Rezensierte Publikation:
Maximilian Steinbeis, Die verwundbare Demokratie – Strategien gegen die populistische Übernahme, 1. Auflage, München, Hanser Verlag 2024, 304 Seiten ISBN 978-3-446-28129-5, 25,00 €.
Die Untersuchung von Maximilian Steinbeis ist aus dem Thüringen-Projekt des Verfassungsblogs hervorgegangen, das sich vor dem Hintergrund des Aufstiegs der AfD der Frage widmete, welche Strategien und politische Projekte seitens autoritär-populistischer Gruppierungen zu erwarten sind, und welche Möglichkeiten der Gegenwehr bestehen.
In dem einführenden Kapitel 1 setzt sich Steinbeis mit dem Grundrechtsverständnis der AfD im Zuge der Coronakrise, dem autoritären Populismus, und insbesondere auch der Entwicklung in Ungarn und Polen auseinander (19 ff.). Eingegangen wird auf den schrittweisen Umbaus des politischen Systems und seiner Institutionen durch die Parteien Fidesz in Ungarn und PiS in Polen, vor allem auch auf die Indienstnahme der Verfassungsgerichte. Steinbeis betont, dass die Durchsetzung des autoritären Populismus und seiner Maßnahmen graduell auf dem Weg einer allmählichen Attackierung und Übernahme von Institutionen erfolgt, einem „Missbrauch“ von Rechten, und nicht allein über eine offene Verletzung bestehenden Rechts (43 ff). Eine große Rolle spielten dabei oft rechtlich nicht fixierte Verhaltenskonventionen, die für demokratische Verfassungsinstitutionen notwendig seien, deren Existenz aber oft gar nicht wahrgenommen werde, weil sie für selbstverständlich gehalten werden (41 ff.). Steinbeis verweist in diesem Zusammenhang auf den amerikanischen Verfassungsrechtler Mark Tushnet, der frühzeitig vor einer Zeit eines „constitutional hardball“ Spiels seitens der Republikanischen Partei in den USA warnte, als Methode derer, „die die Verfassung zerstören wollen, ohne sie brechen zu müssen“ (42).
Bei der Auseinandersetzung mit der „Politikvorstellung“ des Populismus geht die Untersuchung von der weit verbreiteten Definition des Populismus aus, nach der einem moralisch reinen und homogenen Volk eine unmoralische Elite gegenübergestellt wird (12 f.). Prägend ist dabei eine antipluralische Haltung (Möller 2021: 11; Müller 2016: 25 ff.; Schäfer & Zürn 2021: 13 ff.), beim autoritären Rechtspopulismus mit völkischer Prägung, bei der die Volksidentität als dem demokratischen Prozess und rechtlichen Regelungen vorgegeben betrachtet wird. Daraus erwächst ein instrumenteller Umgang des autoritären Populisten mit Demokratie und Recht, wonach die Institutionen und Verfahren des liberalen Rechtsstaats nur dann „funktionieren“, wenn sie den vorgegebenen Volkswillen bestätigen: „Wenn nicht, dann stimmt etwas nicht mit ihnen“, fasst Steinbeis diese Sichtweise treffend zusammen (14). Auch die Grundrechte werden in diesem Sinne als Besitzstand instrumentalisiert, und strategisch für die eigenen Interessen eingesetzt (7 ff.). Die länderübergreifende Strategie des autoritären Populismus ist darauf ausgerichtet, „den Möglichkeitsraum“ der liberalen, demokratischen Verfassung und ihrer Institutionen für die Errichtung eines autoritären Regimes zu missbrauchen (16 ff.)(Amlinger & Nachtwey 2022: 87 ff.), stellt Steinbeis fest.
In den Folgekapiteln werden die Handlungsstrategien der AfD und verschiedene politische Themenbereiche behandelt, aufbereitet von einzelnen Rechercheteams. Kapitel 2 analysiert als Gedankenexperiment, welche Strategien seitens der AfD in Thüringen zu erwarten sind, sollte die Partei bei der Landtagswahl 2024 zur stärksten Partei werden, und mehr als ein Drittel der Stimmen erreichen, wie es dann tatsächlich der Fall war. Behandelt werden die Streitfragen betreffend die Geschäftsordnung des Landtags in Thüringen, und die mit dem Erreichen einer Sperrminorität möglichen Einwirkungs- und Blockademöglichkeiten für die AfD (etwa bei der Wahl der Verfassungsrichter). Kapitel 3 widmet sich dem zu erwartenden Vorgehen der AfD bei der Übernahme staatlicher Exekutivgewalt auf der Landesebene und der kommunalen Ebene. Für die Landesebene werden die Politikfelder Justiz, Innere Sicherheit und speziell die Strafjustiz analysiert.
