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Messung von Nutzerinteraktion mit einem Exoskelett durch EMG und Gelenk-Drehmomente

  • Markus Hessinger

    Markus Hessinger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiets Mess- und Sensortechnik an der Technischen Universität Darmstadt. Seine Forschungsinteressen sind robotische Exoskelette und strukturintegrierte Sensorik.

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    , Eike Christmann

    Eike Christmann war Masterstudent am Fachgebiets Mess- und Sensortechnik an der Technischen Universität Darmstadt. Seine Forschungsinteressen sind strukturintegrierte Sensorsysteme und der Entwurf elektronischer Schaltungen mit hoher Messgenauigkeit.

    , Roland Werthschützky

    Prof. Dr.-Ing. habil. Roland Werthschützky war bis 2015 Leiter des Fachgebiets Mess- und Sensortechnik an der Technischen Universität Darmstadt. Seine Forschungsinteressen sind Sensoren und Messsysteme zur Erfassung mechanischer Größen, sowie die Modellierung von elektromechanischen Systemen mit Netzwerken.

    and Mario Kupnik

    Prof. Dr. mont. Mario Kupnik ist seit 2015 Leiter des Fachgebiets Mess- und Sensortechnik an der Technischen Universität Darmstadt. Seine Forschungsinteressen sind Ultraschall-Durchflusssensoren, Modellierung von Schallausbreitung, mikrobearbeitete Ultraschallwandler, niederfrequente Phased-Array-Ultraschallsensoren, akustische Levitation, Sensoren für biologische/chemische Flüssigkeiten, sowie die Modellierung und Fertigung von kapazitiven, mikrobearbeiteten Ultraschallwandlern (CMUTs) und deren Applikationen.

Published/Copyright: March 14, 2018

Zusammenfassung

Die Bestimmung der Bewegungsintention stellt eine Herausforderung in der Mensch-Roboter-Kooperation dar, um einen sicher und intuitvive Bedienung zu ermöglichen. Hierzu werden zwei Messprinzipen zur Nutzerintentionserkennung mit einem Oberarm-Exoskelett untersucht. Für die Antriebsachsen wird ein strukturintegrierter Drehmomentsensor entworfen und über ein dynamisches Modell unter Berücksichtigung der Schwerkraft, Trägheit und Reibung des Exoskelettes das Nutzermoment bestimmt. Das gemessene Drehmoment wird mit EMG-Signalen der beteiligten Muskeln der Schulter verglichen. Aus Probandenmessungen ist eine Verzögerung des mechanischen Drehmomentes hinter der elektrischen Muskelaktivierung von maximal 80 ms und ein linearer Zusammenhang zwischen Drehmoment und EMG Signal zu erkennen.

Abstract

Recognizing the movement intention of a human is a challenging task to ensure a secure and intuitive interaction with a robotic device. In this work, two sensing principles are compared to measure the interaction of a user with an upper limb exoskeleton. A torque sensor is structurally integrated into the kinematic chain of an assistive upper limb exoskeleton to measure the overall joint torque. The user interaction torque is obtained with a dynamic model, considering gravity, inertia and friction of the exoskeleton. The measured torque is compared to EMG signals of the involved shoulder muscles to match the resulting joint torque to the electrical activation of the muscles. Experiments show a delay between the two signals of maximal 80 ms and linear correlation between torque and EMG.

