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Deutsche Hypothekenbanken zwischen Sicherheitsdenken und Spekulationsfieber: Immobilienfinanzierung im Bauboom des späten 19. Jahrhunderts

  • Friederike Sattler

    Friederike Sattler (PD Dr. phil.) wurde an der Freien Universität Berlin in Wirtschaftsgeschichte promoviert und an der Goethe-Universität Frankfurt am Main in Neuerer Geschichte habilitiert. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und dort in dem Editions- und Forschungsprojekt „Deutschlands weltwirtschaftliche Verflechtungen im 19. und 20. Jahrhundert“ tätig. Zahlreiche Veröffentlichungen zur modernen Wirtschafts-, Sozial- und Finanzgeschichte, u.a. über die europäischen Wirtschaftseliten und die langfristige Entwicklung von Wertpapiermärkten. 2019 erschienen Herrhausen: Banker, Querdenker, Global Player. Ein deutsches Leben (München: Siedler) und Der Pfandbrief 1769-2019. Von der preußischen Finanzinnovation zur Covered Bond Benchmark (Stuttgart: Franz Steiner); 2021 folgte die gemeinsam mit Patrick Bormann erarbeitete Studie Die DZ HYP. Eine genossenschaftliche Hypothekenbank zwischen Tradition und Wandel 1921-2021 (München: C. H. Beck).

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Published/Copyright: May 12, 2022

Abstract

German mortgage banks based on stock, more frequently founded from the early 1860s, used the traditional Pfandbrief system to cope with the growing tasks of urban and housing construction. Its safety for both creditors as well as debtors of real estate financing depended not least on a clear limitation of business activities. During the building boom of the late 19th century, however, many mortgage banks undertook a massive expansion of their business and developed highly complex corporate structures, so that the well-established rules for lending on real estate were increasingly undermined. Using the examples of the “Pommern-” and the “Preußenbankgruppe”, the article explores the distortions resulting from the building boom of the late 19th century and analyses the economic, penal, and legislative means that were used to solve them. The study concludes that, due to their severity, the crisis phenomena in the real estate market of the 1890s led to a uniform regulation of mortgage banks across the Reich for the first time, which indeed achieved a sustainable stabilization of the Pfandbrief system: the price, however, was the isolation of German mortgage banking from developments in Western Europe.

JEL Classification: N 23; N 43; N 63; N 83

1 Zur Fragestellung

Um die Funktionsweise von Immobilienmärkten, die in hohem Maße von der Art und Weise der Immobilienfinanzierung abhängt, besser zu verstehen, richtet der folgende Beitrag den Blick auf die deutschen Hypothekenbanken im späten 19. Jahrhundert. Historisch fest verwurzelt in der Tradition der preußischen Landschaften, zugleich aber orientiert an der ersten modernen Hypothekenbank auf Aktienbasis in Europa, dem 1854 gegründeten Crédit Foncier de France, übernahmen die seit den 1860er Jahren vermehrt entstehenden deutschen Hypothekenbanken eine zentrale Rolle bei der Bewältigung der Aufgaben des Städte- und Wohnungsbaus im Zuge der Industrialisierung. Sie bedienten sich dabei des von den Landschaften im ausgehenden 18. Jahrhundert etablierten Pfandbriefsystems, dessen Sicherheit und Verlässlichkeit für die Gläubiger und Schuldner von Immobilienfinanzierungen auf der gemeinschaftlichen Haftung aller Landschaftsmitglieder, auf einer klaren regionalen und gegenständlichen Begrenzung des Geschäftskreises sowie einer streng regulierten Immobilienbewertung und entsprechenden Darlehensvergabe beruhten.

Im Bauboom des späten 19. Jahrhunderts, als die mit der Hochindustrialisierung verbundenen Urbanisierungsprozesse zu einer überaus raschen, in dieser Form noch nicht dagewesenen Expansion der städtischen Immobilienmärkte führten, nahmen viele Hypothekenbanken jedoch eine massive Ausweitung ihrer Geschäftsfelder vor und entwickelten teils komplexe Konzernstrukturen, sodass die eingespielten Regeln für die Beleihung von Grundstücken mehr und mehr ausgehebelt wurden. Basierend auf einer eingehenden Untersuchung der langfristigen Entwicklung des deutschen Pfandbriefsystems beleuchtet der Beitrag die aus dem Immobilienboom des späten 19. Jahrhunderts resultierenden Verwerfungen für die Hypothekenbanken wie die Pfandbriefinhaber und fragt danach, mit welchen Mitteln und Ergebnissen man versuchte, sie zu bewältigen. [1] Kam es zu liberalen, marktwirtschaftlichen Lösungsansätzen durch die Hypothekenbanken selbst? Oder sah sich der Gesetzgeber aufgefordert, noch stärker regulierend und vor allem überregional vereinheitlichend einzugreifen? Der Beitrag vertritt die These, dass die dem Boom folgenden Krisenerscheinungen am Immobilienmarkt der 1890er Jahre wegen ihrer Schwere erstmals eine reichseinheitliche Regulierung der Hypothekenbanken auf Aktienbasis zur Folge hatten, durch die tatsächlich eine nachhaltige Stabilisierung des Pfandbriefsystems erreicht werden konnte; der Preis dafür war freilich die Abschottung des deutschen Hypothekenbankwesens von der Entwicklung in Westeuropa.

Um die aufgeworfenen Fragen diskutieren zu können, werden zunächst kurz die historischen Wurzeln des deutschen Pfandbriefsystems skizziert und die zwei Gründungswellen der Hypothekenbanken auf Aktienbasis im Zuge der Urbanisierung des späten 19. Jahrhunderts umrissen, die auch bisher schon das Forschungsinteresse wecken konnten, ohne jedoch die Verbindung zur Dynamik an den Immobilienmärkten herzustellen. [2] Es folgt deshalb eine nähere Betrachtung der Entwicklung an den Immobilienmärkten, wobei die Schwierigkeiten der „Pommern-“ und der „Preußenbankgruppe“ als zwei der größten neuartigen Hypothekenbanken-Konzerne und ihre Bewältigung mit privatwirtschaftlichen sowie strafrechtlichen Mitteln in den Fokus gerückt werden. Anschließend werden die mit dem Hypothekenbankgesetz von 1899 gezogenen gesetzlichen Konsequenzen und ihre langfristigen Folgewirkungen für die Immobilienfinanzierung in Deutschland im Vergleich zu den westlichen Nachbarländern untersucht. Am Schluss der Untersuchung stehen allgemein resümierende Schlussfolgerungen.

2 Historische Wurzeln des deutschen Pfandbriefsystems

Die historischen Wurzeln des deutschen Pfandbriefsystems, das auch heute noch den Kern der Immobilienfinanzierung ausmacht, reichen zurück bis zur Gründung der Schlesischen Landschaft im 18. Jahrhundert. [3] Die mit einer Kabinettsorder Friedrichs des Großen vom 29. August 1769 errichtete Schlesische Landschaft sollte den adeligen Grundbesitzern der Provinz durch die Ausgabe von frei übertragbaren Güterpfandbriefen zusätzlichen Kredit verschaffen und sah zum Schutz der Investoren strenge Vorschriften für die Bewertung der beliehenen Grundstücke vor. [4] Die in Preußen und darüber hinaus seit dem späten 18. Jahrhundert nach schlesischem Vorbild gegründeten Landschaften können als ständische, zwangsgenossenschaftlich organisierte Bodenkreditanstalten für die adeligen Großgrundbesitzer einer bestimmten Region betrachtet werden: Ein Wahlrecht bestand für sie nämlich nicht, sie mussten der Landschaft ihrer Provinz oder Region beitreten und eine „Generalgarantie“ für alle von ihrer Landschaft ausgegebenen Pfandbriefe übernehmen, ganz unabhängig davon, ob sie selbst ein Darlehen in Anspruch nahmen oder nicht. [5] Diese Generalgarantie ihrer Mitglieder gewährte der Landschaft als Institution – für den Fall, dass weder der Verkauf der Pfandobjekte noch das landschaftseigene Vermögen ausreichten, um die Ansprüche der Gläubiger zu befriedigen – ein Zugriffsrecht auf das Vermögen aller zwangsweise Inkorporierten, die nicht nur dinglich mit ihrem jeweiligen Gut, sondern unbeschränkt persönlich mit ihrem gesamten unbeweglichen und beweglichen Vermögen hafteten. [6] Mithin besaßen sie ein starkes Interesse an einer möglichst realistischen Bewertung der beliehenen Güter wie an einer gedeihlichen Tätigkeit ihrer Landschaft.

