Abstract
Der Autor beleuchtet die Haltung des Heiligen Stuhls im Spanischen Bürgerkrieg. Er analysiert, warum Papst Pius XI. Partei zugunsten der Aufständischen unter General Franco ergriff, lange bevor der Ausgang des Konflikts absehbar war. Quellen aus den Archiven des Vatikan eröffnen neue Perspektiven auf Entscheidungen und Strategien des Heiligen Stuhls. Sie lassen darauf schließen, dass der Papst vor allem aus einem Grund auf Franco zuging: Er wollte der Gefahr einer nationalsozialistischen Infiltration des Franco-Staats in statu nascendi begegnen. Nachdem im Deutschen Reich 1937 der „Kirchenkampf“ eskaliert war, vollzog der Heilige Stuhl einen radikalen Strategiewechsel in seiner Spanienpolitik. Der völkerrechtlichen Anerkennung Francos folgte ein intensives diplomatisches Engagement mit dem Ziel, den deutschen Einfluss wenn nicht zu brechen, so doch zu marginalisieren. Der Vatikan gewann das ideologische Ringen gegen Hitler: Franco gründete sein Regime auf das Fundament einer traditionalistisch-reaktionären Weltanschauung; die katholische Kirche wurde zu einem seiner Eckpfeiler.
Abstract
The author illuminates the position of the Holy See in the Spanish Civil War. He analyses, why Pope Pius XI took sides in favour of the insurrectionists under General Franco, long before the outcome of the conflict was foreseeable. Sources from Vatican archives reveal new perspectives on decisions and strategies of the Holy See. They indicate, that the Pope reached out to Franco mostly for one reason: He wanted to confront the danger of a National Socialist infiltration of the Franco state in statu nascendi. After the Kirchenkampf (church struggle) in the German Reich had escalated in 1937, the Holy See carried out a radical shift in strategy in its policy on Spain: Its international recognition of Franco was followed by intensive diplomatic engagement with the goal of at least marginalising, if not breaking German influence. The Vatican won its ideological struggle against Hitler: Franco based his regime on the foundation of a traditionalist-reactionary Weltanschauung; the Catholic Church became one of its cornerstones.
Vorspann
Im Sommer 1937 war noch nicht abzusehen, dass die von Italien und dem Deutschen Reich unterstützten Truppen General Francisco Francos im Spanischen Bürgerkrieg den Sieg über die Republik davontragen sollten. Daher zögerten auch die Entscheidungsträger im Vatikan – allen voran Papst Pius XI. und sein Staatssekretär Eugenio Pacelli –, offen Partei für die Aufständischen zu ergreifen, obwohl sie ihnen weltanschaulich nahestanden. Sollte Franco scheitern, so die Befürchtung, wäre auch der Heilige Stuhl kompromittiert. Dass sich Rom dennoch frühzeitig aus der Deckung wagte und Francos Regime bereits in statu nascendi anerkannte, hatte einen lange übersehenen Grund: Die Spanienpolitik des Vatikans war eine abhängige Variable seiner Politik gegenüber dem Dritten Reich, das seinen Einfluss auf der iberischen Halbinsel offen auszubauen bestrebt war. Der Heilige Stuhl setzte letztlich erfolgreich darauf, den Nationalsozialismus in Spanien durch eine feste Verbindung mit Franco zu marginalisieren.
I. Einleitung
Es ist hinlänglich bekannt, dass die katholische Kirche eine der wichtigsten Stützen des Franco-Regimes in Spanien gewesen ist, insbesondere bis Mitte der 1960er Jahre.[1] Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat gewann seine Konturen im Laufe des Spanischen Bürgerkriegs, der mit dem Militärputsch vom 18. Juli 1936 seinen Anfang nahm. Die spanische Kirchenhierarchie stand schon seit den ersten Tagen dieses Konflikts fast geschlossen auf der Seite General Francisco Francos und trat im Bürgerkrieg offen für den Sieg der von ihm geführten Nationalen Bewegung[2] gegen die Republik ein.[3] Neben zahlreichen Hirtenbriefen und Fotos von spanischen Bischöfen und Kardinälen in faschistischer Grußpose während der Kriegsjahre zeugt davon in gestochen scharfer Manier der gemeinsame Brief des spanischen Episkopats an die Bischöfe der ganzen Welt über die Lage in Spanien, der am 1. Juli 1937 veröffentlicht wurde. Francos Krieg wurde als Kreuzzug zur Verteidigung von Ordnung, Frieden und religiösem Leben gerechtfertigt, als legitimer Aufstand gegen eine drohende Revolution des materialistischen Marxismus und Anarchismus.[4]
Differenzierter war hingegen die Position, die das Leitungsgremium der Weltkirche, der Heilige Stuhl, gegenüber den Franquisten bezog. Zwar hatte das Regime den Vatikan jahrzehntelang als treuen Alliierten der ersten Stunde präsentiert,[5] aber schon in den 1980er Jahren stieß die Forschung in den Akten des spanischen Außenministeriums und in Nachlässen kirchlicher Würdenträger auf Indizien, dass die vatikanische Diplomatie gegenüber den Aufständischen von Misstrauen und Vorsicht geprägt war.[6]
Erst der Zugang zu den Dokumenten der vatikanischen Dikasterien aus der Zeit des Pontifikats Papst Pius’ XI. zwischen dem 6. Februar 1922 und dem 10. Februar 1939 ermöglicht es seit 2006, die päpstliche Haltung gegenüber General Franco und seiner Regierung während der Bürgerkriegsjahre historiografisch aufzuarbeiten; dabei kommt dem Schriftgut des Staatssekretariats unter Leitung von Kardinal Eugenio Pacelli und der Kongregation für außerordentliche kirchliche Angelegenheiten besondere Bedeutung zu. Diese Quellen ergänzen schon früher verfügbares Archivmaterial, das überwiegend aus den Beständen der Außenministerien der wichtigsten europäischen Mächte stammt. Wenngleich man der Haltung des Vatikans zu Spanien in den 1930er Jahren nicht dieselbe Aufmerksamkeit entgegenbringt wie der Position des Papstes gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland oder dem faschistischen Italien, wirft eine Handvoll wertvoller wissenschaftlicher Beiträge neues Licht auf die Beziehung zwischen dem Vatikan und Franco, die sich zunehmend als vielschichtig und überaus komplex herausstellt.[7]
Ziel des vorliegenden Aufsatzes ist es, auf der Basis von Primärquellen vielfältiger Herkunft[8] die bisher unterschätzte, aber entscheidende Bedeutung aufzuzeigen, die das zutiefst belastete Verhältnis zwischen dem Heiligen Stuhl und dem nationalsozialistischen Deutschen Reich für die Positionierung des Vatikans an der Seite General Francos und seiner Kriegspartei besaß. Zwar war dem Papst und den Nationalen in Spanien ein tief verankerter Antikommunismus gemein, aber nicht diese ideologische Affinität sollte die Entscheidung des Papstes zugunsten Francos herbeiführen, sondern vielmehr die Kehrtwende des Heiligen Stuhls gegenüber den totalitären Regimen rassistischer Prägung im Jahr 1937. Während der Papst jahrelang mit dem Faschismus geliebäugelt hatte und nach Hitlers „Machtergreifung“ kurzfristig auch im Nationalsozialismus ein mögliches Bollwerk gegen die weitere Ausbreitung des Kommunismus sah, avancierte seine zunehmende Aversion gegen das Hitler-Regime 1936/37 zum entscheidenden Faktor, der das Verhältnis des Papstes und der Kurie gegenüber den Nationalen und General Franco bestimmte.[9] Dieser Konnex, der alle Berührungspunkte überwölbte, rührte vor allem daher, dass sich der Generalissimus schon wegen der unabdingbaren deutschen Militärhilfe in die Abhängigkeit des Dritten Reichs begeben hatte.
