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Die Potsdamer Garnisonkirche

Wiederaufbau zwischen militärischer Traditionspflege, protestantischer Erinnerungskultur und Rechtsextremismus
  • Philipp Oswalt EMAIL logo
Published/Copyright: July 1, 2022

Abstract

Das Projekt, die Garnisonkirche in Potsdam wiederaufzubauen, geht auf die Initiative des Bun-deswehroffiziers Max Klaar und der Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel zu¬rück, die der Stadt Potsdam 1991 einen Nachbau des Glockenspiels der Kirche schenkte und dann erfolgreich für die Wiederaufbauidee warb. Nach anfänglicher Ablehnung wandte sich die evangelische Kirche dem Projekt im Jahr 2000 zu. Innerkirchlichem Protest zum Trotz entschied man sich bald mit Rücksicht auf mögliche Spender für eine äußerlich weitgehend originalgetreue und bruchlose Rekonstruktion. 2017 erfolgte die Grundsteinlegung für den Nachbau des Kirchturms. Das Projekt wird inzwischen überwiegend aus Bundesmitteln finanziert und spaltet bis heute die Potsdamer Stadtgesellschaft.

Abstract

The project of rebuilding Potsdam’s Garrison Church goes back to an initiative by German officer Max Klaar and the Traditionsgemeinschaft (Tradition Association) Potsdamer Glockenspiel, who presented the city of Potsdam with a reconstruction of the glockenspiel of the church in 1991 and subsequently advocated successfully for the rebuilding idea. After initial rejection, the Protestant Church has supported the project since 2000. Despite protest within the church, it was decided to go for an externally faithful and seamless reconstruction in view of the potential donors. In 2017 the foundation stone was laid for the replica of the church steeple. The project is now mostly paid for from federal funds and splits the society of the city of Potsdam to date.

Vorspann

Die Potsdamer Hof- und Garnisonkirche wurde am 14. April 1945 bei einem verheerenden Luftangriff schwer getroffen, die Ruine im Sommer 1968 endgültig abgetragen. Die Garnisonkirche gilt als ein Hauptwerk des norddeutschen Barock, aber vor allem als Symbol für die gebrochene preußisch-deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Die bis heute anhaltende Diskussion um den Wiederaufbau des Gotteshauses reicht bis 1984 zurück, wobei die Befürworter des Projekts scheinbar hehre preußische Traditionen hochhielten, während Kritiker auf die Erbsünde des „Tags von Potsdam“ verwiesen, als am 21. März 1933 die Allianz zwischen Militär, Kirche und NS-Staat öffentlichkeitswirksam in Szene gesetzt wurde. Philipp Oswalt zeichnet die Ursprünge des Projekts Garnisonkirche auf der Basis detaillierter Quellenstudien nach, deckt problematische Pfadabhängigkeiten auf und verfolgt den Fortgang des umstrittenen Vorhabens bis an die Schwelle zur Gegenwart.

I. Ein nationales Symbol

Seit 2017 wird der Turm der Garnisonkirche in Potsdam wieder aufgebaut – unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten und überwiegend mit Mitteln der öffentlichen Hand, mit denen unter anderem „national bedeutsame Kulturinvestitionen“ finanziert werden.[1] Auf den ersten Blick scheint es nur ein weiteres der vielen Bauvorhaben zu sein, die im Rahmen der Rekonstruktionswelle seit den 1980er Jahren in Deutschland realisiert werden. Doch so umstritten manche Projekte auch waren – die Potsdamer Garnisonkirche birgt eine deutlich größere geschichtspolitische Brisanz, und dies aus zwei miteinander verknüpften Gründen: Zunächst geht es um die Symbolfunktion des Baus, der von Anfang an für die enge Verbindung von monarchischem Staat, Kirche und Militär stand. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts avancierte die Kirche zum bedeutendsten Symbol des preußisch-deutschen Nationalprotestantismus, der mit bellizistischem, demokratiefeindlichem und völkischem Gedankengut verbunden war.[2] Mit der Rede, die Erich Ludendorff hier im November 1919 hielt, wurde die Kirche zum Identifikationsort für die antidemokratischen und rechtsextremen Kräfte der Weimarer Republik.[3] Besonders geschichtsträchtig war jedoch der „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933 als symbolische Inthronisierung Adolf Hitlers durch Kirche, Militär und Adel, die in den folgenden Jahren vom NS-Regime propagandistisch überhöht und populär verklärt wurde: durch Festakte, Souvenirs, dem Glockenspiel als Pausenmelodie im Reichsrundfunk und durch eigens geprägte Gedenkmünzen. Doch neben dieser Belastungsgeschichte weist das Wiederaufbauprojekt eine weitere problematische Dimension auf: Initiiert und über dreißig Jahre vorangetrieben hat es ein Bundeswehroffizier, dessen rechtsextreme Orientierung bald nicht mehr zu übersehen war.

Dieser Aufsatz geht der Frage nach, wie es dazu kam, dass dieses Bauvorhaben von Bundeswehrkreisen mit zweifelhafter Gesinnung ausging, und warum es heute die evangelische Kirche in etwas modifizierter Form umsetzt. Gibt es in dieser Entwicklung Kontinuitäten? Wie stark haben die Initiatoren das heutige Projekt mit beeinflusst? Wie ist zu verstehen, dass der Träger einerseits historische Ambivalenzen einräumt und diese in jüngster Zeit auch zunehmend kritisch reflektiert – die Garnisonkirche aber andererseits als „nationales Tafelsilber“ bezeichnet und als positiven Identifikationsort preußisch-deutscher Geschichte versteht?[4] Wer Antworten sucht, muss weit zurückgreifen und das Wiederaufbauprojekt bis zu seinen Anfängen vor vier Jahrzehnten verfolgen, wobei sich in diesem Zeitraum Akteurskonstellationen und Intentionen ebenso änderten wie gesellschaftliche und erinnerungspolitische Rahmenbedingungen. Für diese analytische Rekonstruktion, die zuweilen einer akribischen Spurensuche gleicht, steht umfangreiches Quellenmaterial zur Verfügung, das freilich über zahlreiche staatliche und nichtstaatliche sowie kommunale Archive und Bibliotheken verstreut ist.

Der vorliegende Aufsatz ist Ergebnis einer mehr als fünfjährigen Beschäftigung mit der Thematik,[5] wobei der Forschungsprozess bald auch zu einer kritischen öffentlichen Positionierung führte. Diese mündete 2019 in die Initiierung eines offenen Briefs zur Stilllegung des nachgebauten Glockenspiels auf der Potsdamer Plantage[6] und – gemeinsam mit der Martin-Niemöller-Stiftung – in die Gründung des Lernorts Garnisonkirche, der mehrere Veranstaltungen, eine Ausstellung und eine Website realisiert hat.

II. 1984 bis 1987: Das Iserlohner Glockenspiel – militärische Traditionsbildung und neurechte Werte

Das Projekt Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam begann 1984 im nordrhein-westfälischen Iserlohn.[7] Der Kommandeur des dort stationierten Fallschirmjägerbataillons 271 der Bundeswehr, Oberstleutnant Max Klaar, initiierte im Juli zunächst eine Spendensammlung, um den Teilnachbau des Glockenspiels der Garnisonkirche mit neun Glocken zu finanzieren. Klaar wollte seinen Soldaten mit dem Glockenspiel und dem Lied „Übʼ immer Treu und Redlichkeit“ den christlichen Glauben nahebringen.[8] Der 1941 geborene Oberstleutnant war im soldatischen Geist der Wehrmachtstradition erzogen worden. Sein Vater, der sich schon 1923 der NSDAP angeschlossen hatte, war 1942 als Bataillonskommandeur im Infanterieregiment 67 im Krieg gegen die Sowjetunion gefallen.[9] Klaars Mutter hatte in den Nachkriegsjahren die Frauengruppe des Verbands deutscher Soldaten (VdS) in Berlin-Spandau geleitet. Er selbst war als Jugendlicher Mitglied in dessen Jugendorganisation Kornett[10] sowie in der protestantischen Christlichen Pfadfinderschaft Deutschlands.[11] Neben seinem fortdauernden Engagement im VdS wurde Klaar später auch mit Vorträgen und Aufsätzen im nationalprotestantischen und evangelikalen Kontext aktiv.[12] Seine kirchlich-religiöse Basis war die 1966 gegründete Evangelische Notgemeinschaft in Deutschland e.V.

Die preußische Militärtradition wurde aber auch anderswo hochgehalten. Das Wachbataillon beim Bundesministerium der Verteidigung hatte in Zusammenarbeit mit dem Semper-Talis-Bund bereits 1961 die Tradition des Potsdamer 1. Garderegiments zu Fuß und der daraus hervorgegangenen Truppenteile übernommen.[13] Dieser Bund, ein Traditionsverband ehemaliger und aktiver Soldaten sowie von Freunden des preußischen Eliteregiments und seiner Nachfolgeverbände, engagierte sich seit seiner Wiedergründung 1953 in enger Kooperation mit dem Haus Hohenzollern für die Pflege des preußischen Militärerbes. Dabei legte er großen Wert darauf, auch das Infanterieregiment 9 der Reichswehr beziehungsweise der Wehrmacht einzubinden, dem ein Großteil seiner Mitglieder angehört hatte. So erinnerte die Kameradschaft Köln des Semper-Talis-Bunds 1977 an die drei Zugführer und einen Grenadier des Regiments, die am 2. September 1939 im Krieg gegen Polen gefallen waren, indem sie vier Stahlhelme mit deren Namen vier Ausstellungsorten stiftete.[14] Einer der Gefallenen war Heinrich Viktor von Weizsäcker, Bruder des späteren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Ebenfalls Ende der 1970er Jahre initiierte die Kölner Kameradschaft den Nachbau des Potsdamer Glockenspiels mittels eines Tonbands und drei Uhrwerken, der zum 35. Jahrestag der Kriegszerstörung der Kirche am 14. April 1980 feierlich dem Wachbataillon der Bundeswehr übergeben wurde.[15] In Potsdam, hieß es in einer Rede zu diesem Anlass, lernten die „Söhne des Volkes [...] jenes echte, strenge Soldatentum, das uns als Volk groß machte“.[16] Schon damals hoffte man, dass „das Glockenspiel in unserer alten Garnisonstadt Potsdam wieder einmal erklingen wird“.[17]

Diese Aktivitäten des Semper-Talis-Bunds, über die die Presse wiederholt berichtete,[18] ermutigten Klaar offenbar zu seinem eigenen Projekt. Im Juli 1984 wandte er sich an den Spiritus Rector des Nachbaus, Karlheinz Richarz, mit der Bitte um Rat. Wenige Wochen später trafen sich die beiden in Iserlohn.[19] Seitdem konnte Klaar auf die Unterstützung des Semper-Talis-Bunds rechnen. Die Initiative des Oberstleutnants muss vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen in der Bundeswehr um soldatische Traditionen und einer Neuausrichtung der Militärgeschichtsschreibung in der Bundesrepublik seit Ende der 1970er Jahre gesehen werden.[20] Diese kritische Reinterpretation führte im September 1982 – unmittelbar vor dem Ende der sozialliberalen Koalition – zum Traditionserlass von Bundesverteidigungsminister Hans Apel (SPD). Darin hieß es erstmals offiziell: „In den Nationalsozialismus waren Streitkräfte teils schuldhaft verstrickt, teils wurden sie schuldlos missbraucht. Ein Unrechtsregime wie das Dritte Reich kann Tradition nicht begründen.“[21] Doch trotz solcher Reformbemühungen war die Bundeswehr stark vom Rekurs auf die Wehrmacht geprägt, und mit dem Amtsantritt von Helmut Kohl als Kanzler einer christlich-liberalen Koalition am 1. Oktober 1982 sahen sich die Traditionalisten wieder im Aufwind. Positive Bezüge auf die Wehrmacht stellten unter dem christdemokratischen Verteidigungsminister Manfred Wörner kein Tabu mehr dar.[22] Besonders stark waren diese bei den Fallschirmjägern. Hier zirkulierten etwa die „Zehn Gebote der deutschen Fallschirmjäger“, Landser-Hefte, Poster mit Wehrmachts-Fallschirmspringern und Schallplatten mit Wehrmachtsliedern. Auch begingen sie regelmäßig den Jahrestag der Luftlandung auf Kreta am 20. Mai 1941.[23]

Im Ringen um das Traditionsverständnis der Bundeswehr spielte der VdS mit rund 90.000 Mitgliedern eine wichtige Rolle,[24] den ehemalige Berufssoldaten von Reichswehr und Wehrmacht und ihre Hinterbliebenen 1951 zur Vertretung ihrer Interessen gegründet hatten. Der VdS, dem als Dachorganisation neben zahlreichen Veteranenverbänden der Wehrmacht wie dem Verband Deutsches Afrika-Korps auch die Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS oder die Truppenkameradschaft 3. SS-Panzerdivision „Totenkopf“ e. V. angehörten, setzte sich für Versorgungsansprüche und berufliche Wiedereingliederung sowie für die Amnestie verurteilter Kriegsverbrecher ein – und generell für die gesellschaftliche Rehabilitierung der Wehrmacht und der Waffen-SS.[25] Mit Unterstützung der von Konrad Adenauer geführten Bundesregierung gegründet und jahrzehntelang finanziell gefördert, wurzelte der Verband tief in der Bundeswehr und stand einer kritischen Auseinandersetzung mit der Geschichte der Wehrmacht ablehnend gegenüber.[26]