Die Pfandbriefe selbst, deren Ausgestaltung im Reglement für die Schlesische Landschaft genauestens festgelegt und bei späteren Gründungen meist nur geringfügig angepasst wurde, stellten die eigentliche Innovation dar: Anders als ihre Vorläufer, etwa die „ledernen Briefe“ der schlesischen Fürstentümer Schweidnitz und Jauer, wurden sie leicht übertragbar gemacht. Es handelte sich bei ihnen nicht um Namens-, sondern um Inhaberpapiere, die mit einem festen Zinssatz versehen und auch zu relativ kleinen Beträgen von 20, 40, 60, 80 bis 100 Reichstalern emittiert wurden. Mit ihrer Hilfe konnte der ermittelte Wert des Bodens also viel einfacher mobilisiert und zur Beschaffung von langfristig zur Verfügung stehendem Kapital genutzt werden, zumal die Gläubiger kein Kündigungsrecht für die zeitlich unbefristeten Pfandbriefe eingeräumt bekamen; sie konnten die Papiere im Bedarfsfall nur an Dritte weiterveräußern. Die Kapitalgeber, darunter vor allem Kaufleute und Bankiers aus den größeren Städten, waren in erster Linie deshalb bereit, in die neuartigen Wertpapiere zu investieren, weil diese doppelt besichert waren: zum einen mit dem landwirtschaftlichen Gut des Kreditnehmers, für das sie ein rechtlich und wertmäßig einwandfrei verbrieftes Grundpfandrecht erhielten und das überhaupt nur zur Hälfte seines ermittelten Wertes beliehen werden durfte, zum anderen mit der gemeinschaftlichen Generalgarantie der Landschaft, also zusätzlich auch mit dem Vermögen ihrer sämtlichen Mitglieder. Die Generalgarantie der Landschaft sollte sicherstellen, dass die Großgrundbesitzer – eben auch die nicht selbst Kredit aufnehmenden – gegenseitig auf eine gute Wirtschaftsführung achteten, die gewährten Kredite also produktive Verwendung fanden. Die Landschaften versprachen, für regelmäßige und pünktliche Zinszahlungen zu sorgen. Außerdem wurden die Pfandbriefe in die Grundbücher eingetragen und bekamen Priorität vor allen anderen Schulden eingeräumt. Dort bereits eingetragene Schulden wurden vor der Vergabe eines Pfandbriefs möglichst getilgt; wenn das nicht möglich war, musste das Pfandbriefvolumen entsprechend begrenzt werden. Sollte ein Schuldner mit seinen Zinszahlungen in Verzug geraten, konnte die Landschaft sein Gut unter Zwangsverwaltung nehmen; eine sofortige Zwangsversteigerung war indessen zunächst nicht möglich. [7]

Praktisch betrachtet, konnte ein adeliger Großgrundbesitzer nun jederzeit einen Kreditantrag an seine Landschaft stellen. Diese nahm daraufhin – nach den Richtlinien des jeweiligen Reglements – die Schätzung des betreffenden Gutsbetriebes vor, um eine Kreditlinie festlegen zu können. Dass es insbesondere in den östlichen Provinzen Preußens bereits ein amtliches Grundstückskataster gab, das für die Feststellung der Grund- und Gebäudesteuern angelegt worden war, erwies sich dabei als sehr hilfreich. Die Bewertung orientierte sich entweder an der Ertragskraft der Gutswirtschaft oder am letzten Verkaufswert. Wurde die Ertragskraft zugrunde gelegt, indem ein Bevollmächtigter der Landschaft den so genannten Grundsteuerreinertrag schätzte, so konnte der Kredit – nach dem Reglement der Schlesischen Landschaft – maximal das 15- bis 20-Fache des ermittelten Wertes betragen. Eine solche Schätzung war allerdings trotz der peniblen Bestimmungen des Reglements nur äußerst schwer genau vorzunehmen, denn sie galt als stark manipulationsanfällig: So mancher Gutsbesitzer hatte am Tag der Schätzung beispielsweise mehr Vieh im Stall stehen, als er nach Recht und Gesetz tatsächlich sein Eigen nennen konnte. Nahm man stattdessen den letztmalig erzielten Verkaufswert der Gutswirtschaft zum Ausgangspunkt, was in der Praxis überwiegend der Fall war, so durfte sich der Kredit nach den in Schlesien geltenden Bestimmungen auf maximal die Hälfte dieses Wertes belaufen. [8] Der Großgrundbesitzer als Schuldner hatte halbjährliche Zinszahlungen von anfangs fünf Prozent an seine Landschaft zu leisten, zuzüglich eines Aufschlags von maximal einem Prozent für die Deckung der Verwaltungskosten und zum Aufbau von Reserven.

Bis zu den Napoleonischen Kriegen entwickelten sich die landschaftlichen Pfandbriefe zu einer ausgesprochen beliebten, ja zur bedeutendsten Anlageform für private Kapitalgeber. War das Liquiditäts- und Kursrisiko für ihre Inhaber zunächst noch recht hoch, so verringerte es sich mit der Ausweitung des Börsenhandels. [9] Pfandbriefe galten bald als eine sehr sichere Anlage. Denn ihre Schuldner zahlten nicht nur regelmäßig die fälligen Zinsen. Eine Fallstudie für die Ostpreußische Landschaft zeigt, dass es zudem keinen Grund gab, an der überwiegend produktiven Verwendung der gewährten Kredite zu zweifeln. Die meisten Gutsbesitzer nutzten das aufgenommene Fremdkapital für Investitionen in den Auf- und Ausbau von Häusern, Scheunen und Ställen sowie die Anschaffung von Vieh, Geräten und Saatgut, um die Erträge zu steigern. [10] Manche von ihnen liehen sich freilich auch Geld, um zusätzliches Land – oft kleinere Güter oder Bauernhöfe – zu kaufen, damit sie auch dieses wieder beleihen konnten. Dies löste bei zeitgenössischen Beobachtern die ernste Besorgnis aus, eine große Spekulation könne in Gang kommen und die bisher übliche Weitergabe von Grund und Boden über den Erbgang gefährden. Begünstigt wurde dieser Eindruck durch die rasch steigenden Bodenpreise und die häufigen Eigentümerwechsel auf den Gütern und Höfen, zu denen es in den 1780er und 1790er Jahren kam. Die Versuche der Landschaften, die Verwendung der durch Pfandbriefe aufgebrachten zusätzlichen Geldmittel für Immobilienspekulationen zu unterbinden, erwiesen sich dabei als wenig effizient. Doch letztlich gingen hiervon keine großen Gefahren aus. Gestützt auf die Landschaften gelang es den Gutswirtschaften in diesen Jahrzehnten vielmehr, sich tatsächlich wirtschaftlich zu erholen. Die Preissteigerungen für Grund und Boden beruhten bis zum Beginn der Napoleonischen Kriege weitgehend auf realen Wertsteigerungen: Die landwirtschaftliche Produktion wuchs, und die Roggenpreise zogen kräftig an. Grundbesitz war nun allerdings definitiv zu einem handelbaren Wirtschaftsgut geworden, für das – bei leicht unterproportional ansteigender Verschuldung – immer höhere Preise erzielt werden konnten. Nicht selten gingen adelige Rittergüter dabei trotz staatlichen Verbots in die Hände von Bürgerlichen über, die sich besonders aufgeschlossen für neue Landtechniken und marktbezogenes Wirtschaften zeigten. [11]

Die Napoleonischen Kriege führten zu stark sinkenden Pfandbriefkursen und zu zahlreichen Zwangsversteigerungen, insbesondere in Ostpreußen. Doch keine der preußischen Landschaften brach zusammen, denn im Zweifelsfall wurden sie vom Staat aufgefangen, sodass kein Anleger sein Kapital verlor, auch wenn einige von ihnen für durchaus längere Zeit auf Zinszahlungen verzichten mussten. Der Pfandbrief blieb auch deshalb langfristig betrachtet ein gefragtes Anlagepapier. Im Zuge der preußischen Agrarreformen, angestoßen im Oktober 1807 mit einem ersten Edikt zur Aufhebung der Erbuntertänigkeit von Bauern, wurde zur Ablösung der bäuerlichen Reallasten gegenüber den Grundherren ein ganz ähnliches Instrument genutzt: der landwirtschaftliche Rentenbrief, der von den neu entstehenden öffentlich-rechtlichen Bodenkreditinstituten ausgegeben wurde. [12] An den Kapitalmärkten trat er für einige Jahrzehnte in Konkurrenz zu den Pfandbriefen, deren Charakter sich in dieser Zeit von sachenrechtlich besicherten Güterpfandbriefen zu forderungsrechtlich besicherten Bankschuldverschreibungen wandelte. [13] An der Berliner Börse waren Rentenbriefe ausgesprochen beliebt und konnten ihre Kurse steigern, vor allem als die Anleger nach dem der Reichsgründung von 1871 auf dem Fuße folgenden Gründerkrach von 1873 aus Aktien der Eisenbahngesellschaften und Industrieunternehmen flüchteten. Die Pfandbriefe dagegen, die zunächst ebenfalls von dieser Rückbesinnung auf festverzinsliche Wertpapiere profitierten, mussten in den 1880er Jahren auf niedrigere Zinssätze konvertiert werden. Dazu trug freilich auch das reichhaltige Angebot der inzwischen zahlreich gegründeten Hypothekenbanken auf Aktienbasis bei, die zur Refinanzierung ihres mit dem Städte- und Wohnungsbau expandierenden Geschäfts immer neue Serien von forderungsrechtlich besicherten Hypothekenpfandbriefen auf den Markt brachten. [14]

