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Befristung unbefristet? Zu den Arbeitsbedingungen unserer Postdoc-Kolleg:innen

  • Andreas Huth

    Andreas Huth ist seit 2023 an der Universität Bamberg Professor für Kunstgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der künstlerischen Techniken; vorher arbeitete er sechseinhalb Jahre auf einer befristeten Postdoc-Stelle. Er ist Mitglied im Vorstand des Ulmer Vereins und dort in der Arbeitsgruppe Arbeitsbedingungen in der Kunstgeschichte aktiv.

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Published/Copyright: August 30, 2024
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Abstract

Unless they hold a professorship, most academics at German universities are employed on a fixed-term basis. Regardless of their academic achievements such as publications, conferences, and lectures, they lose their job after a few years. Art historians are no exception. Notwithstanding years-long criticism and protest by those affected, as well as professional associations and trade unions, the German government, the federal states, and the universities themselves do little to change this, as they believe they benefit from this system based on competitive pressure and selection. The article is a plea for a joint commitment against poor working conditions in academia.

Anstellung an der Uni – und befristet? Die Chance, dass Leser:innen diese Frage mit Ja beantworten, ist nach wie vor nicht gering. Im Gegenteil. Neun von zehn Wissenschaftler:innen und damit der Kunsthistoriker:innen arbeiten auch nach mehreren Korrekturen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) und milliardenschweren Hochschulsonderprogrammen auf befristeten Stellen, obwohl ihr Aufgabenspektrum dem der Professor:innen auf Lebenszeitstellen ähnelt.[1] Tragisch ist das vor allem für die Postdocs, die nach Ablauf der erlaubten zwölf Jahre faktisch einem Berufsverbot an deutschen Universitäten gegenüberstehen. Dabei handelt es sich um Kolleg:innen mit Promotion und zum Teil sogar mit Habilitation oder habilitationsäquivalenten Leistungen, vor allem aber mit umfangreichen Erfahrungen in Forschung und Lehre und einem über Jahre aufgebauten Netzwerk, die sich dann im dauerprekären Drittmittelsektor durchschlagen müssen, noch dazu in einer Lebensphase, in der Faktoren wie Partnerschaft, Kinder und Pflege von Angehörigen die Flexibilität erheblich einschränken. Wem fallen nicht auf Anhieb gleich mehrere Kolleg:innen ein, die trotz ihrer allseits akzeptierten Kompetenzen und Erfahrungen keine Stelle finden? Das ist nicht ihr Pech, sondern ein einkalkulierter Fehler im Wissenschaftssystem.

Eher schlechter

Ende März 2024 einigte sich die Regierungskoalition auf einen Vorschlag (»Referentenentwurf«) für die längst überfällige Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes,[2] durch die die ohnehin dramatische Situation von Postdocs noch einmal verschlimmert wird. Statt wie seit langem gefordert endlich einen verpflichtenden gesetzlichen Rahmen für einen stabilen Mittelbau zu schaffen, soll das Gesetz noch kürzere Beschäftigungszeiten ermöglichen. Kurz darauf erklärte der Präsident der FU Berlin, Günther M. Ziegler, im Deutschlandfunk Kultur, dass die Hochschulen diese genau wie vorher zur stetigen »Fluktuation« nutzen würden.[3]

