliger Kunstschutzangehöriger durchgeführt hat. Heyers Anteil an diesem und dem Nachfolgeband 5, der sich dezidiert mit Wolff Metternich beschäftigt, tatsächlich aber das Spektrum erneut sinnvoll erweitert, ist bemerkenswert und ausdrücklich hervorzuheben. Die Verschränkung von exemplarischer Akteursbiografie, historischer und überregionaler Perspektive sowie der Einzelfallanalyse erweist sich als überaus gewinnbringend. Christina Kott trägt eine konzise Skizze zur Entwicklung des Kunstschutzes im Ersten und Zweiten Weltkrieg bei – die eminente Rolle des Bonner Kunsthistorikers Paul Clemen, der selbst im Ersten Weltkrieg als Kunstschützer fungierte und dessen Schüler im Zweiten Weltkrieg in seine Fußstapfen traten, wird hier deutlich. Völkerrechtliche Fragen werden von Sabine von Schorlemer erörtert. Das Verhältnis von Kunstschutz und SS-Ahnenerbe wird von Raik Stolzenberg insbesondere mit Blick auf Griechenland dargestellt und zeigt, wie Kunstschützer eingebunden wurden oder aus eigenem Antrieb mitwirkten und dabei ihre eigentlichen Aufgaben vernachlässigten (Bd. 5, 309–344). Aufgrund ihrer kulturellen und sprachlichen Kompetenzen konnten sie innerhalb der Wehrmacht im Rahmen der Partisanenbekämpfung oder der Kollaboration in Erscheinung treten. Alexandra Krankeleit verdeutlicht am herausragenden Beispiel des Wagenlenkers von Delphi nicht nur das Schicksal der zwischenzeitlich zum Schutz vergrabenen und dann nach Athen transportierten Statue (Bd. 5, 345–368), sondern am Beispiel der Archäologie in Griechenland auch die systemimmanenten Konflikte und Rivalitäten, die in allen Bänden der Reihe evident werden und die zeitgeschichtliche Forschung in dieser Hinsicht nachdrücklich bestätigen. Florence de Peyronnet-Dryden und Anna Kaiser aktualisieren die Thematik Kunstschutz für die Gegenwart und kurze Skizzen von Christoph Zuschlag – der das Thema mit seinem Bonner Lehrstuhl gegenwärtig in ganzer Breite repräsentiert –, Anna Kaiser, Elisabeth Furtwängler, Christian Fuhrmeister und nochmals Esther Rahel Heyer perspektivieren den Forschungsansatz für Gegenwart und Zukunft. Mit den Bänden 4 und 5 liegt, wenn man sie zusammennimmt, eine hervorragende historische wie aktuelle Bestandsaufnahme des Themas vor, die sich auch als Einführung bewähren kann.

Emily Löfflers Tübinger Dissertation zum Kunstschutz im besetzen Nachkriegsdeutschland am Beispiel der französischen und amerikanischen Besatzungszonen flankiert die skizzierten Ansätze mit einem erhellenden Blick auf die Nachkriegszeit, da nach Kunstschutz und Kunstraub die Fragen von Rückführung und Restitution – letztes bis heute – hohe Relevanz besaßen.[3] Schlüsselfiguren waren Rose Valland, die schon während der Besatzungszeit im Jeu de Paume tätig war, als der Einsatzstab Rosenbergs und Hermann Göring Beschlagnahmungen, Besichtigungen und Verbringungen veranlassten. Nach dem Krieg konnte sie ihr Wissen als Schriftleiterin der Kommission für Rückführung von Kulturgütern einbringen. Für Frankreich, das besetzt und ausgeraubt worden war, stellte sich die Situation freilich anders dar, als für die USA, für die dies nicht zutraf. So kam es zu unterschiedlichen Ansätzen und Verfahren der Restitutionspolitik trotz alliierter Kooperation. Eine weitere wichtige Ergänzung zu den seit den 2000er-Jahren intensivierten Studien zur Kunstgeschichte im Nationalsozialismus stellt die Publikation zum Fach in den besetzten Gebieten dar. Als Band 2 der Reihe erschienen, stellte das Buch gleichwohl deren erste, schon 2016 vorgelegte Veröffentlichung dar. Es griff damals – mit der dem Band zugrundeliegenden Tagung von 2012 – frühere Impulse auf.[4] Abgedeckt werden erneut Fragen des Kunstschutzes (etwa in den Niederlanden oder Polen), aber auch Propagandaausstellungen (Deutsche Größe in Prag im Jahr 1941 – ebenfalls ein eindrückliches Beispiel für die polykratische Struktur des NS) und einzelne Kunsthistoriker (wie Wilhelm Pinder, aber auch für Litauen Mikalojus Vorobjovas und für – das nicht besetzte – Schweden Andreas Lindblom). Das thematische Spektrum wird nochmals produktiv ausgedehnt.