Max Klaar lancierte sein Vorhaben, das Potsdamer Glockenspiel teilweise nachzubauen, über die VdS-Zeitschrift Soldat im Volk und verknüpfte dabei die Idealisierung preußischer Traditionen mit der Erinnerung an die Wehrmacht. Die Traditionsbildung, die er propagierte, zielte also nicht allein auf ein älteres, gesellschaftlich weniger umstrittenes Erbe, sondern nutzte ebendieses, um das Erbe der Wehrmacht in positiver Weise damit zu verbinden. Beides sah er als Verkörperung der „Tradition preußisch-deutschen Soldatentums“, die „für Demut, Verantwortung vor Gott, uneigennützigen Dienst, gewissenhafte Pflichterfüllung, Standhaftigkeit und Opferbereitschaft steht“. Mit dem Nachbau des Glockenspiels wollte er sie lebendig halten.[27] Binnen vier Monaten sammelte er über 29.000 DM und damit mehr als für den geplanten Teilnachbau erforderlich; es spendeten größtenteils ehemalige Wehrmachtsangehörige.[28] In die nachgebauten Glocken eingegossene Widmungen würdigten ihre ehemaligen Truppenteile. Dazu zählten die Fallschirm-Panzerjäger Abteilung 1,[29] die 257. Infanteriedivision, das Infanterieregiment 67 (Spandau) und das Infanterieregiment 9 (Potsdam). Eine weitere Glocke spendete der VdS, eine andere Prinz Louis Ferdinand von Preußen. Prominentester Spender war Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der im Zweiten Weltkrieg dem Infanterieregiment 9 angehört hatte. Seine Unterstützung bedeutete einen großen Prestigegewinn für das Vorhaben, das so etwas wie staatsmännische Seriosität gewann. Die Zeitschrift Soldat im Volk resümierte:

„Mit der Spendenbereitschaft der Demokraten unserer Republik wurde auch deutlich, daß in diesem Lande ein starker Nachholbedarf auf die positiven Seiten unserer Geschichte besteht [...]. In Iserlohn wurde bewiesen, daß die Tradition der Bundeswehr nicht mit der Gründung unserer jungen Streitkräfte beginnen und daß die Traditionspflege nicht über die Nazizeit ins Stolpern geraten darf.“[30]

Am 30. November 1984 wurde das Glockenspiel in der Iserlohner Winkelmannkaserne eingeweiht. Auch wenn manche das Projekt kritisierten[31] oder verspotteten,[32] ermutigte der schnelle Erfolg. Wenige Wochen später gründete Klaar mit einigen Mitstreitern die Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel e. V. (TPG) mit der Absicht, nun das gesamte Glockenspiel nachzubauen, um damit an die „ungelöste Deutsche Frage“ zu erinnern und erzieherisch auf Soldaten und Zivilgesellschaft zu wirken.[33] Fernziel war, im Falle einer Wiedervereinigung Deutschlands das Glockenspiel der Stadt Potsdam zu stiften und geistig wie finanziell zum Wiederaufbau der Garnisonkirche beizutragen.[34]

Neben die soldatische Traditionspflege traten von nun an auch allgemeine gesellschaftspolitische Anliegen. In einem Brief an Ernst Jünger schrieb Klaar: „Das preußische Gotteshaus muß am Anfang eines neu beginnenden Deutschlands stehen.“[35] Entsprechend sprach er in seiner Rede beim Festakt im November 1984 auch von einer Idee Preußens, die nicht nur die Einheit Deutschlands und eine europäische Bürgergesinnung verkörpere, sondern auch Toleranz, Rechtsstaatlichkeit und sozialen Ausgleich umfasse.[36] In einer weiteren Rede pries der Historiker Kurt Kluxen, Vorstandsmitglied des Vereins Preußeninstitut, das Preußische als politisch-gesellschaftliches Ideal an.[37] Das Preußeninstitut[38] war 1976 aus dem Zollernkreis hervorgegangen; auch hier waren Mitglieder des Semper-Talis-Bunds beteiligt. Mit diesem Institut sollte die TPG in den kommenden Jahren eng kooperieren. Zeitweise war die TPG beispielsweise Mitherausgeberin der Institutszeitung Preußische Mitteilungen,[39] die regelmäßig und umfangreich über die Aktivitäten der TPG berichtete.

Offensiv sprach der Vorsitzende des Preußeninstituts, Wolfgang Stribrny, bei seiner Festrede zur Einweihung der zweiten Ausbaustufe des Glockenspiels am 14. April 1986 in Iserlohn vor über tausend Gästen die Frage der Ostgrenze Deutschlands an und erklärte, die erstrebte Einheit Deutschlands solle auch auf die Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Grenze zielen.[40] Dabei zog er Möglichkeiten in Betracht, die polnische Westgrenze zu verschieben, schloss allerdings kriegerische Mittel aus: „Für mich ist nicht die Anerkennung von Grenzen, sondern die Überwindung von Grenzen entscheidend.“[41] Passend zu der Rede waren sieben Glocken der zweiten Ausbaustufe den ehemaligen deutschen Ostgebieten gewidmet. Eine Glocke trug die Inschrift „Kein Unglück Ewigk – Schlesische Truppen“. Das Glockenspiel gab nun jeden Tag als letzte Melodie um 22:00 Uhr das Deutschlandlied zum Besten.[42] Die Fertigstellung des gesamten Glockenspiels wurde feierlich am 17. Juni 1987, dem Tag der Deutschen Einheit, begangen.

Max Klaar, die TPG und das Preußeninstitut positionierten sich mit ihrem Geschichts- und Traditionsverständnis bald zunehmend deutlicher. Schon zum vierzigsten Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1985 hatte Klaar die Verbrechen des Dritten Reichs durch gewagte Vergleiche relativiert und die deutsche Alleinschuld am Zweiten Weltkrieg in Frage gestellt. Er verwies auf den Vertrag von Versailles und behauptete, erst die Kriegserklärung Frankreichs und Großbritanniens im September 1939 hätten aus dem Krieg einen Weltkrieg gemacht, zu dem Hitler letztlich gezwungen worden sei.[43]

Bei der Einweihung der dritten Ausbaustufe des Glockenspiels hielt der ehemalige Oberkirchenrat Johannes Juhnke eine Ansprache vor knapp 2.000 Gästen und kritisierte darin das Stuttgarter Schuldbekenntnis der evangelischen Kirche von 1945: „Kirchenvertreter der bisherigen Feindstaaten (mit Ausnahme der Schweiz) nötigten dem Rat der EKD für das gesamte deutsche Volk, das damals ohne Regierung war, am 18./19. Oktober 1945 eine Schulderklärung ab, die theologisch nicht haltbar war und seelsorgerisch sich als ein Fehlschlag erwies.“[44] Bei derselben Feier zitierte Gerhard Wessel, zwischen 1968 und 1978 Präsident des Bundesnachrichtendiensts und ehemaliger Oberstleutnant der Wehrmacht, zustimmend Paul von Hindenburg:

„‚Größten Lohn und höchstes Glück findet der Soldat im Bewußtsein freudig erfüllter Pflicht.‘ [...] Aus diesen Worten sprechen große ethische Werte. Sie gelten auch heute und morgen. Und ich bin davon überzeugt, daß es diese Werte und diese Haltung waren, die uns bewogen, für das Potsdamer Glockenspiel [...] zu spenden. Nach mehr als vier Jahrzehnten erlebt eine schon für immer zerstört und vernichtet geglaubte Tradition ihre Auferstehung.“[45]

Eingeladene Spender wies man im Vorfeld darauf hin, dass bei der Feier nur Orden des Dritten Reichs getragen werden durften, die keine Hakenkreuze enthielten.[46] Zu den vielen anwesenden alten Kameraden gehörte Generalleutnant Werner Ranck, seines Zeichens Vorsitzender des Traditionsverbands der 121. Infanteriedivision, der sich gemeinsam mit seiner Frau bei dem Festakt „wie in alten Zeiten“ fühlte und die Hoffnung äußerte, dass „diese ‚alten Zeiten‘ in der Form einer nicht allzu fernen Wiedervereinigung unseres gedemütigten Vaterlands wiederkehren“ mögen.[47] Auch dieses Mal entsprachen die Festreden den Widmungen der Glocken. Eine war der 121. Infanteriedivision der Wehrmacht zugeeignet, die im Belagerungsring um Leningrad gekämpft hatte. Eine weitere Glocke huldigte dem Bomberpiloten Joachim Helbig, der Hunderte von Luftangriffen geflogen und Hitler noch nach seinem Selbstmord die Treue gehalten hatte. Mit dem Kyffhäuserbund ehrte eine weitere Glocke den antidemokratischen Soldatenverein, der in der Weimarer Zeit zahlreiche Gedenkfeiern in der Garnisonkirche abgehalten hatte.

Die von der TPG und dem Preußeninstituts betriebene Traditionspflege bezog nicht nur die Wehrmacht ein, sondern auch das Haus Hohenzollern, die Kolonialkriege des Deutschen Reichs und Organisationen wie den Stahlhelm. In den Preußischen Mitteilungen kam wiederholt seine „Kaiserliche und Königliche Hoheit“ Prinz Louis Ferdinand von Preußen zu Wort, der Vorsitzende des Preußeninstituts pries die Vorzüge der Monarchie, Jahrestreffen des Vereins Preußeninstitut fanden auf der Burg Hohenzollern statt. Nostalgische Reiseberichte und Artikel zu Gefallenendenkmälern ehrten die ehemalige Schutztruppe in Deutsch-Südwestafrika, die für den Völkermord an den Herero und Nama verantwortlich war.[48] Mit dieser Form des Geschichtsrevisionismus verfolgte man eine Doppelstrategie: Einerseits galt es, die Verbrechen des NS-Regimes zu relativieren, andererseits das Haus Hohenzollern[49] und den Stahlhelm zu Trägern der Opposition, ja des Widerstands gegen das NS-Regime zu stilisieren. Dieser Logik folgte auch die Bezugnahme auf die Wehrmacht: Das Attentat vom 20. Juli 1944 würdigte man als Ausdruck preußischer Tugenden, zugleich sah man die Wehrmacht als Ganzes in der preußischen Tradition, deren Werte sie gelebt und praktiziert habe.

Die Bundeswehr nahm Klaars Aktivitäten ausgesprochen zwiespältig auf. Einerseits fand seine Initiative Resonanz bis in die oberste Führung, andererseits übten Vorgesetzte wie Untergebene scharfe Kritik. Während sich manche der Klaar anvertrauten Soldaten mit dem Projekt nicht identifizierten und ihm öffentlich eine Verletzung der Fürsorgepflicht vorwarfen, stießen sich seine Vorgesetzten an den politischen Äußerungen des Fallschirmjägeroffiziers, der zudem Dienstregeln missachtet habe. Er erhielt eine dienstliche Rüge, und sein Vorgesetzter leitete eine interne Ermittlung gegen ihn ein.[50] Es bedurfte einer persönlichen Intervention von Bundespräsident Richard von Weizsäcker, um das Projekt Glockenspiel in Iserlohn dennoch zu ermöglichen.[51] Gleichwohl wurde Klaar von seinem Kommando abgezogen, gegen seinen Willen ins Verteidigungsministerium beordert und bereits 1992 mit 51 Jahren in den Ruhestand versetzt.

Mit dem Iserlohner Glockenspiel setzten die Traditionalisten in der Bundeswehr ein Zeichen und realisierten ein symbolisch aufgeladenes Projekt, das eine positive Traditionslinie von der preußischen Armee über die Wehrmacht zur Bundeswehr zog. Zugleich wollten die Akteure über die Streitkräfte hinaus in die Gesellschaft hineinwirken. Die Rahmenbedingungen dafür waren nicht ungünstig, zumal sich seit den 1970er Jahren ein neues Interesse an Geschichte verzeichnen ließ, das mit nostalgischen Sehnsüchten und der Suche nach Identität einherging.[52] In diesem Zusammenhang wurde auch die Geschichte Preußens wieder interessant, die man nach einer Phase schroffer Ablehnung nun differenzierter und deutlich positiver bewertete.[53] Beispielsweise forderte der Historiker Michael Stürmer – zeitweise ein geschätzter Gesprächspartner von Bundeskanzler Kohl – eine Bezugnahme auf die eigene Geschichte, die „Wegweiser zu Identität, Ankerplätze in den Katarakten des Fortschritts“ verspreche.[54]

An solche Überlegungen konnten Max Klaar und seine Unterstützer anknüpfen, doch gingen sie darüber hinaus. Durch den Rückgriff auf Werte aus Zeiten der Monarchie, die auch das NS-Regime hochgehalten hatte, wollten sie Orientierung in der angeblich von „ethischer Orientierungslosigkeit“ geprägten Gegenwart vermitteln.[55] Dabei nahmen sie eine für Neue Rechte charakteristische Scharnier- beziehungsweise Brückenfunktion zwischen Nationalkonservativismus und Rechtsextremismus ein.[56] Dies zeigte sich auch darin, dass etliche Personen und Institutionen, die zwischen Konservatismus und Neuer beziehungsweise extremer Rechter changierten, bei der Entwicklung des Projekts eine Rolle spielten, ob als Ideengeber, Unterstützer oder Befürworter. Dazu gehörten etwa Hellmut Diwald, Karl Feldmeyer, Alexander Gauland, Albrecht Jebens und Menno Aden, das Studienzentrum Weikersheim, die Staats- und Wirtschaftspolitische Gesellschaft und die Zeitschrift Junge Freiheit.