3 Industrialisierung, Urbanisierung und die Gründung erster Hypothekenbanken

Mit der voranschreitenden Industrialisierung wuchsen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch die Anforderungen an den Städte- und Wohnungsbau. [15] In Preußen bestanden zunächst erhebliche Vorbehalte gegen die Zulassung von gewinnorientierten Hypothekenbanken auf Aktienbasis zum Realkreditgeschäft; sie wurde deshalb restriktiv gehandhabt. Doch es lag bald auf der Hand, dass die mit der Urbanisierung verbundenen Aufgaben von den auf die Landwirtschaft ausgerichteten Landschaften – auch wenn man sie grundlegend reformierte – kaum zu bewältigen waren, denn sie würden das erforderliche Kapital nicht aufbringen können. Die Konzentration von industriellen Unternehmen und die Verdichtung der Bevölkerung in den rasch wachsenden Städten trieben die Nachfrage und damit zugleich die Umsätze und die Preise an den Grundstücksmärkten in zuvor ungeahnte Höhen. [16] Der Städte- und Wohnungsbau, der zumeist an kommunale Nutzungspläne gebunden wurde, aber marktwirtschaftlich vorangetrieben werden sollte, wuchs selbst zu einem führenden Industriesektor heran. Zwischen 1850 und 1913 beanspruchte er jährlich etwa ein Viertel bis ein Drittel der volkswirtschaftlichen Nettoinvestitionen und stimulierte nicht nur die klassischen Baugewerbe der Maurer, Zimmerer und Maler, sondern auch die Steine- und Erdenindustrie, die Holz- und Glasindustrie, den Bau von Straßen und Straßenbahnen, Wasser- und Gaswerken sowie schließlich die moderne Elektrizitätswirtschaft. [17] Die Zahl der an der Berliner Börse notierten Immobilien- und Baufirmen übertraf bald die jeder anderen Branche; besonders stark vertreten waren so genannte Terraingesellschaften, die sich der systematischen Erschließung neuen Baulands widmeten, etwa indem sie für eine Anbindung an die Bahnlinien sorgten, feste Straßen anlegten und konkrete Bebauungspläne erstellten, um das so erschlossene Bauland anschließend in Parzellen an einzelne Bauherren weiterzuverkaufen. [18]

Der Städte- und Wohnungsbau unterlag freilich heftigen konjunkturellen Schwankungen. Sie ergaben sich aus dem Zusammenspiel mit der gesamtwirtschaftlichen Konjunktur, dem davon stark beeinflussten An- und Abschwellen des Bevölkerungszustroms, den Grundstücks- und Baukosten, der Nachfrage- und Kaufkraftentwicklung potenzieller Eigentümer und Mieter, aber natürlich auch der jeweiligen Kapitalverfügbarkeit und den Kapitalzinsen. Phasen intensiver Bautätigkeit schlugen teils abrupt in Phasen erheblich nachlassender Bautätigkeit um, einer dramatisch empfundenen Wohnungsnot folgte nicht selten eine Zeit hoher Wohnungsleerstände. Mit den daraus resultierenden Problemen mussten sich nicht nur die Unternehmer und Beschäftigten der Grundstücks- und Bauwirtschaft einschließlich der Hypothekenmakler, die Bauherren und ihre Kreditgeber, die Wohnungseigentümer und vor allem auch ihre Mieter auseinandersetzen; sie wurden zu einem heftig diskutierten Thema für Politiker, Sozialreformer und die städtische Öffentlichkeit. Folglich gewannen auch politische Einflussfaktoren einige Bedeutung für die Schwankungen am Wohnungsmarkt. [19] Doch Wohnungsbau und Wohnungswirtschaft blieben in Deutschland, abgesehen von einigen gemeinnützigen Wohnungsbauprojekten und geringfügigem öffentlichen Wohnungseigentum, bis zum Ersten Weltkrieg ganz weitgehend in privater Hand. [20]

Die Erstellung oder der Erwerb von Häusern und Wohnungen zum Zweck der gewinnorientierten, oft sehr schnell wechselnden Vermietung wurden seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem einträglichen Gewerbezweig. Auch zuvor hatte es in den Städten schon Mietshäuser gegeben: In Berlin beispielsweise lebten bereits um 1800 rund drei Viertel aller Haushalte zur Miete. Doch die Eigentümer dieser Häuser hatten sie zumeist für ein eigenes handwerkliches Hauptgewerbe oder ein eigenes Handelsgeschäft errichtet oder gekauft; sie wurden mithin als eine dauerhafte Vermögensanlage betrachtet und nicht weiterverkauft. [21] Die seit den 1860er Jahren in den deutschen Städten vermehrt aus dem Boden schießenden vier- oder sogar fünfstöckigen Mietshäuser dagegen wurden auf den von Terrainunternehmern systematisch erschlossenen, parzellierten und dann an einzelne Bauherren weiterverkauften Grundstücken mit erheblichem Einsatz von Fremdkapital gebaut, um sie anschließend möglichst gewinnbringend an neue Eigentümer zu veräußern oder selbst zu vermieten. In den 1890er Jahren begannen deshalb auch die Großbanken, sich verstärkt dem Grundstücks- und Baugeschäft zuzuwenden, indem sie Tochtergesellschaften gründeten, selbst Grundstücke ankauften und Baugelder gewährten. [22] Begleiterscheinung dieser Entwicklung war eine hohe, bis dahin nicht gekannte Mobilität der Eigentums- und Mietverhältnisse.

Die Bedeutung des lebhaften Baulandhandels und der Terrainerschließung lässt sich am Beispiel Groß-Berlins gut veranschaulichen. [23] Lange bevor es zur eigentlichen Stadterweiterung kam, erfasste der Handel mit potenziellem Bauland hier weite Flächen außerhalb des von den Städten Berlin, Charlottenburg, Schöneberg und Rixdorf-Neukölln gebildeten Kerngebietes dieses neuen Ballungsraumes. Zunächst von privaten Bodenhändlern und Terraingesellschaften vorangetrieben, dann durch amtliche Bauordnungen und Bebauungspläne bestätigt, wurden immer weitere Acker-, Wiesen- und Waldflächen des Umlandes dieser Städte erfasst und in Bauerwartungsland umgewandelt. Konkret hieß das, die betroffenen Flächen wurden für die drei- oder sogar die vier- und fünfgeschossige, geschlossene Bebauung freigegeben. Viele Gemeinden eilten dabei dem Stand der bereits erreichten Bebauung weit voraus, denn niemand wollte die Chancen verpassen, die sich aus dem Städtewachstum ergaben. Zusätzlich gefördert wurde es durch die bereits bestehenden Eisenbahnverbindungen mit Vororten wie Velten, Oranienburg, Bernau im Norden oder auch Königs Wusterhausen im Südosten. Hinter diesen weitgesteckten Erwartungen blieb die tatsächliche Bautätigkeit dann allerdings erheblich zurück. Für einige der Hypothekenbanken auf Aktienbasis, die seit den 1860er Jahren auch in Preußen zugelassen worden waren und die ihr Kerngeschäft über verschiedene Tochtergesellschaften immer enger mit den Geschäftsfeldern von neuartigen Terraingesellschaften und anderen Immobilienunternehmen zu verknüpfen begannen, sollte sich das in den Jahren um die Jahrhundertwende zu einem gravierenden Problem entwickeln. Denn in Erwartung der zügigen Erschließung und Bebauung gingen sie zur ausgesprochen großzügigen Beleihung von Bauplätzen über und kalkulierten dabei mit künftigen Mieteinnahmen und anderen Erträgen, die sich tatsächlich nie einstellen sollten.

Während man in Preußen noch eine Grundsatzdebatte über die Vor- und Nachteile der Zulassung von Hypothekenbanken-Aktiengesellschaften führte, war in Frankreich mit der Banque Foncière de Paris bereits 1852 die erste gewinnorientierte Hypothekenbank auf Aktienbasis in Europa entstanden. Sie vergab Bardarlehen gegen hypothekarische Sicherheiten und refinanzierte sich nach dem Vorbild der preußischen Landschaften über die Emission von Pfandbriefen. Da sie geschäftlich erfolgreich war, durfte sie ihre Aktivitäten bald auf das ganze Land ausdehnen und ein zentralisiertes Realkreditsystem errichten, wobei zugleich der Einfluss des Staates auf das Institut wuchs. 1854 umfirmiert zum Crédit Foncier de France, entwickelte es sich in den 1920er Jahren zur damals größten Hypothekenbank der Welt. [24]

