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Hat die Fehlallokation von Produktionsfaktoren zur Produktivitätsschwäche in Deutschland beigetragen?

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Published/Copyright: May 7, 2019
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Abstract

Productivity growth in many advanced economies has decelerated in the last decades. There is increasing evidence that the misallocation of production function has contributed to the weakness in productivity. Factors behind this misallocation could include low interest rates or credit booms. In this paper, I evaluate the most recent findings on the impact of misallocation of production factors on productivity and assess their role for the weakness in productivity growth in Germany. Overall, the misallocation of production factors seem to have been less important in Germany than in other advanced economies. Behind the backdrop of the low interest environment has been in place for an extended period of time, the risks that productivity growth is damped due to the misallocation of production factors is increasing.

JEL Classification: D24; E44; O47

I. Einleitung[1]

Das Produktivitätswachstum in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahrzehnten merklich abgeschwächt. So legte die Arbeitsproduktivität zwischen den Jahren 1991 und 2000 mit durchschnittlich etwa 2 Prozent bereits langsamer zu als in den Jahrzehnten zuvor. Seit dem Jahr 2001 hat sie im Jahresdurchschnitt sogar lediglich um etwa 1 Prozent expandiert. Dies ist freilich kein rein deutsches Phänomen, sondern war mehr oder weniger ausgeprägt in vielen fortgeschrittenen Volkswirtschaften zu beobachten. Aufgrund der herausragenden Bedeutung der Produktivität für Wohlstand und Wachstum einer Volkswirtschaft ist dieses Phänomen vielfach untersucht worden. Die möglichen Erklärungsansätze reichen von ökonomischen Aspekten, wie sektoralem Wandel oder dem Einfluss von Informations- und Kommunikationstechnologien bis hin zu eher technischen Aspekten, wie Problemen dabei, Qualitätsfortschritte adäquat zu erfassen. Insgesamt kann die Produktivitätsverlangsamung bisher nicht maßgeblich auf eine einzelne Ursache zurückgeführt werden, wohl auch, weil die Produktivität von einer Vielzahl von Einflussfaktoren abhängt, deren Bedeutung über die Zeit und zwischen Ländern wohl variieren. Während die Bedeutung einiger dieser Einflussfaktoren bereits seit geraumer Zeit untersucht wird, ist zuletzt vermehrt die Fehlallokation von Produktionsfaktoren als Ursache für die Produktionsschwäche in den Blickpunkt gerückt und systematisch untersucht worden.

In diesem Beitrag wird anhand der vorliegenden wissenschaftlichen Literatur und eigener empirischer Analysen untersucht, welche Rahmenbedingungen zur Fehlallokation von Produktionsfaktoren, die die Produktivität nachhaltig belasten, beitragen können. Darauf aufbauend wird analysiert, inwieweit Fehlallokationen die Produktivitätsabschwächung in Deutschland erklären können, und es werden Risiken für die zukünftige Entwicklung aufgezeigt. Die Frage, inwieweit die Fehlallokation von Produktionsfaktoren zur Produktivitätsabschwächung beitragen kann, ist wirtschaftspolitisch von hoher Relevanz. Zwar kommt es im Wirtschaftsprozess immer wieder zur idiosynkratrisch bedingten Fehlallokation von Produktionsfaktoren. Fehlallokationen dürften in der Regel jedoch erst dann auf gesamtwirtschaftlicher Ebene die Produktivität sichtbar belasten, wenn sie systematisch und über einen längeren Zeitraum hinweg erfolgen. Solche Entwicklungen dürften nicht zufällig auftreten, sondern durch makroökonomische Rahmenbedingungen verursacht oder zumindest gefördert werden. In solchen Fällen kann eine angemessene Wirtschaftspolitik diesen Rahmenbedingungen entgegenwirken und verhindern, dass solche Rahmenbedingungen zukünftig entstehen.

Für systematische Fehlallokationen können verschiedene Ursachen verantwortlich sein. Diese Ursachen hängen zwar zum Teil miteinander zusammen und treten häufig gemeinsam auf. Ihre Bedeutung für die Produktivität wurde bisher jedoch noch nicht gemeinschaftlich untersucht, so dass in diesem Beitrag der vorliegenden Literatur folgend, ihr Einfluss jeweils separat analysiert wird. Zunächst wird untersucht, wie sich Finanzkrisen auf die Produktivitätsentwicklung auswirken (Abschnitt 2). Es wurde vielfach gezeigt, dass Finanzkrisen mit wirtschaftlichen Fehlentwicklungen einhergehen und die wirtschaftliche Aktivität einer Volkswirtschaft dauerhaft dämpfen können. Gleichzeitig kommt es jedoch zu Anpassungsprozessen beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt oder beim Kapitalstock, so dass die Auswirkungen auf die Produktivität nicht eindeutig sind. Danach wird der Frage nachgegangen, ob Phasen sehr starker Kreditexpansionen mit Fehlinvestitionen einhergehen, die systematisch die Produktivität dämpfen (Abschnitt 3). Schließlich wird untersucht, ob sehr niedrige Zinsen zu Fehlallokationen und einer geringeren Produktivität beitragen können (Abschnitt 4). Darauf aufbauend wird kurz der mögliche Einfluss der sogenannten „Zombifizierung“ von Unternehmen diskutiert, die mit allen zuvor beschriebenen Ursachen zusammenhängen kann (Abschnitt 5).[2] In Abschnitt 6 werden die Ergebnisse zusammengefasst.

II. Produktivitätsentwicklung im Zuge von Finanzkrisen

Finanzkrisen gehen in der Regel mit einem starken Einbruch der gesamtwirtschaftlichen Aktivität einher, gefolgt von schwachen Erholungen, so dass das Bruttoinlandsprodukt in der Regel dauerhaft gedrückt wird (Boysen-Hogrefe et al. 2016; Reinhart und Rogoff 2009). Empirische Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass durch Finanzkrisen auch das Produktionspotenzial dauerhaft gedämpft wird (Furceri und Mouroungane 2012; Ollivaud und Turner 2014). Die niedrigeren Schätzungen für das Potenzial im Anschluss an solche Krisen dürften zumindest auf zwei Effekte zurückzuführen sein. Erstens wird das Produktionspotenzial vor Beginn der Krise tendenziell überschätzt, da solchen Krisen typischerweise Boom-Phasen vorausgehen (die beispielsweise durch einen übermäßigen Anstieg des Kreditvolumens und durch Übertreibungen am Immobilienmarkt gekennzeichnet sind), die die gesamtwirtschaftliche Produktion für einige Zeit über ihr nachhaltiges Niveau treiben (Borio und Drehmann 2009; Jorda et al. 2015). Weit verbreitete, auf Filtermethoden beruhende Verfahren zur Schätzung des Produktionspotenzials, wie sie beispielsweise von der Europäischen Kommission oder der OECD eingesetzt werden, überschätzen in „Echtzeit“ in solchen Phasen zwangsläufig das Produktionspotenzial. Zweitens können während der Krise eine Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen, eine erhöhte Unsicherheit und eingetrübte Absatz- und Ertragsaussichten dazu führen, dass potenzialerhöhende Investitionen verschoben werden oder ganz ausbleiben.

