Zusammenfassung
Am 1. Februar 2020 wurde das Gendiagnostikgesetz (GenDG) 10 Jahre alt. Damit unterliegen jetzt erstmals Ergebnisse genetischer Analysen und Untersuchungen nicht nur der in der Medizin üblichen 10jährigen Aufbewahrungspflicht, sondern nach deren Ablauf auch der Pflicht zur umgehenden Vernichtung. Bereits bei Inkrafttreten des GenDG am 1. Februar 2010 warf die Vernichtungspflicht nach § 12 Fragen auf, die spätestens seit erstmaligem Ablauf der 10jährigen Aufbewahrungspflicht am 1. Februar 2020 dringend einer Klärung bedürfen. Sie betreffen nicht nur die praktische Umsetzung der Vernichtungspflicht, sondern auch deren Sinnhaftigkeit. Auch die Gendiagnostik-Kommission (GEKO) stellt in ihrem dritten Tätigkeitsbericht die Sinnhaftigkeit der Vernichtungspflicht aus verschiedenen Gründen in Frage und fordert, „den § 12 GenDG auf die Vernichtung von Ergebnissen genetischer Untersuchungen und Analysen zu beschränken, deren Mitteilung von den Betroffenen gemäß § 8 GenDG nicht gewünscht wird.“ (3. Tätigkeitsbericht der GEKO, Seite 39.) Solange jedoch § 12 GenDG in seiner jetzigen Fassung gilt, ist dessen Umsetzung für alle Beteiligten verpflichtend. Dabei sollten bestehende Ausnahmeregelungen großzügig in Anspruch genommen werden, um den Aufwand zu begrenzen und trotzdem den Zweck des Gesetzes zu erfüllen.
Rechtslage
Damit durch die Vernichtungspflicht keine wichtigen Informationen für die Gesundheit und Lebensplanung der Betroffenen und insbesondere deren Angehörigen verloren gehen, hat der Gesetzgeber Ausnahmen von der Vernichtungspflicht ermöglicht:
Die untersuchten Personen können durch schriftliche Erklärungen eine längere Aufbewahrung verlangen. Die verantwortliche ärztliche Person muss dann ggf. von ihr gemäß § 7 Abs. 2 GenDG beauftragte Personen/Einrichtungen von der Verlängerung der Aufbewahrungsfrist unterrichten.[1] Diese haben dann die Ergebnisse in ihren Unterlagen ebenfalls entsprechend länger aufzubewahren.[2]
Die verantwortliche ärztliche Person kann die Vernichtung von Ergebnissen im eigenen Ermessen und ohne schriftliche Zustimmung der Betroffenen aussetzen, wenn nach ihrer Einschätzung Grund zu der Annahme besteht, dass durch eine Vernichtung schutzwürdige Interessen der untersuchten Person beeinträchtigt würden.[3] Auch dann hat die verantwortliche ärztliche Person ggf. von ihr gemäß § 7 Abs. 2 GenDG beauftragte Personen/Einrichtungen von der Aussetzung der Vernichtung zu unterrichten, damit diese die Vernichtung der Ergebnisse in ihren Unterlagen ebenfalls aussetzen.[4]
Praktische Umsetzung der Vernichtungspflicht
Um Ergebnisse zu vernichten, reicht es aus, sie derart unkenntlich zu machen, dass die gespeicherte Information von Menschen nicht mehr zur Kenntnis genommen werden kann.[6] Papierne Unterlagen können dazu geschreddert oder unter geschützten Bedingungen datenschutzkonform verbrannt werden. Elektronische Dateien werden üblicherweise nur durch Löschung der Dateibezeichnung im Dateienkatalog unzugänglich gemacht, ohne dass dabei die Information innerhalb der Datei gelöscht wird. Aufwändiger ist die Löschung einzelner Datenfelder innerhalb einer Datei, eines Datensatzes oder einer Datenbank in einem medizinischen Informationssystem. Dies ist sogar rechtlich bedenklich, da die Datensicherung aus Gründen der Dokumentenechtheit auf unveränderbaren Datenträgern erfolgen muss und alle Änderungen in papiernen und elektronischen Patientenakten sichtbar bleiben müssen (Patientenrechtegesetz, § 630f Abs. 1 Satz 2 f. BGB).
Verständnisfragen der Vernichtungspflicht
Der Gesetzestext enthält einige konkrete Anweisungen zur Vernichtungspflicht (siehe Tabelle 1, Abschnitt A), die jedoch für deren praktische Umsetzung nicht ausreichen. Die Gendiagnostik-Kommission (GEKO) hat sich deshalb frühzeitig intensiv mit diesem Thema befasst und in ihrem dritten Tätigkeitsbericht[7] Antworten auf einige offene Fragen gegeben (siehe Tabelle 1, Abschnitt B), aber auch die Klärung folgender Fragen eingefordert:[8]
Was gehört zu den vernichtungspflichtigen Ergebnissen genetischer Analysen und Untersuchungen und was sind genetische Daten, die nicht vernichtet werden müssen? Der Gesetzgeber hat zwar eine Legaldefinition für genetische Daten[9] eingeführt, jedoch nicht verbindlich definiert, was er unter dem unbestimmten Rechtsbegriff „Ergebnisse genetischer Analysen und Untersuchungen“ versteht.
Was sind „schutzwürdige Interessen“ der untersuchten Person, die durch eine Vernichtung der Ergebnisse beeinträchtigt werden könnten mit der Folge, dass die Vernichtungspflicht auszusetzen ist“?
Wie soll verfahren werden, wenn die Vernichtungspflicht nach GenDG im Konflikt zu bereits bestehenden Aufbewahrungspflichten steht?