Kapitel 4 widmet sich zu erwartenden Verkürzungen von Rechten und Freiheiten am Beispiel der Versammlungsfreiheit und dem Kultur- und Bildungsbereich (Medien, öffentlich-rechtlicher Rundfunk und privater Rundfunk, Wissenschaftsfreiheit, Kunst und Bildung/Schulwesen). Dieses Themenfeld stellt neben der Migration europaweit einen Schwerpunkt des autoritären Populismus dar, aktuell deutlich geworden in Italien, und schon länger auf kommunaler Ebene in Frankreich in von der Partei Rassemblement National (RN) beherrschten Kommunen. Ein spezieller Beitrag (185 ff.) widmet sich der Frage möglicher Änderungen des Wahlrechts (etwa Grabenwahlrecht wie in Ungarn) und Forderungen nach mehr direkter Demokratie, wo der Schwerpunkt seitens der AfD auf Volksbefragungen als Instrument der Regierung liegt. Die einzelnen Beiträge gehen nicht allein auf Vorstellungen des autoritären Populismus ein, sondern betonen immer wieder, dass bereits heute zahlreiche fragwürdige Grundrechtsbeschränkungen und Fehlentwicklungen in den behandelten Themenbereichen zu konstatieren sind.
Kapitel 5 behandelt ausgehend von der Forderung nach einer „Remigration“ mögliche Veränderungen im Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht. Bei vielen politischen und rechtlichen Fragen zu diesem Themenfeld verlaufen die Grenzlinien zwischen der AfD und den anderen politischen Parteien nicht so eindeutig, wie es teilweise in der Debatte unterstellt wird. Die AfD bewegt sich in diesem Themenfeld gerade in der neueren Entwicklung in hohem Maße im Rahmen des bestehenden politischen Diskurses der anderen politischen Parteien. Unter Bezugnahme auf die Debatten zum Europäischen Asylsystem, zu Geflüchteten an der EU-Außengrenze, die Einführung von Bezahlkarten und Arbeitspflicht für Asylsuchende und weitere Fragen wird in der Untersuchung zugespitzt festgestellt, dass die autoritären Populisten nur abernten müssten, was „andere schon für sie erledigt haben“ (197 f.). Bedeutung kommt dabei auch dem aufgezeigten Tatbestand zu, dass zu einzelnen Fragen in diesem Themenfeld ein rechtspolitischer Spielraum existiert, der eine „Verschärfung“ rechtlicher Regelungen ermöglicht, ohne dass dabei regelmäßig gegen das GG oder Europäische Recht verstoßen wird.