Wie perfide die Verantwortungslosigkeit organisiert ist, zeigte die Diskussion um das Berliner Hochschulgesetz der rot-grün-roten Koalition im Herbst 2021.[4] Das Gesetz berücksichtigte erstmalig Forderungen der Proteste gegen das WissZeitVG – vor allem unter den Twitter-Hashtags #IchBinHanna und #IchBinReyhan[5] – sowie der Gewerkschaften und legte die Berliner Universitäten für haushaltsfinanzierte Postdoc- Stellen auf eine »Anschlusszusage« fest, also auf die Zusicherung einer entfristeten Weiterbeschäftigung. Auch wenn die Einbeziehung der Universitäten in die Vorbereitung des Gesetzes offensichtlich unzureichend war, rechtfertigte nichts dessen aggressive Ablehnung durch die Spitzen der FU Berlin und vor allem der Humboldt-Universität samt theatralischem Rücktritt von deren Präsidentin und ihrem Vize,[6] zumal von den Universitäten in fast zwanzig Jahren Befristungsdebatte keine konstruktiven Lösungsvorschläge gekommen waren.[7] Sicher, die fehlende Grundfinanzierung bei steigenden Studierendenzahlen war und ist ein gravierendes und zu recht moniertes Problem, aber das vehemente Bekenntnis von Hochschulleitungen und Professor:innen zur »Fluktuation« des wissenschaftlichen Personals unterhalb ihrer eigenen Stellen und zur freien Wahl von Mitarbeiter:innen bei Neuberufungen (»Ausstattung«) lässt vermuten, dass es hier vor allem um die Verteidigung professoraler Machtbefugnisse geht.[8] Zu deren Sicherung scheint kein Argument zuschäbig: So wird immer wieder behauptet, dass die Dauerstelle der egoistische Wunsch zu kurz Gekommener sei und allein Befristungen die Innovativität und Motivation der Postdocs garantierten. Obwohl Professor:innen – in der Regel Lebenszeitbeamte, die für die Erfüllung ihrer Aufgaben Sach- und Reisemittel nutzen können und die zusätzlich zu ihrem hohen Gehalt noch »Leistungszuschläge« bekommen – gewiss für sich reklamieren würden, dass auch sie ohne drohende Arbeitslosigkeit zu neuen Forschungsansätzen und engagierter Arbeit in der Lage seien, bekennen sich nicht wenige von ihnen zur Entrechtung ihrer Mitarbeiter:innen.

Verantwortung

Mit Berlin versuchte erstmalig ein Bundesland auf Grundlage der durch die Föderalismusreform 2006 auf die Länder übertragenen »Gesetzgebungsbefugnis zur Gestaltung der Personalstruktur der Hochschulen« seine Kompetenzen zugunsten der Betroffenen, der Studierenden und damit der Universitäten insgesamt zu nutzen.[9] Bezeichnend ist, dass die scheidende HU-Präsidentin in ihrem letzten Amtsakt Ende 2021 Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz einlegte, ausgearbeitet von einem hauseigenen Verfassungsrechtler, der dem Berliner Senat hinsichtlich des umstrittenen Entfristungsparagraphen die Zuständigkeit mit dem Argument absprach, für solche Regelungen gebe es ja das übergeordnete WissZeitVG des Bundes und dieses »erstrebe [eine] Erneuerung des Personals in der Wissenschaft mit dem Ziel der Dynamisierung von Forschung und Lehre«.[10] Erneuerungsund Dynamisierungsbedarf sah der W3-Professor natürlich nur beim Mittelbau.

Das Ziel von Befristungen beschreibt das Bundesministerium für Bildung und Forschung zwar im Kern ähnlich (»ohne eine durch Befristungen begünstigte Rotation [wäre] für nachrückende Generation der Zugang zu wissenschaftlichen Tätigkeiten erheblich erschwert«), mahnt aber an, dass »Hochschulen und Forschungseinrichtungen als Arbeitgeber gehalten« seien, »verantwortungsvoll mit den ihnen gewährten Freiräumen umzugehen.«[11] Weiter heißt es: »Dies betrifft sowohl Dauer und Anzahl der befristeten Beschäftigungsverhältnisse als auch das angemessene Verhältnis von befristeten und unbefristeten Stellen.«[12] Noch deutlicher formulierte der BMBF-Staatssekretär Wolf-Dieter Lukas in einer Videobotschaft vom Sommer 2021 die Erwartungen an die Universitäten: »Als Arbeitgeber tragen Sie hier eine große Verantwortung. Denn Sie sind es, die über die Arbeitsbedingungen entscheiden und über das Ausmaß und die Art und Weise, wie Sie von den Befristungsmöglichkeiten Gebrauch machen, die der Gesetzgeber geschaffen hat.«[13] Mit der Ansprache reagierte das Ministerium auf die heftigen Proteste unter den Hashtags #IchBinHanna und #IchBinReyhan; der Staatssekretär distanzierte sich sogar explizit von dem BMBF-Video, das die Proteste ausgelöst hatte.

