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ÖTZI – ein gewichtiger Mann: Feuchtetechnische Aspekte der Konservierung der Eismann-Mumie

  • Daniel Mutter

    Daniel Mutter ist gelernter Feinmechaniker und machte seine Lehre von 1975 bis 1979 bei der Brown-Boveri & Cie (BBC, heute ABB) in Baden, bevor er 1980 seine Tätigkeit in der Firma MBW seines Vaters aufnahm. Im Jahr 1990 übernahm Daniel Mutter die CEO-Position der MBW Calibration AG. In enger Zusammenarbeit mit Bob Hardy (RH Systems) leitete er die Entwicklung von der analogen zur digitalen Generation der MBW-Taupunktspiegel. Sein nationales und internationales Engagement auf dem Gebiet der Feuchtemesstechnik führte dazu, dass METAS die Firma MBW 2015 mit der Darstellung der Messgröße absolute Feuchte als „Designiertes Institut“ beauftragte. Bis zur Pensionierung 2021 war er dessen Leiter im Auftrag des Eidgenössischen Instituts für Metrologie, verantwortlich für den nationalen Standard Gasfeuchte und Mitglied des EURAMET TC-T.

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Published/Copyright: October 9, 2024

Zusammenfassung

Die Entdeckung der Gletschermumie in den Südtiroler Alpen gab den Startschuss für eine einzigartige, wissenschaftliche und mediale Karriere für die unter dem Namen „Ötzi“ weltbekannt gewordene Eismann-Mumie. Die Entwicklung der für die Konservierung der einmaligen archäologischen Sensation aus dem Eis benötigten High-Tech-Kühlkammer bietet den Stoff für eine spannende Geschichte, die ein immer wiederkehrendes Missverständnis in der Feuchtemesstechnik aufklärt: Wasser gefriert nicht zwingend bei 0 °C, aber Eis schmilzt immer bei 0 °C!

Abstract

The discovery of the glacier mummy in the South Tyrolean Alps marked the beginning of a unique, scientific, and media-driven career for the iceman mummy, who has become world-famous by the name “Ötzi”. The development of the high-tech refrigeration chamber required for the conservation of this unique archaeological finding in the ice provides the backdrop for an exciting story that elucidates a recurring misunderstanding in the field of humidity measurement technology: Water does not always freeze at 0 °C, but ice always melts at 0 °C!

1 Mumien – ein Zeitsprung in die Vergangenheit

Mumien wecken gleichermaßen das Interesse unterschiedlichster wissenschaftlicher Disziplinen und regen auch ganz allgemein die Fantasie der Menschen in der Literatur und in zahlreichen Filmen an. Eine der wohl bekanntesten Mumien ist die des ägyptischen Kind-Königs Tutanchamun, die von dem bekannten britischen Archäologen Howard Carter am 4. November 1922 in ihrem nahezu unberührten Grab im Tal der Könige entdeckt wurde. Eine ähnlich große archäologische Sensation ist die unter dem Namen Ötzi bekannt gewordene Eismann-Mumie aus Südtirol. Bei Ötzi handelt es sich um eine auf natürliche Weise im Gletscher mumifizierte Feuchtmumie. Tutanchamun wurde im Rahmen des Begräbnisrituals mit konservierenden Methoden behandelt, dabei wurden auch die Organe entnommen. Ötzi stellt hier eine absolute Besonderheit dar, weil er nahezu vollständig erhalten ist (Abbildung 1).

Abbildung 1: 
Untersuchung an der Eismann Mumie im Archäologie Museum in Bozen [1].
Abbildung 1:

Untersuchung an der Eismann Mumie im Archäologie Museum in Bozen [1].