1 Einführung

Die Mensch-Roboter-Kooperation hat in den letzten Jahren bereits Einzug in die Industrie gehalten, Arbeiter werden hierbei bei individuellen Tätigkeiten in der Fertigung durch robotische Systeme unterstützt. Im Haushalt haben Serviceroboter ebenfalls an Bedeutung gewonnen, jedoch meist noch ohne direkte Interaktion mit dem Menschen. Umgebungsunterstützes Leben (engl. Ambient Assisted Living) stellt hierbei ein aktuelles Forschungsfeld dar, welches Methoden, Konzepte und Systeme umfasst, um älteren und behinderten Menschen ein unabhängiges Bewerkstelligen von Alltagssituationen ermöglicht [1]. Der spezifischen Lösungen variieren hierbei von Softwareprogrammen bis hin zu robotischen Orthesen, welche den Nutzer beispielsweise beim Aufstehen und Gehen unterstützen [2]. Eine besondere Herausforderung stellt die Bewegungsintentionserkennung des Nutzers dar, welche modellbasierte Trajektorien auf spezifische Situationen anpasst und somit eine intuitive Bedienung ohne zusätzliche Eingaben zu ermöglichen [3]. Als Messgrößen kommen hierbei die summierte elektrische Aktivität des Gehirns (EEG) [4], Oberflächen-Elektromyografie (EMG) [5], sowie wechselwirkende Kräfte und Drehmomente mit dem Exoskelett [10] in Frage. Bei der letzteren Messgröße wird beispielsweise die Abweichung des gemessenen von dem erwarteten Drehmoment berechnet und daraus die Bewegungsintention des Nutzer abgeleitet. Im Stand der Technik variiert die Wahl der Messgröße abhängig der gezielten Anwendung (Tab. 1). Da eine präzise Ableitung der Bewegungsintention rein aus EMG-Messungen sehr schwierig und mit einem hohem Aufwand in Kalibrierung und Parameteranpassung verbunden ist [8], werden zusätzlich Interaktionskräfte und -drehmomente mit aufgenommen [8], [9], [10].

Tab. 1

Stand der Forschung der Messgrößen zur Bewegungsintentionserkennung bei Exoskeletten.

Name, ReferenzGelenkeAnwendungDOFMessgrößen
[8]Schulter, Ellbogen, HandgelenkKraftverstärkung7sEMG, Moment/Kraft
[9]Schulter, EllbogenRehabilitation4Moment/Kraft
SAM, [10]Schulter, Ellbogen, HandgelenkKraftverstärkung7Moment/Kraft
SUEFUL-7, [14]Schulter, Ellbogen, HandgelenkKraftverstärkung7sEMG, Moment/Kraft
[14]HandgelenkKraftverstärkung1EMG, EEG
[15]Schulter, Ellbogen, HandgelenkRehabilitation9EMG, Kraft

Neben kommerziellen Kraft- und Drehmomentsensoren und stationärer Sensorelektronik [9] zur Filterung und Weiterverarbeitung der Messsignale kommen teilweise bereits strukturintegrierte [11] Sensoren und Elektroniklösungen [12], [13] zum Einsatz.

Ziel des Projektes ist die Unterstützung der oberen Extremität des Menschen durch ein aktives Exoskelett (Abbildung 1), um mit Hilfe von haptischer Führung Positionsaufgaben der Hand und darin gehaltenen Werkzeugen durchzuführen [6].

Abb. 1 Assistives Exoskelett für die obere Extremität mit sieben Freiheitsgraden q1…q7{q_{1}}\dots {q_{7}}. Strukturintegrierte Drehmomentsensoren und EMG-Sensoren an der Schulter.
Abb. 1

Assistives Exoskelett für die obere Extremität mit sieben Freiheitsgraden q1q7. Strukturintegrierte Drehmomentsensoren und EMG-Sensoren an der Schulter.

Dabei werden die Messgrößen des Gelenk-Drehmoments und EMG während dynamischer Bewegungen der Schulter mit dem Exoskelett aufgenommen und miteinander verglichen.

2 Strukturintegrierte Drehmomentmessung

Für die Ableitung der Nutzinteraktion mit dem Exoskelett stehen die Ansätze über eine strukturintegriere Sensorik in den jeweiligen Drehgelenken [16] und kommerziellen Kraft- bzw. Drehmomentsensoren zwischen dem Nutzer und der kinematischen Struktur [17] zur Auswahl. Zur Gewichts- und Volumeneinsparung wird für das Arm-Exoskelett ein integrierte Drehmomentsensor entwickelt [7]. Da die statische Last des Exoskelettes und menschlichen Armes ein Schermoment von max. τs(q1) = 28 Nm in die Gelenke einkoppelt und dies zu einer Verfälschung des Messsignales führen würde, wird der Sensor auf der Antriebsseite zwischen Motor und Getriebe platziert (Abbildung 2).

Abb. 2 Sensorintegration zwischen Antrieb, Verbindungsstrebe und Getriebe.
Abb. 2

Sensorintegration zwischen Antrieb, Verbindungsstrebe und Getriebe.

Die Verformungskörpergeometrie des Drehmomentsensors wird als Speichenrad konstruiert, auf dessen Streben vier Dehnungsmessstreifen (DMS – Typ 1 LA11K3/350-E, Hottinger Baldwin Messtechnik GmbH, Deutschland) an den Außenkanten mit eine Cyanacrylat Kleber (Z70, HBM) aufgebracht werden (Abbildung 3).