Mit dem Bildungsministerium haben wir nun alle drei Akteur:innen zusammen, die für die Befristungsmisere nichts können sollen: Bundesländer, die nicht zuständig sind, Universitäten, die lediglich eine »Erneuerung des Personals« wollen und für entfristete Postdocs leider kein Geld haben, und eine Regierung, die angeblich nur ganz allgemeine gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen und an die »Arbeitgeber« appellieren kann. In diesem Bermuda-Dreieck der Unverantwortlichkeit gehen die Postdocs unter. Dem Staatssekretär zufolge brauchen diese jedoch nur Mut, »sich einzubringen, um mit ihrer Hochschule, mit ihrer Forschungseinrichtung zu besprechen, wie bei ihnen vor Ort die Bedingungen für die Wissenschaft und die Beschäftigten besser ausgestaltet werden können«.[14] Weder die dürren Erfolgsaussichten noch die schwierige Verhandlungsposition einer befristeten Postdoktorandin, die versucht, die Verlängerung oder gar Entfristung ihrer Stelle »zu besprechen«, kann sich der Beamte offenbar vorstellen. Da nicht davon auszugehen ist, dass die Stimme des BMBF die betroffenen Wissenschaftler:innen aufwiegeln und zum kollektiven Einfordern besserer Arbeitsbedingungen gegenüber den Universitäten auffordern wollte, muss der Vorschlag als Versuch gelten, die Durchsetzung von Entfristungen in den Bereich individuellen Engagements zu verschieben. Das erinnert an die Auslagerung politischer Aufgaben wie CO2-Reduzierung, Verkehrswende, Müllvermeidung, Energiesparen oder gesunde Lebensmittel in die Verantwortung »mündiger Verbraucher:innen«, damit die bescheidenen Bemühungen der jeweiligen Regierung hinter dem privaten schlechten Gewissen verschwinden. Im Übrigen untersagt eine besondere Klausel im WissZeitVG – von Kritiker:innen als »Tarifsperre« bezeichnet – dem Mittelbau, seine Interessen im Rahmen von Tarifverhandlungen und Arbeitskämpfen durchzusetzen.[15] Im Unterschied zu den übrigen Akteur:innen haben also unsere Postdoc-Kolleg:innen innerhalb des institutionellen Rahmens keine Möglichkeit, an ihrer Situation etwas zu ändern.