Am 19. September 1991 entdeckte das Nürnberger Ehepaar Erika und Helmut Simon auf seiner Wanderung durch die Südtiroler Alpen abseits des Wanderwegs die Leiche (Abbildungen 2 und 3). Die zahlreichen Gegenstände, die während der Bergung im Umkreis der Fundstelle gefunden wurden, gaben Anlass zur Vermutung, dass es sich um einen sehr speziellen Fund handeln könnte. Die Radiokarbondatierung (s. Kasten unten) des Körpers ergab ein Alter von 5.300 Jahren. Somit war klar, dass Ötzi der einzige menschliche Körper ist, der sich nahezu unbeschädigt aus der europäischen Jungsteinzeit bis in unsere Zeit hinübergerettet hat.

Abbildung 2: 
Die erste Fotografie von Ötzi – wie die Gletschermumie von Erika und Helmut Simon am 19. September 1991 entdeckt wurde [2].
Abbildung 2:

Die erste Fotografie von Ötzi – wie die Gletschermumie von Erika und Helmut Simon am 19. September 1991 entdeckt wurde [2].

Abbildung 3: 
Prominenter Besuch – Die bekannten Bergsteiger Reinhold Messner und Hans Kammerlander an der Fundstelle am 21. September 1991 [3].
Abbildung 3:

Prominenter Besuch – Die bekannten Bergsteiger Reinhold Messner und Hans Kammerlander an der Fundstelle am 21. September 1991 [3].

2 Ötzis Aufenthalt in Innsbruck 1991 – 1998

Der Erhalt dieses einmaligen Zustandes der Mumie ist konservierungstechnisch eine große Herausforderung. In den ersten Jahren wurde die Eismann-Mumie im Universitätsspital in Innsbruck in einer mit spezieller Messtechnik ausgerüsteten Kühlkammer aufbewahrt (Abbildung 4). Die Mumie wurde in ein steriles Tuch gewickelt und direkt in zerstoßenem Eis, sogenanntem crushed-ice gelagert, um die „natürlichen“ Lagerungsbedingungen der vorausgegangenen 5.300 Jahre und damit die Konservierung aufrecht zu erhalten. Die zwei für die Klimatisierung wichtigsten Parameter, Temperatur und relative Luftfeuchte (rh), wurden in der Kammer auf −6 °C und 98 % rh festgelegt (Abbildung 5). Für die wissenschaftlichen Untersuchungen wurde der Eismann jeweils für eine möglichst kurze Dauer aus der Kammer genommen und aus seinem Eismantel ausgepackt. In jener Zeit in Innsbruck hatten nur wenige Wissenschaftler Zugang zur Mumie.

Abbildung 4: 
Lagerung des „Eismannes“ in der Kühlzelle in Innsbruck [5].
Abbildung 4:

Lagerung des „Eismannes“ in der Kühlzelle in Innsbruck [5].

Abbildung 5: 
Feuchte- und Temperaturmessung mit Aufzeichnung [5].
Abbildung 5:

Feuchte- und Temperaturmessung mit Aufzeichnung [5].

3 Ist Ötzi Österreicher oder Italiener?

Das Aufsehen um den sensationellen Fund führte dazu, dass sich die Frage nach dem genauen Fundort stellte. Im ersten Bericht an die Staatsanwaltschaft ging die österreichische Gendarmerie davon aus, dass der Fundort auf österreichischem Staatsgebiet liege. Der Grenzverlauf war nach dem 1. Weltkrieg durch den Staatsvertrag von Saint-Germain, 1919 festgelegt worden, als Österreich Südtirol an Italien abtreten musste. In der Vereinbarung wurde die Wasserscheide als Grenze festgelegt. Im Bereich des Tisenjochs war zum Zeitpunkt der Grenzziehung die natürliche Wasserscheide jedoch aufgrund der Gletscherüberdeckung nicht genau bestimmbar, weshalb die Grenze genau in diesem Gebiet mit Grenzsteinen definiert wurde. Die Nachmessung ergab, dass der Ort des Fundes südlich der Grenze um 92,56 m auf italienischem Gebiet liegt (Abbildung 6). Mit der Klärung der Grenzfrage war klar, dass die Mumie nicht in Innsbruck bleiben würde. Bald darauf wurde in Bozen mit der Planung für das Südtiroler Archäologiemuseum begonnen.