Wie sich Finanzkrisen auf die Produktivität auswirken, ist aus theoretischer Sicht nicht eindeutig und somit eine empirische Frage. Zwar dürften sich der Kapitalstock und der Arbeitseinsatz an das dauerhaft niedrigere Produktionsniveau anpassen. Es ist jedoch unklar, wie rasch und in welchem Ausmaß sich solche Anpassungen vollziehen. Ferner könnten produktivitätssteigernde Investitionen, beispielsweise in Forschung und Entwicklung, durch die Krise ausbleiben und es könnte zu Hysteresis-Effekten auf dem Arbeitsmarkt kommen. Allerdings könnten Unternehmen in dem neuen Umfeld auch starke Anreize haben, produktivitätssteigernde Maßnahmen zu ergreifen, die sie andernfalls nicht ergriffen hätten, wodurch die Produktivität erhöht werden würde. Die vorliegenden empirischen Analysen kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. So finden Furceri und Mouroungane (2012), dass sich die Totale Faktorproduktivität (TFP) nach Krisen geringfügig erhöht und vor allem Anpassungen beim Kapitalstock für das geringere Potenzial verantwortlich sind. Ollivaud und Turner (2014) kommen dagegen zu dem Ergebnis, dass sich die TFP bzw. die Arbeitsproduktivität im Anschluss an Finanzkrisen deutlich verringern. Die unterschiedlichen Ergebnisse lassen sich zum Teil mit Unterschieden bei den empirischen Methoden und Datensätzen erklären. So verwenden Furceri und Mouroungane (2012) einen Datensatz für 30 fortgeschrittene Volkswirtschaften, der bereits im Jahr 2008 endet, so dass die jüngsten Finanzkrisen, deren Beginn für die Untersuchung auf das Jahr 2007 terminiert wurde, kaum in die empirische Schätzung eingehen. Hinzu kommt, dass neben Bankenkrisen auch Schuldenkrisen und Währungskrisen untersucht werden, die in der Regel deutlich geringere wirtschaftliche Auswirkungen haben als Bankenkrisen und sich mit diesen zum Teil überlappen (z. B. kurz nach oder gleichzeitig mit Bankenkrisen ausbrechen). Ollivaud und Turner (2014) fokussieren sich auf Basis eines Datensatzes von 19 fortgeschrittenen Volkswirtschaften auf die Auswirkungen von Bankenkrisen und vergleichen den Pfad der TFP und der Arbeitsproduktivität (und anderer Größen wie dem Produktionspotenzial) für die Jahre 2008–2014 mit einem hypothetischen Pfad, der mittels der trendmäßigen Entwicklung der Jahre 2000–2007 geschätzt wird. Sie verwenden einen Event-Ansatz, der die durchschnittliche Entwicklung im Anschluss an Bankenkrisen misst, im Gegensatz zu dem regressionsbasierten Ansatz von Furceri und Mouroungane (2012).

Um zu prüfen, ob es im Zuge von Finanzkrisen tatsächlich zu systematischen Änderungen der Produktivität kommt, wird eine eigene Schätzung vorgenommen auf Basis eines Datensatzes für 20 fortgeschrittene Volkswirtschaften für den Zeitraum von von 1970–2015. Es wird die Entwicklung der TFP im Zuge von Bankenkrisen gemäß der Datierung von Laeven und Valencia (2013) untersucht, da von Bankenkrisen im Vergleich zu anderen Finanzkrisen die größten und langwierigsten gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen ausgehen.[3] Dazu werden zwei in der Literatur bewährte empirische Methoden verwendet. So wird die local projections method in Anlehnung an Jorda et al. (2013) verwendet, um zu untersuchen, wie sich das Niveau der Produktivität im Anschluss an Bankenkrisen ändert.[4] Zudem wird ein Regressionsansatz in Anlehnung an Gourinchas und Obstfeld (2012) verwendet, um zu untersuchen, wie sich die Zuwachsrate der Produktivität im Zuge von Bankenkrisen verhält und ob Bankenkrisen längerfristige Effekte auf die Zuwachsrate haben.[5] Dieser Ansatz ermöglicht es auch, die typische Entwicklung der Produktivität vor einer Bankenkrise zu untersuchen. So wurde mehrfach festgestellt, dass sich die Zuwachsrate der Produktivität vielerorts bereits vor der jüngsten Finanzkrise verlangsamt hat (Fernald 2015; IMF 2015), ohne dass explizit untersucht wurde, ob dies ein typisches Phänomen von Finanz- bzw. Bankenkrisen ist. Um die Ergebnisse besser einordnen zu können, werden die Ergebnisse für Bankenkrisen mit denen für normale Rezessionen (Rezessionen, die nicht mit Bankenkrisen einhergehen) verglichen.

Abbildung 1: TFP im Anschluss an Bankenkrisen und normalen RezessionenAnmerkung: Jahresdaten. Jahr 1 entspricht der Veränderung des Niveaus der TFP in dem ersten Jahr einer Bankenkrise bzw. einer normalen Rezession im Vergleich zu einem Szenario, in dem keine Bankenkrise bzw. normale Rezession aufgetreten wäre. Geschätzt mittels der local projections method in Anlehnung an Jorda et al. (2013). Gestrichelte Linien entsprechen zwei Standardabweichungen der geschätzten Effekte.Quelle: Europäische Kommission, AMECO-Datenbank; eigene Berechnungen.
Abbildung 1:

TFP im Anschluss an Bankenkrisen und normalen Rezessionen

Anmerkung: Jahresdaten. Jahr 1 entspricht der Veränderung des Niveaus der TFP in dem ersten Jahr einer Bankenkrise bzw. einer normalen Rezession im Vergleich zu einem Szenario, in dem keine Bankenkrise bzw. normale Rezession aufgetreten wäre. Geschätzt mittels der local projections method in Anlehnung an Jorda et al. (2013). Gestrichelte Linien entsprechen zwei Standardabweichungen der geschätzten Effekte.

