Home Spitzensport und Marktstrategien
Article Publicly Available

Spitzensport und Marktstrategien

Adidas zwischen „Wirtschaftswunder“ und „Weltmarkt“
  • Rainer Karlsch EMAIL logo and Christian Kleinschmidt
Published/Copyright: December 30, 2019
Become an author with De Gruyter Brill

Zusammenfassung

Die Ökonomisierung bzw. die Kommerzialisierung des Sports ist ein langfristiger Prozess, der sich bereits seit der Wende zum 20. Jahrhundert vollzog und unterschiedliche Sportarten in unterschiedlichen Entwicklungsphasen und Geschwindigkeiten erfasste. Sportartikelunternehmen wie adidas beschleunigten diese Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg, indem sie anlässlich sportlicher Großereignisse wie Olympischen Spielen oder Fußball-Weltmeisterschaften intensive Kontakte und Netzwerke zu Spitzensportlern und Funktionären aufbauten. Dabei ging es zunächst um die individuelle Ausrüstung der Sportler mit Schuhen und Kleidung, seit den 1960er Jahren dann auch um Promotionverträge bei denen – in West- wie in Osteuropa – Geldzahlungen eine zunehmend wichtige Rolle spielten. Eine solche Vermarktlichung – also die Gestaltung von Prozessen, die bislang über den Staat oder bürokratische Strukturen und nun zunehmend über den Markt geregelt wurden (Ahrens et al. 2015: 395f.) [2], was im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Subsystemen durchaus eine Art „Normalisierung“ darstellte, erreichte spätestens in den 1980er Jahren und mit der massenmedialen Verbreitung des Sports neue Dimensionen, die wiederum mit Hilfe von adidas unter Horst Dassler in Kooperation mit dem IOC und der FIFA vorangetrieben wurden und die Grundlagen einer Kommerzialisierungsspirale legten, deren Auswirkungen bis in die Gegenwart reichen.

Summary

The economization or commercialization of sport is a long-term process that has taken place since the turn of the 20th century and has involved different sports in different phases of development and at different speeds. Sporting goods companies such as Adidas accelerated this development after the Second World War by establishing intensive contacts and networks with top athletes and officials on the occasion of major sporting events such as the Olympic Games or the FIFA World Cup. This initially involved the individual equipping of athletes with shoes and clothing, and from the 1960s on also promotion contracts in which money payments played an increasing role, in both Western and Eastern Europe. Such market processes—which, in comparison to other social subsystems, certainly represented a kind of "normalization"—reached new dimensions at the latest in the 1980s and with the mass media spread of sport, which in turn was promoted with the help of Adidas under Horst Dassler in cooperation with the IOC and FIFA and laid the foundations for a spiral of commercialization, the effects of which continue to this day.

1 Einleitung

Sportliche Höchstleistungen basieren nicht zuletzt auf einer hochwertigen Ausrüstung der Sportlerinnen und Sportler. Das betrifft insbesondere die Sportkleidung, Sportgeräte und Sportschuhe, die im Laufe der Zeit eine immer stärkere Spezialisierung und Ausdifferenzierung erfahren haben. Die Hersteller dieser Produkte sind Sportartikelunternehmen, die sich als solche in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg auf nationalen und internationalen Märkten etabliert haben. So wie die Sportler auf die Sportartikelhersteller und ihre Produkte angewiesen sind, so sind diese wiederum auf die Spitzensportler angewiesen, denn ohne diese werden keine Höchstleistungen erbracht, die wiederum als Aushängeschild dienen, die die Markenprodukte des Unternehmens bekannt machen, ihr ein Gesicht geben und als Markenbotschafter den Erfolg der Marke in alle Welt tragen. Beide, Sportler und Sportartikelhersteller, gehen ein reziprokes, bisweilen fast symbiotisches Verhältnis ein, und profitieren vom gegenseitigen Erfolg, der wiederum von weiteren Rahmenbedingungen abhängig ist, etwa von Markt- und Wettbewerbsbedingungen und von einem hohen gesellschaftlichen Stellenwert des Sports. Dabei spielen sportliche Großveranstaltungen wie Olympische Spiele und Fußball-Weltmeisterschaften eine wichtige Rolle. Dort geht es um die Präsentation von Höchstleistungen, die wiederum von einem großen Publikum wahrgenommen und über Massenmedien transportiert werden. Sportliche Großveranstaltungen sind zudem Kommunikationsbörsen, bei denen es in großem Stil zu Austauschmöglichkeiten zwischen Sportlern, Funktionären und Sportartikelproduzenten kommt. Wie die Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts für die Industrie entwickelten sich im 20. Jahrhundert Olympische Spiele und Fußball-Weltmeisterschaften zu sportlichen Weltleistungsschauen, bei denen zunehmend auch Aspekte der Vermarktung und Kommerzialisierung eine Rolle spielten.

Dieses Wechselverhältnis von Sport und Sportartikelindustrie soll im Folgenden unter Berücksichtigung zentraler Akteure wie Sportler, Funktionäre und Unternehmer am Beispiel von adidas dargestellt werden. Dabei soll deutlich werden, wie der Sportartikelhersteller adidas nach dem Zweiten Weltkrieg Kontakte zu Sportlern und Funktionären und sportliche Großveranstaltungen als Plattform für Werbe-, Promotions- und Marketingstrategien nutzte, um zum größten deutschen Sportartikelproduzenten und schließlich zu einem Global Player aufzusteigen.

2 Kommerzielle Inkubationszeit: Die 1950er bis 70er Jahre

2.1 Olympische Spiele

Olympische Spiele waren die Sportereignisse des 20. Jahrhunderts. Sie stehen für sportlichen Wettkampf und Wettbewerb, für Tradition und Körperkult ebenso wie für Internationalität und Völkerverständigung. Die ersten Olympischen Spiele nach dem Zweiten Weltkrieg fanden im Jahr 1948 in London statt, im gleichen Jahr, als auch adidas gegründet wurde. Für Adolf Dassler hatten die Olympischen Spiele bereits vor dem Zweiten Weltkrieg eine große Bedeutung, denn der Aufstieg des Unternehmens der Gebrüder Dassler (Adolf bzw. „Adi“ und Rudolf) war eng mit den Olympischen Spielen 1928 in Amsterdam und 1936 in Berlin verknüpft. Dabei spielten persönliche Kontakte zum Trainer der deutschen Olympiamannschaft, Josef Waitzer, eine wichtige Rolle. Waitzer wurde ein enger Berater der Firma Gebrüder Dassler und hielt sich häufig in Herzogenaurach auf. In Kooperation mit Waitzer entwickelte Adi Dassler einen Rennschuh, der schließlich als „Modell Waitzer“ firmierte und mit dem die deutsche Mittelstreckenläuferin Lina Radke 1928 die Goldmedaille im 800m-Lauf errang. Die Sprinterin Leni Schmidt gewann als Teilnehmerin der 4x100m-Staffel die Bronzemedaille in Schuhen der Gebrüder Dassler. Diese internationalen Erfolge waren eine gute Werbung für das Unternehmen, welches im Olympiajahr 1928 einen deutlichen Absatzschub erfuhr und insgesamt 8000 Paar Fußball- und Rennschuhe verkaufte. Waitzer erwies sich auch als wichtige Kontaktperson zur Verbreitung von Dassler-Schuhen im Ausland und über die Olympischen Spiele hinaus. Das zeigte sich vor allem bei den Olympischen Sommerspielen 1936 in Berlin. Auch 1936 war Waitzer noch Trainer der deutschen Olympiamannschaft und öffnete Adi Dassler den direkten Zugang zum olympischen Dorf, so dass sich umfangreiche Möglichkeiten für die Firma Gebrüder Dassler boten, individuelle Kontakte zu Trainern, Sportlern und Funktionären zu knüpfen (Adidas 2008; Geldner 1999: 23). Es war in erster Linie Adi Dassler, der in seiner Funktion als Schuhspezialist und Techniker an diesen Kontakten interessiert war, unabhängig davon, ob es sich um deutsche oder ausländische Sportler handelte. Ihn interessierte vor allem die technische Weiterentwicklung seiner Produkte, die Innovation von Sportschuhen und die optimale Anpassung und Ausrichtung auf die individuellen Bedürfnisse der Athleten. Hier liegen die Ursprünge netzwerkartiger, persönlicher Beziehungen zu Spitzensportlern, die eine individuelle Betreuung der Athleten und zugleich eine enge Bindung an die Schuhmarke bzw. die Firma der Gebrüder Dassler ermöglichten. Dieses „System Adi Dassler“ sollte nach dem Zweiten Weltkrieg weiter ausgebaut werden.

An diese Erfolge wollte Adi Dassler nach der Neugründung seines Unternehmens anknüpfen. Voraussetzung dafür war, die Aufmerksamkeit der nationalen und internationalen Sportöffentlichkeit wieder auf die Firma Dassler zu lenken, ab 1948 dann auf adidas. Er hatte dabei gegenüber seinem Bruder Rudolf zwei entscheidende Vorteile: Aufbauend auf seiner Schuhmacher-Ausbildung und einer Spezialisierung auf Sportschuhe war er ein Techniker und Tüftler, eine Art „Erfinder-Unternehmer“, der in seinem Bestreben, qualitativ hochwertige und individuell anpassungsfähige Schuhe für Spitzensportler zu fertigen, auf persönliche Kontakte zu seinen Kunden setzte. Bruder Rudolf kam eher von der kaufmännischen Seite, wobei sich im klassischen Sinne Techniker und Kaufmann bei der Unternehmensführung ideal ergänzten. In der Nachkriegszeit erwies sich das spezielle Know-how und das während der großen Sportereignisse seit Mitte der 1920er Jahre gesammelte Erfahrungswissen inklusive der netzwerkartig ausgebauten persönlichen Kontakte für diese Branche als wertvolle Geschäftsbasis. 1948, anlässlich der Olympischen Spiele in London und mehr noch 1952 bei den Spielen in Helsinki, bot sich die Möglichkeit, dieses Geschäftsmodell auszubauen. Und wiederum stach ein Sportler heraus, der durch seine Erfolge weltweites Aufsehen erregte und der, zumindest aus westlicher Perspektive – ähnlich wie seinerzeit Jesse Owens bei den Spielen 1936 in Berlin – eine Art Außenseiterposition einnahm. Emil Zátopek, die „tschechische Lokomotive“, der aus einem Land kam, welches sich seit der Teilung der Welt im Zuge des Kalten Krieges auf der anderen Seite des „Eisernen Vorhangs“ befand, und der aufgrund seiner sportlichen Erfolge ein früher Werbeträger und Markenbotschafter für adidas nach dem Zweiten Weltkrieg war.