Abb. 3 Geometrie des Verformungskörpers als Speichenrad (links) und dessen Dehnungsanalyse mittels FEM (rechts).
Abb. 3

Geometrie des Verformungskörpers als Speichenrad (links) und dessen Dehnungsanalyse mittels FEM (rechts).

Die Strebendicke des Verformungskörpers wird an die zu messenden Drehmomente in den Gelenken des Exoskeletts angepasst. Dazu werden dynamische Bewegungen unter Berücksichtigung des Gewichtes von Arm und Exoskelett durchgeführt und eine Last am Endeffektor von maximal 20 N aufgebracht [19]. Die daraus berechneten maximalen Drehmomente (Tabelle 2) werden auf die Antriebsmomente über das Übersetzungsverhältnis der Getriebe (Typ SHG-14-100-2SO, Harmonic Drive AG, Deutschland) übertragen.

Tab. 2

Simulierte Maximal-Drehmomente in den Gelenken des Exoskelettes bei dynamischen Bewegungen und einer Last von 20 N am Endeffektor.

Gelenkq1q2q3q4q5q6q7
Drehmoment (Nm)29262115952

Für die beiden Drehachsen der Schulter zur Flexion/Extension und Abduktion/Adduktion ergeben sich Nennmomemente für die BLDC-Motoren (Typ EC-i 40, Maxon Motor AG, Schweiz) von 290 Nm und 260 Nm, welche der Nennlast der Drehmomentsensoren entsprechen. Mit einem Sicherheitsfaktor von 1,5 und einer Nenndehnung von 0,5 mm/m wird die Dicke der Stege des Verformungskörpers mittel FEM Simulation auf 4 × 0,45 mm ausgelegt (Abbildung 3, rechts).

Für die strukturintegrierte Auswertung der Drehmomentsensoren an den Drehachsen des Exoskelettes wird eine Sensorelektronik zur Filterung und Digitalisierung des Sensorsignals entworfen (Abbildung 4).

Abb. 4 Funktionsblöcke der Auswertung der Wheatstone-Brücke.
Abb. 4

Funktionsblöcke der Auswertung der Wheatstone-Brücke.

Dazu werden die Dehnmessstreifen des Drehmomentsensors zu einer Wheatstone-Brücke verschaltet. Das Ausgangssignal der Wheatstone-Brücke wird durch den Verstärker an den Bereich des Analog-Digital-Umsetzers angepasst. Im nachgeschalteten Mikrocontroller findet die Fehlerkompensation und die Vorbereitung für die EtherCAT Kopplung statt. Im Rahmen dieser wird der Signal Conditioner ZSC31050 von IDT mit integriertem Verstärker, ADC und Mikrocontroller verwendet. Dieser bietet neben einem digitalen Ausgangssignal die Möglichkeit, eine zum Eingangssignal proportionale analoge Spannung auszugeben. Damit lässt sich das Messsignal der Drehmomentmessung, sowohl über die selbst entwickelte EtherCAT Kopplung, als auch über den analogen Eingang der Motorsteuerung auf den Feldbus EtherCAT koppeln. Die maximale Sample Rate beträgt 3,9 kHz, die maximale Auflösung 15 Bit. Der integrierte Verstärker kann das Eingangssignal um den Faktor 420 verstärken. Damit lässt sich der Signal Condioner für nahezu alle Brückenspannungen im Bereich zwischen 1 mV/V bis 275  mV/V verwenden. Zusätzlich lässt sich im Mikrocontroller die Temperatur, eine Nullpunktverschiebung und Nichtlinearitäten bis zur dritten Ordnung kompensieren.

Die Charakterisierung der Sensoren für die Schulter ergeben einen Linearitätsfehler von 0,51 % und einem Hysteresefehler von 0,53 % [7].

3 Modellbasierte Nutzer-Drehmomentmessung

Zur Evaluation der Drehmomentmessung am Exoskelett wird dieses für die drei Freiheitsgrade der Schulter aufgebaut (Abbildung 5).