III. 1991: Das Glockenspiel kommt nach Potsdam – Impuls für den Wiederaufbau eines preußischen Identifikationsorts

Mit dem Mauerfall ergab sich für die TPG überraschend schnell die Möglichkeit, ihr Vereinsziel zu erreichen: das Glockenspiel in Potsdam aufzustellen, für den Wiederaufbau der Garnisonkirche zu werben und Spenden zu sammeln. Im März 1990 war Max Klaar zum Landesparteitag der CDU Brandenburg eingeladen, um dort eine Rede zum möglichen Wiederaufbau der Garnisonkirche zu halten. Erstmals kam er hier auch auf den „Tag von Potsdam“ zu sprechen, den er als einen Missbrauch der Kirche bezeichnete, die in seinem Verständnis uneingeschränkt für positive Traditionen stand.[57]

In Potsdam selbst waren die Erinnerungen an das Bauwerk und den Konflikt um die gut zwanzig Jahre zuvor erfolgte Beseitigung der Kriegsruine noch wach.[58] Der Rat der Stadt Potsdam hatte im April 1968 trotz zahlreicher Proteste aus dem In- und Ausland den Abriss beschlossen, der einen Monat später vollzogen wurde. Nachdem die Militärgemeinde nicht mehr bestand, hatte sich die Zivilgemeinde der Garnisonkirche 1949 in Heilig-Kreuz-Gemeinde umbenannt, um mit dem neuen Namen einen symbolischen Bruch mit der Tradition auszudrücken. Zugleich engagierte sie sich für die Sicherung der Ruine und ihren Wiederaufbau und richtete im Sockel des Kirchturms für ihre Gottesdienste eine Kapelle ein. Während die Landeskirche zunächst andere Prioritäten setzte, war es vor allem die Heilig-Kreuz-Gemeinde, die seit 1966 vergeblich gegen Abrisspläne protestierte und 1972 mit dem Heilig-Kreuz-Haus entschädigt wurde. Dort erfolgte in den kommenden zwei Jahrzehnten eine engagierte Kirchenarbeit zu Themen wie Frieden, Ökumene, Dialog zwischen den Religionen, Dritte Welt und Rüstung.[59] Von hier ausgehende Demonstrationen und kritische Diskussionen mündeten in die friedliche Revolution von 1989/90, wobei auch der Verlust alter Bausubstanz durch Vernachlässigung und Abriss eine wichtige Rolle spielte.[60] Eine Sensibilisierung für das Thema erfolgte also schon früh. Allerdings wies der Pfarrer der Heilig-Kreuz-Gemeinde, Uwe Dittmer, Ende 1990 in einem Rundschreiben an politisch Verantwortliche in Stadt und Land auch warnend auf Klaars Geschichtsverständnis hin. Er zitierte in diesem Zusammenhang eine Äußerung des Offiziers, der 1989 vom „Recht unseres Volkes auf ein einheitliches Deutschland in den Grenzen von 1937“ gesprochen hatte.[61]

Auch an Richard von Weizsäcker wandte sich Pfarrer Dittmer, da der Bundespräsident der TPG 1990 nochmals eine Spende hatte zukommen lassen. Das Bundespräsidialamt antwortete lediglich, dass von Weizsäcker aufgrund „privater Erinnerungen und Anhänglichkeiten“ gespendet habe, dies aber nicht bedeute, dass er mit allen Äußerungen der Traditionsgemeinschaft einverstanden sei.[62] Als der Bundespräsident zum Jahresende 1989 Originalaufnahmen des Glockenspiels vom „Tag von Potsdam“ sowie von 1941/42 zugesandt bekam, dankte er mit den Worten, dass er die Aufnahmen aus der Kriegszeit „mit Bewegung angehört“ habe.[63]

Unmittelbar nach dem Fall der Mauer warb Klaar offensiv für den Wiederaufbau der Garnisonkirche als „vaterländische Tat“.[64] „Unser deutsches Volk muß seine Symbole reinigen und wieder zum Strahlen bringen.“[65] Die Garnisonkirche solle „erneut zum Symbol für den ‚preußischen Traum‘“ werden, der für Klaar mit einem Deutschland in den Grenzen von 1937 verbunden war.[66] Glockenturm und Kirche sollten in der ehemaligen Garnison- und Residenzstadt als nationaler Traditions- und Identifikationsort wiedererstehen. Die gesellschaftspolitischen und religiösen Werte blieben dieselben, aber sie wurden mit dem Ortswechsel in einen neuen Kontext gestellt: Anstelle der Militärtradition rückten Architektur und Stadtbild in den Vordergrund.

Im Sommer 1990 führte Klaar mit den Stadtratsfraktionen von CDU und Neuem Forum sowie mit dem Potsdamer Oberbürgermeister Horst Gramlich (SPD) Gespräche, um den Wiederaufbau der Kirche und die Übergabe des Glockenspiels auf den Weg zu bringen. Im Juni organisierte das Neue Forum eine Gedenkveranstaltung zum Abriss der Garnisonkirche mit Filmvorführung, Theaterstück, Glockenturmmelodie und einer Podiumsdiskussion unter dem Motto: „Für und wider die Garnisonkirche“.[67] Im Oktober verabschiedete die Stadtverordnetenversammlung eine noch unverbindliche Absichtserklärung:

„Mit Freude und Dank nehmen wir die Initiative der ‚Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel e.V.‘ zugunsten der Garnisonkirche zur Kenntnis, die dem Bedürfnis, die alte Schönheit der Stadt Potsdam wiederherzustellen, entspricht. [...] Der mögliche Wiederaufbau der Garnisonkirche wird in einer wirtschaftlich gesicherten Zukunft unserer Stadt seinen Platz finden.“[68]

Nach der Klärung einer Reihe technischer, rechtlicher und planerischer Fragen beschloss die Stadt im Februar auf Antrag des Stadtrats Wieland Eschenburg (SPD) die Übernahme des Glockenspiels und dessen Aufstellung auf der sogenannten Plantage, einer Freifläche unmittelbar neben dem historischen Standort der Garnisonkirche. Als Datum legte man den 14. April 1991 fest, den 46. Jahrestag ihrer Zerstörung. In kürzester Zeit organisierte die Stadt ein ganztägiges Festprogramm, an dem tausende Gäste teilnahmen. Vor der Aufstellung des Glockenspiels wurden einige besonders problematische Inschriften durch Abschleifen und Neuguss entfernt.[69] Bei der feierlichen Übergabe sprachen neben Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) und Oberbürgermeister Gramlich auch Vertreter von Militär (Oberstleutnant Max Klaar), Kirche (Generalsuperintendent Günter Bransch) und des Hauses Hohenzollern (Prinz Louis Ferdinand von Preußen).[70] Am Festakt nahmen seitens der Bundeswehr der Befehlshaber des Bundeswehrkommandos Ost, Generalleutnant Jörg Schönbohm, und sein Stellvertreter General Werner von Scheven sowie der Leiter des deutschen Verbindungskommandos zu den sowjetischen Streitkräften in Deutschland, Generalmajor Hartmut Foertsch, teil.[71]

Die Festreden verknüpften die Garnisonkirche mit einer Vielzahl von ethischen Werten und positiv besetzten gesellschaftlichen Ideen. Genannt wurden Freiheit, Toleranz, Disziplin, Treue, Redlichkeit, Verantwortungsbewusstsein, Gottgläubigkeit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, sozialer Ausgleich, Frieden, Europa und Tradition.[72] Die Stadt Potsdam hatte darauf gedrängt, auf eine militärische Konnotation zu verzichten, denn ihr war die „große politische Dimension“ bewusst.[73] Daher hatten die Organisatoren auch Max Klaars Angebot ausgeschlagen, den Festakt mit einem Fackelaufzug von Soldaten zu begleiten,[74] einen Auftritt der „Langen Kerls“ abgesagt und generell gebeten, auf das Tragen von Uniformen zu verzichten. Auch wenn viele der anwesenden Bundeswehrangehörigen, einschließlich Max Klaar, anders als erbeten Uniform trugen, war die Presseresonanz überwiegend sehr positiv. Und dem Wenigen, das dieses positive Bild hätte trüben können, maß man keine Bedeutung zu – wie etwa den jungen Männern, die zwei große schwarz-weiß-rote Flaggen mit preußischem Adler schwenkten, während das Denkmal des türkischen Künstlers Mehmet Aksoy für den unbekannten Deserteur am Platz der Einheit geschändet wurde.[75]

Klaar selbst dürfte nicht ganz zufrieden gewesen sein, war es ihm doch nicht gelungen, die Bundeswehr für eine tatkräftige Unterstützung bei Aufbau und Einweihung des Glockenspiels zu gewinnen. Befürworter des Projekts wie der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Henning von Ondarza, und sein Nachfolger Generalleutnant Helge Hansen scheiterten an den Vorbehalten von Generalinspekteur Admiral Dieter Wellershoff und von Militärgeneraldekan Reinhard Gramm. Das „schwierige politische Klima für den Aufbau deutscher Streitkräfte“ und die Diskussion um die evangelische Militärseelsorge im Osten sollten nicht unnötig belastet werden. Zudem fürchtete Wellershoff, es fehle dem Unternehmen an Akzeptanz in der Bevölkerung, und er sah die Gefahr, dass die Bundeswehr mit dem „Tag von Potsdam“ in Verbindung gebracht werden könne.[76]

IV. 1991 bis 2000: Politische Meinungsbildung

Auf Basis des Stadtratsbeschlusses von Oktober 1989 begann die Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel unverzüglich, für den Wiederaufbau der Garnisonkirche zu werben und Spenden zu sammeln; bis April 1991 kam nach Auskunft der TPG bereits über eine Million DM zusammen.[77] Die Einweihung des Glockenspiels gab der Initiative weiteren Rückenwind, auch wenn sich in Potsdam zahlreiche kritische Stimmen zu Wort meldeten. Die Kreissynode Potsdam der evangelischen Kirche sprach sich im September 1993 gegen den Wiederaufbau aus, denn die „Geschichte der Garnisonkirche“ sei „als zwiespältig anzusehen“. Zudem zeigten sich bei diesem Vorhaben „oftmals deutsch-nationale Ideen“.[78] Die Politik setzte bei der Stadtentwicklung zunächst ohnehin andere Prioritäten. Umso wichtiger war der TPG das Lobbying, dem zahlreiche Gespräche mit Landesministern, dem Potsdamer Oberbürgermeister und den Stadtratsfraktionen dienten. Das Preußeninstitut hielt zwischen 1991 und 1993 seine Jahrestagungen in Potsdam ab und gewann dafür den Ersten Bürgermeister Potsdams, Erwin Motzkus (CDU), und Generalsuperintendent Bransch als Redner.[79]

Eine erste Weiche auf dem Weg zum Wiederaufbau der Garnisonkirche stellte 1992 die Treuhandanstalt, als sie beim Verkauf des am historischen Standort errichteten Datenverarbeitungszentrums den Käufer verpflichtete, „die zum Wiederaufbau der Garnisonkirche erforderliche Teilfläche von 900 qm [...] unentgeltlich zu Verfügung [zu] stellen“. Veranlasst hatte dies der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestags, Fritz Wittmann (CSU).[80] Mit dem Versprechen, den Wiederaufbau der Garnisonkirche vollständig aus Spenden zu finanzieren, gewann die TPG Zug um Zug die Zustimmung der Politik. Im Sommer 1992 befürwortete Bürgermeister Motzkus das Projekt,[81] im Dezember 1994 schloss sich Oberbürgermeister Gramlich an.[82] Als sich sein Nachfolger Matthias Platzeck (SPD) im Januar 2000 zum Wiederaufbau bekannte,[83] folgten weitere Landes- und Bundespolitiker wie der Innenminister Brandenburgs Jörg Schönbohm (CDU) im Juni 2000,[84] Saskia Hüneke als Vorsitzende von Bündnis 90 – Die Grünen im November desselben Jahrs[85] oder Gregor Gysi von der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) im März 2001.[86]

Während für die TPG programmatische Fragen im Vordergrund standen, spielte für die Potsdamer Unterstützer des Projekts die Wiedergewinnung des historischen Stadtbilds die zentrale Rolle, wobei sich die Positionen in den 1990er Jahren zunehmend ins Konservative und Neotraditionalistische verschoben – ähnlich wie im Berliner Architekturstreit. So legte das Architekturbüro Patzschke & Partner, das auch für den Wiederaufbau des Hotels „Adlon“ verantwortlich zeichnete, im Auftrag der TPG im Jahr 2000 eine erste Planung für die neue Garnisonkirche vor. Der erforderliche Abriss eines Gebäudes aus DDR-Zeiten entsprach nicht nur stadtgestalterischen Vorstellungen, sondern wurde auch als moralische Genugtuung verstanden. Der Wunsch nach einer baulichen Revanche am DDR-Regime verband sich mit einer oberflächlichen Preußennostalgie, welche die Geschichte des Bauwerks verdrängte und beschönigte. So entstand eine Allianz an Befürwortern, die von Revanchisten bis zur Vertretern der gesellschaftlichen Mitte reichte und viel breiter aufgestellt war als seinerzeit in Iserlohn.