Adi Dasslers Sohn Horst trat mit den Olympischen Spielen 1956 in Melbourne in die Fußstapfen seines Vaters und baute dessen Erfolgsmodell, basierend auf guten Kontakten zu den Spitzensportlern bei sportlichen Großveranstaltungen, erfolgreich aus (Grupe 1992: 20ff.; Smit 2005: 64ff.). Adidas hatte spezielle Schuhe für unterschiedliche Sportarten entworfen, so etwa Spikes mit vier Dornen und seitlicher Kunststoffverstärkung, in denen der Amerikaner Glenn Davis die Goldmedaille im 400m Hürdenlauf gewann. Auch der amerikanische Diskuswerfer Al Oerter gewann in adidas-Schuhen die Goldmedaille und entwickelte sich zu einem der erfolgreichsten Leichtathleten der 1960er Jahre, indem er auch bei den folgenden Olympischen Spielen 1960 in Rom, 1964 in Tokio und 1968 in Mexiko siegte und sich so auch für adidas als ein weiterer, herausragender Markenbotschafter erwies. Bei all diesen Olympischen Spielen war das Unternehmen in ganz unterschiedlichen Disziplinen mit jeweils speziellem Schuhwerk erfolgreich und konnte so mit Verweis auf den häufigen Gewinn von Medaillen und Weltrekorden in adidas-Schuhen Werbung machen (Adidas 2008). „In Melbourne kämpfte die Jugend der Welt“, so das Titelblatt eines neuen adidas-Werbeprospektes aus dem Jahr 1956, „72 Olympia-Medaillen, 33 Weltrekorde wurden im Olympia-Jahr mit adidas errungen.“ [3] Der mit Fotos der Olympischen Spiele und adidas-tragenden Spitzensportlern reich bebilderte Werbeprospekt resümierte: „Melbourne wurde zum überragenden Triumph für adidas-3-Riemen-Schuhe.“ (Ebd.) Den Grundstein dafür legte wie bereits bei Adi Dassler die offensive Kontaktaufnahme Horst Dasslers zu Spitzensportlern, Funktionären und Händlern während der Spiele. Dazu hatte er ein großes Kontingent von Schuhen mit nach Melbourne gebracht, was zu erheblichen Problemen mit dem Zoll und den Vertragshändlern vor Ort führte. Diese konnten umgangen werden, indem die Schuhe als technische Ausrüstung deklariert und z.T. vor Ort an Sportler verschenkt wurden, was sich zugleich als geschickte Werbekampagne entpuppte. Fast schon generalstabsmäßig plante Horst Dassler die Kontaktaufnahme zu erfolgreichen oder auch erfolgversprechenden Sportlern mit dem Ziel, vor allem Medaillengewinner als adidas-Werbeträger gewinnen zu können. Die Strategie erwies sich mit Blick auf die hohe Zahl an Medaillengewinnern in adidas-Schuhen als zielführend und führte sogar dazu, dass zunehmend Sportler von sich aus den Kontakt zu adidas mit dem Wunsch nach einer Schuhausrüstung aufnahmen. Dieser Effekt sollte sich langfristig auch auf den „normalen“ Endverbraucher übertragen (Grupe 1992: 24f.). In der modernen Sprache des Marketing, die Mitte der 1950er Jahre noch nicht Eingang in die adidas-Unternehmensstrategie gehalten hatte, würde man hier von „Sales Promotion“ bzw. von „Trade Promotion“ sprechen, von Maßnahmen sowie Anreizen der Verkaufsförderung, u.a. in Form von Provisionen und Geschenken (Freyer 2011: 488 ff.). Es waren dies zugleich Kernelemente eines sich langsam herausbildenden „System Horst Dassler“.

Der in den 1950er Jahren noch bestehende Amateurstatus bei zahlreichen Sportarten, insbesondere in der Leichtathletik, setzte diesen Maßnahmen jedoch zunächst noch Grenzen. Geld durfte offiziell nicht gezahlt werden, aber das Überlassen von Schuhen und Ausrüstung war möglich und durchaus üblich. Zu diesem System der Promotion äußerte sich Horst Dassler einige Jahre später rückblickend:

„Am Anfang war es so, dass die Promotion über Sportler sehr preisgünstig war. Es floss kein Geld, es ging nur um Ausrüstung. Die Werbung in den Medien war vergleichsweise teuer. Heute hat sich das ausgeglichen. Man kann heute nicht mehr sagen, dass Promotion billiger ist als Werbung in den Printmedien. Das Anpeilen der Zielgruppen über die Promotion ist jedoch exakter zu bewerkstelligen. Ein Spitzensportler, der sich in Sportartikeln präsentiert, spricht gezielt die potentiellen Kunden an. Wenn ich in Publikumszeitschriften Anzeigen schalte, muß ich mit einem Streuverlust von 30 oder gar 40 Prozent rechnen.“ (Geldner 1999: 60f.)

Und noch einen weiteren Vorteil bot der Kontakt zu den Spitzensportlern: Nach der Beendigung ihrer Karriere konnten sie als Mitarbeiter für adidas angeworben werden und verfügten damit über ausgezeichnete Kenntnisse der Sportszene, die sie dann als Promotoren, Handelsvertreter, Repräsentanten oder Verkaufsleiter für das Unternehmen einsetzen konnten. Die ersten Repräsentanten, die nach der sportlichen Karriere bei adidas anheuerten, waren die Franzosen Jocelyn Delecour und Michel Jazy, die Horst Dassler nach den Olympischen Spielen 1956 in Melbourne für das Unternehmen gewann (Geldner 1999: 60; Grupe 1992: 26).

Ende der 1950er Jahre änderte sich die Sportwelt jedoch rasant. Es war dies zugleich die Hochzeit des „Wirtschaftswunders“ und der sich entwickelnden Markt- und Massenkonsumgesellschaft, die auf einem raschen Wirtschaftswachstum in einer Wettbewerbswirtschaft, steigenden Einkommen und mehr Freizeit beruhte. Die damit verbundene Kommerzialisierung des Alltagslebens wirkte sich auch auf den Sport und hier insbesondere auf den Fußball aus. Die bereits in den 1930er Jahren einsetzenden Kommerzialisierungstendenzen erfuhren durch die Gründung der Fußball-Bundesliga 1963 einen deutlichen Schub. Das machte sich auch bei den Spielergehältern bemerkbar, selbst wenn diese zunächst noch gedeckelt waren (Bleeker-Dohmen et al. 2007: 502). Der Wunsch, mit seinen sportlichen Tätigkeiten und dem hohen Trainingsaufwand auch eine materielle Absicherung und Anerkennung zu erfahren, beschränkte sich nicht allein auf die Spitzenfußballer, sondern griff auch auf andere Sportarten über. Spitzensportler wie Armin Hary, der als 100m-Olympiasieger von Rom 1960 im Zentrum der medialen Öffentlichkeit stand, dachten nicht mehr allein in den Kategorien von Amateursportlern, sondern zunehmend auch in denjenigen der Professionalität sowie der Markt- und Wettbewerbswirtschaft. Dazu trug im Falle Armin Harys auch dessen USA-Aufenthalt bei, der nicht nur zur professionellen Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Rom diente, sondern der ihm auch neue Erfahrungen in einer bereits stark kommerzialisierten Gesellschaft ermöglichte. Adi Dassler hatte, wie für zahlreiche andere Spitzensportler, auch für Armin Hary spezielle Schuhe für die Olympischen Spiele in Rom angefertigt. Aus finanziellen Gründen wechselte Hary dann aber kurz vor dem 100m-Finale zum adidas-Konkurrenten Puma. Für einen erneuten Wechsel zurück zu adidas forderte er ein Honorar oder aber eine Generalvertretung von adidas in den USA. Den 100m-Endlauf gewann er dann in Puma-Schuhen, während er bei der Siegerehrung dann wieder adidas-Schuhe trug (Geldner 1999: 61; Peters 2007: 46f.; Vetten 2008: 132). Das war für den in Kategorien des Amateursports denkenden Adi Dassler eine große Enttäuschung. Am Ende trennten sich sowohl adidas als auch Puma im Streit von Hary. Die De-Amateurisierung des Sports konnten sie damit nicht aufhalten. Und letztendlich hatte „Rudolf Dassler diese Büchse der Pandora geöffnet“, so urteilt die Wirtschaftsjournalistin Barbara Smit etwas pathetisch, „als er bei den Spielen von Rom dem Sprinter Armin Hary Geld dafür bezahlte, dass er bei seinem Siegeslauf über 100 Meter Puma-Schuhe trug. Von da an stellten Sportler hemmungslos Forderungen und scherten sich nicht um die Verletzung der Amateurregeln“ (Smit 2005: 80).

Auch die noch sehr stark vom Kalten Krieg geprägten deutsch-deutschen Sportbeziehungen wurden von der beginnenden Kommerzialisierung des Sports beeinflusst. Die anhaltenden deutsch-deutschen Grabenkämpfe im olympischen Sport hielten die westdeutschen Sportartikelhersteller nicht davon ab, Kontakt mit dem Deutschen Verband für Leichtathletik (DVfL) der DDR zu suchen. Hingegen wurden Gespräche mit dem Deutschen Turn- und Sportbund (DTSB), der in der Praxis unmittelbar dem Zentralkomitee der SED unterstand und im März 1961 in der Bundesrepublik zur verfassungsfeindlichen Organisation erklärt worden war, noch vermieden (Ewald 1994: 163). Mitte der 60er Jahre – die DDR hatte inzwischen die Bundesrepublik in der Leichtathletik leistungsmäßig überholt und stellte mehr Mitglieder für die gemeinsame Olympiamannschaft für die Sommerspiele in Tokio 1964 – wurde eine erste Absprache über einen Ausrüstungsvertrag zwischen adidas und dem DVfL getroffen (Kluge 1999: 12f.). Demnach sollten die DDR-Leichtathleten bei internationalen Wettkämpfen nur adidas-Schuhe tragen. Die Sportschuhe erhielt der DVfL von adidas kostenlos, ohne dass damit Werbeverpflichtungen verbunden waren.

Die getroffene Vereinbarung zwischen adidas und dem DVfL spielte eine wichtige Rolle in Zusammenhang mit einem sportpolitischen Skandal während der Leichtathletik-Europameisterschaft in Budapest 1966. Ausgelöst wurde dieser durch die erbitterte Konkurrenz zu Puma, der Firma von Adis Bruder Rudolf. Der westdeutsche Mittelstreckenläufer Karl Eyerkaufer steckte in Absprache mit dem Puma-Generalvertreter Heinz Fütterer (Dittrich 2006), bis 1958 einer der besten deutschen Sprinter, dem DDR-Mittelstreckler Jürgen May, dessen Wettkampf schon beendet war, einige Paar Puma-Laufschuhe und 100 US-Dollar zu. May sollte die Puma-Produkte unter seinen Teamkollegen anpreisen und insbesondere Jürgen Hase, der bereits den 10.000 Meter Lauf gewonnen hatte, 500 US-Dollar Handgeld in Aussicht stellen, wenn er das Finale über 5.000 Meter mit Puma-Schuhen anstelle von adidas-Schuhen bestreiten würde (Kluge 1999: 12f.; Zeit Online 2011). Der Schuhwechsel wurde von Inge Dassler beobachtet und dem Generalsekretär des DVfL, Erhard Schöber, mitgeteilt. Sie drohte ihm damit, die Angelegenheit der Presse zuzuspielen, falls der DVfL nichts unternähme (May 2017).

Hase hatte, ohne es zu ahnen, gegen die erwähnte Vereinbarung zwischen adidas und dem DVfL verstoßen. Diese sah vor, dass allein adidas die für die Europameisterschaft nominierten DDR-Sportler mit Schuhen ausrüstet. Im Gegenzug hatte sich der DVfL verpflichtet, dass seine Athleten die Wettkämpfe ausschließlich in adidas Schuhen absolvieren. Von dieser Absprache wurden die Sportler nicht informiert. Zudem verstieß die Annahme von Geld gegen die Amateur-Statuten des Weltleichtathletikverbands (IAAF). Schöber stellte Hase zur Rede, der alles sofort zugab und den Sachverhalt bestätigte. Mit den ausgehändigten Dollar-Noten und Puma-Schuhen in der Hand trat Schöber schließlich auf dem 25. IAAF-Kongress auf und prangerte die Bestechungspraktiken westlicher Firmen an (Metzner 1967).