Quelle: Europäische Kommission, AMECO-Datenbank; eigene Berechnungen.

Die TFP verringert sich den Schätzergebnissen auf Basis der local projections method zufolge im ersten Jahr einer Bankenkrise bzw. einer normalen Rezession um rund 3 Prozent gegenüber einem Szenario, in dem keine Bankenkrise bzw. normale Rezession aufgetreten wäre, wobei der Rückgang im Falle einer Bankenkrise etwas ausgeprägter ist (Abbildung 1). Nach einer normalen Rezession stellt sich ab dem zweiten Jahr eine Erholung der TFP ein, und nach fünf Jahren ist das Niveau der TFP nicht mehr signifikant niedriger im Vergleich zu einem Szenario, in dem keine Rezession aufgetreten wäre. Nach einer Bankenkrise tritt in der Regel keine nachhaltige Erholung der TFP ein, und das Niveau der TFP ist nach sieben Jahren um rund 3 Prozent gedrückt. Bei alldem muss bedacht werden, dass ein Großteil der hier betrachteten Bankenkrisen während der jüngsten globalen Finanzkrise aufgetreten ist und sich darunter zahlreiche Krisen in Ländern des Euroraums befinden, die mit sogenannten Double-dip-Rezession einhergingen. Die Ergebnisse spiegeln somit zu einem wesentlichen Teil die Entwicklung der Produktivität während der jüngsten globalen Finanzkrise wider.[6]

Abbildung 2: Zuwachsrate der TFP im Verlauf von Bankenkrisen und normalen RezessionenAnmerkung: Jahresdaten. Jahr 0 entspricht der Veränderung der Zuwachsrate der TFP in dem ersten Jahr einer Bankenkrise bzw. einer normalen Rezession im Vergleich zu einem Szenario, in dem keine Bankenkrise oder normale Rezession aufgetreten wäre. Geschätzt mittels eines Regressionsansatzes in Anlehnung an Gourinchas und Obstfeld (2012), der Dummy-Variablen für den Beginn einer Bankenkrise bzw. einer normalen Rezession als erklärende Variablen enthält. Gestrichelte Linien entsprechen 2 Standardabweichungen der geschätzten Effekte.Quelle: Europäische Kommission, AMECO-Datenbank; eigene Berechnungen.
Abbildung 2:

Zuwachsrate der TFP im Verlauf von Bankenkrisen und normalen Rezessionen

Anmerkung: Jahresdaten. Jahr 0 entspricht der Veränderung der Zuwachsrate der TFP in dem ersten Jahr einer Bankenkrise bzw. einer normalen Rezession im Vergleich zu einem Szenario, in dem keine Bankenkrise oder normale Rezession aufgetreten wäre. Geschätzt mittels eines Regressionsansatzes in Anlehnung an Gourinchas und Obstfeld (2012), der Dummy-Variablen für den Beginn einer Bankenkrise bzw. einer normalen Rezession als erklärende Variablen enthält. Gestrichelte Linien entsprechen 2 Standardabweichungen der geschätzten Effekte.

Quelle: Europäische Kommission, AMECO-Datenbank; eigene Berechnungen.

Die Ergebnisse für die Zuwachsrate der TFP in Anlehnung an das empirische Modell von Gourinchas und Obstfeld (2012) bestätigen die vorherigen Ergebnisse für den Verlauf der TFP nach Bankenkrisen und nach normalen Rezessionen (Abbildung 2).[7] Im ersten Jahr kommt es zu einem deutlichen Rückgang (im Vergleich zu einem Szenario, in dem keine Bankenkrise bzw. normale Rezession aufgetreten wäre). Nach einer normalen Rezession stellt sich für einige Jahre eine signifikante Erholung ein. Die Zuwachsrate der TFP erhöht sich im Anschluss an Bankenkrisen, nach einem weiteren Rückgang im zweiten Jahr, zwar ebenfalls wieder. Sie ist jedoch nicht signifikant höher. Bemerkenswert ist, dass sich die Zuwachsrate der TFP bereits einige Jahre vor dem Beginn einer Bankenkrise bzw. einer normalen Rezession abschwächt.

Alles in allem sprechen die Ergebnisse dafür, dass sich das Niveau der TFP im Zuge von Bankenkrisen dauerhaft verringert, die Zuwachsrate der TFP jedoch nicht dauerhaft gedrückt wird. Die Ursachen für den Rückgang der TFP, die in dieser empirischen Analyse nicht explizit analysiert wurden, dürften darin zu sehen sein, dass sich die Produktionsfaktoren nur allmählich und nicht vollständig dem dauerhaft niedrigeren Produktionsniveau im Anschluss an eine Bankenkrise anpassen. Dies dürfte vor allem für den Kapitalstock relevant sein, der sich nur sehr allmählich anpassen kann, während die Arbeitslosigkeit nach solchen Krisen in der Regel spürbar steigt.[8] In dieses Bild passt ebenfalls, dass Bankenkrisen typischerweise Phasen mit einem sehr hohen Anstieg des Kreditvolumens und einem Boom am Immobilienmarkt vorausgehen, so dass es vor einer Bankenkrise zu Fehlallokationen der Produktionsfaktoren gekommen sein dürfte (Jorda et al. 2015). Dafür spricht auch, dass es nach normalen Rezessionen, vor denen solche Phasen typischerweise nicht oder weit weniger ausgeprägt zu beobachten sind, zu einer Erholung der TFP kommt und ihr Niveau nicht dauerhaft signifikant gedrückt wird. Die Ergebnisse zeigen ebenfalls, dass sich die Zuwachsrate der TFP bereits vor dem Beginn einer Bankenkrise bzw. vor dem Beginn einer normalen Rezession abschwächt. Dies ist insbesondere in dem Jahr unmittelbar vor dem Beginn einer Bankenkrise oder einer Rezession der Fall, in geringerem Ausmaß jedoch auch in den Jahren zuvor. In den kommenden beiden Abschnitten wird näher untersucht, inwieweit makroökonomische Rahmenbedingungen, die zur Fehlallokation von Produktionsfaktoren beitragen können und typischerweise vor Bankenkrisen zu beobachten sind, das Produktivitätswachstum dämpfen können.