Die oppositionelle Fraktion „Die Andere“ führte mittels einer großen Anfrage im November 2000 eine Anhörung im Potsdamer Stadtparlament herbei, bei der die politischen Positionen nochmals deutlich wurden. Oberbürgermeister Platzeck begründete sein Votum für den Wiederaufbau damit, „daß dieses barocke Bauwerk, insbesondere der Turm, wieder in unser Stadtbild gehört“. Zudem sei er der Meinung, dass „prinzipiell Steine nie schuld sein können für das, was in ihnen passiert ist“. Der Stadtverordnete Gregor Schliepe von der Fraktion „Die Andere“ kritisierte dagegen die Geisteshaltung der TPG, welche die deutsche Kriegsschuld am Zweiten Weltkrieg relativiere, nationalistische Positionen vertrete und mit Slogans werbe wie „Wach auf, wach auf, du deutsches Land, du hast genug geschlafen“.[87] Dem entgegnete der Stadtverordnete Eberhard Kapuste (CDU): „Eine Diskussion, die [...] ausschließlich ideologische Argumente ins Feld führt, ist absurd“. Man brauche die Initiatoren der Traditionsgemeinschaft ja nicht zu lieben, aber sei es demokratisch, sie mittels Unterstellungen und Vorverurteilungen zu verteufeln? „Das tun Extremisten und Sektierer. Und Sektierer reißen auch Dinge aus dem Zusammenhang, verdrehen sie. [...] Wir wären töricht, wenn wir nicht die entgegengestreckte Hand ergiffen.“[88] Ähnlich argumentierten die TGP und andere Befürworter des Projekts: Die Garnisonkirche als kirchlicher Ort und Stätte preußischer Tradition sei ein unpolitischer Ort, der erst durch die Kritiker des Wiederaufbaus in unzulässiger Weise politisiert und ideologisiert werde. Zwar warnten auch einige Sozialdemokraten wie Oberbürgermeister Platzeck,[89] Ministerpräsident Stolpe[90] und Arbeitsminister Günter Baaske[91] gelegentlich vor der Gefahr, das Projekt könne von rechten Kreisen missbraucht werden. Doch teilte man grosso modo Max Klaars Auffassung: „Jesus Christus ist Konzept genug“.[92] Oder um mit dem Stadtverordneten Kapuste zu sprechen: „Und was gibt es Besseres gegen Mißbrauch, als wenn es eben christlich-religiös genutzt wird?“[93]

Im Jahr 2000 war die politische Willensbildung abgeschlossen: Die maßgeblichen Politiker unterstützten den Wiederaufbau der Garnisonkirche. Bemerkenswerterweise machte die Politik trotz des schwierigen historischen Erbes keine inhaltlichen Vorgaben und hatte keine grundsätzlichen Vorbehalte gegenüber der TPG. Sie forderte lediglich eine Zustimmung der Kirche, die sich mit der TPG auf eine gemeinsame Linie einigen solle. Dabei baute man allerdings auch auf das Versprechen der TPG, den Bau gänzlich durch private Spenden zu finanzieren. Und potenzielle Spender durch zu viele Vorgaben zu vergraulen, erschien nicht opportun.

Im Zuge der Entscheidungsfindung bildete sich auch das historische Narrativ der Projektbefürworter heraus.[94] Der „Tag von Potsdam“ – von der TPG bis 1990 nie angesprochen – wurde nun als Missbrauch preußischer Tradition und Geschichte dargestellt, als isoliertes Ausnahmeereignis von einer knappen Stunde Dauer in einer jahrhundertelangen ehrenvollen Geschichte, das gegen den Willen der Kirche durchgesetzt worden sei.[95] Dabei verkehrte man die maßgebliche Rolle des Kirchensuperintendenten Otto Dibelius, der die „Machtergreifung“ Hitlers anfangs begrüßt hatte, in ihr Gegenteil.[96] Von der Mitwirkung des Hauses Hohenzollern[97] und der Reichswehr war keine Rede, im Gegenteil. Man behauptete, der preußische Adel und das Offizierkorps hätten der nationalsozialistischen Bewegung äußerst ablehnend gegenüber gestanden, und verschwieg zugleich die Rolle der Garnisonkirche als Versammlungsstätte und Symbolort der antidemokratischen und rechtsextremen Kräfte in der Weimarer Republik; dasselbe galt für ihre Funktion in der politischen Propaganda und Traditionspflege des NS-Regimes. Dagegen war der militärische Widerstand des 20. Juli 1944 allgegenwärtig, der die eigentlichen preußischen Werte repräsentiere, wie sie in der Garnisonkirche zu Stein geworden seien.[98] Dabei wurde die Garnisonkirche zum Ort des Widerstands stilisiert, der sie nie gewesen war.[99]

Im Unterschied zur Argumentation des Preußeninstituts und der TPG in den 1980er Jahren verzichtete man auf explizite Kritik an den alliierten Besatzungsmächten und der von ihnen verfügten Auflösung Preußens, doch blieb die weitgehende Zerstörung durch den Luftangriff vom 14. April 1945 ein zentraler erinnerungspolitischer Referenzpunkt im Kontext des Wiederaufbauprojekts. Der dabei wiederholt vorgebrachte Vorwurf, die Bombardierung Potsdams sei eine militärisch überflüssige, symbolische Strafaktion gewesen,[100] ließ freilich geflissentlich außer Acht, dass das Bombardement vor allem dem Potsdamer Hauptbahnhof und den Kasernen der Wehrmacht gegolten hatte.[101] Ähnlich tendenziös gestaltete sich die Erzählung von der endgültigen Beseitigung der Ruine im April 1968. Die Behauptung, Walter Ulbricht habe die Sprengung angeordnet und die Stadt habe sich dem beugen müssen,[102] lässt sich freilich nicht halten. Die Entscheidung fiel auf kommunalpolitischer Ebene und wurde durch das Verhalten der Kirchenleitung begünstigt, die andere Vorhaben als den Erhalt oder gar Wiederaufbau der Garnisonkirche für wichtiger hielt.[103] Das politische Ziel dieser Suada liegt auf der Hand: Die dunklen Seiten in der Geschichte des historischen Orts sollten relativiert, wenn nicht gar beschönigt werden, um seine Bedeutung als Sitz positiver Traditionen und hoher ethischer Werte umso heller erstrahlen zu lassen. Dass sich in diesem Zusammenhang das Opfernarrativ wiederholte – der Symbolort preußischer Tradition und christlichen Glaubens sei der Ruchlosigkeit der Nationalsozialisten, dem Bombenkrieg der Alliierten und dem DDR-Unrechtsstaat zum Opfer gefallen –, ist kein Zufall. Durch den Wiederaufbau sollten dieses Unrecht wiedergutgemacht und historische Gerechtigkeit hergestellt werden.

V. Rechtsextreme Sub- und Kontexte

Die westdeutschen Protagonisten des Wiederaufbauvorhabens um die TPG griffen geschichtspolitisch erheblich weiter aus.[104] In den gemeinsam vom Preußeninstitut und der TPG herausgegebenen Preußischen Mitteilungen erschien 1993 der Augenzeugenbericht eines ehemaligen Stahlhelmangehörigen zum „Tag von Potsdam“ im März 1933, der das Missbrauchs- und Opfernarrativ aufgriff, aus der nationalen Begeisterung allerdings keinen Hehl machte: „Der Tag von Potsdam war eine ‚faszinierende, nationale Willensäußerung‘ gewesen, Begeisterung wohin man sah, überall wehten die schwarz-weiß-roten Fahnen, viel weniger die mit dem Hakenkreuz. Aber wie wurden wir ent- und getäuscht!“[105] Schon ein Jahr zuvor war in den Preußischen Mitteilungen vom „dreißigjährige[n] Krieg des zwanzigsten Jahrhunderts 1914–1945“ die Rede; dass mit dieser Formulierung die Verantwortung des Deutschen Reichs für beide Weltkriege relativiert werden sollte, ist unschwer zu erkennen. Zur aktuellen politischen Lage hieß es im selben Beitrag: „Sowohl in den mitteldeutschen preußischen Kerngebieten als auch im ostpreußischen Königsberger Gebiet gibt es Bestrebungen, das im Jahr 1947 vom Alliierten Kontrollrat aufgelöste Land Preußen wiederentstehen zu lassen. Solange die Lage in Mitteleuropa noch ‚plastisch‘ ist, gilt es, diese [...] mit aller Kraft zu unterstützen.“ Bei der „anstehenden Revision des Grundgesetzes“ solle die Stellung des Staatsoberhaupts gestärkt werden.[106]

Nachdem Klaar Ende 1992 aus der Bundeswehr ausgeschieden war, wurden seine Äußerungen zunehmend radikaler. Dass er in den frühen 1990er Jahren manche politische Enttäuschung erlebte – dazu dürfte die endgültige Anerkennung der deutsch-polnischen Grenze zu zählen sein – , mag zu dieser Entwicklung beigetragen haben. Diese Radikalisierung fand ihren Widerhall in einschlägigen Postillen: 1998 publizierte die Zeitschrift Deutsche Geschichte, verlegt von der rechtsextremen Verlagsgesellschaft Berg,[107] ein Themenheft zur Garnisonkirche, das die TPG vorstellte und zu Spenden aufrief. Der Verleger selbst berichtete lobend über die TPG,[108] die zu dieser Zeit auch ihre Zusammenarbeit mit dem Verband deutscher Soldaten intensivierte. In der VdS-Zeitschrift Soldat im Volk erschienen neben zahlreichen Texten zum Wiederaufbau der Garnisonkirche und Beiträgen von Max Klaar seit November 1999 jeden Monat großformatige Anzeigen, die um Spenden für den Wiederaufbau warben. Eingeleitet wurde diese Serie mit einem „Aufruf an die Kriegsgeneration“ des ehemaligen Wehrmachtsoffiziers und pensionierten Generalmajors der Bundeswehr Eberhard Wagemann:

„Der größte Teil der bislang aufgebrachten 4,22 Mio. DM wurde von uns ehemaligen Soldaten der Wehrmacht zusammen mit dem Glockenspiel gestiftet. Das ist ein deutliches Bekenntnis unserer Generation zu der Aufforderung des Glockenspiels: Übʼ immer Treu und Redlichkeit bis an das kühle Grab [...] Wir überlebenden deutschen Soldaten des Zweiten Weltkrieges haben damit jetzt die Gelegenheit lebenden und künftigen Generationen zu übermitteln, wie wir unseren Dienst an der Front zum Schutze der Heimat vor Mord, Zerstörung und Unterdrückung verstanden haben. Um zu handeln, brauchen wir kein einheitliches Geschichtsbild, sondern nur das Bekenntnis zu unseren mit uns kämpfenden und gefallenen Kameraden und das Bewußtsein vom Wert und der Leistung der deutschen Soldaten, die hinter keiner anderen Armee zurückstanden.“[109]

Seit Januar 2001 erschien die Anzeigenserie mit einem unterstützenden Text von Innenminister Schönbohm. Von Juli 2001 bis August 2004 warb der CDU-Politiker als Schirmherr für das Projekt. Der ehemalige Inspekteur des Heeres stand mit Klaar in Sachen Garnisonkirche bereits seit 1991 in Kontakt,[110] und nachdem er im Herbst 1999 in die Landesregierung Brandenburgs eingetreten war, spielte er bei der Durchsetzung des Vorhabens eine wichtige Rolle.

Just als die TPG ihre Kooperation mit der Zeitschrift Soldat im Volk vertiefte, gerieten mehr als zweifelhafte Inhalte in den Fokus von Politik und Öffentlichkeit. So ergaben parlamentarische Anfragen der PDS-Bundestagsfraktion im April und Oktober 2000, Soldat im Volk habe das Wirken von Holocaust-Leugnern verharmlost, revisionistische Äußerungen veröffentlicht und mit Anzeigen für Druckerzeugnisse von Rechtsextremisten geworben.[111] Nachdem die Zeitschrift im Juli und September 2003 einen zweiteiligen Aufsatz des bekannten amerikanischen Neonazis Richard Tedor veröffentlicht hatte,[112] verfügte der Bundesminister der Verteidigung im Februar 2004, „dass die Bundeswehr mit sofortiger Wirkung keine dienstlichen Kontakte“ mehr zum VdS und seinen Unterorganisationen unterhalten dürfe.[113] Kurz darauf übernahm Klaar den Bundesvorsitz des nun immer bedeutungsloseren VdS, den er bis zu seiner Auflösung 2016 leitete. Die erste Ausgabe von Soldat im Volk nach seinem Amtsantritt vereinte Werbung für die Garnisonkirche mit einem Beitrag Klaars, der die deutsche Alleinschuld am Zweiten Weltkrieg bestritt und gegen „Siegerdiktatur“, „Umerziehung“ sowie das „Umschreiben deutscher Archive und Geschichte“ nach 1945 polemisierte.[114]

Zum rechtsextremen Umfeld der TPG gehörte auch der Privatbankier Ehrhardt Bödecker, der im September 2000 das Brandenburg-Preußen Museum in Wustrau gründete. Ende 2002 veröffentlichte die TPG in ihrem Rundbrief einen Aufsatz Bödeckers, in dem er die Zahl von sechs Millionen Holocaust-Opfern bestritt und von den Alliierten als „ausländischen Umerzieher[n]“, sprach, welche die Deutschen demütigten, erniedrigten und ihnen „eine Art Gehirnwäsche verordneten“.[115] Einige Jahre später brachte Soldat im Volk ein Interview, das auch in der Jungen Freiheit zu lesen war und in dem Bödecker gegen die „politisch gewollte Verleumdung des Militarismus“ zu Felde zog. Er redete einem schlanken Staat das Wort, plädierte für Bildung und Disziplin nach dem Vorbild Preußens und bezweifelte, dass es in der Bundesrepublik noch Parlamentarismus und Rechtsstaatlichkeit gebe.[116] Obwohl die TPG ihre Rundbriefe stets an einen großen Empfängerkreis versandte, zu dem auch Politiker aus Potsdam und Brandenburg gehörten, blieben diese Entwicklungen zwar nicht verborgen, aber folgenlos.