Abbildung 6: 
Karte der Fundstelle von Ötzi am Hauslabjoch im Grenzgebiet zwischen Österreich und Italien [6].
Abbildung 6:

Karte der Fundstelle von Ötzi am Hauslabjoch im Grenzgebiet zwischen Österreich und Italien [6].

4 Ö3 in Meran

Das Projekt, die Eismumie im geplanten Archäologiemuseum in Bozen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, löste beim Team der verantwortlichen Ärzte und Wissenschaftler in Innsbruck große Bedenken aus. Um Ötzi den Museumsbesuchern zeigen zu können, würde die Lagerung im Eis auf eine Lagerung in Luft umgestellt werden müssen. Die für die Entwicklung der Kühlkammer verantwortliche Firma baute im Spital in Meran eine Pilotanlage. Für die Tests der Klimakammer wurde am Innsbrucker Universitätsspital eine künstliche Gletschermumie – Ötzi 3 (Ö3) – hergestellt. Bei der Feuchtemessung in der Pilotanlage stellte sich das Problem, die geforderten 98 % rh bei −6 °C zu erreichen, was den Entwicklern nicht gelang. Alle Versuche scheiterten, da die verwendeten Sensoren nicht über den Wert von 93 % rh hinauskamen. In allen Fällen, auch in Innsbruck, basierten die Messgeräte auf kapazitiven Polymersensoren mit einer typischen Messunsicherheit von 2 % rh. Mit dem Versuch, das Problem mit genaueren Messgeräten zu lösen, kamen zum ersten Mal im Projekt Spiegelhygrometer zum Einsatz. Im Gegensatz zu Messgeräten mit kapazitiven Polymersensoren, welche die relative Feuchte direkt messen, misst das Spiegelhygrometer die Taupunkttemperatur und berechnet mit der Lufttemperatur die relative Feuchte. Mit dem Einsatz der Spiegelhygrometer stellte sich die Frage, welche der zwei unterschiedlichen Definitionen, die meteorologische oder die technische, für die Berechnung der relativen Feuchte unter 0 °C verwendet werden soll. Für die Messungen im Innsbrucker Universitätsspital waren Sensoren der Firma TESTO eingesetzt worden. Die Sensoren dieses Herstellers sind die einzig bekannten Sensoren, die standardmäßig bei Temperaturen unter 0 °C die relative Feuchte gemäß der technischen Definition anzeigen. In der Pilotanlage in Meran kamen im Laufe der Versuche, 98 % rh zu erreichen, Sensoren verschiedenster Hersteller zum Einsatz, aber keine der Firma TESTO wie in Innsbruck.

Die unterschiedlichen Messwerte zwischen Meran und Innsbruck sind somit einzig und allein darauf zurückzuführen, dass die meteorologische Definition die relative Feuchte unter 0 °C bezüglich der Sättigung über Wasser misst und die technische Definition bezüglich der Sättigung über Eis ([7], Abschn. 4, Abb. 6). Dieser Sachverhalt führte auch dazu, dass die im Laufe der Messungen durchgeführte Justage an den in Meran eingesetzten auf meteorologische Feuchte abgeglichenen Sensoren rückgängig gemacht wurde. Das falsche Justieren hatte bewirkt, dass die Sensoren, die auf technische Feuchte abgeglichen waren, Messwerte im übersättigten Bereich lieferten (siehe Abbildung 7). Zur Kontrolle der im Universitätsspital festgelegten 98 % rh wurde eine Messreihe mit einem Spiegelhygrometer unter Anleitung der Innsbrucker Eismann-Betreuer Dr. Künzel und Dr. Gaber an der originalen Eismann-Mumie durchgeführt. Die Messung in Innsbruck bestätigte den Wert von 98 % rh bei Sättigung über Eis, welche einem Wert von 92.5 % rh über unterkühltem Wasser und den Fundortbedingungen entspricht ([7], Abschn. 4.1, 4.2, Abb. 6). Die Spiegelhygrometer-Messung in Meran zeigt aber auch, dass trotz optimierter klimatischer Bedingungen die Test-Mumie Gewicht verlor. Für den Gewichtsverlust ist trotz eines nahezu gesättigten Klimas ein geringer Trocknungseffekt verantwortlich. Es wurde klar, dass nur mit einer regelmäßigen Befeuchtung das Gewicht der Eismann-Mumie bei der Lagerung in Luft stabil gehalten werden kann.