Für Deutschland dürften diese Ergebnisse nur wenig zur Erklärung der Verlangsamung des Produktivitätswachstums beitragen. So sinkt die Produktivität zwar typischerweise im Anschluss an Bankenkrisen. Allerdings kommt es nur zu einem permanenten Rückgang des Niveaus, nicht aber der Zuwachsrate. Hinzu kommt, dass Deutschland zwar von einer Bankenkrise betroffen war (beispielsweise gemäß der Datierung von Laeven und Valencia 2013), dieser aber nicht – wie in vielen anderen Volkswirtschaften – eine ausgeprägte Kreditexpansionen bzw. ein Immobilienboom vorausging. Sie dürfte von daher auch weit weniger prägend für die Produktionsstrukturen und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung gewesen sein. Dafür spricht auch die recht kräftige Erholung des Bruttoinlandsprodukts und der Produktivität im Anschluss an die Finanzkrise.[9]

III. Die Bedeutung von Kreditexpansionen für die Produktivitätsentwicklung

Die Ergebnisse zur Produktivitätsentwicklung im Zuge von Bankenkrisen haben gezeigt, dass die Produktivität in der Regel bereits vor Bankenkrisen zurückgeht. Dies steht im Einklang mit der Beobachtung, dass sich die Produktivitätszuwächse vielerorts bereits vor der jüngsten Finanzkrise verlangsamt haben (Fernald 2015; IMF 2015). Viele Studien haben gezeigt, dass einer Bankenkrise in der Regel eine sehr starke Kreditexpansion (Credit booms) vorausgeht und das Ausmaß der Kreditexpansion einen signifikanten Erklärungsgehalt für die Tiefe der Rezession bzw. die Stärke der anschließenden Erholung hat (Jorda et al. 2013). Einige Studien untersuchen, ob starke Kreditexpansionen die Produktivität dämpfen können, beispielsweise weil sie mit der Fehlallokation der Produktionsfaktoren einhergehen. Dies könnte zur Erklärung beitragen, weshalb die Produktivität bereits vor dem Beginn von Bankenkrisen zur Schwäche tendiert und mit dem Ausbruch von Bankenkrisen, wenn die gesamtwirtschaftliche Produktion einbricht und die Fehlallokation der Produktionsfaktoren sichtbar wird, nochmals deutlich verlangsamt.

Borio et al. (2015) zeigen, dass in Phasen starker Kreditexpansionen typischerweise die Zuwachsrate der Arbeitsproduktivität verlangsamt. Ursache ist, dass die Beschäftigung in solchen Phasen vor allem in weniger produktiven Wirtschaftsbereichen aufgebaut wird. Dazu zählt insbesondere das Baugewerbe. Für ihre Analyse verwenden sie einen Datensatz für 21 fortgeschrittene Volkswirtschaften, der zwischen zehn Wirtschaftsbereichen unterscheidet und von 1979 bis 2009 reicht. Sie finden einen signifikanten negativen Zusammenhang zwischen Kreditexpansion und Produktivität, wobei sich die negativen Auswirkungen der Kreditexpansion durch Finanzkrisen amplifizieren. Wenn sich in einem Fünf-Jahreszeitraum das Kreditvolumen in Relation zum Bruttoinlandsprodukt um einen Prozentpunkt erhöht, so reduziert sich den Ergebnissen zufolge die Arbeitsproduktivität um 0,1 Prozent, wobei sich der größere Teil dieses Effektes durch die Reallokation des Faktors Arbeit in weniger produktive Wirtschaftsbereiche ergibt (im Gegensatz zu einem gleichmäßigen Rückgang der Produktivität über alle Wirtschaftsbereiche).[10] Die Ergebnisse lassen zudem darauf schließen, dass sich dieser Effekt vor allem daraus ergibt, dass sich während einer Kreditexpansion die Beschäftigung im Baugewerbe, das eine relativ geringe Produktivität aufweist, erhöht, während sie sich im Verarbeitenden Gewerbe, das eine relativ hohe Produktivität aufweist, verringert. Ein Rückgang der Produktivität durch einen solchen Reallokationseffekt erhöht sich spürbar, wenn in einer Volkswirtschaft eine Bankenkrise auftritt. Ein Rückgang der Produktivität durch den Reallokationseffekt um 1 Prozent in den drei Jahren vor der Krise führt dazu, dass die Arbeitsproduktivität acht Jahre nach dem Beginn der Krise um mehr als 5 Prozent niedriger ist. Nach normalen Rezessionen beträgt der Rückgang weniger als 1 Prozent.[11]

Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Cecchetti und Kharroubi (2012), die zeigen, dass eine Vergrößerung des Finanzsektors (gemessen anhand der Beschäftigung in diesem Wirtschaftsbereich) mit einer Verringerung der Zuwachsrate der Arbeitsproduktivität einhergeht. Sie verwenden für ihre Untersuchung einen Datensatz für 21 fortgeschrittene Volkswirtschaften für den Zeitraum von 1980–2009 und schätzen auf Basis von sich nicht überlappenden Fünf-Jahreszeiträumen den Zusammenhang zwischen der durchschnittlichen Zuwachsrate des Beschäftigungsanteils des Finanzsektors und der durchschnittlichen Zuwachsrate der AP. Sie zeigen, dass ein durchschnittlicher Zuwachs des Beschäftigungsanteils des Finanzsektors um einen Prozentpunkt mit einer niedrigeren durchschnittlichen Zuwachsrate der Arbeitsproduktivität um rund 0,5 Prozentpunkte einhergeht. Die Autoren nennen als mögliche Ursache für dieses Ergebnis, dass der Finanzsektor mit anderen Wirtschaftsbereichen um knappe Ressourcen konkurriert und in Phasen, in denen der Finanzsektor im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen stark ausgeweitet wird („Finanzboom“), produktiveren Wirtschaftsbereichen Produktionsfaktoren entzieht.