Den Kunstschutz betreffend, kann man zusammenfassend sagen: Die Forschungsreihe stellt eine bedeutende Erweiterung des Forschungsfeldes innerhalb der Kunstgeschichte dar und ergänzt auf hohem Niveau bisherige Forschungen zur Geschichte der Kunstgeschichte, zu Kunst- und Kulturgutraub und Provenienzen. Vielleicht könnte man dennoch einmal darüber nachdenken, die dominierende Netzwerktheorie durch Ansätze der in der Philosophie entwickelten Konstellationsforschung zu erweitern und in dem Zuge den Positivismus des Ansatzes – ein Phänomen, das von Entwicklungen in der Zeitgeschichtsforschung geprägt zu sein scheint – etwas zu begrenzen. Die moralische Dimension des Themas ist zweifellos vorhanden, sollte aber m. E. nicht bekennerhaft übertrieben werden. Der militärische Kunstschutz hat Denkmäler und Kunstwerke bewahren helfen, auch wenn die provisorischen Splitterschutzummantelungen heute kurios anmuten und es punktuell kriminelle Verfehlungen gegeben hat, insbesondere wenn man sich mit Rosenberg oder Göring einließ oder in den Kriegswirren persönlich bereicherte. Komplementär zum Kunstschutz erscheinen aber die Verantwortlichen für den Bombenkrieg und die Stadtplaner, mit ihrer unverhohlenen Freude darüber, eine Art Tabula rasa-Situation für hybride Neu- und Wiederaufbauplanungen zu besitzen. Nicht der vergleichsweise verantwortungsbewusst handelnde Kunstschutz, sondern primär die von anderer Seite durchgeführten Angriffskriege und die Ausplünderung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten – wenn auch unter punktueller Beteiligung wie im Fall Hermann Bunjes – bedeuten weiterhin Schuld und Verantwortung. Angesichts des seit mehr als zwei Jahren anhaltenden, bestürzenden Angriffskrieges gegen die Ukraine und der dort von russischen Truppen angerichteten Schäden an Kunst- und Bauwerken könnte das Thema der Kulturgutzerstörung nicht aktueller sein. Es ist denn auch der sechste Band der Reihe, der sich der epochenübergreifenden Frage des Transfers von Kunst- und Kulturgütern in einer spezifischen Region (Alpen und Adria) und während einer kriegerischen Zeit widmet. Damit wird durch die Fokussierung auf die Epoche des Ersten und Zweiten Weltkriegs die Kontinuität von Handlungen und Vorstellungen in den Blick gerückt.