II. Erste Deutungsversuche aus dem Vatikan: Das katholische Spanien im Kampf gegen die kommunistische Revolution
Der Vatikan war vom Militärputsch überrascht worden. Die Apostolische Nuntiatur in Madrid war vakant, der berufene Nuntius Filippo Cortesi, der am 30. Mai 1936 das Placet der Regierung erhalten hatte, noch nicht in Spanien eingetroffen.[10] Monsignore Silvio Sericano leitete als Charge dʼaffaires provisorisch die Geschäfte der päpstlichen Vertretung, verließ die spanische Hauptstadt aber am 4. November auf Anweisung Roms wegen drohender Lebensgefahr.[11]
Die ersten Wochen und Monate des Bürgerkriegs auf der iberischen Halbinsel waren im Vatikan vor allem davon geprägt, die unklaren Verhältnisse und Entwicklungen in militärischer und politischer Hinsicht einzuordnen und zu bewerten.[12] Dafür war man auf Berichte unterschiedlicher Herkunft angewiesen. Abgesehen von den Erläuterungen Sericanos, zählten zu den zahlreichen Informanten unter anderem spanische Bischöfe, allen voran ihr Primas Isidró Gomá y Tomás, Erzbischof von Toledo, sowie der General des Jesuitenordens P. Włodzimierz Ledóchowski und die Oberen weiterer religiöser Orden, die Erfahrungsberichte aus Spanien weiterleiteten. Dazu kamen Geistliche, die der Verfolgung aus den republikanischen Gebieten entronnen waren und in Rom Zuflucht gefunden hatten.[13] Ihre Zeugnisse vom Ausmaß und der Brutalität der Kirchenverfolgung im republikanischen Teil Spaniens waren ausschlaggebend für die erste offizielle öffentliche Stellungnahme des Heiligen Stuhls in Form einer Ansprache von Pius XI. am 14. September vor etwa 500 spanischen Geflüchteten in Castelgandolfo. Der Papst brach sein anfängliches Schweigen, um die „apokalyptischen Verwüstungen, Massaker und Profanierungen“ zu verurteilen, die Opfer als Märtyrer zu bezeichnen und die in „satanischer“ Weise geplante „Umwälzung“ anzuprangern, die – in klarer Anspielung auf den internationalen Kommunismus – von jenen „subversiven Kräften“ vorbereitet worden sei, die schon „von Russland bis China“ und von „Mexiko bis Südamerika alles Weltliche und Geistliche ihrer absurden und zerstörerischen Ideologie“ zu unterwerfen getrachtet hätten und nach der „Eroberung der gesamten Welt“ strebten. Gleichzeitig spendete er denjenigen seinen „besonderen Segen“, die die „schwere und gefährliche Aufgabe“ wahrnahmen, das „Recht Gottes und der Religion“ zu verteidigen und wiederherzustellen.[14]
Wenngleich der Papst weder die Aufständischen beim Namen nannte noch die Republik explizit verurteilte oder den in Spanien schon gebräuchlichen Begriff des Kreuzzugs verwenden wollte, zeigten seine klaren Worte, wie man in der Kurie den Bürgerkrieg interpretierte: als revolutionären Kampf des materialistischen Marxismus gegen die traditionelle soziale und wirtschaftliche Ordnung Spaniens sowie gegen die katholische Religion und Kirche, geführt mit offener Unterstützung der Sowjetunion, ja sogar von Moskau geplant.[15] Der Aufstand unter Führung konservativer und liberaler Militärs mochte die kommunistische Revolution erst ausgelöst haben, aber er kam dieser in jedem Fall zuvor und zielte auf die Verteidigung von Tradition und Religion.[16] Es handle sich in Spanien also um einen Kampf auf Leben und Tod zwischen der Barbarei des marxistischen Atheismus, den Papst Pius XI. 1936 öffentlich noch als größte ideologische Gefahr der Gegenwart bezeichnet hatte,[17] und der christlichen Tradition.[18]
Zahlreiche Berichte unterschiedlichster Herkunft befeuerten im Vatikan die Überzeugung, die offene Einmischung der Sowjetunion auf der iberischen Halbinsel sei Teil eines sowohl revolutionär-ideologisch als auch geopolitisch begründeten Expansionsprojekts Stalins, das die Gefahr eines europäischen Konflikts erheblich verstärke.[19] In diesem Sinn verschmolzen die religiösen Beweggründe für die Verurteilung der kommunistischen Machenschaften in Spanien mit den politischen.
Die Sichtweise des Vatikans blieb den gesamten Herbst 1936 über weitgehend unverändert. Kardinal Gomá bekräftigte in seinen regelmäßigen Berichten den Willen der Nationalen zum Aufbau eines katholischen Staats, lobte das katholische Weltbild, das den militärischen Verantwortungsträgern mehrheitlich eigen sei, und unterstrich, die Behörden der Junta respektierten die Freiheit der Kirche und unterstützten sie tatkräftig.[20] Diese Nachrichten trugen dazu bei, dass sich im Staatssekretariat vorübergehend eine simplizistische Sicht der Dinge verfestigen konnte: Die Republik stand nicht für Demokratie, sondern für Anarchismus, Bolschewismus und Antiklerikalismus; dagegen führten die Nationalen unter Francos Kommando einen Kreuzzug im Namen der Freiheit, der Nation und der Religion.[21]
Trotz des Ausmaßes der Kirchenverfolgung[22] entschied sich der Heilige Stuhl nicht für einen formellen Abbruch der Beziehungen zur Republik. Ein Grund dafür war die Befürchtung, ein solcher Schritt könne die Übergriffe im republikanischen Teil Spaniens weiter anheizen und die Katholiken dadurch in noch größere Not stürzen. Überdies stand es noch lange nicht fest, wie der Krieg ausgehen würde – insbesondere nach dem im November gescheiterten Sturm von Francos Truppen auf die Hauptstadt. Ein Bruch mit der Republik stellte daher ein unnötiges Risiko dar. Dazu kommt im Zusammenhang mit den Leitlinien der vatikanischen Diplomatie unter Pius XI. ein weiteres zentrales Motiv für die Zurückhaltung des Vatikans: in kriegerischen Auseinandersetzungen nicht Partei zu ergreifen und die Neutralität zu wahren. Der Papst als Institution über den Mächten und somit möglicher Friedensvermittler sicherte dem Heiligen Stuhl weltpolitisches Prestige.[23]
Währenddessen brachte die Militärjunta von Burgos gegenüber dem Vatikan wiederholt den Wunsch nach diplomatischer Anerkennung zum Ausdruck, die angesichts des internationalen Ansehens und Einflusses des Heiligen Stuhls einer substanziellen Aufwertung der Nationalen entsprochen hätte. Das außenpolitische Beratungsgremium des Papstes, die Kongregation für außerordentliche kirchliche Angelegenheiten, beschäftigte sich am 17. Dezember 1936 mit der Situation in Spanien. Die 14 teilnehmenden Kardinäle beleuchteten die spanische Frage aus militärischer, religiöser und politischer Perspektive. Militärisch gesehen war bisher keine Kriegspartei in der Lage gewesen, die andere entscheidend zu schwächen; das sprach dafür, die Anerkennung zu vertagen, bis die Würfel auf dem Schlachtfeld gefallen waren. Stattdessen gab es aus religiöser beziehungsweise moralischer Perspektive ein klares Votum zugunsten der Aufständischen unter General Franco, der sich öffentlich für einen neuen spanischen Staat auf der Basis der katholischen Soziallehre ausgesprochen hatte – für ein Regime also, das die Aussicht eröffnete, kirchliches Leben zu entfalten und Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen. Die Bedenken, die Anerkennung könne die Kirchenverfolgung in den republikanischen Gebieten noch verstärken, teilten angesichts der ohnehin als dramatisch beurteilten Lage nur noch wenige Kardinäle.[24]