Abbildung 7: 
Aufzeichnung der relativen Feuchte in der Pilotanlage in Meran. Schwarze % Skala: WMO Feuchte (U

w
) – Rote % Skala: Technische Feuchte (U

i
) [8].
Abbildung 7:

Aufzeichnung der relativen Feuchte in der Pilotanlage in Meran. Schwarze % Skala: WMO Feuchte (U w ) – Rote % Skala: Technische Feuchte (U i ) [8].

5 Die trockene Theorie der feuchten Luft

Die relative Feuchtigkeit eines Gases bei gegebener Temperatur ist definiert als das prozentuale Verhältnis der Menge Wasserdampf, die im Gas vorhanden ist, zur maximalen Menge Wasserdampf, die bei dieser Temperatur möglich ist. Bei Temperaturen über dem Gefrierpunkt existiert Wasser nur in zwei thermodynamischen Zuständen, als gasförmiger Wasserdampf oder als flüssiges Wasser, welches in der Luft auch als Nebel oder auf Oberflächen als Tau bezeichnet wird. Bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt existiert Wasser entweder als gasförmiger Wasserdampf oder in fester Form als Eis oder Frost. Entgegen dem, was man allgemein annehmen würde, kann Wasser unter dem Gefrierpunkt jedoch auch in einem dritten thermodynamischen Zustand vorliegen, nämlich flüssig. Der flüssige Zustand bei Minustemperaturen ist ein metastabiler Zustand mit einem Energieniveau zwischen dem des gasförmigen und dem des gefrorenen Wassers ([9], Abschn. 4.5). Diesen Zustand bei Minustemperaturen bezeichnet man als unterkühlte Flüssigkeit. Wasser im unterkühlten Zustand ist somit eine Flüssigkeit unter dem eigentlichen Gefrierpunkt. Die Ursache für diesen Effekt ist, dass zur Änderung des Aggregatszustands ein Kristallisationsansatz notwendig ist. Sind diese Kristallisationsansätze nicht vorhanden, erfolgt die spontane Kristallisation und damit die Aggregatszustandsänderung erst weit unter dem eigentlichen Gefrierpunkt. Im Temperaturbereich von 0 bis −30 °C kommt dieses Unterkühlungsphänomen häufig vor. Aufgrund der zwei verschiedenen Sättigungszustände über Eis und über Wasser existieren zwei verschiedene Definitionen für die relative Feuchte unter 0 °C.

5.1 WMO-Definition der relativen Feuchte U w [7]

Die relative Feuchte ist definiert als Verhältnis in Prozent zwischen dem vorhandenen Wasserdampfdruck e′ (Wasserdampfpartialdruck) zum maximal möglichen Wasserdampfdruck bei Sättigung e w (Sättigungsdampfdruck) bei der gegebenen Umgebungstemperatur t und dem Umgebungsdruck p (Gl. 1).

(1) U w = e e w ( p , t ) 100 %

Nach WMO-Definition (World Meteorological Organization) ist die relative Feuchte immer, also auch bei Temperaturen unter null Grad (t < 0 °C), auf den Sättigungsdampfdruck über Wasser e w bezogen ([7], Abschn. 4.1). Bei der Feuchtemessung in der Meteorologie kommt ausschließlich die Definition nach WMO zur Anwendung. Anders verhält es sich bei der technischen Definition.

5.2 Technische Definition der relativen Feuchte U i [7]

Nach der technischen Definition ([7], Abschn. 4.2) wird die relative Feuchte bei Temperaturen unter null Grad (t < 0 °C) auf den Sättigungsdampfdruck über Eis e i bezogen (Gl. 2).