Kunsthandel

In der Reihe Brüche und Kontinuitäten wird die Frage der Schuld anhand des Kunstschutzes vorbildlich angenommen, ohne sich dahingehend zu verengen, wie neue Beiträge zum Kunsthandel und zur NS-Malerei belegen. Konkretionen der Ästhetik des NS und aktuelle Diskussionen zum Umgang mit ihr geraten ebenfalls und notwendigerweise in den Blick kritischer Analyse. Für den Bereich des Kunsthandels ist überdies der epochenübergreifende Blick hilfreich, wie ihn Ulrike Saß am Beispiel der Galerie Gerstenberger und deren Leiter Wilhelm Grosshennig (ab 1913) ausrichtet. Dieser Band sprengt einerseits den zeitlichen Rahmen der Reihe, als er den Kunsthandel bereits ab 1900 in den Blick nimmt. Diesem Teil widmet sich die erste Hälfte des Buches, das damit auch einen wichtigen Beitrag zur Geschichte des deutschen Kunsthandels vor 1933 zumal in einer Stadt wie Chemnitz darstellt, die bislang zu wenig auf der Karte der modernen Kunst in Deutschland erscheint – selbst wenn das Galerieprogramm zunächst relativ konservativ war und etwa die Dresdner Brücke nicht berücksichtigte. Das änderte sich nach dem Ersten Weltkrieg auch nicht wesentlich und dennoch waren mit Künstlern wie Max Liebermann und Georg Kolbe in Chemnitz national bedeutende zeitgenössische Künstler vertreten, selbst wenn die Angebots- und Verkaufsstrategien des Unternehmens stark lokal ausgerichtet waren.

Für die Zeit des Nationalsozialismus differenzierte sich die Situation und agierte die Galerie Gerstenberger systemkonform, wobei die Ausstellung traditioneller bis »nationalsozialistischer Kunst« – Saß diskutiert Ausstellungen von Sven Hedin, Ernst Vollbehr und Guido Joseph Kern sowie eine Ausstellung von »Führerbildnissen« Heinrich Hoffmanns – und die Verwertung beschlagnahmter, sogenannter »entarteter« Kunst analysiert werden. Verkäufe an die Reichskanzlei oder im Zusammenhang mit dem Sonderauftrag Linz geraten ebenso detailliert und auf der Basis umfassenden Quellenstudiums in den Blick wie eine kritische Aufarbeitung des Forschungsstandes erfolgt, den man mit Gewinn liest. Es zeigt sich, dass die Galerie als Profiteur des NS-Regimes gelten muss, nicht zuletzt, weil sie kulturpolitische Entwicklungen zu antizipieren in der Lage war und das Programm besonders auf die im NS geschätzte Kunst des 19. Jahrhunderts und die noch frühere ausrichtete. Den zarten Ansätzen in Richtung Moderne brach man selbst die Spitze und der Handel mit beschlagnahmter expressionistischer Kunst aus dem König-Albert-Museum in Chemnitz war direkter Ausfluss einer Gelegenheit, die sich den zerstörerischen Tendenzen des Regimes verdankte. Saß streicht die proaktive Rolle der Galerie und ihres Leiters heraus und der Neuanfang der Galerie nach 1945 in Düsseldorf fügt sich in das Bild unzureichender Aufarbeitung, irreführender Selbststilisierung und kaum gebrochener Kontinuität vom Nationalsozialismus in der frühen Bundesrepublik. Die Autorin kontrastiert auf schmerzhafte Weise die Karriere Grosshennings, der zu den mehrfachen Profiteuren dieser Politik zählte, mit dem Schicksal wirklich prägender Figuren wie Alfred Flechtheim, die der systematischen Verfolgung durch das Regime schließlich zum Opfer fielen.[5]

Valerie Enders jüngst erschienene akribische Dokumentation zur Entwicklung und eben auch Vernichtung der Galerie Thannhauser sowie der Zerstreuung deren Besitzes kann die destruktive Tendenz des NS-Regimes und den damit einhergehenden ungeheuren Verlust an Leben und Wert verdeutlichen – selbst wenn Justin Thannhauser in die USA emigrieren konnte und Heinrich Thannhauser bereits 1935 verstorben war. Enders konzise Studie führt knapp und hart in die Abgründe des Themas und kann nicht nur deshalb nachdrücklich empfohlen werden. Gerade die überragende Statur der Händler, die Kunst höchster Qualität handelten und hervorragend vernetzt waren, ermöglicht einen Überblick über die Geschichte des deutschen und internationalen Kunsthandels. Die Geschichte des modernen Kunsthandels, der mit der Weltwirtschaftskrise in schweres Fahrwasser geriet, oder Sammlungsgeschichten, zu denen auch das Verschwinden von Teilen der in Berlin zwangsweise zurückgelassenen Thannhauser-Sammlungen gehört, werden komprimiert skizziert. Man erfährt von kollegialer Hilfe, von Paketsendungen, von den Traumata der erzwungenen Emigration und teilweise abgewiesenen und teilweise stattgegebenen Rückerstattungsansprüchen. Und man hat sich der Geschichte der Familie und ihrer Verfolgung zu erinnern, wozu nicht zuletzt jeder Besuch des New Yorker Guggenheim Museums einlädt, das in seinem ikonischen Bau eine 1963 gestiftete Thannhauser Gallery beherbergt.