Die komplexeste Frage betraf die politische Dimension des Konflikts. Maßgeblich in den Erwägungen der Kardinäle war die Gefahr der Sowjetisierung Spaniens, die klar für eine unterstützende Anerkennung Francos sprach.[25] Auf der anderen Seite war aber noch nicht abzuschätzen, wie stabil die Junta von Burgos sein würde, die sich lediglich als provisorische Notregierung konstituiert hatte[26] – und es bestand die Gefahr, durch die völkerrechtliche Anerkennung einer Internationalisierung des Konflikts Vorschub zu leisten. Sollte der spanische Konflikt ganz Europa in den Krieg ziehen, wollte der Heilige Stuhl weder seine Neutralität noch sein internationales Prestige kompromittiert sehen. Ein Bruch mit Madrid würde zudem die vatikanischen Beziehungen zu Frankreich und Großbritannien belasten, was angesichts der drohenden Kriegsgefahr als nicht gerade vorteilhaft erschien.[27]
Trotz der einhelligen Sympathien der Kardinäle für das nationale Lager[28] musste Pacelli seine Pläne modifizieren, einen hochrangigen spanischen Bischof als offiziellen Geschäftsträger nach Salamanca zu entsenden – dieser Schritt wäre der völkerrechtlichen Anerkennung gleichgekommen –, nachdem eine Mehrheit des Kollegiums (neun von 14 Stimmen) für eine Strategie der pragmatischen Vorsicht optiert hatte. So bestellte der Papst Ende Dezember den Primas von Spanien und Erzbischof von Toledo nur als seinen „vertraulichen und provisorischen Vertreter“ bei der Franco-Regierung.[29] Dieser Schritt sollte den Caudillo zumindest symbolisch der Unterstützung und Wertschätzung des Pontifex versichern; vor allem aber sollte Gomá den Vatikan mit detaillierten, vertrauenswürdigen Informationen und Einschätzungen über die zukünftige (religions-)politische Ausrichtung der aufständischen Kriegspartei versorgen und bei Franco im Namen des Papstes für die Interessen der Kirche eintreten. Die vollständige Anerkennung sollte bis zur Konstituierung einer staatlichen Administration aufgeschoben beziehungsweise vom Kriegsverlauf abhängig gemacht werden. Ebenso wollte man sich den Schritt als Unterpfand für zukünftige Verhandlungen um die Rechte der Kirche im neuen Staat vorbehalten.[30]
Aus den vatikanischen Akten der zweiten Jahreshälfte 1936 – insbesondere aus den Dokumenten zur Sitzung der zuständigen Kongregation im Dezember – ergibt sich ein eindeutiges Bild: Die Präsenz Deutschlands und Italiens auf dem spanischen Kriegsschauplatz war in diesen Monaten kein relevantes Kriterium, das die päpstliche Haltung gegenüber den Nationalen bestimmt hätte. Die militärische Unterstützung Francos durch die „Achse“ in statu nascendi wurde neutral bis positiv gedeutet, da sie die Chancen der Aufständischen im Kampf gegen die Verfolger der Kirche verbesserte, die ihrerseits auf sowjetische Militärhilfe zählen konnten. Die einzige Sorge in diesem Zusammenhang galt der unvorteilhaften internationalen Wahrnehmung, der sich der Heilige Stuhl bei einer politischdiplomatischen Positionierung zugunsten Francos aussetzte. Eine mögliche ideologische Vereinnahmung der Aufstandsbewegung durch Faschismus oder Nationalsozialismus wurde von den Entscheidungsträgern im Vatikan noch überhaupt nicht in Erwägung gezogen.
III. Strategiewechsel. Die päpstliche Spanienpolitik vor dem Hintergrund des „Kirchenkampfs“ in Deutschland und der Enzyklika „Mit brennender Sorge“
Tatsächlich hatte Hitler noch im Juli 1936 beschlossen, den Militäraufstand in Spanien durch Waffenlieferungen und – in begrenztem Ausmaß – durch die Entsendung von Soldaten zu unterstützen. Ausschlaggebend dafür waren in erster Linie geopolitische und strategische Überlegungen. Ein Konflikt sollte die Aufmerksamkeit der demokratischen Mächte so lange als möglich auf die Pyrenäenhalbinsel richten und damit von Deutschland ablenken.[31] Zudem konnte ein befreundetes Spanien zukünftig als Rohstoffbasis für die Rüstungsindustrie relevant sein und sicherte weiterhin in einem etwaigen Feldzug gegen Frankreich die Südflanke.[32] Eine ideologische Propagierung des Nationalsozialismus in Spanien erachtete Hitler als „unmöglich, überflüssig und absurd“.[33] Dem diplomatischen Vertreter Deutschlands in Franco-Spanien, Wilhelm Faupel, gab Hitler im November 1936 den Auftrag, sich nicht in innere Angelegenheiten einzumischen. Das künftige politische System Spaniens sei gleichgültig, solange Frankreich, Großbritannien und die Sowjetunion aus dem Spiel seien, „damit Spanien im Krieg nicht auf der Seite der Gegner steht“.[34]
Um die strategischen Interessen Deutschlands in Spanien zu wahren, erachtete es Faupel – ein überzeugter Nationalsozialist – aber für notwendig, die Plattform für eine zwar indirekte, aber doch systematische und wirkungsvolle Einflussnahme auf das neue Regime zu schaffen. So sollten die ideologischen Prinzipien des Nationalsozialismus propagiert und in der Gesellschaft mit ihren Eliten verankert werden.[35] Als natürlicher Verbündeter erwies sich die weltanschaulich verwandte, faschistisch inspirierte Partei Falange Española.[36] Ihre Milizen, 1935 zahlenmäßig noch unbedeutend, wurden in den ersten Kriegsmonaten zu einem Sammelbecken für jene Teile der Bevölkerung, die die Aufständischen mit der Waffe in der Hand unterstützten wollten, und für die Militärjunta damit zu einem Machtfaktor von erheblicher Relevanz. Mit dem Nationalsozialismus verband sie ihr ultranationalistischer und revolutionärer Charakter sowie die angestrebte totalitäre Ausrichtung der staatlichen Strukturen. Einen grundlegenden Dissens gab es allerdings bei der Rolle, die der katholischen Religion zugedacht war; José Antonio Primo de Rivera, Gründer der Falange, hatte in ihr ein „konstitutives Moment des Selbstverständnisses des zu schaffenden neuen Staates“ gesehen.[37]
Die Amtskirche hatte in den Augen der Falange eine Institution zu sein, die im erneuerten totalitären Spanien den Staat aus einer untergeordneten Rolle heraus unterstützte, aber nicht mit ihm konkurrierte. Der Vatikan war der Falange grundsätzlich suspekt, weil er als externer Akteur über den spanischen Episkopat Einfluss auf die innenpolitischen Verhältnisse nehmen und eine spanische Nationalkirche grundsätzlich zu verhindern suchen würde.[38]
So fanden Faupel und die Falange auch im Antivatikanismus – wenngleich spanischerseits in milder Form – ein gemeinsames Aktionsfeld, das sowohl den innenpolitischen Interessen der Partei entsprach als auch den Rahmenbedingungen des „Kirchenkampfs“ im Dritten Reich Rechnung trug. Die Unterstützung der Falange und die Besuche führender Mitglieder bei NS-Partnerorganisationen in Deutschland, von Faupel organisiert und mit deutschen Mitteln finanziert, sollten dazu dienen, das nationalsozialistische Vorbild anzupreisen und Bewunderung – verbunden mit Nachahmungswillen – für die soziale und politische Ordnung des Deutschen Reichs zu wecken.[39]