In die DDR zurückgekehrt, traf der Zorn der Sportfunktionäre in erster Linie Jürgen May. Während Hase begnadigt wurde, legte der Präsident des DTSB, Manfred Ewald, dem „Anstifter“ May einen Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen nahe. May weigerte sich und wurde daraufhin vom DVfL „wegen Verletzung der IAAF-Regeln von der Teilnahme an jeglichen weiteren Wettkämpfen“ ausgeschlossen. Jürgen May, 1965 zum Sportler des Jahres der DDR gewählt, wurde so nicht allein ein Opfer des Kalten Krieges, sondern auch des Bruderkampfes zwischen adidas und Puma (Haffner 2007: 46-48).

Nüchtern betrachtet befand sich die gesamte Sportbranche in einer Transformationsphase, die gekennzeichnet war von einer schleichenden Abkehr vom Amateursport. Dieser Prozess der Modernisierung und Professionalisierung verlief über mehrere Jahrzehnte, begann bereits vor dem Zweiten Weltkrieg und wurde beschleunigt durch die Durchsetzung der Markt- und Konsumgesellschaft der späten 50er Jahre. Im Falle von adidas zeigte er sich im Übergang vom „System Adi Dassler“ zum „System Horst Dassler“, von einem familiär-emotional zu einem stärker rational geführten Unternehmen, wie es bei adidas-France der Fall war. Adidas France war als erstes Tochterunternehmen im Jahr 1960 unter der Leitung von Horst Dassler gegründet worden, wobei er in viel stärkerem Maße als sein Vater Adi auf moderne Werbe- und Marketingmaßnahmen setzte. Dabei konnte es auch zu Grenzüberschreitungen kommen, zum Einsatz unlauterer Mittel bei der Erreichung hoch gesteckter Unternehmensziele, wobei die einmal in Gang gesetzte Spirale der Kommerzialisierung zunehmend die gesamte Sportwelt erfasste.

Der Freizeitsportmarkt sollte in den 1970er Jahren an Bedeutung gewinnen. Die im Vorfeld der Olympischen Spiele von München 1972 ins Leben gerufene „Trimm-Dich“-Bewegung sprach zunehmend auch Freizeitsportler an, die als neue Zielgruppe für den Absatz eines weiter ausdifferenzierten Produktangebots von Interesse waren.

Im Jahr 1970 hatte der Deutsche Sportbund die „Trimm-Dich“-Bewegung initiiert. Städte, Kommunen, Unternehmen, Medien und Politik unterstützten diese Kampagne zur Förderung des Breitensports und der Gesundheit, die insbesondere auch Frauen und Kinder animieren sollte, Sport zu treiben. Die Kampagne führte zu einer deutlichen Zunahme der Mitgliedschaften in Sportvereinen und erhöhte damit auch das Potential an Sportartikelkonsumenten (Palm 2000: 73 ff.). Die Olympischen Sommerspiele in München gaben dieser Bewegung noch einmal zusätzlichen Schwung. Darauf stellte adidas sich nicht nur durch die Herstellung neuer Sportschuhmodelle wie dem ab 1975 produzierten „Trimm-Trab“ ein, sondern dies bot für adidas auch den Anlass, das Produktportfolio über das 1967 begonnene Engagement im Bereich der Textilien auf Badebekleidung auszuweiten. Es war auch diesmal Horst Dassler, der dank seiner Kontakte zu dem siebenfachen Goldmedaillengewinner Mark Spitz die Idee zu einem Engagement von adidas im Bereich der Badebekleidung hatte, damit allerdings auf deutlichen Widerstand seiner Eltern stieß, für die die Marke adidas in erster Linie mit der Herstellung von Sportschuhen in Verbindung stand. [4] Auch hier zeigten sich einmal mehr Differenzen zwischen adidas France und dem Mutterkonzern in Herzogenaurach. Horst Dassler setzte sich in dieser Frage über die Bedenken aus Herzogenaurach hinweg. Nur ein Jahr nach den Olympischen Spielen wurde die Marke „arena“ für adidas-Schwimmbekleidung ins Leben gerufen und Mark Spitz als Werbeträger gewonnen. Der bisher auf dem Schwimmbekleidungsmarkt dominanten Firma „speedo“ konnten in kurzer Zeit erhebliche Marktanteile abgenommen werden. Schon bei der Schwimm-Weltmeisterschaft in Belgrad im Jahr 1973, also noch im Jahr der „arena“-Gründung, trugen bereits zwei Drittel aller Athleten Produkte der neuen adidas-Marke „arena“. Der Textilbereich und die Schwimmbekleidung hatten durch die Olympischen Spiele und sicherlich auch im Zuge des Breitensports und der „Trimm-Dich“-Bewegung einen deutlichen Aufschwung erfahren, so dass auch die Schwimmbekleidung zunehmend auf den Freizeitsport zugeschnitten wurde. Diese Entwicklung spiegelte sich auch in den adidas-Umsätzen wider. Der Textilbereich stieg innerhalb kurzer Zeit auf über 40 Prozent des gesamten adidas-Umsatzes an und erwies sich damit als Erfolgsmodell (Smit 2005: 99f.).

Mit Blick auf die Olympischen Sommerspiele in München fielen die Werbeanstrengungen umfangreicher aus. Adidas stellte für seine Händler einen Werbemittelkatalog mit Vorschlägen für eine „durchschlagende Werbung“ zusammen. Merchandising Produkte wie Olympiadecken, Sitzkissen oder Wasserbälle mit adidas-Aufdruck spielten dabei ebenso eine Rolle wie Hinweise auf die „Trimm-Dich“-Aktion, die einmal mehr den Freizeit-Sport in den Mittelpunkt stellte. Hinzu kamen Anzeigen- und Schaufenster-Werbung sowie die Produktion eines adidas-Werbefilms. [5]

Die Olympischen Sommerspiele in München boten einerseits neue Möglichkeiten der Werbung und Promotion für adidas, zeigten aber auch die Grenzen, die die noch stark an traditionellen Maßstäben orientierte Werbung innerhalb des „System Adi Dassler“ sowie auch das Reglement des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) setzten.

Adidas trat in München nicht nur als „Offizieller Ausrüster der deutschen Olympiamannschaft“ in Erscheinung, sondern auch als „Offizieller Ausrüster der XX. Olympischen Spiele“ in München. Es wurden zudem weitere Ausrüsterverträge mit Sportlern abgeschlossen, und wie bereits bei den Olympischen Spielen in Rom, Tokio und Mexiko eröffnete ein „adidas-Olympia-Shop“, der Werbezentrum und Anlaufstelle für Sportler während der Spiele war. [6]

Im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele von München war es adidas auch gelungen, mit Verbänden aus Ländern des Ostblocks Promotion-Verträge abzuschließen. Dies führte dazu, dass die meisten Olympiasieger in München adidas-Schuhe trugen. Der sowjetische Sprinter Walerij Borsow brach die Dominanz der Sprinter aus den USA und gewann den 100 und 200 Meter Lauf in Schuhen, die Adi Dassler eigens für ihn gefertigt hatte. [7] Später machte Borsow Karriere als Sportfunktionär in der UdSSR und der Ukraine.

Die Olympischen Sommerspiele von München brachten auch eine gewisse Entspannung in den deutsch-deutschen Sportbeziehungen. Erstmals konnte die DDR mit einer eigenen Olympiamannschaft antreten. Ein herausragendes Sprintduell lieferten sich in München die 4-mal-100-Meter-Damen-Staffeln der BRD und der DDR. Schlussläuferin für die DDR war Renate Stecher, die über 100 und 200 Meter bereits die Einzel-Goldmedaille gewonnen hatte. Für die BRD ging Heide Rosendahl, die bereits Gold im Weitsprung und Silber im Fünfkampf geholt hatte, als Letzte ins Rennen. Rosendahl rettete einen knappen Vorsprung ins Ziel und gewann mit ihren Teamkolleginnen Gold. Das Bild vom knappen Ausgang des Rennens ging um die Welt. Es stand einerseits für die Systemkonkurrenz zwischen Ost und West und die Aufwertung des Sports als Leistungsschau. Andererseits enthielt es, wenn auch unterschwellig, eine verbindende Werbebotschaft. Beide Ausnahmesportlerinnen trugen nämlich adidas-Schuhe (Bösch 2015: 9f.).

Die Grenzen der Werbemöglichkeiten wurden adidas jedoch durch das IOC und seinen Präsidenten gesetzt. Avery Brundage, noch ganz in der Tradition Pierre Coubertins sowie auch von Carl Diems „Eigenwelttheorie“ des Sports stehend und als Verteidiger des Amateurstatus auftretend, hatte 1970 anlässlich eines Treffens des „IOC Executive Board“ eine Brandrede mit dem Titel „Olympic Games in Danger“ gehalten, in der er vehement gegen die Kommerzialisierung des Sports und für die Beibehaltung des Amateurstatus der Sportler argumentierte:

„The Olympic Games must be confined to amateurs or they are a commercial enterprise with all idealism lost, and when the day comes, as has just now been demonstrated by the overwhelming vote of the good citizens of Zurich, the Olympic Games, mark well my words, are doomed.“ [8]

Nach den Olympischen Spielen in München äußerte er sich enttäuscht über die Kommerzialisierung und Vulgarisierung des Olympischen Emblems, das auf Souvenirs weltweit Verbreitung gefunden habe. [9] Zudem achtete Brundage streng auf die Einhaltung der Regel Nr. 53, wonach „auffällige Markierung zu Reklamezwecken“ verboten war. Die Kleidung der Sportler durfte nicht die Bezeichnung des Herstellers tragen, und auch Taschen mit Reklame-Namen waren nicht zulässig. „We are simply trying to keep Olympic premises free from advertising“, so Brundage in einem Schreiben an Adi Dassler im August 1972. [10] Diese strikte Haltung wirkte in Zeiten eines zunehmend kommerzialisierten Sportbetriebs anachronistisch und stieß vor allem bei Horst Dassler, der diese Entwicklung maßgeblich mit vorangetrieben hatte, auf massiven Widerstand. Wenn Trainingsanzüge mit drei Streifen als Werbung betrachtet würden, so schrieb er an Monique Berlioux vom IOC, so wirke sich das vor allem negativ auf den Amateursport aus, da die Amateure dann nicht mehr von den Hilfen der Hersteller profitieren könnten. [11]

Unterdessen hatte Horst Dassler mit adidas France schon in den 60er Jahren die Professionalisierung vorangetrieben, einige französische Werbeagenturen aufgekauft, Marketingfachleute eingestellt und den Bereich der Promotion professionalisiert (Grupe 1992: 130). Seine Aktivitäten hatten auch dazu geführt, dass adidas als offizieller Balllieferant bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften auftrat. Die IOC-Regeln legten dem „System Horst Dassler“ jedoch ein enges Korsett an. Als dann noch kurz vor den Olympischen Spielen 1972 ein amerikanischer Sportler adidas anklagte, ihm sei Geld für das Tragen von adidas-Schuhen während der Olympischen Spiele angeboten worden (was sich im Nachhinein als haltlos herausstellte), wandte sich Horst Dassler an das IOC nicht nur, um diesen Einzelfall als Intrige der Konkurrenz bloßzustellen, sondern um zugleich auf die grundsätzliche Gefahr hinzuweisen, die ein Gegeneinander-Ausspielen der Hersteller durch die Athleten beschwor. Der Fall Armin Hary hatte 12 Jahre zuvor für einen ähnlichen Skandal gesorgt. Durch neue Regeln sollten diese Vorfälle vermieden werden. [12] Es ist naheliegend, dass die Gründung neuer Institutionen, die die Vermarktung von Werberechten bei sportlichen Großereignissen wie den Olympischen Spielen regeln sollten, eine weitere Konsequenz aus den Münchener Erfahrungen darstellte. Entsprechende Initiativen Horst Dasslers sollten allerdings erst etwa ein Jahrzehnt später in Angriff genommen werden.