Abb. 5 Oberarm-Exoskelett für die drei Freiheitsgrade der Schulter. Als Befestigung am Menschen dient ein Rucksack und eine Manschette am Oberarm. Motor- und Sensorelektronik sind an den Verbindungsstreben befestigt und kommunizieren über einen EtherCAT-Bus.
Abb. 5

Oberarm-Exoskelett für die drei Freiheitsgrade der Schulter. Als Befestigung am Menschen dient ein Rucksack und eine Manschette am Oberarm. Motor- und Sensorelektronik sind an den Verbindungsstreben befestigt und kommunizieren über einen EtherCAT-Bus.

Exemplarisch wird dem Positionsregler der ersten Drehachse des Exoskeletts zur Flexion/Extension der Schulter eine Sinuswinkel zwischen 0 und 90° vorgegeben und das gemessene Drehmoment mit dem Motorstrom aufgezeichnet. Der Verlauf des gemessenen Drehmoments zeigt ein periodischen Übergang zwischen Haft- und Gleitreibung (Stick-Slip-Effekt) und zusätzlich den Einfluss der Gravität und Trägheit des Systems (Abbildung 6).

Abb. 6 Vergleich zwischen gemessenen Drehmoment und gefiltertem Motorstrom bei harmonischen Anregung eine Schulter-Achse.
Abb. 6

Vergleich zwischen gemessenen Drehmoment und gefiltertem Motorstrom bei harmonischen Anregung eine Schulter-Achse.

Die mechanischen Effekte lassen sich durch ein dynamisches Modell beschreiben, welches abhängig der Winkelposition q, -geschwindigkeit q˙ und -beschleunigung q¨ das wirkende Drehmoment

(1)τ=τG(q)+τI(q¨)+τR(q,q˙,q¨)+τF(Fe)+τU(τe)

im jeweiligen Gelenk voraussagt [18]. Zusätzlich zum Gravitationsmoment τG, Massenträgheitsmoment τI, Reibmoment τR kommen das, durch Interaktionskräfte mit der Umgebung hervorgerufene, Kraftmoment τF und ein dynamisches, durch den Nutzer eingekoppelte Moment τU hinzu. Bei dynamischen Bewegungen des Exoskelettes von beispielsweise 0,16 s1 beträgt der Anteil des Gravitationsmomentes 80 %, der Massenträgheit 18 % und Reibung 2 %. Das Nutzermoment berechnet sich aus dem gemessenen Drehmoment τs, dem dynamischen Modell und der gemessenen Interaktionskräfte (Abbildung 7).

Abb. 7 Zusammenhang zwischen gemessenem Drehmoment τs{\tau _{s}}, Nutzermoment τU{\tau _{U}} und dem dynamischen Modell des Exoskeletts.
Abb. 7

Zusammenhang zwischen gemessenem Drehmoment τs, Nutzermoment τU und dem dynamischen Modell des Exoskeletts.

Da sich der Gravitationsvektor abhängig der Basisrotation des Exoskelettes zum Erdschwerefeld ändert, wird die absolute Lage der Basis über eine inertiale Messeinheit zur Berechnung des dynamischen Modells bestimmt.

4 EMG-basierte Identifikation einer Benutzerintention

Zusätzlich der mechanischen Messgröße wird zur Intentionserkennung die elektrische Aktivierung der Muskeln berücksichtigt. Die Anforderungen an die Auswerteelektronik für eine EMG-Messung ergeben sich nach [20] wie folgt: Abtastrate > 1 kHz, Gleichtaktunterdrückung, CMRR > 100 dB und einen hohen Eingangswiderstand > 100 MΩ. Für die Auswertung des EMG-Signals wird ein Analog Front End (AFE) von der Firma MyoWare mit 1 mm Klebeelektroden aus Silber (H124SG) verwendet. Das analoge Ausgangssignal des AFEs wird mit einem 8-Kanal Analog-Digital-Umsetzer mit 12 Bit (MCP3208) digitalisiert.

Für die Auswertung der Muskelaktivität mit dem AFE stehen zwei unterschiedliche Signale zur Verfügung. Ein verstärktes unverarbeitetes Signal, welches ausschließlich die gemessene Differenzspannung zwischen den beiden Elektroden darstellt und ein bereits gleichgerichtetes und integriertes Ausgangssignal (Abbildung 8). Für die Aufnahme des EMG-Signals wurde ein Proband aufgefordert den Biceps einmal kurzzeitig und anschließend über einen Zeitraum von einer Sekunde anzuspannen. Der untere Verlauf stellt deutlich die vorgegebene Kontraktion des Muskels dar. Für die weiteren Messungen wird das bereits gleichgerichtete und integrierte EMG-Signal verwendet.