Thema der Untersuchung ist auch, welche Möglichkeiten bestehen, um einer Umsetzung rechtlich unzulässiger oder fragwürdiger politischer Maßnahmen durch eine von der AfD geführte Landesregierung zu begegnen. Dabei geht es um die Möglichkeit des Einsatzes der Bundesaufsicht nach Art. 84, 85 GG, und die Probleme und Grenzen beim Einsatz dieses Instrumentariums (206 ff.). Eingehend behandelt wird in diesem Zusammenhang auch, wie einer „Obstruktionspolitik“ seitens einer Landesregierung begegnet werden kann, ein Mittel, das die AfD bereits aktuell in verschiedenen Zusammenhängen praktiziert. Die Untersuchung setzt sich bereits am Anfang grundsätzlich mit dem Thema einer Obstruktionspolitik als Mittel der Opposition auseinander. Steinbeis betont, dass das Mittel der Obstruktion („Sand ins Getriebe streuen) in der langen Geschichte oppositioneller Aktionsmittel von unterschiedlichen politischen Seiten genutzt wurde (77 ff.), und nicht nur in der Taktik der „legalen Revolution“ seitens der Nationalsozialisten in der Endphase der Weimarer Republik (82).[1] Notwendig ist zu dieser Frage eine differenzierte Prüfung, welche Formen von Obstruktion seitens einer parlamentarischen Opposition als illegitim, und welche Formen als legitim zu betrachten sind. Das Einschleusen von Gegnern der Coronamaßnahmen in den Bundestag, die Abgeordnete und Mitarbeiter filmten und bedrängten, hat mit einer bloßen Obstruktionspolitik nichts zu tun, wie es auch die Untersuchung betont (82). Auch das Vorgehen der AfD bei der Konstituierung des Landtags in Thüringen ging über eine Form der begrenzten Obstruktion als Mittel der Opposition deutlich hinaus, da der Alterspräsident der AfD in der konstituierenden Sitzung des Landtags in Thüringen sein Amt in rechtswidriger Weise ausgeübt hatte, wie es dann auch der Thüringer Verfassungsgerichtshof feststellte.[2]
Die Untersuchung von Steinbeis kommt zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass jede Verfassung „verletzliche Stellen“ aufweist, und unterstreicht die Notwendigkeit eines Schutzes der Institutionen des Grundgesetzes, speziell des Bundesverfassungsgerichts in Form einer Verfassungsänderung (228 ff.), wie sie zwischenzeitlich auf der Grundlage eines Gesetzesentwurfs der Fraktionen SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP umgesetzt wurde.[3] Die Untersuchung betont im Anschluss an die eingehende Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten eines rechtlichen Schutzes der Demokratie und der Institutionen des liberalen Rechtsstaats abschließend aber auch die Notwendigkeit eines zivilen Schutzes der Verfassung: „Denn die Verfassung wird uns nicht schützen können. Umgekehrt aber schon“ (234).
Die hier erfolgte Betonung der Notwendigkeit eines zivilen Verfassungsschutzes ist begründet, da erhebliche Zweifel bestehen, ob ein rechtlich orientiertes Schutzkonzept im Ernstfall in der Lage ist, dem Vorgehen autoritärer Populisten entgegenzutreten. Denn der Versuch eines Schutzes der Demokratie läuft ins Leere, wenn die gesellschaftliche Unterstützung dafür fehlt. Der bloße Appell an einen zivilen Verfassungsschutz reicht dafür allerdings nicht aus. Berücksichtigt werden müssen die gesellschaftlichen und kulturellen Voraussetzungen des Konstitutionalismus und dessen Verankerung in der Gesellschaft (Grimm 2018). Entscheidend ist, wieviel Unterstützung in der Gesellschaft für den Schutz der Verfassung und ihrer Institutionen vorhanden ist, und wo die möglichen Ursachen für eine fehlende Unterstützung liegen. Die Untersuchung von Steinbeis analysiert die Strategien und Ziele des autoritären Populismus und setzt sich mit vorrangig rechtlichen Gegenstrategien zum Schutz der Verfassung und ihrer Institutionen auseinander, nur abschließend ergänzt durch die Betonung der Notwendigkeit eines zivilen Verfassungsschutzes.[4] Die wichtige Frage der Voraussetzungen für eine erfolgreiche Mobilisierung eines zivilen Schutzes der Verfassung und die dazu auch erforderliche Auseinandersetzung mit den Ursachen des Aufstiegs des Populismus ist nicht Gegenstand der Untersuchung.