VI. 2000 bis 2008: Die evangelische Kirche übernimmt das Projekt – Konflikte, Konzessionen und eine Trennung ohne Bruch

Im Jahr 2000 nahm der öffentliche Druck auf die evangelische Kirche zu, sich dem Projekt Garnisonkirche zuzuwenden. Die von der TPG gesammelten privaten Spenden beliefen sich nach eigenen Angaben bereits auf über 4,6 Millionen DM,[117] maßgebliche Politiker in Stadt und Land befürworteten das Vorhaben, und wichtige Medien wie Bild, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Berliner Morgenpost oder Märkische Allgemeine unterstützten es. Im Juli traf sich der Bischof von Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Wolfgang Huber, mit Max Klaar, der folgenden Vorschlag unterbreitete: Der Turm der Garnisonkirche solle von außen originalgetreu nachgebaut werden. Darin solle eine Kapelle als „Ort der Verkündung“ in Verantwortung der evangelischen Kirche entstehen, die oberen Etagen sollten dagegen eine Dauerausstellung über den 20. Juli 1944 beherbergen, soweit er vom Potsdamer Infanterieregiment 9 ausging. Die Stadt Potsdam, die evangelische Kirche und möglichst auch das Land Brandenburg sollten zu Spenden aufrufen, als Träger sollte eine Stiftung gegründet werden. Auf dieser Grundlage werde die TPG die Mittel für den Bau aufbringen können und das Geld dem Bauträger zur Verfügung stellen. Um das Ganze auf den Weg zu bringen, solle Bischof Huber auf den Kirchenkreis Potsdam einwirken, sich dem Vorhaben nicht zu verschließen, und in Abstimmung mit Stadtverwaltung und Landesregierung einen Spendenaufruf erarbeiten.[118]

Bemerkenswert ist, dass trotz aller folgenden Konflikte mit der TPG das maßgeblich von Huber betriebene Projekt mit Ausnahme der Finanzierung bis heute weitgehend dem Vorschlag Klaars entspricht. Doch weshalb griff der Bischof diese Idee auf? In den 1970er und 1980er Jahren hatte sich Huber friedenspolitisch engagiert; trennten ihn nicht Welten von einem früheren Fallschirmjägeroffizier? Die Antwort auf diese Frage hat möglicherweise eine familienbiografische Komponente, wobei Ähnlichkeiten zu Richard von Weizsäcker auffallen, wie schon der Journalist Robert Leicht festgestellt hat: „Beide Söhne haben ihre Väter geliebt, beide erkannten sie später, dass die Väter im ‚Dritten Reich‘ eine fatale Rolle gespielt haben.“[119] Hubers Vater Ernst Rudolf gehörte in der NS-Zeit zu den führenden Staatsrechtslehrern, Weizsäckers Vater Ernst Heinrich war zwischen 1938 und 1943 Staatssekretär des Auswärtigen Amts sowie Brigadeführer der Allgemeinen SS. In der Zuwendung Hubers zum Projekt Garnisonkirche kann man, ähnlich wie bei Weizsäcker, die Suche nach einer Versöhnung der Deutschen mit ihrer eigenen Geschichte sehen – ein argumentatives Scharnier, das auch sinnstiftende Beziehungen zwischen Vater und Sohn geschaffen haben könnte. Während Weizsäcker den Vater uneingeschränkt verteidigte, sprach Huber verhalten Differenzen an.[120]

Im Gegensatz zu Klaar und seinem Umfeld ging es Huber und Weizsäcker nicht darum, anti- oder zumindest vordemokratische Werte aus der Vergangenheit wiederzubeleben und in der Gegenwart zu implementieren. Die Werteprojektion erfolgte bei ihnen gleichsam in umgekehrter Richtung. Aus einem grundsätzlich positiven Verständnis der Gegenwart versuchten sie, durch die Formulierung idealisierender Traditionsbezüge Teile der Geschichte in ein günstigeres Licht zu rücken. Deutlicher noch als bei Huber war dies bei Weizsäcker zu erkennen, der mit dem Rückgriff auf das Attentat vom 20. Juli 1944 maßgeblich der Idealisierung des Infanterieregiments 9 zu einer „preußischen Eliteeinheit“ Vorschub leistete, „in der überzeugte Nazis eher ungern gesehen wurden“.[121]

Für Hubers Engagement war wohl noch ein weiterer Aspekt ausschlaggebend: Das Projekt passte hervorragend zu zentralen Ideen seines Reformprogramms für die protestantische Kirche und zeigte eine erfolgversprechende Perspektive auf. Klaars Idee einer „Volkskirche“, die auch Touristen anspreche,[122] war nah an Hubers Vorstellung von themenspezifischen Profilgemeinden, die sich nicht nur an Gemeindemitglieder wenden, sondern weit über den eigenen Sprengel hinaus ausstrahlen sollten.[123] Dabei rücke auch die Architektur in den Fokus, da Kirchenräume verstärkt „als Symbolräume in ihrer katechetisch-missionarischen Bedeutung“ wahrgenommen würden. Gerade im stark säkularisierten Osten der Bundesrepublik sah Huber eine missionarische Ausrichtung der Kirchenarbeit als eine der dringendsten Aufgaben.[124] Hatte es Klaar nicht binnen 15 Jahren geschafft, für einen neuen Kirchenbau in Brandenburg Spenden in Millionenhöhe einzuwerben und zugleich breite politische wie mediale Unterstützung zu organisieren? Sein Projekt – mochte es auch Schattenseiten haben – weckte die Hoffnung, den Erfolg des Wiederaufbaus der Dresdner Frauenkirche wiederholen zu können und so ein Modell für die von Huber propagierten Profilgemeinden zu schaffen.

Huber war mit den Jahren konservativer geworden und wollte mit der Kirche „Gegengewichte gegen einen verbreiteten Traditionsabbruch“ setzen.[125] Manche seiner früheren Positionen, etwa zu Fragen des Verhältnisses der protestantischen Kirche zum Militär, zur Homosexualität und zur Abtreibung, hatte er mittlerweile relativiert oder revidiert. Damit verbesserte sich sein Verhältnis zu den Evangelikalen,[126] in deren Kreisen sich Klaar bewegte. In der Renaissance des Preußischen sah – so lässt sich vermuten – Huber das Potenzial einer Aufwertung des Protestantismus in seiner Rolle für die nationale Identität. Trotz aller Differenzen mag Huber in der TPG innerkirchlich ein Korrektiv gesehen haben, um die von ihm kritisierte „Selbstsäkularisierung“ zu überwinden.[127]

Nach seinem Gespräch mit Klaar forderte Huber den Kirchenkreis Potsdam auf, mit der Traditionsgemeinschaft ins Gespräch zu kommen und seinen ablehnenden Beschluss von 1993 zu überdenken. Die daraufhin gebildete Arbeitsgruppe[128] traf sich wiederholt mit Klaar und weiteren Vertretern der TPG. Zugleich entwickelten die Vikare Gregor Hohberg und Martin Vogel bis Juli 2001 das Konzept „Veränderung ist möglich. The Spirit of Change“, das einen schwierigen Spagat versuchte: Einerseits galt es, den Kritikern so weit entgegenzukommen, dass eine Zustimmung im Kirchenkreis möglich wurde, anderseits ging es darum, die TPG als Geldgeber einzubinden und ihre Vorstellungen hinreichend zu berücksichtigen. Im Geschichtsverständnis folgte das Konzept jenem idealisierenden Narrativ, welches sich in den 1990er Jahren unter den Wiederaufbaubefürwortern herausgebildet hatte, wobei die Ambivalenzen betont wurden. Institutionell war vorgesehen, die TPG in die Aufsichtsgremien der neuen kirchlichen Stiftung einzubinden. Zudem fanden Klaars Nutzungsvorschläge eine Erweiterung um die Idee eines internationalen Versöhnungszentrums in Anlehnung an das 1940 in Coventry gegründete International Centre for Reconciliation, das auch in den Namen der zu gründenden Stiftung Eingang finden sollte. Analog ergänzte das Konzept die Forderung nach einer originalgetreuen Nachbildung des Bauwerks mit Rücksicht auf die Projektkritiker um die Idee von „Seh- und Hörhilfen“, um eine Synthese von „Kontinuität und Bruch“ zu verwirklichen.[129] Durch ein Nagelkreuz auf dem Turm anstelle der mit kriegerischen Anspielungen arbeitenden historischen Kirchturmspitze, durch ein auf die Fassade projiziertes Lichtspiel und die Ergänzung der historischen Melodien des Glockenspiels durch „eine moderne Melodie“ im Zeichen „der Versöhnung oder der Veränderung“ sollten die Veränderungen im Inneren auch von außen zu sehen sein. Der Anspruch war klar formuliert: „Die Garnisonkirche mit ihrer zweideutigen Geschichte sollte ein exponierter Lernort und eine verheißungsvolle Zukunftswerkstatt werden.“[130] In der folgenden Debatte sprachen sich auch Bischof Huber, Superintendent Bertram Althausen und der Öffentlichkeitsbeauftragte der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg Markus Bräuer gegen eine ungebrochene, originalgetreue Rekonstruktion aus und unterstützten die Idee, dass die äußere Erscheinung des Kirchturms einen Bruch mit der Vergangenheit symbolisieren müsse.[131]

Der Präses des Kirchenkreises Potsdam, Stephan Michalsky, hatte im November 2000 noch einen deutlich radikaleren Bruch mit der Tradition gefordert und eine Dauerausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht und eine Beratungsstelle für Kriegsdienstverweigerer (KDV) vorgeschlagen.[132] Nach kontroverser Debatte stimmte die Synode des Kirchenkreises Potsdam im Oktober 2001 dem Wiederaufbau des Kirchturms auf Basis des Nutzungskonzepts „Veränderung ist möglich“ mit 39 gegen 14 Stimmen und einer Enthaltung zu. Die Kreissynode machte dabei die Gründung „eines internationalen Versöhnungszentrums Potsdamer Garnisonkirche“ und die Veränderung der äußeren Gestalt des Turms zur unabdingbaren Voraussetzung.[133] Dieser Beschluss bedeutete einerseits einen Durchbruch für Klaar und die TPG, weil das Projekt mit der Zustimmung und Beteiligung der Kirche die letzte Hürde genommen hatte. Andererseits widersprachen die Veränderungen des Nutzungskonzepts und der Gestaltung ihren Vorstellungen. Klaar und die TPG reagierten mit massiver Kritik und Widerstand; sie traten offensiv, ja kompromisslos auf, begnügten sich nicht mehr mit der Rolle des Spendenbeschaffers und drängten darauf, ihre Vorstellungen dauerhaft durchzusetzen.

Noch während der Gespräche zwischen Kirche und Traditionsgemeinschaft und kurz vor Fertigstellung des kirchlichen Nutzungskonzepts gründete die TPG überraschend die Stiftung Preußisches Kulturerbe als dauerhaften Förderer und möglichen Träger des Projekts. Die Stifterin Charlotte von Hinckeldey war seit den 1980er Jahren mit Max Klaar und Jörg Schönbohm bekannt;[134] Innenminister Schönbohm übernahm die Schirmherrschaft über die Stiftung. Damit brüskierte die TPG die Kirche, die davon aus der Presse erfuhr, aber gleichwohl um Verständigung und Deeskalation bemüht war.[135] Sie intensivierte die gemeinsamen Gespräche und bezog die Stiftung Preußisches Kulturerbe in die Konzeption der Kirche ein.[136]

Wichtige Politiker und Pressevertreter unterstützten in diesem Konflikt die Position der TPG. Eine herausragende Rolle nahm Minister Schönbohm ein, der sich sowohl intern wie in der Öffentlichkeit hinter die TPG stellte und die Kirche kritisierte. Für ihn verkörperte die Garnisonkirche uneingeschränkt positive preußische Ideale und Tugenden, die zeitlos gültig seien und beharrlich vergegenwärtigt werden sollten. Er sprach sich wie Klaar gegen jeden Bruch mit der Vergangenheit aus, wandte sich gegen ein Versöhnungszentrum und befürwortete eine vollständige Rekonstruktion des Bauwerks, die dem Original gerecht werde.[137] Ebenso verteidigte er die TPG gegen Kritik: „Es sei unfair und unredlich, die TPG in die rechte Ecke zu stellen, wie es teilweise geschehe.“[138] Auch Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) stärkte der TPG den Rücken. In einem Brief an Max Klaar schrieb er Ende 2003: „Die Stadt Potsdam dankt allen Spendern, die für die Satzungsziele der TPG zum Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam unbeirrt von allen Diskussionen seit Jahren aktiv sind.“[139]

In ähnlicher Weise unterstützte die Presse die Position der TPG. In der Märkischen Allgemeinen verfasste der damalige Herausgeber und spätere Mitbegründer der Alternative für Deutschland (AfD) Alexander Gauland im September 2003 einen Grundsatzartikel, in dem es hieß:

„Preußische Geschichte war damals europäische Geschichte, für die wir uns nicht zu entschuldigen haben und die wir nicht bereuen müssen. Erst der Tag von Potsdam hat die Garnisonkirche an ein Stück schlechter deutscher Vergangenheit gebunden, doch war sie nur Hülle, konnte sich nicht wehren und wurde missbraucht für das Gegenteil dessen, wofür der fromme Bauherr stand: die Verkündung der Heilszusage Gottes.“[140]