Abb. 8 Vergleich zwischen dem rohen und dem gleichgerichteten, integrierten Verlauf des EMG-Signals des Biceps Muskels.
Abb. 8

Vergleich zwischen dem rohen und dem gleichgerichteten, integrierten Verlauf des EMG-Signals des Biceps Muskels.

Zur Untersuchung der für die Bestimmung der Nutzerintention geeigneten Muskelgruppen trägt der Proband das Schulter-Exoskelett und koppel über eine Manschette am Oberarm ein Drehmoment ein Abbildung 9.

Abb. 9 Ausgangsstellungen der Trajektorie. Die Bewegung des Probanden nimmt Positionen zwischen 0 und 90° ein.
Abb. 9

Ausgangsstellungen der Trajektorie. Die Bewegung des Probanden nimmt Positionen zwischen 0 und 90° ein.

Nicht alle in [21], [22] beschriebenen Muskeln Deltoideus, Pectoralis major und Teres major eignen sich zur Identifikation der Abduktion und Adduktion in Verbindung mit einem Exoskelett. Neben nicht ausreichender Signalqualität werden EMG-Elektroden der Muskeln Pectoralis major und Teres major der Probanden als nicht angenehm empfunden. Durch das Rückenteil und den Schultergurt des Exoskeletts wird Druck auf diese Elektroden ausgeübt. Des Weiteren beeinflusst schon leichter Druck auf einen EMG-Sensor das Messsignal erheblich. Aufgrund der Nachteile der Auswertung der Muskeln Pectoralis major und Teres major wird zur Detektion der Adduktion der Muskel Triceps brachii caput longum ausgewertet. Auch wenn dieser Muskel nicht direkt an der Adduktion des Schultergelenks beteiligt ist, überträgt dieser die Kraft zwischen der Verbindung oberhalb des Ellenbogens und dem Exoskelett.

Zur Detektion der Abduktion stehen die drei Teile des Muskels Deltoideus pars clavicularis, acromialis und spinalis zur Verfügung. Um zu ermitteln, welcher der drei Teile sich für die Detektion der Adduktion eignet, wird folgender Versuch durchgeführt:

  1. Die zu vermessenden Bereiche werden von Haaren befreit und mit Seife gesäubert.

  2. Für die Lokalisierung der Muskeln wird der Proband aufgefordert, ein Gewicht in Höhe von 2 kg, mit ausgestrecktem Arm zu halten. Die EMG-Elektroden werden auf die drei Teile des Deltoideus Muskels geklebt.

  3. Anschließend wird der Proband auf Ellenbogenhöhe mit dem Exoskelett verbunden.

  4. Das Exoskelett fährt in 10 Grad Schritten die Positionen zwischen vollständiger Adduktion (0 Grad) und Abduktion (90 Grad). Während das Exoskelett in einer Position verweilt wird der Proband gebeten, gleichmäßig ein Drehmoment etwa 8 Nm einzukoppeln.

Im Vergleich der drei vermessenen Positionen des Deltoideus Muskels zur Abduktion ist kein signifikanter Unterschied in Abhängigkeit des Drehmoments festzustellen (Abbildung 10). Für die Intentionserkennung für Bewegungen der Schulter wird daher in der weiteren Auswertung der Muskel Deltoideus pars acromialis verwendet, da hier ein Kontakt zwischen Exoskelett und Elektroden nahezu ausgeschlossen werden kann.

Abb. 10 Vergleich der Muskeln Deltoideus pars clavicularis, acromialis und spinalis bei Adduktion der Schulter von 0° bis 90°.
Abb. 10

Vergleich der Muskeln Deltoideus pars clavicularis, acromialis und spinalis bei Adduktion der Schulter von 0° bis 90°.

Im direkten Vergleich des ausgewählten Muskeln Deltoideus mit dem Triceps zeigt sich beim Triceps eine geringe Muskelaktivität in den Positionen 0 und 10 Grad (Abbildung 11). Durch die Nähe des Exoskeletts zum Körper ist eine Adduktion des Arms eingeschränkt. Die erhöhte Muskelaktivität des Muskels Deltoideus mit zunehmendem Winkel ist mit dem Eigengewicht den Arms zu begründen. Es zeigt sich, dass bei der Verwendung der Muskeln Deltoideus und Triceps sich eine Benutzerintention der Bewegungsrichtung eindeutig abschätzen lässt. Des Weiteren besteht ein Zusammenhang zwischen eingekoppeltem Drehmomentund aufgenommener Muskelaktivität.