Cecchetti und Kharroubi (2015) gehen dieser Hypothese explizit nach. Dafür verwenden sie Daten für 15 fortgeschrittene Volkswirtschaften von 2000–2008. Sie betrachten 33 Bereiche im Verarbeitenden Gewerbe und unterscheiden diese gemäß ihrer Abhängigkeit von externer Finanzierung (Anteil der Anlageinvestitionen, der nicht durch internen Cash flow gedeckt ist) sowie ihrer Ausgaben für Forschung und Entwicklung (Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung an der Bruttowertschöpfung). Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Arbeitsproduktivität bei einer Ausweitung des Finanzsektors in den Wirtschaftsbereichen umso stärker verlangsamt, je mehr sie auf externe Finanzierung angewiesen sind und je höher ihre Forschungsintensität ist. Cecchetti und Kharroubi (2015) sehen ihre Hypothese, dass der Finanzsektor in Finanzbooms anderen, produktiveren Wirtschaftsbereichen Ressourcen entzieht, bestätigt. Freilich lässt sich eine so komplexe Hypothese mit einem vergleichsweise einfachen empirischen Modell, das zudem keine kausale Identifikation der Wirkungszusammenhänge enthält, nicht vollständig bestätigen. Jedoch stehen die Ergebnisse im Einklang mit den Ergebnissen von Borio et al. (2015), zumal Cecchetti und Kharroubi (2015) als Indikatoren für die Größe des Finanzsektors auch Variablen wie das Kreditvolumen in Relation zum Bruttoinlandsprodukt verwenden, und mit den hier vorgestellten stilisierten Fakten für die Produktivitätsentwicklung vor Finanzkrisen.

Alles in allem kann eine starke Ausweitung des Kreditvolumens zur Fehlallokation von Produktionsfaktoren und somit auch zu einer Abschwächung des Produktivitätswachstums beitragen. In der Vergangenheit hat sich ein solcher Prozess regelmäßig in einer Ausweitung des Baugewerbes sowie des Finanzsektors und einer Verkleinerung des Wirtschaftsbereichs Verarbeitendes Gewerbe vollzogen. Eine starke Ausweitung des Kreditvolumens und eine damit verbundene Fehlallokation der Produktionsfaktoren dürfte in vielen fortgeschrittenen Volkswirtschaften bereits viele Jahre vor dem Beginn der Finanzkrise zur Abschwächung des Produktivitätswachstums beigetragen haben. Für Deutschland hat dieses Phänomen im Zuge der Finanzkrise wohl keine zentrale Rolle gespielt. So ist das Kreditvolumen in Relation zum Bruttoinlandsprodukt in Deutschland bereits seit kurz nach der Jahrtausendwende rückläufig und hat sich erst zuletzt wieder allmählich stabilisiert; dies gilt sowohl für das gesamte private Kreditvolumen (ohne den Finanzsektor) als auch für die Unternehmenskredite (Abbildung 3). Ferner hat sich der Anteil des Arbeitsvolumens nach Wirtschaftsbereichen in diesem Zeitraum weder im Baugewerbe oder im Bereich Finanz- und Versicherungsdienstleistungen spürbar erhöht noch im Verarbeitenden Gewerbe spürbar verringert (Abbildung 4).

Abbildung 3: Kreditvolumen in Relation zum Bruttoinlandsprodukt in DeutschlandAnmerkung: Jahresdaten.Quelle: Bank for International Settlements, Credit to the non-financial sector database.
Abbildung 3:

Kreditvolumen in Relation zum Bruttoinlandsprodukt in Deutschland

Anmerkung: Jahresdaten.

Quelle: Bank for International Settlements, Credit to the non-financial sector database.

Gleichwohl sind die in diesem Abschnitt beschriebenen Zusammenhängen zumindest aus zwei Gründen für Deutschland relevant. So kam es nach der Wiedervereinigung bis etwa zur Jahrtausendwende zu einer erheblichen Ausweitung des Kreditvolumens, die mit einer Ausweitung des Anteils des Arbeitsvolumens im Baugewerbe und einer Verringerung des Anteils des Verarbeitenden Gewerbes einherging. Diese Entwicklung könnte zu der in diesem Zeitraum zu verzeichnenden Verlangsamung des Produktivitätswachstums in Deutschland beigetragen haben.[12] Dafür spricht auch, dass sich das Kreditvolumen in Relation zum Bruttoinlandsprodukt sowie der Anteil des Baugewerbes am gesamten Arbeitsvolumen danach wieder verringert haben, es also zu einer Korrektur kam. Gemäß den in Borio et al. (2015) beschriebenen Ergebnissen könnte der Anstieg des Kreditvolumens in Relation zum Bruttoinlandsprodukt zwischen den Jahren 1991 und 2000 um knapp 30 Prozentpunkte die Arbeitsproduktivität im Niveau um bis zu 3 Prozent oder die Zuwachsrate in diesem Zeitraum jahresdurchschnittlich um etwa 0,3 Prozentpunkte gedrückt haben. Freilich sind die Ergebnisse von Borio et al. (2015) mit hoher Unsicherheit behaftet und nur schwer auf Länderebene übertragbar.

Abbildung 4: Anteil am Arbeitsvolumen der Erwerbstätigen in ausgewählten WirtschaftsbereichenAnmerkung: Jahresdaten.Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18 Reihe 1.2; eigene Berechnungen.
Abbildung 4:

Anteil am Arbeitsvolumen der Erwerbstätigen in ausgewählten Wirtschaftsbereichen

Anmerkung: Jahresdaten.

Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18 Reihe 1.2; eigene Berechnungen.

Relevant sind die hier beschriebenen Zusammenhänge wohl auch für die laufende bzw. zukünftige Entwicklung der Produktivität in Deutschland. So hat sich das Kreditvolumen, nicht zuletzt aufgrund der für Deutschland bereits seit geraumer Zeit sehr expansiv ausgerichteten Geldpolitik der EZB, zuletzt stabilisiert und dürfte in den kommenden Jahren vor dem Hintergrund der recht hohen konjunkturellen Dynamik und der anhaltenden Niedrigzinspolitik der EZB wieder expandieren. Zudem sind Bauproduktion und Immobilienpreise deutlich nach oben gerichtet, so dass es in Deutschland in den kommenden Jahren zu einem ausgeprägten Immobilienboom kommen könnte. Dies würde den hier beschriebenen Ergebnissen zufolge das Produktivitätswachstum in Deutschland in den kommenden Jahren spürbar dämpfen.

IV. Die Bedeutung von Niedrigzinsphasen für die Produktivitätsentwicklung

Starke Kreditexpansionen dürften für gewöhnlich mit Phasen expansiver Geldpolitik bzw. mit Phasen niedriger Zinsen einhergehen, da in solchen Phasen in der Regel sowohl Kreditangebot als auch Kreditnachfrage steigen. Bisher liegen jedoch keine Untersuchungen vor, die die Auswirkungen dieser beiden Faktoren im Zusammenspiel auf die Produktivität untersuchen. Grundsätzlich bauen die Untersuchungen über die Auswirkungen von Niedrigzinsphasen auf die Produktivität auf einer ähnlichen Hypothese auf wie die Untersuchungen zu den Auswirkungen starker Kreditexpansionen: Sehr niedrige Zinsen können die Fehlallokation der Produktionsfaktoren befördern und so die Produktivität drücken.