Doch auch in Deutschland gab es in den 1860er Jahren in dieser Hinsicht Bewegung. Die im Deutschen Bund nur locker zusammengeschlossenen Staaten und freien Städte setzten den Hypothekenbanken auf Aktienbasis bei der Konzessionierung allerdings sehr unterschiedliche rechtliche Bedingungen, etwa mit Blick auf die Festsetzung von Beleihungsgrenzen, die Bewertung der angebotenen Beleihungsobjekte und die Berechnung von Obergrenzen für Pfandbriefemissionen. In Preußen fielen die im Sommer 1863 verabschiedeten Normativbestimmungen für die Hypotheken-Actiengesellschaften in Preussen wie bereits erwähnt besonders restriktiv aus; sie sahen eine feste Bindung der Beleihungswerte an bestimmte Steuermesszahlen und eine enge Begrenzung des Pfandbriefumlaufs vor. [25] Andere deutsche Staaten und Städte dagegen waren liberaler eingestellt und eröffneten somit bessere Chancen für Neugründungen. Neben der Bayerischen Hypotheken- und Wechsel-Bank, die bereits 1835 als erste deutsche Realkreditbank auf Aktienbasis überhaupt entstanden war, sich freilich nicht auf das Hypothekengeschäft beschränkte und außerdem erst 1864 das Recht zur Emission von Pfandbriefen zugesprochen bekam, entstanden die ersten beiden reinen Hypothekenbanken auf Aktienbasis 1862 in der Freien Stadt Frankfurt am Main und im Herzogtum Sachsen-Meiningen. Beide Institute, die Frankfurter Hypothekenbank AG und die Deutsche Hypothekenbank AG, durften ihre Beleihungstätigkeit – anders als die regional streng beschränkten Landschaften – satzungsgemäß auf alle Gebiete des Deutschen Bundes ausdehnen und erlebten einen raschen geschäftlichen Aufschwung. [26] Mit ihrer Etablierung kam eine regelrechte Gründungswelle neuer Hypothekenbanken in Gang, denn in vielen deutschen Städten griff zu dieser Zeit das Baufieber um sich. Bis zur Reichsgründung 1871 wurden nicht weniger als 20 weitere spezielle Kreditinstitute dieser Art gegründet. [27]

Selbst in Preußen entstand im März 1870 auf Betreiben der Direktoren der Disconto-Gesellschaft um Adolf Hansemann sowie der beiden Privatbankiers Gerson Bleichröder und Abraham Oppenheim mit tatkräftiger Unterstützung des Ministerpräsidenten Otto von Bismarck in Gestalt der Preußischen Central-Bodenkredit-Aktiengesellschaft eine Hypothekenbank, die – vor allem mit Blick auf die Beleihungsgrenzen – nicht mehr an die strengen Normativbestimmungen von 1863 gebunden wurde, auch wenn diese grundsätzlich weiterhin in Kraft blieben. [28] Der Schwerpunkt dieser neuen, nach dem Vorbild des Crédit Foncier de France auf die Zentralisierung des Realkredits angelegten Hypothekenbank lag zunächst auf dem landwirtschaftlichen Kredit, aber der Anteil der städtischen Grundstücksbeleihungen nahm kontinuierlich zu. Durch die Reichsgründung von 1871 und den Zustrom französischen Kapitals aus den auferlegten Reparationszahlungen bekam der Boom neuer Hypothekenbanken dann jedoch in vielen Regionen einen zusätzlichen kräftigen Schub, sodass die ursprünglichen Zentralisierungsbestrebungen in den Hintergrund traten. Mit diesem Boom wuchs allerdings die Konkurrenz unter den Instituten, zumal sie sich fast ausnahmslos als überregional agierende Geschäftsbanken verstanden, die sich auch nicht zwangsläufig dauerhaft auf das mit erststelligen Hypotheken besicherte Kreditgeschäft beschränken mussten.

4 Verwerfungen auf den liberalen Immobilienmärkten

Der stürmische Aufschwung der Hypothekenbanken zeigte sehr bald problematische Auswirkungen. [29] Denn die zahlreichen neu gegründeten Banken begannen, sich gegenseitig das Beleihungsgeschäft streitig zu machen, und manche von ihnen ließen bei der Bewertung der Immobilienobjekte, die beliehen werden sollten, nicht die gebotene Sorgfalt walten. Sie gewährten im Boom viel zu großzügig Kredit. Mit den Turbulenzen an den Börsen in Wien, New York und Berlin nach dem Gründerkrach von 1873 kamen die deutschen Hypothekenbanken zunächst scheinbar gut zurecht. [30] Ihre Pfandbriefe sanken kaum im Kurs und weil sie als Anlagepapier mangels Alternative nun besonders stark gefragt waren, wurden sogar noch mehr Hypothekendarlehen vergeben. [31] Die Folgen blieben nicht aus: 1878/79 kam es zu einer schweren Krise an den deutschen Grundstücksmärkten. Die Hypothekenbanken sahen sich nun mit rasant ansteigenden Zins- und Tilgungsrückständen ihrer Schuldner konfrontiert, die sich mit Hypothekendarlehen übernommen hatten. Die Banken mussten Zwangsmaßnahmen ergreifen, größere Abschreibungen vornehmen und fuhren hohe Verluste ein – nicht selten, weil sie, vom Wettbewerb getrieben, zuvor auch ihren Pfandbriefgläubigern wirtschaftlich betrachtet viel zu günstige Zinskonditionen eingeräumt hatten. Über diese Schwierigkeiten im Kerngeschäft hinaus entstanden aber noch weitere Probleme, weil einige Hypothekenbanken im Boom begonnen hatten, ganz neue, zusätzliche Geschäftsfelder aufzubauen, etwa indem sie in die Grundstücksverwaltung sowie die Immobilienverwertung einstiegen und regelrechte Beleihungskonzerne aufzuziehen versuchten. Sie selbst hatten also zur Entfaltung der Gründerkrise beigetragen, reagierten nicht nur auf ihre Folgen. Zwischen den unternehmerischen Kalkülen und Fehlkalkülen, den sich überhitzenden Immobilienmärkten und der dann hereinbrechenden Finanzkrise bestanden Zusammenhänge, die nicht nur für die beteiligten Zeitgenossen – darunter die um eine höhere Kapitalmarktstabilität ringenden Politiker – schwer zu durchdringen waren, sondern bis heute die wirtschaftshistorische Forschung beschäftigen. [32]

4.1 Schwierigkeiten im Kerngeschäft

Mit Schwierigkeiten im Kerngeschäft sahen sich insbesondere die Pommersche Hypotheken-Aktien-Bank in Köslin, die Deutsche Grundcredit-Bank zu Gotha und die Preußische Boden-Credit-Aktien-Bank in Berlin konfrontiert. Die 1866 gegründete Pommersche Hypotheken-Aktien-Bank hatte seit den späten 1870er Jahren mit zahlreichen Schuldnerinsolvenzen zu kämpfen. Sie musste Grundstücke übernehmen, ohne neue Kaufinteressenten finden zu können, und lagerte sie deshalb in eine neugegründete Immobilien-Verkehrsbank AG aus. Von der zeitgenössischen Presse wurde dieses Vorgehen – das man heute wohl als Gründung einer Bad Bank bezeichnen würde – als „Strohmännertum“ zur Kaschierung der Übernahme beliehener Grundstücke im Zuge der Zwangsverwaltung gebrandmarkt. [33] Infolge der eingefahrenen Verluste konnte die Pommersche Hypotheken-Aktien-Bank ihren Aktionären zehn Jahre lang – von 1879 bis 1889 – keine Dividende zahlen und musste ihr Aktienkapital mehrfach zusammenlegen. Die Pfandbriefgläubiger der Bank, die zuvor mit besonders lukrativen Prämienpfandbriefen geworben worden waren, sahen sich nun aufgefordert, auf die versprochenen Prämien von zehn oder gar 20 Prozent zu verzichten und ihre Wertpapiere in reguläre Pfandbriefe einzutauschen. Die Bank verlagerte ihren Sitz nach Berlin und begann nach einer schmerzhaften Konsolidierung erneut massiv zu expandieren: Zwischen 1890 und 1899 stieg ihr Pfandbriefumlauf von 14 auf nicht weniger als gut 190 Millionen Mark an. Wie sich bald zeigen sollte, lag dem allerdings keine solide Geschäftsentwicklung zu Grunde. [34]

Die 1867 gegründete Deutsche Grundcredit-Bank zu Gotha beging den Fehler, nicht genügend auf die Kongruenz ihres Aktiv- und Passivgeschäftes zu achten. Sie emittierte ihrerseits unkündbare Pfandbriefe, die mit einer Prämie versehen und nach einem festen Verlosungsplan rückzahlbar waren, denen aber Tilgungsdarlehen gegenüberstanden, die von den Schuldnern vorzeitig gekündigt werden konnten. Als der allgemeine Zinsfuß zu sinken begann, machten die Schuldner hiervon rege Gebrauch, während die Bank ihre Pfandbriefe nicht konvertieren konnte, sondern an die festen Verlosungspläne gebunden war. 1884 erwiesen sich im Zuge einer Revision mehr als 30 Millionen Mark an Hypothekendarlehen als ganz oder teilweise notleidend, wobei die Bank überhaupt nur rund 100 Millionen Mark an Hypothekenforderungen zu verbuchen hatte. Um die Bank zu retten, wurde das Aktienkapital zusammengelegt, die Zahlung einer Dividende bis auf weiteres ausgesetzt und den Pfandbriefgläubigern eine drastische Reduktion der Pfandbriefbeträge auferlegt. Mit diesen Maßnahmen konnte das Institut tatsächlich saniert werden, geriet aber später erneut in Turbulenzen. [35]