Gesetze und Pakte

Das WissZeitVG wurde Anfang der 2000er Jahre im BMBF unter der auch für die »Exzellenz-Initiative« und die Durchsetzung der Bologna-Reformen verantwortlichen SPD-Ministerin Edelgard Bulmahn erarbeitet, aber erst unter ihrer Nachfolgerin Anette Schavan (CDU) verabschiedet.[16] Es löste 2007 das mehrfach (zuletzt 2004) reformierte Hochschulrahmengesetz ab, das bereits die »sachgrundlose Befristung« für die Qualifizierungsphase vorsah.[17] Auch wenn der Gesetzentwurf ausschließlich mit der Zunahme der Drittmittelprojekte argumentierte, die dringend Rechtssicherheit bräuchten,[18] lud das neue Gesetz die Hochschulen und außeruniversitären Forschungsinstitute dazu ein, es auf das gesamte Personal unterhalb der Professur anzuwenden.[19] Stolz meldete Schavans Pressestelle: »Das neue Gesetz erweitert die Möglichkeiten für die Befristung eines Arbeitsvertrages. Bisher gab es nur Sonderregelungen für die Qualifizierungsphase von jungen Wissenschaftlern, die so genannte 12-Jahresregelung bzw. 15-Jahresregelung in der Medizin. Mit dem neuen Gesetz ist auch nach dieser Zeit eine befristete Weiterbeschäftigung im Rahmen von Drittmittelprojekten einfach möglich. […] Damit Projektteams sinnvoll arbeiten können, gilt der neue Befristungsgrund auch für nichtwissenschaftliches Personal.«[20] In der Folge führten der schon von Bulmahn forcierte Anstieg drittmittelfinanzierter Forschungsprojekte von vergleichsweise kurzer Dauer, die rücksichtslose Ausnutzung der Schlupflöcher des WissZeitVG durch die Wissenschaftsinstitutionen und die von den Ländern als Haushaltskonsolidierung ausgegebenen Einsparungen im Bildungsbereich zu einem raschen Anstieg befristeter Arbeitsverträge.[21] Daran konnten auch die Förderprogramme des Bundes mit ihren begrenzten Laufzeiten nichts ändern. So war der Hochschulpakt (2007–2020) zwar mit knapp 40 Milliarden Euro ausgestattet, machte aber keinerlei Vorgaben für Dauerstellen.[22] Wie der Qualitätspakt Lehre (2011–2020) war er kompetitiv und in »Förderphasen« angelegt, statt den Hochschulen eine solide Finanzierung zu garantieren.[23] Im Hinblick auf die Lage der wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen heißt es im Abschlussbericht 2020 nebulös, das »Personal [sei] vielerorts verstetigt« worden.[24]

Nicht zuletzt auf Druck der GEW wurde 2016 das WissZeitVG novelliert; die verantwortliche Ministerin war nach Schavans Rücktritt Johanna Wanka (CDU).[25] Trotz kleiner Fortschritte zementierte die Neufassung vor allem das von den Universitäten großzügig genutzte Instrument der Qualifikationsbegründung. Schon im Gesetzentwurf heißt es dazu: »Aus dem Wiss- ZeitVG soll sich künftig klar ergeben, dass die sachgrundlose Befristung nur zulässig ist, wenndie befristete Beschäftigung zur Förderung der eigenen wissenschaftlichen oder künstlerischen Qualifizierung erfolgt.«[26] Dass weit über Bedarf qualifiziert, konkret habilitiert wird, und dass der deutsche Qualifizierungszwang in direktem Zusammenhang mit dem Mangel an festen Mittelbaustellen steht, erklärt das Gesetz nicht. Auf Drängen der Hochschulen wurde vom Bund zur Flankierung des WissZeitVG kurz darauf das sog. Tenure Track Programm aufgelegt, mit dem ab 2017/2019 für eine Laufzeit von 15 Jahren 1.000 neue Professuren finanziert werden – ein vergleichbares Engagement für sichere Mittelbaustellen fehlt nach wie vor.[27]