2.2 Fußballweltmeisterschaften

Neben der Leichtathletik spielten der Fußball und die Produktion und Vermarktung von Fußballschuhen eine zentrale Rolle für den Aufstieg von adidas. Der Fußballsport hatte seinen Durchbruch zum Volkssport in Deutschland in den 1920er Jahren erlangt und brachte in den 1930er Jahren mit dem FC Schalke 04 einen Verein hervor, der sich zu einem Mythos entwickelte und einzelne Spieler zu Helden und Identifikationsfiguren machte. Nach 1945 stachen in den Meisterschaften der Besatzungszonen der 1. FC Nürnberg und der VfB Stuttgart in der amerikanischen Zone sowie der 1. FC Kaiserslautern in der französischen Besatzungszone hervor. Die erste westdeutsche Meisterschaft errang 1948 der 1. FC Nürnberg durch einen 2:1 Sieg gegen den 1. FC Kaiserslautern. Abgesehen vom VfR Mannheim, der die erste Fußballmeisterschaft nach der Gründung der Bundesrepublik im Jahr 1949 gewann, teilten sich Nürnberg und Kaiserslautern zu Beginn der 1950er Jahre die Meistertitel, und adidas setzte auch beim Mannschaftssport Fußball auf die erfolgreichen Siegermannschaften. Der adidas-Jubiläumsprospekt des Jahres 1950 zum 30jährigen Geschäftsjubiläum und zum 50. Geburtstag von Adi Dassler hob hervor, dass „die bekanntesten Fußball-Mannschaften in adidas Fußballstiefeln (spielen)“. [13]

Fußballweltmeisterschaften sollten dann, ähnlich wie Olympische Spiele, für die Entwicklung von adidas und die “Marke mit den 3 Riemen“ von herausragender Bedeutung sein. Allerdings spielte die deutsche Mannschaft, bis auf die WM 1934 in Italien, als sie den dritten Platz errang, noch keine große Rolle bei internationalen Turnieren. Die erste Nachkriegsweltmeisterschaft 1950 in Uruguay entschied der Hausherr für sich. Der deutsche Fußballbund war noch nicht wieder in die FIFA aufgenommen worden, so dass diese WM in der westdeutschen Öffentlichkeit kaum als sportliches Großereignis wahrgenommen wurde. Dies änderte sich 1954 mit der Austragung der Fußballweltmeisterschaft in der Schweiz, an der erstmals nach dem Krieg eine deutsche Mannschaft teilnahm und dann auch gleich den Weltmeistertitel errang. Für adidas war diese WM ein Schlüsselereignis von nicht zu überschätzender Bedeutung für die Entwicklung des Unternehmens. Und auch hier kam wieder den persönlichen Kontakten Adi Dasslers eine zentrale Bedeutung zu – und zugleich spiegelte sich einmal mehr die Wettbewerbssituation mit Puma wider. Als Vorteil erwiesen sich die guten Kontakte Adi Dasslers zum Trainer der deutschen Nationalmannschaft, Sepp Herberger. Ähnlich wie einst Josef Waitzer die Türen zu den Sportlern der Olympiamannschaft geöffnet hatte, ermöglichte Herberger den direkten Zugang zu den Spielern der Fußball-Nationalmannschaft. Doch war diese Entwicklung zugleich von persönlichen Konflikten begleitet.

Bereits seit Beginn der 1950er Jahre hatte Adi Dassler beharrlich um die Aufmerksamkeit Herbergers geworben. Immer wieder wandte sich Dassler an Herberger, schickte ihm Modelle der neuesten Produkte mit der Bitte, diese etwa mit zu den Olympischen Spielen nach Helsinki zu nehmen und weitere Kontakte herzustellen. Die Schreiben Adi Dasslers an Herberger nahmen im Vorfeld der WM 1954 fast schon servile Züge an, etwa wenn Dassler versicherte, dass Herberger „jederzeit über [ihn] verfügen“ könne. [14]

Die unermüdlichen Versuche einer Kontaktaufnahme zu Herberger zeitigten schließlich Erfolg. Das im Sommer 1954 folgende „Wunder von Bern“ erwies sich auch als eine Art „Wunder von adidas“, denn der Name adidas ist seitdem untrennbar mit der deutschen Fußballnationalmannschaft und ihren Erfolgen verknüpft. Ausschlaggebend dafür war nicht zuletzt die Geschichte der Schraubstollen, die sich in der deutschen Fußballgeschichte fast ebenso zu einem Mythos entwickeln sollten wie das „Wunder von Bern“ selbst. Vielfach wurde seitdem die Geschichte des Schraubstolleneinsatzes beim Endspiel der WM im Berner Wankdorfstadion gegen den vermeintlich übermächtigen Gegner Ungarn beschrieben. Der weit verbreitete Eindruck, die auswechselbaren Schraubstollen seien erst kurzfristig für die WM zum Einsatz gekommen und anlässlich des einsetzenden Regenwetters im Endspiel sogar spielentscheidend gewesen, wird allerdings durch Adi Dasslers eigene Entwicklungsarbeiten widerlegt. Die „Nockenschuhe“ hatte er bereits 1949 patentieren lassen, und auswechselbare Klötzchen waren schon lange vor der WM 1954 im Einsatz. Im Übrigen erinnerte sich Fritz Walter, dass die Spieler individuell unterschiedliche Schuhe bzw. Schuhsohlen favorisierten. Er selbst bevorzugte kurze Stollen, Liebrich höhere Stollen, und Hans Schäfer spielte sogar bei Regenwetter in Nockenschuhen. [15]

Gleichwohl profitierte die Sportschuhherstellung bei adidas vom Erfolg der WM 1954. Der Schuhverkauf stieg von 1954 auf 1955 von 157.000 Paar jährlich auf 221.000, der Umsatz von 3,1 auf 4,9 Mio. DM, bei einer Belegschaft von ca. 170 Personen. [16]

Für den wirtschaftlichen Erfolg von adidas sowie auch für Host Dassler persönlich war schließlich auch die Fußball-WM 1962 in Chile eine wichtige Etappe. Im Auftrag seiner Eltern reiste Horst nach Chile, um dort im Sinne der Marktbearbeitung Kontakte zu Spielern und Mannschaften herzustellen. Im Mittelpunkt des Chile-Besuchs standen neben dem Ausbau des bereits von Adi Dassler praktizierten Netzwerks nun auch Kontakte zu osteuropäischen Mannschaften und zum Teil auch mit unlauteren Methoden, der Einsatz finanzieller Mittel zu Promotionszwecken einschließlich der medialen Begleitung dieser Aktivitäten sowie eine insgesamt deutlich strategischere Herangehensweise durch Horst Dassler. Seinen Eltern berichtete Horst Dassler laufend über den Fortgang des Besuchs in Chile. Mit seinen Mitarbeitern ging es ihm vor allem darum, Kontakte zu unterschiedlichen Nationalmannschaften herzustellen und diese mit Fußballschuhen auszurüsten – und dabei möglichst dem Konkurrenten Puma zuvorzukommen. Zudem galt es, viele Fotos und Filmszenen von Nationalmannschaften und Spielern in adidas-Schuhen zu Werbezwecken zu verbreiten – und dabei auf eine internationale Ausrichtung zu achten. „Werbung am besten nicht zu sehr auf Deutschland, sondern auf international“, so Horst Dassler in den telegrammstilartigen Berichten an die Eltern, „da Deutschl. kaum sehr weit kommen wird.“ [17] So stellte Horst Dassler nach seiner Ankunft in Chile zunächst Kontakte zu Brasilianern und Argentiniern her, gefolgt von den „Russen“, zu denen der Kontakt u.a. über einen jugoslawischen Journalisten geknüpft wurde, schließlich auch zu Spaniern und Tschechoslowaken. Seinen Eltern konnte Horst Dassler zur Beruhigung mitteilen: „Von PUMA haben wir noch nicht viel gesehen + gehört.“ [18]

Ziel Dasslers war es, möglichst viele Teilnehmermannschaften der WM mit adidas Schuhen auszurüsten. Das war ein anstrengendes und aufreibendes Geschäft, bei dem Dassler auch mit Rückschlägen zu kämpfen hatte und permanent „am Ball“ bleiben musste. Geld oder Sachleistungen spielten dabei eine immer größere Rolle. Das gilt auch für Einladungen von FIFA-Funktionären zum Mittagessen oder die Anbahnung von Geschäften mit Vertretern der tschechoslowakischen Mannschaft. Geschenke wie etwa Armbanduhren waren, wenn auch in kleinem Maßstab, erste Grenzüberschreitungen, Begleiterscheinungen der Kommerzialisierung des Sports, bei denen Bestechung und Korruption im Rahmen von internationalen sportlichen Großereignissen zunehmend eine Rolle spielten und die offensichtlich von zahlreichen Unternehmen praktiziert wurden. Die Auslandskorruption war in vielen Branchen ein „wesentlicher Bestandteil des westdeutschen Exportwunders“ (Berghoff 2016: 29) seit den 1950er Jahren und wurde bis in die 1980er Jahre von der Bundesregierung weitgehend gebilligt. Ausschlaggebend dafür waren unterschiedliche Rechts- und Moralvorstellungen in einigen Staaten, die selbst den Bundesgerichtshof anlässlich eines Korruptionsfalles dazu brachten festzustellen, dass Schmiergeldzahlungen in einigen Ländern geradezu eine Voraussetzung dafür seien, Geschäfte abschließen zu können (Berghoff 2016: 30).

Insgesamt war die Chile-Reise Horst Dasslers für das Unternehmen ein großer Erfolg, schließlich spielten die meisten Spieler in Schuhen von adidas, neue konnten hinzugewonnen werden, und die mediale Aufbereitung sorgte für eine hohe Werbewirksamkeit.