Auch die 1868 gegründete Preußische Boden-Credit-Aktien-Bank in Berlin kam Ende der 1870er Jahre in erhebliche Schwierigkeiten, weil sie einerseits auf stark spekulativen Wertzuwächsen der beliehenen Immobilien beruhende Hypothekendarlehen gewährt hatte und andererseits ihren Pfandbriefgläubigern mit einer Verzinsung von fünf Prozent und einer Verlosungsprämie von weiteren zehn Prozent sehr weit entgegengekommen war. Die spekulativen Beleihungen brachten ihr in der schweren Krise am Berliner Grundstücksmarkt in den Jahren 1878/79 hohe Zins- und Tilgungsrückstände ein, sodass sie zahlreiche Zwangsvollstreckungen einleiten musste. Die in dieser Situation nur schwer verkäuflichen und deshalb überwiegend von ihr selbst übernommenen Grundstücke brachte sie in die 1880 gegründete Preußische Immobilien AG ein. Weil sie darüber offen berichtete und zugleich einen überzeugenden Sanierungs- und Konsolidierungskurs einleitete, gelang es ihr, das Vertrauen der Gläubiger zurückzugewinnen und eine solide Entwicklung einzuschlagen. [36]

4.2 Die Entstehung von Beleihungskonzernen und die Ausbreitung unlauterer Geschäftspraktiken

Nach Überwindung der Grundstückskrise von 1878/79 kam es schon in den 1890er Jahren, unterstützt durch eine 1893 vorgenommene Anpassung der preußischen Normativbestimmungen, zu einer weiteren Gründungswelle von Hypothekenbanken. Die entscheidende rechtliche Veränderung betraf die Festsetzung der Beleihungswerte: Sie durfte künftig nach bestimmten Regeln von den Banken selbst vorgenommen werden, sodass ihre wirtschaftliche Eigenverantwortung stieg. [37] Gemeinsam besaßen die 40 deutschen Hypothekenbanken, die es 1897 im Deutschen Reich gab, eine Eigenkapitalbasis von 672 Millionen Mark. Ihre Darlehensforderungen beliefen sich zu dieser Zeit auf 5,98 Milliarden Mark, während das Volumen der von ihnen emittierten Pfandbriefe und Kommunalobligationen bei 5,65 Milliarden Mark lag. In dieser hohen Summe kam die Beliebtheit der festverzinslichen Pfandbriefe bei den überwiegend mittelständischen Anlegern zum Ausdruck. [38] Weil es noch immer keine einheitliche gesetzliche Grundlage gab, sondern die 40 Hypothekenbanken auf verschiedenen Landesgesetzen und ganz unterschiedlichen, individuellen Statuten beruhten, ergab sich aus der Vielfalt des Angebots für die Käufer von Pfandbriefen freilich das Problem, dass sie die genauen Anlagerisiken nur schwer überschauen und beurteilen konnten. Auch die preußischen Normativbestimmungen von 1893 hatten in Erwartung einer allgemeinen gesetzlichen Regelung für das Deutsche Reich einige Fragen offengelassen, die für die Stellung des Pfandbriefs am Kapitalmarkt und die Sicherung der Pfandbriefgläubiger wichtig waren, etwa ihr Vorrecht im Konkurs.

Dementsprechend hart konnte es für die Anleger kommen, wenn sie ihr Geld einer Hypothekenbank anvertraut hatten, deren Geschäftsführungen nicht nur – vielleicht aus Leichtfertigkeit – die üblichen Grundsätze des Geschäfts missachteten, sondern sogar kriminelle, strafrechtlich zu verfolgende Geschäftspraktiken entfalteten. In den späten 1890er Jahren gerieten nicht weniger als neun der 40 bestehenden Hypothekenbanken in finanzielle Schwierigkeiten, mit vier von ihnen mussten sich die Gerichte beschäftigen, in zwei Fällen kam es schließlich zur Verhängung von Haftstrafen; nur eine Hypothekenbank, die Deutsche Grundschuldbank, ging freilich in Konkurs. [39]

Im Zentrum der Ermittlungen stand erneut die Pommersche Hypotheken-Aktien-Bank, die ihren Sitz im Zuge einer Reorganisation schon 1891 von Köslin nach Berlin verlagert hatte und bei der sich immer deutlichere Ansätze zur Konzernbildung zeigten: Neben der Immobilien-Verkehrsbank AG gehörten seit Mitte der 1890er Jahre die Mecklenburg-Strelitzsche Hypothekenbank AG, die Immobilien-Erwerbsgesellschaft mbH, die Vereinigung für Grunderwerb GmbH und die Schumacher & Co. GmbH zur „Pommernbankgruppe“. Über ihre Tochtergesellschaften belieh sie zahlreiche große und riskante Objekte, darunter viele noch in Bau befindliche Geschäftshäuser und Hotels in Berlin, fuhr hohe Verluste ein, legte darüber aber keine Rechenschaft ab, sondern versuchte die gefährliche Entwicklung ihrer Misswirtschaft zu verschleiern. Als diese von der Wirtschaftspresse Schritt für Schritt aufgedeckt und publik gemacht worden war, stürzten nicht nur die Aktienkurse der Pommerschen Hypotheken-Aktien-Bank ab, sondern auch die Kurse ihrer Pfandbriefe sanken bedenklich. Um das Vertrauen der Anleger nicht ganz zu verlieren, wurde unter Führung verschiedener Großbanken eine Schutzvereinigung der Pfandbriefinhaber gebildet, deren Vorsitz Max Steinthal vom Vorstand der Deutschen Bank übernahm; bei ihr konnten Pfandbriefgläubiger gegen Ausstellung von Zertifikaten ihre Pfandbriefe hinterlegen und wurden dann von der Vereinigung in den weiteren Verhandlungen vertreten. Dieses Angebot wurde sehr gut angenommen und bewirkte eine Beruhigung des Pfandbriefmarktes.

Bei der von staatlicher Seite veranlassten Revision der Geschäfte der Pommernbankgruppe wurden vor allem die Bilanzierungspraktiken der Immobilien-Verkehrsbank AG beanstandet. Auch die Mecklenburg-Strelitzsche Hypothekenbank mit ihrem Sitz außerhalb Preußens, die eigens zur Beleihung von Baustellen gegründet worden war, was nach den preußischen Normativbestimmungen nicht zulässig war, litt schwer unter den Belastungen, die ihr vom Gesamtkonzern aufgebürdet wurden. Denn viele der großzügig beliehenen Baustellen blieben letztlich ertraglos. Genau davor hatte die in dieser Sache besonders engagierte Frankfurter Zeitung in verschiedenen Beiträgen über „Die riskanten Geschäfte der Hypothekenbanken“ gewarnt. Die Verquickung des Kerngeschäfts der Hypothekenbanken mit den Geschäften von Terraingesellschaften und anderen Bauunternehmen, wie sie die Pommersche Hypotheken-Aktien-Bank im Zuge einer vertikalen Konzernbildung betrieb, schien ihr viel zu gewagt – eine Argumentation, der das zum 1. Januar 1900 in Kraft tretende Hypothekenbankgesetz dann auch Rechnung trug. Der von einem Bankenkonsortium unter Führung der Bank für Handel und Industrie ausgearbeitete Sanierungsplan für die Pommersche Hypotheken-Aktien-Bank sah einen Verzicht der Pfandbriefgläubiger auf einen Teil der Zinszahlungen sowie auf 20 Prozent ihrer Kapitalansprüche vor, die jedoch in zehn Prozent des Aktienkapitals der neu gegründeten Berliner Hypothekenbank umgewandelt wurden. Sowohl die Versammlung der Pfandbriefgläubiger als auch die Generalversammlung der Aktionäre stimmten diesem Plan zu. Die Pfandbriefgläubiger erlitten in diesem Fall also Verluste, die allerdings durch spätere Aktienkurssteigerungen und Gewinne der Bank ausgeglichen wurden. [40]

Neben der Pommernbankgruppe mussten sich die Gerichte eingehend mit der Preußischen Hypotheken-Aktien-Bank beschäftigen, die ebenfalls zu einer konzernartigen Gruppierung herangewachsen war. Zur „Preußenbankgruppe“ gehörten unter anderem die Deutsche Grundschuldbank, die Aktiengesellschaft für Grundbesitz und Hypothekenverkehr, die Märkische Immobilienverein GmbH sowie die Grunderwerbsgesellschaft für Berlin und Vororte GmbH. In diesem Geflecht war es seit 1896 zur Bilanzverschleierung und Bilanzfälschung gekommen, um nicht zuletzt die Tatsache zu kaschieren, dass die ausgegebenen Pfandbriefe nicht mehr ausreichend durch Hypothekenforderungen besichert waren und angeblich regelmäßig eingehende Zinszahlungen der Schuldner schon seit Jahren gestundet worden waren. Auf diese Weise war ein Fehlbetrag von 35 Millionen Mark aufgelaufen, der weit über dem Wert des Aktienkapitals von 21 Millionen Mark lag und nur durch verdeckte Reserven aufgefangen werden konnte. Die Mitglieder des Vorstands der Bank, darunter Direktor Eduard Sanden, hatten die ihnen anvertrauten Gelder teilweise sogar für private Grundstücksspekulationen eingesetzt, was durch die Gründung von besonderen, auf Nebengeschäfte spezialisierte Gesellschaften verschleiert worden war.