Bereits zwei Jahre zuvor hatte Karl Feldmeyer in der FAZ die Kirche kritisiert und sich für ein ungebrochenes preußisches Erbe stark gemacht.[141] Auch auf einer Tagung des Studienzentrums Weikersheim in der Kaserne des Wachbataillons beim Bundesministerium der Verteidigung hatte er bereits beklagt: Der Verzicht auf Tradition und Geschichte sei „eine Form geistig-kultureller Selbstverstümmelung“ und führe zur „Selbstzerstörung unserer Gesellschaft“.[142] Die Spendeneinnahmen der TPG wuchsen substanziell. Im Dezember 2003 meldete sie einen Stand von 5,76 Millionen Euro, was 11,27 Millionen DM entsprach.[143]

Zunehmend geriet die Kirche in ein Dilemma, da die Erwartung entstanden war, das Projekt werde sich realisieren lassen. Entsprechend wuchs der Druck, zu einer Einigung mit der TPG zu kommen. Zwar stimmte die Potsdamer Stadtverordnetenversammlung dem kirchlichen Nutzungskonzept im Januar 2002 zu, allerdings verbunden mit der Aufforderung, „die Zustimmung der Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel e. V. sowie der Stiftung Preußisches Kulturerbe zu diesem Konzept zu erreichen“.[144] Denn Voraussetzung des Vorhabens war ja die ausschließlich private Finanzierung, die die TPG zugesagt hatte. Die Verhandlungen zwischen Kirche und TPG dauerten von 1999 bis 2005, wobei Kirchenvertreter wiederholt versicherten: „Das Projekt ‚Garnisonkirchenturm‘ kann nur in Kooperation gelingen“,[145] „wir werden den Turm nicht ohne die Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel bauen.“[146]

Um die Konflikte zu lösen, hatte man als Vermittler den evangelischen Militärseelsorger Superintendent Werner Krätschell eingeschaltet, der im Februar 2002 seine Mission abbrach und Oberbürgermeister Platzeck mitteilte, er könne nur davor warnen, der „vor allem im ‚Westen‘ verwurzelten“ TPG „Raum zu geben“. Dort herrsche der „Ungeist der Geschichtsverdrängung“, eingehüllt „in angeblich fromme und angeblich preußische Gewandung“. Krätschell zitierte Klaar mit den entlarvenden Worten: „Dunkles aus der Vergangenheit“ habe „keine Bedeutung mehr, weil alles ‚vergeben‘ [...] und durch den Lauf der Geschichte überholt sei“.[147] Doch Politik und Kirche ignorierten diese Einschätzung. Die Kirchenleitung hielt am Verhandlungskurs mit der TPG fest und gab schrittweise jene inhaltlichen Positionen des Nutzungskonzepts auf, die für den Kirchenkreis Potsdam noch kurz zuvor als unabdingbare Voraussetzungen für seine Zustimmung gegolten hatten. Die Moderatorenfunktion nahm von nun an Wieland Eschenburg wahr, der schon 1990/91 für die Stadt mit Klaar die Übernahme des Glockenspiels verhandelt hatte.

Bereits im Juni 2002 kam die Kirche der Forderung der TPG nach, für die Turmspitze doch die historische Wetterfahne zu rekonstruieren.[148] Beide Seiten verständigten sich darauf, diese habe „keinerlei politische[,] sondern eine hohe theologische Bedeutung“.[149] Eine Einigung über das Nutzungskonzept war damit aber noch nicht erzielt, zumal die TPG immer weitreichendere Forderungen stellte. In einem Brief an Eschenburg und die Vertreter der evangelischen Kirche verlangte Klaar im Dezember 2002 den Verzicht auf „KDV-Beratung, Kirchenasyl, Schwulensegnung und feministische Theologie“. Ebenso sollten „pazifistische, militaristische und atheistische Symbole, Denkmale und Kunstwerke“ auch in den umgebenden Außenanlagen ausgeschlossen sein.[150]

Im Vorfeld der Projektwoche zum 70. Jahrestag des „Tags von Potsdam“ hielten es Potsdamer Kirchenvertreter wie Generalsuperintendent Hans-Ulrich Schulz, Superintendent Bertram Althausen und Stadtkirchenpfarrer Martin Vogel für geboten, mit einer Pressemitteilung an die Öffentlichkeit zu treten, um den Dissens zu benennen und von der TPG mit Max Klaar an der Spitze zu fordern, das kirchliche Nutzungskonzept zu akzeptieren.[151] Die TPG solle zu dem bereits im April 2002 gefundenen Konsens zurückfinden, statt unangemessene zusätzliche Forderungen zu stellen, mit denen sie der Kirche vorzuschreiben versuche, was Kirche zu sein habe, sich ein Spendenmonopol sichern wolle und eine Eigentümerrolle beanspruche. Doch dazu kam es nicht, da sich Bischof Huber gegen eine Presseerklärung aussprach. Der Generalsuperintendent zeigte sich entsprechend frustriert: „Ich halte mich zumindest vorläufig aus der Sache raus und sage tatsächlich nichts mehr dazu.“ Für ihn blieb Hubers Verhalten unverständlich. „Selbst die von uns angedeutete Bereitschaft, das großartige Vorhaben letztlich an der Spitzenfrage nicht scheitern zu lassen, hat bei der TPG nicht zur Einsicht geführt.“ Man habe sich über die Frage, was geschehe, wenn die TPG das Konzept wirklich scheitern lasse, nie unterhalten. „Immer, wenn ich versucht habe, dies zu thematisieren, wurde ich beschwichtigt mit vagen Andeutungen über Springer- und Otto-Millionen.“[152]

Huber hielt mit Unterstützung Schönbohms an den Verhandlungen und Gesprächen mit der TPG fest. Beide wollten keine Abgrenzung, sondern Integration. Um das Projekt voranzutreiben, brachten sie den „Ruf aus Potsdam“ auf den Weg, der im Januar 2004 veröffentlicht wurde und – unter Vermeidung klarer Worte zu den strittigen Themen – weltweit um Unterstützung für den Wiederaufbau warb. In weiten Teilen folgte der „Ruf aus Potsdam“ dem so erfolgreichen „Ruf aus Dresden“ vom 13. Februar 1990, mit einem wichtigen Unterschied: Während letzterer sich dazu bekannte, „daß Deutschland“ den Zweiten Weltkrieg „entfesselt“ habe,[153] dominierte im „Ruf aus Potsdam“ die Opferperspektive, aus der heraus der Missbrauch der Garnisonkirche durch das NS-Regime beklagt und die „Hinrichtung“ des Gotteshauses durch den SED-Staat angeprangert wurde.[154]

Hinter diesen Spendenaufruf für den originalgetreuen Wiederaufbau der gesamten Garnisonkirche – und nicht nur des Kirchturms – stellten sich nicht nur führende Politiker wie Ministerpräsident Platzeck, Innenminister Schönbohm und Oberbürgermeister Jakobs und Kirchenvertreter wie Bischof Huber und Generalsuperintendent Schulz, sondern auch weitere Personen des öffentlichen Lebens wie MAZ-Herausgeber Gauland und Burkhart Franck, seines Zeichens Oberst außer Dienst und Mitglied der TPG.[155] In seiner Rede hob der Vorsitzende des Industrieclubs Potsdam, Hans-Peter Rheinheimer, besonders das Engagement der Traditionsgemeinschaft hervor, ohne deren Vision es nicht zum „Ruf aus Potsdam“ gekommen wäre.[156]

Wenige Wochen nach dem „Ruf aus Potsdam“ gehörte Rheinheimer zu den Gründern der Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam e.V., die sich die Unterstützung des „historisch getreuen und vollständigen Wiederaufbaus der Garnisonkirche“ auf die Fahnen geschrieben hatte. Die Bedeutung der Kirche als historisch wichtiger, das Stadtbild prägender barocker Kirchenbau und als Kulturdenkmal diente als inhaltliche Begründung.[157] Die ambivalente Geschichte fand keine Erwähnung, ebenso wenig ein internationales Versöhnungszentrum oder ein Lernort. Entsprechend sollten auch vorrangig der Wiederaufbau und Erhalt des Gebäudes finanziert werden.

Während sich das kirchliche Nutzungskonzept von 2001 auf den Kirchturm begrenzte und die Entscheidung über das Kirchenschiff künftigen Generationen überließ, zielten der „Ruf aus Potsdam“ und die Satzung des Fördervereins nun auf den originalgetreuen Nachbau der gesamten Kirche – ein Ziel, das die TPG seit ihrer Gründung propagierte und verfolgte. In den Gründungsvorstand der Fördergesellschaft wurde Klaars rechte Hand Burkhart Franck gewählt, der zwischen 2012 und 2015 auch als Vorsitzender fungierte. Die Fördergesellschaft brach das bisherige Spendensammelmonopol der TPG auf und sprach nun auch deren Mitglieder und Spender an. Franck verließ zusammen mit dem Bundeswehroffizier Klaus Gottschalk und Innenminister Schönbohm die TPG, um sich in der Fördergesellschaft zu engagieren.[158] Zugleich betonten sie ihren Willen zur Zusammenarbeit mit der TPG und sprachen dieser das große Verdienst zu, „die Entwicklung gegen Widerstände in Gang gesetzt und vorangebracht zu haben“.[159] Richard von Weizsäcker hingegen bedauerte öffentlich, dass er Klaar wiederholt unterstützt hatte.[160]

Kurz nach Veröffentlichung des „Rufs aus Potsdam“ wandte sich Alexander Gauland an Minister Schönbohm. Den Herausgeber der Märkischen Allgemeinen trieb die Sorge um, dass die TPG ausmanövriert, ja „ausgebootet“ werde. Er stehe der Kirche „höchst skeptisch gegenüber“ und meine, dass „es möglich sein müsste, Herrn Klaar auf einen Weg zu bringen, der dieses Geld, das er nun einmal gesammelt hat, dem Aufbau nützlich macht[,] ohne dass seine von mir ja durchaus nachvollziehbare Position völlig geräumt wird“.[161] Gauland schlug vor, gemeinsam mit Klaar zu sprechen, um einen Kompromiss zwischen TPG und Kirche auszuhandeln. Schönbohm ging auf den Vorschlag ein, und bei dem Treffen, das am 26. März 2004 stattfand, sicherte er Klaar zu, er werde als Schirmherr zurücktreten, falls die evangelische Kirche nicht auf ein internationales Versöhnungszentrum verzichte.[162] Wenig später sprach sich Schönbohm auch öffentlich gegen das Versöhnungszentrum aus.[163]

Am 14. April 2005 erfolgte zum 60. Gedenktag des Bombenangriffs auf Potsdam die Grundsteinlegung für den Wiederaufbau, wobei Schönbohm der TPG und Max Klaar für ihr langjähriges Engagement dankte.[164] Die TPG sah sich bestätigt und freute sich bereits im Vorfeld:

„Das von vielen für unmöglich Gehaltene ist nun zu 2/3 endlich erreicht: Die ganze Garnisonkirche wird innen und außen gänzlich originalgetreu wieder aufgebaut. Sie wird als Stadt-Kirche genutzt, für die man hofft, dass sich auch wieder eine Gemeinde bildet. Das Nagelkreuz auf der Turmspitze ist vom Tisch. Von Kirchenvertretern war hierzu zu hören, man habe in der Sache hinzugelernt.“[165]

Kurz zuvor hatte Klaar unter dem Pseudonym Paul Arlak auf die zentrale Rolle der TPG verwiesen und hinsichtlich der Differenzen mit Kirchenvertretern für Standfestigkeit und Prinzipientreue plädiert. „Eine TPG mit ‚prall gefüllter Baukasse‘ wird man um Hilfe bitten – das kann sie seelenruhig abwarten.“[166] Die Verabschiedung des kirchlichen Nutzungskonzepts unter Leitung der Evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) im April 2005 nahm die TPG zum Anlass, ihre inzwischen auf 6,7 Millionen Euro angewachsenen Spendeneinnahmen für den Wiederaufbau einzufrieren, an die eigene Stiftung Preußisches Kulturerbe zu überweisen und sich selbst aufzulösen.[167] Bedingung für die Freigabe der Mittel blieb die Maximalforderung, dass die Kirche die inhaltlichen Vorgaben der TPG für Gottesdienste und Kirchenarbeit akzeptiere. Es lag zwar auf der Hand, dass sich das nicht durchsetzen ließ, Klaar vermutete aber, dass sich bis zur Fertigstellung der Kirche noch einiges im Sinne der Traditionsgemeinschaft ändern könne.[168] Und so warb die Stiftung Preußisches Kulturerbe auch nach dieser Zäsur weiterhin für den Wiederaufbau der Garnisonkirche.[169]

Das neue kirchliche Nutzungskonzept hatte sich bereits von einigen Positionen verabschiedet, die sich noch vier Jahre zuvor im Grundsatzpapier „Veränderung ist möglich“ gefunden hatten.[170] Die Stiftung sollte nicht mehr „Internationales Versöhnungszentrum Potsdamer Garnisonkirche“ heißen, sondern „Stiftung Potsdamer Garnisonkirche – Ort der Versöhnung“. Und wie bereits der TPG zugestanden, sollte die Kirchturmspitze getreu dem historischen Vorbild rekonstruiert werden. Kritik an diesen Veränderungen, die sich bereits im Vorfeld abzeichneten, blieb nicht aus. Ein Mitglied der Heilig-Kreuz-Gemeinde schrieb im März 2004 an Bischof Huber: „Um doch noch an das Geld der TPG zu kommen, wird einer historischen Wiedererrichtung des gesamten Bauwerks das Wort geredet. [...] Das Nutzungskonzept [von 2001], als Einstieg für Kirche und Stadt in die Wiederaufbaupläne notwendig gewesen, verkommt zu Makulatur.“[171]

Aber auch die Traditionalisten zeigten sich unzufrieden mit dem neuen Nutzungskonzept, das die dunklen Seiten in der Geschichte der Garnisonkirche nicht unerwähnt ließ. Innenminister Schönbohm protestierte unverzüglich bei Bischof Huber. Mit ihm als Schirmherr des Vorhabens sei der Inhalt nicht abgestimmt, der „in einigen wesentlichen Punkten für mich unakzeptabel ist“ und überdies dem „Ruf aus Potsdam“ widerspreche.[172] Er forderte daher eine Verständigung über notwendige Änderungen unter Einbeziehung des Vorsitzenden der Fördergesellschaft Rheinheimer, der Schönbohms Kritik teilte. Der Vorstand der Fördergesellschaft stimmte dem Nutzungskonzept zwar formal zu, um „Gegensätze nicht nach außen zu tragen, sondern mit der Kirche einvernehmlich aufzutreten“.[173] Aber in einem Brief an Bischof Huber wies der Vorstand auf die bestehenden Differenzen hin, erhob Einwände gegen die noch verbliebenen Ansätze zu „gestalterischen Neuinterpretationen“, gegen Formulierungen zum Versöhnungszentrum und zur kirchlichen Nutzung. Das Gebäude solle den Begriff Versöhnungszentrum nicht im Namen tragen, sondern allein Garnisonkirche Potsdam heißen, die Idee der Gründung einer Personalgemeinde ohne fest umrissenen Pfarrbezirk solle man beibehalten.