(2) U i = e e i p , t 100 %

Erstaunlicherweise ist bei der Messung der relativen Feuchte unter null Grad in technischen Anwendungen nicht festgelegt, dass die technische Definition angewendet werden muss, was häufig zu Missverständnissen führt. Für Temperaturen über null Grad sind die meteorologische Definition nach WMO und die technische Definition gleich.

5.3 Differenz WMO Feuchte U w – Technische Feuchte U i

Die Berechnung ergibt bei gleichem tatsächlichem Wasserdampfgehalt und gleicher Temperatur unterschiedliche Ergebnisse für die relative Feuchte ([7], Abb. 6). Tabelle 1 zeigt die Werte bei Sättigung über Eis für die beiden Definitionen bei Temperaturen im Bereich von 0 bis −40 °C.

Tabelle 1:

Werte für WMO−Feuchte U w – Technische Feuchte U i .

t U w U i
0 °C 100.0 % 100 %
−10 °C 90.7 % 100 %
−20 °C 82.2 % 100 %
−30 °C 74.5 % 100 %
−40 °C 67.4 % 100 %

6 Taupunkt oder Frostpunkt?

Die unterschiedlichen Sättigungszustände über unterkühltem Wasser und über Eis verursachen auch bei der Messgröße Taupunkt Meinungsverschiedenheiten und irrtümliche Interpretationen. Historisch wurde nicht zwischen Taupunkt und Frostpunkt unterschieden. Die Bezeichnung Taupunkt wird auch für Werte unter 0 °C verwendet, obwohl in den meisten Fällen der Frostpunkt gemeint ist, wenn nicht klar der Taupunkt über unterkühltem Wasser definiert ist. Daher sollten Taupunktwerte unter 0 °C in Normen, Richtlinien und Kalibrierzertifikaten, welche nicht explizit über unterkühltem Wasser definiert sind, als Frostpunkte interpretiert werden. In der Druckluftindustrie wird für den Wassergehalt in den Reinheitsklassen der internationalen Norm ISO8573-1:2010 der Ausdruck Drucktaupunkt verwendet, obwohl die korrekte Bezeichnung Druckfrostpunkt wäre. Bei der Feuchtemessung in Druckluft sind die Sensoren meist nur mit einer einfachen Anzeige oder einem Signalausgang für den Drucktaupunkt ausgerüstet (typische Messunsicherheit einige K), und die Frage der Definition ist bei konsequentem Gebrauch der inkorrekten Bezeichnung „Taupunkt“ eigentlich unkritisch. Moderne Geräte (Mess-unsicherheit typisch 2 K) bieten heute die Möglichkeit, die gemessenen Werte unter 0 °C als °C Taupunkt über unterkühltem Wasser oder Frostpunkt über Eis anzuzeigen. Die Frage, ob der gemessene Wert als Taupunkt oder Frostpunkt angezeigt werden soll, führt meistens dazu, dass die geläufige Einheit °C Taupunkt gewählt wird, da die Bezeichnung Frostpunkt nicht bekannt ist. Die Fehlinterpretation verursacht eine Differenz der Messwerte von ∼10 % des numerischen Werts in °C Frostpunkt im Bereich von 0 bis −40 °C (Tabelle 2)

Tabelle 2:

Werte für Frostpunkt t f und Taupunkt t d unter 0 °C.

Frostpunkt t f Taupunkt t d
−5 °C −5.6 °C
−10 °C −11.2 °C
−20 °C −22.3 °C
−30 °C −33.1 °C
−40 °C −43.7 °C

Der klaren Unterscheidung bei der Bezeichnung Frostpunkt oder Taupunkt bei Temperaturen unter 0 °C steht ein weiterer Faktor im Wege. Die Messgröße nach der Service-Kategorie im BIPM (Bureau International des Poids et Mesures) [10], der obersten Autorität im internationalen Messwesen, heißt "Taupunkt". Auch bei der relativen Feuchte wird nicht zwischen WMO-Feuchte und Technischer Feuchte unterschieden. Ein möglicher Ansatz zur Lösung des Problems wäre eine grundsätzliche Änderung der Bezeichnung der Messgröße von Taupunkt auf Frost-Taupunkt.