Als diese Missstände durch die bereits seit Jahren alarmierte Frankfurter Zeitung schließlich publik gemacht wurden – sie sprach von „Schiebungen von Millionen“ zwischen „scheinbar gesonderten Gesellschaften“, von „ungeheuerlichen“ und „überaus ungehörigen“ Zuständen – stürzte der Aktienkurs der Preußischen Hypotheken-Aktien-Bank so stark ab, dass die Aktien aus dem Handel genommen werden mussten. Auch die Pfandbriefe der Bank wurden vom Kursblatt gestrichen. Mehrere Berliner Großbanken sowie acht andere Hypothekenbanken sprangen ein, um im Januar 1900 die reguläre Zahlung der Pfandbriefzinsen an die Gläubiger zu gewährleisten und die Bank damit vor dem Konkurs zu bewahren. Denn das in diesem Falle zu erwartende plötzliche Angebot von Immobilien im Wert von mehr als 100 Millionen Mark hätte den Berliner Grundstücksmarkt schwer erschüttert. Das Pfandbriefkapital der Bank wurde im Zuge der Sanierung schließlich auf 80 Prozent heruntergesetzt, wobei die Gläubiger ihre freigegebenen Kapitalansprüche in 15 Prozent des neuen Aktienkapitals umwandeln konnten. Um einen Neustart zu ermöglichen, wurde das alte Aktienkapital zunächst im Verhältnis 10:1 zusammengelegt und dann um die genannten 15 Prozent erhöht. Die Pfandbriefgläubiger, die nach dem Schuldverschreibungsgesetz alsbald zu einer Versammlung zusammenkamen und in den weiteren Verhandlungen dann von einer Schutzvereinigung sowie der von ihr beauftragten Deutschen Treuhand-Gesellschaft vertreten wurden, stimmten diesem von den Banken ausgearbeiteten Sanierungsplan fast ausnahmslos zu. Sie erlitten einen Verlust von fünf Prozent ihres Pfandbriefkapitals, bekamen dafür aber die Gewinnchancen der neuen Aktien eingeräumt. Da diese bald über pari stiegen, wurden die Verluste auch hier rasch ausgeglichen. Für die zur Preußenbankgruppe gehörende Deutsche Grundschuldbank, die der Preußischen Hypotheken-Aktien-Bank vor allem zweitstellige Beleihungen auf Häuser und Bauplätze abgenommen hatte und deshalb von der Presse als „Ablagerungsstätte für Minderwertiges“ bezeichnet wurde, konnte der Konkurs freilich nicht abgewendet werden. Er wurde im März 1901 eröffnet und mündete noch im gleichen Jahr in die Gründung der „Neuen Boden-Aktien-Gesellschaft“, die sich wirtschaftlich bald recht stabil entwickelte. Die Gläubiger der von der Deutschen Grundschuldbank ausgegebenen Realobligationen, bei denen es sich nicht um Hypothekenpfandbriefe handelte, weil ihnen keine erststelligen Beleihungen zugrunde lagen, erlitten bei dieser Reorganisation einen Verlust von 50 Prozent ihrer Kapitalansprüche, den Rest bekamen sie je zur Hälfte in Aktien und Obligationen der neuen Gesellschaft abgegolten. Wer sich diesem Rettungsplan nicht anschloss, erzielte eine Konkursquote von lediglich 39 Prozent. [41]

Bei der in privatwirtschaftlicher Verantwortung betriebenen Sanierung der Pommernbankgruppe und der Preußenbankgruppe büßten also vor allem die Aktionäre Kapital ein, die betroffenen Pfandbrief- und Realobligationsgläubiger wurden möglichst vor Verlusten geschützt. Nur im Falle der Deutschen Grundschuldbank, die ein Geschäftsmodell verfolgt hatte, das nach dem Inkrafttreten des Hypothekenbankgesetzes nicht mehr zulässig war, gelang dies nicht. Andere Hypothekenbanken, die sich seriöser Geschäftspraktiken bedienten und nun mit einsprangen, um noch größeren Schaden von der Branche abzuwenden, kommentierten die aufgedeckten Vorgänge als „unglaubliche Misswirtschaft“, die das Vertrauen in den Pfandbrief – und damit in die Hypothekenbanken – generell untergraben konnte und deshalb künftig unbedingt unterbunden werden musste. [42] Die Entwicklung an den Börsen gab ihnen Recht: Der Pfandbriefabsatz ging in den Jahren 1900 und 1901 deutlich zurück, zugleich musste die Verzinsung für neue Pfandbriefe angehoben werden, um sie für die Anleger attraktiv zu halten. [43]

5 Konsequenzen: Das Hypothekenbankgesetz von 1899 und seine Folgewirkungen

Zur Wiederherstellung des Vertrauens sollte nicht zuletzt das Hypothekenbankgesetz vom 13. Juli 1899 beitragen. Es wurde nach langen Grundsatzdiskussionen und Gesprächen über eine Grundbuchordnung und ein Zwangsversteigerungsgesetz sowie parallel geführten Beratungen über ein Bürgerliches Gesetzbuch – offenkundig gefördert durch die vorausgegangenen Verwerfungen und ihre breite Diskussion in der Presse – endlich verabschiedet und trat zum 1. Januar 1900 in Kraft. [44] Teils wurden die zunächst vor allem von der Wirtschaftspresse angesprochenen Missstände überhaupt nur deshalb vollständig aufgedeckt, weil dieses Gesetz eine strengere, an reichseinheitliche Standards gebundene staatliche Aufsicht gewährleistete und die Einsetzung von Treuhändern für die Pfandbriefgläubiger bei jeder einzelnen Hypothekenbank vorschrieb. Wenn es zuvor bereits einen Staats- oder Regierungskommissar gegeben hatte, der auf der Grundlage eines Landesgesetzes die Zulassung, etwaige Satzungsänderungen und die allgemeinen Geschäftspraktiken der Hypothekenbanken überwachte, wie das etwa bei der Deutschen Hypothekenbank in Meiningen seit ihrer Gründung der Fall war, dann durfte dieser nun auch die Aufgaben eines Treuhänders mit übernehmen. Die Zuständigkeit für die Aufsicht über diejenigen Hypothekenbanken, die nicht nur in einem Bundesstaat tätig waren, teilten sich nun der Bundesrat und die zentralen Behörden der Bundesstaaten; in den anderen Fällen lag sie bei den Behörden der Bundesstaaten.

Die Aufgaben der von den Aufsichtsbehörden bestellten Treuhänder bestanden im Kern darin, jederzeit die vorschriftsmäßige Deckung der Pfandbriefe und die Eintragung der betreffenden Hypotheken in das Hypothekenregister sicherzustellen. Mit dem Hypothekenbankgesetz, das im Hinblick auf konkursrechtliche Fragen deutlich über die preußischen Normativbestimmungen von 1893 hinaus ging, wurde nun erstmals einheitlich und verbindlich festgelegt, dass sich die deutschen Hypothekenbanken in der Rechtsform der Aktiengesellschaft oder der Kommanditgesellschaft auf Aktien künftig auf das Geschäftsfeld der Beleihung von Immobilien und der Vergabe von Kommunaldarlehen sowie auf die zur Refinanzierung notwendige Ausgabe von Pfandbriefen und ähnlichen Schuldverschreibungen zu konzentrieren hatten. Geschäftsfeldausweitungen bis hin zu vertikalen Konzernbildungen, wie sie bei der Pommernbankgruppe und der Preußenbankgruppe zu beobachten gewesen waren, sollten unterbunden werden. Die Hypothekenbanken unterlagen weiterhin einem Konzessionszwang (wer ihn auf zentraler beziehungsweise bundesstaatlicher Ebene ausüben und nach welchen Kriterien genau die Zulassung bewilligen sollte, blieb allerdings offen) und sie durften künftig – im Falle der Neuzulassung – nur noch einen sehr eng umrissenen Katalog zusätzlicher Bankgeschäfte betreiben. Auf diese Weise sollten sie sich langfristig betrachtet dem Idealbild der reinen Hypothekenbank annähern, um die Risiken des Geschäfts einzuhegen und den Kreis der Gläubigergruppen einzugrenzen. Insbesondere sollten sie die Hereinnahme von Kundengeldern streng beschränken; sie war ihnen künftig nur noch bis zur Hälfte des eingezahlten Grundkapitals erlaubt.