In der neueren Debatte wird verstärkt der Frage nachgegangen, inwieweit der Aufstiegs des Populismus auch mit Spannungen und Schwächen der liberalen Demokratie im Zusammenhang steht, die einen Nährboden für Populisten bilden. In der Untersuchung von Steinbeis wird auf diese wichtige Frage, zu der in den USA bereits länger eine eingehende Debatte geführt wird, nicht eingegangen. Der Politikwissenschaftler Philip Manow setzt sich in seiner neuen Untersuchung „Unter Beobachtung“ (2024) eingehend mit diesem Thema auseinander. Die zentrale These von Manow lautet, dass der Populismus das „Gespenst“ der liberalen Demokratie ist (Manow 2024: 26, 148), um deutlich zu machen, dass die Demokratie selbst ein Problem hat (Manow 2020: 22 f.). Manow sieht eine entscheidende Ursache des Aufstiegs des Populismus in der zunehmenden Verrechtlichung, insbesondere auch im Zusammenhang mit der Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit und den sonstigen nicht-majoritären Institutionen (NMIs). Die damit verbundene Verwandlung der Demokratie in eine „liberale Demokratie“ führe zu einer Beschneidung bis Erstickung des politischen Prozesses in Demokratie, was immer stärker Widerspruch hervorrufe. Besondere Bedeutung misst Manow dabei vor allem auch der Entwicklung des Europäischen Union und den hier vorhandenen Demokratiedefiziten sowie der weitreichenden Autonomie des Europäischen Gerichtshofs bei (Manow 2024: 125 ff.; vgl. Blühdorn 2024: 125 ff.). Kim Lane Scheppele, Professorin für Soziologie und Internationale Angelegenheiten, hat bereits in früheren Beiträgen betont, dass Populisten die Schwachstellen der normativen Befürwortung des liberalen Konstitutionalismus aufgreifen, die bei der Verknüpfung des liberalen Konstitutionalismus mit der Demokratie bestehen, und insbesondere auch die Spannungen und Konflikte, die von der Verfassungsgerichtbarkeit in der Demokratie ausgehen (Scheppele 2019). In diesem Sinne verweisen auch Paul Blokker (2019) sowie in der Debatte in Deutschland Armin Schäfer und Michael Zürn (2021) darauf, dass der Populismus Ausdruck tiefer sitzender Probleme des liberalen Konstitutionalismus sein kann. Populisten teilen danach mit anderen liberalismuskritischen Ansätzen die Kritik an Tendenzen einer Entpolitisierung und Entfremdung der Bürger im liberalen Konstitutionalismus, auch wenn daraus sehr unterschiedliche Schlüsse gezogen werden.
Der Populismus macht die grundlegende Verteilung der Macht in der liberalen Demokratie zum Gegenstand der politischen Auseinandersetzung und übt eine Systemkritik im Namen der Volkssouveränität (Schäfer & Zürn 2021: 25). Der autoritäre Populismus strebt allerdings keine Optimierung der Demokratie an, sondern eine nationalistische Verkürzung mit häufig dezidierten völkischen Zügen, auch wenn er programmatisch im Namen der Demokratie auftritt, wie es auch Steinbeis unterstreicht (11 ff.). Die Kritik des völkisch-nationalistischen Charakters dieses Demokratiekonzepts und der instrumentellen Nutzung der liberalen Demokratie durch Populisten wie in der Untersuchung von Steinbeis ist notwendig, greift aber zu kurz, wenn in der Auseinandersetzung mit dem Populismus allein auf die Verteidigung des status quo gesetzt wird (Blokker 2019). Denn damit wird die Frage möglicher Probleme und Schwächen der bestehenden Praxis der Demokratie ausgeblendet, von Repräsentationsdefiziten bis hin zur Überlagerung des demokratischen Prozesses durch nichtmajoritäre Institutionen (NIMs) auf nationaler und europäischer Ebene (Schäfer & Zürn 2021: 22, 60, 127 ff., 168, 185, 196 ff.; Scheppele 2019; Blokker 2019).
Steinbeis hat in einer kritischen Besprechung der Veröffentlichung „Unter Beobachtung“ von Manow angemerkt, Manow habe mit seinem „Liberal-Illiberal-Aktions-Reaktions-Schema“ die Institutionen des liberalen Rechtsstaats, die für die Resilienz der Demokratie gegenüber der autoritär-populistischen Strategie entscheidend sind, zu einer Ursache und damit zu einem Teil des autoritär-populistischen Problems“ gemacht, was zur Erklärung des Populismus „ziemlich wenig bei – und zu dessen Lösung überhaupt nichts“ beitrage (Steinbeis 2024). Die Erklärung der Entwicklung des Rechtspopulismus in der aktuellen Entwicklung in Europa vor allem mit dem Prozess der Verrechtlichung der Demokratie bei Manow stellt sich in der Tat als verkürzt dar, da damit relevante weitere Ursachen (insbesondere die völkisch–nationale Ausrichtung und der Antipluralismus) vernachlässigt werden. Dies ändert aber nichts daran, dass es auch einer kritischen Auseinandersetzung mit der Verrechtlichung der Demokratie und der möglichen Bedeutung dieser Entwicklung für den Aufstieg des Populismus bedarf, die in der Untersuchung von Steinbeis fehlt. Ohne eine Auseinandersetzung mit Spannungen und Schwächen der bestehenden Demokratie in ihrer aktuellen Verfassung dürfte eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit dem Populismus kaum möglich sein.