6.1 Frost- oder Tauspiegelhygrometer

Spiegelhygrometer, die in diesem kritischen Bereich als Referenzgeräte eingesetzt werden, müssen immer mit einem Endoskop ausgerüstet sein, damit die Bildung der Tau- oder Frostschicht auf dem Spiegel mit dem Auge beobachtet werden kann. Eine Möglichkeit, das Problem zu umgehen, ist die Messung bei einem Frostpunkt unter −40 °C zu starten. Bei diesem Vorgehen bildet sich mit Sicherheit eine Frostschicht auf dem Spiegel. Die höheren Werte müssen dann, ohne dass der Spiegel die Frostschicht verliert, von tieferen zu höheren Werten angefahren werden. Moderne Spiegelhygrometer sind heute mit einer automatischen Funktion ausgerüstet, die durch kontrolliertes Unterkühlen sicherstellt, dass sich eine Frostschicht bildet.

6.2 Ötzis Spiegelhygrometer

Bei den Spiegelhygrometern im Archäologiemuseum wird durch ein periodisches Aufheizen und die Bildung einer neuen Tauschicht alle 15 Minuten sichergestellt, dass der gemessene Wert von −7 °C immer der Taupunkt über unterkühltem Wasser ist.

7 Unterschied Meteorologie – Technik

Der Hintergrund der unterschiedlichen Betrachtung der meteorologischen und der technischen Definition der Feuchte unter 0 °C ist, dass in einer Wolke, in der keine Kristallisationskeime vorhanden sind, die Flüssigphase in Form des unterkühlten Wassers die Regel ist. In der freien Atmosphäre ist das Flugzeug selbst der „Kristallisationskeim“, welcher beim Durchfliegen einer unterkühlten Wolke die für die Aviatik problematische Vereisung auslöst. Bei der Simulation klimatischer Bedingungen unter 0 °C sind in einer Klimakammer die für die Kristallisation nötigen Kristallisationskeime an Wänden und auf Oberflächen der zu testende Teile stets vorhanden. In einer Klimakammer ist es daher auch durchaus sinnvoll, die technische Definition der relativen Feuchte mit Sättigung über Eis anzuwenden. Wird in einer Klimakammer die theoretisch höchstmögliche relative Feuchte bei Sättigung über Eis erreicht, zeigen die auf technische Feuchte kalibrierten Sensoren die erwarteten 100 % rh an, während die auf WMO-Feuchte kalibrierten Sensoren in Abhängigkeit von der Temperatur einen weit unter der Sättigung liegenden Wert anzeigen. Unterkühlter Tau wird auf einem Spiegel früher oder später kristallisieren und von Tau auf Frost umschlagen, da auch auf einem sauberen Spiegel immer Kristallisationskeime vorhanden sind und sich im Laufe der Messung zusätzliche Kondensationskeime auf dem Spiegel ansammeln. Ein zu hoher Druckfrostpunkt und nicht der Drucktaupunkt wird in einer kalten Druckluftleitung zum Zufrieren der Leitung führen. Unterkühltes Wasser gefriert und kann nicht als Kondensat ablaufen, sonst könnten Kältetrockner auch unter 0 °C betrieben werden. In der Technik ist der unterkühlte Taupunkt der metastabile Ausnahmefall.

8 Ötzi im Südtiroler Archäologiemuseum

1998 wurde der Eismann von Innsbruck nach Bozen in das neue Archäologiemuseum überführt. Mit 250.000 Museumsbesuchern pro Jahr ist das öffentliche Interesse, auch nach über 30 Jahren seit Ötzis Entdeckung, ungebrochen (Abbildung 8). Seit dem Umzug von Innsbruck nach Bozen war Dr. Eduard Egater Vigl als Konservationsbeauftragter für Ötzi verantwortlich. Dr. Oliver Peschel löste ihn im August 2016 als Ötzis „Leibarzt“ ab. Mit der technischen Weiterentwicklung der Untersuchungsmethoden liefert auch die Forschung am Eismann immer wieder neue Erkenntnisse über das Leben unserer Vorfahren aus der Zeit vor 5.300 Jahren.