Über die staatliche Aufsicht und die Einsetzung eines Treuhänders für die Pfandbriefgläubiger hinaus betrafen die wichtigsten Bestimmungen des Gesetzes die Vereinheitlichung der Regeln für die Ausgabe von Pfandbriefen, durch die der Gläubiger- und Anlegerschutz deutlich verstärkt wurde. Sie befassten sich unter anderem mit der Einhaltung des Deckungsprinzips für die Pfandbriefemissionen, demzufolge stets Darlehensforderungen in mindestens gleicher Höhe vorhanden sein und den mindestens gleichen Zinsertrag erbringen mussten, mit den Umlaufgrenzen für Pfandbriefe, deren Volumen das Fünfzehnfache des eingezahlten Aktienkapitals plus Reserven künftig nicht mehr übersteigen durfte, und mit dem bis dahin zwar bereits praktizierten, aber nicht klar und eindeutig geregelten Vorrecht der Pfandbriefgläubiger im Konkurs. Die Rechtsnatur dieses Pfandbriefprivilegs, das in den ersten Entwürfen des Gesetzes noch gar nicht vorgesehen gewesen war, warf für die Juristen erhebliche Deutungsschwierigkeiten auf, denn die Konkursordnung kannte eine solche Sonderstellung nicht; sie war vielmehr dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger verpflichtet. Doch aus Sicht einer wachsenden Zahl von Experten stellte ein solches Vorrecht der Pfandbriefgläubiger im Konkurs ein zentrales Instrument zur Vermeidung künftiger Realkredit- und Finanzmarktkrisen dar. Die Erfahrungen mit den jüngsten Grundstückskrisen hatten sie in dieser Auffassung bestärkt, denn das Vorrecht der Pfandbriefgläubiger würde die Hypothekenbanken künftig geradezu zwingen, ihre Geschäftspolitik durch eine sorgfältige Immobilienbewertung möglichst risikoarm zu gestalten, um ihre Verpflichtungen gegenüber den Pfandbriefgläubigern als wichtigsten Investoren jederzeit erfüllen zu können, ohne die eigenen Aktionäre bei einem drohenden Konkurs schädigen zu müssen. [45]

Nicht festgeschrieben wurde allerdings eine – in Bayern schon seit 1864 geltende, in Sachsen-Meiningen 1891 und in Baden schließlich 1899 gewährte – generelle Mündelsicherheit für Pfandbriefe; diese sollte auf Reichsebene den Staatsanleihen vorbehalten bleiben. [46] Angesichts der aufgedeckten Missstände gab es freilich auch anders gelagerte, grundsätzliche Bedenken, denen die Presse im Vorfeld der Verabschiedung des Gesetzes klaren Ausdruck verliehen hatte: Man fürchtete, dass die Mündelsicherheit von den Hypothekenbanken vor allem als ein „fascinierendes Lockmittel“ für die „Zwischenhände“ – etwa reine Maklerbanken und Privatbankiers in der Provinz – missbraucht werden könnte, „um unkundige Kapitalisten an eine Controle durch den Staat, an eine Art von Bonitäts-Prüfung glauben zu machen, die thatsächlich nicht existirt.“ Man müsse vielmehr verhindern, „die Mündelgelder dem provisionsgierigen Zwischenhändler zur Festlegung in Schuldverschreibungen derjenigen Hypothekenbanken auszuliefern, die den Provinzbankiers die höchste Vermittlungsprovision zahlen“. [47]

Mit dem Hypothekenbankgesetz wurden außerdem die allgemeinen Bewertungsvorschriften für die Beleihungsobjekte vereinheitlicht, differenzierte Beleihungsgrenzen festgelegt sowie weitere Bestimmungen für die Gewährung von Hypothekendarlehen zum Schutz der Schuldner erlassen, unter anderem im Hinblick auf die wechselseitigen Kündigungsrechte. Grundsätzlich durften nun nur noch Beleihungen auf Grundstücke vorgenommen werden, die innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches lagen. Da die bestehenden Hypothekenbanken vermehrt auch nicht-hypothekarische Darlehen an Gemeinden und andere Körperschaften vergaben, umfasste das Gesetz ferner Bestimmungen für die Ausgabe von Kommunalobligationen. Gesetzlich genau geregelt wurden außerdem die besonderen Pflichten der Hypothekenbanken bei der Buchführung, der Bilanzierung und der Erstellung von Geschäftsberichten. Ausnahme- und Übergangsbestimmungen sorgten dafür, dass die bereits bestehenden Institute ihre angestammten Privilegien teils wahren und ihre Statuten schrittweise an die neue rechtliche Grundlage anpassen konnten. Gemischte Hypothekenbanken wie die Bayerische Hypotheken- und Wechsel-Bank mussten ihre Tätigkeit beispielsweise künftig nicht auf das Hypothekengeschäft beschränken, sondern sie konnten ihr Geschäftsprofil beibehalten. Für Neuzulassungen sah das jedoch anders aus: Sie mussten den Regeln des neuen Gesetzes voll entsprechen.

In der Praxis bewährte sich das Hypothekenbankgesetz von 1899 erstaunlich gut und lange, auch wenn es bald punktuell geändert und um weitere Gesetze ergänzt wurde. [48] Es hatte dauerhaft tragfähige Rechtsgrundlagen für die Tätigkeit der Hypothekenbanken im Deutschen Reich geschaffen, ohne ihre geschäftliche Eigenverantwortung – insbesondere bei der Wertermittlung für die Beleihungsobjekte – zu beschneiden; es sorgte insbesondere durch die Bestimmungen zum Vorrecht der Pfandbriefgläubiger im Konkurs für eine hohe Sicherheit, die dem Wertpapier eine weiter anwachsende Beliebtheit bei breiten Anlegerschichten verschaffte. Der Konkurs der Deutschen Grundschuldbank von 1901 war der erste und er blieb auf sehr lange Sicht auch der einzige Konkurs einer deutschen Hypothekenbank. Geschäftspraktiken wie die der Pommern- und der Preußenbankgruppe waren nach den Bestimmungen des neuen Gesetzes für eine Hypothekenbank nicht mehr zulässig – und sie konnten mit Hilfe des Gesetzes auch de facto weitgehend unterbunden werden. Zwar ging es in Berlin mit der Zahl der jährlichen Besitzwechsel an unbebauten Grundstücken, die im Jahr 1900 einen Tiefpunkt erreicht hatte, bereits fünf Jahre später wieder steil bergauf. [49] Der Verein der Berliner Grundstücks- und Hypothekenmakler sprach erneut begeistert von „riesenhaften Umsätzen im Immobilienverkehr“ und „enormen Geschäfte[n] in Terrains und Baustellen“. [50] Doch für viele Terraingesellschaften erwuchs nun rasch ein Problem auf der Absatzseite: Als Kaufinteressenten für die von ihnen erschlossenen Parzellen traten vermehrt kleingewerbliche Bauunternehmer auf, denen es jedoch immer schwerer fiel, eine solide Baufinanzierung zu bekommen. Der Grund dafür lag bei den Hypothekenbanken, die sich jetzt zurückhalten mussten. Denn ihnen war gesetzlich auferlegt worden, sich bei der Beleihung von Bauplätzen stark zu beschränken; sie traten nun in der Regel erst dann in Erscheinung, wenn der Bau eines Hauses bereits abgeschlossen und die zunächst kurzfristigen Baugelder in langfristige Darlehen auf erste Hypotheken umgewandelt wurden. [51] Anbieter von kurzfristigen Baugeldern und Darlehen auf zweite Hypotheken gab es – gemessen an der Nachfrage – allerdings noch viel zu wenige. [52] Für die Terraingesellschaften war das in wachsendem Maße problematisch, denn sie waren infolge ihrer hohen laufenden Kosten auf den kontinuierlichen Absatz von Grundstücken angewiesen; in Kooperation mit den an ihnen beteiligten Großbanken gingen sie deshalb selbst zur Vergabe von Baugeldern über, manche von ihnen wandelten sich zu regelrechten „Immobilienbanken“. [53] Einige Terraingesellschaften begannen nach der Jahrhundertwende auch damit, nur schwer veräußerliche Grundstücke selbst zu bebauen und wandelten sich auf diese Weise – wie etwa die von Georg Haberland geführte Berlinische Boden-Gesellschaft – zu Wohnungsbaukonzernen. [54] Doch was den Terraingesellschaften erhebliche Probleme bereitete und den Druck zum Wandel ihrer Geschäftsmodelle erhöhte, erwies sich für die am Berliner Grundstücks- und Immobilienmarkt engagierten Hypothekenbanken als ein Segen: Von dem neuerlichen Einbruch des Marktes für Bauland, zu dem es schon 1907 kam und der erst 1913 seinen historisch tiefsten Punkt seit der Reichsgründung von 1871 erreichen sollte, blieben sie zwar nicht vollständig, aber doch weitgehend verschont. [55]

Ein fachkundiger zeitgenössischer Beobachter aus Bayern – der Archivar der Bayerischen Handelsbank in München, Fritz Schulte – kam vor diesem Hintergrund in seiner Untersuchung zu den Wirkungen des Hypothekenbankgesetzes zu einem sehr optimistischen Schluss:

„Das Gesetz selbst, die sich immer mehr ausbildende und vervollkommnende Staatsaufsicht, das viel stärker als früher empfindende Verantwortungsbewusstsein des Aufsichtsrats, lassen die Neigung zu spekulativen Ausschreitungen auf dem Gebiete des Bau- und Terrainmarktes gar nicht mehr aufkommen. Es dürfte zumal dort, wo das Staatsaufsichtsrecht in richtiger Weise durchgeführt und gehandhabt wird, nicht mehr möglich sein, durch die Formen des Gesellschaftsrechtes juristische Scheinexistenzen zu schaffen und durch deren Verbindung und Ineinanderschachtelung gewagte Spekulationsgeschäfte der leitenden Persönlichkeiten zu verdecken. […] Heute ist es ein Ding der Unmöglichkeit, daß eine Hypothekenbank innerlich morsch und verfault sein könnte, ohne daß die Öffentlichkeit davon das geringste wahrnähme.“ [56]

Was Schulte hier nicht mit ansprach, lag für die Zeitgenossen freilich auf der Hand: Die Hypothekenbanken auf Aktienbasis übten ihre Tätigkeit auch weiterhin in eigener geschäftlicher Verantwortung aus und mussten deshalb dafür geradestehen, wenn sie ihren Kreditnehmern bei der Bewertung von Beleihungsobjekten zu sehr entgegen kamen, sodass die Beleihungswerte in der nächsten Grundstückskrise – wie etwa der von 1911/1912 – von den nun stark sinkenden Verkaufswerten unterlaufen wurden. [57] Um nicht damit konfrontiert zu werden, selbst bei vermehrten Zwangsvollstreckungen die gesetzlich gestärkten Rechte ihrer Pfandbriefgläubiger nicht bedienen zu können, mussten solche Geschäftsrisiken künftig möglichst klein gehalten werden.