Bald relativierte Rheinheimer die Bedeutung des kirchlichen Nutzungskonzepts auch in der Öffentlichkeit und warb dafür, Rücksicht auf diejenigen zu nehmen, die allein an der „Wiederherstellung des Stadtbildes oder eines Symbols eines positiven Preußens interessiert“ seien.[174] Denn dies sei die Motivation der Mehrheit der 700 Mitglieder der Fördergesellschaft, wie auch der Wunsch „der Wiedergutmachung eines historischen Unrechts an dem Gotteshaus“, die „Liebe zu Potsdam“ und die „Freude am Wiederaufbau als solchem“.[175] Spätere Analysen bestätigten Rheinheimers Einschätzung. Den Unterstützern der Fördergesellschaft ging es vor allem darum, „an Preußen und seine Tugenden“ zu erinnern, „ein Symbol des Glaubens, der Geschichte und unserer Identität“ zu errichten – und „Walter Ulbricht hier nicht das letzte Wort“ zu lassen.[176]

In einem Rundschreiben vom Januar 2006 betonte die Fördergesellschaft in Übereinstimmung mit den Motiven der inzwischen aufgelösten TPG das Ziel des Wiederaufbaus in historischer Gestalt und der Nutzung als Kirche zur Verkündung von Gottes Wort. Darüber hinaus sollte die Kirche als Symbolbau und Wahrzeichen Preußens „ein Ort der sittlichen und geistigen Standortbestimmung sein“ und „zur Beantwortung der Frage einladen, wie öffentliches Handeln aus christlichem Glauben abgeleitet werden kann und auf welche Werte (Preußische Tugenden) wir dabei zurückgreifen können“. Ein internationales Versöhnungszentrum als eigenständige Institution sollte es nicht geben. Die Kirche war als Ort der Versöhnung des Menschen mit Gott gedacht; Vergangenheitsbewältigung war nicht das Ziel.[177] Die Position der Fördergesellschaft traf auf Widerspruch im Potsdamer Kirchenkreis, dem Bischof Huber aber entgegentrat. Zur Vorbereitung einer Aussprache mit den leitenden Kirchenvertretern aus Potsdam notierte Hubers persönlicher Referent Martin Vogel folgende Stichworte: „integrativ wirken, Polaritäten überwinden, [...] die missionarische Dimension des Projektes wieder entdecken, Paradigmenwechsel im Kirchenkreis erwirken, das Milieu Potsdams durch zusätzliche Personen aufsprengen“.[178]

Im Juni 2008 wurde schließlich die kirchliche Stiftung Garnisonkirche Potsdam als Träger des Projekts gegründet, um nicht nur den Kirchturm, sondern die gesamte Kirche wiederaufzubauen. In der Satzung war weder explizit von einem Lernort noch von einem internationalen Versöhnungszentrum die Rede. Unerwähnt blieben der „Tag von Potsdam“ wie auch andere problematische Dimensionen des historischen Orts, ein allgemeiner Verweis auf die „wechselvolle deutsche Geschichte in den letzten drei Jahrhunderten“ genügte.[179] Dagegen wurde der Widerstand des 20. Juli 1944 expressis verbis benannt,[180] an den es – so hatte es Klaar Bischof Huber im Jahr 2000 vorgeschlagen – zu erinnern und dessen Opfern es würdig zu gedenken galt. Klaar berichtete dann auch in einem Rundbrief der Stiftung Preußisches Kulturerbe, er sei von Pressevertretern angesprochen worden, „wir müssten uns doch als Sieger fühlen, da die Ev. Kirche nun vom Internationalen Versöhnungszentrum abrücke“.[181]

Im Kuratorium der Stiftung sitzen neben Kirchenvertretern, Vertretern der Stadt Potsdam und des Lands Brandenburg auch der Kommandeur des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr und seit 2014 der evangelische Militärbischof. Damit nimmt die Stiftung die Verbindung von Kirche, Staat und Militär auf, die auch die historische Garnisonkirche geprägt hatte. Auch mit der Wahl des ehemaligen Bundeswehroffiziers Franck zum Vorsitzenden der Fördergesellschaft im April 2012 wurde die Verbindung zum Militär betont. Die Preußische Allgemeine Zeitung (PAZ) begrüßte diese Wahl freudig: „Auf den farblosen bisherigen Vorsitzenden der FWG folgt mit Oberst Burkhart Franck einer, der der Richtige ist.“[182] Die Glückwünsche verbanden sich mit der Hoffnung: „Konkret lässt die Wahl Francks eine Annäherung des Potsdamer Fördervereins an die von Oberstleutnant a.D. Max Klaar initiierte ‚Stiftung für Preußisches Kulturerbe‘ (SPKE) wieder in den Bereich des Möglichen rücken.“[183] Dazu kam es jedoch nicht, denn bald eröffnete sich der Stiftung eine andere Finanzierungsquelle.

VII. 2013: Bundes- statt Spendenfinanzierung – eine „national bedeutsame Kulturinvestition“ mit rechtsextremen Erblasten

Binnen neun Jahren hatte die Fördergesellschaft private Spenden in Höhe von vier Millionen Euro einwerben können[184] – weit weniger als erhofft. Zwischenzeitlich erwog man, die von der TPG gesammelten Spenden vor Gericht einzuklagen,[185] aber es fand sich ein bequemerer Ausweg aus der finanziellen Klemme, denn im Jahr 2013 beschloss der Bundestag, den Wiederaufbau der Garnisonkirche mit 12 Millionen Euro zu fördern;[186] 2019 kamen 8,25 Millionen Euro und 2020 4,85 Millionen Euro hinzu.[187] Das Modell der reinen Spendenfinanzierung wurde abgelöst durch eine überwiegende Finanzierung aus öffentlichen Mitteln.

Diese Förderung hätte es nun möglich gemacht, die Konzeption des Projekts zu überdenken und zu verändern. Allerdings verzichtete die öffentliche Hand einmal mehr auf inhaltliche Vorgaben, und so wirkten viele Positionen der TPG fort. Immerhin führte die Bundesfinanzierung dazu, dass der Förderverein für den Wiederaufbau nun sichtlich auf Abstand zu Max Klaar ging. In einem nicht öffentlichen Rundschreiben an Klaars Gefolgsleute kritisierte sein ehemaliger Mitstreiter Franck erstmals dessen Respektlosigkeit, Unredlichkeit, diffamierende Wortwahl und Preußentümelei. Zugleich versicherte er, dass in der Nagelkreuzkapelle keine „zeitgeistigen politisch-historischen Betrachtungen“ erfolgten; die Referenten seien im Gegenteil „Wissenschaftler und Theologen ‚der alten Schule‘“.[188]

Einige Monate später beschloss die Stiftung Preußisches Kulturerbe, ihre Rücklage, die sie für die Garnisonkirche vorgehalten hatte, nicht der Stiftung Garnisonkirche zukommen zu lassen, sondern andere Projekte zu fördern. Vor allem die Potsdamer Kirchen St. Nikolai und St. Peter und Paul pflegten mit Max Klaar engen Kontakt und hielten Gottesdienste für ihn und seine Unterstützer ab.[189] St. Nikolai erhielt von der Stiftung Preußisches Kulturerbe 1,8 Millionen Euro Spenden, St. Peter und Paul 134.000 Euro. Die Kirchenvertreter lobten Klaars Arbeit[190] und verteidigten ihn öffentlich, als er in die Kritik geriet, nachdem er die Alleinschuld des Deutschen Reichs am Zweiten Weltkrieg geleugnet hatte.[191]

Nachdem alle Gelder der Stiftung Preußisches Kulturerbe ausgezahlt waren, von denen mehr als fünf Millionen Euro protestantischen Kirchenbauten zu Gute kamen, entschied die evangelische Kirche, der Stiftung Garnisonkirche Potsdam drei Kredite in Höhe von insgesamt fünf Millionen Euro zu gewähren, um einen Baubeginn zu ermöglichen.[192] In die Entscheidungen einbezogen war eine Reihe von Kirchenvertretern, deren Gemeinden von den Zuwendungen der Stiftung Preußisches Kulturerbe profitiert hatten. Mit Abschluss der Zahlungen aus der Projektrücklage begann sich die Fördergesellschaft für den Wiederaufbau nun öffentlich von der Stiftung Preußisches Kulturerbe zu distanzieren. Burkhart Franck wurde im Juni 2015 als Vorsitzender des Fördervereins abgelöst, nachdem er einen Aufsatz zur „Geschichte der Mobilmachung in Preußen und Deutschland 1918–1945“ veröffentlicht und dabei die „beispiellosen organisatorischen Leistungen der Wehrmacht bei der Vorbereitung, Durchführung und Fortsetzung der Mobilmachung bis zum Äußersten“ gelobt hatte.[193] Wenig später bezeichnete die Stiftung Garnisonkirche Potsdam die Ziele Klaars und der TPG erstmals als „reaktionär“,[194] und im Jahr 2018 schrieb das Vorstandsmitglied der Stiftung Wieland Eschenburg:

„Selbstkritisch müssen wir sagen, dass wir in der Stadtgesellschaft die Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel zu lange haben gewähren lassen, zu lange haben die rechtslastigen Thesen und Forderungen eines Max Klaar die Deutung des Wiederaufbauvorhabens geprägt. Das Erbe dieser unsäglichen Forderungen wirkt trotz deutlich und wiederholt erfolgter Distanzierung immer noch nach.“[195]

Ein Jahr später ergänzte er versöhnlich:

„Als Potsdamer Bürger freut es mich aber, dass die aus der Traditionsgemeinschaft hervorgegangene Stiftung Preußisches Kulturerbe [...] nun Gelder für andere wertvolle Bauprojekte zur Verfügung gestellt hat. So schwingt z. B. bei jedem Früh-, Mittags- und Abendläuten der Glocken der Potsdamer St. Nikolai-Kirche ein Wohlklang über der Stadt, der uns alle mahnt und erinnert, im Tageslauf innezuhalten und über unser irdisches Dasein und die hier zu lebende Verantwortung nachzudenken.“[196]

Mit der endgültigen Distanzierung von der TPG gewannen auch die kirchlichen Aktivitäten der Stiftung an Profil. 2014 wurde der drei Jahre zuvor eingeweihten Kapelle der Name Nagelkreuzkapelle verliehen, im Juni 2015 trat die Profilgemeinde „Nagelkreuzgemeinde Garnisonkirche Potsdam“ ins Leben. Zeitweilig hing am Eingang zur Kapelle ein Banner mit der Aufschrift „gegen alte und neue Nazis“. Unter dem Motto „Geschichte erinnern“ finden seither in der Kapelle Gedenkveranstaltungen zum „Tag von Potsdam“, zum 20. Juli 1944, zum Bombenangriff am 14. April 1945, zum 8. Mai 1945 und zum Holocaust statt.[197] Dabei wird zwar auch das bekannte Opfernarrativ fortgeführt, aber nun kommen deutlicher Positionen zum Tragen, die rechtsextremen Deutungsmustern widersprechen. Die regulären Gottesdienste der Profilgemeinde sind jedoch wenig besucht; Hubers missionarische Ambitionen verliefen mehr oder weniger im Sande.[198]

Gemäß der These, Steine könnten nie schuld daran sein, was in ihnen passiert, scheint das rechte Spektrum an den kritischen Veranstaltungen aber kaum Anstoß zu nehmen. Das zeigen die Unterstützung aus den Reihen der AfD[199] ebenso wie die zustimmenden Kommentare in der revisionistischen Preußischen Allgemeinen Zeitung[200] oder in der Jungen Freiheit.[201] Zudem wirbt der rechtsextrem ausgerichtete Youtube-Kanal „Heimatschutz“ seit Jahren für das kirchliche Bauvorhaben,[202] gleichgesinnte Onlineshops vertreiben CDs mit historischen Aufnahmen des Glockenspiels und vom „Tag von Potsdam“. Im Februar 2022 nahm ein – wenn auch völlig erfolgloser – rechtsextremer Protestmarsch unter dem Motto „Mein Tag von Potsdam“ seinen Ausgangspunkt an der Baustelle des Kirchturms.[203]