Abbildung 8: 
Blick durch das Fenster der Kühlkammer auf Ötzi im Südtiroler Archäologiemuseum Bozen [11].
Abbildung 8:

Blick durch das Fenster der Kühlkammer auf Ötzi im Südtiroler Archäologiemuseum Bozen [11].

Das Klima in der Kühlkammer des Südtiroler Archäologiemuseums wird heute nach wie vor auf die ursprünglich im Innsbrucker Universitätsspital definierte Feuchte von 98 % (technische Definition) bei einer Temperatur von −6 °C geregelt. Zur weiteren Verbesserung der Stabilität des Klimas wurden Eis-Fliesen an den Innenwänden der Kühlkammer angebracht (Abbildung 9), was den Gewichtsverlust der Gletschermumie auf 2 Gramm pro Tag reduziert hat. Jetzt muss der Körper nur noch viermal pro Jahr mit sterilem Wasser besprüht werden, um die Sublimation auszugleichen und damit sicherzustellen, dass Ötzi sein Gewicht von 13 kg halten kann. Nebst dem verbesserten Klima hat Ötzis „coole Bleibe“ nun auch einen ästhetischen „Iglu-Look“ erhalten.

Abbildung 9: 
Ötzi in seinem Kühlkammer-Iglu [1].
Abbildung 9:

Ötzi in seinem Kühlkammer-Iglu [1].

Für die Feuchte und Temperaturmessung ist ein redundantes System verantwortlich, bestehend aus zwei Spiegelhygrometern (Abbildung 10), welche jährlich kalibriert werden (Kalibrierunsicherheit typisch 50 mK), um die Genauigkeit und Stabilität der gemessenen Werte zu gewährleisten. So wird ein Beitrag zum perfekten Wohlfühl-Klima für Ötzi geleistet.

Abbildung 10: 
Das Messgerät für die Überwachung des Gewichts der Eismann-Mumie und zwei Spiegelhygrometer für die Messung der Feuchte und Temperatur in der Kühlkammer [8].
Abbildung 10:

Das Messgerät für die Überwachung des Gewichts der Eismann-Mumie und zwei Spiegelhygrometer für die Messung der Feuchte und Temperatur in der Kühlkammer [8].

Abbildung 11: 
Unterkühltes Wassertröpfchen an Ötzis Wimper [1].
Abbildung 11:

Unterkühltes Wassertröpfchen an Ötzis Wimper [1].

Abbildung 12: 
Spiegelhygrometer mit Eis und unterkühlten Wassertröpfchen bei −20 °C, der rote Balken entspricht einer Länge von 0.1 mm [8].
Abbildung 12:

Spiegelhygrometer mit Eis und unterkühlten Wassertröpfchen bei −20 °C, der rote Balken entspricht einer Länge von 0.1 mm [8].

9 Neues zukünftiges Zuhause für den Mann aus der Vergangenheit

Ötzi, der Mann aus dem Eis, und seine Beifunde sind seit 25 Jahren im Südtiroler Archäologiemuseum in der Bozner Museumstraße ausgestellt. Der Platz dort ist längst an seine Grenzen gestoßen. Am 17. 1. 2023 gab Landeshauptmann Arno Kompatscher, der für die Museen zuständige Landesrat, den neuen Standort für das zukünftige Archäologiemuseum bekannt. Es wird in der Dantestraße in Bozen, unweit des bisherigen Standortes, errichtet werden. Der neue Standort bietet ein großes Potenzial für die Entwicklung des Museums. Auch Ötzi wird im neuen Museum eine neue Klimakammer mit neuen Messgeräten für die Feuchte- und Temperaturmessung erhalten. Der Mann aus dem Eis ist ein einzigartiges Fenster in die Vergangenheit und moderne Kühl- und Messtechnik wird dafür sorgen, dass die gefrorene Mumie aus der Jungsteinzeit auch in Zukunft in optimalem Zustand bleibt.