Gopinath et al. (2015) untersuchen die Auswirkungen von Niedrigzinsphasen und Kapitalzuflüssen auf die Allokation von Kapital und Arbeit und die sich daraus ergebenden Wirkungen auf die Produktivität beispielhaft an der Entwicklung Spaniens nach dem Jahr 1999. Dort trug die Einführung des Euro maßgeblich zu einem deutlichen Rückgang der langfristigen Realzinsen bei. Sie verwenden die Dispersion der Grenzproduktivität des Kapitals von Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe als Indikator für die Fehlallokation von Kapital. Sie zeigen, dass es zwischen den Jahren 1999 und 2012 zunehmend zu einer Fehlallokation von Kapital gekommen ist, die zur schwachen Produktivitätsentwicklung beigetragen hat.[13] Auf dieser Beobachtung aufbauend leiten Gopinath et al. (2015) ein Modell ab, in dem niedrige Realzinsen und Kapitalzuflüsse aus dem Ausland zur Fehlallokation von Kapital führen. Ein wichtiger Mechanismus in diesem Modell ist, dass vor allem größere Unternehmen in so einem Umfeld zusätzliche Kredite aufnehmen können, was zu einer ineffizienten Verteilung des Faktors Kapital führt. Mit diesem Modell können Gopinath et al. (2015) auch andere stilisierten Fakten in Spanien in diesen Zeitraum erklären. In einer länderübergreifenden Untersuchung zeigen sie zudem, dass in diesem Zeitraum Fehlallokationen von Kapital auch in Italien und Portugal zu beobachten waren, während dies für Deutschland, Frankreich und Norwegen nicht der Fall war.

Cette et al. (2016) untersuchen auf Länderebene, inwieweit Veränderungen der Realzinsen (gemessen anhand der Zinsen für Staatsanleihen mit 10-jähriger Laufzeit abzüglich der Vorjahresrate des BIP-Deflators) sich auf die Arbeitsproduktivität im Euroraum, in den vier großen Volkswirtschaften des Euroraums sowie in den Vereinigten Staaten auswirken. Basierend auf einem bivariaten VAR-Modell, das sie jeweils für den Zeitraum von 1985–2015 (für Deutschland und Italien von 1992–2015) schätzen, finden sie einen signifikanten positiven Zusammenhang zwischen Realzinsen und Arbeitsproduktivität. So führt ein Rückgang der Realzinsen um rund 0,4 Prozentpunkte im Euroraum nach ca. zweieinhalb Jahren zu einem Rückgang der Zuwachsrate der Arbeitsproduktivität im Vorjahresvergleich um knapp 0,2 Prozentpunkte. Für die Vereinigten Staaten ist der Effekt weniger als halb so groß. In Italien und Spanien haben die niedrigeren Realzinsen zwischen den Jahren 1999 und 2008 gemäß dem Modell die Zuwachsrate der Arbeitsproduktivität um rund 0,5 Prozentpunkte im Jahr gedrückt. Für Deutschland und Frankreich fällt der Effekt deutlich niedriger aus. Cette et al. (2016) finden einen signifikanten positiven Zusammenhang zwischen Realzins und Arbeitsproduktivität sowie TFP auch für einen Panel-Datensatz von 13 fortgeschrittenen Volkswirtschaften für 18 Wirtschaftsbereiche für die Jahre von 1985 bis 2008. Gemäß diesen Schätzungen würde ein Rückgang der Realzinsen um einen Prozentpunkt die Zuwachsrate der Arbeitsproduktivität in allen Wirtschaftsbereichen je nach Ländersample um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte im folgenden Jahr drücken (bzw. die Zuwachsrate der TFP um 0,2 Prozentpunkte).

Allerdings werden in diesem Modell die Auswirkungen von Realzinsänderungen auf die Produktivität im VAR-Modell nur schwach identifiziert (da die Identifikation letztlich nur auf einer sehr allgemeinen Annahme beruht) und im Modell auf Basis der Wirtschaftsbereiche gar nicht identifiziert. Zudem werden keine weiteren Kontrollvariablen in die Modelle aufgenommen. Somit wird weniger ein struktureller Zusammenhang zwischen den beiden Variablen geschätzt, sondern vielmehr die Korrelation, wobei bei der Interpretation der Ergebnisse implizit davon ausgegangen wird, dass die Korrelation von Veränderungen der Realzinsen getrieben wird. Vor diesem Hintergrund sollten diese Ergebnisse für sich genommen nur mit großer Vorsicht für kausale Erklärungen oder wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen herangezogen werden.

Für Deutschland ist der Zusammenhang zwischen den beiden Variablen zudem offenbar weit weniger ausgeprägt als für die anderen Länder bzw. als es die Ergebnisse auf Basis der Panel-Schätzungen suggerieren.[14] So führt ein Rückgang der Realzinsen in Deutschland um 0,4 Prozentpunkte zu einem Rückgang der Vorjahresrate der Arbeitsproduktivität um lediglich knapp 0,01 Prozentpunkte (Abbildung 5). Zudem findet sich anders als in der Panel-Schätzung kein signifikanter Zusammenhang zwischen Realzins und der Produktivität in den Wirtschaftsbereichen, wenn man die Schätzung lediglich für Deutschland durchführt.[15]