Mit dem Hypothekenbankgesetz von 1899 waren die Marktmechanismen keineswegs außer Kraft gesetzt worden, allerdings wurden die deutschen Hypothekenbanken mit diesem Gesetz von den Geschäftspraktiken der großen Bodenkreditinstitute in den westeuropäischen Nachbarländern abgegrenzt und abgeschottet. In Frankreich, Belgien und den Niederlanden beispielsweise gaben die Hypothekenbanken zu ihrer Refinanzierung ebenfalls Obligationen aus, doch deren Sicherheit beruhte lediglich auf dem Kredit des emittierenden Instituts, das keiner besonderen staatlichen Aufsicht unterlag. Eine belgische Hypothekenbank beispielsweise, so erläuterte es der Fachmann Fritz Schulte in einem Beitrag für das Weltwirtschaftliche Archiv,

„ist ihren Obligationsgläubigern nicht die mindeste Rechenschaft darüber schuldig, ob sie ihre Kapitalien im Inlande oder im Auslande, ob sie sie in städtischen oder ländlichen Grundstücken, ob in Neubauten, in Spekulationsterrains, in Industrieobjekten, Hotels oder Bergwerken anlegt. Darum und namentlich auch darum, wie hoch die Beleihungen gehen, kümmern sich weder der Staat noch eine Börsenzulassungsstelle. Ihnen genügt es, wenn die betreffende Gesellschaft überhaupt in ihrem Statut die Absicht ausgesprochen hat, Grundstücksbeleihungen zu machen. Verspricht die augenblickliche Lage des Kapitalmarktes Erfolg, dann wird ruhig eine Obligationsanleihe aufgelegt und mit Hilfe einer hochgesteigerten, raffinierten Emissionspraxis und einer bezahlten Pressereklame abgesetzt, noch ehe die betreffende Gesellschaft auch nur eine einzige Hypothek erworben hat“. [58]

Die mit dem deutschen Hypothekenbankgesetz von 1899 geschaffene Sicherheit für die Pfandbriefgläubiger, von der man sich zugleich eine Vermeidung künftiger schwerer Realkredit- und Finanzmarktkrisen erhoffte, hatte also einen Preis. Denn anders als die Bodenkreditinstitute der westeuropäischen Nachbarländer konnten die deutschen Hypothekenbanken nach der Jahrhundertwende keinerlei Beleihungen im Ausland mehr vornehmen und auf diese Weise zum Kapitalexport und zur weltwirtschaftlichen Verfechtung des eigenen Landes beitragen. Mit Blick auf die Investitionsmöglichkeiten in den bodenreichen, wirtschaftlich oft erst schwach entwickelten Überseeländern konnte man das eigentlich nur bedauern. Während englische, französische, belgische und holländische Anleger ihre Kapitalien beispielsweise für Investitionen aller Art in dem zu dieser Zeit wirtschaftlich aufblühenden Argentinien einer rasch wachsenden Zahl von speziellen Übersee-Hypothekenbanken zur Verfügung stellen und damit hohe Renditen erzielen konnten, gab es für die deutschen Pfandbriefgläubiger keine vergleichbaren Möglichkeiten. [59]

Das Geschäft der Hypothekenbanken wuchs von der Jahrhundertwende bis zum Ersten Weltkrieg dennoch kräftig weiter an: Der Hypothekenbestand nahm zwischen 1900 und 1913 von 6,74 auf 11,43 Milliarden Mark zu, der Pfandbriefumlauf von 6,36 auf 10,88 Milliarden Mark. [60] Sowohl bei der Darlehensvergabe als auch bei der Pfandbriefemission kam es also annähernd zu einer Verdoppelung. „Die Zurückhaltung des darleihenden Publikums machte trotz der kurz zuvor aufgedeckten Mißwirtschaft der verkrachten Hypothekenbanken ziemlich schnell wieder vollem Vertrauen Platz“, kommentierte die Volkswirtin Vilma Carthaus diese Entwicklung in ihrer grundlegenden Untersuchung zu den Berliner Grundstückskrisen, die damit natürlich nicht beendet waren. „Die äußere Tatsache, daß es sich nur um die Unzuverlässigkeit bestimmter Personen gehandelt hatte, und die Hoffnung auf die günstigen Wirkungen des neuen Hypothekenbankgesetzes mit der Neuregelung der Staatsaufsicht und dem Verbot übermäßiger Terrainbeleihungen trugen dazu bei, das Misstrauen der Kapitalisten in die Sicherheit der Pfandbriefe zu beseitigen.“ [61]

6 Schlussfolgerungen

Die Untersuchung hat gezeigt, dass die deutschen Hypothekenbanken in den späten 1890er Jahren nur bedingt in der Lage waren, die durch ihre massive, teils stark spekulative Geschäftsausweitung und komplexe Konzernbildung während des vorausgegangenen Booms an den Immobilienmärkten verursachten Verwerfungen aus eigener Kraft zu bewältigen. In den späten 1890er Jahren geriet fast jede vierte der insgesamt 40 deutschen Hypothekenbanken in gravierende finanzielle Schwierigkeiten. Unterstützt von den Großbanken unternahmen sie zwar einige, von ihren Aktionären mitgetragene Anstrengungen, wie am Beispiel der Pommern- und der Preußenbankgruppe als den beiden größten neuartigen Hypothekenbank-Konzernen verdeutlicht werden konnte, um größeren Schaden von ihren jeweiligen Pfandbriefgläubigern abzuwenden, doch eine nachhaltige Lösung versprach das nicht. Der Pfandbriefumsatz an den Börsen ging deutlich zurück, sodass die Verzinsung deutlich angehoben werden musste. Parallel zur strafrechtlichen Verfolgung von Delikten wie Bilanzverschleierung, Bilanzfälschung und Konkursverschleppung sah sich der Gesetzgeber vielmehr veranlasst, stärker regulierend einzugreifen, sodass es mit dem schon länger erwogenen Hypothekenbankgesetz von 1899 erstmals zu einer reichseinheitlichen Regulierung der Hypothekenbanken auf Aktienbasis kam. Die wichtigsten Bestimmungen dieses Gesetzes betrafen die Stärkung des Gläubiger- und Anlegerschutzes: Pfandbriefe bekamen nun ausdrücklich ein Vorrecht im Konkurs zugesprochen. Mit Hilfe der neuen reichseinheitlichen Regelungen konnte tatsächlich wieder mehr Vertrauen geschaffen und eine nachhaltige Stabilisierung des Pfandbriefsystems erreicht werden; doch der Preis dafür war die Abschottung des deutschen Hypothekenbankwesens von der Entwicklung in Westeuropa. Denn anders als die meisten der dort tätigen Bodenkreditinstitute durften die deutschen Hypothekenbanken nun keinerlei Beleihungen auf Objekte im Ausland mehr vornehmen und auf diese Weise zum Kapitalexport und zur weltwirtschaftlichen Verflechtung des eigenen Landes beitragen.

About the author

(PD Dr. phil.) Friederike Sattler

Friederike Sattler (PD Dr. phil.) wurde an der Freien Universität Berlin in Wirtschaftsgeschichte promoviert und an der Goethe-Universität Frankfurt am Main in Neuerer Geschichte habilitiert. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und dort in dem Editions- und Forschungsprojekt „Deutschlands weltwirtschaftliche Verflechtungen im 19. und 20. Jahrhundert“ tätig. Zahlreiche Veröffentlichungen zur modernen Wirtschafts-, Sozial- und Finanzgeschichte, u.a. über die europäischen Wirtschaftseliten und die langfristige Entwicklung von Wertpapiermärkten. 2019 erschienen Herrhausen: Banker, Querdenker, Global Player. Ein deutsches Leben (München: Siedler) und Der Pfandbrief 1769-2019. Von der preußischen Finanzinnovation zur Covered Bond Benchmark (Stuttgart: Franz Steiner); 2021 folgte die gemeinsam mit Patrick Bormann erarbeitete Studie Die DZ HYP. Eine genossenschaftliche Hypothekenbank zwischen Tradition und Wandel 1921-2021 (München: C. H. Beck).

Published Online: 2022-05-12
Published in Print: 2022-05-25

© 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

This work is licensed under the Creative Commons Attribution 4.0 International License.

Downloaded on 29.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/jbwg-2022-0005/html
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