Kunst(-Ausstellung)

Mit Anke Gröners Dissertation zum »Maler der Reichsautobahnen« Carl Theodor Protzen erschien mit Band 8 nach längerer Zeit endlich wieder ein monographisches Grundlagenwerk zu einem einzelnen Künstler während des Nationalsozialismus. Hier wären die frühere Monographie über Werner Peiner und der gerade erschienene Tagungsband zu Georg Kolbe im Nationalsozialismus als ähnlich substantielle Fallstudien hervorzuheben.[6] Das Buch beleuchtet Werdegang und Karriere Protzens umfassend, sodass auch dessen Ausbildung einer gewissen künstlerischen Statur während der 1920er Jahre in München und seine Mitwirkung in der dortigen Künstlervereinigung zur Sprache kommt, ebenso das »unentschlossene Spätwerk« (Bd. 8, 57–59). Nach einer knappen Skizze zum Autobahnbau im Dritten Reich widmet sich die Autorin einzelnen Werken, die genau beschrieben und situiert werden. Der Zusammenhang von Kunstproduktion und Propagandatätigkeit im Rahmen von Ausstellungen wie Die Straßen Adolf Hitlers in der Kunst (1936) wird deutlich herausgearbeitet. Die anderen Werke Protzens auf der GDK oder weitere Maler, die sich mit dem Thema der Reichsautobahn beschäftigt haben, werden ebenfalls behandelt. Die ästhetischen Ergebnisse sind wenig überraschend und ernüchternd, etwa auch im Fall des mit den Maßen 190 × 485 cm großformatigen Triptychons Straßen des Führers. Dass das Werk keine sakrale Funktion besaß, auch wenn die »Pathosformel des Triptychons« (Klaus Lankheit) zitiert wird, ist naheliegend (Bd. 8, 181). Vergleiche hätten sich angeboten, etwa zu den bekannten Triptychen von Otto Dix – weniger zur Großstadt, eher schon zu Der Krieg, vor allem aber zum dreiteiligen Wandbild von 1932 im Dresdner Hygiene-Museum. So ist die Kunst im Falle Protzens hier weniger von Belang und das gilt auch für die sich weiterhin den Machthabern andienenden Bilder zu den im Krieg eroberten Ostgebieten, deren erschreckende Harmlosigkeit in einem zynischen Kontrast zur Realität der terroristischen Besatzungsherrschaft der Deutschen im Osten steht. 1944 stellte der Maler in der Breslauer Ausstellung Deutsche Künstler und die SS aus, womit er künstlerisch Teil der weiterlaufenden Vernichtungs- und Ausrottungsmaschinerie wurde und im sich abzeichnenden »Endkampf« der Deutschen und die angebliche Verteidigung von »Kulturwerten« instrumentalisieren ließ (Bd. 8, 251–268, hier z. B. 265, wo Gröner den Chef des SS-Hauptamtes Gottlob Berger mit seinem dürftigen Katalogvorwort zitiert). Gröners Blick auf die finanziellen Aspekte einer künstlerischen NS-Karriere im Sinne des konformen Profiteurs und unter Einschluss der Nachkriegsentwicklung und -rezeption gehören zu den wichtigen Erkenntnissen der bedeutenden Studie, die freilich über die mediokre Kunst – etwa im Vergleich zu den Technikdarstellungen der Weimarer Republik z. B. von Carl Grossberg oder Oskar Nerlinger – kaum hinwegschauen lässt.