Abbildung 5: Auswirkungen eines Anstiegs der Realzinsen auf die Arbeitsproduktivität in DeutschlandAnmerkung: Quartalsdaten. Impuls-Antwort-Funktionen auf Basis eines bivariaten VAR-Modells, das die Vorjahresrate der Arbeitsproduktivität und den Realzins (berechnet als Zins für 10-jährige Staatsanleihen abzüglich der Vorjahresrate des BIP-Deflators) enthält. Für die Identifikation der Wirkung der Realzinsänderung auf die Arbeitsproduktivität wird angenommen, dass Realzinsänderungen kontemporär keine Wirkung auf die Arbeitsproduktivität haben. Die gestrichelten Linien zeigen das 80-Prozent-Konfidenzintervall. Die Schätzung erfolgt für den Zeitraum vom jeweils ersten Quartal des Jahres 1992 bis 2015 anhand der in Cette et al. (2016a) verwendeten Daten und Methoden.Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18 Reihe 1.2; eigene Berechnungen.
Abbildung 5: Auswirkungen eines Anstiegs der Realzinsen auf die Arbeitsproduktivität in DeutschlandAnmerkung: Quartalsdaten. Impuls-Antwort-Funktionen auf Basis eines bivariaten VAR-Modells, das die Vorjahresrate der Arbeitsproduktivität und den Realzins (berechnet als Zins für 10-jährige Staatsanleihen abzüglich der Vorjahresrate des BIP-Deflators) enthält. Für die Identifikation der Wirkung der Realzinsänderung auf die Arbeitsproduktivität wird angenommen, dass Realzinsänderungen kontemporär keine Wirkung auf die Arbeitsproduktivität haben. Die gestrichelten Linien zeigen das 80-Prozent-Konfidenzintervall. Die Schätzung erfolgt für den Zeitraum vom jeweils ersten Quartal des Jahres 1992 bis 2015 anhand der in Cette et al. (2016a) verwendeten Daten und Methoden.Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18 Reihe 1.2; eigene Berechnungen.
Abbildung 5:

Auswirkungen eines Anstiegs der Realzinsen auf die Arbeitsproduktivität in Deutschland

Anmerkung: Quartalsdaten. Impuls-Antwort-Funktionen auf Basis eines bivariaten VAR-Modells, das die Vorjahresrate der Arbeitsproduktivität und den Realzins (berechnet als Zins für 10-jährige Staatsanleihen abzüglich der Vorjahresrate des BIP-Deflators) enthält. Für die Identifikation der Wirkung der Realzinsänderung auf die Arbeitsproduktivität wird angenommen, dass Realzinsänderungen kontemporär keine Wirkung auf die Arbeitsproduktivität haben. Die gestrichelten Linien zeigen das 80-Prozent-Konfidenzintervall. Die Schätzung erfolgt für den Zeitraum vom jeweils ersten Quartal des Jahres 1992 bis 2015 anhand der in Cette et al. (2016a) verwendeten Daten und Methoden.

Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18 Reihe 1.2; eigene Berechnungen.

Abbildung 6: Realzins in DeutschlandAnmerkung: Jahresdaten. Rendite für Staatsanleihen mit 9- bis 10-jähriger Restlaufzeit abzüglich der Vorjahresrate des BIP-Deflators.Quelle: Thomson Financial Datastream; Statistisches Bundesamt, Fachserie 18 Reihe 1.2; eigene Berechnungen.
Abbildung 6:

Realzins in Deutschland

Anmerkung: Jahresdaten. Rendite für Staatsanleihen mit 9- bis 10-jähriger Restlaufzeit abzüglich der Vorjahresrate des BIP-Deflators.

Quelle: Thomson Financial Datastream; Statistisches Bundesamt, Fachserie 18 Reihe 1.2; eigene Berechnungen.

Der Rückgang der Realzinsen hat gemäß den in diesem Abschnitt diskutierten Zusammenhängen in vielen Volkswirtschaften, wie Spanien oder Italien, zu einer Verlangsamung des Produktivitätswachstums beigetragen. Für die Produktivitätsentwicklung in Deutschland dürften sie eher von untergeordneter Bedeutung gewesen sein. Zwar ist der Realzins auch in Deutschland seit Mitte der neunziger Jahre bis vor den Beginn der Finanzkrise in der Tendenz spürbar gesunken, allerdings weit weniger ausgeprägt als in vielen anderen Ländern des Euroraums. Hinzu kommt, dass der Zusammenhang zwischen Realzins und Produktivität für Deutschland deutlich schwächer zu sein scheint als für andere Volkswirtschaften und in Deutschland in diesem Zeitraum keine weiteren typischen Symptome, wie eine ausgeprägte Kreditexpansion oder ein Immobilienboom, die mit Niedrigzinsphasen in Verbindung stehen, zu verzeichnen waren. Auch die Schätzungen auf Basis von Firmendaten finden keine Evidenz für die Fehlallokation von Produktionsfaktoren für den Zeitraum vor dem Beginn der Finanzkrise in Deutschland (Gopinath et al. 2015). Allerdings ist der Realzins seit dem Beginn der Finanzkrise in Deutschland deutlich stärker zurückgegangen als in vielen anderen Ländern des Euroraums und befindet sich bereits seit dem Jahr 2013 im negativen Bereich (Abbildung 6). In diesem Zeitraum hat sich auch die Kreditvergabe wieder stabilisiert und am Immobilienmarkt hat ein ausgeprägter Aufschwung eingesetzt, so dass die niedrigen Realzinsen in den vergangenen Jahren zur schwachen Ausweitung der Produktivität zumindest beigetragen haben könnten. Den Schätzergebnissen von Cette et al. (2016) zufolge hat der Rückgang der Realzinsen die Zuwachsrate der Arbeitsproduktivität zwischen dem Jahr 2012 und Anfang 2015 durchschnittlich um 0,2 Prozentpunkte gedrückt. Zwar dürfte diese Schätzung eher am oberen Ende der möglichen Effekte liegen, weil in dem Modell für keine anderen Einflussfaktoren auf die Produktivität oder die Realzinsen kontrolliert wird. Da die Niedrigzinsphase noch für geraume Zeit anhalten dürfte, ergeben sich für Deutschland jedoch für die laufende und die zukünftige Entwicklung Risiken für die Produktivität.

V. „Zombifizierung“ von Unternehmen und Produktivität

Niedrige Zinsen bzw. sehr großzügige Finanzierungsbedingungen können zum Überleben von sogenannten „Zombie-Firmen“ beitragen, also von Firmen, die ihren finanziellen Verpflichtungen zu normalen Finanzierungsbedingungen nicht mehr nachkommen können und normalerweise vom Markt verschwinden würden. Solche Firmen weisen in der Regel eine geringe Produktivität auf und verknappen die verfügbaren Ressourcen für produktivere Unternehmen, so dass ihr Überleben Restrukturierungsprozesse innerhalb einer Volkswirtschaft erschwert oder gar verhindert und so die gesamtwirtschaftliche Produktivität drückt. Am ausführlichsten ist dieser Zusammenhang bisher für Japan untersucht worden. So zeigen Caballero et al. (2008) sowie Hoshi und Kashyap (2004), dass in Japan sogenannte „Zombie-Banken“ (also Banken die nur schwach kapitalisiert und von der Insolvenz bedroht sind) „Zombie-Firmen“ Kredite gewähren (bzw. Kreditlinien verlängern), da eine Insolvenz dieser Unternehmen aufgrund des zusätzlichen Abschreibungsbedarfs auch zur Insolvenz der jeweiligen Bank führen könnte.

