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Wirtschaftliche Vereine (§ 22 BGB)

Eine rechtstatsächliche Bestandsaufnahme auf dem Weg zur rechtspolitischen Neubewertung
  • Hanjo Hamann EMAIL logo
Published/Copyright: September 28, 2023

Abstract

471Wenige Vorschriften des bürgerlichen Rechts wurden so oft totgesagt und zugleich so heftig debattiert wie § 22 BGB, der die staatliche Konzessionierung wirtschaftlicher Vereine ermöglicht. Seit Erlass des BGB wird die Streichung oder Ersetzung dieser Vorschrift immer wieder erwogen – und allein in den letzten dreißig Jahren mindestens vier Mal konkret versucht. Und dennoch gilt § 22 BGB seit über 120 Jahren praktisch unverändert. Ist die Vorschrift bloß totes „law on the books“ oder ist der Wirtschaftsverein tatsächlich eine verbreitete Rechtsform? Das weiß bislang niemand so genau, denn seit vierzig Jahren fehlen jegliche Rechtstatsachen. Diese Lücke füllt die vorliegende Studie. In einer 14-monatigen Erhebung sollte von 65 Landes- und Kommunalbehörden erstmals eine Gesamtliste der deutschen Wirtschaftsvereine zusammengetragen werden. Mit 1.033 nachweisbaren Vereinen und einer geschätzten Dunkelziffer von einigen Hundert weiteren existieren in Deutschland mehr Wirtschaftsvereine als SE, EWIV und KGaA zusammen. Die Untersuchung dieser Vereine nach ihrer zeitlichen und regionalen Verteilung sowie ihren Tätigkeitsschwerpunkten ergibt erstmals belastbare Befunde für die seit langem angemahnte rechtspolitische Neubewertung – und weckt Zweifel an der aus historischer Bequemlichkeit beibehaltenen Möglichkeit, bürgerliche Rechtsfähigkeit durch kommunale Konzessionsbehörden verleihen und überwachen zu lassen.

Abstract

Few provisions of German private law have been reported dead as frequently, yet at the same time debated as intensely, as Sec. 22 of the German Civil Code (BGB). This provision enables state agencies to confer legal capacity onto associations established to conduct business, as an exception to the registration required for both charitable associations and business corporations. Since 1900, when the German Civil Code came into force, many authors suggested repealing or reforming Sec. 22, Lawmakers tried to do so at least four times during the last thirty years, yet Sec. 22 has remained untouched since over 120 years. Is this provision merely dead letter law on the books, or are business associations really a widespread legal form? No one knows exactly, as the last empirical study dates back fourty years. The present study seeks to fill that gap. It elicited such data from 65 state and communal agencies over the course of 14 months to compile the first comprehensive list of business associations. 1,033 such entities were found to exist, with several hundred more assumed to remain undetected. This makes business associations more prevalent than all of Societas Europaea (SE), European Economic Interest Groupings (EEIG), and Partnerships Limited by Shares (KGaA) combined. By analysing the temporal and regional distribution of business associations as well as their main business objectives, we finally obtain reliable evidence required for the long-demanded political reassessment of Sec. 22. Doubts are in order about the historically convenient option to grant civil legal capacity by concession, and under the supervision, of communal agencies.472


Note

Ich danke Lisa Schabbert und Lill Emmelheinz für Unterstützung bei der Datenerhebung, Ulrich Segna, Lars Leuschner, Karsten Schmidt, Frido Uebachs und zwei anonymen Gutachter:innen für konstruktive Kritik und hilfreiche Verbesserungsvorschläge, und allen angefragten Behördenmitarbeiter:innen für ihre Auskunftsbereitschaft und ihren bisweilen beeindruckenden überobligatorischen Einsatz. Die Daimler und Benz Stiftung förderte das Projekt großzügig und flexibel durch ein Postdoktoranden-Stipendium zum Thema „Metriken des Rechts“.


Online erschienen: 2023-09-28
Erschienen im Druck: 2023-08-08

© 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 27.11.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/zgr-2023-0016/pdf?lang=en
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