Wann beginnt die 10jährige Aufbewahrungspflicht? Mit dem Abschluss der genetischen Analyse/Untersuchung oder – wie in der Medizin allgemein üblich – nach Abschluss der Behandlung?
Wie kann eine ggf. erforderliche Neubewertung genetischer Eigenschaften erfolgen, wenn die Ergebnisse der genetischen Analyse/Untersuchung bereits vernichtet wurden?
Überlegungen zur Umsetzung der Vernichtungspflicht im 3. Tätigkeitsbericht der GEKO
Da erbliche genetische Eigenschaften unveränderlich sind und dadurch lebenslang von Bedeutung sein können, kann nach Ansicht der GEKO nahezu regelhaft eine Begründung gefunden werden, warum eine Vernichtung von Untersuchungs- und Analyseergebnissen schutzwürdige Interessen der untersuchten Person beeinträchtigt. Schutzwürdig können nach Ansicht der GEKO sowohl positive Ergebnisse im Sinne des Nachweises einer klinisch relevanten genetischen Eigenschaft (z. B. Nachweis einer Mutation oder eines relevanten Polymorphismus) als auch negative Ergebnisse (z. B. Ausschluss einer Mutation oder eines relevanten Polymorphismus) sein. Eine objektive Schutzwürdigkeit ist nach Ansicht der GEKO sogar unabhängig vom Ergebnis anzunehmen, wenn bei auffälliger Familienanamnese diagnostische genetische Untersuchungen bei Betroffenen (sog. Indexfall) durchgeführt wurden.[10]
Die GEKO weist ferner darauf hin, dass bei jeder genetischen Variante von unklarer klinischer Bedeutung (VUS) so lange von einem schutzwürdigen Interesse ausgegangen werden muss, bis deren Bedeutung geklärt sei.[11]
Was fällt unter die Vernichtungspflicht nach § 12 GenDG und was nicht?
Abschnitt A: Zuordnungen, die sich aus den §§ 3, 7, 8 und 12 GenDG ableiten lassen: | |
Der Vernichtungspflicht unterliegen | Der Vernichtungspflicht unterliegen nicht |
die Ergebnisse genetischer Untersuchungen und Analysen… | die im Rahmen einer genetischen Untersuchung oder Analyse erhobenen genetischen Daten |
…in den Unterlagen zur untersuchten Person- der verantwortlichen ärztlichen Person und | Ergebnisse genetischer Untersuchungen und Analysen in den Unterlagen |
- ggf. von ihr beauftragter Personen/Einrichtungen |
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Unterlagen über | |
| |
da dies keine genetischen Untersuchungen im Sinne von § 3 Nr. 1 und 2 GenDG sind.a | |
Abschnitt B: Zuordnungen, welche die GEKO in ihrem 3. Tätigkeitbericht erwogen hatb | |
Vernichtungspflichtige Ergebnisse | Nicht vernichtungspflichtige Daten sind |
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|
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|
aGesetzesbegründung, S. 17.
b3. Tätigkeitsbericht der GEKO, Seite 31 ff.
c§ 3 Nr. 1 GenDG: „Im Sinne dieses Gesetzes ist genetische Untersuchung eine … a) genetische Analyse … oder b) vorgeburtliche Risikoabklärung einschließlich der Beurteilung der jeweiligen Ergebnisse.“
d3. Tätigkeitsbericht der GEKO, Seite 35: „Keine einheitliche Meinung lag … bezüglich der detektierten Varianten im VCF-Format vor.“ Da diese für eine erneute Beurteilung der klinischen Relevanz genetischer Varianten nutzbar sind, könne eine Aufbewahrung durchaus sinnvoll erscheinen.
Die Vernichtungspflicht beschränkt sich ausdrücklich auf die Ergebnisse genetischer Untersuchungen und Analysen. Sie schließt genetische Daten nicht ein. Die GEKO weist in ihrem dritten Tätigkeitbericht darauf hin, dass die Umsetzung der Vernichtungspflicht dazu führen würde, dass genetische Daten erhalten blieben, deren interpretierende und relativierende Bewertung hingegen vernichtet würde.[12] Eine spätere Verwendung der aufbewahrten genetischen Daten wäre zwar möglich und erlaubt, könnte jedoch durch den Verlust der die konkreten individuellen Umstände berücksichtigenden Bewertung zu Fehlinterpretationen führen. Da dies nach Ansicht der GEKO nicht im Sinne des Gesetzes sein kann,[13] ist bei der Umsetzung der Vernichtungspflicht nach Ansicht der Autorin Augenmaß zu wahren und von den Ausnahmeregelungen des § 12 GenDG großzügig Gebrauch zu machen. Auch wenn dadurch die vom Gesetzgeber intendierte Ausnahme zur Regel gemacht wird, scheint der Zweck des Gesetzes momentan nur so erreichbar zu sein.
Um bei großzügiger Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe wie Ergebnisse genetischer Analysen und Untersuchungen oder schutzwürdige Interessen der betroffenen Person den gesetzlichen Rahmen nicht zu überschreiten, empfiehlt es sich, interne Regelungen für die Umsetzung der Vernichtungspflicht festzulegen. Diese sollten an das eigene Untersuchungsspektrum angepasst, begründet und für alle Mitarbeiter verbindlich sein. Akkreditierte Labore legen ihr Vorgehen bei der Umsetzung der Vernichtungspflicht üblicherweise in Arbeits-/Verfahrensanweisungen fest, aber auch andere Formate sind möglich.
© 2020 Heidemann, publiziert von De Gruyter
This work is licensed under the Creative Commons Attribution 4.0 International License.
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