Acharya et al. (2015) analysieren, wie sich die Ankündigung des OMT-Programms (Outright Monetary Transactions) durch die EZB auf die Finanzierungsbedingungen von Firmen im Euroraum ausgewirkt hat. Sie zeigen, dass insbesondere Banken in den GIIPS-Staaten vom OMT-Programm profitiert haben, da die mit dem Programm verbundenen Kursanstiege von Staatsanleihen wie eine indirekte Rekapitalisierung dieser Banken gewirkt hat.[16] Diese Banken haben zwar ihr Kreditangebot ausgeweitet; allerdings haben sie vor allem bestehende Kreditlinien erhöht und kaum zusätzliche Kredite an Neukunden vergeben. Die Kreditvergabe wurde vor allem an Unternehmen mit geringer Bonität erhöht.[17] Die Kreditvergabe an Unternehmen mit hoher Bonität hat sich dagegen nicht signifikant geändert. Acharya et al. (2015) zeigen, dass Banken, die besonders von der Ankündigung profitierten, ihre Kreditlinien für Unternehmen geringer Bonität zu günstigeren Konditionen erhöhten als sie Unternehmen hoher Bonität außerhalb der GIIPS-Staaten erhielten. Daraus folgern sie, dass die zusätzliche Kreditvergabe nach der OMT-Ankündigung in GIIPS-Staaten zu einem Gutteil an „Zombie-Firmen“ ging mit dem Ziel, diese Unternehmen zu stützen. Da diese Unternehmen weder ihre Investitionen noch ihre Beschäftigung ausgeweitet haben, schließen Acharya et al. (2015), dass das OMT-Programm die realwirtschaftliche Aktivität nicht angeregt hat. Acharya et al. (2015) untersuchen zwar nicht explizit wie sich das OMT-Programm auf die Produktivität ausgewirkt hat, allerdings dürfte sie in dem Ausmaß, in dem Unternehmen geringer Bonität eine geringere Innovationskraft und Produktivität aufweisen, auch die gesamtwirtschaftliche Produktivität gedrückt haben.

Für Deutschland dürfte die unmittelbare Relevanz dieser Ergebnisse begrenzt sein, da derzeit der Anteil der „Zombie-Firmen“ vergleichsweise gering sein dürfte. In dem von Acharya et al. (2015) untersuchten Datensatz sind ihrer Definition zufolge rund 5 Prozent der 119 deutschen Unternehmen „Zombi-Firmen“; dieser Anteil ist deutlich geringer als in Spanien (knapp 20 Prozent), Frankreich (knapp 10 Prozent), dem Vereinigten Königreich (rund 10 Prozent) und Italien (knapp 20 Prozent). Freilich werden „Zombie-Firmen“ unter Umständen erst sichtbar, wenn es zu einer spürbaren gesamtwirtschaftlichen Verlangsamung kommt, während in Deutschland eine mögliche „Zombifizierung“ von Unternehmen durch die derzeit recht hohe konjunkturelle Dynamik überdeckt werden könnte. Dafür spricht auch die bereits seit geraumer Zeit sehr geringe Zahl von Unternehmensinsolvenzen in Deutschland, wobei die Anzahl der Insolvenzen freilich von einer Reihe von Einflussfaktoren abhängt. Allerdings dürften die ausgesprochen günstigen Finanzierungsbedingungen in Deutschland in den kommenden Jahren dazu beitragen, dass der Anteil der „Zombie-Firmen“ mehr und mehr steigt und so die gesamtwirtschaftliche Produktivität in der Tendenz drückt. Wie hoch dieser Anteil ist und in welchem Ausmaß die Produktivität gedrückt wird, ist jedoch sehr schwer abschätzbar.

VI. Zusammenfassung der Ergebnisse

Es gibt zunehmende Evidenz dafür, dass Bankenkrisen, ausgeprägte Kreditexpansionen sowie niedrige Realzinsen die Produktivität dämpfen können, da sie mit der Fehlallokation von Produktionsfaktoren einhergehen können. So gehen Bankenkrisen häufig ausgeprägte Kreditexpansionen und Niedrigzinsphasen voraus, wodurch erklärt werden kann, dass die Produktivität häufig bereits vor Bankenkrisen gedämpft wird. Langanhaltende Niedrigzinsphasen können zudem im Anschluss an Bankenkrisen notwendige Anpassungsprozesse verzögern, nicht zuletzt, weil sie „Zombie-Firmen“ das Überleben ermöglichen, und so die Produktivität dämpfen. Während diese Faktoren in einigen fortgeschrittenen Volkswirtschaften, insbesondere vor und nach der Finanzkrise, spürbar zur Abschwächung des Produktivitätswachstums beigetragen haben dürften, sind ihre Auswirkungen auf die Produktivität in Deutschland bislang wohl begrenzt. Die größten Auswirkungen könnten sich in dem Zeitraum von nach der Wiedervereinigung bis zur Jahrtausendwende ergeben haben. Unmittelbar vor und während der Finanzkrise waren die Auswirkungen auf die Produktivität in Deutschland wohl gering. In den vergangenen Jahren könnte insbesondere die ausgeprägte Niedrigzinsphase die Produktivität in Deutschland etwas gedämpft haben, wobei diese Effekte nur schwer zu quantifizieren sind. Risiken für die Produktivität in Deutschland ergeben sich insbesondere in der laufenden und zukünftigen Entwicklung, da die Niedrigzinsphase wohl noch für geraume Zeit anhalten wird und sich eine stärkere Kreditexpansion sowie ein Boom an den Immobilienmärkten andeuten. Bei alldem ist jedoch zu bedenken, dass die vorliegenden empirischen Ergebnisse mit Vorsicht interpretiert werden sollten. Neben der Modell- und Schätzunsicherheit werden die Effekte auf die Produktivität zum Teil nur schwach oder gar nicht identifiziert.

Literatur

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Published Online: 2019-05-07
Published in Print: 2019-05-27

© 2019 Nils Jannsen, published by Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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Downloaded on 20.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/zfwp-2019-2001/html?lang=en
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