Bei der Fußball-WM in Chile hatte Puma gegenüber adidas noch das Nachsehen, auch wenn man mit dem Weltmeisterspieler Pelé einen wichtigen Spieler als Aushängeschild gewonnen hatte. Insgesamt hinkte Puma bezüglich seiner Promotion-Strategie hinter adidas her. Erst mit der Verpflichtung von Eusébio, dem portugiesischen Nationalspieler und Fußballer des Jahres 1965, beschritt auch Puma konsequent den bereits von adidas seit vielen Jahren eingeschlagenen Weg, Spitzensportler als Werbeträger langfristig an sich zu binden. Eusébio erhielt ein Honorar in Höhe von 10.000 DM. Ein Fußballschuh wurde nach ihm benannt. Ebenso wie Adi Dassler verfolgte auch Rudolf Dassler diese Entwicklung zwar widerwillig, ohne sie letztendlich aufhalten zu können. Und ähnlich wie bei adidas war es Rudolfs Sohn Armin, der die Kommerzialisierung des Fußballsports mit vorantrieb und etwa anlässlich der WM in Mexiko die Kontakte zu Pelé intensivierte und einen hoch dotierten Honorarvertrag abschloss, der dem Fußballstar zudem 10%ige Tantiemen an den Fußballschuhen zugestand. Dabei hatten die Cousins Armin und Horst Dassler ursprünglich ein Abkommen geschlossen, wonach beide auf einen Werbevertrag mit Pélé verzichteten. Dieser „Pélé-Pakt“ wurde allerdings von Puma einseitig gebrochen, was zu erheblichen Verstimmungen bei Horst Dassler führte und die Konkurrenz beider Unternehmen weiter anheizte (Peters 2007: 49; Smit 2005: 108ff.).

3 Promotion-Verträge mit osteuropäischen Verbänden und Vereinen

Mitte der 70er Jahre stand ein Generationswechsel bei den wichtigsten internationalen Sportverbänden bevor. Die alte Garde an der Spitze von FIFA und IOC gab ihre Ämter ab. An ihre Stelle traten mit dem Brasilianer Joao Havelange und dem Spanier Juan Antonio Samaranch zwei Männer, die sich der Vermarktung des Sports nicht entgegenstellten, sondern diesen Trend förderten.

Im Vorfeld des Ausscheidens von Brundage aus dem höchsten Amt des IOC wurden die Karten neu gemischt. Als Kandidat für den Posten der Präsidenten ging Juan Antonio Samaranch ins Rennen, der zur Zeit der Franco-Diktatur Staatssekretär für Sport in Spanien gewesen war. Dem IOC gehörte Samaranch seit 1966 an. Er fungierte von 1968 bis 1975 und erneut von 1979 bis 1980 als Protokollchef. Nach dem Tod Francos 1975 hatte es in Spanien Proteste gegen Samaranch gegeben. Um ihn aus der Schusslinie der öffentlichen Kritik zu nehmen, wurde er 1977 für zwei Jahre als spanischer Botschafter nach Moskau entsandt.

Horst Dassler hatte vor allem über Christian Jannette, Mitarbeiter der sportpolitischen Abteilung von adidas France, frühzeitig beste Beziehungen zum umstrittenen Spanier aufgebaut und dessen Wahlkampf für den IOC-Posten unterstützt. Dasslers Kalkül ging auf. Während der Präsidentschaft von Samaranch schaffte das IOC die Amateursportler-Regelung ab und ließ Profisportler zu den Wettbewerben zu. Zugleich wurde das Programm an olympischen Wettbewerben ausgebaut.

Diese hier nur grob umrissenen Zäsuren in der internationalen Sportpolitik bildeten auch den Hintergrund für das gesteigerte Interesse von adidas an handels- und sportpolitischen Kontakten zu den Ländern des Ostblocks, zuvorderst der Sowjetunion. Dabei kam dem Herzogenauracher Familienunternehmen dessen frühzeitige internationale Ausrichtung ebenso zugute wie das große Geschick von Horst Dassler im Umgang mit anderen Kulturen. Er hatte keine Illusionen, was den diktatorischen Charakter der Ostblockländer betraf, schätzte aber klare Machtverhältnisse (Smit 2007: 140).

Nachdem Horst Dassler bei adidas France eine Promotion-Abteilung gegründet und deren Leitung John Boulter [19] übertragen hatte, entschied die Dassler Familie im Jahr 1972, dass ein ähnliches Ressort auch in Herzogenaurach geschaffen werden müsse. [20] Als Chefin der neuen Promotion-Abteilung in Herzogenaurach agierte Brigitte Baenkler, [21] die drittälteste Tochter von Adi und Käthe Dassler. Aufgrund ihrer sehr guten Russischkenntnisse interessierte sie sich für den Aufbau der Beziehungen zu den Ländern des Ostblocks.

Eine strikte Trennlinie zwischen Promotion auf nationaler und internationaler Ebene gab es nicht. Die sportpolitische Abteilung bei adidas France und die Abteilung Promotion International in Herzogenaurach stimmten ihr Vorgehen ab und waren teilweise gemeinsam tätig. Eine Aufgabenteilung erfolgte zunächst nach Ländergruppen, wobei Herzogenaurach unter anderem für Osteuropa und Skandinavien verantwortlich war. Die USA und Westeuropa wurden, abhängig von der Sportart und dem Produkt, gemeinsam betreut. Später unterteilte man grundsätzlich nach Sportarten: Herzogenaurach übernahm die Promotion für Fußball, American Football, Baseball und Gymnastik sowie für die olympischen Sportarten; Landersheim kümmerte sich um Tennis, Schwimmen und Basketball. Ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen beiden Standorten blieb dennoch bestehen. Letztendlich sollte sich die firmeninterne Konkurrenz aber eher als fördernder denn hemmender Faktor erweisen.

Der Abschluss von Promotion-Verträgen stellte einen der effektivsten Hebel für die Einflussnahme auf Sportverbände und Vereine dar. Häufig war schwer zu unterscheiden, ob dabei der Werbeeffekt oder ob sportpolitische Ziele im Vordergrund standen. Die Promotion-Verträge mit den Staaten des Ostblocks sahen die kostenlose Abgabe von Sportartikeln sowie die Zahlung einer jährlichen Gebühr dafür vor, dass sich der jeweilige Verband bzw. Club dazu verpflichtete, bei allen wichtigen internationalen Sportveranstaltungen seine Sportler ausschließlich mit adidas-Material antreten zu lassen. Da diese Veranstaltungen von Millionen Zuschauern in der ganzen Welt gesehen wurden und die beteiligten Spitzensportler als Idole galten, war der Werbeeffekt enorm und trug dazu bei, den Bekanntheitsgrad der Marke adidas weiter zu erhöhen.

Die ersten Promotion-Verträge mit Verbänden und Clubs eines sozialistischen Landes schloss adidas 1971 ab; [22] mehrere renommierte tschechoslowakische Fußballvereine, darunter Sparta Prag, wurden damals zu Partnern. Ein Jahr später folgten Verträge mit dem tschechoslowakischen Basketball- und Handballverband. Ebenfalls 1972 kam es zu Abschlüssen mit jugoslawischen Sportverbänden. Verträge mit bulgarischen, rumänischen und ungarischen Verbänden folgten zwischen 1973 und 1978. Die meisten Promotion-Verträge, insgesamt 16, wurden mit ungarischen Partnern geschlossen. Die Sportbeziehungen zu ungarischen Verbänden reichten bis zur Leichtathletik-Europameisterschaft 1954 in Bern zurück. Bereits bei den Olympischen Sommerspielen in Rom 1960 trug die Mehrzahl der ungarischen Sportler adidas-Schuhe. Ab 1972 wurden dann auch adidas-Textilien zur Verfügung gestellt. [23]

Natürlich war adidas bestrebt, Promotion-Verträge auch mit den beiden erfolgreichsten Sportnationen des Ostblocks, der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik, abzuschließen. Entsprechende Verhandlungen wurden Mitte der 70er Jahre parallel geführt. Von herausragender Bedeutung waren dabei die Gespräche mit sowjetischen Sportfunktionären. Nachdem 1974 die Entscheidung gefallen war, dass Moskau die Olympischen Sommerspiele 1980 ausrichten sollte, hatte Horst Dassler ein neues großes Ziel. Er wollte die sowjetische Sportführung sowohl für Geschäfte mit adidas gewinnen als auch deren Unterstützung bei der Wahl ihm genehmer Kandidaten für die wichtigsten Gremien des internationalen Sports erreichen. Dassler beauftragte Christian Jannette mit den Verhandlungen. Als Protokollchef der Olympischen Spiele von München hatte Jannette vielfältige Kontakte zu Sportfunktionären in der ganzen Welt geknüpft (Smit 2007: 175). Horst Dassler, seine persönliche Assistentin Huguette Clergironnet (die zuvor bei der französischen Botschaft in der Sowjetunion gearbeitet hatte und perfekt Russisch sprach) und Jannette agierten bei den Gesprächen mit den sowjetischen Funktionären äußerst geschickt. In besonderem Maße galt dies für ihre Verhandlungen mit dem sowjetischen Sportminister Sergej Pawlow. [24] An der bisherigen sportpolitischen Linie seines Landes hielt er zwar offiziell fest, zeigte sich auf internationalem Parkett aber flexibel. Während der Olympischen Sommerspiele in Montreal 1976 arrangierte Jannette für Pawlow sogar einen geheimen Ausflug zu den Niagara-Fällen (Smit 2017: 174f.). Zuvor war es Dassler und Jannette bereits gelungen, Pawlow für den Abschluss eines Promotion-Vertrags zu gewinnen. Dieser wurde Anfang 1976 unterzeichnet (Iber 2013: 43). Der Vertrag sicherte adidas die exklusive Ausstattung von neun sowjetischen Sportverbänden zu – darunter die Verbände für Fußball, Handball, Eishockey und Leichtathletik, sowie des Fußballvereins Dynamo Kiew – mit Schuhen, Trainingsanzügen und sonstigen Sportartikeln für den Zeitraum vom 1. März 1976 bis 31. Dezember 1980. [25]

Die Sportführung der DDR betrachtete Pawlows „Alleingänge“ mit Sorge. [26] Auf verschiedenen Leitungsebenen gab es in dieser Zeit Spannungen zwischen sowjetischen und DDR-Sportfunktionären. Allzu viel drang davon jedoch nicht an die Öffentlichkeit. Bei adidas ging man davon aus, dass nach dem „Moskauer Paukenschlag“ auch sehr bald ein Vertragsabschluss mit dem Deutschen Turn- und Sportbund (DTSB) folgen werde.

Die Sportclubs und Vereine in der DDR waren angewiesen, nur in der DDR oder anderen Ostblockstaaten produzierte Sportartikel zu nutzen. Werbung für westliche Sportartikelhersteller zu treiben war verboten. Noch bis Ende der 70er Jahre versuchten Partei- und Sportfunktionäre auch mit Hilfe des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), diese Linie gegenüber Verbänden und Sportlern durchzusetzen. Als Anfang 1979 bei einem kleinen Sportverein in der mecklenburgischen Provinz adidas-Trainingsanzüge verteilt wurden, deuteten dies die übergeordneten Instanzen des DTSB als Zeichen „politischer Infiltration“. [27] Es gab mehrere solcher „Vorfälle“, die, umso bizarrer wirkten, als adidas, gewissermaßen auf leisen Sohlen, längst im Spitzensport der DDR angekommen war. Die Politik der Restriktionen und Selbstbeschränkung erwies sich zunehmend als Hemmnis für Spitzenathleten, die auf das beste Material angewiesen waren, um im Wettkampf erfolgreich sein zu können.

Anfang der 80er Jahre mussten mehrere Ostblockländer ihre Zahlungsunfähigkeit gegenüber westlichen Gläubigern erklären. Internationale Banken schätzten nun auch die Bonität der DDR als unbefriedigend ein, zogen kurzfristige Einlagen ab und verweigerten neue Kredite. Die DDR geriet an den Rand der Zahlungsunfähigkeit.