Ausgerechnet in den Wochen um die Veröffentlichung der Enzyklika „Mit brennender Sorge“ am 21. März 1937, in der Pius XI. die Verletzung der Rechte der deutschen Katholiken durch das Hitler-Regime und grundsätzlich auch die nationalsozialistische Ideologie erstmals öffentlich anprangerte, begannen in Rom Berichte Kardinal Gomás über die innenpolitischen Entwicklungen im nationalen Spanien einzutreffen, die eine zunehmende Ausrichtung der Falange auf nationalsozialistische Ideen zum Ausdruck brachten. Franco selbst sei zwar ein überzeugter Katholik und identifiziere sich „völlig mit der Kirche“, aber es sei mehr als fraglich, ob sein Credo die ideologische Basis des neuen Staats bilden würde oder das der Falange.[40]
Das Vereinigungsdekret vom 20. April trug nicht dazu bei, die Sorgen im Vatikan zu verringern. Die Art der Verschmelzung der politischen Parteien in einer Einheitspartei legte nämlich den Schluss nahe, dass die Falange Española zur staatstragenden Kraft und ihr Programm zur ideologischen Basis des Staats gemacht werden sollte. Die Monarchisten (Renovación Española) und die der Katholischen Aktion nahestehende Confederación Española de Derechas Autónomas (CEDA) wurden aufgelöst, die Traditionalisten mit der Falange zusammengeführt. Dass der päpstliche Vertreter bei Franco Gerüchte kolportierte, das Dekret sei auf Druck aus Deutschland und Italien zustande gekommen, mahnte in Rom zu äußerster Vorsicht.[41]
Wie stark die schwierigen kirchlichen Verhältnisse in Deutschland die vatikanische Position gegenüber den Nationalen prägten, wird aus einer Audienz des Kardinalstaatssekretärs mit dem offiziösen diplomatischen Vertreter des nationalen Spanien beim Heiligen Stuhl deutlich. Antonio de Magaz wusste seinen Vorgesetzten Folgendes zu berichten: „Kardinal Pacelli ist weiterhin extrem besorgt über die Projekte und das Programm der Falange Española. Der Gedanke, dass in Spanien dasselbe passieren könnte wie in Deutschland, erfüllt ihn mit Entsetzen.“[42] Tatsächlich bereitete „das, was in Deutschland vor sich geht“, dem Heiligen Stuhl „größeren Schmerz und Kummer als die Religionsverfolgung im republikanischen Spanien“, zitierte der französische Botschafter den Kardinalstaatssekretär etwa zeitgleich.[43]
Mit den Osterenzykliken über den Kommunismus („Divini Redemptoris“) und den Nationalsozialismus („Mit brennender Sorge“) hatte Pius XI. seine langsam gereifte Überzeugung zum Ausdruck gebracht, der Nationalsozialismus sei wie der Kommunismus eine atheistisch-totalitäre Ideologie; daher müsse er von der Kirche wie der Kommunismus bekämpft werden.[44] Aus dieser Einschätzung ergaben sich aber unmittelbare Konsequenzen für die Spanienpolitik des Vatikans.
Auf päpstliche Anweisung setzte sich die Kongregation für außerordentliche kirchliche Angelegenheiten im Juni erneut mit der Thematik auseinander. Wieder war der unmittelbare Anlass die Prüfung der de jure Anerkennung der nationalen Regierung, die von Salamanca immer vehementer gefordert wurde. Die Vorzeichen für einen dezidierten Schritt des Vatikans in diese Richtung schienen schlecht zu stehen. Schließlich trafen zwei Faktoren zusammen: der Versuch einer verstärkten Einflussnahme Hitlers auf das zukünftige politische System Franco-Spaniens und der verschärfte „Kirchenkampf“ in Deutschland, wo die sogenannten Sittlichkeitsprozesse die Diffamierungskampagne gegen die Kirche und den Papst anheizten.[45]
Gerade den Spanienkenner Kardinal Federico Tedeschini – von 1921 bis Anfang 1936 Nuntius in Madrid – trieb eine Sorge um: Wie stark würde die ideologische Schlagseite ausfallen, wenn die Franco-Regierung unter den Einfluss der Urfalange geriet, hinter der Hitlers Reich und der Nationalsozialismus standen? Der Kardinalstaatssekretär teilte diese Bedenken:
„Ist es für den Heiligen Stuhl sinnvoll, sich dem faschistischen Block von Italien und Deutschland (im weiteren Sinn auch Japan) anzuschließen? Nazi-Deutschland? Das die Kirche verfolgt? Auch wenn der Heilige Stuhl nicht diese Absicht hat, würde der Eindruck erweckt, dass er mit einer Gruppe übereinstimmt, in der es jemanden gibt, der die Religion zerstören will. Auch unter den Anhängern Francos gibt es nazistische Tendenzen, die Hitler vergöttlichen.“[46]
Für Tedeschini war dieser Punkt ein entscheidendes Hindernis für jede weitere Annäherung an die Nationalen. Pacelli hingegen war bereit, einen zaghaften Schritt auf Franco zuzugehen, um diesen nicht weiter zu verstimmen und damit indirekt den deutschen Interessen in die Hände zu spielen. Er schlug vor, einen diplomatischen Vertreter Francos als offiziellen Geschäftsträger beim Heiligen Stuhl zu akkreditieren. Diese Maßnahme wäre jener völkerrechtlichen Anerkennung gleichgekommen, die der General benötigte, gleichzeitig hätte die Kurie den Schritt öffentlich als sehr begrenztes Zugeständnis abtun können, zumal sie keinen Diplomaten im Rang eines Nuntius nach Salamanca entsenden wollte. Doch Pacelli konnte sich nicht gegen die Mehrheit der Kardinäle durchsetzen, deren Sicht nicht ideologisch, sondern pragmatisch-opportunistisch begründet war; der Sieg Francos war immer noch ungewiss. Wie schon im Dezember 1936 beantwortete die Kongregation die Frage, ob die Anerkennung der Franco-Regierung opportun sei, negativ.
Dass das Staatssekretariat diese Position mit dem expliziten Segen des Papstes schon nach wenigen Wochen widerrief, war auf einen fundamentalen Strategiewechsel zurückzuführen, den neue Informationen aus Spanien hervorgerufen hatten. In einem ausführlichen politischen Lagebericht[47] informierte Kardinal Gomá über „Gründe zur Beunruhigung, was die Zukunft“ der Kirche im neuen Spanien betreffe, und die „äußerst delikate Situation“ für den Heiligen Stuhl. In weiten Teilen der franquistischen Führungsriege beginne sich die positive Grundeinstellung gegenüber dem Vatikan zu wandeln. Franco selbst sei verbittert über die ausbleibende Anerkennung, viele hochrangige Mitglieder der provisorischen Regierung und des Militärs nähmen eine zunehmend feindselige Haltung ein. Das Prestige des Heiligen Stuhls leide auch in katholischen Kreisen, man höre Rufe nach einer „Nationalkirche in Unabhängigkeit von Rom“, die sich dem Staat unterordnen solle. Insgesamt verliere die Bewegung den grundlegend religiösen Charakter ihrer Anfänge, die staatlichen Anordnungen seien zunehmend „zivilistisch, wenn nicht sogar laizistisch“ geprägt.
Der Vertreter des Papstes führte diese Situation auf drei Gründe zurück: die vom Vatikan unterstützte Religionspolitik der republikanischen Regierung zwischen 1933 und 1935, in Anspielung auf den politischen und sozialen Aktivismus der Katholischen Aktion; die ausgebliebene Anerkennung des Heiligen Stuhls und „vor allem [...] die tendenziösen Anstrengungen ausländischer Politiker“, die die Situation ausnutzten, um „den deutschen Nationalsozialismus und die Abneigung gegenüber dem Heiligen Stuhl“ zu verbreiten.