Abb. 11 Statische Aufnahme des EMG-Signals der Muskeln Deltoideus (pars acromialis) und triceps brachii (caput longum).
Abb. 11

Statische Aufnahme des EMG-Signals der Muskeln Deltoideus (pars acromialis) und triceps brachii (caput longum).

Die Phasenverschiebung zwischen dem gemessenen Drehmoment und dem EMG-Signal beträgt zwischen 20 ms und 80 ms (Abbildung 12).

Abb. 12 Phasenverschiebung zwischen EMG und Drehmoments.
Abb. 12

Phasenverschiebung zwischen EMG und Drehmoments.

Die Phasenverschiebung lässt sich für die frühzeitige Detektion einer Benutzerintention verwenden.

5 Vergleich von Drehmoment und EMG

Um einen Zusammenhang zwischen dem gemessenen EMG-Signal des Muskels Deltoideus und dem Drehmoment zu ermitteln wird der Versuchsablauf für eine Postion von 40 Grad fünf mal wiederholt. Dabei werden die Elektroden der EMG-Messung zwischen den Abläufen nicht neu geklebt. Zwischen den fünf Abläufen, ist eine Pause von 10 Minuten vorgesehen. Anschließend wird jedem Wert des Drehmoments der zugehörige Ausschlag der EMG-Sensoren verknüpft (Abbildung 13). Dazu wird das aufgenommene EMG-Signal mit einem Tiefpass 6. Ordnung mit einer Grenzfrequenz von 5 Hz gefiltert. Die Fehlerbalken werden auf Basis der t-Verteilung mit einem zweiseitigen Vertrauensbereich für einen 2σ-Bereich berechnet. Die Messunsicherheit beträgt ±0,26 V. Es lässt sich ein linearer Zusammenhang zwischen gemessenem Drehmoment und dem EMG-Signal des Muskels Deltoideus ermitteln. Die Abhängigkeit lässt sich dazu mit der Funktion f(x)=1,28x+0,31 annähern. Dabei entspricht x dem gemessenem Drehmoment und y dem entsprechendem Signal des EMG-Sensors.

Abb. 13 Linearer Zusammenhang zwischen dem EMG-Signal des Muskels Deltoideus und dem Drehmoment.
Abb. 13

Linearer Zusammenhang zwischen dem EMG-Signal des Muskels Deltoideus und dem Drehmoment.

Ein Messeffekt von EMG ist bei antagonistischen Muskelgruppen während der Ausführung von Bewegung mit hoher Präzision zu beobachten. Hierbei wird durch die gleichzeitige Aktivierung (z. B. Triceps und Biceps) die Steifigkeit des Gelenkes erhöht, welches trotz eindeutiger Bewegungsrichtung in einem ähnlichen Ausschlag der Amplitude des EMG-Signals resultiert. Dieser Effekt wird bei einem Experiment deutlich, an welchem der Proband bei vorgegebener Bewegung von 0 bis 50° ein zusätzliches Drehmoment in einer Richtung von 1 Nm aufbringen soll (Abbildung 14).

Abb. 14 Gleichzeitige Aktivierung der Muskeln Biceps und des Antagonisten Triceps bei einer konstanten Einkopplung eines Nutzermoment von ca. 1 Nm und dynamischer Bewegung des Exoskelettes von 0° bis 50°.
Abb. 14

Gleichzeitige Aktivierung der Muskeln Biceps und des Antagonisten Triceps bei einer konstanten Einkopplung eines Nutzermoment von ca. 1 Nm und dynamischer Bewegung des Exoskelettes von 0° bis 50°.

Während bei der Drehmomentmessung ein deutlicher Unterschied Δτ im gemessenen Drehmomentsignal zum berechneten Modell zu sehen ist und daraus eine Bewegungsintention in definierter Richtung gedeutet werden kann, ist im EMG-Signal durch gleichzeitges Anspannen des Beugers und Streckers keine Bewegungsrichtung erkennbar.