Auch der DTSB sah sich angesichts der dramatischen wirtschaftlichen Lage der DDR zu Einsparungen gezwungen. Etlichen Sportlern wurden Auslandsreisen gestrichen oder verkürzt, um Devisen zu sparen. [28] Der Leiter der Abteilung Finanzverwaltung und Parteibetriebe beim Zentralkomitee der SED, Heinz Wildenhain, forderte vom DTSB „den Verbrauch von Valuten auf ein unbedingt notwendiges Mindestmaß zu beschränken.“ [29] Die Zeichen der Zeit waren für den DTSB unübersehbar: Wollte die Organisation ihre Position im Machtgefüge der DDR behaupten, so musste sie einen Beitrag zur Erwirtschaftung von Devisen leisten.

Am liebsten hätte die DTSB-Führung ihre bisherige Haltung beibehalten, doch sie sah sich inzwischen im Ostblock isoliert. Hinter den Kulissen kam Bewegung in die scheinbar unverrückbaren sportpolitischen Standpunkte. Den letzten Anstoß gab ein Gespräch am Rande des Olympischen Kongresses in Baden-Baden im November 1981 zwischen Manfred Ewald und Horst Dassler. Der adidas-Chef wusste einmal mehr mit seinem Detailwissen über alle wichtigen Vorgänge in den internationalen Sportgremien zu beeindrucken. Geschickt betonte er die Unterschiede zwischen dem Sponsoring einzelner Sportler und der Förderung von Clubs oder Verbänden. Damit gab er der DTSB-Führung ein deutliches Signal und baute ihr gleichzeitig eine Brücke (Ewald 1994). [30]

Für die Sportführung der DDR war adidas unter allen Sportartikelherstellern die Nummer Eins. Wenn der DTSB auch weiterhin im internationalen Sportgeschehen eine führende Rolle spielen wollte, dann musste er ideologische Bedenken über Bord werfen und für eine Steigerung seiner Einnahmen sorgen. Die von adidas offerierten Promotion-Verträge, die man in den 70er Jahren noch ausgeschlagen hatte, boten die Chance, der SED-Führung zu zeigen, dass sich auch der Sport um eine Erhöhung der Deviseneinnahmen bemühte.

Ein erster Promotion-Vertrag zwischen adidas und dem DTSB wurde am 20. Juli 1982 in Ost-Berlin unterzeichnet. [31] Der Vertrag hatte eine Laufzeit vom 1. September 1982 bis zum 31. Dezember 1985 und verlängerte sich ohne rechtzeitige Kündigung automatisch um jeweils zwei Jahre. Adidas stellte dem DTSB jährlich für die A-Nationalmannschaften von 14 Verbänden Sportartikel zur Verfügung. Besonders wichtig war für den DTSB, dass auf der Sportbekleidung das Staatswappen der DDR oder die Buchstaben „DDR“ angebracht wurden.

Der Gesamtwert des Vertrages belief sich auf 900.000 D-Mark pro Jahr. In den Folgejahren wurden noch sechs Nachträge zum Generalvertrag vereinbart und die Summe immer weiter aufgestockt. Was für adidas zählte, das war der Werbewert. Da DDR-Sportler in den 80er Jahren, mit Ausnahme des Fußballs, international sehr erfolgreich waren, viele Medaillen gewannen und entsprechend häufig im Fernsehen zu sehen waren, zahlten sich die Promotion-Verträge für die Firma aus.

4 Globale Kommerzialisierung: SMPI – Rofa – ISL in den 1980er Jahren

Sportliche Großereignisse wie Olympische Spiele oder Fußballweltmeisterschaften waren bislang die Bühne, auf der adidas für seine Produkte warb. Entsprechende Strategien eines „Marketing von Sport“ sollten nach den Vorstellungen Horst Dasslers durch ein „Marketing mit Sport“ ergänzt werden. Ersteres meint die „Vermarktung von Sportprodukten durch Sportorganisationen und sportnahe Unternehmen“ (Nufer und Bühler 2011: 7), wie sie sich bei adidas mühsam seit Mitte der 1980er Jahre herausgebildet hatten. Unter letzterem versteht man die „instrumentelle Verwendung des Sports im Rahmen des Marketings von Unternehmen und Organisationen…“ (Freyer 2011: 53f.). Horst Dasslers Ziel war es, beides miteinander zu verknüpfen. Das bedeutete für adidas eine noch engere Kooperation mit großen Organisationen und Verbänden wie der FIFA oder dem IOC. Deren Marketingrechte galt es für sportliche Großereignisse zu erwerben, um diese dann wiederum an Sponsoren zu veräußern. Dadurch wurden der „FIFA World Cup“ oder die Olympischen Spiele dann selbst zu einem Produkt, mit dem große Unternehmen werben und dieses in ihre (globalen) Marketingstrategien integrieren konnten. Das Modell funktionierte vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung des Sports und seiner weltweiten medialen Verbreitung. Die Idee dazu stammte nicht ursprünglich von Horst Dassler, sondern von dem Briten Patrick Nally, der mit seiner Werbeagentur bereits umfangreiche Erfahrungen mit Sportsponsoren gemacht hatte. Nelly verfügte allerdings nicht über umfangreiche Kontakte in die Sportwelt, die wiederum Horst Dassler als weltweit vernetzter Sportunternehmer mitbrachte, insbesondere auch zur FIFA und zum IOC (Smit 2005: 129ff.). Auf der Seite der Verbände waren allerdings die Voraussetzungen für ein modernes Sportmarketing Anfang der 1970er Jahre noch nicht gegeben, nicht zuletzt, weil die personelle Leitung dieser Verbände über wenig Erfahrungen auf diesem Gebiet verfügte und, wie etwa Avery Brundage, mit Blick auf den Amateurstatus starke Vorbehalte gegenüber einer Kommerzialisierung des Sports hatten.

Die Entwicklung der FIFA „von einer Art Gentlemen’s Club [...] zu einem modernen Großunternehmen“ (Homburg 2008: 34) und dessen erfolgreicher Vermarktung des Produktes „FIFA World Cup“ war ein langfristiger Prozess, bei dem die WM 1954 in der Schweiz eine wichtige Etappe hin zu einer Verbindung von Fußball, Television und Kommerzialisierung darstellte. Die FIFA besaß ein Monopol auf dieses Produkt und konnte die Einnahmen aus dieser Veranstaltung – inklusive der Radio- und Fernsehübertragungsrechte – sukzessive erhöhen. Die 1960er Jahre stellten dann eine neue Ära dar, als unter der Führung von Sir Stanley Rous die FIFA sich zu einem wachstumsorientierten, zentral verwalteten Großunternehmen entwickelte (Homburg 2008: 50-57; Rinke und Schiller 2014). Aber erst unter Rous‘ Nachfolger Joao Havelange vollzog sich der Schritt in Richtung eines globalen Sportmarketing, nicht zuletzt deshalb, weil dessen Vorstellungen zur Durchführung der Fußball WM eine Ausweitung des Teilnehmerkreises unter expliziter Berücksichtigung von Ländern der „Dritten Welt“, insbesondere aus Afrika, Asien und Lateinamerika vorsah – was wiederum mit umfangreicheren Vermarktungsmöglichkeiten des Produkts „FIFA World Cup“ kompatibel war. Bei seiner Wahl als FIFA-Präsident im Jahr 1974 trat Havelange mit dem Versprechen an, die Teilnehmerzahl der WM von 16 auf 24 Mannschaften zugunsten der nichteuropäischen Staaten zu erhöhen. Tatsächlich setzte sich Havelange dann mit den Stimmen vor allem von Vertretern nichteuropäischer Staaten gegen den noch einmal angetretenen Stanley Rous durch (Eisenberg 2007: 230 ff.). [32] Horst Dassler, der zunächst Stanley Rous unterstützt hatte, war inzwischen auf Havelange umgeschwenkt, der sich als deutlich kompatibler mit Dasslers Kommerzialisierungsstrategien erwies. Damit begann eine neue Ära des Weltfußballsports. Diese bestand in erster Linie in der globalen Vermarktung der FIFA und ihres Produkts „FIFA World Cup“, die auch durch die politische Entwicklung seit den 1950er Jahren geprägt worden war. Das betraf vor allem die Dekolonisierung afrikanischer und asiatischer Staaten, die im Bereich des Fußballs die bis dahin wirksame europäische Dominanz in den Sportverbänden in Frage stellte. Zum anderen verband Havelange damit ein Projekt, welches unter Stanley Rous bereits in den 60er Jahren angestoßen worden war und welches unter Havelange wie auch unter dessen Nachfolger Sepp Blatter fortgeführt wurde: die Entwicklungspolitik der FIFA und die Integration der jungen Staaten der „Dritten Welt“. Dies gelang in Gestalt umfangreicher Fußball-Fördermaßnahmen, von Trainer- und Schiedsrichterlehrgängen und -ausbildungen über sportmedizinische Unterstützung bis hin zur Entsendung von Trainern aus europäischen Staaten und organisatorischen Hilfen der lokalen Verbände. Da das Entwicklungshilfebudget der FIFA für dieses wachsende Engagement ab Mitte der 70er Jahre nicht mehr ausreichte, suchte Havelange nach neuen Finanzierungsmöglichkeiten – und sollte sie in der Kooperation mit Patrick Nally und Horst Dassler schließlich finden. Insofern schloss sich bei der FIFA eine Lücke, denn Havelange erwies sich gegenüber seinem Vorgänger als der geeignetere Sportmanager, der zugleich über jahrelange unternehmerische Erfahrungen verfügte, während Rous als Lehrer und Verbandsfunktionär auf diesem Gebiet wenig beschlagen war. Havelange, der auch über gute Kontakte zur brasilianischen Militärjunta verfügte, war nach seiner Sportlerkarriere u.a. Vorsitzender der größten brasilianischen Autobusgesellschaft und als Aufsichtsratsmitglied in diversen Unternehmen vertreten gewesen. Und während Rous das kommerzielle Engagement der FIFA möglichst im Hintergrund halten wollte und etwa hinsichtlich der Ausrüstung von Schiedsrichtern mit Kleidung und Schuhen durch adidas größten Wert darauf legte zu betonen, dass dies auf eine Initiative von adidas zurückzuführen war, wie er auch insgesamt Sponsorenangelegenheiten eher nachrangig behandelte, stand Havelange der Kommerzialisierung des Fußballsports deutlich aufgeschlossener gegenüber. Bereits im Jahr 1976 kam es zum Abschluss eines Kooperationsvertrags zwischen der FIFA und Coca-Cola unter Vermittlung Patrick Nallys, und die bislang eher hintergründig abgeschlossene Vereinbarung mit adidas über die Ausstattung internationaler Schiedsrichter erhielt nun eine langfristige Perspektive. Coca-Cola wurde damit zum exklusiven Sponsor der FIFA und durfte dementsprechend die Logos, Markenzeichen und Symbole der FIFA nutzen. Im gleichen Jahr wurde auch ein Lizenzvertrag zwischen Coca-Cola und adidas abgeschlossen, so dass etwa bei von adidas initiierten Fußballveranstaltungen die Bezeichnung „Adidas game sponsored by The Coca-Cola Company“ benutzt werden durfte. Zugleich wurde der Status von adidas als offiziellem Balllieferant der FIFA bestärkt (Eisenberg et al. 2004: 244 ff.; Smit 2005: 132 f.). [33]

Mit diesen offensiven Vermarktungsstrategien hatte Havelange einerseits die öffentliche Aufmerksamkeit auf das entwicklungspolitische Engagement der FIFA gelenkt und schlug gleichzeitig eine Brücke zum globalen Sportmarketing und zur globalen Vermarktung des Produkts „FIFA World Cup“, wobei er auf die Unterstützung und die Interessenkongruenz mit Patrick Nally und Horst Dassler setzen konnte. Denen ging es schließlich auch um eine Institutionalisierung dieses Engagements. Die erfolgte dann im Jahr 1977 mit der Gründung der Société Monégasque de Promotion International WestNally (SMPI) in Monaco, einem Joint Venture, an dem West Nally zu 45% und Horst Dassler zu 55% Anteile besaßen. Die SMPI erwarb und verkaufte auch die Rechte an den Fußball- Weltmeisterschaften in Argentinien 1978 und in Spanien vier Jahre später, wobei neben Coca-Cola auch andere Unternehmen wie Canon, JVC, Seiko, Metaxa involviert waren (Smit 2005: 135 f.).