Des Weiteren wusste Gomá zu berichten, es gebe Anzeichen dafür, dass die Vereinigung der Falange doch von Deutschland und Italien erzwungen worden sei. Nun sollte es darum gehen, mithilfe der Urfalange den „nationalen Geist“ zu „infiltrieren“. Die deutschen Anstrengungen würden mit allen Mitteln betrieben und zeitigten schon beunruhigende Resultate, sowohl was die antivatikanische Propaganda in Medien der Urfalange betreffe als auch die weltanschauliche Beeinflussung des nationalen Militärs seitens deutscher Offiziere. „Wir werden den Krieg gewinnen, aber den Frieden verlieren“, urteilte Gomá mahnend in einem persönlichen Schreiben vom 26. Juni an Kardinal Pacelli, das er seinem offiziellen Bericht vom vorherigen Tag nachsandte.[48] „Während die feindliche Tendenz mit jedem Tag erstarkt, verlieren wir wertvolle Zeit für die Kooperation.“ Deutlicher konnte der Vertreter des Papstes die Empfehlung für einen drastischen Wechsel der vatikanischen Spanienpolitik seinem Dienstvorgesetzten kaum vermitteln.
Dieser Kurswechsel erfolgte tatsächlich unmittelbar nach dem Eintreffen des Berichts in Rom. Am 30. Juni war auf Pacellis Schreibtisch noch die in den vorangegangenen Tagen entworfene und zweimal überarbeitete Antwort an Gomá zur Unterschrift bereitgelegen. Darin bat er den spanischen Primas, Franco wissen zu lassen, dass der Heilige Stuhl seiner Bitte um Anerkennung weiterhin nicht nachkommen könne. Detailliert fanden sich die von der Kongregation vorgebrachten Widerstände erklärt, wobei die unklare militärische Lage und die Gefahr einer ideologischen Anlehnung Francos an Hitler besonders schwer wogen.[49]
Der Brief wurde niemals abgeschickt.[50] Die Einschätzungen Gomás waren für Pacelli nicht nur besorgniserregend, sondern auch überzeugend. So entwickelten sie sich in den ersten Julitagen zur Grundlage für eine Entscheidung zugunsten einer aktiveren Politik des Heiligen Stuhls in der Spanienfrage. Pacelli hatte erkannt, dass sich das neue Regime einem für die Zukunft der Kirche in Spanien fundamentalen ideologischen Entscheidungsmoment näherte, in dem der Vatikan seine berechtigten Interessen nicht aus der Position eines neutralen Außenstehenden schützen konnte. Ohne eine unmittelbare Einflussnahme auf die innerspanischen Angelegenheiten schien es wahrscheinlich, dass sich im Wettbewerb zwischen der Expansion des Nationalsozialismus und der Restauration des konservativen, an die katholische Soziallehre angelehnten Gesellschaftsmodells die Anhänger Hitlers durchsetzen würden. In diesem Fall zeichnete sich für das kirchliche Leben in Spanien ein unheilvolles Szenario ab, denn die Kirche würde, unabhängig von einem Sieg der Nationalen oder der Republik, aus dem öffentlichen Leben – und gegebenenfalls auch aus dem privaten – verschwinden.[51] Außerdem bot die vatikanische Zurückhaltung in der Spanienfrage der antikatholischen Goebbels-Propaganda in Deutschland eine weitere Angriffsfläche.[52]
Angesichts dieser Perspektiven empfahl der Kardinalstaatssekretär Pius XI., die Zurückhaltung des Heiligen Stuhls gegenüber den Nationalen aufzugeben und sein Gewicht in die Waagschale der spanischen Innenpolitik zu werfen. Wenn es darum ging, gegen den Nationalsozialismus Partei zu ergreifen, war der Papst spätestens seit der Veröffentlichung der Enzyklika „Mit brennender Sorge“ kaum zu bremsen.[53] Da von einer neuerlichen Konsultation der zuständigen Kongregation Abstand genommen wurde, ist anzunehmen, dass der Papst in keiner Weise an der zu treffenden Entscheidung zweifelte. Im Einvernehmen mit seinem Staatssekretär, aber gegen den mehrheitlichen Rat der Kurie, führte der Papst den Heiligen Stuhl in einen ideologischen Kampf, der in der spanischen Arena ausgefochten werden sollte.
Am 21. Juli unterrichtete Pacelli Kardinal Gomá, der Vatikan sei bereit, Magazʼ Nachfolger als „offiziellen Geschäftsträger jener Regierung beim Heiligen Stuhl“ zu empfangen.[54] Der Papst sei über die laizistischen Entwicklungen in der Regierung bedrückt, besonders was die religiöse und moralische Erziehung betreffe.
„Der Heilige Vater hofft gemeinsam mit Ihnen, dass die aktuelle traurige Situation ‚vorübergehend‘ sein wird, und setzt sein Vertrauen in die allseits bekannte katholische Überzeugung S. E. General Francos, dem er seine Genugtuung wegen seiner treuen Ergebenheit dem Heiligen Stuhl gegenüber erneuert. [...] Ich ersuche Eure Eminenz, den Herrn General darüber in Kenntnis zu setzen und ihm gleichzeitig das Vertrauen des Heiligen Vaters zu versichern, welches er aus der großzügigen Haltung des Generals gegenüber der Kirche in Spanien schöpft [...].“[55]
Zeitgleich entsandte der Vatikan im Juli einen Diplomaten in das nationale Spanien. Monsignore Ildebrando Antoniutti wurde mit dem Auftrag, sich um die Rückkehr baskischer Kinder in ihre Heimat zu bemühen, am 21. September als offizieller päpstlicher Geschäftsträger – aber nicht im Rang eines Apostolischen Nuntius – bei der Regierung Francos akkreditiert.[56]
IV. Der Papst in der spanischen Arena und das Ringen um die gesellschaftspolitische Ausrichtung des neuen Staats
Im Kern bestand die vatikanische Strategie darin, Franco mit der völkerrechtlichen Anerkennung einen außenpolitischen Sieg zu verschaffen, der sich im Innern zu mehr politischer Autonomie von der Falange und damit gegenüber jeglicher Einmischung aus dem Ausland ummünzen ließ. Durch die Unterstützung signalisierte Rom auch den grundsätzlichen Willen zum Aufbau einer Allianz zwischen Staat und Kirche. Wenn sich Franco für ein autoritäres Regime auf der Basis solider katholischer Tradition entscheide, stehe nicht nur die spanische Kirche, sondern auch der Papst – und damit der Weltkatholizismus – als tragende Kraft an seiner Seite. Zu hoffen war, dass Franco diese Option aufgrund seines tiefen katholischen Glaubens und seiner konservativen politischen Überzeugungen als attraktiver und zukunftsfähiger erachten würde als die Bildung eines revolutionären Staats nach nationalsozialistischem Vorbild, gestützt auf eine unerfahrene, impulsive Falange, deren Führung zudem gefährlichen Einflüssen aus dem Ausland ausgesetzt war.