Die Untersuchung von Steinbeis setzt auf ein Set von „bewährten“ Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaat, speziell auch auf das Bundesverfassungsgericht in seiner Rolle als „Hüter“ der Verfassung.[5] Der darauf gestützten Verteidigung des status quo liegt ein normatives Verständnis der Legitimität zugrunde, bei der die soziologische Dimension der Legitimität der Institutionen nicht hinreichend ins Blickfeld rückt. Die Frage, ob und inwieweit die bestehende Ordnung als anerkennenswert betrachtet wird, und Unterstützung genießt, ist für die Erfolgschancen eines zivilen Schutzes der Verfassung von entscheidender Bedeutung. Die Frage der normativen Legitimität muss deshalb stärker mit der soziologischen Dimension verbunden werden, wie es Paul Blokker anmahnt (Blokker 2019). Erforderlich ist in diesem Zusammenhang auch die Auseinandersetzung mit den Beschränkungen des offenen politischen Prozess im Zuge der Integration durch Recht auf nationaler und vor allem auch europäischer Ebene, verbunden mit der Frage, inwieweit es insoweit einer demokratischen, partizipativen Reformperspektive bedarf. In diesem Sinne betonen Armin Schäfer und Michael Zürn in ihrer Analyse des autoritären Populismus, dass ein Schutz der bestehenden Institutionen nicht ausreicht, da auch die Schwächen der bestehenden Praxis berücksichtigt werden müssen, und die Demokratie letztlich nur mit mehr Demokratie verteidigt werden kann (Schäfer & Zürn 2021: 22, 60, 127 ff., 168, 185, 196 ff.; Scheppele 2019; Blokker 2019). Zwar weist auch Steinbeis am Ende seiner Untersuchung darauf hin, dass erhebliche Zweifel bestehen, dass über das Recht und seine Institutionen ein ausreichender Schutz vor dem Autoritären erreicht werden kann (S. 233 f.)[6], für die Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus und seiner Strategie der Delegitimierung der Institutionen bedarf es aber einer weiterreichenden Analyse der bestehenden Praxis einschließlich einer Reformperspektive.
Erforderlich ist eine kritische Analyse der Entwicklung der Verrechtlichung und ihrer Folgen für die Demokratie in Ergänzung der von Steinbeis geforderten Strategie des Schutzes der Institutionen, speziell des Bundesverfassungsgerichts, um der Herausforderung durch den autoritären Populismus wirkungsvoll entgegenzutreten. Zu berücksichtigen ist dabei allerdings auch, dass das Bundesverfassungsgericht angesichts der zunehmenden Fragmentierung des Parteiensystems die gesellschaftliche Befriedungsfunktion, die seine Erfolgsgeschichte begründete, in Zukunft nicht mehr in dem Umfang wird erfüllen können, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Steinbeis verweist zutreffend darauf, dass die Institutionen des liberalen Rechtsstaats, insbesondere auch das Bundesverfassungsgerichts, in Deutschland bislang ein hohes Ansehen in der Bevölkerung genießen (40), allerdings hat das Vertrauen in das Bundesverfassungsgericht in den letzten Jahren abgenommen, auch wenn im Gegensatz zu der Entwicklung in den USA die Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit weiterhin ein hohes Maß an Vertrauen in der Gesellschaft genießt.[7] Die verstärkte gesellschaftliche Pluralisierung und Polarisierung wird in Zukunft zu einer weiteren Auflösung der relativ stabilen gesellschaftlichen Grundlagen führen, die eine wesentliche Grundlage für das Vertrauen in die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und seine Erfolgsgeschichte war.[8] Auch dieser Aspekt unterstreicht, dass bei der Auseinandersetzung mit den Institutionen der Verfassungsordnung die Frage der normativen Legitimität der Ergänzung durch die soziologische Dimension bedarf.
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