Das im Jahr der enttäuschenden Gesetzesnovelle gegründete Netzwerk Gute Arbeit in der Wissenschaft rief 2019 die Kampagne Frist ist Frust ins Leben, die zwar einiges auf die Beine stellte, deren Forderungen von den verantwortlichen Unverantwortlichen aber ignoriert wurden. Statt das Gesetz endlich abzuschaffen oder durch klare Entfristungsverpflichtungen zu ergänzen, sortierten Bund und Länder 2020 nur die ergänzenden Förderprogramme um: Den ausgelaufenen Qualitätspakt Lehre (2011–2020) ersetzte die Stiftung Innovation in der Hochschullehre (StIL),[28] der im Jahr 150 Millionen Euro zur Verfügung stehen; den Hochschulpakt Lehre führt der Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken (ZSL) fort.[29] Der ZSL ist für die Befristungsfrage besonders interessant, weil sich in ihm Bund und Ländern (in Gestalt der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz) explizit auf die Schaffung von Dauerstellen verpflichteten: »Durch die dauerhafte Förderung kann insbesondere der Ausbau unbefristeter Beschäftigungsverhältnisse des mit Studium und Lehre befassten Personals an den Hochschulen unterstützt werden. Darin sehen Bund und Länder einen wesentlichen Faktor für die Verbesserung der Qualität von Studium und Lehre. Dies ist ein ausdrückliches Ziel des Zukunftsvertrags.«[30] Die Regierungen aller Bundesländer haben entsprechende Verpflichtungserklärungen für den Zeitraum 2021–2027 abgegeben.[31] Erstaunlich ist, dass einige Länder – Baden-Württemberg, Bayern und Hessen – 2020 angaben, schon tausende neue unbefristete Stelle geschaffen zu haben, während andere – Niedersachsen und Bremen zum Beispiel – Stagnation und Rückschritte mit den vom limitierten Förderzeitraum des Hochschulpakts Lehre verursachten Schwierigkeiten begründeten.[32] Obwohl das Abkommen ausdrücklich Dauerstellen fordert, glaubte die Hamburger Regierung noch einmal erklären zu müssen, dass es sich bei den befristeten Stellen um »Qualifizierungsstellen (Promotion/Habilitation)« handele, was vermutlich bedeutet, dass kaum Dauerstellen geschaffen wurden.[33] Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen setzte hingegen auf Rechentricks: »Wissenschaftliches Personal in einem Qualifikationsverfahren soll daher bei der Errechnung einer Befristungsquote nicht berücksichtigt werden«,[34] was die vorgebliche Erfüllung der ehrgeizigen Ziele gewiss erleichtert. Auf eine Kleine Anfrage der Partei Die Linke, ob die Förderprogramme inzwischen Wirkung zeigten, antwortete das BMBF, dass die Zahl der entfristeten Stellen in vierzehn Bundesländern gestiegen sei, genaueres aber erst nach der für 2025 geplanten Evaluierung mitzuteilen wäre.[35] Schaut man sich die Zahl der Ausschreibungen von kunstwissenschaftlichen Stellen ohne Befristung oder als Akademische Rät:innen an, bestätigt sich der Eindruck, dass sich bislang überhaupt nichts tut.

Die akademische Reservearmee

Die große Zahl prekarisierter Postdocs lässt sich in Analogie zum Marx’schen Begriff der »industriellen Reservearmee« für die arbeitslosen Massen, die das kapitalistische Wirtschaftssystem gleichzeitig ausstößt und benötigt, als »akademische Reservearmee« bezeichnen.[36] Die Arbeitslosen bilden einen Pool erpressbarer, weil in ihrer Existenz bedrohter Menschen, ausdem Unternehmer:innen nach Bedarf schöpfen können; im Falle von Betriebsschließungen werden die Arbeiter:innen in das Reservoir entlassen. Gleichzeitig dienen die gerade nicht verwendeten human ressources, wie sie heute genannt werden, zur Erpressung der Beschäftigten: Wer nicht profitabel genug oder wer gar aufmüpfig ist, kann jederzeit ersetzt werden; Lohn und Arbeitsbedingungen diktieren die »Arbeitgeber:innen«. In vielen Ländern konnten die Gewerkschaften – auf eine gut organisierte, solidarische und weniger leicht austauschbare Facharbeiter:innenschaft gestützt – eine soziale Absicherung für den Fall der Arbeitslosigkeit erkämpfen und ein Arbeitsrecht durchsetzen, dass die Erpressbarkeit reduziert. Im deutschen Wissenschaftssystem sind die prekarisierten Postdocs ebenfalls nur ein Reservoir, aus dem die Universitäten, Forschungsinstitute und Professor:innen je nach Bedarf human ressources entnehmen können. Da sie ungleich vereinzelter sind als Arbeiter:innen in der Fabrik und sie sich vor allem mit ihren Wissenschaftsfeldern identifizieren statt die interdisziplinäre Betroffenheit als Stärke wahrzunehmen, waren die Mobilisierungsversuche von Mittelbau-Initiativen und Gewerkschaften bislang wenig erfolgreich. Hinzu kommt, dass Postdocs wegen der Tarifsperre-Klausel im WissZeitVG kein Recht auf Arbeitskampfmaßnahmen haben.