In einer methodisch ambitionierten Münchner Dissertation setzt sich Paula Schwerdtfeger mit den Kunstausstellungen im Nationalsozialismus auseinander. Das Buch dürfte ebenso zum fast handbuchartigen Standardwerk avancieren wie seinerzeit Christoph Zuschlags Dissertation zur »Entarteten Kunst«.[7] Allein die über 100 Seiten, die Schwerdtfeger zu den Ausstellungen Die Straße und Die Straßen Adolf Hitlers in der Kunst vorlegt (Bd. 9, 38–152), lassen sich in idealer Weise mit Gröners Buch zusammensehen und in methodischer Hinsicht kontrastieren. Der vorrangig historischen Rekonstruktion wird die methodologische und ausstellungstheoretische Reflexion an die Seite gestellt. Für die Reihe ist diese Spannung der Ansätze in zwei nahezu zeitgleichen Publikationen der Glücksfall der tiefen Durchdringung eines Forschungsgegenstandes.

In einer konzisen Einleitung zeigt Schwerdtfeger, wie sie unterschiedliche, gerade auch soziologische Ansätze für die Kunstgeschichte fruchtbar machen will – dabei spielen die Wissenssoziologie Karl Mannheims und die objektive Hermeneutik Ulrich Oevermanns eine zentrale Rolle, die im Verlauf der Darstellung aber doch wieder stark zugunsten der historischen Rekonstruktion zurücktreten. Daneben ist es gerade Felix Thürlemanns Terminus des hyperimage, dem eine leitende Hinsicht zukommt.[8] Darunter ist die fallweise Kontextualisierung von Werken in einer Ausstellung zu verstehen, die in ihrer Konstellation »Suprazeichen« bilden, die von der konstruierten Figur eines »idealen Besuchers« entschlüsselt und verstanden werden können. Die Ausstellung selbst stellt Anweisungen parat, die den idealen Besucher konstituieren (vgl. Bd. 9, 19), und schafft als relationales Gefüge Konstellationen, die Bedeutung und Wissen generieren, wie Schwerdtfeger in Anlehnung an Autorinnen wie Elisabeth Fritz, Verena Krieger und Elke A. Werner ausführt.

Mit Blick auf die Ausstellungen bis 1937 ist diese Herangehensweise von großem Interesse und führt zu einer genaueren Betrachtung der Modi des Ausstellens. Hinsichtlich der Großen Deutschen Kunstausstellungen, die durch die Datenbank des Zentralinstituts für Kunstgeschichte hervorragend zugänglich sind (URL: https://www.gdk-research.de/db/apsisa.dll/ete), verliert dieser Ansatz etwas an Durchschlagskraft, denn die axialen Symmetrien formalinhaltlicher Pendanthängungen sind doch zu schlicht und redundant, um größere Erkenntnisgewinne abzuwerfen. Hier ist es die überzeugende exemplarische Anwendung des Ansatzes und weniger die Breite seiner Durchführung, die einen Mehrwert bedeutet. Im Resultat stellt die Autorin heraus, dass die einzelne GDK durch Wiederholungen den »Eindruck von Ordnung und innerer Logik« produziert haben, diesen aber immer wieder durchbrachen, um als Salonausstellungen zu erscheinen und den »Eindruck einer thematischen Kunstausstellung« (Bd. 9, 388) zu vermeiden. Im Ergebnis bestätigt sie damit die älteren Forschungen von Ines Schlenker und Marlies Schmidt. Warum aber Anne Meckels frühe Pionierstudie zu den Großen Deutschen Kunstausstellungen aus dem Jahr 1993 unberücksichtigt bleibt ist unverständlich, zumal diese bereits viele Ergebnisse nachfolgender Bemühungen vorwegnahm.[9]