In der fast vierzigjährigen Geschichte des Wiederaufbauprojekts haben sich die ideologischen Inanspruchnahmen von rechts verändert. In den 1980er Jahren dominierten noch die Sichtweisen von Veteranen und Traditionalisten in der Bundeswehr, die mit dem Rekurs auf das preußische Erbe nicht zuletzt die Wehrmacht ehren und rehabilitieren wollten. Nach dem Fall der Mauer setzten sich hingegen Argumentationsmuster durch, die für die Neue Rechte typisch sind. Symptomatisch dabei ist der Bezug auf die Attentäter des 20. Juli 1944, den die TPG eher gemieden hatte, was auf das schwierige Verhältnis von Widerstand und Wehrmachtstradition verweist.[204] Die Neue Rechte versucht dagegen, den militärischen Widerstand für sich zu vereinnahmen,[205] wobei Heroisierung des Widerstands und Relativierung von NS-Verbrechen Hand in Hand gehen können. Dieses Verständnis des Preußischen bietet die Möglichkeit, auf eine vordemokratische deutsche Staatstradition Bezug zu nehmen und gegen die liberale Demokratie Stellung zu beziehen. Zugleich werden die Gegensätze zwischen Rechtsextremismus und demokratischem Konservativismus verwischt.[206] Genau dieses Vorgehen zeichnete Klaars Argumentation nach 1990 aus, die gleichermaßen anschlussfähig war an das Preußenbild Jörg Schönbohms[207] wie an das Götz Kubitscheks[208] und des „Flügels“ der AfD.[209]

Eine kritische Auseinandersetzung mit der Garnisonkirche hat bis zum Jahr 2020 so gut wie nicht stattgefunden. Die Idee eines Lernorts aus dem kirchlichen Konzept von 2001 ist de facto Makulatur. Um den Besuchern die komplexe Geschichte nahezubringen, ist im 90 Meter hohen Kirchturm lediglich eine Ausstellungsfläche von 250 m2 in der Zwischenetage des dritten Obergeschosses vorgesehen, abseits der zentralen Besucherbereiche, die von der Aussichtsplattform in 57 Metern Höhe und dem Erdgeschoss mit Kasse, Shop, Café und Kapelle gebildet werden.

Die Dauerausstellung in der Nagelkreuzkapelle und die dort verkauften Publikationen[210] vermitteln ein idealisiertes Bild der Geschichte der Garnisonkirche. In einem Flyer der Fördergesellschaft heißt es, die Garnisonkirche sei „der zentrale Ort der preußischen Identität“, sie stehe „für christlich verantwortetes Handeln für die Gemeinschaft, für die Verbindung von christlichem Glauben und ‚preußischen Tugenden‘“.[211]

Als „nationales Tafelsilber“ stellt der Bau für die Stiftung einen Identifikationsort dar. Er dient als Projektionsfläche für ein verallgemeinertes und idealisiertes Preußenbild. Jedoch repräsentiert die Garnisonkirche keineswegs die preußische Geschichte in ihrer ganzen Bandbreite, sondern einen spezifischen und eben recht problematischen Teil des Preußenerbes: Sie steht nicht für Aufklärung, Emanzipation und Liberalität, sondern für Dynastie, Gehorsam und Staatskirche, sie steht nicht für die demokratische Tradition des Freistaats Preußens,[212] sondern für die antidemokratischen Kräfte des Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Darin unterscheidet sie sich deutlich von vielen anderen Orten preußischer Geschichte.

VIII. 2018: Neue Akteure und eine neue Debatte

Auf Drängen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der 2017 in freundschaftlicher Verbundenheit zu Wolfgang Huber[213] die Schirmherrschaft für das Projekt übernahm, wurde 2018 ein wissenschaftlicher Beirat eingerichtet. Dieses Gremium verteidigte den Wiederaufbau gegen Kritiker, da sich die Garnisonkirche – so der Beiratsvorsitzende Paul Nolte – „nicht auf den Tag von Potsdam reduzieren“ lasse und es auch einen „Zusammenhang mit dem Widerstand“ gegeben habe.[214] Allerdings forderte der Historiker auch einen differenzierten und distanzierteren Blick auf die Vergangenheit:

„Die Garnisonkirche muss Preußen als einen wunden Punkt der Geschichte zeigen, ein Preußen, das weh tut – und zwar nicht nur den Bürgern vor Ort, sondern auch den Touristen. Bislang gibt es nirgendwo in Deutschland, auch nicht in Potsdam oder Berlin, einen sichtbaren, authentischen Ort, der auch an die schwierigen und dunklen Seiten, an die schlechten Traditionen der preußischen Geschichte erinnert.“[215]

Keinesfalls, so Nolte weiter, dürfe „die Garnisonkirche nach ihrer Fertigstellung mit einer Verlegenheitsausstellung eröffnen, womöglich noch mit bislang schon in der Nagelkreuzkapelle gezeigten Fotos und Texttafeln, so ehrenwert sie sind“. Der Beirat habe daher die zuvor „nostalgisch oder heimatgeschichtlich angehaucht[e]“ Darstellung zur Geschichte der Garnisonkirche in der Online-Ausstellung „geschärft, auch kritischer gemacht“.

Tatsächlich wurde diese Präsentation punktuell um Informationen zu Ludendorffs Rede vom November 1919 oder um den NS-Kult zum „Tag von Potsdam“ ergänzt. Ein im März 2021 vorgestelltes Konzept für die kleine Dauerausstellung im Turm zeigte erstmals einen sehr kritischen Blick auf die Geschichte der Garnisonkirche – ohne dass aber die völlig anderslautenden früheren Positionen benannt oder gar widerrufen worden wären.[216] Zugleich blieb der Ton in der anhaltenden öffentlichen Auseinandersetzung um den Wiederaufbau scharf. So bezichtigte Nolte Kritiker des Projekts, Tatsachen zu verdrehen, „sich gegen die Wahrnehmung der Wirklichkeit zunehmend“ abzuschotten oder mit Begriffskonstrukten zu arbeiten, die an das grenzten, „was wir momentan als Verschwörungsmythen diskutieren“.[217]

Nach einem von namhaften Wissenschaftlern und Kulturschaffenden unterzeichneten offenen Brief[218] ließ der Potsdamer Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) im September 2019 das Glockenspiel wegen der Inschriften auf den Glocken abstellen.[219] Dagegen protestierten Vertreter des Kirchenchors der Nikolai-Gemeinde, der Bürgerinitiative „Mitteschön!“ sowie von CDU und AfD mit einem mehrfachen Protestsingen, da sie die Kritik an den Inschriften für substanzlos hielten.[220] Der Initiator des Singens, Harald Geywitz von der Kirchengemeinde St. Nikolai, kritisierte überdies, mit „dem Abschalten“ werde „die Religion aus dem öffentlichen Raum gedrängt“.[221] Auch wissenschaftlich ist die Bewertung umstritten. Während der Beirat der Stiftung Garnisonkirche das Glockenspiel mit seinen Inschriften für „aus heutiger Sicht historisch-politisch unzumutbar“[222] hielt und ein Gutachten des Lernorts Garnisonkirche die Verbindung in rechtsextreme Milieus aufzeigt,[223] ging Dominik Juhnke in seinem Gutachten auf den Vorwurf rechtsradikaler Einschreibungen nicht ein und beurteilte das Glockenspiel nachsichtiger als Ausdruck einer konservativen oder nationalkonservativen Haltung.[224] In diesem Sinne stellte das Brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege das Glockenspiel im Juli 2021 als ein Zeugnis der jüngeren Zeitgeschichte unter Denkmalschutz.[225] Kontroverse Reaktionen blieben nicht aus.

Im Herbst 2019 unterbreitete Oberbürgermeister Schubert einen neuen Vorschlag für das Projekt Garnisonkirche.[226] Anstelle des bislang von vielen favorisierten originalgetreuen Wiederaufbaus des Kirchenschiffs könne hier eine internationale Jugendbegegnungsstätte für Bildung und Demokratie in einem – nicht historisch nachahmenden – Neubau entstehen. Nach einer öffentlichen Anhörung zu diesem Vorschlag im Januar 2020 leitete das Stadtparlament ein mehrstufiges Verfahren ein, in dem bis Frühjahr 2023 ein „inhaltliches und gestalterisches Konzept“ für den Bereich der Garnisonkirche und des benachbarten Kunst- und Kreativhauses im ehemaligen Rechenzentrum erarbeitet werden soll. Ziel ist, „dass unumkehrbare inhaltliche Brüche mit der Geschichte der Kirche durch eine Nutzung des Grundstücks des ehemaligen Kirchenschiffs erreicht werden. Nur so kann [...] eine intensive Auseinandersetzung mit dem historischen Ort als Exempel deutscher Geschichte befördert werden.“[227] Damit bekommt die Auseinandersetzung um das Projekt Garnisonkirche einen neuen Charakter. Erstmals führt die (Kommunal-)Politik im parlamentarischen Rahmen eine inhaltliche Debatte, die darauf zielt, eine eigene Position zu Konzeption und Gestaltung des Vorhabens zu formulieren.

Dabei stellt sich zum einen die Frage nach einem Nutzungskonzept, das die ursprüngliche Idee eines Lernorts aufgreift und mit Leben füllt. Zum anderen bedarf es einer städtebaulich-architektonischen Gestaltung. Stiftung und Fördergesellschaft wollten zunächst die Option des von ihnen propagierten originalgetreuen Nachbaus des Kirchenschiffs nach wie vor offenhalten und beharrten noch im Sommer 2021 auf dem Abriss des Rechenzentrums mit Auslaufen des gegenwärtigen Nutzungsvertrags im Jahr 2023.[228] Das nach der Beseitigung der Kirchenruine in den Jahren 1969 bis 1971 erstellte Gebäude steht zu etwa einem Fünftel seiner Grundfläche auf dem Areal des ehemaligen Kirchenschiffs; seit Herbst 2015 nutzen es Kulturschaffende als Kunst- und Kreativhaus.

Im Dezember 2021 wurde als Ergebnis aus den Verhandlungen zwischen Vertretern der Stadt, der Stiftung Garnisonkirche und des Kunst- und Kreativhauses Rechenzentrum der maßgeblich von Oberbürgermeister Schubert vorangetriebene Vorschlag für ein „Haus der Demokratie“ unterbreitet, das von der Stadt Potsdam im Bereich des ehemaligen Kirchenschiffs errichtet und betrieben werden soll.[229] Voraussetzung hierfür ist der Verzicht der Stiftung auf die Wiedererrichtung des Kirchenschiffs, dem Wolfgang Huber als Kuratoriumsvorsitzender und Matthias Dombert als Vorsitzender der Fördergesellschaft auch angesichts massiver Finanzprobleme der Stiftung zugestimmt hatten. Am 26. Januar 2022 nahm die Stadtverordnetenversammlung den Vorschlag, der auch den weitgehenden Erhalt des Rechenzentrums vorsieht, mit knapper Mehrheit an. Während SPD, Grüne und große Teile der Linken dieses Vorhaben unterstützen, ist der Widerstand dagegen in den Reihen von CDU, FDP, AfD und „Mitteschön!“ groß. Zugleich wurde aber auch Kritik von Gegnern des Wiederaufbaus laut, die sich bei der kommunalen Wählergruppe „Die Andere“, Gruppierungen der Linken und der Bürgerinitiative für ein Potsdam ohne Garnisonkirche finden. In der Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche führt der ehemalige Bundeswehroffizier Dietrich Gerlach die Traditionalisten an. Mit einhundert Gleichgesinnten, unter ihnen die ehemaligen Vorsitzenden Hans-Peter Rheinheimer und Burkhart Franck, fordert er die Abwahl des Vorstands, ein Festhalten am Abriss des Rechenzentrums und den Wiederaufbau des Kirchenschiffs.[230]

Wieder einmal zeigt sich die Spaltung und Polarisierung der Stadtgesellschaft. Auch fast vier Jahrzehnte nach seinem Beginn bleibt das Projekt Wiederaufbau der Garnisonkirche umstritten. Es ist noch offen, welches Geschichtsverständnis das Vorhaben am Ende maßgeblich prägen wird. Doch die bauliche Gestaltung des Kirchturms und die Positionierung der Unterstützer lassen erkennen, wie die langjährigen Aktivitäten der TPG allen Disruptionen zum Trotz die Entwicklung bis heute beeinflussen. Manche der einmal öffentlich etablierten Narrative sind von erstaunlicher Persistenz. Mit Blick auf den Nachbau des Glockenspiels verwies der Soziologe Matthias Quent kürzlich auf die „Verzahnung von rechtsextremen mit konservativen Strukturen und Ansichten auf dem politischen Feld der Erinnerungskultur“. Dies entspreche „der Normalisierungsstrategie der äußersten Rechten“, die bestrebt sei, „größere Resonanzräume für revisionistische und antidemokratische“ Deutungsmuster zu öffnen. Dabei werde „die fehlende Abgrenzung nach rechts außen gerade in Ostdeutschland ausgenutzt, um in die politische Mitte vorzustoßen“.[231]

Published Online: 2022-07-01
Published in Print: 2022-06-08

© 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 29.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/vfzg-2022-0031/html
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