Anstelle guter Arbeit offeriert das Kartell der nicht Zuständigen die »Chance«, das große Zauberwort des Neoliberalismus. Gesichert werden deshalb nicht die Betroffenen, sondern nur deren »Karrierechancen« – durch »Fluktuation« aus dem Pool der prekarisierten Wissenschaftler:innen. Dass eine »Karrierechance«, deren einziges Angebot die extrem raren Professuren sind, keine ist, wissen natürlich alle. Da die Verantwortlichen aber offenbar überwiegend noch immer davon ausgehen, dass wissenschaftliche Leistungen am besten durch sozialen und psychischen Druck zu erreichen sind, ändert sich das System nur langsam.

Post-hoc-Positionen

Für die Betroffenen ist es besonders enttäuschend, wenn nicht nur Institutionen wie das BMBF und die HRK oder die Universitätsleitungen von Chancen, Fluktuation und Verstopfen sprechen, sondern auch Professor:innen –also Kolleg:innen, die die Jahre der Unsicherheit, des Drucks und des Zweifels aus eigener Erfahrung oder wenigstens aus Interesse für ihre Postdocs kennen könnten. Doch nicht wenige der arrivierten und gut abgesicherten Kolleg:innen scheinen ausschließlich von der erreichten Position aus zu denken, ohne das gnädige Schicksal – oder vielmehr die glückliche Kombination aus Kairos, Kontakten und Konjunkturen – zu berücksichtigen, das ihnen ihre entfristete Stelle beschert hat. Die Psychologie hat hierfür den Begriff des survivorship bias geprägt, mit dem der Wahrnehmungsfehler erfolgreicher Menschen beschrieben wird, die im Nachhinein ihre Kompetenzen und Entscheidungen, ja sogar nur mittelbar von ihnen mitgestaltete oder mitverantwortete Ereignisse zu einer quasi zwangsläufigen Vorgeschichte ihres Erfolgs umdeuten. Der eigene Erfolg zeige, so die Post-hoc-Wahrnehmung, dass »man« es mit Eifer und Anstrengung durchaus schaffen könne. Gegen solche eitlen Versuchungen helfen nicht nur Bescheidenheit und Demut, sondern – wie so oft – ein selbstkritisches check your privileges. Selbst wenn man als Professor:in nichts an den rechtlichen Rahmenbedingungen und wenig an der universitären Praxis ändern kann, heißt das nicht, dass man die anhaltende Benachteiligung von Kolleg:innen rechtfertigen muss. Diese haben stattdessen Solidarität und Unterstützung verdient.

Was tun?

Im Juli 2023 positionierte sich der Deutsche Verband für Kunstgeschichte (DVK) klar gegen die Neufassung des WissZeitVG: »Angesichts nichtzu erwartender Steigerung [sic] der schon lange viel zu geringen Grundfinanzierungen dieser Institutionen und steigender Abhängigkeit von Drittmittelfinanzierung mit ausschließlich befristeten Verträgen ist im Augenblick keine Bereitschaft bzw. Fähigkeit dieser Arbeitgeber erkennbar, die Zahl von unbefristeten Stellen zu schaffen, die das im Referentenentwurf vorgeschlagene 4+2-Modell voraussetzen würde.«[37]