Die informellen Beziehungen machten aber auch anfällig für Misstrauen und Streit. Über finanzielle Ungenauigkeiten bei SMPI gerieten schließlich Horst Dassler und Patrick Nally aneinander, und es kam zum Zerwürfnis der beiden. In die Lücke stieß mit dem Unternehmen Dentsu eine große japanische Werbeagentur, die schließlich im Jahr 1982 neben Horst Dassler als Mitbegründerin einer neuen Agentur namens International Sport and Leisure (ISL) fungierte. Unter dem Dach eines weiteren Unternehmens, der Sporis Holding AG mit Sitz in Luzern, war die ISL Marketing AG zu 51% im Besitz der Familie Dassler und zu 49% im Besitz von Dentsu. Daneben existierte noch die in 100%igem Besitz der Familie Dassler befindliche ISL Licensing (International Sports-, Culture- and Leisure AG) mit Sitz in Zug. Innerhalb der Sporis-Holding verstand sich die ISL Marketing AG in erster Linie als weltweite Agentur des Internationalen Leichtathletikverbandes IAAF und kümmerte sich um die Marketing- und Fernsehrechte sowie Sponsoringfragen der Leichtathletik-Weltmeisterschaften, während die ISL Licensing für das IOC und die nationalen Olympischen Kommitees für die weltweite Vermarktung der Olympischen Spiele zuständig war. Das Fußballgeschäft von FIFA und UEFA lag weiterhin im Aufgabenbereich der Rofa. [34]

Für die weiteren ISL-Aktivitäten stellte Horst Dassler ein internationales „Marketing Management Team“ zusammen, welches neben dem ehemaligen Unilever-Manager Klaus Hempel und Jürgen Lenz (ehem. McCann Erickson) auch Manager von Dentsu aus Japan, ehemalige Mitarbeiter von Canon Europe oder Nestlé aus den Niederlanden sowie aus Großbritannien umfasste. [35] In den nachfolgenden Jahren wurden umfangreiche Marketing- und Vermarktungskonzepte für sportliche Großveranstaltungen wie Olympische Spiele, Leichtathletikweltmeisterschaften oder Fußballweltmeisterschaften entwickelt, die adidas neben seinem Kerngeschäft zusätzliche Einnahmen bescherten. Dazu gehörte das sogenannte „TOP“-Programm (The Olympic Partnership Programme), welches im Auftrag der ISL Sponsorenverträge an große Unternehmen und dabei das Prinzip der SMPI-Aktivitäten fortsetzte. Das IOC beauftragte nun die ISL, ein weltweites Marketingprogramm zu entwerfen und die Rechte an Markenzeichen, Logos und Symbolen als Mittlerorganisation zentral zu vermarkten, anstatt jeweils Verträge mit den einzelnen nationalen Olympischen Komitees abzuschließen. Eine solche Zentralisierung trug zur Vereinfachung und Effektivierung der Vermarktung von sportlichen Großveranstaltungen im Sinne eines erfolgreichen Sportmarketings bei. [36]

Aus Sicht des IOC wiederum war die Vereinbarung mit der ISL Licensing AG ein wichtiger Schritt bei der Erschließung neuer Finanzressourcen:

„This project appeared to be the most likely to allow the diversification of resources and assistance to NOCs in the greatest need.“ [37]

Diese Vereinbarung, so hieß es weiter, „is aimed at commercialising the Olympic emblem under the control of the IOC. The resulting revenue will go to the NOCs, OCOGs and the IOC itself.“ [38] Bis zum Jahr 1986 hatten sich 121 NOCs der Vereinbarung angeschlossen. Das waren 75% aller NOCs weltweit. Sponsoren des TOP-Programms waren neben Coca-Cola Eastman-Kodak u.a. Federal Express, Visa und 3M, die für die Olympischen Spiele 1984 in Los Angeles insgesamt 104 Mio. $ aufbrachten und damit eine lukrative Ergänzung der Einnahmen aus Fernseh- und Rundfunkrechten darstellten. [39] Gleichwohl hatte das Olympische Organisationskomitee in Los Angeles (LAOOC) im Vorfeld der Spiele von den „least commercial Games of the modern era as a direct result of the stringent sponsorship requirements and selection process initiated by the LAOOC“ gesprochen. [40]

Tatsächlich erhielt die Kommerzialisierung der Olympischen Spiele durch die ISL-Gründung einen zusätzlichen Schub. Die sich zunächst eher im Hintergrund abspielenden und vor den adidas-Familienmitgliedern offenbar sogar verheimlichten ISL-Aktivitäten sind vor allem auf Horst Dasslers Initiativen und Verhandlungsgeschick zurückzuführen. Die Verflechtungen zwischen adidas, einigen großen Unternehmen und Sportverbänden gerieten zunehmend ans Licht einer kritischen Öffentlichkeit. Das MANAGER-MAGAZIN titelte 1985 „Geld und Spiele“, der SPIEGEL überschrieb im Jahr 1986 eine Titelstory mit „Adidas-Weltmeisterschaft – Der gekaufte Sport“ und brachte einen längeren Beitrag mit der Überschrift „‘Dassler will alles kontrollieren‘. Der fintenreiche Aufstieg des adidas-Chefs zum Herrscher im Weltsport“. Tenor der Geschichte war, dass Verbandsgrößen wie Joao Havelange oder der neue IOC-Präsident Samaranch letztendlich ebenso im Dienst des Firmenimperiums adidas ständen wie einige Sportreporter des öffentlich-rechtlichen Fernsehens sowie zahlreiche Sportfunktionäre und auch Sportler selbst (Spiegel 2013).

Tatsächlich dauerte es noch etwa zwei Jahrzehnte, bis eine Strafuntersuchung wegen „ungetreuer Geschäftsbesorgung“, dann allerdings gegen die FIFA sowie gegen Verantwortliche des Managements der ISL Gruppe, eingeleitet wurde. Dabei wurde sowohl Joao Havelange als auch dessen Schwiegersohn Ricardo Terra Teixeira vorgeworfen, „ihre Pflichten gegenüber der FIFA, welche ihren Sitz in Zürich hat, dadurch verletzt zu haben, dass sie es unterlassen haben, die von der ISMM/ISL Gruppe erhaltenen Zuwendungen der FIFA gegenüber offen zu legen und herauszugeben […]“. [41] Teixeira hatte sich zudem als Kandidat für die Präsidentschaft des brasilianischen Fußballverbandes beworben, was in der Presse Mitte der 80er Jahre kontrovers diskutiert worden war. Er galt als „schlecht informiert“, verfüge über wenig Erfahrung und bewege sich am Rande der Korruption. Gleichwohl hatte „adidas do Brasil“ seine Werbekampagne mit 30.000 $ „aus Gründen des Konzerninteresses“ und mit Blick auf eine Vertragsverlängerung mit der FIFA unterstützt. [42] Das Gespann Havelange/Teixeira hatte in dieser Zeit für adidas und die ISL eine zentrale Bedeutung. Das Verfahren gegen Havelange im Jahr 2010 wurde zwar eingestellt, nachdem die Staatsanwaltschaft Zug die Bedingungen dafür in Form einer angemessenen Schadensgutmachung formulierte, doch wurde ausdrücklich festgehalten, dass die Provisionszahlungen an Havelange in Höhe von mindestens 1,5 Mio. SFr durch die ISL den Tatbestand der Bereicherung und der „privaten Bestechung“ erfüllten:

„Die Zahlungen erfolgten mit dem Ziel, den Einfluss von Joao Havelange als Präsident der FIFA im Hinblick auf die letztlich durch die FIFA mit der Gesellschaft 1 („ISL“) geschlossenen und vom Beschuldigten unterzeichneten Verträge vom 12.12.1997 und 26.05.1998 zu nutzen. Joao Havelange wurde im Umfang der eingenommenen und pflichtwidrig nicht weitergeleiteten Provisionen bereichert, die FIFA im gleichen Umfang geschädigt.“ [43]

Zugleich wurde der FIFA „mangelhafte Organisation ihres Unternehmens vorgeworfen. Der Vorwurf besteht darin, es unterlassen zu haben, für eine strikte interne Reglementierung zu sorgen […]“. [44] Zudem zeigten die Untersuchungen, dass diese Praxis der „Provisionszahlungen“ bis in die 1980er Jahre – und damit in die Zeit Horst Dasslers – zurückreichten. [45] Die ISL ging 2001/03 in Konkurs, Joao Havelange trat 2013 als Ehrenpräsident der FIFA wegen Korruptionsvorwürfen gegen ihn zurück (SPIEGEL online 2013).

5 Fazit

Sportartikelhersteller wie adidas sind Unternehmen, die ihre Produkte am Markt verkaufen. Wichtigste Kunden dieser Produkte waren zunächst Spitzensportler, die in Schuhen und Sportkleidung Höchstleistungen erzielten und ein Interesse an einer exzellenten Sportausrüstung hatten. Solange im Bereich des Sports der Amateurstatus dominierte, also etwa bis zu den 1980er Jahren, waren die Sphären der Sportler und diejenige der Sportartikelhersteller zwei getrennte Welten. Mit Hilfe von Ausrüstungs- und Promotionsverträgen für Sportverbände und einzelne herausragende Sportler, die nicht nur die besten Sportausrüstungen erhielten, sondern auch über direkte Geldzahlungen, fand eine Ökonomisierung des Sports statt, die sich über mehrere Jahrzehnte in verschiedenen Sportarten und unterschiedlichen Geschwindigkeiten vollzog. In deren Folge kam es zur Aufweichung des Amateurstatus im Spitzensport.

Für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bedeutete dies insofern auch eine Normalisierung, als eine Vermarktlichung immer weitere Bereiche der Gesellschaft, und damit auch den Sport, erfasste. Das Unternehmen adidas spielte dabei eine zentrale Rolle.