Corresponding author: Daniel Mutter, Rebbergstrasse 34E, Wettingen 5430, Switzerland, E-mail: 

Über den Autor / die Autorin

Daniel Mutter

Daniel Mutter ist gelernter Feinmechaniker und machte seine Lehre von 1975 bis 1979 bei der Brown-Boveri & Cie (BBC, heute ABB) in Baden, bevor er 1980 seine Tätigkeit in der Firma MBW seines Vaters aufnahm. Im Jahr 1990 übernahm Daniel Mutter die CEO-Position der MBW Calibration AG. In enger Zusammenarbeit mit Bob Hardy (RH Systems) leitete er die Entwicklung von der analogen zur digitalen Generation der MBW-Taupunktspiegel. Sein nationales und internationales Engagement auf dem Gebiet der Feuchtemesstechnik führte dazu, dass METAS die Firma MBW 2015 mit der Darstellung der Messgröße absolute Feuchte als „Designiertes Institut“ beauftragte. Bis zur Pensionierung 2021 war er dessen Leiter im Auftrag des Eidgenössischen Instituts für Metrologie, verantwortlich für den nationalen Standard Gasfeuchte und Mitglied des EURAMET TC-T.

Danksagung

Gudrun und Helmut Mitter für die Unterstützung bei der textlichen und technischen Überarbeitung. Dr. Othmar Gaber und Dr. Karl Heinz Künzel für die Unterstützung und das entgegengebrachte Vertrauen bei den Messkampagnen in Meran und Innsbruck. Elisabeth Vallazza und Alexander Sanin für die Unterstützung beim Betrieb und der Instandhaltung der Messgeräte in Bozen.

  1. Research ethics: Not applicable.

  2. Author contributions: The author has accepted responsibility for the entire content of this manuscript and approved its submission.

  3. Use of Large Language Models, AI and Machine Learning Tools: None declared.

  4. Competing interests: None.

  5. Research funding: None.

  6. Data availability: None.

Literatur – Quellen

[1] © Südtiroler Archäologiemuseum/Marco Samadelli.Search in Google Scholar

[2] © epd-bild/Helmut Simon.Search in Google Scholar

[3] © Getty Images/Paul Hanny.Search in Google Scholar

[4] Available at: www.weltderphysik.de.Search in Google Scholar

[5] © Universität Innsbruck.Search in Google Scholar

[6] Available at: https://www.tagesanzeiger.ch/erst-dachte-ich-es-sei-eine-schaufensterpuppe-512293462381.Search in Google Scholar

[7] H. Mitter, “Grundlagen der Gasfeuchte Teil 2 (Messgrößen der Gasfeuchte),” tm-Technisches Messen, vol. 90, no. 1, pp. 25–50, 2023.10.1515/teme-2022-0016Search in Google Scholar

[8] Daniel Mutter, MBW, 1997.Search in Google Scholar

[9] H. Mitter, “Grundlagen der Gasfeuchte Teil 1 (Sättigungsverhalten von Wasser in einem Trägergas),” tm-Technisches Messen, vol. 90, no. 1, pp. 3–24, 2023.10.1515/teme-2021-0092Search in Google Scholar

[10] Classification of Services in Thermometry, vol. 3, Hygrometers (Version 1.3), 2022. Available at: https://www.bipm.org/en/cipm-mra/cipm-mra-documents/service-categories.Search in Google Scholar

[11] © Südtiroler Archäologiemuseum/Ochsenreiter.Search in Google Scholar

Erhalten: 2023-12-28
Angenommen: 2024-09-02
Online erschienen: 2024-10-09
Erschienen im Druck: 2024-11-26

© 2024 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 23.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/teme-2023-0169/html?lang=en
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