In Verbindung mit dem vorgestellten Exoskelett sind der Musculus Deltoideus und Triceps brachii am geeignetsten um eine Abduktion und Adduktion des Arms festzustellen. Die Signalqualität des EMG-Signals ist von Faktoren wie Position der EMG-Elektroden und Vorbereitung der Haut abhängig und unterscheidet sich von Proband zu Proband. Für die Verwendung der EMG-Sensoren in Verbindung mit dem vorgestellten Exoskelett ist eine einmalige Kalibrierung vor der Verwendung notwendig. Dazu werden nach anbringen der EMG-Sensoren die EMG-Signale des Probanden für eine Trajektorie von 0 bis 90° aufgenommen und daraus ein für ihn unter den aktuellen Umständen (Position, Hautbeschaffenheit, Proband) gültiges Modell für die Verwendung zur Detektion einer Benutzerintention aufgestellt.

6 Fazit und Ausblick

Nutzerintention zur situationsabhängigen Ansteuerung von Robotern lässt sich sowohl über die mechanische Interaktion zwischen Mensch und Exoskelett, sowie der elektrischen Aktivierung der an einer Bewegung beteiligen Muskeln herleiten. Die Integration von Drehmomentsensoren in die kinematische Struktur des Exoskelettes ermöglicht die Messung aller in einer Achse wirkenden Momente, aus welchen über ein dynamisches Modell die Nutzermomente berechnet werden können. Während der Einfluss von Gravitation und Trägheit über die Massen und Geometrien der verbauten Komponenten berechnet werden können, müssen nichtlineare Gelenkreibung über Messungen bestimmt werden. Die Qualität der Messung des EMG-Signals ist abhängig von der Positionierung der Elektroden und der Hautoberflächenbeschaffenheit, weshalb vor Betrieb eine Kalibrierung durchgeführt werden muss. Durch die kinematische Struktur des Exoskelettes und der mechanischen Anbindung an den Oberarm sind nicht beliebig viele Muskeln für die Bestimmung der Nutzerintention messbar. Bei der Adduktion der Schulter liefert jedoch auch der nur indirekt an der Bewegung beteiligte Triceps Muskel ein deutliches Messsignal.

Abhängig der späteren Anwendung eignen sich EMG-Signale besonders zur aktiven Unterstützung von Patienten mit Muskelerkrankungen, da dort keine oder nur geringe mechanische Aktivität messbar ist. Hierzu müssen Modelle entwickelt werden, welche aus einem EMG die resultierende Trajektorie der Gelenkwinkel oder Drehmomente generieren. Die gemessenen Drehmomente eignen sich zur Anpassung vorgegebener Trajektorien im Gelenk- bzw. Arbeitsraum von Exoskeletten, um vorprogrammierte Bewegungen nutzerspezifisch anzupassen.

Über die Autoren

Markus Hessinger

Markus Hessinger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiets Mess- und Sensortechnik an der Technischen Universität Darmstadt. Seine Forschungsinteressen sind robotische Exoskelette und strukturintegrierte Sensorik.

Eike Christmann

Eike Christmann war Masterstudent am Fachgebiets Mess- und Sensortechnik an der Technischen Universität Darmstadt. Seine Forschungsinteressen sind strukturintegrierte Sensorsysteme und der Entwurf elektronischer Schaltungen mit hoher Messgenauigkeit.

Roland Werthschützky

Prof. Dr.-Ing. habil. Roland Werthschützky war bis 2015 Leiter des Fachgebiets Mess- und Sensortechnik an der Technischen Universität Darmstadt. Seine Forschungsinteressen sind Sensoren und Messsysteme zur Erfassung mechanischer Größen, sowie die Modellierung von elektromechanischen Systemen mit Netzwerken.

Mario Kupnik

Prof. Dr. mont. Mario Kupnik ist seit 2015 Leiter des Fachgebiets Mess- und Sensortechnik an der Technischen Universität Darmstadt. Seine Forschungsinteressen sind Ultraschall-Durchflusssensoren, Modellierung von Schallausbreitung, mikrobearbeitete Ultraschallwandler, niederfrequente Phased-Array-Ultraschallsensoren, akustische Levitation, Sensoren für biologische/chemische Flüssigkeiten, sowie die Modellierung und Fertigung von kapazitiven, mikrobearbeiteten Ultraschallwandlern (CMUTs) und deren Applikationen.

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Erhalten: 2017-11-30
Revidiert: 2017-11-30
Angenommen: 2018-02-26
Online erschienen: 2018-03-14
Erschienen im Druck: 2018-07-26

© 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 10.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/teme-2017-0133/html
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