Adi Dassler, der Gründer des Unternehmens, hatte bereits vor dem Zweiten Weltkrieg zusammen mit seinem Bruder Rudolf das Unternehmen „Gebrüder Dassler“ gegründet, welches von engen Kontakten zu Spitzensportlern und Funktionären profitierte. Nach 1945 knüpfte Adi Dassler an diese Entwicklung an (während zeitgleich Bruder Rudolf das Unternehmen Puma gründete) und führte das Familienunternehmen adidas, bedingt durch die Erfolge von Sportlern, die seine Produkte bei sportlichen Großveranstaltungen wie Olympischen Spielen und Fußballweltmeisterschaften trugen, zu großen Erfolgen. Sein Sohn Horst, der ein erstes Tochterunternehmen im Ausland gründete (adidas France), perfektionierte diese Strategie einer engen Verknüpfung von Sportlern und Sportausrüster und verschob dabei zunehmend die Grenzen zwischen Amateursport und Ökonomie bzw. unternehmerischen Interessen. Die Vermarktlichung des Sports über die Ausrüstung von Sportlern mit Schuhen und Kleidung, materielle Anreize und Promotionverträge stellten dabei die Push-Faktoren der Angebotsseite einer Entwicklung dar, die im Zuge einer zahlreiche gesellschaftliche Bereiche erfassende Marktdurchdringung auch auf Pull-Faktoren auf Seiten der Sportler, der Sportvereine und –verbände sowie Funktionäre traf. Die Sportler äußerten zunehmend ein Interesse an einer angemessenen „Belohnung“ ihrer sportlichen Leistungen, so dass die Amateurregeln, dort, wo sie nach dem Zweiten Weltkrieg noch galten, zunehmend als Korsett empfunden wurden. Mit der medialen Verbreitung sportlicher Großereignisse über das Fernsehen kam seit den 1950er Jahren ein weiterer Faktor hinzu, der eine Vermarktlichung des Sports beförderte – und dies auch über die politischen Systemgrenzen hinweg. Adidas erkannte frühzeitig das Potential und die Bedeutung des Sports auch in den Ländern des „Ostblocks“, so dass vor allem Horst Dassler bereits in den 60er Jahren Kontakte in die DDR, zur Sowjetunion und anderen osteuropäischen Staaten sowie deren Sportverbänden knüpfte, um dort entsprechende Promotions- und Lizenzverträge abzuschließen. Das „System Horst Dassler“ erreichte seinen Höhepunkt, als es in den 1980er Jahren auf personelle Konstellationen im internationalen Sportgeschehen stieß, die den bisherigen Weg der Kommerzialisierung in neue, globale Dimensionen führte. Anders als ihre Vorgänger Avery Brundage und Stanley Rous, die noch sehr stark dem Amateurstatus verbunden waren, ließen sich Antonio Samaranch und Joao Havelange und damit die großen Verbände des IOC und der FIFA auf ein neues Modell der Vermarktung sportlicher Wettbewerbe ein. Sie setzten auf die Kooperation mit Horst Dassler und dessen Gründung, der Organisation ISL, die unter Beteiligung von weltweit agierenden Großunternehmen die Vermarktlichung des Sports in neue Bahnen lenkte. Damit wurde eine Entwicklung angestoßen, die, von adidas und insbesondere von Horst Dassler in den 1960er Jahren ausgehend, die Ökonomisierung des Sports beeinflusste und die inzwischen Ausmaße angenommen hat, die vor einem halben Jahrhundert noch für undenkbar gehalten wurden. Doch wird man auch dies insofern als Normalisierung bezeichnen müssen, als für andere gesellschaftliche Bereiche (Kunstmarkt, Filmmarkt, Spitzengehälter in Unternehmen) vergleichbare marktwirtschaftliche Kräfte von Angebot und Nachfrage eine ähnliche Dynamik entfalteten.


1 Der Beitrag beruht auf Texten von Rainer Karlsch und Christian Kleinschmidt aus dem Buch: Jörg Lesczenski, Rainer Karlsch, Christian Kleinschmidt, Anne Sudrow: Unternehmen Sport. Die Geschichte von adidas, München 2018.


6

6 Literaturverzeichnis

Archive

adidas Archiv (aA)Search in Google Scholar

Archiv Olympic Studies Centre (OSC)Search in Google Scholar

Archiv „Adi und Käthe Dassler Memorial Stiftung“Search in Google Scholar

Archiv Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU)Search in Google Scholar

Sonstige Quellen

Schreiben Jürgen May an Rainer Karlsch v. 23.5.2017Search in Google Scholar

Sekundärliteratur

adidas AG. (2008): Let the Games begin. Herzogenaurach.Search in Google Scholar

Ahrens, Ralf/ Böick, Marcus/ von Lehn, Marcel (2015): Vermarktlichung. Zeithistorische Perspektiven auf ein umkämpftes Feld. In: Zeithistorische Forschungen. Jg. 12, H. 3, S. 393-403.Search in Google Scholar

Berghoff, Hartmut (2016): Von Watergate zur Compliance Revolution. Die Geschichte der Korruptionsbekämpfung in den USA und der Bundesrepublik Deutschland, 1972-2014. In: Hartmut Berghoff/ Cornelia Rauh/ Thomas Welskopp (Hg.): Tatort Unternehmen. Zur Geschichte der Wirtschaftskriminalität im 20. und 21. Jahrhundert. Berlin: De Gruyter, S. 19-46.10.1515/9783110422719-002Search in Google Scholar

Bleeker-Dohmen, Roelf/ Stammen, Karl-Heinz/ Strasser, Hermann/ Weber Götz (2007): „Sind wir so unwichtig?“ Fußballfans zwischen Tradition und Kommerz. In: Jürgen Mittag/ Jörg-Uwe Nieland (Hg.): Das Spiel mit dem Fußball. Interessen, Projektionen und Vereinnahmungen. Essen: Klartext-Verlag, S. 499-519.Search in Google Scholar

Bösch, Frank (2015): Geteilte Geschichte. Perspektiven auf die deutsche Geschichte seit den 1970er Jahren. In: Frank Bösch (Hg.): Geteilte Geschichte: Ost- und Westdeutschland 1970–2000. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 7-38.10.13109/9783666300837.7Search in Google Scholar

Dittrich, Michael/ Merkel, Daniel (2006): Der „weiße Blitz“. Das Leben des Heinz Fütterer. Göttingen: Die Werkstatt.Search in Google Scholar

Eisenberg, Christiane (2007): Metamorphosen eines Prinzipienreiters. Der Weltfußballverband FIFA im 20. Jahrhundert. In: Jürgen Mittag/ Jörg-Uwe Nieland (Hg.): Das Spiel mit dem Fußball. Interessen, Projektionen und Vereinnahmungen Essen: Klartext-Verlag, S. 219-236.Search in Google Scholar

Eisenberg, Christaine/ Lanfranchi, Pierre/ Mason, Tony/ Wahl, Alfred (2004): FIFA 1904-2004. 100 Jahre Weltfußball. Göttingen: Die Werkstatt.10.1007/978-3-476-03766-4_4Search in Google Scholar

Ewald, Manfred (1994): Ich war der Sport. Wahrheiten und Legenden aus dem Wunderland der Sieger. Berlin: Elefanten Press.Search in Google Scholar

Freyer, Walter (2011): Sport-Marketing. Modernes Marketing-Management für die Sportwirtschaft. Berlin: Erich Schmidt.Search in Google Scholar

Geldner, Wilfried (1999): Adi Dassler. Berlin: Ullstein Tb.Search in Google Scholar

Graf, Rüdiger (Hg.) (2019): Ökonomisierung. Debatten und Praktiken in der Zeitgeschichte. Göttingen: Wallstein.10.5771/9783835343672Search in Google Scholar

Grupe, Paulheinz (1992): Horst Dassler. München: Hase & Koehler.Search in Google Scholar

Haffner, Steffen (2007): Was macht eigentlich Jürgen May. In: Olympisches Feuer. Jg. 4, S. 46-48.Search in Google Scholar

Karlsch, Rainer/Kleinschmidt, Christian/ Lesczenski, Jörg/ Sudrow, Anne (2018). Unternehmen Sport. Die Geschichte von adidas. München: Siedler.Search in Google Scholar

Homburg, Heidrun (2008): Financing World Football. A Business History of the Fédération Internationale de Football Association. In: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte. Jg. 53, S. 33-69.10.17104/0342-2852_2008_1_33Search in Google Scholar

Iber, Walter M. (2012/2013): Unternehmen Olympia. Ein Wirtschaftsfaktor im Kalten Krieg. In: HISTORICVM, Zeitschrift für Geschichte. S. 40-45Search in Google Scholar

Kanton Zug, Staatsanwaltschaft (2019): Einstellungsverfügung vom 11. Mai 2010 in der Untersuchung gegen Fédération Internationale de Football Association (FIFA) [online]. https://img.fifa.com/image/upload/n44xzqbizizgtypnefnh.pdf [13.11.2019].Search in Google Scholar

Kistner, Thomas (2014): FIFA-Mafia. Die schmutzigen Geschäfte mit dem Weltfußball. München: Klaus Wagenbach.Search in Google Scholar

Kluge, Volker (1999): Laufzeit 11, S. 12f..Search in Google Scholar

Metzner, Adolf (1967): Der Krieg der Schuhe. „adidas“ gegen „Puma“. In: Die Zeit. Jg. 5.Search in Google Scholar

Mittag, Jürgen/ Nieland, Jörg-Uwe (Hg.) (2007): Das Spiel mit dem Fußball. Interessen, Projektionen und Vereinnahmungen. Essen: Klartext-Verlag.Search in Google Scholar

Nufer, Gerd/ Bühler, André (2011): Sportmarketing: Einführung und Perspektive. In: Gerd Nufer/ André Bühler (Hg.): Marketing im Sport. Grundlagen, Trends und internationale Perspektiven des modernen Sportmarketing. Berlin: Erich Schmidt, S. 3-24.Search in Google Scholar

o.V. (1986): „Dassler will alles kontrollieren“. In: DER SPIEGEL. Jg. 40, H. 23, S. 84-103.Search in Google Scholar

Palm, Jürgen (2000). Neue Landschaften des Sports sind entstanden. In: Deutscher Sportbund (Hg.): Der Sport – ein Kulturgut unserer Zeit. 50 Jahre Deutscher Sportbund. Frankfurt: Umschau Braus GmbH, S. 73-83.Search in Google Scholar

Peters, Rolf-Herbert (2007): Die Puma-Story. München: Hanser Fachbuchverlag.Search in Google Scholar

Rinke, Stefan/ Schiller, Kay (Hg.) (2014): The FIFA World Cup 1930-2010. Politics, Commerce, Spectacle and Identities. Göttingen: Wallstein Verlag.10.5771/9783835326064Search in Google Scholar

Smit, Barbara (2005): Drei Streifen gegen Puma. Zwei verfeindete Brüder und der Kampf um die Weltmarktführerschaft. Frankfurt: Campus Verlag.Search in Google Scholar

Smit, Barbara (2017): Die Dasslers. Drei Streifen gegen Puma. Köln: Riva Verlag.Search in Google Scholar

SPIEGEL online (2013): Korruption im Weltfußball – Havelange tritt als Fifa-Ehrenpräsident zurück [online]. httpswww.spiegel.de/sport/fussball/havelange-verzichtet-auf-amt-als-fifa-ehrenpraesident-a-897345.html:// [13.11.2019].Search in Google Scholar

Vetten, Detlef (1998): Making a difference. Hamburg.Search in Google Scholar

Zeit Online (2011): Im Cadillac in den Westen [online]. https://www.zeit.de/sport/2011-07/juergen-may-stasi-ddr-sport-flucht [19.11.2019].Search in Google Scholar

Published Online: 2019-12-30
Published in Print: 2019-12-18

© 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 9.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/sug-2019-0018/html
Scroll to top button