Aufgrund der einschlägigen Erfahrung mit den Nationalsozialisten wusste der Vatikan allerdings, dass die Anerkennung allein nicht ausreichen würde, um Franco dauerhaft gegen die totalitäre Versuchung zu immunisieren. Pacelli wies Antoniutti daher an, sich im Auftrag des Papstes aktiv und direkt in die internen politischen Angelegenheiten der nationalen Regierung einzumischen, um den deutschen Einfluss zu neutralisieren.[57] Das bedeutete vor allem Lobbyarbeit bei den Spitzenvertretern des Regierungsapparats und ebenso unermüdlichen wie nachdrücklichen diplomatischen Protest gegen die proselytische und antivatikanische Propaganda der Falange, und zwar sowohl vor Ort in Salamanca als auch von Rom aus.[58]
Die intensive Besuchstätigkeit des päpstlichen Geschäftsträgers bei Ministern, beim Stab Francos und beim Staatsoberhaupt selbst zeitigten im Herbst gewisse ermutigende Fortschritte. In den Audienzen mit Franco glaubte Antoniutti, ein wachsendes Einvernehmen zu erkennen, nicht nur was die Maßnahmen zur Implementierung eines katholischen Staats betraf, sondern auch im Hinblick auf die Falange und das nationalsozialistische Deutschland. So wertete er es als Erfolg, dass der Generalissimus dem Papst ausrichten ließ: „Einige Freundschaftsbekundungen in Richtung Deutschland betreffen die alliierte Nation, nicht das Staatssystem, das sie leitet. Ich möchte, dass unsere Teilnahme am Leben in Deutschland in diesem Sinn interpretiert wird [...].“ Auch habe er den früheren deutschen Botschafter Faupel im Sommer 1937 abberufen lassen, da dieser „sich zu sehr – und nicht in einem katholischen Sinn und daher auch nicht im Sinne Spaniens – um die Organisationen der Falange gekümmert hat“.[59]
In der wenig versöhnlichen Antwort machte das Staatssekretariat klar, dass der Papst keine Kompromisse Francos mit dem Nationalsozialismus zu akzeptieren bereit war. Wenngleich man verstehe, dass Franco wegen der geleisteten deutschen Hilfe vorsichtig sein müsse, „kann wohl nicht von ‚einigen Freundschaftsbekundungen‘ [...] die Rede sein, sondern von völlig außergewöhnlichen Bekundungen und einer oft übertriebenen Erhöhung einer Regierung, deren Ideologie in ihrer Essenz antichristlich ist und die von einem wilden Verfolger der Kirche geführt wird, der diese – in seinen eigenen Worten –‚in Schande und Schmach ertränken‘ will“. Die durch solches Handeln hervorgerufene Verwirrung der spanischen Katholiken könne auch nicht „durch die Unterscheidung zwischen ‚verbündeter Nation‘ und ‚der Staatsform, die sie leitet‘, unterbunden werden, zumal diese niemals klar und öffentlich geschehen ist“.[60]
Antoniutti machte daher in seiner zweiten Unterredung mit Franco am 22. November deutlich, es sei notwendig, jede politische und ideologische Zusammenarbeit mit Deutschland zu vermeiden, um auf ein weiteres Entgegenkommen des Heiligen Stuhls hoffen zu können. „Gewisse nazistische Einflüsse auf die Nationale Bewegung, sollten sie nicht rechtzeitig verhindert werden, könnten großen Schaden für die religiöse Situation in Spanien anrichten und das katholische Programm, das man einzurichten gedenkt, kompromittieren.“ Der Generalissimus versicherte, dass die spanische Tradition und Zivilisation der deutschen in ihrer Essenz widersprächen und er persönlich keinerlei Sympathie empfinde. „Der Nazismus hat ein heidnisches Programm. Wir haben ein katholisches Programm. Spanien muss katholisch sein gemäß seiner eigenen Tradition und der Lehren der Kirche. Glauben Sie mir, ich sage das aus tiefster Überzeugung.“ Er habe auch deutsche Ärzte ausgewiesen, die in Spanien Methoden zur Sterilisierung einführen wollten, und Journalisten, die unter zu starkem deutschen Einfluss standen, die Arbeitsbefugnis entzogen.[61] Antoniutti sprach auch die Nichtveröffentlichung der Enzyklika über die Lage der Kirche in Deutschland an und übergab Franco ein Exemplar, das dieser aufmerksam zu lesen versprach. Ebenso wollte der päpstliche Abgesandte noch klarere Anweisungen geben, um „die Dominanz der deutschen Propaganda innerhalb der Nationalen Bewegung zu vermeiden“.
Der Geschäftsträger aus Rom veranlasste im Übrigen auch die Bischöfe zur Lektüre der Enzyklika, um ihr Bewusstsein für die Gefährlichkeit des nationalsozialistischen Gedankenguts zu schärfen und sie als Multiplikatoren der vatikanischen Strategie – wie von Pacelli gefordert – auf eine heilsame innere Distanz zur Falange zu bringen.[62] Die Vorbereitungen für eine Veröffentlichung der Enzyklika, die Gomá ein halbes Jahr zuvor noch als kontraproduktiv erachtete, trieb dieser nun ebenso voran wie die kanonische Disziplinierung von Geistlichen, die sich in der Falange politisch engagierten.[63]
Kurz nach der Jahreswende 1937/38 zeitigte das unermüdliche Engagement des Vatikans einen ersten belastbaren Erfolg, nämlich ein für die katholischen Interessen sehr vorteilhaftes Personaltableau, welches die provisorischen Strukturen ablöste.[64] Zwar repräsentierten die neuen Minister die gesamte ideologische Bandbreite der Kräfte, aus denen die Bewegung bestand; die Machtverteilung – von Franco persönlich vorgenommen – war allerdings nicht ausgeglichen, sondern favorisierte die konservativen Kräfte. Von den elf Ministerien war nur das Landwirtschaftsressort einem Mann der Urfalange unterstellt, der für Kultusangelegenheiten zuständige Justizminister war ein kirchenfreundlicher Traditionalist.[65] Insgesamt waren lediglich fünf Prozent der Staatsämter und Führungspositionen in der Partei von Mitgliedern der Urfalange besetzt, während die Traditionalisten 30 Prozent und die Anhänger der ehemaligen CEDA bis zu 50 Prozent stellten.[66]
Die Zusammensetzung des Kabinetts, dessen Minister den Amtseid auf „den Namen Gottes und die heiligen Evangelien“ leisteten,[67] setzte dem Machtanspruch der Falange und ihrer ausländischen Schutzherren klare Grenzen. Franco hatte verstanden, dass er den guten Worten und Versprechungen Taten folgen lassen musste, um beim Papst glaubwürdig zu bleiben. So beschloss das Kabinett schon in seiner ersten Sitzung ein Regierungsprogramm, das an prominenter Stelle das Vorhaben enthielt, die laizistischen Gesetze der Zweiten Republik zu revidieren.[68]
Ebenso Anlass zur Zufriedenheit gab die Neuordnung der Pressezensur. Früher der Partei unterstellt, wurde sie nun in das neu gegründete Innenministerium eingegliedert; die Kirche war eingeladen, für die Belange der Zensur zwei Priester zu bestellen. Die Propagandisten der Falange mussten seither mit empfindlichen Einschränkungen ihres Handlungsspielraums rechnen. Der Innenminister verpflichtete sich außerdem, keine kirchen- oder romfeindlichen Artikel deutscher Medien in der spanischen Presse wiederzugeben, und billigte die vollständige Veröffentlichung der Enzyklika „Mit brennender Sorge“ im ganzen Land. In einigen Zeitungen, berichtete Antoniutti, würden die Lehren und Theorien des Nationalsozialismus sogar schon – wenn auch diskret – kritisiert.[69]
War es dem Vatikan also gelungen, den Einfluss Hitlers bei Franco definitiv zurückzudrängen und das sich konsolidierende Regime des Generalissimus auf die Linie der Kirche einzuschwören? In Rom hatte man auf jeden Fall den Eindruck, dies sei zunehmend der Fall. Anlässlich des Festtags zu Ehren des Papstes, der am 6. Februar begangen wurde, versprach sogar die Urfalange in einer öffentlichen Großkundgebung dem Pontifex „völligen Gehorsam“ und bezeichnete das „katholische und römische Sein und Fühlen Spaniens als den einzig rechten Weg“. Das Innenministerium verbreitete diese Nachricht lautstark über seine eigenen Presseorgane in der spanischen Öffentlichkeit.[70]