Mit schöner Deutlichkeit weist Schwerdtfeger auf die schwache Qualität der Exponate und den voluntaristischen Anstrich des gesamten Unternehmens GDK hin. Sie spricht von einem von vorneherein darauf begrenzten »Wolkenschloss« (Bd. 9, 461). Staatliche Förderung und Lenkung mussten ein propagandistisches Bild erzeugen, das sich nicht von selbst herstellte und das der (Kunst-)Kritik entzogen werden musste. Schwerdtfegers Analysen legen den in sich widersprüchlichen und von Hitler verkörperten Ansatz der NS-Kunstideologie schonungslos offen und sind als stärker theoriegeleitete Untersuchungen angesichts heute oftmals rein positivistischer Ansätze von eminenter Bedeutung für die qualitative Beurteilung der NS-Kunst. Dass Schwerdtfeger sich schließlich auf Max Imdahls werkimmanenten Ansatz der Ikonik zurückbesinnt und inhaltlich die Einzelwerkanalysen im hyperimage des Ausstellungsdisplays bestätigt findet (vgl. den längeren mittleren Absatz in Bd. 9, 486), überrascht zwar nicht, entbehrt aber angesichts heutiger Diskussionen und Werthaltungen auch nicht der Ironie.[10] Ob aber mit Blick auf die NS-Führungselite, die die GDK implementierte und organisieren liess, überhaupt von einer Leistung zu sprechen ist, scheint fraglich. Schwerdtfeger formuliert es denn auch so: »Die einzigartige Leistung der NS-Führung ist, dass sie diese umfangreiche Ideologisierung der Salonausstellung nicht intendiert zu haben braucht. Der Glaube an einen rassischen Kunstbegriff gepaart mit dem auf Pragmatismus basierenden, effektiven System der Pendanthängung kann zu dieser Form der Kunstausstellung geführt haben« (Bd. 9, 487–488). Armseliger für das Regime kann ein Fazit zur »Evidenz des Expositorischen« im Nationalsozialismus im Ergebnis kaum ausfallen, und auch hier wünscht man dem Buch breite Resonanz, wenn es um die adäquate zukünftige Einschätzung der Praxis des Dritten Reichs geht. Kritisch anzumerken bleibt aus meiner Sicht die Vielzahl der historischer Besucher, die dem zugrunde gelegten Konzept des idealen Besuchers auf ganz unterschiedlichen Ebenen widersprechen und in ihrem erhellenden Buch so gar keinen Platz finden. Theorie und Geschichte bleiben demnach weiterhin miteinander zu vermitteln.

Die Reihe insgesamt zeigt an, dass die Beschäftigung mit der Kunst während des Nationalsozialismus in eine neue Phase eingetreten ist. Nach den Pionierarbeiten der 1970er und 1980er Jahre sowie einigen vertiefenden und differenzierenden Studien der 1990er sind die letzten zwei Jahrzehnte insbesondere von der Untersuchung der Vorgänge im Zusammenhang mit der Aktion »Entartete Kunst«, der Provenienzforschung und dem Kunsthandel geprägt gewesen. Die Reihe führt das fort, ergänzt es um das Feld des Kunstschutzes und geht daneben auf einzelne Künstler und das Ausstellungswesen ein. Zeitgeschichte und Kunstgeschichte gehen dabei immer wieder produktive Allianzen ein und differenzieren unsere Sicht auf die Kunst im Dritten Reich weiter. Dabei wird das Bild aber durch Differenzierung in die Breite nicht notwendig klarer, sondern franst aus und verliert sich im Detail. Die Diskussion von Wertmaßstäben mit Blick auf Untersuchungsgegenstände und ihre Präsentation in Ausstellungszusammenhängen erscheint mir wieder zunehmend sinnvoll.

About the author

Olaf Peters

Olaf Peters ist seit 2006 Professor für die Kunstgeschichte der Moderne und Gegenwart an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Er studierte in Bochum und habilitierte sich 2004 in Bonn. Seine Forschungsgebiete umfassen den Expressionismus, die Neue Sachlichkeit, Kunst und Kunstpolitik während des Nationalsozialismus sowie die Geschichte der Kunstgeschichte. Er arbeitet zur Zeit an einer Gesamtdarstellung zum Thema Kunst im Dritten Reich.

Published Online: 2024-08-30
Published in Print: 2024-09-25

© 2024 Larry Silver, published by De Gruyter

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Downloaded on 9.11.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/zkg-2024-3008/html?lang=en
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