Leider interessiert sich das BMBF wenig für solche Stellungnahmen; die inszenierte öffentliche Anhörung im Vorfeld der Neufassung des Gesetzes sollte nur signalisieren, dass alle »Stakeholder« gehört werden.[38] Was bei der Anhörung leider fehlte, war lauter Protest, vehementer Druck von Seiten der Betroffenen und ihrer solidarischen Kolleg:innen.[39] Solcher Druck entsteht jedoch nicht durch laue Stellungnahmen, sondern muss organisiert werden. Ein bereits im Januar 2021 veröffentlichtes Diskussionspapier des »größten geisteswissenschaftlichen Fach- und Berufsverbands« (Selbstbeschreibung des DVK) zielte bereits in die richtige Richtung,[40] denn es wollte »zu einer weiteren Intensivierung jener Diskussionen und Überlegungen beitragen, die zu einer nachhaltigen Verbesserung der Situation des akademischen Nachwuchses beitragen könnten«.[41] Da diese – durchaus löbliche – Absichtserklärung nicht durch organisatorische Angebote und weitere Initiativen wie beispielsweise Diskussionsforen, Öffentlichkeitsarbeit, Bündnisse mit Mittelbau-Initiativen und Gewerkschaften usw. unterfüttert wurde, passierte: nichts.[42]

Auch der zweite kunst- und kulturwissenschaftliche Berufsverband, der deutlich kleinere Ulmer Verein, befasst sich schon seit längerem mit der Situation in unserem Fach. Nach einem gemeinsam mit dem Arbeitskreis Provenienzforschung organisierten Workshop Ende 2019 gründete sich im Jahr darauf die Arbeitsgruppe Arbeitsbedingungen in der Kunstgeschichte im Ulmer Verein.[43] Immer wieder thematisierte sie gemeinsam mit dem Ulmer Verein in Zeitschriftenbeiträgen, großen und kleinen Veranstaltungen, Stellungnahmen und Mitgliederrundbriefen die prekäre Lage der Postdocs an den Universitäten sowie der befristet beschäftigten und freiberuflich tätigen Kolleg:innen.[44] Vor der Bundestagswahl 2021 bat die Arbeitsgruppe die Wissenschaftspolitiker:innen der demokratischen Parteien um Angaben zu Haltung und Zielen hinsichtlich der Befristungspolitik,[45] im selben Jahr trat sie dem Netzwerk Gute Arbeit in der Wissenschaft bei.[46] Schwerpunkt war die Erarbeitung einer Umfrage, mit deren Hilfe Zahlen gewonnen werden sollten, die eine präzisere Einschätzung der Lage ermöglichen. Die Umfrage wurde 2022 durchgeführt; der DVK, der Arbeitskreis Provenienzforschung, Volontär:innen- und Mittelbau-Initiativen, H-Soz-Kult, ArtHist.net und viele Kolleg:innen halfen die Umfrage zu verbreiten. Über 1.000 Menschen aus allen Berufsfeldern unseres Fachs beteiligten sich; die Auswertung ist inzwischen abgeschlossen. Die Zahlen, vor allem aber die bewegenden Kommentare in den Freitextfeldern zeichnenein düsteres Bild, das sich freilich mit den Schilderungen bei #IchBinHanna, anderen Erhebungen und den Evaluationen des WissZeitVG 2022 deckt.[47]

Spätestens jetzt ist klar, dass wir die Prekarisierung unserer Kolleg:innen nicht länger hinnehmen dürfen. Niemand erwartet eine Entfristung aller universitären Postdoc-Stellen oder hunderte neue Dauerstellen für promovierte und habilitierte Kunsthistoriker:innen, aber nach über zwanzig Jahren flammender Apelle, vehementer Kritik und konstruktiver Vorschläge muss es endlich spürbare Verbesserungen geben. Setzen wir uns dafür ein!

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Andreas Huth

Andreas Huth ist seit 2023 an der Universität Bamberg Professor für Kunstgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der künstlerischen Techniken; vorher arbeitete er sechseinhalb Jahre auf einer befristeten Postdoc-Stelle. Er ist Mitglied im Vorstand des Ulmer Vereins und dort in der Arbeitsgruppe Arbeitsbedingungen in der Kunstgeschichte aktiv.

Published Online: 2024-08-30
Published in Print: 2024-09-25

© 2024 Andreas Huth, published by De Gruyter

This work is licensed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 International License.

Downloaded on 9.11.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/zkg-2024-3002/html?lang=en
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