Auf Anweisung Pacellis[71] widmete der Osservatore Romano unter dem Titel „Glückwunschfeiern zu Ehren Seiner Heiligkeit in Spanien“ der „Papsttreue des katholischen Spanien“ und der Falange einen ausführlichen Artikel. Offen und direkt sprach der Autor aus dem Staatssekretariat – auf die nationalsozialistischen Infiltrationsversuche anspielend – die Notwendigkeit an, „in der spanischen Presse die Berichterstattung“ über die päpstlichen Enzykliken, „deren massive Ausweitung wir mit Genugtuung verfolgen, noch zu intensivieren, um gegen die beharrliche, von Vorurteilen und Irrungen geleitete Propaganda gegen die göttliche Institution des Papsttums vorzugehen“.[72]
Dieser selbstbewusste Akt vatikanischer Gegenpropaganda deutet darauf hin, dass das Staatssekretariat den Konflikt um die ideologische Vorherrschaft im neuen Spanien wohl als vorerst entschieden erachtete. Man hätte ansonsten keinen öffentlichen Schritt in Erwägung gezogen, der für das Deutsche Reich zweifelsohne eine Provokation darstellen musste. Ende März 1938 gab sich Pacelli gegenüber dem französischen Botschafter überzeugt, dass Franco nach dem militärischen Sieg „keine übermächtige Einflussnahme aus dem Ausland erlauben“ und vielleicht „den Italienern und Deutschen nicht einmal für ihre Dienste dankbar sein“ werde.[73]
Das riskante vatikanische Kalkül vom Sommer 1937 schien sich als richtig zu erweisen; der direkte nationalsozialistische Einfluss auf die Falange schwand, und in der Nationalen Bewegung dominierten konservative, der Kirche nahestehende Kräfte. Das unterstreicht auch die Gesetzgebung, mit der Franco sein Versprechen einer katholisch geprägten Gesellschaftsordnung in die Realität umzusetzen begann. Schon Mitte November 1937 waren per Dekret die Kreuze in die Schulklassen zurückgekehrt; Religionsunterricht und Gebet erhielten in den Lehrplänen einen hohen Stellenwert.[74] Die Demontage des republikanischen Laizismus schritt ebenso rasch voran: Alle laufenden Ehescheidungsverfahren wurden ausgesetzt (3. März 1938), der sonntägliche Messbesuch wurde für alle schulpflichtigen Kinder obligatorisch (8. März), das sozialpolitische Grundgesetz (Fuero del Trabajo, 9. März) bekam ein katholisches Fundament, die Zivilehe wurde aufgehoben (11. März). Der Festtag des heiligen Josef als Patron der Universalkirche, der Gründonnerstag, der Karfreitag und Fronleichnam avancierten zu staatlichen Feiertagen.[75]
Eine besondere Relevanz ist der Wiedererrichtung des Jesuitenordens beizumessen, der 1932 von der republikanischen Regierung aufgelöst worden war. Im Vergleich zu anderen Orden geloben die Jesuiten nicht nur Keuschheit, Armut und Gehorsam, sondern leisten überdies dem Papst ein persönliches Gehorsamsversprechen, was sie zu einem weltweit agierenden Instrument des Heiligen Stuhls macht. Während die Jesuiten im NS-Staat als „Volksschädlinge“[76] galten, erachtete Francos Regierung den indirekten Einfluss, den Rom über die Gesellschaft Jesu ausüben konnte, als hilfreich für den Aufbau des neuen Spanien.[77]
Am 7. März hatte Pacelli die Information Antoniuttis, dass der Justizminister weitere Zugeständnisse an die Kirche mit Verhandlungen über das Patronatsrecht verbinden wollte, mit der Bemerkung kommentiert: „Das ist gerechtfertigt.“[78] Der Heilige Stuhl war nun also bereit, Verhandlungen über die Rechte und Pflichten der Kirche in Spanien aufzunehmen, die per Konkordat geregelt werden sollten. Dieser Schritt implizierte die definitive Entscheidung zugunsten der Nationalen, mit denen Rom von nun an die Zukunft Spaniens verband. Daher gab es für die vatikanische Diplomatie auch keine Gründe mehr, die Beziehungen mit der Franco-Regierung nicht auf die höchste Ebene zu heben.[79] Der Verlauf der militärischen Auseinandersetzungen war nicht mehr entscheidend, erleichterte diese Entscheidung aber. Am 3. März 1938 hatte die wichtige Aragonoffensive begonnen; Mitte des Monats war der Fall der republikanischen Front besiegelt. Francos Truppen stießen bis zum Mittelmeer vor, was zur Aufspaltung der Republik in zwei Territorien führte.
Während der sogenannte Anschluss Österreichs in jenen Märztagen Hitlers Expansionspolitik einen großen Sieg bescherte, musste sich der NS-Staat in Spanien vorläufig dem Vatikan geschlagen geben. In einer Analyse für das Auswärtige Amt resümierte der deutsche Botschafter Eberhard von Stohrer im Mai 1938:
„Feststehen dürfte nach dem heutigen Stand der Dinge nur eines, nämlich daß unter dem gegenwärtigen Regime der Einfluß der katholischen Kirche in Nationalspanien in den letzten Monaten stark gewachsen ist. [...] Abgesehen von diesem scharfen Ruck in der nationalspanischen Kirchenpolitik, die der Vatikan mit der Entsendung eines Nuntius beantwortet hat, liegt aber eine solche Unzahl von kleineren Wahrnehmungen und Erscheinungen vor, daß man zu dem Schlusse kommen muß, daß der Sieg der katholischen Kirche und ihres Einflusses gesichert und damit eine Stärkung der reaktionären Kräfte in Spanien eingetreten ist.“[80]
Die schmerzlich erlernten Lektionen im Umgang mit dem NS-Staat legten es dem Papst und seinem Staatssekretär allerdings nahe, die erfolgreiche Mission Antoniuttis nur als gewonnene Schlacht zu deuten, nicht als endgültige Entscheidung im Ringen um die weltanschauliche Hegemonie in Spanien. Darauf lässt nicht zuletzt die Person des künftigen Nuntius in Burgos schließen: Gaetano Cicognani. Als Apostolischer Nuntius in Wien zwischen 1935 und 1938 war der Erzbischof zu einem ausgesprochenen Kenner nationalsozialistischer Agitation und Infiltration geworden. Überdies hatte das klerikal-faschistische Regime Kurt Schuschniggs in Österreich im Hinblick auf die Stellung der Religion, die als tragende Säule der staatlichen Ordnung galt, einiges mit Nationalspanien gemeinsam. Der Auftrag des Staatssekretariats an Cicognani, die „moderaten Kräfte zu stärken“ und „im Interesse der Kirche und des Katholizismus in Spanien einer zukünftigen Totalisierung des Regimes entgegenzuwirken“, muss im Sinne einer Fortführung der Arbeit Antoniuttis gegen alle Initiativen verstanden werden, den Einfluss der Urfalange und ihrer deutschen Unterstützer auszuweiten.[81]
Pius XI. und Pacelli lagen mit ihrer Einschätzung richtig, denn Berlin war trotz der Rückschläge nicht bereit, in Spanien widerstandslos das Feld zu räumen. Vielmehr setzte man dort auf eine weniger nachvollziehbare, unterschwellige Einflussnahme:
„Die deutschen Interessen in Spanien werden am Ende des Krieges am besten dadurch gewahrt sein, daß wir unsere weltanschaulich berechtigte Anlehnung an die Ur-Falange und deren Förderung politisch nicht so unterstreichen, daß uns diese Haltung – wie das schon von interessierter Seite [dem Vatikan] versucht wird – mit den übrigen in Frage kommenden Kräften in Gegensatz bringt und verhindert, daß wir auch mit ihnen Fühlung halten können. Nur dann wird es uns möglich sein, bei jeder der schließlich möglichen Endlösungen in Spanien eine genügende Verankerung zu besitzen, um das vielleicht jetzt noch durch Verhandlungen mit Spanien zu sichernde – wenn auch nicht vollwertige – Äquivalent für unsere [in] Spanien gebrachten Opfer einigermaßen für die Zukunft zu wahren.“[82]
Das Fundament für die institutionelle Zusammenarbeit zwischen der spanischen Kirche – unter strategischer Führung des Heiligen Stuhls – und dem Franco-Regime war im Frühjahr 1938 mit der Berufung von Cicognani als Nuntius und der Akkreditierung José de Yanguasʼ als Botschafter Spaniens beim Heiligen Stuhl trotzdem unwiderruflich gelegt. Nicht nur hatte sich der Vatikan politisch und diplomatisch für Franco und gegen die Republik entschieden, auch der General hatte sich durch Fakten deutlich gegen den Totalitarismus nach nationalsozialistischem Vorbild und für einen autoritären, katholisch geprägten Staat ausgesprochen. Die so zustande gekommene Verbindung zwischen Rom und Burgos, zwischen der Kirche und Franco, sollte sich in den folgenden Monaten und Jahren – wenn auch nie reibungslos[83] – zu einer Allianz konsolidieren; der Nationalkatholizismus sollte eine der tragenden Säulen des Franco-Regimes bilden.
V. Conclusio
Den jahrhundertealten Gepflogenheiten der vatikanischen Diplomatie entsprach es, in laufenden militärischen Konflikten für keine Partei Position zu beziehen. Alle Optionen sollten offengehalten werden, bis der Sieger feststand. Im Spanischen Bürgerkrieg vollzog der Heilige Stuhl einen Bruch mit dieser pragmatischen Tradition, die gleichzeitig dem Anspruch Pius’ XI., „Vater aller“[84] zu sein, zuwiderlief. Die völkerrechtliche Anerkennung der Regierung General Francos nach nur einem von drei Kriegsjahren erklärt sich aus dem internationalen Kontext der Geschehnisse auf der iberischen Halbinsel. Während europäische Mächte wie Frankreich und Großbritannien den Bürgerkrieg als Konflikt zwischen Totalitarismus und Demokratie begriffen, handelte es sich für die römische Kurie um einen Kampf zwischen revolutionärem Kommunismus und konservativem Traditionalismus. Es war aber nicht dieser Antagonismus, der den Vatikan aus der Reserve lockte. Die Rückendeckung für Franco erklärt sich nach heutiger Quellenlage vielmehr aus dem dezidierten Willen des Papstes und seines Staatssekretärs, der Gefahr einer Einnistung nationalsozialistischen Gedankenguts im Franco-Lager entgegenzuwirken.
Die Mission Kardinal Gomás als päpstlicher Emissär hatte es den vatikanischen Entscheidungsträgern erlaubt, sich ein kontrastreiches und verhältnismäßig kohärentes Bild von der politischen Situation innerhalb der Aufstandsbewegung zu machen. Als der Kardinal im Frühsommer 1937 auf drastische Weise klarmachte, dass die Zurückhaltung Roms die Nationalen zunehmend in die Arme des antiklerikalen Nationalsozialismus treiben musste, waren nicht nur der von Natur aus impulsive Papst Pius XI., sondern auch sein allzeit bremsender Staatssekretär bereit, den Heiligen Stuhl als politischen Akteur in die spanische Arena zu führen, um dort eine offensive Politik zugunsten einer staatlichen Ordnung nach konservativ-katholischen Prinzipien zu verfolgen.
Bedingt wurde dieser Schritt durch die Erfahrungen der Kirche in Deutschland, wo die Hitler-Regierung ihre im Reichskonkordat eingegangenen Verpflichtungen zynisch missachtete. Die jahrelange Konfrontation war in den ersten Monaten des Jahrs 1937 mit der öffentlichen Verurteilung des Nationalsozialismus durch den Papst eskaliert. Die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ markierte nicht nur den Wendepunkt im Umgang des Vatikans mit dem NS-Regime, sondern in gewisser Weise auch in seiner Spanienpolitik. Die Hypersensibilität des Papstes gegenüber den Nationalsozialisten veränderte die Einschätzung der Bedrohungslage für die Kirche in Spanien. Die Gefahr aus Deutschland wurde überzeichnet und gleichsam globalisiert, ihre Eindämmung – wo realistisch gesehen möglich – zum Ziel erklärt. Sollte nämlich das nationalspanische Lager von nationalsozialistischem Gedankengut infiziert werden, war der Weg zur Marginalisierung und Unterdrückung der Kirche im traditionell so katholischen und papsttreuen Spanien kurz.
Die zentrale Aufgabe Monsignore Antoniuttis bestand darin, der nationalen Administration das wahre Gesicht des kirchenverfolgerischen NS-Staats vor Augen zu führen und die Unvereinbarkeit seiner Ideologie mit der traditionellen katholischen Identität Spaniens aufzuzeigen. Als vatikanischer Geschäftsträger fungierte er mehr als Lobbyist und Propagandist denn als diplomatischer Beobachter. Die Einmischung in die inneren politischen Angelegenheiten des sich konstituierenden Staats war substanzieller Bestandteil seiner Mission. Dabei ging es nicht darum, die eine oder andere Gruppierung der Nationalbewegung besonders zu unterstützen – nicht einmal die ursprünglich der Katholischen Aktion nahestehenden Kräfte der CEDA –, sondern schlicht darum, die Urfalange an den Rand zu drängen.
Der spanische Episkopat war Antoniutti bei der Ausübung seiner Mission keine Hilfe; zu unreflektiert und bedingungslos war die Identifizierung der meisten Bischöfe mit dem Franco-Lager. Deshalb wurde die im Vatikan definierte Strategie praktisch ausschließlich von Pacelli und Antoniutti umgesetzt, wobei der Papst immer informiert war und Weisungen erteilte. Nur der spanische Primas, der das Vertrauen des Staatssekretärs genoss, war in die meisten Schachzüge eingeweiht und fungierte als direkter Unterstützer der Politik des Heiligen Stuhls.
Welche verfassungsrechtliche Gestalt Franco seinem Staat geben würde, war für die vatikanischen Interessen wenig relevant. Gestützt auf die Erfahrungen des Heiligen Stuhls mit dem Austrofaschismus und dem Estado Novo in Portugal war ein starker, zentralisierter und autoritärer Staat nicht unerwünscht, solange dieser von christlichen Prinzipien geprägt war und die Kirche große, klar definierte Freiheiten genoss.[85] Einzig die Einbindung der Kirche in eine totalitäre Diktatur, in der sie als Mittel zum Zweck ausgenutzt werden könnte, sollte vermieden werden.[86]
Die vatikanische Spanienpolitik zwischen Juli 1937 und April 1938 hatte Erfolg. Die Zurückdrängung des nationalsozialistischen Einflusses auf das Franco-Regime zugunsten katholischer Staatsprinzipien war eine Tatsache, die auch die deutsche Seite zur Kenntnis nehmen musste. Daher liegt der Schluss nahe, der im Sommer 1937 vom Kardinalstaatssekretär vollzogene Strategiewechsel habe auch die ideologische Orientierung der Nationalen Bewegung direkt beeinflusst. Der internationale Prestigegewinn, den die völkerrechtliche Anerkennung durch den Papst als Anführer der Weltkirche bedeutete, stärkte die Position des Generalissimus in der Bewegung und erleichterte es ihm, die Urfalange in die Schranken zu weisen. Obwohl ihre Milizen militärisch entscheidend waren, konnte sie ihr Gewicht auf dem Schlachtfeld trotz intensiver Bemühungen und mannigfacher Unterstützung aus Deutschland nicht in politische Macht ummünzen. Stattdessen wurden die entscheidenden Regierungsämter von Männern besetzt, die eine weltanschauliche Ausrichtung der neuen Ordnung anhand konservativ-traditionalistischer Leitlinien garantierten. Ohne die Urfalange als starken politischen Hebel hatte es Berlin im neuen Spanien zunehmend schwer, Einfluss auf Staat und Gesellschaft zu nehmen.
Unbestreitbar ist jedenfalls eines: Das Risiko, das der Heilige Stuhl einging, als er zugunsten General Francos Partei ergriff, lohnte sich. Die Kirche gewann dadurch erhebliche gesellschaftspolitische Mitgestaltungsmöglichkeiten, ohne dass dem Vatikan im Kontext der internationalen Politik Nachteile entstanden wären. Stattdessen war der Weg geebnet für den Nationalkatholizismus – ein System, das der katholischen Kirche in Spanien von den 1940er Jahren bis in die 1960er Jahre eine machtvollere Position zuteilwerden ließ als in jedem anderen Staat Europas.
© 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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